Einführung und Anliegen des Abends
Ich bin ein bisschen gespannt auf den Abend, weil noch einige kleine Punkte offen geblieben sind, auf die ich gerne eingehen möchte. Außerdem gibt es auch Fragen von eurer Seite.
Eine Frage bezog sich auf das Fasten, aber sie kam von jemandem, der jetzt nicht da ist. Ah, da ist er ja doch! Ich habe dich gar nicht gesehen, du warst aus meinem Blickfeld verschwunden.
Vielleicht könntest du die Frage oder den Gedanken zum Fasten noch einmal formulieren, dann können wir darauf eingehen. Damit könnten wir eigentlich beginnen, wenn das in Ordnung ist.
Das Fasten im Buch Joel und seine heutige Bedeutung
Im Buch Joel wird ein Aufruf zur Buße und zum gemeinsamen Fasten ausgesprochen. Das hatten wir gestern Abend gelesen. Dabei gibt es einiges, was wir daraus lernen können.
Man hört oft Ansprachen, in denen das Fasten an arbeitsfreien Tagen empfohlen wird und wie man es so gestalten kann, dass es nicht schmerzhaft ist. Der Psalmist sagt jedoch: „Ich tat mir weh mit Fasten, doch weh tut es nur vom Herzen.“ Im Osten regt es viele auf, wenn Leute tagsüber während des normalen Alltags fasten.
Wenn es nur mich interessiert, würde ich mich freuen. Aber ich denke, das ist ein wichtiger Punkt. Ich habe bei uns festgestellt, dass Fasten eigentlich aus der Mode gekommen ist. Man fastet nur noch ganz selten. Bei uns in der Gemeinde war eine Schwester, die Krebs hatte. Daraufhin haben wir als Gemeinde gefastet und gebetet. Das war eine große Not, und das Fasten hat uns wirklich zusammengebracht. Das war gut.
Ansonsten fastet man kaum noch. Das ist schade, denn in der Bibel werden wir ausdrücklich dazu aufgefordert. Gerade im Buch Joel, im Zusammenhang mit Buße, wird das Volk aufgefordert: Die Priester sollen ein Fasten ausrufen, sich zum Herrn wenden, ihn anflehen und sich demütigen vor ihm.
Oft gibt es persönliche Notlagen im familiären oder kleineren Kreis. Manchmal geben wir das weiter zum Gebet, manchmal beten wir nur selbst. Aber wirklich ernsthaft vor dem Herrn sich beugen, sein Angesicht suchen und einen Fasttag auswählen – das passiert nur noch selten.
Mir ist das auch so gegangen. In Moldawien und der Ukraine habe ich erlebt, dass es dort regelmäßige Fasttage gibt. Dabei fasten sie nicht den ganzen Tag, sondern bis zum Nachmittag oder Abend. Abends wird dann gegessen. In der Ukraine gibt es zum Beispiel jeden Freitag einen Fasttag. Sie fasten immer für ein bestimmtes Thema, etwa für die Jugend.
An solchen Tagen gehen sie normal arbeiten, essen aber kein Frühstück und kein Mittagessen. Abends essen sie dann. Zwischendurch nehmen sie sich, wenn möglich, Zeit zum Gebet.
Bei uns war es mal so, dass wir während einer Bibelwoche am Freitag einen Fasttag hatten. Statt Mittagessen gab es eine Gebetsstunde, in der Brüder für Anliegen der Jugend gebetet haben. Das hat mir einerseits gut gefallen, andererseits auch nicht. Es fühlte sich gezwungen an: „Jetzt ist Freitag, jetzt müssen wir fasten.“ Das ist nicht das, was wir wollen. So wie die Pharisäer, die sagten: „Wir fasten zweimal die Woche.“
Fasten sollte etwas Freiwilliges sein. Doch gerade weil es freiwillig ist, tun wir es oft gar nicht mehr. Das ist unser Problem. Dabei wäre das Fasten wichtig.
Biblische Grundlagen und Beispiele des Fastens
Jesus selbst fordert uns einmal bei einer wichtigen Sache auf: Es ging um die Dämonenaustreibung. Er sagte, dass diese Art nur durch Beten und Fasten ausgetrieben werden kann. Das steht in Matthäus 17, Vers 21.
In manchen Bibeln fehlt dieser Satz allerdings. Zum Beispiel ist er in der Elberfelder Übersetzung nicht enthalten. In der alten Lutherübersetzung, der Menge-Übersetzung und der Meister-Übersetzung findet man ihn jedoch. Auch in der Schlachter-Übersetzung ist er, soweit ich weiß, enthalten. Das ist eine Frage der Handschriftenlage. Hier liegt der Mehrheitstext zugrunde, also die Mehrzahl der Handschriften.
Das ist aber nicht so tragisch, wenn der Vers in manchen Handschriften fehlt. Es gibt genügend andere Stellen, die das Fasten erwähnen. Zum Beispiel in 1. Korinther 7, Vers 5. Dort heißt es: „Entzieht euch einander nicht, außer nach Übereinkunft für eine bestimmte Zeit, damit ihr Muße zum Fasten und Beten habt.“
Auch hier ist die Handschriftenlage interessant: In der Elberfelder Übersetzung fehlt dieser Vers, im Mehrheitstext ist er enthalten. Das ist ein typischer Fall, wo das Fasten nicht in allen Handschriften vorkommt.
Weitere Stellen zum Fasten finden sich zum Beispiel in Psalm 84 nicht, aber in der Lutherübersetzung von 1912 schon.
Beim Paulus lesen wir, dass er oft gefastet hat. In 2. Korinther 6, Vers 5 berichtet er von seinen Leiden, unter anderem vom häufigen Fasten. Auch in 2. Korinther 11, Vers 27 erwähnt er das häufige Fasten, wenn er von seinem Leben erzählt.
In Apostelgeschichte 14, Vers 23 kommt das Fasten ebenfalls vor. Dort werden Älteste eingesetzt, und nachdem sie eingesetzt waren, wurde unter Fasten gebetet. Die ganze Gemeinde fastete und betete für den Dienst der Ältesten, den sie nun hatten.
Das sind die wichtigsten Stellen. Ich suche gerade noch ein paar weitere. Zum Beispiel in Lukas 2, Vers 37 wird von Hanna berichtet, einer Frau im Tempel. Sie wich nicht von der Tempelstätte und diente mit Fasten und Flehen. Diese Stelle steht in allen Handschriften.
Auch in Apostelgeschichte 9, Vers 9 wird das Fasten erwähnt. Paulus aß in der Zeit, als er blind war, nichts. Cornelius fastete dagegen nicht, soweit ich weiß; er hat nur gebetet. Paulus fastete drei Tage, wie in Apostelgeschichte 9, Vers 9 beschrieben. Vielen Dank für den Hinweis dazu.
Bedeutung und Praxis des Fastens
Frau Präsidentin! Wenn Hanna Tag und Nacht gefastet hat und durch Beten und Fasten gedient hat, dann wäre sie doch verhungert. Das zeigt, dass „Tag und Nacht“ nicht bedeutet, vierundzwanzig Stunden ununterbrochen zu fasten, sondern zu Nachtzeiten und zu Tageszeiten, also immer wieder. Das ist mir schon klar. Aber was bedeutet es dann genau?
Es heißt, dass sie sich immer wieder Zeit für das Gebet genommen hat. Sie hat Stunden der Nacht mit Beten und Fasten aufgeopfert und auch Stunden des Tages. Sie hat teilweise auf Schlaf verzichtet. Ähnlich sagt es der Apostel Paulus in Apostelgeschichte 20,31: „Ich habe euch Nacht und Tag nicht abgelassen, jeden Einzelnen unter Tränen zu ermahnen.“ Er hat also in den Nachtstunden mit ihnen geredet und zu Tageszeiten ebenso – immer wieder. Natürlich hat er auch gearbeitet, wie es in 2. Thessalonicher 3,8 heißt, dass er Nacht und Tag gearbeitet hat.
Interessant ist, dass in diesen Fällen immer die Nacht zuerst genannt wird. In manchen Übersetzungen steht „Tag und Nacht“, wie bei der Schlachter-Bibel, aber im Hebräischen und Griechischen steht „Nacht und Tag“. Die Nacht steht vor dem Tag, was bedeutet, dass man schon sehr früh aufsteht, wenn es noch Nacht ist, um tätig zu sein. Auch bei der Schöpfung heißt es so: „Es wurde Abend und es wurde Morgen.“ Man würde zuerst „Abend und Morgen“ sagen, aber hier steht es anders.
