Einführung in die Thematik der letzten Zeiten
Es lässt sich nicht verhindern, wir sind im Zweiten Timotheus Kapitel drei. Diese kostbare Börse, die Geldbörse, liegt hier immer noch. Sie reizt mich und macht mich zum Philargyristen. Gleich im Text kommt der Begriff "Geldliebhaber" vor. Es gibt ja nicht nur Philatelisten, sondern auch Philargyristen. Das sind diejenigen, die das Silber lieben.
Kommen wir also zu Kapitel drei. Ich habe das Gefühl, als würden wir jeden Tag ein riesiges Stück Kuchen abschneiden. Dann essen wir immer das erste Viertel davon vorne weg und lassen den Rest stehen. Am nächsten Tag säbeln wir daneben wieder ein neues Stück Kuchen ab, essen erneut das vordere Viertel und lassen den Rest stehen.
Der Kuchen sieht danach ziemlich mitgenommen aus. Aber im Endeffekt ist man von den weggegessenen Spitzen auch satt geworden.
Beschreibung der moralischen und geistlichen Krise
Die Charakterisierung der Menschen in den letzten Tagen
Erstes Kapitel, Vers 3
Das sollst du wissen: In den letzten Tagen werden schlimme Zeiten kommen. Die Menschen werden viel von sich halten, geldgierig, ruhmsüchtig, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar und gottlos sein.
Sie werden lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, zügellos, wild, unfreundlich, Verräter, Frevler und aufgeblasen sein. Sie werden die Begierden und Vergnügungen mehr lieben als Gott.
Diese Menschen haben zwar den Schein und die Gestalt eines gottesfürchtigen Wesens, aber sie verleugnen dessen Kraft. Solche soll man meiden.
Zu diesen gehören auch die, die sich in Häuser einschleichen und Frauen gefangen nehmen. Hier wird ein abschätziger Ausdruck für Frauen verwendet: „Weibstücke“. Es sind die losen Frauen, die umgarnen und gefangen nehmen.
Diese Frauen sind mit Sünden beladen und von mancherlei Lüsten getrieben. Gemeint sind nicht nur Frauen, sondern auch die Menschen, die immer wieder in die Häuser gehen, ständig lernen, aber niemals zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Ebenso wie Jannes und Jambres dem Mose widerstanden, so widerstehen auch diese der Wahrheit. Jannes und Jambres waren Zauberer in Ägypten, die der Pharao aufbietet, um bei den ersten der zehn Plagen zu prüfen, ob sie diese nachahmen können.
In der jüdischen Tradition haben diese Zauberer die Namen Jannes und Jambres erhalten. Im zweiten Buch Mose werden diese Namen jedoch nicht genannt.
Was ist von denen zu sagen, die wie Jannes und Jambres sind? Im zweiten Teil von Vers 8 heißt es: Sie sind Menschen mit zerrütteten Sinnen, untüchtig zum Glauben.
Doch sie werden es nicht weit bringen, denn ihre Torheit wird offenbar werden – genauso wie es bei den ägyptischen Zauberern geschah.
Paulus’ Vorbild und die Realität der Verfolgung
Du aber bist meiner Lehre, meiner Lebensführung, meinen Entschlüssen, meinem Glauben, meiner Langmut, meiner Liebe und meiner Geduld nachgefolgt. Ebenso hast du meine Verfolgungen und Leiden miterlebt, die mir in Antiochien, Ikonien und Lystra widerfahren sind.
Welche Verfolgungen ertrug ich dort? Aus allen hat mich der Herr erlöst. Alle, die gottesfürchtig leben wollen in Christus Jesus, müssen Verfolgung leiden und werden Verfolgung leiden. Das ist eine Feststellung.
Mit den bösen Menschen und Betrügern aber wird es immer schlimmer. Sie verführen und werden selbst verführt.
Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und dir vertraut ist. Du weißt ja, von wem du gelernt hast. Schon von Kind auf kennst du die Heilige Schrift, die dich unterweisen kann zur Rettung durch den Glauben an Christus Jesus.
Die Bedeutung der Heiligen Schrift für den Glauben
Denn alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung der Schuldigen, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit. Sie dient dazu, dass der Mensch Gottes vollkommen sei und zu jedem guten Werk geschickt werde.
Das ist ein gewichtiger Gedanke.
Die nüchterne Realität des Menschenbildes und die Gefährdung der Christen
Das Erste, was wir heute ansehen wollen, ist eine aktuelle Beschreibung – und zwar im ersten Teil von Kapitel drei, ab Vers eins. In dieser langen Liste finden wir eine nüchterne Beschreibung der Wirklichkeit des Menschen.
Was dabei besonders erschüttert, ist, dass diese Beschreibung zwar die Wirklichkeit des Menschen ohne Gott darstellt, aber gleichzeitig auch die Gefährdungen der Christen deutlich macht. Besonders in den Versen 5 und 6 ist von Verhaltensweisen die Rede, bei denen Menschen zwar die äußere Gestalt eines gottesfürchtigen Lebens haben, also Frömmigkeit zeigen, aber die Kraft dahinter verleugnen. Es handelt sich um einen religiösen Lebensstil, der jedoch keine kraftvolle Veränderung des Lebens bewirkt.
Man kann hier also nicht einfach schwarz-weiß denken und sagen, das ist nur eine Beschreibung der gottlosen Welt da draußen. Paulus will auch klar machen, dass in der Zuspitzung der Zeit genau das die Gefährdung für Christen ist. Glaubt nicht, dass wir auf einem anderen Stern leben. Wir sind mitten in dieser Welt und werden von unserer Umwelt mitgeprägt.
