Einführung in das Thema der Gesinnung Christi
Wir sind wieder im Philipperbrief, Kapitel 2, und waren dort bei Vers 6 angelangt. Um den Zusammenhang zu verstehen, lese ich die Verse 5 bis 11 vor.
In diesem Abschnitt beschreibt Paulus das Opfer Jesu und zeigt uns als Christen, wie wir gesinnt sein sollen. Er sagt, dass wir so gesinnt sein sollen wie Jesus. Dabei geht es besonders darum, sein Leben als Opfer darzubringen und sich nicht an die erste Stelle zu setzen, sondern sich zurückzustellen. Man könnte sagen, es ist eine generelle Aufforderung zur Demut. Jesus war demütig und selbstlos, und wir sollen es ihm gleich tun.
Das ist der Grundgedanke. Bereits in den Versen 1 bis 4 fordert Paulus die Gemeinde auf, nicht in Zwietracht, sondern in Eintracht zu leben. Dort heißt es auch, dass man den anderen höher achten soll als sich selbst. Diese Aufforderung findet sich auch hier wieder, zusammen mit dem Beispiel Jesu, das uns vor Augen gemalt wird.
Philipper 2,5-11 lautet:
"So seid nun unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Jesus Christus entspricht:
Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, gottgleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und in der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesus sich beugen sollen alle Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist zur Ehre Gottes, des Vaters."
Wir haben uns gestern auch die Verse 5 und 6 angeschaut. Erstens sollen wir gesinnt sein wie Jesus. Zweitens soll das unserer Stellung als Christen entsprechen. Dann wird betont, dass Jesus Gott ist.
Ich habe darauf hingewiesen, dass für „Gestalt“ verschiedene Begriffe verwendet werden, nämlich „Morphe“ und „Schema“. Der Begriff „Morphe“ bezeichnet den unveräußerlichen Charakter einer Person, also das, was jemand im tiefsten Wesen ist. „Schema“ hingegen meint das Äußere.
Ich habe es mit dem Menschen verglichen, der als Persönlichkeit immer derselbe ist – als Junge und als Alter. Dieses Ich, das wir kennen, bleibt gleich, verändert sich aber in der äußeren Form. Wir sehen anders aus, je nachdem, in welcher Lebenslage wir uns befinden.
Hier wird gesagt, dass Jesus diese göttliche Morphe, also das göttliche Wesen, besitzt. Das ist ihm unveräußerlich, auch als er auf der Erde lebt.
Gestern habe ich noch darauf hingewiesen, dass er sich nicht auf diese göttliche Gestalt beruft, sondern sich selbst entäußert. Diese Erkenntnis ist für uns ebenfalls wichtig: Jesus ist ganz Mensch und ganz Gott.
Ich habe betont, dass wenn wir die Göttlichkeit Jesu fallen lassen, wir zwar einen Menschen haben, der uns nahesteht, aber letztlich einen ohnmächtigen Menschen, der nicht mehr kann als wir, weil er nur Mensch ist.
Wenn wir Jesus dagegen nur als Gott erkennen, fehlt gerade diese Nähe, diese Liebe, diese Entäußerung und Demut, die Jesus gezeigt hat. Dann entsteht manchmal der Eindruck, Gott sei weit entfernt, verstehe uns nicht und schwebe irgendwo kilometerweit über uns.
Wir brauchen beides: Wir müssen erkennen, dass Jesus ganz Mensch und ganz Gott ist. Paulus beginnt hier damit, indem er die Göttlichkeit Jesu betont.
„Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, gottgleich zu sein.“
Das mit dem „Raub“ habe ich gestern schon erklärt. Ich sagte, dieses Wort kann man nicht nur als „Raub“ übersetzen, sondern auch als „an sich reißen“, „rasch ergreifen“. Es hat also mehrere Bedeutungen.
Wir haben überlegt, was das in diesem Zusammenhang bedeuten kann. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Jesus es nicht nötig hatte, danach zu streben. Er wusste, dass er es sowieso ist. Er war sich dessen sicher und hat es sich nicht unrechtmäßig angeeignet.
Aber wir merken, dass es für ihn nicht wichtig war. Seine Liebe zu den Menschen war größer, und deshalb wurde er selbst Mensch.
Die Selbstentäusserung Jesu als Weihnachtsbotschaft
Das ist dann Vers 7, da wollen wir jetzt weitermachen. Wir könnten sagen, Vers 7 ist eine Kurzzusammenfassung der Weihnachtsgeschichte. Wenn ihr also schon einmal darüber nachdenkt, welchen Bibeltext ihr für Weihnachten benutzen könnt, zum Beispiel für eine Predigt, dann wäre das auch einer. Ein Text, auf den man sonst vielleicht nicht so häufig trifft.
Denn hier steht: „Sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.“ Das beschreibt genau das, was zu Weihnachten passiert. Gott aus dem Himmel, Jesus, der beim Vater lebt, entäußerte sich selbst und nahm menschliche Gestalt an. Zuerst die eines kleinen Babys, das auch äußerlich so erkannt wurde.
Entäußerte heißt, er stellt seine eigenen Interessen zurück. Er gibt einen Teil seines Vorteils auf, mit dem er lebt – natürlich erst einmal die himmlische Herrlichkeit. Wir können uns kaum vorstellen, wie das ist, noch viel besser als ein Urlaub im Himmel. In der ewigen Gegenwart Gottes gibt es keine Schmerzen, keinen Hunger, keine Müdigkeit, keine anderen Menschen, die einen ärgern – einfach alles super im Himmel. Und da stellt er seine eigenen Interessen zurück, um sich uns Menschen gleichzustellen und uns aus unserer Situation zu helfen.
Hier merken wir: Da steht ja auch wieder „Ihr seid so gesinnt, wie Jesus gesinnt war.“ Also auch hier die Herausforderung: Gib einmal etwas von deiner eigenen Bequemlichkeit auf, von deinem eigenen Vorteil. Darin kann sich die Liebe zu den Menschen zeigen, die du vorgibst zu lieben – die Ungläubigen oder auch die Gläubigen in der Gemeinde. Wenn wir uns für sie einsetzen.
Also: „Sondern entäußerte sich selbst.“ Das heißt, wenn er jetzt Mensch geworden ist, dann bedeutet das nicht, dass er sündig geworden ist. Da ist sicherlich ein Unterschied. Er ist äußerlich ungleich geworden. Deshalb steht auch, dass er von der Erscheinung her als Mensch erkannt wurde.
Das spezielle Wort, das hier verwendet wird, meint nicht den Zustand, sondern das, was man äußerlich sieht. Hier wird auch noch „Erscheinung“ erwähnt, genau dieser Begriff „Erscheinung“. Das ist das andere Wort, das ich erwähnt habe, im Gegensatz zu „Gestalt“. „Gestalt“ ist das Ewige, das übersetzt wird mit „Morphä“. Hier ist der Begriff „Schema“ gemeint. Das heißt, dem äußeren Anschein nach sieht er ganz wie ein Mensch aus. Die Form, die er vorübergehend angenommen hat, ist so.
Mit „vorübergehend“ meine ich nicht wie ein Theaterstück, sondern so, wie ihr im Moment ausseht. Das ist eine vorübergehende Form. In zehn Jahren seht ihr auch anders aus, und vor zehn Jahren habt ihr auch anders ausgesehen. Das ist ein Teil unserer Persönlichkeit, aber der verändert sich ständig. Und genauso war es für Gott eine Phase, jetzt als Mensch hier auf der Erde zu leben. Das war ganz ernst, aber es war nicht der dauerhafte Persönlichkeitskern, der da ist.
Also wird hier von diesem „Schema“ gesprochen, dieser veränderlichen Gestalt. Sie war für die Zeit, als er hier auf der Erde gewesen war, vollkommen menschlich.
Übrigens auch der Begriff „entäußern“, den ich jetzt versucht habe, etwas zu deuten – also sich selbst aufzugeben. Dieser Begriff wurde häufig gebraucht. „Kenun“ ist der griechische Begriff dafür, für „entleeren“, ein Gefäß bis auf den Grund ausschütten. Damit soll gesagt werden: Er hat alles abgegeben, alles weggegeben. Er hat nicht nur eine eiserne Reserve für sich behalten, vom Himmel aus. Also, wenn es ihm mal zu viel wird, dann geht er in den Himmel und ruht sich dort aus – so ist es nicht.
