Die Begegnung im Tempel und das Lob des Simeon
Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist. Episode fünfzig: Das Zeugnis der Alten.
Zurück zu Maria und Joseph im Tempel. Simeon hat ihr Baby in seine Arme genommen und lobt Gott. Er feiert dieses Kind als den Messias, der zum Licht der Nationen werden sollte.
So heißt es im Buch Jesaja, Kapitel 49, Vers 6:
„Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten Israels zurückzubringen. So mache ich dich auch zum Licht der Nationen, dass meine Rettung reicht bis an die Enden der Erde.“
Interessant ist nun, dass es von Maria und Joseph heißt in Lukas 2, Vers 33:
„Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was über ihn geredet wurde.“
Müssten die beiden sich nicht genau das erwarten? Hatten sie im Blick auf ihren Sohn nicht schon viel Schrägeres erlebt? Warum wundern sie sich?
Die überraschende Perspektive auf den Messias
Eine Möglichkeit ist, dass die Stellen im Alten Testament, die den Messias als ein Licht für die Nationen beschreiben, in der rabbinischen Literatur so gut wie gar nicht erwähnt werden. Dieses Thema spielte dort einfach keine Rolle.
Der Messias wurde vielmehr als Nationalheld gefeiert, als ein jüdischer König auf dem Thron Davids – und nicht als der Befreier der ganzen Welt. Daher überrascht es nicht, dass sich die Eltern von Jesus wundern, als Simeon in seinem Lobpreis genau auf dieses für sie fremde Thema zu sprechen kommt.
Doch Simeon hat den Geist der Prophetie, den Heiligen Geist, nicht umsonst. So lesen wir weiter in Lukas 2,34:
„Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird. Der Messias wird den Nationen zum Licht.“
Er wird ihnen den Weg in die Gemeinschaft der Familie Gottes, den Weg in die Gemeinde weisen. Aber das Volk Israel wird mit diesem Messias seine Probleme haben. Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Man wird sich an diesem Messias stoßen, und die einen werden fallen, die anderen aufstehen.
Die polarisierende Wirkung des Messias
Das ist ein Bild. Wer fällt, weil dieser Messias für ihn ein Stein des Anstoßes wird, lässt sich von den Predigten Jesu nicht berühren und geht verloren – obwohl er Israelit ist. Andere hingegen werden aufstehen.
Also hat der Retter auch eine Kehrseite. Als Retter polarisiert er und zwingt seine Zuhörer, übrigens bis heute, zu einer Entscheidung. Will ich auf ihn hören, dann werde ich aufstehen – und zwar im doppelten Sinn.
Ich werde geistlich von einem, der auf dem Boden liegt und nicht mehr kann, zu einem, der aufsteht und in der Kraft Gottes sein Leben lebt. Aber ich werde auch auferstehen. Das Wort „aufstehen“ hier in Lukas 2,34 wird an vielen anderen Stellen im Neuen Testament völlig zu Recht mit „Auferstehen“ übersetzt.
Wenn ich geistlich aufstehe, weil mich das Evangelium von dem Herrn Jesus berührt und ich mich bekehre, um ihm zu folgen und sein ewiges Leben zu bekommen, dann ist dieses ewige Leben nicht mit dem Tod zu Ende. Wer durch die Bekehrung geistlich aufsteht, wird auch zu ewigem Leben auferstehen – eine tolle Verheißung.
Aber nicht alle werden dazu ein Ja finden. Jesus wird polarisieren, und man wird ihm wehtun – und nicht nur ihm.
Das Leiden Marias als Vorzeichen des Widerstands
Lukas 2,35: „Aber auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen, damit Überlegungen aus vielen Herzen offenbar werden.“
In diesem Vers ist Maria, die Mutter Jesu, im Fokus, nicht Joseph. Was Simeon hier mit dem Bild vom Schwert durch die Seele beschreibt, ist das, was Maria als Mutter Jesu erwartet: Sie wird mitleiden. Nicht wie der Herr Jesus stellvertretend für unsere Sünden, sondern Maria wird durch ihr Leiden nicht zur Miterlöserin. Sie bleibt ein sündiger Mensch und braucht, wie sie es selbst im Magnifikat ausdrückt, einen Retter.
