Vor der Zeit des Dritten Reiches hat der damalige Leiter der Mädchenarbeit in Deutschland, Otto Riedmüller, die Parole ausgegeben, dass für jedes Jahr eine Jahreslosung gezogen wird. Dies geschieht so, wie in Herrnhut nach alter Tradition die Losungen gezogen werden.
Auch für unsere Brüdergemeinde haben wir gestern Abend ein Jahreslos gezogen, das demnächst ausgelegt wird.
Heute wollen wir die Jahreslosung hören, die für die Christenheit in Deutschland für das Jahr 2010 gelten soll:
Jesus spricht: „Euer Herz erschrecke nicht, glaubet an Gott und glaubet an mich.“
Das Herz als Zentrum der menschlichen Erfahrung
Es wird also, liebe Schwestern und Brüder, zuerst von unserem Herzen gesprochen. Dabei ist nicht die Pumpe gemeint, sondern ein Ausdruck dafür, was uns im Innersten bewegt, im tiefsten Keller unserer Seele.
Im Propheten Jeremia heißt es in dem großartigen Kapitel 17, dass das Herz ein trotziges und verzagtes Ding ist. Wer kann es ergründen?
Ich meine, aus meiner Lebenserfahrung heraus, dass ich allen Stürmen des Lebens gewachsen bin. Ein ärztlicher Befund oder ein häuslicher Unfall, nicht einmal ein verlorener Schlüssel bringt mich in Panik. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Wenn ich einen Schlüssel verliere, gerate ich in Panik. Mein Puls flattert, und in der Panik mache ich alles falsch.
Wenn der Schlüssel dann gefunden ist und ich wieder zurückkehre, sage ich: Es kann keinen Seemann erschüttern. So halte ich alles auf das Herz – trotzig und verzagt, gejagt von Ängsten, um danach so zu tun, als ob mich nichts aus der Ruhe bringen könnte.
In Jeremia 17, in diesem großartigen Kapitel, heißt es weiter: „Der Mensch, der sich auf den Herrn verlässt, ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und seine Wurzeln zum Bach schlägt.“
Doch da kommt auch das Wort vom Verzagten: Wer kann es ergründen? Ich kenne mich doch selbst nicht. Nur der Herr ergründet Herz und Nieren.
Wenn unser Herr Jesus seinen Jüngern sagt: „Euer Herz...“, dann ist er dabei, zu ergründen und offenzulegen, wie es mit unserem Herzen wirklich steht – weil er es ergründen kann.
Jesus kennt die Ängste des Menschen
Ganz allgemein weiß Jesus, wie es dem Menschen zumute ist. In seiner großen Wiederkunftsrede hat er gesagt, dass den Menschen bange sein wird, in Erwartung der Dinge, die kommen sollen.
Bange sind nicht Dinge, über die man spricht, sondern solche, die uns zutiefst bewegen – die dunklen Schatten in unserer Seele. Von diesen spricht nicht einmal eine Neujahrszeitung. Stattdessen heißt es dort: Es wird alles besser werden, wir werden es schaffen. Doch im Untergrund ist uns bange: Wie geht es mit dem Geld weiter? Wie geht es mit meinen Enkeln weiter? Wie steht es um meine Gesundheit? Menschen werden bange sein.
Bei Jesus heißt es: Vor dem Brausen des Meeres – zwei Jahre nach dem Tsunami wissen wir, was das ist, das den Menschen bange macht. Jesus weiß, wie es dem Menschen im Herzen zumute ist. Aber jetzt sagt er: Euer Herz!
Er hat doch erkannt, wie es seinen Leuten geht, die er gerufen hat: Kommt her zu mir, folgt mir nach! Was für eine innige Verbindung daraus geworden ist! Am Ostermorgen hat Maria Magdalena gesagt: „Sie haben meinen Herrn weggenommen. Ich weiß nicht, wohin.“ So waren sie verbunden. Wir können doch keinen Tag ohne ihn leben. Jetzt hat er uns zu sich gerufen – so hat es der Herr Jesus gemeint.
Viele Propheten und Gerechte wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen. Und ihr dürft sehen. Habt ihr je Mangel gehabt bei mir? Meine Augen haben euch gesehen. Als ihr auf dem See Genezareth in Not wart, bin ich zu euch gekommen.
