Ein Tag der großen Freude und Dankbarkeit
Das ist heute ein Tag großer Freude. So sehr hat Gott diese Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.
Wir wollen miteinander singen: O Haupt voll Blut und Wunden, Nummer dreiundsechzig. Wir singen von diesem Lied den ersten Vers, dann die Verse drei und vier sowie den sechsten. Also: Nummer dreiundsechzig, Verse eins, drei, vier und sechs.
Nun beten wir.
Christe, du Lamm Gottes, du unser Heiland, Jesus Christus, wir wollen dir von Herzen danken, dass wir uns heute unter deinem Kreuz versammeln dürfen. Du willst mit jedem von uns reden. Deine Liebe gilt uns, und du suchst uns alle. Du möchtest deine versöhnende und vergebende Kraft in unserem Leben wirken lassen.
Es gibt so vieles, das uns auch heute belastet und bedrückt. Jetzt können wir alles bei dir unter deinem Kreuz abladen und dich um deine große Vergebung bitten. Bitte reinige und heilige uns. Versöhne uns mit dem ewigen Gott, dem himmlischen Vater, damit wir das Paradies offen haben und heimkehren dürfen in die ewige Herrlichkeit.
Gib uns heute, hier in diesem Gottesdienst, die Fähigkeit, auf dein großes, frohmachendes Evangelium zu hören. Lass es uns verändern und erneuern. Lass uns erfahren, welche Kraft in deinem Sterben liegt und wie das unser Leben neu macht.
Jetzt wollen wir dir in der Stille all das bringen, was uns persönlich bekümmert. Wir beten in der Stille.
Wir danken dir, dass dein Blut uns rein macht von aller Sünde. Amen.
Jesus Christus starb für mich! Jesus Christus starb für dich!
Die Weissagung vom leidenden Gottesknecht (Jesaja 53)
Wir lesen aus Jesaja 53 die Weissagung vom leidenden Gottesknecht:
Aber wer glaubt dem, was uns verkündigt wurde, und wem ist der Arm des Herrn offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
Er war der allerverachtetste und unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg. Darum haben wir ihn für nichts geachtet.
Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe. Ein jeder sah auf seinen Weg, aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.
Als er gemartert war, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer. Er tat seinen Mund nicht auf.
Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Land der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volkes geplagt war.
Man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der Herr zerschlagen mit Krankheit.
Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben. Des Herrn Plan wird durch seine Hand gelingen.
Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den vielen Gerechtigkeit schaffen, denn er trägt ihre Sünden.
Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben. Dafür, dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist, hat er die Sünde der Vielen getragen und für die Übeltäter gebeten.
Die Bedeutung des Gekreuzigten im Glauben
Das ist der Schmerzensmann, den wir nicht lassen. Wir wollen dieses Lied singen: „Du großer Schmerzensmann 66“, die Verse eins bis drei.
Als Predigttext haben wir heute Lukas 23, Vers 39-43. Seit Palmsonntag hören wir die Worte Jesu am Kreuz. Heute betrachten wir eine kleine Randnotiz, die für uns sehr wichtig wird.
Einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte Jesus und sprach: „Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!“
Da wies ihn der andere zu Recht zurecht und sagte: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, obwohl du in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen. Dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“
Darauf sprach Jesus: „Gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“
Und Jesus sagte zu ihm: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Herr, hilf uns, dass wir auch so durchblicken wie dieser Mann. Amen.
Das Leiden Unschuldiger und die Einzigartigkeit des Kreuzestodes Jesu
Unzählige Menschen haben im Lauf der Weltgeschichte schon unschuldig gelitten. Das kann man gar nicht aufzählen. Wie viele hat allein die römische Herrschaft unschuldig ans Kreuz genagelt? Wie viele sind im Lauf vieler Kriege irgendwo verscharrt worden und umgekommen – lauter unschuldige Opfer?