Sondern er hat alles weggegeben, um es ganz ernst zu machen mit dem Menschsein. Wie gesagt, in seinem inneren Wesen ist er ja immer noch Gott. Aber all die äußeren Annehmlichkeiten und Vorteile hat Jesus dafür fallen lassen.
Die Notwendigkeit der Menschwerdung und ihre Bedeutung
Das stellt für uns eine Herausforderung dar. Warum hat Gott das getan? Man könnte sagen, er hätte auch einen anderen Weg zur Erlösung wählen können. Er hätte nicht Mensch werden müssen, sondern hätte in seiner Ewigkeit bleiben können. Manchmal stellen Menschen auch genau diese Frage.
Ich habe darauf hingewiesen, dass nur im christlichen Glauben ein solcher Weg gegangen wird. Andere Religionen wie der Islam, Hinduismus, Buddhismus oder Schamanismus kennen so etwas in dieser Form nicht.
Ich möchte auch kurz eine Frage an euch richten: Warum war es nötig, dass Gott seine Herrlichkeit verlassen hat und auf die Erde gekommen ist? Warum hat er sich entäußert, also seine ganze Göttlichkeit beziehungsweise die göttlichen Vorteile, die er im Himmel hatte, fallenlassen? Warum war das notwendig? Und warum ist es offenbar nicht möglich, dass Gott das direkt im Himmel macht?
Ich provoziere jetzt einfach mal und frage nach. Wenn Gott das nur vom Himmel aus machen würde, dann bliebe immer eine gewisse Distanz. Man hätte den Eindruck, dass er einen in der eigenen Situation gar nicht verstehen kann. Da ist man als einfacher Mensch mit Zweifeln. Man denkt: Gott im Himmel hat ja keine Zweifel.
Oder man ärgert sich über die eigenen Kinder, Arbeitskollegen oder Ehepartner und sagt dann: Das hat Gott ja nie erlebt. Er war ja nie so. Im Himmel ist ja alles vollkommen.
Um den Menschen richtig verstehen zu können und ihm nahezukommen, ist es für uns verständlich, dass Gott Mensch wurde. Das ist so ähnlich, als wenn du in einer stressigen Arbeitssituation bist. Manchmal sind Lehrer zum Beispiel im Stress. Dann kommt vielleicht jemand und sagt: Lehrer haben es doch gut, sie haben ein halbes Jahr Urlaub, arbeiten jeden Tag nur die Hälfte der Zeit, müssen nichts tun und erzählen jedes Jahr dasselbe. Lehrer sein ist ja ein total cooler Job.
Dann würden wir wahrscheinlich sagen: Der versteht mich gar nicht. Vielleicht war derjenige, der so etwas sagt, nie selbst Lehrer.
Man merkt den Unterschied: Wenn jemand nicht in unseren Fußstapfen steht, wenn er nicht das erlebt hat, was wir erlebt haben, dann erscheint uns sein Urteil oft hohl und leer.
Oder man besucht jemanden im Krankenhaus, der schwer krebskrank ist und unter Schmerzen leidet. Wenn man dann frisch, glücklich und gebräunt hereinkommt und sagt: „Nimm es nicht so schwer, das ist alles nicht so schlimm, das geht auch vorüber, die himmlische Herrlichkeit wartet auf dich“, dann wirkt dieser Trost nicht glaubwürdig bei dem, der sich im Bett windet.
Anders ist es, wenn der Kranke weiß, dass derjenige, der ihm Trost spendet, selbst ähnliche Situationen durchlebt hat. Dann wirkt das ganz anders. Man würde auch nicht so oberflächlich reden.
Hier zeigt sich ein möglicher Grund, warum Gott Mensch geworden ist – zunächst unabhängig von der Erlösung, auf die wir noch zu sprechen kommen. Er will uns nachkommen, uns verstehen und uns das Gefühl geben, verstanden zu werden. Wir nehmen es als glaubwürdig wahr, wenn jemand spricht, der auch Höhen und Tiefen des Lebens durchlebt hat.
Das wäre sicherlich einer der Gründe. Tatsächlich sind die Götter anderer Religionen viel distanzierter. Sie sind weit entfernt und haben mit unserem normalen Leben kaum etwas zu tun. Sie erscheinen vielleicht irgendwann mal zum Spaß und gehen dann wieder weg. Aber das ist nicht wirklich das Leben, das wir erleben.
Das wäre sicherlich ein Grund.
Der tiefere Grund dahinter ist die Liebe. Gott tut das aus Liebe. Weil er uns so sehr liebt, will er uns zeigen: „Ich verstehe dich, ich gehe dir nach, ich will miterleben, was du in deinem Alltag erfährst.“
Die Erlösung und das Opfer Jesu im Kontext von Schuld und Sühne
Eben das ist natürlich Adam, und dann wird Jesus als zweiter Adam bezeichnet, wie es im Römerbrief heißt. Er ist der zweite Adam, der für uns stirbt. Offenbar war es im Heilplan aus bestimmten Gründen notwendig, dass jemand das rückgängig macht, was Adam und Eva angerichtet haben. Scheinbar ist das so.
Hier kommen wir nun zur Frage der Erlösung. Die Bibel sagt uns, dass scheinbar jede Strafe bezahlt werden muss. Das ist ein Grundprinzip der Bibel: Schuld muss ausgelöst werden, wie man es auch nennen kann – Strafe. Dieses Prinzip kennen wir auch aus unserem Alltagsleben. Die gesamte Rechtsprechung basiert darauf. Wenn du etwas Böses tust, muss ein Ausgleich geschaffen werden. Das kann eine Geldstrafe sein, Gefängnis, Sozialdienst oder Ähnliches. Es muss also einen Ausgleich zwischen Gut und Böse geben.
Wir wissen alle, dass wir als Menschen keinen Ausgleich für das schaffen können, was wir Böses getan haben. Denn das Böse, das wir tun, kann nicht durch ein paar gute Taten aufgewogen werden. Es müsste etwas Größeres dazukommen.
Ein einfaches Beispiel, das uns allen geläufig ist und aus dem Alltag stammt: Wenn du im Straßenverkehr etwas falsch gemacht hast, zum Beispiel zu schnell gefahren bist, und du bist vielleicht sogar im Ausland, wo du die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht genau kennst. Plötzlich hält dich ein Carabinieri in Italien an und sagt, du sollst anhalten und Geld bezahlen.
Du könntest ihm dann sagen, dass du in Deutschland noch nie Punkte hattest und dich immer an die Geschwindigkeitsbegrenzungen gehalten hast. Was wird er dir sagen? Wahrscheinlich: „Okay, in Deutschland bist du die ganze Zeit gut gefahren, dann lassen wir das hier mal durchgehen.“ So ähnlich denken manche Menschen. Sie meinen, das würde sich aufwiegen. Zum Beispiel: zehnmal an der roten Ampel stehen geblieben, einmal durchgefahren, das gleicht sich aus.
Doch es ist seltsam, dass unsere Rechtsprechung und die Polizisten diese Überzeugung nicht teilen. Im täglichen Leben sind wir auch nicht glücklich, wenn jemand seinem Ehepartner sagt: „Zehn Jahre war ich sehr treu, ein Jahr habe ich meine Freunde nebenher gehabt, das gleicht sich doch aus.“ Der Ehepartner würde wahrscheinlich sagen: „Nein, so ist das nicht.“ Denn Treue ist ein lebenslanger Schwur und das Selbstverständliche, das Normale.
Das bedeutet, es müsste etwas darüber hinaus geschaffen werden, das Schuld vergibt und entschuldet. Die Bibel sagt, dass eine Schuld bezahlt werden muss. Das wäre durch den Tod möglich. Aber wenn wir tot sind, haben wir von der Erlösung nichts mehr, und dann haben wir eben die Strafe erlitten.