Fasten hat also seinen Stellenwert und steht immer in Verbindung mit Beten. Auch im Alten Testament kommt es oft vor. Es hat zudem mit Demut zu tun. Das Wort „demütigen“ hängt im Alten Testament eng mit dem Fasten zusammen. Es bedeutet, sich vor Gott zu beugen. Durch das Fasten fühlt man sich schwach und erkennt, wer man eigentlich ist und wie abhängig man von Gott ist. Das ist eine gesunde Übung, keine religiöse Leistung. Es geht um Demütigung und Selbstkasteiung, also darum, sich selbst vor dem Herrn in eine Schwächesituation zu bringen.
Dabei geht es nicht um ein Gesundheitsfasten mit vielen Regeln, was man essen muss, um es gut zu überstehen. Im Alten und Neuen Testament hat man einfach gefastet. Natürlich sollte man beim Fasten darauf achten, nicht zu lange nichts zu trinken, denn längeres Wasserlassen kann gesundheitsschädlich sein. Ärzte sagen, dass man nicht länger als einen Tag ohne Wasser auskommen sollte. Es gibt zwar Menschen, die das aushalten, aber normalerweise ist das nicht empfehlenswert.
Meistens dauert das Fasten nur einen Tag. Drei Tage Fasten sind selten und sieben Tage äußerst selten. Ich kenne nur zwei Fälle in der Bibel, in denen sieben Tage gefastet wurde: beim Tod Sauls und beim Tod von Davids Sohn. Ansonsten sind drei Tage üblich. Das bedeutet, am ersten Tag, an dem man von der Sache erfährt, beginnt man zu fasten – mitten am Tag. Am nächsten Tag fastet man vollständig, und am dritten Tag endet das Fasten. So war es auch bei Esther: Sie fastete drei Tage, von dem Tag an, an dem sie begann, dann den ganzen nächsten Tag und schließlich bis zu dem Tag, an dem sie zum König ging.
Auch Mose ist eine Ausnahme. Ebenso Elia. Diese drei sind die einzigen, die ohne Wasser 40 Tage ausgekommen sind – was eigentlich kaum möglich ist. Bei Mose heißt es ausdrücklich, dass er kein Wasser trank. Das ist für den heutigen Menschen kaum überlebbar.
Es gab im Alten Testament einen jährlichen Fasttag, den Versöhnungstag. An diesem Tag wurde vollständig gefastet, ohne Essen und Trinken. Es war ein Tag der Selbstkasteiung vor dem Herrn. Daneben gab es einige besondere Fastentage, die in Sacharja 7 und 8 erwähnt werden. Dort werden verschiedene Fasttage aufgezählt, die eingeführt wurden. Diese waren aber nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern selten.
Im Neuen Testament fasteten manche Menschen öfter, zum Beispiel Hanna, abgesehen von den Pharisäern, die sich das Fasten selbst auferlegt hatten. Auch die Apostel Paulus und einige Diener der Gemeinde fasteten bei wichtigen Anliegen, zum Beispiel wenn Brüder Älteste wurden.
Wenn man persönlich große Nöte hat, etwa familiär oder in der Ehe, ist es sehr zu empfehlen, ins Gebet und ins Fasten zu gehen. Manchmal sagen Geschwister: „Ich faste“, und andere schließen sich an. Ein Bruder erzählte mir, dass sie für eine kranke Schwester gefastet haben und er selbst mitgefastet hat, obwohl er in Rumänien war. Das war der Vater von Emil. Das ist eine schöne Sache.
Fasten ist also durchaus spontan. Einmal im Jahr war es gesetzlich vorgeschrieben, ansonsten war es spontan, wie bei Königin Esther, die dreitägig fastete. Es waren eigentlich zweieinhalb Tage oder vielleicht nur zwei Tage, wenn man genau rechnet: der erste Tag, an dem sie begann, dann der ganze nächste Tag und schließlich der Tag, an dem sie zum König ging. Danach war das Fasten nicht mehr nötig.
Wer sagt, er hält das Fasten ohne Trinken nicht aus, kann einfach Wasser trinken und so fasten. Es gibt auch Fasten, bei dem man sich nur von bestimmten Speisen enthält und sehr einfache Kost zu sich nimmt, wie Daniel in Kapitel 10. Dort wird zwar nicht ausdrücklich von Fasten gesprochen, aber es heißt, er widmete sich dem Gebet. Er nahm sich Zeit, um den Herrn zu suchen. Das war in den ersten drei Wochen des Jahres, nach dem Neujahrstag, einem Doppelfeiertag am ersten und zweiten Tag des Monats. Am dritten Tag begann er und fastete drei Wochen lang, indem er wenig aß. Das ist nachahmenswert.
Vielleicht sollten wir das wieder mehr praktizieren, gerade wenn wir eine Not sehen. Dann ist es gut, ins Fasten zu gehen. Das ist alles, was ich zum Fasten sagen wollte.
Fasten als Verzicht und innere Haltung
Ja, ich habe noch eine Frage. Ich habe von einigen Christen gehört, dass Fasten nicht unbedingt bedeutet, auf alles zu verzichten. Manche sagen, wenn man zum Beispiel sagt: „Ich stehe jetzt hin und esse Marmelade, keine Schokolade mehr“, und man lässt einfach die Dinge weg, die man gerne tut – wie siehst du das?
Das würde die Bibel zwar nicht als Fasten bezeichnen, aber es ist ähnlich wie bei Daniel, der auf bestimmte Speisen verzichtet hat. Das kann man natürlich auch machen. Die Bibel nennt das aber nicht Fasten, sondern eher eine Zeit, in der man sich zurückhält, um sich mehr auf den Herrn zu konzentrieren. Man isst dann zum Beispiel viel weniger oder nur noch ein Drittel der normalen Menge oder nur Brot und etwas Kleines.
Klar, das ist möglich, aber es wäre nicht das Fasten, von dem die Bibel spricht. Allerdings gibt es ein Kapitel in der Bibel, in Jesaja 58, wo Jesaja davon spricht, was ein wahres Fasten ist. Dort geht es um die innere Haltung.
Jesaja 58, Vers 5: „Ist das ein Fasten, an dem ich Wohlgefallen habe, ein Tag, an dem der Mensch seine Seele kasteit? Sein Haupt zu beugen wie eine Binse und Sacktuch und Asche unter sich zu legen – nennst du das ein Fasten und einen Herrn wohlgefälligen Tag?“
Weiter heißt es in Vers 6: „Ist nicht das Fasten, das ich erwählt habe, dass du die Fesseln der Ungerechtigkeit löst, die Knoten des Jochs öffnest, die Unterdrückten freilässt und jedes Joch zerbrichst?“
Und in den folgenden Versen: „Besteht es nicht darin, dein Brot dem Hungrigen zu brechen, die Elenden und Heimatlosen ins Haus zu führen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bedecken und dich deinem eigenen Fleisch nicht zu entziehen?“
Hier zeigt sich, dass es nicht einfach um einen religiösen Ritus geht, sondern vielmehr darum, den Herrn zu suchen und entsprechend zu leben. Gott will, dass unser Herz verändert wird und nicht nur eine religiöse Übung vollzogen wird. Das ist hier gemeint.
Das schließt jedoch nicht aus, dass man auch physisch fasten kann. Das eine soll man tun, das andere nicht lassen.
Jesaja 58 würde also bedeuten, dass ich meine liebgewonnene Gleichgültigkeit ablege und mich wieder besinne, Barmherzigkeit zu üben und mein Brot mit anderen zu teilen.
Grundsätzlich geht es darum, sich vom Herrn neu prüfen zu lassen und wirklich barmherzig zu werden – gegenüber den Hungrigen, den Entblößten, den Armen und Unterdrückten.
Was hilft Fasten, wenn unser Leben nicht stimmt? Das ist hier gemeint. Aber wir sollten es wieder angehen.
Man muss nicht gleich groß anfangen. Man kann sagen: „Ich beginne morgen, ich lasse Frühstück und Mittagessen aus.“ So hat man einen halben Fastentag oder fast bis zum Nachmittag nichts gegessen und dann isst man wieder.
Allein das schon gibt mehr Zeit zum Gebet. Und wenn wir nicht beten können, weil wir arbeiten müssen, sind wir doch in Gedanken mehr beim Herrn, weil wir immer wieder daran erinnert werden: „Ich faste heute.“ Das erinnert einen spätestens ab dem Mittagessen.