Es sind Unschuldige, die heute irgendwo bei einem Verkehrsunfall sterben, so wie die Menschen, die neulich auf einem Fährschiff verbrannt sind, oder diejenigen in Medellín, die ums Leben kommen, weil irgendein Terrorist eine Bombe zündet – Unschuldige!
Es ist völlig außergewöhnlich, dass wir heute einen Feiertag einlegen und sagen: Wegen des Todes Jesu wollen wir innehalten, darüber nachdenken und uns besinnen. Völlig ungewöhnlich! Dabei wissen wir so viel von Jesus, von seinen Taten und Wundern. Dennoch sagen wir, dass er uns am größten, am herrlichsten, am schönsten erscheint, wenn er am Kreuz stirbt.
Das ist doch nicht schön. Aber daran können Sie prüfen, ob Sie im Glauben Durchblick haben. Die Gemeinde Jesu sagt: Nirgendwo ist uns Jesus schöner als am Kreuz. Sein Tod ist anders als der Tod all der anderen Menschen.
Noch einmal, wie am letzten Sonntag, möchte ich es wiederholen: Von diesem Sterben geht Kraft aus. Es ist mutmachend, tröstend und erquickend – auch für Sie. Hand aufs Herz: Bedeutet Ihnen der Anblick des gekreuzigten Jesus mit seinen Schmerzen und der Dornenkrone solch eine Erquickung?
Wir kennen alle den Liedvers, den wir am Ende unseres Gottesdienstes singen: „Ersche mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod.“ Paul Gerhardt hat uns so ins Herz hineindichten können. Er spricht von unserer Todesstunde und meint, dass in dieser Stunde das Erquickendste und Schönste, was wir sehen können, der Gekreuzigte ist.
„Und lass mich sehen dein Bild in deiner Kreuzesnot, da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken.“ Wer so stirbt, der stirbt wohl.
Wenn wir auf den Gekreuzigten blicken, dann wissen wir, dass unser Glaube gewiss sein kann und den Sieg hat. Wir bleiben nicht im Tode, sondern können fröhlich unseren Weg gehen.
Das macht mich im Sterben fröhlich, und darum betet die Gemeinde Jesus an als den Gekreuzigten. Es ist der schönste, tröstlichste und herrlichste Anblick, der uns geschenkt wird. Darüber reden, darüber predigen.
Ärger und Widerstand gegenüber dem Gekreuzigten
Mein erster Punkt: Man kann sich über den gekreuzigten Jesus tatsächlich auch sehr ärgern, das muss ich gleich vorwegnehmen. Man kann sich wirklich sehr darüber ärgern.
Die Christen sind dabei geschickt, denn weil sich so viele über den Gekreuzigten ärgern, gehen wir oft auf eine geschickte Weise damit um. Wir reden nicht offen über den Gekreuzigten. Besonders unter den Ungläubigen sprechen wir, wenn wir sehr mutig sind, vielleicht noch über Gott oder über die Kirche. Wenn sie mit den Ungläubigen in dieser Welt über den gekreuzigten Jesus sprechen, über das, was wir heute feiern – dass Jesus für unsere Sünden starb – dann erleben sie oft Spott und Verachtung. Sie stoßen plötzlich auf ungeahnten Widerstand.
Es ist schade, dass Christen dem so oft ausweichen. Wir Verkündiger sind daran sicher auch mit schuld, weil wir in vielen Predigten nicht mehr vom Gekreuzigten reden. Dabei ist es keine Frage, ob das heute vielleicht ein wenig schlecht ankommt. Schon damals, am Tod Jesu, kam das nicht gut an. Es war zu allen Zeiten unbequem und unbeliebt.
Die Frage ist vielmehr, ob der Gekreuzigte heute noch in der Mitte unseres Glaubens steht. Ob er wirklich noch ganz im Zentrum dessen steht, was uns am Karfreitag verkündet wird.
Es ist interessant, dass man von der christlichen Botschaft sonst bei Nichtchristen gern viel übernimmt. Vieles aus dem Neuen Testament wird als gut und wichtig angesehen, etwa die Nächstenliebe und die Friedensbotschaft, von der Jesus sprach. Vielleicht wird auch einiges von den Geboten anerkannt, weil sie den Menschen eine Leitlinie geben.