Jetzt kommt Jesus an diese Stelle. Wenn Jesus nur Mensch wäre, könnte er nur für eine Sünde eines Menschen sterben – einer für einen. Als normaler Mensch wäre er nicht mehr wert als andere Menschen. Doch hier kommt etwas Besonderes zusammen: Er ist gleichzeitig Gott. Als Gott ist er unendlich wertvoll.
Das Opfer, das er bringt – sein Leben –, ist deshalb gültig für uns alle, wenn wir darauf vertrauen und es in Anspruch nehmen. Das ist der Hintergrund, warum das so sein musste, nach dieser Auffassung. Darüber hinaus will sich Gott uns gegenüber auch optimal verständlich machen.
Die Einzigartigkeit der Menschwerdung und Gottes direkte Begegnung mit uns
Wir könnten uns überlegen: Wenn ich jetzt Gott wäre oder wenn ihr Gott wärt und ihr hättet gerade die Welt geschaffen, wie würdet ihr Kontakt aufnehmen mit den Menschen? Ihr wollt ihnen sagen, was sie tun sollen. Welche Möglichkeiten gäbe es dafür?
Eine Idee wäre, einen Brief zu schreiben, der irgendwann vom Himmel fällt, damit die Menschen ihn lesen können. Die richtige Sprache zu treffen wäre kein Problem, denn wir sind ja Gott und könnten das alles. Das wäre eine Möglichkeit, und genau das finden wir auch – das ist das, was wir als Bibel kennen. Zwar fällt sie nicht direkt vom Himmel, aber Gott gibt den Menschen seine Botschaft, indem er mit ihnen redet.
Es gibt ähnliche Vorstellungen in anderen Religionen, zum Beispiel im Koran. Muslime behaupten zeitweise, der Koran stünde im Original im Himmel und sei irgendwann heruntergefallen. Zumindest ist das ähnlich. Auch in anderen Religionen wird beschrieben, dass Gott ein Medium zur Mitteilung nutzt. Für die Menschen gibt es entweder ein Buch, einen Brief oder es wird gesagt, dass Gott sich direkt mitteilt, indem er Menschen anspricht – durch Auditionen, Visionen oder Ähnliches.
Fast alle Religionen kennen Propheten, erfüllte Männer und Frauen, die von Gott angesprochen werden und seine Botschaft weitergeben. Das sind zwei Wege, die Gott wählen könnte: Entweder er schreibt durch Menschen oder spricht durch Menschen. Diese Wege finden sich in allen Religionen, auch in der Bibel.
Welche Nachteile haben diese Arten der Vermittlung? Das Problem ist, dass immer eine Vermittlung dazwischensteht, eine Zwischenposition. Es ist nicht direkt. Man könnte immer zweifeln: Ist das wirklich so? Redet die Person vielleicht nur, weil sie wahnsinnig ist oder sich etwas einbildet? Wir begegnen dadurch nicht Gott selbst, sondern nur der Vermittlung Gottes.
Das ist ungefähr so, als hätte ich eine Freundin und schicke dir eine Nachricht durch eine andere Person. Das ist nicht dasselbe, wie wenn du die Freundin selbst kennenlernst. So wäre es auch hier: Es ist immer vermittelt.
In der nächsten Stufe gibt es noch viele andere Möglichkeiten. Worauf ich hinauswill: Das Einzigartige und Besondere der Bibel ist, was ich schon gesagt habe – dass Gott Mensch wird. Das ist der Höhepunkt, wenn Gott einem Menschen nahekommt.
Man könnte sagen: Gott spricht mit einer Stimme vom Himmel jeden Einzelnen von uns an. Ich persönlich glaube, dass das nicht einmal das Optimum wäre. Vergleichen wir das mit zwischenmenschlichen Beziehungen: Wenn du jemanden kennenlernen willst und er lädt dich zu sich nach Hause ein, aber anstatt die Person zu treffen, hörst du nur eine Lautsprecherstimme von der Decke, ist das zwar originell, aber nicht dasselbe, als wenn du die Person selbst kennenlernst.
Wenn ich heute Abend irgendwo eine Stimme höre – zum Beispiel beim Gehen zum Mittagessen – und die sagt: „Du sollst zur Bibelschule Brake gehen“, dann würde ich an eurer Stelle wohl denken, dass die Bibelschule Brake zu wenig Schüler hat und jetzt ein Mikrofon aufgestellt hat, um die Gäste hierher zu locken. Ich hoffe, ihr nehmt mir das nicht zu kritisch übel, aber ich wäre eher skeptisch, als dass ich sagen würde, die Stimme sei direkt von Gott.
Natürlich will ich nicht ausschließen, dass Gott so etwas tun kann, und wir sollen uns freuen, wenn er es tut. Aber ich wäre eher skeptisch.
Das Optimum ist also sozusagen face to face, von Person zu Person – möglichst so, dass wir etwas mit dieser Person anfangen können. Jesus soll nicht als Alien vom anderen Stern kommen, sodass wir erst einmal denken: Was ist das für ein Wesen? Sondern so auftreten, wie wir uns einen Menschen vorstellen und wie wir uns hineinversetzen können.
Er soll auf optimale Weise weitergeben, was er uns zu sagen hat. Und ich glaube, das steckt auch hier drin: Er erwartet den Menschen gleich und wird äußerlich als Mensch erkannt. Das heißt, von seinem Verhalten, von seinem Reden, von seinem Aufwachsen war er normal und menschlich, obwohl er in seinem Kern gleichzeitig Gott war.
Auch als kleines Baby musste er ganz normal sprechen und laufen lernen. Er musste einen Beruf lernen. Das alles konnte er nicht von Anfang an.
In den apokryphen Evangelien gibt es lustige Geschichten, zum Beispiel im Thomas-Evangelium. Dort werfen Leute Maria vor, sie sei untreu gewesen. Jesus steht auf der Wiege auf, hebt die Hand und sagt: „Nein, ich weiß, Maria war treu.“ Dann legt er sich wieder hin und schläft weiter. Das sind hübsche Geschichten, theoretisch möglich, aber wir lesen nichts davon in der Bibel.
Jesus war ganz Mensch und wurde äußerlich als Mensch erkannt, wie es hier steht. Ganz anders als die großen Heiligen anderer Religionen.
Bei Buddha gibt es ähnliche Geschichten: Als er zur Schule kommt, soll sein Vater ihn einem Intelligenztest unterziehen, weil Buddha nicht zur Schule gehen wollte – was viele Kinder nicht wollen. Er tritt gegen die zehn weisesten Leute des Reiches an, die viele Sprachen sprechen. Buddha schlägt sie alle, obwohl er nie zur Schule gegangen ist. Er kann alles schreiben, rechnen und sprechen.
Historisch ist das nie so gewesen, das sind spätere Geschichten. Aber sie zeigen, dass Buddha total unmenschlich dargestellt wird.
Es gibt eine Geschichte, wie eines Tages ein Elefant in der Stadt verwest und stinkt. Die Leute wissen nicht, was sie tun sollen. Der kleine Knabe packt den Elefanten am Schwanz und wirft ihn über die Stadtmauer hinaus. Problem gelöst. Auch eine originelle Geschichte.
Aber hier merken wir, dass das mit normalem Menschsein wenig zu tun hat. Bei Jesus ist das anders. Er zieht mit seiner Familie umher. Später sagen die Leute: „Den kennen wir doch, das ist der Sohn von Joseph.“ Das ist ein ganz normaler Mensch.
Die Leute sagen sogar: „Der kann doch gar nicht von Gott sein.“ Dann kommen die Wunder, die er tut, zur Beglaubigung. Hier sehen wir also äußerlich einen ganz normalen Menschen.
Paulus beschreibt das Ganze aus seelsorgerlichen Gründen, nicht nur dogmatisch. Es geht ihm nicht darum, eine wissenschaftliche Theologie zu entwickeln. Wenn er davon spricht, dass Jesus sich entäußert hat, steckt darin auch ein Appell an uns.
Er zeigt, dass wir genauso handeln sollen. Wir sollen nicht zu hoch von uns denken, egal wie viele Leistungen wir bringen oder wie heilig wir schon sind.