Am schlimmsten ist es, wenn man gar nicht mehr merkt, wie man in die Verhaltensweisen der Umwelt hineingezogen wird. Wenn diese einem so in Fleisch und Blut übergehen, dass man sie nicht mehr bewusst entscheidet, sondern als selbstverständlich ansieht. Wir sagen dann oft, das sei „natürlich“. Und alles, was natürlich ist, müsse ja auch richtig sein. Dabei ist der Begriff „natürlich“ eigentlich erst seit der Romantik gebräuchlich.
Die Frage ist: Warum halten wir das, was natürlich ist, für richtig? Und was ist eigentlich natürlich? Natürlich erscheint uns das, was die Mehrheit tut, was wir gewohnt sind und wo sich bestimmte Verhaltensweisen eingeschliffen haben.
Bevor wir die einzelnen Beschreibungen im Detail ansehen, möchte ich noch sagen: Hier wird keine Weltuntergangsstimmung erzeugt. Paulus sagt nicht: „Schaut mal, das ist die böse Welt, und sie ist ganz schlimm.“ Vielmehr gibt er eine nüchterne Information für einen Mitarbeiter.
Paulus möchte nicht, dass Timotheus als idealistischer Traumtänzer durch die Welt zieht. Viele scheitern in ihrer Mitarbeit, weil sie ein idealistisch verzerrtes Bild vom Menschen haben. Sie laufen heiß und zerbrechen an ihrer Initiative, wenn sie merken, dass die Menschen sich gar nicht so gerne helfen lassen, wie sie es sich wünschen. Dass das alles gar nicht so ankommt und nicht so einfach ist.
Die Realität des Menschen und die Herausforderung für den Glauben
Ich staune, ich muss das sagen. Ich habe mir einmal gedacht: Im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert, nach zwei Weltkriegen in Europa und den zig Millionen Toten, nach Auschwitz und all den Grausamkeiten, die wir im zwanzigsten Jahrhundert erlebt haben – sei es durch Dokumentationen, Filme oder Fernsehen – da müsste der Glaube an das Gute im Menschen, an den guten Kern des Menschen, der im Grunde gut ist, endgültig ausgerottet sein. Aber das ist überhaupt nicht wahr.
Gerade unter jungen Leuten begegne ich einer verbissenen, idealistischen Einstellung. Neulich gab es eine wahre, eigentlich überall zu beobachtende, erbitterte und erboste Diskussion, als ich nur zitierte, was die Bibel über den Menschen sagt: dass sein Denken und Wollen von Jugend auf böse ist, dass nicht aus den Randbezirken, sondern aus dem Zentrum des Menschen böse Gedanken kommen, wie Jesus sagt – Mord und Zerstörung – und dass er im Zentrum kaputt ist.
Dann kommt immer die große Empörung, die sagt: „Aber so kann man doch nicht vom Menschen reden, als wäre das ein schlecht machender Mensch.“ Das ist ja das Wunder an der Bibel: Gott macht sich keine Illusionen über den Zustand des Menschen. Und über diese bittere Diagnose wird Gott den Menschen nicht verachten. Vielmehr wird das erst das Motiv seiner rettenden Liebe.
Bei uns ist es in der Regel so, dass wir uns ein relativ positives Bild vom Menschen machen. Wir sagen: Im Kern ist er gut, man muss das Eigentliche sehen, das ist nur äußerlich ein bisschen zerkratzt. Das muss man jetzt übersehen und daran arbeiten, denn im Kern ist er gut und deshalb liebenswürdig. Deshalb sind wir dann überfordert, wenn sich dieser Idealismus beim Menschen nicht bestätigt. Dann geht uns die Luft aus, und wir werfen alles hin. Haben wir kein Stehvermögen?
Paulus möchte, dass ein Mitarbeiter mit einem nüchternen Bild vom Menschen arbeitet. Es ärgert mich sehr, wenn ich sehe, dass Leute in der Kirche immer erst einen „Bedürfnistest“ machen, ob die Menschen überhaupt Interesse haben. In meiner Bibel steht, dass der natürliche Mensch kein Interesse an Gott hat und nichts vom Geist Gottes versteht. Das ist die normale Voraussetzung aller missionarischen Arbeit: Die Menschen wollen es nicht.
Wir sollten doch nicht Bedürfnisbefriedigung betreiben, indem wir erst dort zur Stelle sind, wo Menschen plötzlich religiös heiß werden oder Defizite haben, wo ein Vakuum entsteht, das wir schnell ausnutzen. Das nüchterne Bild der Bibel vom Menschen sagt, dass der Mensch von Natur aus für Gott und Gottes Wort verschlossen ist. Er will Gott nicht und möchte nicht gestört werden. Es ist nicht sein vitales Interesse, dass Gott leuchtet.
Der Mensch hat kein Verständnis dafür und ist völlig in sich selbst zufrieden. Diese Nüchternheit in der Beurteilung gehört auch zur Hilfe. Denn ein Arzt kann nur dann eine vielversprechende Therapie einleiten, wenn er vorher eine zutreffende Diagnose gestellt hat. Es hilft weder dem Arzt noch dem Patienten, wenn die Diagnose vorher geschönt wird, damit man nicht so einen Schrecken bekommt oder alles harmloser aussieht.
Das hat keinen Sinn und hilft nicht. Es ist kein Zeichen von Menschenverachtung. Dieser Vorwurf ist nicht neu: Die ersten Christen wurden in Rom angeklagt, und die Staatsanwälte beschuldigten sie des odium humani generis – das heißt: des Hasses auf das Menschengeschlecht. Das war der Vorwurf, den man den ersten Christen machte: Menschenverachtung, Hass auf das Menschengeschlecht.