Am Christentum haben viele Menschen so weit eigentlich nichts auszusetzen. Aber wenn es um den Gekreuzigten geht, dann gibt es Widerstand. Und es ist gut, dass auch heute noch einmal laut wird, wie einer, der neben Jesus am Kreuz hängt, laut anfängt, Jesus zu lästern.
Was hat er denn zu schimpfen? Was hat er zu brummen? Das, was er sagt, ist uns allen eigentlich aus der Seele gesprochen. Ich denke, wir haben alle schon so empfinden können wie dieser Mann. Wenn du Gottessohn bist, wenn du der Messias bist, dann musst du doch jetzt einmal das Übel in der Welt abstellen.
Wenn du der Messias bist, musst du in meinem Leben mächtig eingreifen und mich jetzt aus dem Schlamassel rausholen. Wenn du der Christus bist, haben sie so noch nie gebetet. Wenn du der Christus bist, musst du mich jetzt gesund machen.
Das waren aber keine Glaubensbitten, sondern lästerliche Worte. Die geballte Faust. Wo bist du denn, Christus? Wo bist du heute in der Welt, wo es drunter und drüber geht? Wenn du der Christus bist, dann müsstest du doch das Übel abschaffen und das Leiden.
Man hat Grund dazu, so zu denken. Es war schlimm in der Sterbensnot. Hat er nicht recht? Ich finde es sympathisch, wie dieser Lästerer redet.
Man kann sich über den gekreuzigten Jesus ärgern, tatsächlich. Der Gekreuzigte ist ja ohnmächtig, schwach. Er kann ja gar nicht helfen. Er lässt alles an sich geschehen. Da kann man sich wirklich drüber aufregen.
Aber der, der so lästert, war ein Tatmensch. Wir können uns sicher vorstellen, um was für einen Mann es sich hier gehandelt hat. Solche Leute gibt es ja bis heute, solche Praktiker.
Ich vermute, dass er einer aus der Guerillabewegung war, der gegen die Römer kämpfte. Das war ein patriotischer Mann, denn die Römer hatten das Land ausgebeutet und ruiniert – schlimmer als Ceausescu sein Land ruiniert hat.
Jetzt hat er gesagt: Das geht nicht mit Sonntagsreden, da muss man ab und zu auch eine Bombe legen und mit der Kalaschnikow losgehen. Sie hatten damals andere Waffen, aber Sie verstehen, was ich meine.
Das ist ein Mann aus unserer Zeit, der sagt: Man muss die Welt verändern, eine neue Welt machen, eine gerechte Welt, eine Welt des Friedens. Das sind die, die die Welt verändern – auch wenn manche dabei den Märtyrertod sterben.
Jesus, was hast du denn verändert? Du hast gar nichts hinterlassen als Sprüche und Worte. Deine Worte helfen doch gar nichts.
Was helfen uns die Worte wirklich, wenn wir sterben, im Elend sind, krank sind? Was helfen uns die Worte? Was kannst du denn?
Ich höre den Schrei der Lästerer und Spötter nicht nur aus dem Mund dieses Mörders am Kreuz. Die Bibel sagt klipp und klar: Er ist ein Mörder, weil er über Leichen geht mit seinen Friedensplänen für die neue Welt.
Man hört diesen Schrei: Jesus, wo bist du denn mit deinem Können? Aus den Armenvierteln, aus den schicken Vorstädten, aus den Büros und Fabriken, aus den Schulen und Universitäten: Jesus, wo bist du denn?
Man kann sich über den gekreuzigten Jesus ärgern, weil er so ohnmächtig ist. Und das ist das Kennzeichen der Christen: Sie stellen das in die Mitte.
Ja, ich möchte Mut machen, dass man das wieder mit ungläubigen Menschen in der Umgebung einmal durchdiskutiert und mit ihnen spricht.