Wir sollen aber auch nicht vorspielen, unheilig zu sein, nach dem Motto: „Ich muss jetzt so sein wie alle Ungläubigen, also setze ich mich zu dem Penner am Bahnhofsplatz und trinke ein paar Flaschen Rotwein, damit wir uns besser verstehen.“ So geht das nicht.
Es heißt vielmehr, nicht in Überheblichkeit, Stolz oder Selbstgerechtigkeit zu kommen, sondern diese Haltung aufzugeben. Ich bin innerlich heilig und rein, weil Gott mich so gemacht hat, aber ich kehre das nicht nach außen, wenn ich Menschen erreichen will.
Ich glaube, das ist eine Herausforderung, mit der wir zu tun haben. Immer wieder fordert uns die Bibel auf, demütig zu sein. Gerade wenn wir demütig sind, wird Gott uns aufrichten und gebrauchen.
Dem Demütigen gibt er Gnade. Hochmut kommt vor dem Fall – solche Sprüche kennen wir.
Die Bedeutung von Demut und Gehorsam im Leben Jesu und der Christen
Ich möchte ein Beispiel lesen aus dem, was Jesus dazu sagt: Matthäus 23, Vers 12. Da lesen wir: „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“
Das steht in einem Zusammenhang, der gerade vorangeht, nämlich: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein.“ Hier geht es darum, wer der Höchste in der Gemeinde ist. Menschlich ist es so, dass jeder der Höchste sein will, jeder am meisten angesehen sein möchte. Jesus dreht das Ganze um. Zuerst sollen wir Diener des Anderen sein. Dann gilt: Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.
Damit sollen wir lernen, wer wir eigentlich sind. Wir sollen erkennen, dass wir ganz von Gott abhängig sind. So lernen wir nicht nur theoretisch, sondern auch im Alltag, dass bei uns nichts Gutes ist – wie Paulus sagt –, sondern dass wir von Grund auf schlecht sind. Alles, was wir Gutes haben, ist das, was Gott durch uns bewirkt. Das steckt in diesem Vers mit drin.
Jesus äußerte sich selbst in der sogenannten „Knechtsgestalt“. Das ist ein Begriff, der an einen Sklaven erinnert. Er wurde wie ein Sklave, äußerlich gesehen, dargestellt – im Vergleich zu seiner Göttlichkeit natürlich gemeint.
Jetzt gibt es den Begriff „Knechtsgestalt“, der hier erwähnt wird. Dahinter steht das Wort Kenosis, das „Entleerung“ bedeutet, aber auch „Verbergung“. Das war ein großer Streit, den die Christen in der Kirchengeschichte hatten – so wie Christen generell oft streiten, auch wenn es keine echten Probleme gibt. Viele Christen und Gemeinden erfinden Probleme.
Gerade gestern habe ich mit einem Gemeindeleiter aus Bielefeld gesprochen. Dort gibt es die größte deutsche Mennonitengemeinde, die gerade dabei ist, einen neuen Streit zu finden. Bisher konnten sie gut nebeneinander leben, doch jetzt gibt es Streit um die Frage: Welche Taufe ist die richtige – Übergiessungstaufe oder Untertauchtaufe?
Dabei geht es nicht um Kindertaufe oder Glaubenstaufe, sondern um die Form der Taufe. Einige sagen, sie könnten sich sogar trennen, weil die einen fest darauf bestehen, dass nur Untertauchen richtig sei, und die anderen darauf beharren, dass nur Übergiessen richtig sei.
Ich weiß nicht, welche Haltung ihr dazu habt. Man kann darüber in der Freizeit streiten und sehen, was dabei herauskommt. Ich habe mir nur an den Kopf gefasst und gedacht: Haben die keine größeren Probleme? Das ist doch total egal. Meinetwegen kann man sich übergiessen oder untertauchen lassen. Ich persönlich bevorzuge die Untertauchtaufe, aber von mir aus ist es kein Problem, wenn du meinst, du müsstest dich übergiessen lassen. Wichtig ist doch, dass du dich bekehrst und dass du dich als Zeichen dieser Bekehrung taufen lässt.
Ich hoffe, ich schockiere euch nicht, wenn ich das so sage, aber ich halte das für einen überflüssigen Streit. Genauso gab es einen Streit zwischen Kenosis und Krypsis. Die Christen stritten nämlich darüber, ob Jesus, als er auf die Erde kam, seine göttlichen Eigenschaften im Himmel ließ oder ob er sie verborgen auf der Erde noch hatte.
Er hat sie gehabt, aber verborgen. Ja, aber zum Teil waren sie ja schon verborgen, oder? Aha, das wäre noch eine Variante. Was aber macht er zum Beispiel, wenn er sagt, der Sohn wisse nicht, wann die Stunde ist, sondern nur der Vater? Da hat er doch die Allwissenheit im Himmel gelassen, oder?
Ich will euch nicht zu sehr in diese Sache hineinziehen. Am Ende würdet ihr feststellen, dass man Bibelstellen für das eine oder das andere nennen kann, das wäre gar kein Problem. Ihr könnt euch zehn Bibelstellen für das eine und zehn für das andere nennen.
Dann müssen wir sagen: Diese theologischen Spitzfindigkeiten sind im Alltag total unwichtig. Wie Jesus genau zusammengesetzt war, ob 50 Prozent Gott und 50 Prozent Mensch, welche Eigenschaften er im Himmel und welche auf der Erde hatte – das ist total überflüssig. Wir können es sowieso nicht begreifen, weil wir Gott nicht begreifen können. Und Jesus auch nicht.
Deshalb lasst uns damit zufrieden sein, so wie Paulus schreibt: Jesus hatte diese göttliche Morphe, also diese göttliche Grundlage, und die blieb bei ihm auch. Er ist ja dieselbe Person. Trotzdem war er äußerlich ganz Mensch, als er hier war.
So müssen wir sagen: Beides stimmt. Er hatte auf der einen Seite die göttlichen Eigenschaften, auf der anderen Seite stellte er sie bewusst zurück oder benutzte sie nicht, oder wie auch immer – zumindest scheint er darüber nicht zu verfügen oder will es nicht.
Daran merken wir beides: Dieses Menschsein mit Hunger, mit Anfechtungen – ja, Anfechtungen nur, weil er wirklich Mensch ist – und dann plötzlich göttliche Erkenntnis. Er kann Sünden vergeben, das kann kein Mensch, das ist eine göttliche Eigenschaft.
Wir sehen beides zusammen, ein Miteinander, das wir nicht bis ins Letzte klären können. Und das wird hier beschrieben mit der Knechtsgestalt.
Manche Theologen heute wenden den Begriff „Knechtsgestalt“ so an, dass Jesus irrtumsfähig gewesen sei. Zum Beispiel spricht Jesus über die Sintflut. In Matthäus 24 sagt er, es werde am Ende der Zeiten so sein wie zur Zeit Noahs, und nimmt das als real an.
Viele Theologen heute sagen aber, die Sintflut habe es nie gegeben, das sei alles nur Phantasie. Das sind sogar gläubige Christen, die so etwas behaupten. Dann sagen sie, das sei ein Zeichen der Knechtsgestalt Jesu: Jesus wusste nur das, was man im Zeithorizont seiner Zeit wusste. Damals wussten die Leute nur von der Sintflut, sie wussten noch nichts von Evolution, Geologie und so weiter. Also hat er nur das widergespiegelt, was die Leute damals wussten.
Ist das so? Hm, der Protest ist noch verhalten, aber ich hoffe, dass er innerlich stärker wird. Diese Auffassung ist natürlich völlig falsch. Denn wenn Jesus Knechtsgestalt hatte, dann war er äußerlich als Mensch erkennbar. Aber das heißt nicht, dass er deshalb seine göttlichen Eigenschaften völlig verloren hätte oder dass er menschlichen Irrtümern unterlegen war.
Wenn er sagt, Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen, ist das ein immenser Anspruch. Er sagt, das, was er heute sagt, gilt für alle Zeiten. Da ist nicht der Anspruch, dass man es nur annimmt, weil man es damals nicht besser wusste.