Während der Arbeit kann man innerlich zum Herrn flehen.
Das war das zum Thema Fasten.
Der Tag des Herrn im Alten und Neuen Testament
Eine Sache, die noch etwas unklar ist, betrifft den Tag des Herrn. Wie ist das mit dem Tag des Herrn im Neuen Testament? Ich hatte schon einige Stellen, muss aber noch einmal nachsehen. Kann man den Beamer noch einschalten? Ich habe die Folie gestern schon gezeigt, möchte aber noch einmal darauf eingehen.
Der Tag des Herrn ist dasselbe wie im Alten Testament der Tag Jachweis. Auch wenn verschiedene Begriffe verwendet werden, wie Tag Jesu Christi, Tag Christi, Tag des Menschensohnes oder Tag Jesu – im Alten Testament ist es sehr klar: Der Tag des Herrn ist ein Tag, also ein Zeitpunkt, keine Zeitstrecke.
Wenn der Tag des Herrn so verwendet wird wie in Joel 5, dann ist das der Tag des Eingreifens des Herrn, der Tag X, an dem Gott auf den Plan tritt und die Abrechnung beginnt. Joel verbindet hier die gegenwärtige Katastrophe mit dem Tag des Herrn. Er sieht die Heuschrecken als Ankündigung, dass jetzt der schreckliche, furchtbare Tag Gottes kommt, das Gericht Gottes.
Wie ist es dann im Neuen Testament? Wir finden diese Ausdrücke an verschiedenen Stellen, und unter Christen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Oft habe ich gehört und früher selbst vertreten, dass der Tag des Herrn eine Zeitstrecke sei, nicht ein Zeitpunkt. Aber das stimmt nicht.
Wenn man die Textstellen genau anschaut, ist der Tag, zum Beispiel der Tag des Zornes in Römer 2,5, kein Zeitabschnitt von mehreren Jahren, sondern ein Punkt, ein Zeitpunkt. Ich lese das kurz vor: „Du aber, nach deiner Sturheit und einem unbußfertigen Herzen, häufst dir selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes.“ Das ist nicht eine längere Zeitspanne, sondern der Tag, an dem Gottes Zorn kommt – der Gerichtstag. Er hätte auch sagen können: „Du häufst dir Zorn auf am Gerichtstag“, wenn Gott das Böse richtet.
Ähnliche Aussagen finden wir an anderen Stellen. Zum Beispiel in Vers 16 desselben Kapitels: „An dem Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen durch Jesus Christus richten wird.“ Auch hier geht es nicht um eine Zeitstrecke, sondern um einen Tag, an dem die Abrechnung stattfindet.
Oder der Tag des Gerichts in Judas 6: Dort wird von Menschen gesprochen, die für das Gericht des großen Tages aufbewahrt sind. Einmal kommt dieser große Tag, an dem Gericht gehalten wird. Ähnlich ist es in 2. Petrus 3,7: „Fürs Feuer werden sie aufbewahrt auf dem Tag des Gerichts und des Verderbens der Ehrfurchtslosen Menschen.“ Auch hier ist es ein Zeitpunkt.
Andere Stellen sprechen vom Tag, an dem der Menschensohn offenbart wird, zum Beispiel Lukas 17,30: „Genauso wird es sein an dem Tag, an dem der Sohn des Menschen offenbart werden wird.“ Das ist ein Tag, kein längerer Zeitraum. Der Herr Jesus wird nicht über mehrere Monate offenbart, sondern an einem bestimmten Tag.
Ebenso finden wir den Ausdruck Tag des Herrn in 1. Thessalonicher 5,1-2: „Was die Zeiten und Zeitpunkte betrifft, Brüder, habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben werde, denn ihr wisst selbst genau, dass der Tag des Herrn so kommt wie ein Dieb in der Nacht.“ Der Herr selbst hat dieses Bild verwendet, zum Beispiel in Matthäus 24. Dort heißt es ebenfalls, der Herr komme wie ein Dieb in der Nacht.
Das bedeutet, dass der Tag des Herrn an einem bestimmten Tag kommt, nicht über eine längere Zeitspanne. Die Parallelstelle in Matthäus 24,42 lautet: „Wachet also, weil ihr nicht wisst, zu welcher Stunde euer Herr kommt. Hätte der Hausherr gewusst, in welcher Wache der Dieb kommt, hätte er gewacht und nicht zugelassen, dass man sein Haus durchgrabe.“ Auch in Offenbarung 16,15 sagt der Herr: „Siehe, ich komme wie ein Dieb.“
Diese Aussagen sind synonymisch. Ob der Herr kommt oder der Tag des Herrn – es geht immer um dasselbe Ereignis. In 2. Petrus 3,10 heißt es ähnlich: Der Tag des Herrn kommt plötzlich.
Ist das Verhalten der Gläubigen im Wachenden gemeint oder das der Ungläubigen? Das wird in Matthäus 24 ganz deutlich. Dort spricht Jesus zu seinen Jüngern. Wir schauen uns kurz Matthäus 24 an.
In Vers 42 heißt es: „Wachet also stets!“ Wer ist angesprochen? Die Jünger. Weiter oben, in Vers 29, heißt es: „Nach der Bedrängnis jener Tage wird es finster.“ In Vers 30 wird sichtbar das Zeichen des Menschensohnes am Himmel. Vers 31: „Mit großer Posaune wird er seine Engel aussenden, und sie werden die Erwählten versammeln.“ Das sind die Gläubigen, die zum Herrn versammelt werden, wie Paulus es beschreibt – sie werden in die Luft geholt.
In Vers 36 steht: „Um jenen Tag und die Stunde weiß niemand.“ Es geht immer noch um dasselbe Ereignis, das Kommen des Herrn in Macht und Herrlichkeit. In Vers 37 heißt es: „Es wird sein wie in den Tagen Noahs.“ So wird auch die Ankunft des Menschensohnes sein.
In Vers 39 wird beschrieben, dass zwei auf dem Feld sind, einer wird mitgenommen, der andere bleibt zurück. Hier findet eine Scheidung statt: Die Gläubigen und die Ungläubigen werden getrennt. Zwei Frauen mahlen an der Mühle, eine wird mitgenommen, die andere bleibt zurück.
Deshalb heißt es: „Wachet, weil ihr nicht wisst, zu welcher Stunde euer Herr kommt.“ Es geht immer um dasselbe Thema: Das Kommen des Herrn. Dieses Kommen geschieht in Macht und Herrlichkeit, aber zu einem Zeitpunkt, den niemand kennt.
Die Stunde kennt nur Gott. Ihr wisst nicht, wann euer Herr kommt. Das Gleichnis mit dem Dieb verdeutlicht das: Der Dieb kommt unerwartet, und der Hausherr weiß nicht, wann genau. Er weiß nur, dass der Dieb in der Nacht kommt, aber nicht um welche Uhrzeit. Deshalb bleibt er wachsam.
So ist es auch mit dem Kommen des Herrn. Es ist ein Aufruf zur Bereitschaft, weil niemand weiß, wann der Herr kommt. In Vers 44 heißt es: „Deswegen werdet auch ihr bereit sein, denn der Sohn des Menschen kommt zu einer Stunde, da ihr es nicht meint.“
Das ist wohl eine der deutlichsten Stellen über das Kommen des Herrn. Es ist nicht berechenbar, sondern geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem man es nicht erwartet. Diese Aufforderung richtet sich an alle – an die treuen Knechte ebenso wie an die Untreuen.
Die Spannung zwischen Zeichen und Unwissenheit über den Zeitpunkt
Die Zeichen der Zeit zu beurteilen – das ist natürlich wichtig und gut, das ist klar. Aber diese Aufforderung macht keinen Sinn, wenn man sich nicht auch entsprechend verhalten könnte. Hier stoßen wir auf ein Problem, warum es unter Christen so viele verschiedene Meinungen gibt.
Der Herr Jesus hat nämlich einige Zeichen vorausgesagt. Die Jünger haben ihn nach Zeichen gefragt, und er hat ihnen einige genannt. Das heißt, es gibt Zeichen, und man meint, wenn es Zeichen gibt, kann man doch ungefähr wissen, wann er kommt. Gleichzeitig gibt es aber Stellen in der Bibel, die so deutlich sagen, dass man überhaupt nicht weiß, wann er kommt – weder den Tag noch die Stunde.