Eine neue Sicht auf das Leben durch den Glauben
Es gibt noch einen zweiten wichtigen Punkt: Über dem gekreuzigten Jesus kann man eine neue Sicht auf das Leben gewinnen. Dort war ein anderer Mann neben Jesus gekreuzigt, und plötzlich beginnt er, seinen Begleiter anzugreifen.
Ich weiß nicht, ob Sie die Szene aus dem Umfeld von Terroristen kennen und wissen, wie es dort zugeht. Ein oberster Grundsatz ist, dass sie sich niemals gegenseitig verraten. Sie sind immer einig und sagen: „Bis zum Letzten halten wir zusammen, durch dick und dünn.“
Was an diesem Moment über dem Kreuz passiert, ist außergewöhnlich: Sie geraten miteinander in Streit. Verstehen Sie? Gerade die, die immer zusammenhalten, beginnen sich zu entzweien. Sie hatten durch dick und dünn zusammengehalten und gesagt, sie kämpfen bis zum Letzten. Doch plötzlich fällt einer um und sagt zum anderen: „Halt deinen Mund! Was lästerst du? Schweig! Fürchtest du nicht Gott?“
Es ist tatsächlich so, dass über dem Gekreuzigten die engsten Freundschaften auseinandergehen können. Diese Spannung kann sogar bis in eine Ehe hineinreichen, wenn einer plötzlich versteht, wer der Gekreuzigte ist und was es mit Jesus auf sich hat, während der andere es nicht versteht.
Da gibt es eine große Trennung. Und dieser eine Mann ruft zu seinem Kollegen, zu seinem Freund, zu seinem Gefährten hinüber: „Du, was redest du da? So darfst du nicht reden!“ Wenn wir die Geschichte genauer betrachten, kommt oft der Wunsch auf, die Sache noch genauer zu verstehen.
In einem Evangelium steht, dass beide, die mit Jesus gekreuzigt waren, ihn gelästert haben. Theoretisch wäre es sogar möglich, wenn wir ganz genau nach dem Wortlaut der Bibel gehen, dass auch der andere Jesus gelästert hat. Vielleicht hat er eine Zeit lang mitgeschrien, doch plötzlich sagt er: „Stopp, hör auf! Wir dürfen so nicht reden!“
Es ist sehr merkwürdig, dass das in einem einzigen Augenblick geschieht – dass ein Mensch zum Glauben kommt und erkennt, wer Jesus ist. Ich darf Ihnen heute verkünden und zusprechen, dass das auch heute in diesem Gottesdienst geschehen kann: Dass Menschen nach Jahren des Zweifelns und Fragens plötzlich verstehen: „Ich weiß, Jesus ist der Heiland der Welt, der für meine Sünden starb.“
Dieser Mann hat eine Erkenntnis, eine Glaubenserkenntnis, eine rettende Erkenntnis, die ganz plötzlich kommt. Ich möchte mich nicht darauf versteifen, aber es geschieht in einem kurzen Augenblick. Er hatte nicht viel Zeit, über Glaubensfragen nachzudenken – es war seine Todesstunde. Und doch erkennt er plötzlich: „Der neben uns ist ein ganz Großer.“
Was er theologisch genau begriffen hat, weiß ich nicht. Vielleicht ist das auch nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass er zu Jesus ein gewaltiges Vertrauen hat. Er weiß etwas: Dieser, der mit ihnen gekreuzigt ist, hat ein Reich – ein Reich, das nicht von dieser Welt ist. Und er will dazugehören.
Deshalb weist er seinen Kollegen zurecht und sagt: „Du darfst nicht so reden! Du darfst Gott nicht lästern!“
Ich möchte Ihnen heute an diesem Karfreitag sagen, dass genau das im Mittelpunkt steht: Menschen erkennen, dass der, der dort gekreuzigt wird, starb, weil er Menschen retten kann.