Der Grund dafür lag darin, dass sie sagten, der Mensch sei total verloren, könne sich selbst nicht retten, sei von Jugend auf böse und darauf angewiesen, dass Gott im gekreuzigten Jesus ihn rettet. Sonst habe er keine Möglichkeit zum Leben. Darüber empörten sich die alten Idealisten genauso wie die neuen Idealisten heute. Sie sagen: Das ist Menschenverachtung, da werden die Menschen schlechtgemacht, so darf man nicht vom Menschen reden.
Die Zuspitzung der Zeit und die Realität der Verfolgung
Um den Zusammenhang herzustellen: Paulus schreibt an Timotheus. Er sagt: „Das sollst du wissen: So sind die Menschen.“ Und wenn sich die Zeiten dem Ende zuneigen, wird die Auseinandersetzung härter.
In der Ablehnung des Evangeliums wird in der gottfernen Welt die Gestalt der Gottlosigkeit reifen, ähnlich wie ein Geschwür reift. In der Ablehnung der Rettung durch Jesus nimmt die Sünde ihre extremste Ausformung an. Deshalb sagt Paulus: „In den letzten Zeiten werden schlimme Zeiten sein.“
Als kleine Quintessenz für den Stil der Mitarbeit folgt in Vers 13 eine wichtige Aussage, um das vorwegzunehmen. In Vers 12 heißt es: „Alle, die gottesfürchtig leben wollen in Christus Jesus, werden Verfolgung leiden.“ Das wird so normal hingestellt, dass man fast den Atem anhält.
Ich bitte darum, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass die Lebensbedingungen, die wir im Augenblick haben, geistlicher Urlaub sind – eine schiere Ausnahmesituation der Gemeinde Jesu. Paulus sagt das ganz nüchtern: Wer konzentriert auf Gott leben will, der wird Verfolgung leiden.
Und bitte, hier geht es nicht darum, dass man um Jesu Willen mal ein bisschen ausgelacht wird in der Klasse. Das kratzt zwar unsere Ehre, aber lassen wir uns nicht täuschen: Das ist keine Verfolgung.
Wenn wir die kleinen Schwierigkeiten, die wir in unserer Gesellschaft haben, um Jesu Willen schon mit dem gewichtigen Ausdruck „Verfolgung“ belegen, dann tun wir den Schwestern und Brüdern Unrecht. Diejenigen, die um ihres Glaubens willen ihre Kinder abgenommen bekommen, die in Gefängnisse wandern, Hab und Gut verlieren oder junge Leute, die, weil sie sich zur jungen Gemeinde halten, kein Recht haben, weiterführende Schulen oder Universitäten zu besuchen, erleben echte Verfolgung.
Ich bitte also darum, dass wir die kleinen Schwierigkeiten, die wir verwöhnte Christenkinder haben, nicht gleich als Verfolgung hochstilisieren und nicht mit solchen gewichtigen Ausdrücken belegen.
Aber Jesus sagt uns ganz klar, dass wir uns nichts vormachen sollen. Wir dürfen nicht meinen, das wäre jetzt die Katastrophe. Wenn Schwierigkeiten der Verfolgung kämen, dann wäre das eine Ausnahme und jetzt würde es ganz schlimm werden.
Das ist aber der Normalfall. Was wir im Augenblick erleben, ist blanker Urlaub.
Analyse der einzelnen Charakterzüge der Menschen in Vers 2 ff.
Das ist der Rahmen. Nun gehen wir inhaltlich vor.
Geht den Text bitte durch. Ich möchte die einzelnen Begriffe aufrufen und bei einigen davon ein oder zwei Sätze ergänzen. Ab Vers 2 werden die Menschen beschrieben.
Selbstliebe und ihre Ambivalenz
Es heißt dort zunächst, dass die Menschen sich selbst lieben werden. In der Luther-Übersetzung steht: „viel von sich halten“. Im Griechischen heißt es „Philautoi“. Ihr kennt diese Fremdwörter mit der Vorsilbe „Phil“: Philipp bedeutet „Pferdefreund“, ein Philatelist ist ein „Briefmarkenfreund“ und ein Philosoph ist ein „Freund der Weisheit“.
Diese Zusammensetzungen mit „Phil“ am Anfang bedeuten also „Freund von“. „Philos“ heißt „Freund“ und „leo“ bedeutet „lieben“. Hier steht „Philautoi“ – das sind nicht die „Autoliebhaber“, sondern „Autos“ heißt „selbst“. Es geht also um „sich selbst lieben“. Das ist eine zweischneidige Sache.
Wer das im Kopf hat, weiß, dass zum Christsein auch die Selbstannahme gehört. Es ist eine Frucht, dass ich mich selbst bejahen und annehmen kann. Manche sagen heute sogar, dass Selbstliebe die Voraussetzung für Nächstenliebe sei. Nur ein Mensch, der sich selbst liebt, sei auch fähig, den Nächsten zu lieben. Dabei wird oft auf Augustinus verwiesen, der den Satz „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ als ein Doppelgebot verstanden hat. Demnach sei die Selbstliebe geboten, um die Nächstenliebe zu praktizieren.
Dieser Satz ist richtig, aber auch gefährlich. Er ist richtig, weil nur derjenige einen anderen Menschen lieben kann, der sich selbst angenommen hat. Wer mit sich selbst im Streit lebt, schlägt um sich. Unsichere Menschen sind anderen gegenüber oft misstrauisch, neidisch und brutal. Deshalb ist es wichtig, dass ich mich durch die Liebe Gottes selbst annehmen kann. So werde ich befähigt, andere zu lieben.
Die Formulierung „Selbstliebe ist geboten“ halte ich jedoch für eine Übertreibung. Jesus hat mit dem Satz „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ und in der Zitierung dieses Satzes nicht gemeint, dass Selbstliebe geboten sei. Das ist eine moderne psychologische Überinterpretation, in die etwas hineingedeutet wird, was nicht da ist.