„Weder den Tag noch die Stunde“ bedeutet auch, dass man nicht einmal Monat oder Jahr kennt. Der Ausdruck „Tag und Stunde“ steht einfach für „Zeit“. Man weiß nicht die Zeit, auch nicht die genaue Stunde. Das gilt auch für andere Parallelen.
Ich habe die „Stunde“ immer als den engen Zeitpunkt verstanden. Aber dann müsste man im Zusammenhang mit dem Text in Matthäus weiterlesen. Dort heißt es zum Beispiel: „Ihr wisst nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt“ (Vers 42). Das ist die Stunde. Wenn der Knecht die Stunde nicht weiß, dann weiß er natürlich auch nicht den Tag. Wenn er den Tag wüsste, zum Beispiel morgen käme der Herr, dann wäre er ja dumm, wenn er einfach nur für seine eigenen Interessen lebt. Aber weil er die Stunde nicht weiß, weiß er auch nicht den Tag. Wenn ich nicht weiß, zu welcher Stunde der Zug kommt, und der Zug zu einem Zeitpunkt kommt, mit dem ich nicht rechne, dann könnte er heute kommen, morgen oder erst in zwei Wochen. Ich weiß es nicht.
Das stimmt so weit, denn Paulus meinte ja auch, der Herr komme zu seiner Zeit. Das heißt, wir haben ein Problem. Viele haben versucht, dieses Problem zu lösen. Die einen haben gesagt: Es gibt einfach zwei Wiederkünfte – eine, die man kennt, und eine, die man nicht kennt. So macht man es sich einfach. Alle Stellen, die von Zeichen reden, gehören zur einen Wiederkunft, und alle anderen Stellen, die nicht von Zeichen reden, zur anderen. Also gibt es zwei Kommen. Aber das geht nicht auf, weil der Herr Jesus im ganzen Kapitel 24 immer von einem Kommen spricht. Gerade im gleichen Kapitel spricht er einerseits von Zeichen im ersten Teil und andererseits davon, dass niemand die Zeit, die Stunde oder den Tag weiß.
Eine andere, viel einleuchtendere Lösung habe ich erst vor kurzem bei einem lieben Bruder gelesen, der sogar in Basel studiert hat. Er heißt Eckhard Schnabel. Das ist eine Lösung, auf die man eigentlich ganz einfach kommen könnte, wenn man genau achtet, was die Frage der Jünger ist und was die Antwort des Herrn Jesus ist.
In Markus 13 lesen wir von einer Frage. Wir kommen dann auf Matthäus 24 zurück, aber es ist leichter in Markus, deshalb beginnen wir dort. Im Markus-Evangelium berichtet der Evangelist über das Gespräch der Jünger mit dem Herrn Jesus. Sie sagen zu ihm: „Sieh doch, was für Steine und Bauwerke!“ (Vers 2). Jesus antwortet: „Siehst du diese großen Bauwerke? Keinesfalls wird hier ein Stein auf dem anderen bleiben.“ Wörtlich heißt es, es wird kein Stein auf dem anderen bleiben, es wird alles abgebrochen werden. Es geht um den Tempel, um die Zerstörung des Tempels.
Als Jesus am Ölberg saß, gegenüber dem Tempel, fragten ihn Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas: „Sag uns, wann wird das sein? Was wird das Zeichen sein, dass das alles bald vollendet wird?“ Es ging also um die Zerstörung des Tempels.
Der Text in Markus macht ganz klar, dass das Thema zuerst und vor allem die Zerstörung des Tempels war und nichts anderes. Später erfahren wir bei Matthäus, dass in den Köpfen der Jünger gleichzeitig das Denken war: Wenn der Tempel zerstört wird, dann ist das auch das Ende der Welt. Und das ist dann auch die Zeit, wenn der Herr wiederkommen wird und seine Reichsmacht und Herrlichkeit aufrichten wird. Das ist bei Matthäus noch hinzugefügt, aber bei Markus müssen wir zuerst bleiben. Dort wird ganz klar, dass das Thema der Tempel ist.
Dann beginnt Jesus zu reden und sagt ihnen einige Dinge. Er sagt, sie sollen sich nicht verführen lassen (Vers 5), dann in Vers 6 geht es erneut um Verführungen, in Vers 7 um Kriege und Kriegsgerüchte, die sie hören werden – damals schon, im ersten Jahrhundert. Die Jünger werden von Kriegen und Kriegsgerüchten hören. Das gab es damals tatsächlich, es gab viele Kriege, vor allem den jüdisch-römischen Krieg, der dreieinhalb Jahre dauerte, eigentlich sogar bis ins Jahr 73, also etwa sechs Jahre.
Völker werden sich erheben gegen Völker und Königreiche gegen Königreiche – all das geschah damals schon. Das heißt nicht, dass solche Dinge später nicht auch geschehen, aber im ersten Jahrhundert war das alles Realität. Sogar Erdbeben gab es damals, Hungersnöte sowieso. In den Briefen erfahren wir, dass es große Hungersnöte gab.
Dann sagt der Herr: Diese Dinge sind die Anfänge der Wehen. Er sagt: Wartet noch, es kommt noch schlimmer. Aber passt auf, Vers 9: Sie werden euch sogar schlagen und vor den Hohen Rat bringen. Sie sollen sich nicht darum kümmern, sie sollen getrost sein, denn der Herr wird ihnen helfen. In Vers 11 sagt er ihnen, sie sollen keine Sorge haben.
Vers 12: „Es wird Bruder den Bruder zum Tod ausliefern.“ Achten wir darauf: Es geht hier um einen jüdischen Zusammenhang, also um das Volk Israel. Bruder den Bruder zum Tod auszuliefern könnte sich auf die Juden beziehen. Man könnte auch meinen, dass sich das vielleicht auch auf Christen bezieht, dass ein Bruder den anderen zum Tod ausliefert. Möglich wäre es, aber es scheint, als gehe es hier um den jüdischen Kontext. Die jüdischen Brüder werden die anderen jüdischen Brüder dem Tod ausliefern, und der Vater wird das Kind, die Kinder werden gegen die Eltern aufstehen und sie töten.
„Ihr, die Gläubigen, ihr werdet gehasst sein bei allen – bei wem? Bei allen, wegen meines Namens.“ Aber „der, der bis zum Ende Ausdauer bewahrt, wird gerettet werden.“
Gut, bedenken wir: Das Thema war die Zerstörung des Tempels. Sie haben gefragt: „Wann wird das sein?“ und „Was ist das Zeichen?“ Jetzt sagt der Herr Jesus etwas Allgemeines, Seelsorgerliches. Er beginnt praktisch: Es geht um euer Leben, um euer Verhalten. Er sagt: Passt auf, lasst euch nicht verführen. Es wird hart werden, aber ihr müsst Ausdauer haben bis zum Schluss, bis zum Ende.
Ab Vers 14 geht er dann auf die Frage nach dem Zeichen ein. Sie haben ja gefragt: „Was ist das Zeichen?“ Und er sagt ihnen das Zeichen: Wenn ihr den Gräuel der Verwüstung seht, von dem Daniel, dem Propheten, geredet wurde, wenn er dort steht, wo er nicht stehen sollte – der Lesende bedenke das –, dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen.
Wer auf dem Dach ist, soll nicht hinabsteigen ins Haus, um etwas herauszuholen. Wer auf dem Feld ist, soll nicht zurückkehren, um sein Kleid zu holen. Es geht darum, nicht in die Stadt zu gehen, um Kleider zu holen. Warum? Weil jetzt Flucht angesagt ist.
„Wehe aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Betet, dass eure Flucht nicht im Winter geschieht!“ Im Winter ist Regenzeit, die Bäche sind voll Wasser, alles ist sumpfig. Fliehen im Winter in Jerusalem ist sehr schwierig, vor allem, wenn man in die Berge fliehen soll. Das heißt ins Gebirge, ins Hügelland, nach Transjordanien oder auf der anderen Seite, auf der hiesigen Seite in die Berge.
Sicherer ist es auf der anderen Seite, hinter dem Jordan, im Bergland. Dort muss man weit laufen, und das ist im Winter sehr mühsam. Auch nicht am Sabbat, sagt Matthäus. Der Sabbat war damals der jüdische Feiertag. An diesem Tag war eine Reise erstens religiös verboten und zweitens waren die Transportmöglichkeiten eingeschränkt.