Die Bedeutung der Selbsterkenntnis und Schuld
Jetzt möchten Sie doch noch einmal wissen, warum dieser eine Übeltäter, dieser eine Guerillakämpfer, dieser Terrorist, der mit Jesus gekreuzigt wurde – das war ja der Grund, warum die Römer Menschen kreuzigten, und damals hatten sie in Palästina viel zu tun – warum er plötzlich diese Glaubenserkenntnis hatte.
Diese Erkenntnis geht immer einher damit, dass man sein Leben aus einem neuen Blickwinkel sieht. Der andere Terrorist war kühn. In seinem Lästern sagt er: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen, ich bin im Recht, die Welt ist verkehrt, die Welt muss verändert werden, und was ich tue, das ist schon richtig. Die Leute werden es merken.“ Interessant ist, wie wenig Selbsterkenntnis es in dieser Welt gibt. Auch in unseren Tagen ist das noch viel, viel stärker ausgeprägt. Über Schuld spricht man kaum. Schuld ist verdrängt, Schuld ist kein Thema unserer Zeit. „Meine Eltern sind schuld, mein Lebensverhältnis, meine Umgebung hat mich falsch geprägt, die Verhältnisse, in denen ich lebe.“
Jesus hatte für den einen Terroristen kein Wort mehr übrig, er schweigt. Aber dem anderen war es anders. Er sagt: „Wir empfangen, was unsere Taten wert sind.“ Haben Sie das schon einmal so gehört? „Wir empfangen, was unsere Taten wert sind.“ Wenn ich durch Krankenhäuser gehe und Besuche mache, ist das vielleicht das am häufigsten gehörte Wort, das man von Kranken hört: „Womit habe ich das verdient?“
Nun ist es ja nicht so, dass man im Leben alles verrechnen kann und sagen kann, wer krank ist, der hat mehr Schuld als der, der gesund ist. Oft ist es genau umgekehrt: Die Spitzbuben oben in der Gesellschaft leben gut, und die Treuen und Lieben müssen oft besonders viel durchmachen. Nein, so kann man das nicht verrechnen.
Wir müssen im Lauf unseres Lebens, bis hin zu unserer Todesstunde, immer irgendwo spüren, dass wir Todeskandidaten sind, weil wir vor Gott schuldige Menschen sind. Gerade das Sterben erinnert uns an unser versäumtes Leben, an Schuld und an Dinge, die wir falsch gemacht haben.
Ganz ungewöhnlich ist es, dass einer dieser politischen Terroristen sagt: „Mein Leben war verkehrt.“ Ich habe viel in meinem Leben an Sterbebetten gestanden, aber in fast dreißig Jahren meines Dienstes habe ich nur zweimal erlebt, dass sich Menschen auf dem Sterbebett bekehrt und zum ersten Mal Schuld bekannt haben. Es ist ein ganz seltener Moment, den Jesus in seiner Güte schenken kann.
Wenn Menschen sagen: „Ich bin falsch gewesen“, dann warten sie doch bitte nicht bis zu ihrer Todesstunde. Heute, an diesem Tag, geht es um dieses Erkennen: „Ich bin falsch.“ Ich bin täglich vielfach verkehrt gewesen. Ich empfange, was meine Taten wert sind. Wenn in meinem Leben auch Lasten zu tragen sind, habe ich doch vor Gott überhaupt nichts verdient. Ich habe nicht einmal das Leben verdient, ich habe nicht einmal die vielen Güter verdient, die Gott mir in Fülle schenkt. Dass ich lebe, ist doch sein Wunder.
Sehen Sie Ihre Schuld vor Gott! Das ist das Ungewöhnliche: Dass einer plötzlich über dem gekreuzigten Jesus sein Leben neu sieht. „Ja, ich habe Schuld.“ Anders wird man kein Christ. Auch wenn uns heute viele einreden wollen, dass man Christ wird über einen Eintrag irgendwo in ein Taufregister oder über eine Mitgliedschaft oder ähnliches – nein, nein. Ich erkenne den Gekreuzigten erst über die Schuld meines Lebens.