Vielmehr geht es hier eindeutig darum, dass man entweder auf sich selbst konzentriert ist und in sich selbst verliebt, oder für den anderen da ist. Die „Philautoi“, die sich selbst lieben, werden hier an der Spitze der schlimmsten Ausformungen der Gottlosigkeit genannt. Das muss man auch sehen: Es gibt nicht nur eine positive Linie, sondern auch eine negative Seite.
Die aktuelle Bedeutung der Begriffe und die Herausforderung des ethischen Humanismus
Ich möchte euch nur kurz daran erinnern, wie viele dieser Begriffe erst in den letzten hundert Jahren eine enorme Aktualität gewonnen haben. Sie halten viel von sich, seit Ludwig Feuerbach gesagt hat, dass wir den Gottesglauben wegnehmen müssen, damit endlich der Mensch zu seinem wahren Menschsein kommt. Der Mensch soll für den Menschen die Stelle Gottes einnehmen. Man soll das Gute nicht wegen eines göttlichen Polizisten tun, sondern das Gute um des Guten willen, um dem Menschen zu helfen. Das wäre anständig und sittlich. Seitdem ist das die eigentliche Weltanschauung des Abendlandes geworden.
Der schärfste Feind des Evangeliums ist heute nicht die Unmoral, sondern der ethische, atheistische Humanismus. Die stärksten Argumente gegen den Glauben an Gott und gegen Christus kommen heute von engagierten Leuten, die leidenschaftlich für das Gute eintreten. Sie sagen im Sinne von Karl Marx: „Mit der Kritik an der Religion fängt die Kritik aller Verhältnisse an.“ Nur wenn man Gott wegkriegt, wird man ernsthaft für das Gute und für mehr Gerechtigkeit etwas tun. Das heißt, die Leidenschaft für das Gute ist verbunden mit der leidenschaftlichen Ablehnung Gottes.
Das ist die unsere Zeit bestimmende, beherrschende Anschauung, das geistige Klima der letzten hundert Jahre. Es werden immer mehr Leute wie Arno Plak, Kolakowski oder Czesny – schon ein bisschen von gestern – die diese Position vertreten. Etwa in der Humanistischen Union denken sie diese Position sehr radikal und präzise zu Ende und praktizieren sie. Da liegen die größten Schwierigkeiten.
Um ein wenig abzuschweifen: Ich spüre, dass man niemandem so schwer das Evangelium sagen kann wie engagierten Leuten, die sich wirklich für politische, soziale und andere Fragen einsetzen. Es kommt ein neuer Geist der Selbstgerechtigkeit auf. Wir Friedenskämpfer, wir haben Recht, die anderen sind die „Schweine“! Wir Hausbesetzer, wir sind die Gerechten! Wir Alternativen, wir sind die eigentlichen Friedenskinder! Wir brauchen keine Vergebung, wir sind nicht verloren, wir sind die Kämpfer der Wahrheit!
Seit der Ablösung des selbstgerechten Spießbürgertums in Deutschland hat es keine stärkere Bastion der Selbstgerechtigkeit gegeben als in der modernen Bewegung der engagierten und alternativen jungen Leute. Das ist das Unheimliche.
Lassen Sie mich das einmal deutlich machen: Was die Pharisäer in der Sache wollten, nämlich den Willen Gottes im Alltag durchzusetzen, das war richtig. Aber sie benutzten dieses Engagement als Mittel der Selbstbehauptung gegen Gott: „Wir sind in Ordnung, wir sind keine Bettler, wir brauchen nicht so eine komische Vergebung, wir stehen nicht auf einer Stufe mit Spießern wie Zachäus und Konsumsklaven. Wir sind etwas anderes, wir verbitten uns diese Gleichmacherei.“ Dass sie ihre Anständigkeit zum Mittel ihrer Selbstgerechtigkeit machten, war die Sünde, wie Paulus sie begreift.
Nicht das Engagement für Frieden ist die Sünde – das ist Gottes Wille. Der leidenschaftliche Kampf für Gerechtigkeit in dieser Welt ist Gottes Wille. Der leidenschaftliche Kampf um eine gottgehorsame Verwaltung seiner Schöpfung, ein Widerstehen gegenüber der Zerstörung seiner Schöpfung, das ist Gottes Wille. Aber der Missbrauch dieses Kampfes als Mittel der Selbstgerechtigkeit, als stärkste Waffe gegen Jesus und gegen Gott, das ist die Perversion.
Der Satz „Die Gesunden brauchen keinen Arzt, sondern die Kranken“ muss heute in weiten Teilen traurigen Herzens in Gesprächen mit vielen jungen Leuten bestätigt werden. So viel Selbstgerechtigkeit und Anständigkeit hat es schon lange nicht mehr gegeben, so viel Überzeugung, dass wir in Ordnung sind. Interessanterweise ist dies sehr scharf gepaart mit der Ablehnung der anderen. Die Selbstgerechtigkeit lebt immer vom Kontrast zu anderen Menschen.
Weitere Charakterzüge: Geldgier, Prahlerei und Ungehorsam
Philautoi, sagt Paulus, nimm das zur Kenntnis: In der Zuspitzung der Geschichte gegen Gott wird sich diese Selbstliebe auf entsetzliche Weise ausprägen. Sie wird zur Lebenshaltung.
Dann kommen die Geldgierigen, die Philargyroi. Danach folgen die Prahler. Im Grunde ist das jetzt diese Überheblichkeit des Menschen, die es auch im alten Griechenland gab. Der Mensch ist das Maß aller Dinge – dieser Satz wurde schon zu Zeiten des Sokrates von den sogenannten Sophisten vertreten. Diese philosophische Richtung hat den Homomensura-Satz erfunden, also die Vorstellung, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei.