Genauso spricht er auch von Adam und Eva, von Kain und Abel, und sieht sie als historische Personen an – in seiner Allwissenheit.
Häufig finden wir heute auch in christlichen Kreisen Diskussionen um die Bibel. Dann spricht man von der Knechtsgestalt der Bibel. Ich weiß nicht, ob ihr das schon einmal gehört habt.
Das war insbesondere vor ein paar Jahren eine Diskussion, die von Bad Liebenzell ausging, von Franz Peter Hempelmann, der ein Buch veröffentlicht hat. Darin sagt er, auch die Bibel sei von der Knechtsgestalt Jesu gekennzeichnet.
Er führt aus, dass die Schrift ganz menschlich sei. Deshalb seien in der Bibel auch Fehler. Denn Menschsein habe mit Fehlern zu tun. Wenn die Bibel Knechtsgestalt hat, also einen ganz menschlichen Rahmen hat, dann sei sie auch voller Fehler. Und das sei sogar von Gott so gewollt, dass sie voller Fehler sei.
Ich habe mit ihm über diese Sache diskutiert. Er warf mir vor, mein Glaube sei zu schwach, weil ich eine perfekte Bibel haben müsse. Er hingegen glaubt daran, dass die Bibel von Gott sei, obwohl sie nicht perfekt und nicht fehlerlos ist. Das sei ein viel größerer Glaube.
Das klingt erst einmal fromm, nicht? Aber ich hoffe, ihr sagt innerlich: Nein, so geht das nicht.
Erstens müssen wir sagen: Von der Knechtsgestalt der Schrift wird nirgends in der Bibel gesprochen. Das ist eine unbiblische Vorstellung.
Wenn wir das auf Jesus übertragen, müssen wir sagen: Jesus war total ohne Sünde und ohne Fehler. Wenn das für Jesus gilt und wir es auf die Schrift anwenden, dann können wir sagen: Knechtsgestalt bedeutet einfach, dass die Schrift in menschlicher Sprache und auf Papier niedergeschrieben ist – das ist die äußere Gestalt, das Schema.
Das, was dahintersteht, das Dauerhafte, das Gültige, das Morphe, ist sowohl bei Jesus total göttlich und rein als auch bei der Schrift.
Wenn jemand so redet und es euch erst einmal fromm erscheint, lasst euch nicht darauf ein. Das ist total unbiblisch, solch eine Vorgehensweise.
Jesu Gehorsam und seine radikale Selbsterniedrigung
Dann Vers 8: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod.“
Er erniedrigte sich selbst, das heißt, er ließ sich auf die menschliche Ebene herab – auf den Bereich unseres Intellekts, unseres Unglaubens und unserer menschlichen Schwäche. Freiwillig verzichtete er darauf. Dieses „Erniedrigte sich selbst“ beinhaltet auch die Freiwilligkeit. Er wurde nicht von Gott dazu gezwungen.
Genauso wenig, wie Gott uns zwingt, uns zu entäußern, uns zu erniedrigen oder demütig zu sein, sind auch wir mit unserer eigenen Willensentscheidung gefragt.
Hier steht auch: „Er war Gott gehorsam.“ Irgendwie scheint das ja zu bedeuten, dass er möglicherweise auch ungehorsam hätte sein können. Oder „gehorsam“ drückt häufig ein Autoritätsgefälle aus, bei dem einer oben steht und der andere gehorchen muss. Das ist hier natürlich nicht gemeint. Vielmehr ist es ein Ausdruck seiner vollkommenen Äußerung.
Gott hat diesen Charakter seiner Selbstlosigkeit und Liebe so weit ins Extrem getrieben, dass ein Teil von ihm, nämlich in der Form Jesu, totale Demut und Gehorsamkeit geübt hat. Darüber hinaus soll er uns dadurch natürlich ein Vorbild sein, eine Herausforderung.
So wie Jesus auf alles verzichtet hat, so wie Gott auf seine himmlische Herrlichkeit verzichtet hat, so sollen auch wir auf das verzichten, was wir meinen, was wir uns auf unsere Fahnen schreiben können, was gut für uns ist.
Also erniedrigte er sich – das war die erste Stufe. Er verzichtete selbst darauf. Dann war er gehorsam. Das heißt, jetzt verleugnet er sogar seinen eigenen Willen. Erst sagt er: „Ich verlasse den Reichtum, ich verlasse alles, was gut geht.“ Jetzt ist er immer noch derjenige, der entscheidet, was er tun soll.
Selbst das gibt er ab: „Ich bin nicht mehr mein eigener Herr.“ Das ist auch für uns eine nächste Stufe. Wir könnten jetzt sagen: „Ich gebe alles auf und gehe irgendwo in die Slums nach Kalkutta.“ Aber immer noch sind wir diejenigen, die bestimmen.
Deshalb ist die nächste Stufe: „Ich bin gehorsam.“ Das heißt, ich tue nicht mehr, was ich will, sondern ich gehorche einem anderen. Das ist bei Jesus hier der Fall – eine weitere Stufe der Demut.
Die nächste Stufe ist sogar, sein eigenes Leben hinzugeben, nämlich gehorsam bis zum Tod. Erst mal gehorsam bis zum Tod – das ist eine Steigerung. Nicht nur, dass er jetzt seinen Willen im Alltag aufgibt, sondern er gibt sogar sein ganzes Leben auf.
Hier ist „Leben“ nicht als kleines Detail gemeint, sondern als alles. Und dann geht es noch radikaler: „bis zum Tod am Kreuz.“ Das ist eine Radikalisierung.
Der normale Tod ist etwas, das wir akzeptieren können: Jeder muss einmal sterben. Aber der Tod am Kreuz ist ein grausamer Tod. Noch schlimmer ist, dass es der Tod eines Ehrlosen, eines Verbrechers war.
Hier geht selbst der letzte Rest an Selbstbewusstsein und Vorstellung von Größe verloren. Eigentlich unvorstellbar: Gott in der Herrlichkeit, schon schlimm genug, wenn er auf die Erde kommt. Schlimm genug, wenn er seinen eigenen Willen preisgibt, um dem Willen seines Vaters zu gehorchen.
Schlimm genug, wenn er sein Leben nicht mehr in eigener Regie führt. Und schlimm genug, wenn er dann noch sterben muss als Gott – was für Muslime ein Ärgernis ist, weil sie bis heute behaupten, Jesus sei nie gestorben, sondern im letzten Moment in den Himmel entrückt worden.
Das ist ein Ärgernis für sie. Und dann nicht nur ein normaler Tod, sondern der Tod eines Verbrechers.
Das soll uns vor Augen führen, dass dies das Zeichen der Liebe ist. Es soll euer Vorbild sein, wie Demut wirklich aussieht – im Leben Jesu, aber auch in eurem eigenen Leben.
Wir können froh sein, dass wir das nicht in allen Einzelheiten von uns gefordert bekommen. Wobei ich manchmal beeindruckt bin.
Ich erinnere mich an meine Zeit als Student. In unserer Gemeinde in Basel, die wir besucht haben, war ein junger Mann, der für einige Jahre mit einer Missionsgesellschaft in Manila in den Slums lebte. Er kam damals zurück und berichtete davon.
Ich fand das beeindruckend, auch wie er erzählte, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Missionaren wirklich in den Slums lebte. Also nicht nur draußen in den Villen vor Ort, die dann mal mit dem Jeep hineinfahren, ein paar Traktate verteilen und wieder wegfahren oder die Leute ins Krankenhaus bringen.
Das ist bei vielen Missionen tatsächlich so, ohne dass ich mich darüber lustig machen will. Viele Europäer vertragen das auch gar nicht. Sie wären dort halb tot, wenn sie im Islam lebten.
Bei ihm war das noch stärker: Er wollte sich mit den Menschen identifizieren, mit ihnen leben und war dadurch für sie auch viel glaubwürdiger. Das fand ich beeindruckend.
Das wäre so etwas Ähnliches, wie wir sagen können: Das ist noch eine nächste Stufe. Eine Stufe, bei der ich meine Lebensträume aufgebe und in die Mission gehe.
