Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 626: Der Pharisäer und der Zöllner, Teil 3
Reflexion über das eigene Gebetsleben und Vertrauen
Ein letzter Blick auf das Gleichnis, das Jesus zu den Selbstgerechten seiner Zeit spricht. Ich hatte bereits gesagt, dass es sich lohnt, das eigene Gebetsleben zu betrachten. Wofür bete ich, und wofür bete ich nicht? Was feiere ich, und was beziehungsweise wen verachte ich? Das sind Fragen, denen es sich wirklich lohnt, nachzugehen.
Eine weitere Frage, die sich aus dem Gleichnis ergibt, lautet: Auf wen vertraue ich? Natürlich würden wir sofort sagen, auf Gott – worauf denn sonst? Aber ist das wirklich wahr? Ich stelle diese Frage so deutlich, weil auch jeder Pharisäer genauso geantwortet hätte. Kein selbstgerechter Religionsanhänger würde zugeben, dass er im Grunde seines Herzens nicht auf Gott, sondern auf sich und seine Leistung vertraut.
Und doch tut er genau das: Er vertraut auf sich selbst und denkt, dass seine Art, mit Gott und für Gott zu leben, ihn gerecht macht und damit rettet.
Die Gefahr der Selbstgerechtigkeit und ihre Folgen
Schauen wir uns dieses Denken noch etwas genauer an. Selbstgerechtigkeit ist im Grunde der Versuch, Gott zu zähmen. Selbstbezogene Religiosität baut ein System auf, in dem Gott berechenbar und kontrollierbar wird.
Selbstgerechtigkeit bedeutet den Versuch des Menschen, durch eigene moralische, gesetzliche oder kultische Leistungen Gottes Anerkennung zu erzwingen. Was heißt das konkret? Ganz einfach: Gerechtigkeit wird zum Verdienst, zu etwas, das mir zusteht und das deshalb nicht mehr aus Gnade kommt.
Genau hier liegt das Problem vieler Israeliten. Paulus kann folgerichtig schreiben: „Denn ich gebe Ihnen Zeugnis, dass Sie Eifer für Gott haben, aber nicht mit rechter Erkenntnis; denn da Sie Gottes Gerechtigkeit nicht erkannten und Ihre eigene aufzurichten trachteten, haben Sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen“ (Römer 10,2-3).
Ich muss mich zwischen meiner Gerechtigkeit und Gottes Gerechtigkeit entscheiden. Will ich Gott mit meiner Leistung beeindrucken oder will ich aus Glauben leben und mich mit seiner Gerechtigkeit beschenken lassen? Will ich meine eigene Gerechtigkeit oder die durch den Glauben an Christus?
Lebe ich fromm, weil ich Gott vertraue, ihn liebe und ihm aus Dankbarkeit sowie einer ordentlichen Portion Weisheit folge? Oder lebe ich fromm, weil tief in mir der Wunsch steckt, Gott zu manipulieren?
Die verborgene Gefahr in der eigenen Haltung
Und wiederum muss uns klar sein, dass man eine solche Haltung nicht einfach zugibt. Solche Gedanken können sich gut tarnen und sich sehr geschickt hinter der frommen Fassade dessen verstecken, der viel in der Gemeinde dient.
Wenn ich das so sage, denke ich an alte Weggefährten, die heute nicht mehr mit Gott leben. Natürlich schaue ich ihnen nicht ins Herz, aber ich frage mich oft im Gebet, was sie an Gott hat verzweifeln lassen.
Ich frage mich, warum aus Leidenschaft und Hingabe für das Reich Gottes Passivität und Misstrauen geworden sind. Da ist etwas verloren gegangen, und ich frage mich, was das ist.
Ich frage mich das allein schon deshalb, weil ich mich nicht selbst betrügen möchte. Ich möchte nicht denken, dass ich es schon richtig mache, nur um dann ganz am Ende von Gott zu hören, dass ich kein Stück besser, sondern nur etwas disziplinierter in meiner Ignoranz war.
Die Illusion der Berechenbarkeit Gottes
Selbstgerechtigkeit macht Gott zu einer Rechenmaschine. Wenn ich X tue, dann muss Gott Y tun. Dabei wird die Heiligkeit Gottes durch Berechenbarkeit ersetzt. Die Freiheit und Souveränität Gottes treten zurück zugunsten eines Gottesbildes, das dem Menschen vermeintlich Sicherheit gibt.