Wenn ich ihn anschaue mit der Dornenkrone, mit seinen Todesschmerzen, für die Schuld der Welt ist er gestorben, dann verstehen Sie, was da geschieht. Einer sieht sein Leben neu. Ich kann mich nicht selbst retten, ich kann mich nicht selbst aus diesem fluchbeladenen Leben lösen. „Jesus, denk an mich.“ Er wendet sich an Jesus.
Ich habe vorhin gesagt: Theologisch versteht er nicht viel. Das Entscheidende hat er verstanden, was vielleicht manche Theologen nicht verstehen: Nur Vertrauen zu Jesus ist nötig. Das Glauben, das Vertrauen zu Jesus. Reden Sie doch nicht um den heißen Brei herum: Vertrauen zu Jesus.
Die unermessliche Gabe der Vergebung
Darum mein letzter Punkt: Man kann vom Gekreuzigten unglaublich beschenkt werden. Man kann sich über den Gekreuzigten ärgern. Man kann eine neue Schau des Lebens bekommen – so war es bei mir – und man kann beschenkt werden, ungeheuer beschenkt.
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal mit solchen Menschen zu tun hatten, die andere umgebracht haben. Wenn Sie ihnen gegenüber sitzen, würden Sie wahrscheinlich als guter Christ fragen: Ist es wirklich möglich, dass Vergebung auch solch eine Schuld auslöscht, wenn unschuldige Menschen irgendwo getötet wurden? Und kann man das überhaupt? Vergebung einem Menschen zusprechen? Muss er das nicht erst beweisen, dass er wirklich anders geworden ist durch Taten? Er muss sich doch zuerst einmal bewähren, bevor man sagen kann: Jetzt ist vergeben.
Aber das ist hier im Evangelium klargestellt: Nichts ist nötig, um Vergebung zu erhalten, nichts muss bewiesen oder bewährt oder mit Taten ergänzt werden. Jesus spricht einem Halunken, einem ganz schlimmen Menschen, volle Vergebung zu – und noch mehr: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Dann bin ich gewiss, dass ich auch dabei sein darf, gerade weil mich das oft in meinem Gewissen anficht und ich denke, das sei größer, als dass es mir vergeben werden kann. Wenn Jesus diesem Mann zugesprochen hat, will ich mich daneben stellen. Für solche ist Jesus gestorben – heute, jetzt, in einem Nu!
Ja, Jesus kann das allein zusprechen, weil er die Sünde der Welt trägt. Sonst könnte es sich gar niemand erlauben. Es ist Unsinn, wenn wir meinen, wir könnten irgendwo anders unsere Vergangenheit bewältigen. Wir können das nicht. Die alten Dinge brechen immer wieder auf und verfolgen uns.
Jesus sagt: „Jetzt, heute, wo du deine Schuld unter dem Kreuz bekennst, wird sie ausgelöscht, vollständig. Sie kommt nie mehr vor, auch nicht am jüngsten Tag, nicht im ewigen Gericht. Kein Wort steht daran, dass der noch ins Fegefeuer muss.“
Viele Katholiken unter uns freuen sich darüber. Wir wollen hier gar keine konfessionellen Schranken aufbauen, sondern einfach in der Bibel studieren, wie Jesus das sagt. Kein Wort! „Heute öffnet sich für dich das Paradies, du darfst heute eintreten.“
Die Todesstunde ist für die, die Jesus vertrauen, nicht mehr eine unheimliche Schranke, sondern der Heimgang in die Herrlichkeit, der Triumph. Ich darf Ihnen am Ostertag noch weiter erklären, wie das ist. Ich will gerade eine Fortsetzung machen.
Der Tod hat seine Schrecken verloren. Die, die mit Jesus sind, kommen nicht einmal mehr ins Gericht. Sie sind schon hindurch, alles ist bereinigt. Damit wir wissen, wie ernst Jesus das meint, sagt er es so, wie er das bei seinen ganz wichtigen Offenbarungswahrheiten immer gesagt hat: Amen, Amen, wahrlich, wahrlich. Das sind keine Floskeln. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch“ – darin steht das Evangelium.