Wenn man die Parallele im Lukas liest, wird es noch deutlicher. In Lukas 21, Vers 20 heißt es: „Wenn ihr aber Jerusalem von Heerestruppen umringt seht, dann habt Kenntnis, dass ihre Verwüstung nahegekommen ist. Dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen, die in der Stadt sollen entkommen, und die auf dem Land sollen nicht in die Stadt hineingehen, denn das sind Tage der Vergeltung, damit erfüllt werde, was geschrieben steht.“
„Wehe aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen!“ Auch Markus und Matthäus sagen das. Es wird große Not im Land geben und Zorn in diesem Volk. Sie werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen geführt werden zu allen Völkern. Jerusalem wird getreten werden von denen, die von den Völkern sind, bis die Zeit der Völker erfüllt ist.
Wann war das? Wann war diese Sache mit Jerusalem? Es war 70 nach Christus, also 40 Jahre nach Jesu Tod.
Zurück zu Markus: Was war die Frage der Jünger? Wann ist die Tempelzerstörung und was ist das Zeichen? Jesus gibt ihnen Antwort und nennt das Zeichen: Wenn der Gräuel der Verwüstung an der heiligen Stätte steht. Die heilige Stätte kann der Ort Jerusalem sein, genauer vielleicht der Tempelberg oder noch genauer der Tempel selbst. Das müssen wir offenlassen.
Jedenfalls, wenn ihr den Gräuel der Verwüstung seht, müsst ihr fliehen. Warum? Weil dann die Stadt von einem Belagerungsring eingeschlossen wird, und man nicht mehr herauskommt. Es gab mehrere Belagerungen.
Die erste war durch Cestius Gallius im Jahr 66. Er war der syrische Legat, der mit einem großen Heer kam, um den Krieg schnell zu beenden, indem er Jerusalem belagerte. Die Juden waren nicht vorbereitet, dass es so schnell gehen würde. Josephus Flavius schreibt, er hätte Jerusalem zu diesem Zeitpunkt überwinden können, aber aus unbekannten Gründen brach er die Belagerung ab und zog mit seinem Heer zurück zum Meer.
Als die Zeloten in der Stadt das bemerkten, gingen sie mit Feuer und Schwert hinaus, verfolgten die Römer und fügten ihnen eine Niederlage zu. Damit war die Stadt frei, und viele gläubige Christen konnten aus der Stadt fliehen.
Später gab es eine weitere Belagerung unter Vespasian. Vespasian hatte Galiläa und Judäa unterworfen und wollte die Stadt einnehmen. Doch bevor er das tat, wurde er nach Rom gerufen, weil Nero gestorben war und es Streit um die Nachfolge gab. Seine Soldaten riefen ihn zum Kaiser aus. Vespasian übergab das Projekt Jerusalem seinem Sohn Titus.
Titus schloss im März des Jahres 70 den Belagerungsring um Jerusalem endgültig. Ab diesem Zeitpunkt gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr. Fünf Monate dauerte die Belagerung bis August, dann fiel die Stadt und der Tempel.
Für die Christen gab es also zweimal die Situation, dass sie die Belagerung sahen. Jesus hatte sie aufgefordert, bei solchen Ereignissen zu fliehen. Eusebius schreibt, dass schon bei der ersten Belagerung die Christen aus der Stadt flohen, in die Berge jenseits des Jordan, nach Pella und Umgebung im Transjordanien.
Nach Eusebius war kein Christ mehr in der Stadt, als sie von Titus eingeschlossen wurde. Die Christen wurden gerettet. Auch Josephus erwähnt, dass Christen aufgrund einer Weissagung flohen – möglicherweise die Weissagung Jesu, wie sie bei Matthäus, Markus und Lukas aufgeschrieben ist.
Ich wollte damit belegen, dass Matthäus 24, Markus 13 und Lukas 21 von ein und derselben Sache sprechen: der Tempelzerstörung, der Belagerung Jerusalems und der Zerstörung der Stadt.
Bei Lukas ist das am deutlichsten. Bei Markus ist es klar, weil dort die Frage der Jünger ganz eindeutig die Tempelzerstörung betrifft. Bei Matthäus ist die Frage breiter gefasst: „Wann wird das sein und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung der Weltzeit?“ In den Köpfen der Jünger war die Ankunft und die Tempelzerstörung gleichgesetzt.
Deshalb hatte Jesus die Schwierigkeit, ihnen einerseits Vorbereitung und Warnung für die Tempelzerstörung zu geben, andererseits aber auch von seiner Wiederkunft in Herrlichkeit zu sprechen – für die es keine Zeichen gibt.
Das heißt, wir haben einerseits Zeichen für die Zerstörung des Tempels und andererseits das Kommen des Herrn in Herrlichkeit, wo es keine Zeichen gibt.
Im Matthäus-Evangelium ist das erste bis Vers 14 allgemein und seelsorgerlich. Ab Vers 15, wenn ihr den Gräuel der Verwüstung seht, spricht Jesus von der Tempelzerstörung. Dann gibt er den Rat, was sie tun sollen: fliehen, und zwar möglichst schnell, sobald die Soldaten kommen, um zu belagern. Es gibt keine Sekunde zu verlieren.
„Bete, dass deine Flucht nicht im Winter geschieht“ (Vers 20). Denn es wird große Bedrängnis geben, eine solche, die seit Anfang der Welt bis jetzt nicht geschehen ist und auch nie wieder geschehen wird (Vers 21).
Hier spricht Jesus von der schrecklichen Drangsal, die mit der Belagerung begann. Innerhalb der Stadt gab es furchtbare Zustände, von denen wir nur durch Josephus Flavius wissen. Drei Parteien kämpften gegeneinander: Die Herodianer, die Frieden mit den Römern wollten, und die Zeloten, die keinen Frieden wollten, sondern lieber starben. Die Zeloten spalteten sich noch in drei Gruppen, weil es drei Führer gab.
Die einen verschanzen sich im Tempel, nutzten den Tempelvorhof und den Tempelbezirk als Burg im Kampf gegen die anderen Zeloten und die Herodianer. Es gab viele Tote in der Stadt. Niemand konnte hinaus. Wer es versuchte und sich den Römern ergab, wurde sofort getötet.
Manche, die versuchten zu fliehen, wurden gefangen genommen und sogar getötet, weil man vermutete, sie hätten Gold verschluckt. Die Leichen lagen auf den Straßen, es stank schrecklich. Josephus berichtet, dass in der Hungersnot Frauen ihre Kinder aßen – unvorstellbare Zustände.
Diese Bedrängnis betraf nicht nur die Stadt Jerusalem, sondern auch Judäa als Gebiet. Deshalb sagt Jesus, dass auch die in Judäa in die Berge fliehen sollen. Vespasian begann den Krieg in Galiläa und Judäa blutig zu unterwerfen. Es gab über eine Million Tote in der Stadt und viele weitere außerhalb.
Diese schreckliche Zeit wurde von Gott abgekürzt, sagt Jesus, denn wenn die Tage nicht verkürzt würden, würde kein Fleisch gerettet werden. Es geht hier um einen Krieg und physische Rettung, nicht nur um Rettung für das ewige Leben. Natürlich müssen die Gläubigen bekehrt sein, sonst sind sie nicht gerettet.
Die Tage wurden für die Erwählten kurz gemacht. Sonst hätten die Römer noch weiter wüten und alles zerstören können, auch die Gläubigen, die sich in den Bergen versteckten. Die schreckliche Zeit dauerte die letzten Monate, insgesamt etwa dreieinhalb Jahre von 66 bis 70 nach Christus.
Bis Vers 22 geht es um die damalige Situation. Lukas macht es auch klar: Es wird Zorn in diesem Volk geben, und Jerusalem wird von den Völkern betreten und getreten werden, bis die Zeit der Völker erfüllt ist.
Das heißt, die Geschichte geht weiter, aber Jerusalem wird sich nicht erholen. Es wird weiterhin von Heiden betreten, bis die Zeit der Heiden erfüllt ist. Dann wird der Herr kommen. Dann wird der Herr Jesus kommen, sagt Lukas 21, Vers 24.
Diskussion über Teilerfüllung und Ganzerfüllung
Herr Thomas, das, was du gerade in der Zeltasche hast, wirft mein Weltbild ein wenig durcheinander, muss ich sagen. Denn wenn hier steht, dass die Tage verkürzt waren, habe ich das immer so verstanden, dass das wirklich vor der Wiederkunft Jesu passiert.