Dieser Gedanke hat zu verschiedenen Zeiten immer wieder Auferstehung gefeiert. Wir leben heute in einer Zeit, in der dieses Prahlerische, das sich selbst so hoch einschätzt, ganz übertrieben herauskommt. Ruhmsüchtig, hochmütig, verbunden mit Gotteslästerung.
Ja, das läuft doch, nicht? Keine kabarettistische Schau ohne Gotteslästerung. Paulus nennt das ganz schlicht: den Eltern ungehorsam. Das ist eine Zuspitzung der antigöttlichen Lebenssituation.
Das hat mich sehr bewegt, als mich vorgestern Abend ein Mädchen aus der Umgebung ansprach. Sie kam so gerne zu den Abenden. Ihre Eltern hatten ihr aber verboten, weiter in die Gruppe zu gehen, weil sie befürchteten, sie würde dort etwas „aufschnappen“. Sie legten eine Bremse drauf. Und dann fragte sie: „Was soll ich denn nun tun? Soll ich mich gegen meine Eltern durchsetzen und jeden Abend kommen? Was ist jetzt eigentlich meine Aufgabe? Wo ist der Punkt, an dem es heißt, man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen?“
Da, wo Eltern verbieten, in den Gottesdienst zu gehen, gilt: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Aber nicht bei jedem Nordmarkthallenabendtreff.
Ich glaube, sie hat dann verstanden, dass es jetzt für sie dran ist, ihren Glauben – ihren lebendigen, leidenschaftlichen Glauben und Gehorsam gegenüber Jesus – zu leben. Schweren Herzens, im Gehorsam gegenüber dem Gebot: Du sollst deine Eltern ehren.
Ich habe sie getröstet und ihr gesagt, ich bin überzeugt, ihre Eltern seien gar nicht so negativ eingestellt. Sie seien nur besorgt. Das muss man auch verstehen. Bei dem, was so alles an Jugendsekten herumläuft, kann man die Besorgnis verantwortlicher Eltern nachvollziehen.
Es gibt ja auch viele religiöse Wahnvorstellungen und idiotische Entwicklungen, sodass man die Besorgnis ernsthafter Eltern verstehen kann. In dem Maße, wie deine Eltern spüren, dass du auch dort, wo es unbequem wird, Gott gehorsam sein wirst, werden sie ein weiteres Herz bekommen, weniger Angst haben und dir vielleicht mehr Spielraum geben.
Und dann sagte sie spontan: „Das glaube ich auch.“
Wie weit ist das so ein Punkt? Wie sehr sind eigentlich junge Leute heute voll infiziert von dem, was alle denken? Es gehört ja zum Lebensgefühl einer ganzen Generation zu sagen: „Die Alten können mir mal am Kopf blasen.“
Paulus sagt: Den Eltern ungehorsam zu sein, ist ein Zeichen der Zuspitzung, der Zerstörung.
Undankbarkeit und ihre Folgen
Undankbar heißt das Nächste: undankbar. Hier sehe ich eines der zentralen Probleme unserer Überflussgesellschaft.
Wie kommt es, dass wir die Generation sind, die sich so viele Wünsche erfüllen kann wie keine Generation zuvor? Tatsächlich können heute alle relativ so viele Wünsche erfüllen wie nie zuvor. Trotzdem ist keine Entwicklung in Richtung eines Glücksgefühls spürbar. Stattdessen wird überall festgestellt, dass Überdruss und Unzufriedenheitsgefühle sich ausbreiten.
Abgesehen vom psychologischen Zusammenhang, über den man hier sprechen kann, gilt dieser geistliche: In dem Moment, in dem ich die Gaben ohne den Geber nehme, ersticke ich an den Gaben. Der Überfluss führt zum Überdruss. Dankbarkeit ist die Lebenshaltung, die den Umgang mit Reichtum bewältigt. Das ist gar nicht so einfach.
Paulus sagt: Ich kann Mangel haben und ich kann Überfluss haben durch den, der mich mächtig macht – Christus. Dies ist nachzulesen im Philippabrief.
Die Dankbarkeit, dass ich ganz konkret die Dinge, die ich genießen und gebrauchen darf, als gute Gaben Gottes annehme und ausdrücklich Danke sage, hilft beim richtigen Umgang mit den Gaben Gottes und mit der Schöpfung.
Eine Welt, die sich von Gott lossagt, ist geprägt von der Haltung der Undankbarkeit. Das ist für viele selbstverständlich: Wir haben auf alles ein Recht, sowieso ist alles unser. Wir brauchen für nichts Danke zu sagen.
Die Kehrseite ist, dass wir in jede Suppe spucken können und an allem herumnörgeln. Es ist furchtbar, wie nörglerisch Menschen sein können, wie blind sie werden für die Schönheiten. Wie sie nicht sensibel sind für das, was in Erlebnissen, im Essen und wer weiß wo sonst steckt – so wie verwöhnte kleine Kinder, die überall rumnörgeln.
Weitere negative Charakterzüge
Undankbar, gottlos, lieblos, unversöhnlich – ich kann nicht alles jetzt im Detail kommentieren.
Bei Luther steht an dieser Stelle „Leumdung“. Im Griechischen heißt es „Diabolos“, was „Teufel“ bedeutet. Dort steht, dass sie „Diabolei“ sind. Das heißt wörtlich „Verleumder“. Denn auch der „Durcheinanderwerfer“ bedeutet wörtlich „Verleumder“. Der Teufel ist der Verleumder des Menschen vor Gott.
Dann heißt es weiter: zuchtlos, disziplinlos, wild, kein Verhältnis zum Guten, Verräter, vorschnell. „Frevlo“ wird übersetzt mit vorschnell, übereilt. Luther übersetzt es mit „aufgeblasen“.