Ach, das hat zu einer Verbundenheit geführt, die der Apostel Paulus erst später in sich ausdrücken konnte. So wie wir einst im Mutterleib geborgen waren, waren wir bei Jesus geborgen. Dazu hat er uns gerufen – nicht nur, damit wir seine Ideen kennenlernen, seine Aspekte betrachten oder einige Lebensstilformen von ihm übernehmen, sondern um mit ihm verbunden zu sein. Schwäbisch gesagt: zusammen backen.
Petrus hat es sehr deutlich ausgedrückt: „Herr, wohin sollen wir gehen?“ Als Jesus ihm die Freiheit gab, wollte er nicht weggehen. „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast doch Worte des ewigen Lebens.“ Und wir haben geglaubt und erkannt, dass du Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes.
Die Gewissheit der Nachfolge trotz Abschied
Könnte ich es irgend besser haben? So hat Philipp Spitta es in Liedform gefasst: „Als bei dir, der alle Zeit so viel, tausend Gnaden gaben, für mich Armen hat bereit, könnte ich je getroster werden.“
Als bei dir, Herr Jesus Christ, dem im Himmel und auf Erden alle Macht gegeben ist. Jesus wusste genau, wie das Herz seiner Leute, seiner Nachfolger, bestimmt war. Nicht nur bei denen, es gab ja noch genug andere, die sagten: „Herr, wir wollen dir nachfolgen.“
Einer von den Geheilten sagte zu Jesus: „Ich will dir nachfolgen, wohin du gehst.“ Da war ein Drang, eine große Sehnsucht, zu Jesus zu gehören. Nicht nur ab und zu ein paar Worte von ihm hören, sondern bei ihm geborgen sein, von ihm geleitet und gestärkt werden.
Doch dann musste Jesus seinen Jüngern sagen:
„Und das ist der große Zusammenhang von Johannes 14, aus dem unsere Jahreslosung genommen ist:
Ich bin noch eine kleine Zeit bei euch, und dann werdet ihr mich suchen und nicht finden, denn ich gehe zum Vater, und der Vater ist größer als ich.
Es ist gut, dass ich weggehe von euch, sonst kann der Tröster nicht kommen.“
Der Herr Jesus wusste, wie erschreckend es für sie sein musste, plötzlich ohne ihn dazustehen. Sie hatten drei Jahre lang gewohnt, Tag und Nacht von ihm und seiner Fürsorge umgeben zu sein.
Deshalb sagt Jesus: „Euer Herz, erschrecke nicht!“
Die Bedeutung des Erschreckens im Glauben
Ach, ich habe schon manche Auslegungen für diese Jahreslosung gelesen, in denen es heißt, wir sollen nicht erschrecken angesichts dessen, was mit unserer Währung, der Weltwirtschaft und in Afghanistan geschieht. Davon spricht Jesus jedoch nicht. Er meint das elementare Erschrecken eures Herzens. Ihr, die ihr mit ihm verbunden sein wollt, sollt nicht erschrecken.
Wer wirklich Christ sein wollte und sein will, weiß, was es bedeutet, durch eine Erfahrung, durch ein Schrecken oder ein schweres Schicksal zu gehen. Man hat den Eindruck: Sie haben meinen Herrn weggenommen, er ist nicht mehr da. Der Jesus, auf den ich mich verlassen habe, hat mich fallen lassen. Ich dachte immer, ich könnte in meinem Glauben nicht mehr irre werden. Doch jetzt bringe ich nicht einmal mehr ein Vaterunser zustande. Ich kann meine Gedanken nicht mehr fassen, Jesus ist irgendwo ganz weit von mir weggerückt. Ich sehe nur noch Ängste.
Das ist ein Erschrecken. Und wie sollten wir davon ausgenommen sein, dass wir da hineingerissen werden? Gerade in den letzten Tagen und Wochen wurde mir wieder klar, dass auch standhafte, bewährte Christen in dieses Erschrecken hineingezogen werden können: Ach, dass ich wüsste, wie ich Jesus finden könnte! Aber gehe ich vor mich hin, da ist er nicht da. Gehe ich zurück – so heißt mein Buch Hiob – so finde ich ihn nicht. Verbirgt er sich zur Rechten, so sehe ich ihn nicht. Oder zur Linken, so sehe ich ihn ebenfalls nicht. Wo ist er denn?
Ich war doch gewohnt, mit ihm zu leben, war geborgen, wenn sein Wort mich begleitet hat. Auf diese Situation hatte Herr Jesus seine Jünger, seine Nachfolger und auch uns vorbereitet. Seine Jünger waren damals so glücklich, dass sie ihn sehen konnten, auch noch einmal nach der Auferstehung. Als die Jünger den Herrn sahen, wurden sie froh. Ach, jetzt ist er wieder da! Und Maria will ihn betasten. Er ist wieder da zum Sehen und Betasten.