Es ist nicht so, dass viele Prophetien, die wir auch im Alten Testament haben, eine Teilerfüllung aufweisen. Wir sehen immer wieder, dass diese Dinge in der Geschichte auftreten. Ich meine das Vorbild von Epiphania, Antiochus, der quasi schon das Vorbild des Antichristen war, die Vorschaltung des Antichristen und Hitler, der unsere Vorschaltung gewesen ist. Solche Dinge kommen in der Geschichte immer wieder vor und dann, am Ende, bevor Jesus wiederkommt, werden all diese Dinge noch einmal kommen. Dann aber werden sie alle zeitlich und inhaltlich erfüllt sein. So habe ich das bisher verstanden. Ja, was du gesagt hast, war ziemlich meine Auffassung. Aber ich muss mich ändern, und zwar aus folgendem Grund:
Erstens: Teilerfüllung und Ganzerfüllung, wenn man das einmal unter die Lupe nimmt, merkt man, dass das nicht aufgeht. Die Erfüllung bei Antiochus war keine Teilerfüllung. Es gibt keine Teilerfüllung und Ganzerfüllung, so dass ein Teil damals bei Antiochus erfüllt wurde, ein anderer Teil bei den Römern und ein dritter Teil vielleicht noch in der Zukunft. Das geht gar nicht auf.
Wo hätten wir denn eine solche Weissagung über Antiochus? Wir haben eine Weissagung im Danielbuch, ja, und die hat sich unter Antiochus erfüllt. Hier haben wir eine Weissagung Jesu über die Tempelzerstörung, die hat sich nachher erfüllt. Es gibt gar keinen Grund, anzunehmen, dass sich die Geschichte hier noch einmal wiederholen muss. Jerusalem müsste also ein zweites Mal zerstört werden oder der Tempel wieder aufgebaut und erneut zerstört werden. Das ist Fiktion.
Von der Schrift her ist das nicht haltbar, wenn man die anderen Stellen durchsieht, die sonst noch relevant sind. Man muss das ganze Bild in Ruhe durchgehen. Dann merkt man, dass hier zu schnell Schlussfolgerungen gezogen werden, die der Text aber nicht sagt. Man handelt dann mit Doppelerfüllungen, aber eine Doppelerfüllung ist hier ausgeschlossen. Warum? Weil hier eine Zeitangabe ist.
In Vers 29 ist die Zeitangabe: „Sogleich nach der Bedrängnis jener Tage wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird seinen Lichtschein nicht geben“ usw. Und dann wird sichtbar werden das Zeichen des Menschensohnes am Himmel. Wenn hier eine Zeitangabe ist, die heißt „sogleich nachdem“, dann kann das nicht doppelt erfüllt werden. Das ist eindeutig.
Was heißt „sogleich“? Da muss man vorsichtig sein mit der Sacharier-Stelle. Ich würde lieber zuerst das, was der Herr Jesus und die Apostel sagen, den Vorrang geben und erst später zu Sacharja 14 gehen.
Darf ich mein Argument in Matthäus 24 fertig machen? Wenn die Jünger gefragt haben, wann das sein wird, hat der Herr Jesus ihnen genau auf ihre Frage geantwortet. Er hat ihnen gesagt, was sein wird, und hat ihnen auch das Zeichen genannt, dass sie fliehen sollen. Außerdem hat er ihnen gesagt, was sie tun sollen, nämlich fliehen.
Die einzige Schwierigkeit im Text, wenn wir innerhalb des Textes bleiben, ist das „sogleich“ in Vers 29. Da muss ich aber Acht geben, denn bei einer solchen Zeitangabe in einem prophetischen Bericht muss man vorsichtig sein. Warum? Weil der Herr öfter sagt, zum Beispiel: „Ich komme bald.“ Wenn er „bald“ sagt, würden wir meinen, das heißt morgen, übermorgen oder vielleicht in einer Woche. Das ist „bald“.
Aber es gibt vom Alten Testament her eine verkürzte Perspektive, die wir in Joel und anderen Stellen sehen. In Daniel wird das sehr deutlich. Hier hätten wir auch eine verkürzte Perspektive. Der Herr Jesus will nämlich nicht den Jüngern sagen: „Liebe Jünger, wisst, der Tempel wird zerstört, ich sage euch nicht wann, aber ungefähr die Zeichen, und dann müsst ihr zweitausend Jahre warten, bis ich wiederkomme.“ Warum sagt er das nicht?
Weil der Herr will, dass die Jünger in der Naherwartung seines Kommens leben. Außerdem weiß er selbst nicht, wann er kommt. Wenn er selbst nicht weiß, wann er kommt, wie kann er dann sagen „so gleich nach der Bedrängnis jener Tage“? Weil er prophetisch verkürzt spricht.
Er kann bei Zeitangaben, was die Zeiten und Zeitpunkte betrifft, sagen, dass Gott sich in seiner Weisheit und Vollmacht die Zeitangaben vorbehalten hat. So können wir keine genauen Zeitangaben bestimmen.
Wenn der Herr „bald“ oder „so gleich nach der Bedrängnis“ sagt, heißt das einfach heilsgeschichtlich, dass nichts dazwischen geschieht. Es ist das nächste Ereignis, das dann kommt. Wie viel Zeit tatsächlich vergeht, weiß niemand, sagt er ja selbst.
Reidy sagt zum Beispiel, dass eine Verheißung nur für eine Sache gilt. Auch bei Katastrophenvorhersagen ist es eine Sache und keine Unterscheidung. Es kann sein, dass sich etwas anschließt, das als zweites kommt, so wie in diesem Fall Sonne und Mond sich verfinstern. Das wird in einem Atemzug genannt, aber man muss auch einen Brennstrich ziehen.
Das wäre auch sehr schwierig. Da hat Harry vollkommen recht: Wenn wir von Doppel- oder Dreifacher Erfüllung sprechen würden, hätten wir noch weniger Orientierung. Dann gäbe es gar keine Klarheit.
Jetzt aber haben die Jünger ganz klare Informationen. Er gibt ihnen ein Zeichen, sie fragen, wann das sein wird. Der Tempel, sie fragen nach dem Zeichen. Der Herr sagt ihnen, was geschehen wird: zuerst seelsorgerlich, sie müssen achtgeben und durchhalten. Zweitens gibt er ihnen genau das Zeichen, er sagt ihnen genau voraus, was geschehen wird und was sie zu tun haben. Und dann zum großen Thema, der Ankunft des Herrn. Da sagt er einfach „so gleich danach“. Diese Spannung, mit der leben die Jünger jetzt und wir übrigens bis heute.
Es ist so: Der Herr sagt, dass das Evangelium vom Königreich im ganzen Weltreich verkündet wird. Hier ist das Wort „Ökumene“ übrigens „Weltreich“. Auf Lateinisch heißt das „Imperium“. Das römische Reich war damals die gesamte Welt, die man kannte. So konnte man damals sprechen.
Jemand, der im Jahr 70 lebte und das las, konnte sagen: Ja, in gewissem Sinn stimmt das im ersten Jahrhundert. Paulus selbst sagt das zum Beispiel in Kolosser 1, Vers 5, glaube ich. Er schreibt etwa im Jahr 60 den Kolosserbrief und sagt: „Die Hoffnung, von der ihr gehört habt im Wort der Wahrheit, des Evangeliums, das zu euch kam, so wie es auch in aller Welt ist und Frucht bringt, wie auch unter euch von dem Tage an, als ihr die Botschaft, das erste Evangelium, hörtet und die Gnade Gottes in Wahrheit erkanntet, welches verkündigt wird.“
Vers 6 sagt, dass die Botschaft, die zu euch kam, so auch in aller Welt ist. Die Botschaft kam in die ganze Welt im Jahr 60. Wieso kann Paulus so etwas sagen? Weil sie Rom erreichte. Damit erreichte sie die ganze Welt.
Die Parallelstelle ist in Römer 10, Vers 18. Entschuldigung, dass ich da einmal einkarke. Das Wort „Parontos“ heißt „anwesend sein“. Wenn ich es so übersetze, heißt das nicht unbedingt, dass es in der ganzen Welt da ist, sondern nur, dass es anwesend ist.