Die nächste Stufe ist aber auch, wie ich mich dort verhalte: Was tue ich wirklich? Bin ich den Menschen gleich? Komme ich ihnen nahe, so wie Jesus es getan hat?
Und das ist eben dieses „Erniedrigte sich selbst“ – alles, was darin steht, bis zum Kreuz – und eigene Interessen zurückstellen.
Hindernisse für selbstloses Verhalten und die Herausforderung der Nachfolge
Jetzt können wir die Frage stellen: Was erschwert denn ein solches Verhalten? Wahrscheinlich merken wir alle in unserem Leben, dass wir das im Einzelfall wenig tun. Vielleicht übervorteile ich euch ja alle, und ihr sagt, das tun wir ja alle, nur Herr Michael nicht. Dann könnt ihr mir vielleicht ein paar Tipps geben, warum ich es möglicherweise nicht tue.
Ich muss sagen, so etwas fällt mir schwer. Es gibt ja manche Leute, die sagen: „Ich gebe mein ganzes Leben hin.“ Kennt ihr das vielleicht auch? Ich erinnere mich, vor zwei Jahren habe ich beim Jugendtag mit einem jungen Mann gesprochen. Er war gerade frisch verliebt und sagte: „Ich tue alles für meine Freundin, ich bin sogar bereit, für sie zu sterben.“ Da habe ich vorsichtige Zweifel angemerkt und gesagt: „Naja, wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann würde ich mal sehen, wie das dann aussieht.“ Er antwortete: „Ja, ich wäre jederzeit bereit und würde es in jedem Fall tun.“
Solche Leute habe ich schon häufiger kennengelernt. Zwei Jahre später, als sie verheiratet waren, war das schon gar nicht mehr so extrem. Zum Glück können wir auch sagen, dass es selten die Gelegenheit gibt, für den Ehepartner zu sterben. Und wenn man es tut, dann ist es meistens auch intuitiv, nicht so direkt geplant. Ein Ziegelstein fällt runter, und du willst deine Frau schnell zur Seite schubsen – und dann erschlägt er dich. Das ist meistens nicht wohlüberlegt, sondern impulsiv. Wohlüberlegt würde man vielleicht erst mal stehen bleiben und überlegen: „Ich oder meine Frau? Ich muss das Geld verdienen, und meine Frau hat vielleicht keinen Job. Ich bin sowieso stärker als meine Frau, und sie ist sowieso im Himmel – da geht es ihr noch besser.“ Nach zwei Stunden Überlegung schaust du dich um, und ja, die Entscheidung ist schon gefallen.
Ich will einfach damit sagen: Wir als Christen sind ziemlich egoistisch. Ich meine, als Menschen einfach so. Jetzt ist die Frage: Was hindert uns daran, ein solches Verhalten zu zeigen, wie Jesus es hatte? Was meint ihr, was uns daran hindert, total selbstlos alles aufzugeben?
Unser angeborener Egoismus ist, glaube ich, eine ganz wichtige Sache. Da freue ich mich manchmal, wie pragmatisch und einsichtig die Bibel ist, wie sie selbst in unserer Schwäche argumentiert. Das tut Paulus nämlich im Epheserbrief. Dort schreibt er unter anderem so stellvertretend über Mann und Frau. Es wird gesagt, der Mann soll seine Frau lieben, wie Christus die Gemeinde geliebt hat. Wahrscheinlich merkt Paulus beim Schreiben, so stelle ich mir das vor, dass das ziemlich schwierig ist – so wie Christus die Gemeinde liebt. Deshalb sagt er später: „Na ja, aber zumindest liebt sie so wie sein eigenes Fleisch.“ Das ist schon unser Egoismus, der angeboren ist. Da kann man sich wenigstens etwas vorstellen.
Bei Jesus war das noch viel extremer. Aber hier soll wenigstens gesagt werden: Auf der Ebene wenigstens gleich. Dann wird noch gesagt, dass man sein eigenes Fleisch liebt, weil es für einen gut ist. Und jetzt, wenigstens wenn du egoistisch bist, denk auch daran, dass es gut ist, wenn du für deine Frau sorgst, denn das dient auch dir. So etwas in der Art.
Also gut, unser Egoismus. Gibt es noch etwas, das uns hindert? Ja, das stimmt, und das ist auch ganz realistisch. Wir lesen ja auch: „Es ist schon keiner da, der sein Leben gibt für einen Gerechten oder gar für einen Guten, aber für einen Ungerechten erst recht nicht.“ Das ist typisch menschlich, so reagieren wir. Gott aber überwindet das, Jesus überwindet es. Wir müssen davon ausgehen, dass er es als Mensch genauso empfunden hat, aber er überwindet es. Das ist das Zeichen seiner Demut.
Ich möchte mal sagen: Jesus ist vollkommen asymmetrisch – das ist doch ein schöner Begriff. Asymmetrisch heißt, wir reagieren nur symmetrisch. Einer haut mir auf die Nase, ich haue zurück. Das ist das normale Menschliche. Einer fährt mich schlecht an, ich tue das auch. Das ist das Normalmenschliche. Und wir sind sogar froh, wenn wir es nicht stärker tun. Also nur Zahn für Zahn, Auge um Auge – nicht ein Auge und ich schlage dir zwei Augen aus. Da sind wir schon froh.
Bei Jesus ist es total anders. Bei Jesus heißt es: Liebe deine Feinde. Das ist unmenschlich. Das entspricht ganz unserem persönlichen Empfinden, dem, was wir als angeboren haben. Aber es ist gerade das, was Gott erreichen will. Und da merken wir, dass wir uns selbst im Weg stehen – mit unserem angeborenen Menschsein und unserem Egoismus.
Gibt es noch weitere Punkte? Ich würde sagen, manchmal auch unser Rechtsempfinden. Manchmal werden wir wirklich unrecht behandelt. Zum Beispiel Paulus in Philippi: unrecht eingesperrt, total sinnlos. Dann ist es sehr leicht zu sagen: „Ich beschwere mich nicht, wenn ich zu Recht eingesperrt bin, aber noch zu Unrecht und das auch noch zu dulden, nicht zu protestieren, sondern noch zu singen und Gott zu loben – Gott, wie toll hast du mich hier eingesperrt!“ So ähnlich singt er ja dort.
Das ist total unmenschlich, asymmetrisch. Paulus reagiert in der Gefangenschaft nicht wie normale Menschen. Oder wir sind auch von unserer Umwelt geprägt – durch Medien, Arbeitskollegen. Diese versuchen ja gerade, uns zu bestätigen: „Kämpf für dich selbst, setz dich für dich selbst ein.“ Davon sind wir geprägt und denken so. Wir können fast gar nicht anders.
Dann lesen wir solche Sachen in der Bibel, und entweder denken wir: „Das ist doch so weltfremd, so absurd, das geht ja gar nicht.“ Oder wir sagen: „Na gut, Jesus konnte das, aber ich bin nicht Jesus, also lebe ich weiter so.“ Das hält uns davon ab, zumindest Stück für Stück weiterzugehen.
Wir können das nur tun, wenn wir dieses In-Jesus-Leben haben, also ganz von Jesus umhüllt sind.
Die Erhöhung Jesu und die Bedeutung seines Namens
Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist (Vers 9).
Hier sehen wir die Auswirkung seines Handelns. Das ist keine Belohnung – das sollten wir nicht falsch verstehen. Jesus wurde nicht für das, was er getan hat, belohnt. Vielmehr ist dies die Konsequenz eines göttlichen Gesetzes: Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Das ist wie ein Naturgesetz Gottes, das für uns relativ klar ist.
Wenn wir den Gegensatz von sich selbst erniedrigen und sich selbst erhöhen nachvollziehen, verstehen wir automatisch, dass das gegen das erste Gebot verstößt: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Gott soll über alles sein. Das bedeutet, es muss eine Erniedrigung geben, damit ich überhaupt erkennen kann, wer ich selbst bin.