Jetzt heißt es, dass sie die Lüste mehr lieben als Gott, das Vergnügen. Im Griechischen ist es wörtlich so, dass sie dem Vergnügen mehr zugeneigt sind als Gott. Wieder eine ungewöhnliche Wortkonstruktion: „philedonoi“. Das sind jene, die das Vergnügen lieben, mehr Vergnügen liebend als Gottesfreunde.
Im Griechischen steht dort der Ausdruck „Gottesfreunde“. Sie leben lustorientiert. Gut ist, was Spaß macht. Es geht nicht mehr um Erkenntnis, Gott zu gefallen oder ihm zu gehören. Das große Vergnügen des Menschen ist die Freude.
Die Gefahr der Verführung und die Verblendung durch endloses Lernen
Nun, es gäbe noch eine ganze Menge zu sagen über die Leute, die solche Wühlarbeit leisten und sich besonders an die Frauen heranmachen, weil sie vermuten, dass diese einige Schwachpunkte haben. Man kann hier nicht im Einzelnen darauf eingehen, und vielleicht ist das auch nicht unser spezielles Problem.
In Vers 7 und Vers 8 stehen jedoch zwei Aussagen, die ich für äußerst entlarvend halte. Vers 7 sagt: „die immer da lernen und nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ Das ist doch Wahnsinn! Was bedeutet das eigentlich? Eine enorme Anstrengung im Studium, eine unglaubliche Wissensmehrung – und dennoch keine Erkenntnis der Wahrheit. Warum ist das so? Wie ist das gemeint?
Dieser Satz hat zwei Hintergründe. Der erste ist, dass sie die Mitte verloren haben. Deshalb können sie tausend Bruchstücke zusammentragen. Der eine betrachtet den Menschen unter medizinischem Gesichtspunkt, der andere unter soziologischem, der nächste unter psychologischem, wieder ein anderer unter anthropologischem oder ethnologischem Blickwinkel. Man kann den Menschen aus hundert Perspektiven sezieren, aber es fehlt die Mitte. So sieht man das Ganze nicht, man gewinnt keinen Durchblick und keine Erkenntnis der Wahrheit.
Wo der Herr und Schöpfer als die Mitte nicht mehr da ist und ich von ihm her denken kann, verliere ich den Überblick. Für diejenigen, die ein wenig Ahnung davon haben, was sich da abspielt, ist das eigentlich unsere Tragik. In den letzten hundert Jahren haben wir eine traumhafte Ausweitung der sogenannten Humanwissenschaften erlebt. Wir haben so viel im Detail über den Menschen gelernt. Doch heute ist die größte Frage immer noch: Wer ist der Mensch?
Auf der sogenannten Londoner Menschenmacherkonferenz der sechziger Jahre, bei der Biochemiker und Genetiker zusammensaßen und über die Möglichkeiten diskutierten, dass es bald fast möglich sein wird, künstlich einen Menschen zu züchten, und sogar ein Mensch-Tier-Wesen zur Verrichtung niederrangiger Arbeiten zu erzeugen, wurde eine überragende Frage zum Schluss gestellt: Wer ist der Mensch, der solche Instrumente in seiner Hand hält? Das ist die Frage nach dem Überleben. Wir wissen es nicht.
Wir können den Menschen aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachten und unter jedem etwas über ihn sagen. Aber wer er wirklich ist, bleibt uns rätselhaft. Wir sind ratloser und widersprüchlicher als je zuvor. Sie lernen immer mehr und kommen nicht zur Erkenntnis der Wahrheit – weil es keine Mitte und keine Ganzheit gibt.
Der zweite Gesichtspunkt ist, dass Paulus sagen will, sie theoretisieren dauernd, aber weil sie die Praxis ihres Lebens nie mit einbeziehen, gibt es keine Erkenntnis der Wahrheit. Hier sind wir die direkten Verwandten der Griechen. Die lebten nämlich genauso gespalten wie wir. Auf der Ebene des Geistes, der Gedanken, diskutierte man über Gott und die Wahrheit. Geld, Sexualität, Familie und Beruf hatten mit der Wahrheitsfindung im Grunde nichts zu tun. Die Wahrheit spielte sich im Bereich des Geistes ab. Der Körper war nur das Verächtliche, Stoffliche, eine Hinderung.
Man lebte bewusst gespalten. Man musste das Körperliche und Alltägliche möglichst weit draußen halten, wenn man im reinen Geistigen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen wollte. Paulus sagt: Diese Spaltung ist genau der Grund dafür, warum es keine Erkenntnis der Wahrheit gibt. Denn unser Denken ist in der Regel ein Rechtfertigungsdenken für unser praktisches Leben. Wir denken hinter unserem Leben nach, eher nachträglich.
Wenn ich in der Lüge lebe, kann ich nicht wahrhaftig denken. Wenn ich geldgierig lebe, sollte ich nicht so tun, als ob mein Denken davon unbeeinflusst wäre. Wenn ich hemmungslos habgierig und im Schmutz lebe, sollte ich nicht so tun, als könnte ich auf einer höheren geistigen Ebene zur Wahrheit kommen.
Und hier liegt auch die Entscheidung für uns Christen. Sind wir bereit, die Ganzheit des Menschen zur Kenntnis zu nehmen? Es gibt Klärung des Denkens nur unter Einbeziehung der Klärung des Lebens. Deshalb sagt uns die Bibel, dass es Erkenntnis Gottes nur dort gibt, wo Gehorsam ist, und dass dort, wo jemand ungehorsam ist, es keine Erkenntnis Gottes mehr gibt. Das ist der Punkt.
Sie studieren und studieren, kommen aber nie zur Erkenntnis der Wahrheit, weil sie in dieser Gespaltenheit leben.