Wir können doch nie etwas Größeres verkünden in der Welt, als dass sich heute schon die ewigen Dinge entscheiden. Dass heute hier in diesem kleinen Kirchlein verhandelt wird, dass ich heute wissen darf: Ich kann mich schon lösen aus dem Gericht am jüngsten Tag. Ich darf heute schon die Umstände meiner Todesstunde klären und bereinigen. Ich darf heute schon ewiges Leben empfangen.
Es gibt eine Hölle, sprach Jesus. Es gibt eine Verdammnis, eine schwere Scheidung, wenn da einer neben Jesus hängt, für den Jesus nichts mehr zu reden übrig hat. Es ist keine Sache, die man sich für die Todesstunde aufbewahren soll. Heute ruft uns Jesus zu, dass er uns schon heute das Paradies aufschließt und dass wir, obwohl wir noch mitten in dieser Welt leben, schon teilhaben dürfen an seiner großen ewigen Königsherrschaft.
Das will er Ihnen heute erschließen. Amen!
Abschlusslied und Gebet
Wir singen „Ach, mein Herr Jesu, wenn ich dich nicht hätte“ (420), das ganze Lied.
Ach, mein Herr Jesu, wir können auch unser Leben nicht selbst vor dir in Ordnung bringen, auch wenn wir uns das oft vorlügen. So können wir nur dankbar zu dir kommen und uns freuen, dass dein Blut und dein Geist uns ganz rein machen von aller Schuld.
Das ist wunderbar: Du kannst uns jetzt vollständig verändern und erneuern. Das brauchen wir für uns selbst – für unser Herz, unsere Gedanken und unseren Willen. Du musst uns vollständig erneuern, und wir können das vor dir auch bekennen: was nicht recht war, was Sünde gegen dich war, wo wir dein Wort gebrochen haben und das schöne Ebenbild, das du in uns herstellen wolltest, zerstörten.
Dann lass doch auch um uns herum wieder alles neu werden – in unseren Familien, mit den Menschen, bei denen die Beziehungen zerbrochen sind. Ja, lass uns Botschafter der Versöhnung in dieser Welt sein. Und dass wir das hineintragen in eine Welt, die unter deinem Zorn und deinem Gericht steht. Wir wollen den Menschen sagen, dass sie ihr Leben vor dir in Ordnung bringen müssen, dass das eine Not ist und sie nicht ewig verloren gehen, sondern heute gerettet werden.
Bestärke auch dieses Wort an vielen Menschen, dass du heute deine Gemeinde sammelst – nicht viele Edle, nicht viele Gewaltige, nicht viele Vornehme, sondern Leute, die aus viel Schuld und Elend kommen. Die rufst du zu deiner Gemeinde. Dazu wollen wir auch gehören und immer nur dieses Wunder rühmen, dass du für uns gestorben bist. Dafür danken wir dir.
Lasst uns gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Wir wollen noch die beiden letzten Verse aus dem Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ (63), die Verse 9 und 10, singen.
Wir freuen uns, dass auch heute Freunde da sind, die sich hier noch nicht so gut auskennen. Da ist unser Notizzettel, auf dem alle wichtigen Sachen stehen – den sollte man haben, auch für unsere Gottesdienste, die hinten in der Auslage liegen.
Über Ostern muss man nur ein wenig aufpassen: Am Ostermontag gibt es keinen zweiten Gottesdienst. Aber Kindergottesdienst ist sogar am Ostersonntag. All das steht auf dem Notizzettel – schauen Sie dort nach und informieren Sie sich.
Das Opfer wird heute von der Kirchenleitung erbeten für die Stätten des kirchlich-diakonischen Aufbaus in der DDR.
Nun wollen wir um den Segen des Herrn bitten:
Herr, segne uns und behüte uns. Erleuchte dein Angesicht über uns und sei uns gnädig. Erhebe dein Angesicht auf uns und gib uns deinen Frieden.