Der Herr Jesus will seine Leute auf die Zeit zwischen der Himmelfahrt und seiner Wiederkunft vorbereiten. Damit auch für das Jahr 2010, in dem wir Jesus nicht mehr sehen und betasten können. Doch er gibt das Machtwort: Ihr erschreckt nicht.
Das Machtwort der Zuversicht
Es ist ein Machtwort, nicht bloß ein Tipp oder eine Ermahnung.
So wie Jesus über die schäumenden Wogen des Sees Genezareth gerufen hat: „Schweig und verstumme!“, und es daraufhin ganz still wurde, so ist auch dies ein Machtwort.
So oft wir es in diesem Jahr 2010 hören, erkennen wir es letztlich doch nicht. Es ist irgendwo gedruckt, ein Machtwort des Herrn Jesus, das in unsere Ängste hinein gesprochen wird, wenn wir denken, Jesus könnte uns fallen gelassen haben.
„Euer Herz erschrecke nicht!“ – dazu sind unsere Gottesdienste da, dazu ist unsere tägliche Andacht da, damit der Herr Jesus uns Machtworte zuteilen kann.
Es geht nicht bloß um ein Stück Papier, das wir hier vorne ablesen oder irgendwo verfasst haben. Vielmehr hat der Herr Jesus uns, die wir predigen dürfen, sein Machtwort schon zuteilen lassen. Wir dürfen es weitergeben als sein Wort: „Euer Herz erschrecke nicht!“
Ihr, die mit mir verbunden sein wollt und auf mich angewiesen seid, erschreckt nicht und glaubt nicht, dass ich weggegangen bin. Glaubt an Gott und glaubt an mich.
Die Einladung zum Glauben an Gott und Jesus
In diesem kurzen Wort „Glaubet an Gott und glaubet an mich“ stecken auf den ersten Blick drei wichtige Informationen.
Erstens: Rechne mit dem lebendigen Gott, der nicht von uns gegangen ist. Nehme ich das flügige Morgenrot – sie haben vorher gebetet – und fliege bis ins äußerste Meer, dort wäre Gott mit dir, als wäre eure Hand miteinander verbunden. Würde mich doch deine Hand treffend halten.
Das bedeutet, wie im Hebräerbrief Kapitel 11 beschrieben, dass Mose, der durch große Anfechtungen ging, trotz der Rebellion des von Gott geliebten und geretteten Volkes gegen Gott, an Gott festhielt. Mose hielt sich an Gott, den er nicht sah, als sähe er ihn, als würde er ihn wirklich sehen.
Glaube also! Denk daran: Glaubet an Gott! So ist er. Gott ist unsichtbar und doch, wie wir zuvor im Psalm 139 gebetet haben: „Von allen Seiten umgibst du mich.“ Das kann die Welt nicht begreifen.
Wenn Menschen fragen: „Tsunami, Afghanistan, Kriege – wo ist Gott?“, oder in meinem persönlichen Leben, wenn es mir schlecht geht, dann gilt: Wenn Gott nur mit dem kleinen Finger zittert, hält er die Welt aus. Manchmal lässt er mit dem kleinen Finger zittern, damit wir merken, wie es wäre, wenn er seine Hand abziehen würde.
Unsere Welt hätte sich längst selbst vergiftet oder in Luft gesprengt, wenn Gott die Welt nicht halten würde. Glaubet an Gott! Er ist da. Ihr seid doch nicht irgendwo hoffnungslos über dem Abgrund – glaubt an Gott!
Zweitens: Glaube an den Gott, der euch Jesus als Heiland geschenkt hat. Er hat seinen Plan nicht zurückgenommen. Was er anfängt, bringt er zum Ziel. Das ist das Wesen Gottes: seine Treue und Verlässlichkeit.
Auf nichts kann man sich so verlassen wie auf den lebendigen Gott und seine Zusagen. Wenn er sagt: „Euch ist der Heiland geboren“, dann gilt das auch, wenn ihr ihn nicht seht. Dann ist er da als der Heiland von Gott eingesetzt, mit göttlicher Vollmacht.
Glaubt an Gott, an seinen Plan und seine großen Möglichkeiten – und glaubt an mich.
Das kleine Wort „und“ hat in unserer Sprache sonst nicht viel Bedeutung, aber an dieser Stelle kann man es nicht intensiv genug betonen: Glaubet an Gott und an mich!