Die Verhärtung des Gewissens und die Unfähigkeit zum Glauben
Und was noch schlimmer ist, ist Vers 8: Menschen mit zerrütteten Sinnen, untüchtig zum Glauben – da bin ich erschrocken. Gibt es das denn, dass jemand nicht glauben kann? Oft sagen die Leute: „Ich kann nicht glauben.“ Ist es wahr, dass es Voraussetzungen gibt, sodass einer nicht glauben kann?
Nein, Paulus meint nicht, dass es natürliche Voraussetzungen gibt, die es einem erlauben zu glauben, während ein anderer es nicht kann. Aber er meint sehr wohl – mit der ganzen Bibel –, dass die Ablehnung des Evangeliums eine Verhärtung und eine Zerstörung des Gewissens mit sich bringt. Das Gericht vollzieht sich schon darin, dass ich mich selbst zerstöre und immer unempfänglicher werde für das Evangelium.
Das ist das Schlimme: Das Hören des Evangeliums lässt den Menschen nie unverändert. Er öffnet sich ihm und wird dadurch geheilt. Oder er verschließt sich der Einladung Gottes und wird dadurch verhärtet. Das Gewissen wird zerstört. Und das meint Paulus.
In der Zuspitzung der Ablehnung des Gekreuzigten wird der Mensch in sich zerstört. Er wird festgelegt auf seine Ablehnung. Die Bibel nennt das „Verstockung“. Bald in Ägypten, im Zusammenhang mit dem Ausdruck Israels, wird eine solche schreckliche Verstockung als Vollzug des Gerichts deutlich.
Auch im Buch Jesaja erlebt Israel solche Dinge ganz schlimm: dass es Menschen gibt, die sich in ihrem Nein gegenüber Jesus selbst zerstören und den Empfangsteil für Gottes Wort zertrümmern. Dadurch werden sie unfähig und untüchtig zum Glauben.
Nun ist es Gottes Geist, der uns den Blick öffnen muss für die Wirklichkeit des Menschen. Aber der Geist Gottes bedient sich des Instruments der Schrift. Deshalb ist es wichtig, eine solche aktuelle Beschreibung der Wirklichkeit des Menschen vor Augen zu haben.
Nicht um verächtlich oder hochmütig über den Menschen zu reden, sondern, entzündet von der Liebe Gottes, mit nüchternen, hellen Augen diesem konkreten Menschen die Liebe Gottes weiterzusagen – und nicht irgendeiner Traumvorstellung vom Menschen.
Die Ermutigung für Timotheus im Chaos der Welt
Die letzten Minuten nutze ich jetzt, um den Schlussteil noch eben zu sagen: Was soll denn Timotheus in diesem Durcheinander von Irrlehre, in diesem Chaos der Welt tun? Wie kann denn so ein junger Mann, Anfang dreißig, der große Verantwortung für viele Gemeinden trägt, überhaupt durchstehen in diesem Chaos der Welt? Paulus sagt ja, es wird wahrscheinlich noch schlimmer. Das Motto lautet also nur getrost: Es kommt noch schlimmer.
Die Antwort steht in Vers 14: „Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und dir vertraut ist, da du ja weißt, von wem du gelernt hast.“ Und weil du von Kind an, also schon im Kleinkindalter, unterwiesen wurdest. Der jüdische Junge sollte vom fünften Lebensjahr an im Lesen der Schriften unterwiesen werden, so sagt die jüdische Tradition. Die waren da ganz schön streng, nicht wahr? Sie wurden nicht erst mit sechs, sondern schon mit fünf eingeschult. Mit dreizehn wurden sie dann in die Verpflichtung genommen, das Gesetz zu halten, aber mit fünf sollten sie schon lernen, die Schrift zu lesen.
So war das bei Timotheus: Seine jüdische Mutter, die Christin geworden war, hatte ihn von Kind an, vom Kindergarten- oder Vorschulalter an in der Schrift unterwiesen. Damit ist das gemeint, was wir das Alte Testament nennen. Paulus sagt: Das kann dir helfen, dass du das Ziel erreichst, die Rettung. Es rettet der Glaube, nicht die Bibelkenntnis. Aber das ist der Punkt, und den halte ich für ungeheuer wichtig für uns heute.
Paulus sagt, der Glaube an Jesus bekommt seine Stabilität, seine Orientierungsfestigkeit durch Bibelkenntnis. Dann sagt er: Du hast es gut, Timotheus, von Kind an hast du die Bibel beigebracht bekommen. Das ist jetzt ein Kapital, das nach deinem Glauben an Jesus aktiviert wird. Man spürt es doch bei Mitarbeitern, die zum lebendigen Glauben gekommen sind, wie das vielleicht bisher tote Kapital der biblischen Geschichten, die ihre Eltern ihnen erzählt haben, oder die Gewissensbildung an den Geboten Gottes, die ihre Eltern ihnen gegeben haben, plötzlich aktiviert wird. So werden sie zu Mitarbeitern, die stabiler sind.
Ich muss jetzt die trösten, die das in ihrem Elternhaus entbehren mussten. Ich weiß nicht, wie ihr euch selbst prüft. Wir hier kennen uns ja noch nicht so gut. In unserer Jugendarbeit entdecke ich, dass die absolute Mehrzahl der Mitarbeiter aus nichtchristlichen Familien kommt. Daraus folgt natürlich eine rapide und enorme Unkenntnis der Bibel. Viele fangen erst an, die Evangelien oder die Bibel zu lesen, wenn sie zum Glauben kommen. Und das braucht Zeit. Wenn man jeden Tag ein Kapitel oder ein halbes Kapitel liest, braucht man vier Jahre, um durch die ganze Bibel zu kommen. Das heißt, das Wissen ist oft noch gar nicht vorhanden.