Im Gesetz heißt es also, du musst dich selbst erkennen. Wenn du das nicht selbst tust, muss Gott nachhelfen. Du musst auf das Maß zurechtgestutzt werden, das deinem wahren Wesen entspricht. Deshalb hat sich auch Jesus freiwillig niedergelassen. Er erniedrigte sich selbst, und aus dieser Reaktion – nicht als Belohnung – folgt die Erhöhung durch Gott.
Gott hat ihn erhöht. Erhöhung bedeutet hier, dass Jesus auf dem Thron sitzen wird – dem großen weißen Thron, den wir in der Offenbarung lesen. Jesus wird über alle Menschen richten. Und hier steht, dass ihm ein Name gegeben wurde, der über alle anderen Namen ist.
Ich habe eine Weile darüber nachgedacht und vielleicht könnt ihr mir auch weiterhelfen: Welcher Name ist hier gemeint? Man könnte sagen, natürlich der Name Jesus. Aber Jesus hat ja verschiedene Titel. Das ist, was ich meine. Er wird mit verschiedenen Titeln angesprochen, wie Gott im Alten Testament: manchmal als El-Schaddai, manchmal als Jahwe, manchmal als Ehe, mal als Adonai. Diese Namen repräsentieren immer besondere Eigenschaften Gottes.
Namen sind in der Bibel nicht nur Schall und Rauch, sondern haben immer eine ganz spezifische Bedeutung. Bis heute ist das in der katholischen Kirche so, dass jemand, der Priester oder Papst wird, einen neuen Namen bekommt. Denn man sagt: Jetzt beginnt eine neue Verantwortung, ein neuer Bereich, und mit dem Namen kommt ein neues Programm.
Der Gedanke ist gar nicht so schlecht. Es wäre vielleicht irritierend, wenn wir uns alle bekehren und plötzlich einen neuen Namen hätten. Das könnte zum Beispiel problematisch sein, wenn man gerade einen großen Kredit bei der Bank aufgenommen hat und dann ein Brief kommt, in dem steht: „Der lebt nicht mehr, den gibt es nicht mehr, hier ist nur noch jemand anders.“ Das wäre eine Idee, aber würde einiges durcheinanderbringen.
In der Bibel gibt es das ja. Zum Beispiel Saulus und Paulus – plötzlich ist Saulus tot, Paulus lebt. Oder Abraham und Abram, Jakob und Israel – immer wieder verschiedene Namen. Deshalb ist hier mit „Name“ nicht einfach irgendetwas gemeint, sondern ein ganz besonderer Titel, eine spezielle Aufgabe Jesu, die hervorgehoben wird und die er erst durch das, was er auf der Erde getan hat, erhält.
Denn hier steht ja: Darum hat ihm Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben. Die Erhöhung und die Namensgebung erfolgen also erst, nachdem Jesus hier auf der Erde gelebt hat. Er war schon immer Gott – das kann der Name nicht sein. Es muss etwas anderes sein, das ihn hier ausmacht.
Was könnte das sein? Es gibt verschiedene Deutungen. Es ist schwierig, das genau zu beschreiben, weil es ja eine Dreieinheit gibt – immer drei und gleichzeitig eins. Das wäre ein Vorschlag.
Noch ein paar Vorschläge für Namen? Christus, der Gesalbte, ist ja ein Titel. Ja, bei manchen ist es Jehova oder so etwas, der an der Spitze steht.
Und noch etwas? Das Lamm – das passt zumindest in die Richtung, die ich auch plausibel finde. Denn er bekommt den Namen, weil er sich total gedemütigt hat, weil er ein Vorbild in der Liebe war, weil er sein Leben für die Menschen aufgegeben hat. Deshalb bekommt er diesen neuen Namen, der eine ganz besondere Qualifikation ausdrückt.
Das wäre sicherlich das Lamm. Das Lamm hat mit Opfer zu tun. Das Lamm sitzt auch auf dem Thron in der Offenbarung. Hier scheint in dem äußeren Erscheinungsbild, dem Morphe, das göttliche Wesen, der Charakter des totalen Opfers sichtbar zu werden – als Symbol für das totale Opfer. Das wäre möglich.
Wenn wir diesen Charakter des Opfers sehen, kam mir auch der Gedanke „Soter“. Soter bedeutet „Retter“. Vielleicht ist das der Name, den er jetzt bekommt: Er ist der Retter, derjenige, der Sünde abwäscht, der aus Liebe zu uns gestorben ist. Das wäre auch möglich.
Paulus erwähnt den konkreten Namen nicht. Er spricht von der Person Jesu, das ist klar, aber nicht von dem zusätzlichen Titel, der jetzt dazukommt. Es muss ein Titel sein, der Ausdruck seiner Demut, seiner Selbstlosigkeit und seiner Entäußerung ist – dort, wo er uns ein Vorbild ist.
Mit diesem Namen wird er erhöht. Danach lesen wir, dass sich in dem Namen Jesu alle Knie beugen sollen: alle im Himmel, auf Erden und unter der Erde. Und das tun sie auch in der Offenbarung vor dem Thron, dem großen weißen Thron, vor dem Lamm.
Hier wird zusätzlich erwähnt: alle Knie, die im Himmel sind, die auf Erden sind und die unter der Erde sind. Das soll uns umfassend vor Augen führen, dass egal wo die Menschen sind, wenn Jesus wiederkommt, alle sich beugen müssen.
Zuerst wird gesagt: im Himmel – wer ist damit gemeint? Das sind diejenigen, die, wie wir bei Lazarus sagen, im Schoß Abrahams sind, diejenigen, die vielleicht bei einer ersten Entrückung schon bei Gott in der Ewigkeit sind. In der Offenbarung gibt es verschiedene Gruppen aus allen Völkern, die herauskommen und sich vor Jesus beugen.
Das ist uns selbstverständlich, von denen erwarten wir das sowieso. Hier sind aber auch die Engel mitgemeint. Es sind nicht nur Menschen angesprochen. Alle werden sich beugen. Engel tun das ja sowieso schon, die Geretteten beugen sich.
Als Nächstes werden die genannt, die auf der Erde sind. Zu dem Zeitpunkt, wenn Jesus erscheint, leben ja auch Menschen auf der Erde. Auch sie werden mit einem Mal erkennen: Jesus ist der Herr. Und er ist Herr nicht, weil er wie ein mächtiger Herrscher gekämpft hat, sondern weil er gestorben ist, weil er sich selbst gedemütigt hat.
Das macht hier gerade den besonderen Aspekt aus – die Asymmetrie. Normalerweise verehren wir einen Herrscher, weil er große Schlachten geschlagen hat. Hier wird Jesus vor allen Lebewesen verehrt, weil er sich selbst entäußert und demütig geworden ist.
Dann werden noch die genannt, die unter der Erde sind. Das sind die Verstorbenen. Wir lesen in Hesekiel, dass die Totengebeine auferstehen werden, dass das Meer die Toten wiedergeben wird. Das sind diejenigen, die im Totenreich sind.
Jesus war drei Tage tot und im Totenreich, dem Aufbewahrungsort der Verstorbenen, und hat dort gepredigt. Das geschah, damit sie erkennen: Jesus ist für die Sünde der Menschen gestorben, Jesus ist der Herr.
Wir dürfen das nicht falsch verstehen, wie es die katholische Kirche manchmal interpretiert. Es gibt dort keine Möglichkeit zur Bekehrung mehr. Es ging auch nicht darum, Jesus noch einmal in der Unterwelt, im Totenreich, zu evangelisieren. Das nicht.
Aber in der Bibel steht, dass alle, die verurteilt werden und in die Hölle kommen, trotzdem ihre Knie vor Jesus beugen müssen. Kniebeugen vor Jesus bedeuten nicht, Christ zu werden, sondern nur, die Macht und Größe Gottes anzuerkennen. Und das muss jeder tun, egal ob er gerettet wird oder verloren geht.
Das ist hier gemeint. Wenn ich das richtig sehe, ist das im Johannesevangelium beschrieben. Dort ist die Frage, wo man das Komma setzt. Grammatik ist manchmal wichtig, manchmal nicht so sehr, aber hier ist sie wichtig.