Das Anwesendsein ist ganz sicher wichtig, und zwar spätestens, als Jesus von den Jüngern beauftragt wurde. Also wenn ich jetzt ein Wort hergebe, sage ich das auch. Aber es heißt hier: „Die Botschaft kam zu euch und wurde dort gegenwärtig, so wie auch in aller Welt.“
Wenn man natürlich im Vorverständnis meint, dass jedes Volk ihren eigenen Dialekt übersetzt haben muss, hat man damit Schwierigkeiten. Klar.
Darf ich noch die Parallelstelle lesen? Es wird deutlicher in Römer 10, Vers 17 und 18. Hier spricht der Apostel Paulus von der Verkündigung. Vers 17: „Der Glaube ist aus der Predigt, also aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch das von Gott gesprochene Wort.“ Dann sagt er: „Habt ihr nicht gehört? Doch ja, in jedem Teil der Erde ging ihre Stimme hinaus, und zu den Enden des Weltreiches gingen ihre Worte.“
Das Thema ist: Wohin ist das Evangelium gekommen? Es geht um die Verkündigung des Evangeliums. Paulus sagt im Römerbrief, etwa im Jahr 57 geschrieben, dass das Wort hinausging in jeden Teil der Erde. Zu den Enden des Weltreiches gingen die Worte. Hat Israel nicht verstanden? Sie haben es überall gehört.
Diese Stelle zeigt auch, dass es ein Missverständnis ist, wenn man meint, Herr Jesus hätte gesagt, das Evangelium solle nicht zu allen Völkern gebracht werden. Es geht nur darum zu zeigen, dass die Aussage, das Evangelium werde überall verkündigt, schon im Jahr 70 als wahre Aussage gelten konnte. Mehr nicht. Dass das Evangelium auch weiterhin überall verkündigt werden muss, ist ja gar keine Frage.
Man darf aber nicht sagen, das könne nicht für das Jahr 70 nach Christus gelten. Das ist zu viel.
Übrigens habe ich noch eine Stelle: Kolosser 1,23 sagt dasselbe. Das Evangelium, das verkündet wurde in der ganzen Schöpfung, in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist. Kolosser 1,23 wurde etwa im Jahr 60 nach Christus geschrieben.
Ich will nur zeigen, Geschwister, dass der Herr so gesprochen hat, dass sie verstehen konnten: All das, was er gesagt hat, konnte schon im ersten Jahrhundert so gelten als erfüllt. So dass er schon im ersten Jahrhundert kommen hätte können. Er kam aber nicht im ersten Jahrhundert. Jerusalem wurde zerstört, aber sie mussten noch warten. Sie erwarteten, dass er kommt.
Er kam auch nicht im zweiten oder dritten Jahrhundert. Dann haben sie weiter das Evangelium verkündigt bis zum heutigen Tag, und das tun wir auch heute.
Ich will nur so weit sagen, dass Matthäus 24 uns nicht zwingt zu sagen, das kann unmöglich sich auf 70 nach Christus beziehen. Das geht nicht.
Man muss sagen: Matthäus 24 ist die Antwort auf die Jünger, wann das geschehen wird, nämlich die Tempelzerstörung. Er sagt dann, so und so wird es sein, und das sind die Zeichen.
Das heißt, was die Zeichen betrifft, die gehen bis 70 nach Christus eindeutig. Ab diesem Zeitpunkt, als alles erfüllt war, gibt es nur noch vage Zeichen: Das Evangelium wird weiterhin verkündigt, es gibt weiterhin Kriege und Bedrängnisse, natürlich, aber keine so deutlichen Zeichen mehr.
Das nächste, was wir erwarten, ist die Wiederkunft Jesu Christi. Und die kann, liebe Geschwister, jederzeit geschehen. So wahr ich hier sitze, kann der Herr Jesus heute Abend kommen. Es muss nichts heilsgeschichtlich oder weltpolitisch geschehen, denn der Herr Jesus hat gesagt, er kommt zu einem Zeitpunkt, da er es nicht meint. Das heißt, es ist eine Naherwartung, dass der Herr jederzeit kommen kann.
Wo wäre denn ein Bibeltext, der uns zwingen würde, dass es noch einen Tempelbau geben sollte, der nie mehr zerstört wird? Ein ewiger Tempel. Den haben wir noch nicht. Den gibt es noch nicht, ganz sicher nicht.
Wäre es nicht besser, wir fragen die Apostel? Wenn wir die Apostel fragen, gibt es nur eine einzige Stelle, und das ist 2. Thessalonicher 2, oder? Dort ist die Rede von einem Menschen der Sünde, der sich in den Tempel Gottes setzt und sich ausgibt, er sei Gott.
Sonst gibt es keine Stelle, weder in den Evangelien noch in den Briefen, die uns Hinweise geben könnten. Um fair zu sein, muss man diese schwierige Stelle angeben, denn dort spricht er tatsächlich von einem Tempelheiligtum.
Ich denke aber, jeder, der ein bisschen die Bibel liest, merkt, dass diese Stelle nicht gerade die einfachste ist und dass es verschiedene Auffassungen über diese Stelle gibt. Aber meines Erachtens ist es nicht zwingend, dass ein Tempel gebaut werden soll.
Denn als das geschrieben wurde, stand dort noch der Tempel. Das war im Jahr 50 oder 51 nach Christus, als dieser Brief geschrieben wurde.
Dort schreibt der Apostel Paulus den Christen von damals, dass die These war, der Herr Jesus sei schon gekommen oder der Tag des Herrn, der Tag Christi sei schon da. Aber wenn der Tag des Herrn da wäre, müsste natürlich auch der Herr selbst da sein.
Das sagten natürlich solche, die meinten, er sei auf geistliche Weise oder irgendwie anders da, denn physisch war er ja nicht da.
Paulus schreibt: „Niemand täusche euch in irgendeiner Weise! Denn wenn nicht zuerst der Abfall gekommen ist und der Mensch der Sünde enthüllt worden ist, der Sohn des Verderbens, der widerstrebt und sich überhebt über alles, was Gott oder Verehrungswürdiges heißt, so dass er sich selbst als Gott in das Tempelheiligtum Gottes setzt und damit anzeigt, dass er selbst Gott sei.“
Vor allem Vers 4 ist ähnlich wie Daniel 11, Vers 36, aber das würde zu weit führen.
Bleiben wir bei Paulus: Was er hier sagt, ist, dass jemand, wer auch immer das ist, sich in den Tempelbezirk oder das Tempelheiligtum setzt und dort eine Rolle spielt, die eigentlich nur Gott gehört. Er spielt sich dort als Gott auf und wird „Sohn des Verderbens“ genannt.
Es gibt schon frühe Ausleger, die diese Stelle auf damals bezogen haben. Ich möchte das nur als These hinstellen, nicht dogmatisch, denn das ist eine der schwierigen Stellen des Apostels.
Der „Sohn des Verderbens“ ist klar. Bleiben wir bei dem, was klar ist: Als das geschrieben wurde, war das für die Thessalonicher kein Problem, denn sie wussten, dass in Jerusalem ein Tempel stand.
Dieser Tempel war der Gottestempel, der im Auftrag Gottes gebaut wurde, ursprünglich jedenfalls.
Wenn nun jemand diesen Tempel entweihen und sich dort reinsetzen würde, um die Rolle zu spielen, die Gott zusteht, wäre das für die Thessalonicher als erfüllt anzusehen.
Die Zeloten haben genau das getan. Sie haben den Tempelbezirk eingenommen, sich dort verschanzt und den Tempel entweiht, indem sie ihre eigenen Landsleute getötet haben.
Sie haben dort sozusagen wie Gott gespielt. Sie haben sich als Führer des Volkes aufgespielt, den Hohenpriester abgesetzt und nach ihrem Gutdünken einen gewissen Fanias als Hohenpriester eingesetzt.
Sie übten dort eine Schreckensherrschaft aus.
Wenn Paulus damals gelebt hätte, hätte er sicher gesagt: Das ist das, was ich geschrieben habe.
Was wollte er noch mehr?
Auch Eckhard Schnabel weist in seinem Buch über das Neue Testament und die Endzeit darauf hin, dass man einen Text immer im Zusammenhang lesen muss, in dem er geschrieben wurde.
Man muss sich zurückversetzen, als wären wir Leute von Thessalonich und bekämen einen Brief von Paulus, der uns so etwas schreibt. Wir wissen ja, dass in Jerusalem ein Tempel steht und erfahren das.
Paulus sagt, das muss vorher geschehen: der Abfall des jüdischen Volkes, der Abfall, der Mensch der Sünde.