Doch Vorsicht: Das geschieht auf Kosten der Wahrheit. Nicht mehr Gott ist dann der Herr, sondern der Mensch definiert die Bedingungen. Praktisch ist das Götzendienst. Man betet ein Gottesbild an, das man selbst erschaffen hat, um es durch die eigene Leistung zu beeindrucken und zu kontrollieren.
Persönliche Erfahrungen mit der Herausforderung des Vertrauens
Wie gefährlich nahe ein solches Denken sein kann, erfahre ich gerade heute. Über Nacht bin ich krank geworden. Die Erkältung hatte sich gestern schon etwas angedeutet, und natürlich habe ich dafür gebetet, dass sie nicht ausbricht.
Aktuell habe ich so viel Arbeit auf dem Tisch, dass ich selbst im gesunden Zustand schon von der schieren Menge und Komplexität überfordert bin. Und nun werde ich auch noch krank.
Da stellt sich natürlich die Frage: Warum kann Gott mir das nicht ersparen? Habe ich nicht das ganze Wochenende auf einer Gemeindefreizeit für ihn verbracht, in quietschenden Betten geschlafen und bis spät in die Nacht Fragen beantwortet? Kann ich nicht erwarten, dass er sich um Viren kümmert, wenn ich mich um sein Reich kümmere?
Ich hoffe, der Gedanke wird verständlich, wenn wir nicht aufpassen – und ich spreche hier ganz explizit die Christen an, die sich reinhängen und Jesus nachfolgen, die Heiligung ernst nehmen und Gemeinde bauen. Wenn wir nicht aufpassen, schleicht sich ganz schnell die Idee ein, Gott müsste nach unserer Pfeife tanzen oder unsere Erwartungen erfüllen. Doch das muss er natürlich nicht.
Er ist Gott, und ich bin es nicht. Er hat den Überblick, ich nicht. Er weiß, warum es für mich gut, wichtig oder sinnvoll ist, heute krank zu sein. Ich weiß das nicht.
Es tut mir gut, im Angesicht meiner Erkältung darüber nachzudenken, warum ich trotz Kaffee ein wenig frustriert und dünnhäutig bin, statt einfach auf Gott zu harren, ihm zu vertrauen und fröhlich in meinen Tag hineinzustarten.
Die Herausforderung, die eigene Leistung loszulassen
Warum reicht es mir nicht, treu zu sein und im Rahmen meiner Kraft Gott zu dienen? Warum muss es genau mein Pensum sein? Warum darf Gott mich nicht ausbremsen? Kann es sein, dass ich mich mehr an meiner Leistung, also an den erledigten To-dos, freue als an dem Herrn Jesus?
Was geht da in mir vor? Das sind Fragen, die mir durch den Kopf schießen, wenn ich merke, wie schwer es mir fällt, mein Kranksein im Angesicht eines überbordenden Terminkalenders anzunehmen.
Wenn ich nicht aufpasse, gibt es da in mir einen ganz kleinen Teil, der Gott einen Vorwurf macht. „Gott, siehst du nicht, wie ich mich reinhänge? Ist es da zu viel verlangt, dass du mich gesund erhältst?“ Merkt ihr, da haben wir ihn: den Wunsch, Gott durch Leistung zu kontrollieren.
Im frommen Gewand des hingegebenen Bibellehrers, der morgens seinen Podcast schreibt und sich selbst zu wichtig nimmt.
Die Weisheit des Gleichnisses und Gottes Urteil
Lukas 18,14: Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer aber sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Der Zöllner schlägt sich an die Brust und bekennt seine Sündhaftigkeit und Unwürdigkeit: „Gott, sei mir dem Sünder gnädig.“ Er macht sich klein und begibt sich bewusst in die Abhängigkeit. Ein solches Verhalten ist klug, weil es der Realität entspricht und weil Gott die Wahrheit ehrt.
Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Das Gegenteil gilt ebenfalls: Jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.
Immer dann, wenn ich denke, dass Gott mir etwas schuldig ist oder dass ich besser als andere bin, sollte ich vorsichtig sein. Auch wenn ich glaube, dass ein Leben aus Gnade nur für solche Christen gilt, die weniger leisten, ist Vorsicht geboten. Wenn sich solche Gedanken einschleichen, gilt: Jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.
Gott weiß um jeden Anflug von Hochmut und Selbstgerechtigkeit, und er wird uns damit nicht durchkommen lassen. Jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.
Einladung zur Besinnung und zum Gebet
Was könntest du jetzt tun? Denke über Gottes Souveränität nach. Wie leicht fällt es dir, auch unangenehme Tage aus seiner Hand zu nehmen?
Das war es für heute. Überarbeite doch mal wieder deine Gebetsanliegen für Politiker und bete für sie.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.