Dennoch ist ihr Leiden außergewöhnlich. Sie muss als Mutter miterleben, wie man ihren Sohn zuerst geißelt, dann ans Kreuz schlägt und ihm schließlich einen Speer in die Seite stößt. Das war nötig, damit – wie Simeon es formuliert – Überlegungen aus vielen Herzen offenbar werden. Der Tod des Messias am Kreuz macht deutlich, was in den Herzen vieler Israeliten steckt: Sie wollen nicht gerettet werden. Sie wollen diesen Messias loswerden. Sie wollen, dass er verschwindet und damit aufhört, sie zu ärgern. Deshalb bringen sie ihn um.
Neben dem Kreuz steht Maria, hilflos von ihren Emotionen überwältigt. Sie entzieht sich dem grausamen Schauspiel nicht. Stundenlang sieht sie ihrem Sohn beim Sterben zu. Sie sieht, wie er immer matter wird, wie sich sein Gesicht verzerrt, wie er sich mühsam unter Schmerzen aufrichtet, um nach Luft zu schnappen, und schließlich sieht sie ihn sterben.
„Deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen.“ Von Anfang an bereitet Gott Maria auf diesen Moment vor. Nein, der Messias stirbt nicht, weil er ein hoffnungsloser Träumer war, ein Revolutionär der Liebe, der seine Vision von Liebe an der Realität zerschellen sehen muss. Jesus stirbt, weil ihm widersprochen wird. Und das wird vom Heiligen Geist bereits über das Baby Jesus gesagt.
Hannah, die Prophetin, und das Zeugnis der Alten
Aber Simeon ist nicht der einzige, der den Messias erkennt. Da gibt es auch noch Hanna, die Prophetin. Sie war Tag und Nacht im Tempel und erkannte ebenfalls in diesem Baby den Erlöser. Daraufhin begann sie, ihn bekannt zu machen (Lukas 2,36-38).
Hanna war eine Tochter Fanuels aus dem Stamm Asser. Sie war in hohem Alter, denn sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, von ihrer Jungfräulichkeit an. Danach war sie Witwe geworden und lebte bereits 84 Jahre. Sie wich nicht vom Tempel und diente Gott Nacht und Tag mit Fasten und Flehen.
Zur selben Stunde trat sie herbei, lobte Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Israels warteten.
Ein alter Mann und eine alte Frau loben Gott. Sie loben ihn, weil sie den Messias gefunden haben. Hanna hatte nach ihrer kurzen Ehe nicht wieder geheiratet. Stattdessen widmete sie ihr Leben dem Gebet – Nacht und Tag mit Fasten und Flehen.
So wie Simeon lobt auch sie jetzt Gott und spricht über dieses Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. Das sind die Israeliten, die auf den Messias warteten. Diese Gruppe im Volk wird auch der Überrest genannt. Simeon und Hanna standen für diese Gruppe – echte Gläubige an der Schwelle zur messianischen Zeit.
Es waren Menschen, die nicht nur religiös waren, sondern sich ein Leben lang nach dem Einen gesehnt hatten, der kommen sollte, um sein Volk zu erlösen.
Die Bedeutung der Alten im Glauben
Wisst ihr, was mir an diesem Text auffällt? Es sind die Alten, die den Messias erkennen.
Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht mehr viel von den Alten erwartet. Vielleicht gibt es sogar Gründe dafür. Aber Gott hat ganz andere Erwartungen. Hier haben die Alten den Durchblick – nicht die Jungen.
Sie sind es, die aus einem Leben der Gemeinschaft mit Gottes Geist und aus einem Leben, das von Fasten und Flehen geprägt war, zu Verkündigern der Erlösung werden.
Und wisst ihr, was ich mir wünsche? Solche Alten. Alte Christen, die ein Leben der Geistleitung und ein Leben des innigen Gebets hinter sich haben, um im neutestamentlichen Tempel – und das ist die Gemeinde Gottes – heute aufzustehen und auf einen unbekannten Erlöser der Welt hinzuweisen.
Ich frage mich oft: Wo sind die alten Weisen, vom Geist Geleiteten und im Gebet Erprobten Christen geblieben? Wo haben sich die Simeons und Hannas versteckt? Ich sehe so wenig von ihnen.
Aber ich möchte selbst einmal einer von ihnen sein.
Ein Aufruf zur Dankbarkeit und Gebet
Was könntest du jetzt tun? Du könntest dich heute bei den Simeons und Hannas bedanken, die du kennst, für ihren treuen und vorbildlichen Dienst.
Das war es für heute. Wenn du noch nicht für verfolgte Christen weltweit betest, dann lass dir doch von Open Doors deren monatliches Gebetsheft schicken. Den Link findest du im Skript.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.