Ich gehe doch zum Vater! Meine Möglichkeiten, die ihr erlebt habt – dass ihr mich betasten konntet, dass ich euch das Brot ausgeteilt habe und ihr fünftausend Menschen speisen konntet, dass ihr mich gesehen und meine Worte gehört habt – diese Möglichkeiten sind nicht verringert oder zurückgenommen worden. Sie sind potenziert, verstärkt und intensiviert.
Ich bin doch beim Vater. Glaubet an Gott und an mich!
Die bleibende Gegenwart Jesu in göttlicher Vollmacht
Das Neue Testament ist durchzogen von der Gewissheit, dass Jesus vor dem Vater steht und für uns eintritt. Er bittet beständig für uns.
Die Evangelien zeigen uns, was wir im Heiland Jesus haben können und was die ersten Jünger erlebt und gesehen haben. So ist es mit Jesus. Jetzt aber ist er erhöht zum Vater, in die Fülle der Macht und in die unbegrenzten Möglichkeiten des Vaters hinein. Er ist nicht weg, sondern ganz neu da!
Ohne dich, wo käme Kraft und Mut für mich her? Ohne dich, wer nähme meine Bürde auf sich? Ohne dich würden unser Glaube, unsere Hoffnung und unsere Liebe zerstieben. Alles, Herr, bist du!
Jochen Klepper hat es auf seine Weise so gesagt: „Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand, bin ich ein Tropfen in der Glut, der versiegt. Ohne dich bin ich wie Gras im Sand, das von der Sanddüne überflutet wird, wie ein Vogel, dessen Schwingen ruhen. Ich bin doch überhaupt nichts ohne dich.“
Und Jesus sagt: „Ihr müsst nicht ohne mich sein; glaubt an Gott und glaubt an mich.“
Die Christenheit wäre nichts – trotz ihrer Dome und Kathedralen, ihrer Organisation, ihrer Mitarbeiter in großer Zahl, der Kirchensteuer und allem, was es gibt – ohne Jesus. Sie wäre wie ein Fisch am Strand, der zwar noch zappelt, aber dem Untergang geweiht ist. Mit Jesus jedoch ist ungeahnt, was geschehen kann. Es ist unerklärlich.
Zeugnisse von Glaubenserfahrungen
Immer wieder, wenn ich über den alten Friedhof gehe, denke ich an Johannes Rebmann. Er wurde noch keine 55 Jahre alt und war ausgebrannt. Er stand vor den Scherben seines Wirkens und konnte gerade noch einen Prüppel taufen. Seine Augen waren beinahe erblindet, eine schwere Tropen-Augenkrankheit hatte ihn befallen, und er wurde zurück nach England gerufen.
Doch plötzlich war da eine Schar junger Afrikaner, die ein Loblied auf Swahili anstimmten – auf die Sprache, die Rebmann erforscht hatte. Sie sangen „Lobe den Herren“. Da liefen ihm die Tränen herunter. Die Scherben seiner Arbeit schienen wieder lebendig zu werden.
„Ich kann doch gar nichts mit meinem ganzen Einsatz, aber was Jesus kann“, dachte er. Deshalb steht auf seinem Grab die Inschrift „Safe in the arms of Jesus“. Jesus mit seinen Händen, mit seinen Armen – wenn er eingreift, dann ist Menschlichkeit da, auch wenn ich selbst nichts kann.
Erst jüngst hat mir eine junge Sozialarbeiterin in einer deutschen Großstadt erzählt, dass sie mit all ihrem pädagogischen Wissen oft nicht weiterkommt. Sie fühlt sich wie eine stumpfe Waffe. Aber Jesus kann helfen. Glaube dann Gott und glaube dann mir.
Die Einladung zum Vertrauen für das Jahr 2010
Mit diesem Machtwort und dieser Einladung werden wir im Jahr 2010 entlassen, damit wir Erfahrungen sammeln können. Dabei dürfen wir auf die göttlichen Vollmachten unseres Herrn Jesus vertrauen.
Plötzlich verstehen wir, warum es gleich zu Beginn des Johannesevangeliums sowie in den Johannesbriefen heißt: Wer Jesus hat, hat das ewige Leben, das Leben aus Gottes Welt, hat das Leben.
Nun wollen wir mit der Erfahrung in das Jahr 2010 gehen, wie Jesus uns das Leben zuteilt und dass wir uns darauf verlassen können. Amen.