Außerdem ist es harte Arbeit, sich durch die Bibel zu lesen. Manche lesen Zeit ihres Lebens immer nur so „Schokoladenstellen“ und lassen andere aus. Dann wundern wir uns, dass unser Christsein total emotionsorientiert ist. Aber nichts ist unbeständiger als Emotionen. Gefühle sind schön, wichtig und gehören zum Glauben und Leben dazu. Gott hat sie uns gegeben. Aber wenn die Gefühle zur Lokomotive werden und der Kompass in den Gefühlen eingebaut sein soll, dann geht es bergab.
Das ist das Problem junger Christen, und ich vermute auch mancher unter uns hat damit zu kämpfen. Paulus sagt: Stabilität gibt die Bibel, die Heilige Schrift kann dich unterweisen. Vers 15 spricht von der Rettung, der Seligkeit, also der endgültigen Rettung, wenn Jesus uns in seine Herrlichkeit aufnimmt. Das ist gemeint durch den Glauben an Christus Jesus. Gerettet werden wir durch das Vertrauen zu Jesus, aber dieser Glaube bekommt Stabilität, Zielklarheit und innere Orientierungsfestigkeit durch das Studium der Heiligen Schrift.
Denn in Vers 16 und 17 heißt es: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben.“ Theopneustos, von Gottes Geist durchdrungen gegeben. Diese Schrift ist nützlich zur Lehre, damit man die Augen geöffnet bekommt zur Überführung von Schuld. Das Lesen der Bibel deckt in meinem Leben die Schuld auf! Man darf sich nie nur auf seine Gefühle verlassen. Unsere Gefühle sind manipulierbar. Wenn du etwas tust und dich dabei gut fühlst, sagt das nichts darüber aus, ob die Sache gut ist. Das kann an deinem verbogenen oder fehlgeleiteten Gewissen liegen.
Die Bibel setzt klare Maßstäbe. Diese Maßstäbe stehen außerhalb von uns, sonst wären es keine Maßstäbe. Durch das Lesen der Bibel werden wir überführt, was Schuld ist und wo wir falsch leben. Deshalb sagt Paulus zu Timotheus: Wenn du dich orientieren willst, dann durch das Lesen der Heiligen Schrift. Sie führt zur Aufdeckung der Schuld und zur Besserung, gemeint ist hier die Wiederaufrichtung oder Wiederausrichtung des Lebens. Es ist nicht schrecklich moralinsauer gemeint, wie eine Besserungsanstalt, sondern dass ein zusammengeknackter, gestrauchelter oder gescheiterter Mensch wieder aufgerichtet wird auf das Ziel Jesu.
Weiter führt Paulus aus: Die Schrift dient auch zur Erziehung zur Gerechtigkeit. Von Natur aus verwechseln wir Gerechtigkeit oft mit dem Recht, das wir haben. Wir kämpfen von Natur aus für Gerechtigkeit, solange das unseren Vorteil bringt. Aber wenn das Recht des Anderen zu unserem Nachteil wird, haben wir oft ein distanziertes Verhältnis dazu. Deshalb brauchen wir Erziehung in Sachen Gerechtigkeit, die uns die Bibel geben kann.
Das Ziel ist, dass ein Mensch Gottes vollkommen zu allen guten Werken sei, gut ausgerüstet und geschickt durch das Bibellesen. Paulus sagt nicht, dass Timotheus die Bibel liest, weil sie spannender als ein Krimi oder unterhaltsamer als Dalidali ist. Nirgendwo wird bestritten, dass die Bibel manchmal ein strapaziöses Buch ist. Aber wer als Christ zum Ziel kommen will, stabile Orientierung in seinem Glauben haben möchte und nicht untergehen will, der braucht die Bibel.
Gott hat uns sein Wort schwarz auf weiß gegeben, dokumentarisch! Das ist eine Barmherzigkeit. Theopneustos, von Gottes Geist eingegeben, sagt Paulus, ist die Schrift. Bei jedem Blatt der Bibel haben wir es mit Gott selbst zu tun. Das ist die Stärke der Bibel: Wir sind nicht mit diesem Buch allein. Er ist der Autor und hat Menschen gebraucht. Die Bibel sagt uns kaum etwas über das Wie der Inspiration. Manche haben sich da ihre Gehirnwindungen ausgekugelt bei dem Versuch, wie die Inspiration zustande gekommen sein mag.
In der Bibel sehen wir, dass Gott ganz verschiedene Wege gebraucht: Propheten, Geschichtsschreiber, Psalmbeter, Evangelisten, Briefschreiber und so weiter. Ganz verschiedene Wege also. Sammler wie Lukas zum Beispiel, der sagt, andere haben schon geschrieben, ich habe es alles zusammengepackt und in gute Ordnung gebracht – so wie er in Lukas 1,1-4 schreibt. Er war sozusagen Redakteur und hat nicht so sehr selbst geschrieben, sondern mehr Redaktionsarbeit geleistet.
Gott hat sehr verschiedene Wege der Inspiration gebraucht. Das Wie der Inspiration wird in der Bibel nicht eindeutig festgelegt. Das unterscheidet die biblische Inspirationslehre von der der Mohammedaner. Aber dass dieses Wort Gottes Wort ist, von ihm und seinem Geist eingegeben, gilt sowohl für die Autoren der biblischen Bücher als auch für die Leser. Wenn wir dieses Buch in die Hand nehmen, hat es Würde. Ich habe es immer, wenn ich die Bibel aufschlage und lese, mit Gott persönlich zu tun.
Schlussgebet
Jetzt beten wir. Herr, ich danke dir, dass du uns nicht im Unklaren lässt. Du hast uns dein Wort geschenkt und dich so tief herabgelassen, dass es in menschlicher Form lesbar und verständlich ist. So redest du in unsere Nöte, in unsere Fragen und in unsere Verwirrung hinein.
Wecke in uns allezeit einen Hunger nach deinem Wort. Schaffe in uns eine tiefe Ehrfurcht vor der Heiligkeit deines Wortes! Amen!