Jetzt ist die Frage: Wer ist der Mensch der Sünde?
Einmal heißen die Juden „Sohn Gottes“, und einmal heißen sie „Sohn des Verderbens“. Aber welche Führer sind gemeint? Die, die sich bis zum Letzten verderbt haben?
Einmal heißen die Juden „Sohn Gottes“. Wisst ihr, woher das kommt? „Aus Ägypten rief ich meinen Sohn, als Israel jung war. Da habe ich sie geliebt, da habe ich sie als meinen Sohn angenommen, das war mein Volk.“
Aber wenn ein Sohn sich so sehr verdirbt, in Sünde und Schuld und den Messias verwirft und moralisch bis zum Letzten verderbt, dann kann er zum „Sohn des Verderbens“ werden.
Nicht das ganze Volk, sondern hier repräsentiert durch die Führer, die zelotischen Führer.
Aus meiner Sicht ist es durchaus möglich, dass hier ein kollektiver Sohn gemeint ist, so wie „Sohn Israel“ auch ein kollektiver Sohn ist.
Ich sage nur, das ist eine Möglichkeit. Ich sage das nicht dogmatisch. Ich will nur zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, den Text anders zu verstehen als bisher oft.
Auch alte Ausleger hatten solche Gedanken.
Wir sind nicht die Ersten, die darauf kommen. Das wäre eigenartig.
Theoretisch ist es also möglich, dass man das hier auf den Tempel von damals bezieht und dann in verkürzter Sprache spricht, dass Jesus Christus eintritt, ein Gericht schickt und Schluss macht.
Das ist verkürzte Sprache, wie das oft in der Prophetie ist, wenn gesagt wird, der Herr Jesus werde ihn vernichten und vertilgen.
Das ist das, was vorher geschehen muss – und es ist vorher auch geschehen.
Das wäre für die Thessalonicher wichtig, denn damals gab es Leute, die sagten, Christus komme jetzt, sei schon dran zu kommen.
Paulus sagt: Nein, vorher muss etwas geschehen. Das ist hier, was vorher geschieht.
Er sagt ganz konkret, was vorher geschehen ist: Es kommt der Abfall.
Du hast gerade gesagt, mit „Abfall“ sind die Juden gemeint. Das war nur eine Vermutung von mir, kein Beweis.
Das heißt, es könnte auch bedeuten, dass das, was ich bisher so verstanden habe, die Christenheit abfällt.
Das ist auch möglich, nur wird die Christenheit als Ganzes nicht abfallen, denn der Herr wird seine Gemeinde bewahren.
Insofern sind wir ja alle geprägt vom Christentum, vor allem in unserer westlichen Welt.
Diese westliche Welt verwirft Jesus nicht mehr. Früher standen sie dem vielleicht nicht in unserem Sinn wiedergeboren wohlwollend gegenüber, jetzt lehnen sie ihn ab.
Das ist praktisch der Aufruhr, der da beschrieben wird mit dem Abfall.
Theoretisch ja. Das lässt auch die Übersetzung so zu, weil das Wort auch als „Aufruhr“ verstanden werden kann.
Richtig, es kann „Rebellion“ heißen, aber auch für Juden bezogen sein, denn wenn das nicht eine Rebellion war, was dann?
Der Herr Jesus hat gesagt, dass die Gesetzlosigkeit überhandnehmen wird. Er meinte nicht Japan oder Europa, sondern dort, wo er war, gerade in Jerusalem.
Es ist auch eine Frage, ob ich den Antichristen als „anstatt Christus“ sehe oder als „Gegenchristus“.
Wenn ich ihn als Gegenchristus sehe, so wie es oft gemeint ist, dann ist es ein Aufruhr.
Aber ich plädiere dafür, dass wir biblisch sprechen.
Wenn wir „Antichristus“ sagen, sollten wir nur an die Stellen denken, wo „Antichristus“ vorkommt.
Wo kommt das vor in der Bibel? Nur in den ersten beiden Johannesbriefen.
Nur dort.
Ich mag nicht gern jemandem einen Titel geben, der in der Bibel nicht gegeben wird.
In der Bibel ist der Antichrist ein religiöser Verführer, kein politischer Herrscher oder Weltherrscher, wie es heute oft verstanden wird.
Ich kenne keine Bibelstelle, die sagt, dass der Titel „Antichristus“ auf einen globalen Herrscher zutrifft.
Das ist eine Fiktion, die seit Jahren in der christlichen Welt kursiert.
Wir müssen wieder biblische Vokabeln verwenden. Das hilft uns weiter.
Dann kommen wir weiter in der Erkenntnis.
Wenn wir nicht biblisch sprechen, sondern nur die Vokabeln unserer Vorgänger verwenden, bleiben wir im Durcheinander und alles bleibt unklar.
Ich plädiere dafür, biblisch zu sprechen. Dann kommen die Dinge an den Platz, wo sie hingehören.
Sonst habe ich einen Antichristen in der Offenbarung, der gar nicht vorkommt.
Versteht ihr? Ich weiß, das zerstört das ganze System. Ich weiß, wie es mir geht.
Deshalb müssen wir ja nicht gleich heute Abend alle Fragen lösen. Das ist gar nicht nötig.
Aber wenn es uns anregt, in die Schrift zu schauen, dann tun wir das.
Wir legen die Bücher „Alter Planet Erde“ und wie sie heißen beiseite und gehen in die Bibel hinein.
Wir schauen nur, was der Text sagt. Das hilft uns.
Dann werden wir automatisch vorsichtiger, nicht spekulativ sein, nicht vom Irakkrieg als Erfüllung von Jeremia 51 reden, sondern nur sagen, was der Text sagt.
Ich bin froh, wenn mich Leute korrigieren und sagen: „Das steht nicht im Text, was du sagst.“
Das hilft mir zu erkennen: Aha, jetzt bist du weitergegangen als der Text.
Ich wollte auch sagen, dass der „Sohn des Verderbens“ oder „des Bösen“ kein Imitat von Jesus ist, sondern ein Gegenspieler, der ihm entgegensteht.
Sehr gut, das ist es.
Zurück zu Matthäus 24, wo wir ausgegangen sind.
Die Frage war, warum einerseits Stellen sagen, es gibt Zeichen vorher, und andererseits, es gibt keine Zeichen vorher.
Die Lösung ist einfach: Die Zeichen betreffen die Zerstörung des Tempels.
Wo er sagt, es gibt keine Zeichen vorher, meint er, dass die Wiederkunft des Herrn jederzeit geschehen kann.
Es gibt viele Christen, die stark dafür plädieren, dass der Herr jederzeit kommen kann.
Andere sagen: Nein, das kann nicht jederzeit geschehen, es müssen bestimmte Zeichen vorher geschehen.
Das sind die zwei Positionen.
Die Symbiose oder Harmonie ist, dass das eine sich auf die Tempelzerstörung bezieht und das andere auf die Wiederkunft.
Die Tempelzerstörung hat Zeichen, die ihr vorausgehen.
Die Wiederkunft hat keine Zeichen, die ihr vorausgehen.
Genau, genau, das kann gar nicht sein.
Das hat Paulus auch so argumentiert in 2. Thessalonicher.
Der Herr kann nicht kommen, bevor nicht vorher einiges geschehen ist.
Die Wiederkunft hat aber schon ein Zeichen, nämlich dass die Sonne verfinstert wird.
Da hast du Recht, hier haben wir auch ein Zeichen.
Bevor der Herr wiederkommt, wird Gott die Lichter ausschalten. Es wird dunkel.
Ich möchte noch etwas zu Sacharja sagen, weil der ja oft herangezogen wird.
Sacharja wird oft als Text gesehen, an dem sich die ganze Eschatologie festmacht, besonders Sacharja 12 und 14.
Das Problem ist, dass Sacharja ein Prophet ist, der in vielen Bildersprachen spricht.
Es ist besser, zuerst die Apostel zu fragen und dann zu Sacharja zu gehen.
Nicht umgekehrt, dass wir zuerst zu Sacharja gehen und dann die Apostel zurechtbiegen.
Deshalb Vorsicht mit Sacharja.
Welche Stelle meinst du? Sacharja 12, Vers 10?
Wir haben nur noch zwei Minuten.
Wir machen Pause.
Ja, dann machen wir jetzt Pause.
Übrigens, heute Nacht ist Zeitumstellung, wir haben eine Stunde länger. Wir können ja statt schlafen...
Machen wir jetzt Pause.