Die Frage ist, wie das genau gemeint ist. Sagt Jesus: „Ich sage dir heute, du wirst mit mir im Paradies sein“ – oder sagt er: „Ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein“? Das macht einen Unterschied.
Man könnte sagen: Wer sagt denn „Ich sage dir heute“? Das sagt doch kein Mensch. Aber Jesus spricht Hebräisch, das ist manchmal anders als in Deutschland. Da sagt er auch „wahrlich, wahrlich, ich sage dir“. Wer spricht denn so im Alltag?
Wenn ich meine Tochter frage, ob sie Taschengeld will, sage ich auch nicht „wahrlich, wahrlich, ich sage dir“. So ist das Hebräisch ein bisschen anders, hat andere Formen. „Ich sage dir heute“ kommt durchaus häufiger im hebräischen Umfeld vor, nicht nur in der Bibel. Das kann also eine Form sein. Ich will nicht sagen, dass es so ist, aber das wäre eine mögliche Erklärung.
Was genau mit „Paradies“ gemeint ist, ist die nächste Frage. Ist damit die Gegenwart Gottes gemeint? Da können wir ziemlich sicher „nein“ sagen.
Denn nachdem Jesus auferstanden ist und den Jüngern erscheint, sagt er: „Ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“ Das heißt, Jesus war in den drei Tagen nach seinem Tod noch nicht beim Vater. Auch danach nicht, als er ihnen erschien. Das kam erst bei der Himmelfahrt.
Also kann es nicht die Ewigkeit bei Gott sein. Was könnte mit „Paradies“ gemeint sein? Vielleicht der Schoß Abrahams, wie wir ihn bei der Geschichte von Lazarus und dem reichen Mann finden.
Das ist zwar das Totenreich, aber scheinbar gibt es im Totenreich zwei Abteilungen: eine für diejenigen, die auf die Hölle vorbereitet werden, und eine für die, die auf den Himmel vorbereitet werden. Das ist eine Art paradiesische Vorstellung.
Das scheint hier die naheliegendste Deutung zu sein, denn alle anderen Zeugnisse der Bibel sprechen auch davon, dass es nach dem Tod kein direktes Hinein in den Himmel gibt, sondern zunächst eine Aufbewahrung im Totenreich – für Gläubige wie Ungläubige.
Diese Zwischenphase wird in der Bibel oft wie ein Schlaf beschrieben. Das geht schnell vorbei, und plötzlich wachen wir auf – dann sind wir beim großen Gericht, dann in der Ewigkeit.
Es ist kein Zustand, in dem wir sagen: „Jetzt müssen wir noch ein paar tausend Jahre warten, bis es weitergeht.“ Das könnte langweilig werden. Nein, es ist wie ein kurzer Schlaf, aber noch nicht der Himmel.
Jesus sagt auch: „Ich werde euch Wohnungen im Himmel bereiten.“ Offenbar waren diese Wohnungen noch nicht fertig, sie mussten erst noch fertiggestellt werden, bevor die Gläubigen dort wohnen können.
All diese Hinweise deuten auf eine Zwischenphase hin. Wir wissen auch, dass erst wenn Jesus wiederkommt, die Gräber ihre Totengebeine freigeben. Dann werden Leib, Seele und Geist wieder zusammengeführt.
Im Totenreich ist der Mensch nicht leiblich, sondern nur mit Seele und Geist. Der Leib ist noch nicht körperlich. Der neue Leib kommt erst später dazu.
Jesus selbst muss diesen neuen Leib noch erhalten. Er sagt, er braucht noch einen Auferstehungsleib, der verwandelt wird. Das geschieht offenbar später.
Der neue Leib kennt keine Schmerzen mehr, kein Alter, keine Begrenzungen. Diesen Leib haben wir nicht sofort, wenn wir sterben. Er muss noch verwandelt werden. Es gibt also eine Zwischenstufe.
Von dieser Verwandlung lesen wir zum Beispiel im 1. Korinther 15. Dort steht, dass unser Körper wie Heuschreckenstoppeln vergehen wird. Irgendetwas muss sich also verändern.
Die katholische Kirche hat daraus das Fegefeuer gemacht, in dem alles Böse verbrannt wird. Auf jeden Fall gibt es eine Veränderung.
Jesus ist der Erste, der Erstling der Auferstandenen. Das Vorbild nehmen wir. Die große Auferstehung, wenn auch wir Jesus entgegengeführt werden, wird erst am Ende der Zeit stattfinden.
Deshalb werden auch die, die unter der Erde sind, ihre Knie beugen. Dann steht: „Und alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters.“
Wie gesagt, es geht hier nicht um Errettung, sondern darum, dass alle irgendwann eingestehen müssen – selbst die größten Atheisten –, dass Gott Gott ist, Jesus der Herr und Erlöser ist.
Sie werden nicht mehr errettet, das müssen wir uns deutlich vor Augen führen. Trotzdem müssen sie es anerkennen.
Das ist vergleichbar mit jemandem, der vor Gericht steht und verurteilt wird. Er muss sagen: „Der Richter hat Recht, ich habe es verdient.“ Aber er muss trotzdem ins Gefängnis.
Nur weil ich anerkenne, dass das Gericht gerecht ist, werde ich nicht freigesprochen.
Ihr könnt das ja ausprobieren: Ihr fahrt über eine rote Ampel und sagt dem Polizisten: „Ja, Herr Polizist, Sie haben Recht.“ Erwartet ihr, dass er euch fahren lässt? Nein. Dann sagt ihr vielleicht: „Schön, dass Sie das einsehen, passen Sie das nächste Mal auf.“ Aber jetzt wird gezahlt oder es gibt Punkte.
Genauso ist es bei Gott: Alle werden einmal eingestehen müssen, dass Gott Herrscher ist.
Hier steht ja, dass Gott Kyrios ist, also Herr. Es heißt, Jesus Christus sei der Herr. Dieser Begriff „Herr“ wird im Neuen Testament häufig gebraucht. Er kann Gott bedeuten, ist auch ein Titel des Kaisers und eines besonderen Gelehrten.
Das war ein Knackpunkt für die ersten Christen. Sie wurden verfolgt, weil sie den Kaiser nicht als Kyrios, also als unumschränkten Herrscher, anerkennen wollten. Sie sagten: Dieser Titel des unumschränkten Herrschers über mein Leben gehört nur Gott, nicht einem Götzen.
Der Titel wurde auch für Götter verwendet, nicht für den Kaiser in seinem Kult. Nur bei Jesus wurde er verwendet.
Das erste Glaubensbekenntnis der Christen war: Christus ist Herr.
Wenn wir heute noch von „Herr Jesus“ sprechen, ist das eigentlich ein Glaubensbekenntnis. Wir sagen damit: Jesus ist Kyrios. Das meint nicht einfach „Herr Jesus“, „Herr Müller“ oder „Herr Meier“, sondern Jesus ist unumschränkter Herrscher.
Heutzutage hat sich der Begriff „Herr“ etwas abgeschliffen. Er wird für alles und nichts gebraucht. Deshalb erfassen wir das nicht mehr so ganz, aber das steckt hier mit drin: Er ist der Herr.
Und hier steht wieder: Warum nicht? Er ist total erhöht. Auch hier ist es ein Zeichen der Demut: Jesus ist Herr zur Ehre Gottes.
Dass Jesus erhöht wird und auf den Thron gesetzt wird, dient zur Verherrlichung Gottes. Gott ist so herrlich und groß, dass er die Demut umwandelt und an die erste Stelle stellt mit dem, was Jesus geworden ist.
Alles, was im Leben Jesu passiert, geschieht zur Ehre Gottes – wieder ein Zeichen der Demut.
Am Anfang die Demut, Jesus erniedrigt sich. Am Ende, selbst wenn er auf dem Thron sitzt und Herr ist, tut er das nicht, um sich selbst zu verherrlichen, sondern um auf Gott hinzuweisen, auf den Vater.
Das ist ein Zeichen vollkommener Demut.
Hier machen wir für heute Schluss.
Zusammenfassung und Anwendung für das christliche Leben
Das, was Paulus uns hier vor Augen malt, ist das Vorbild Jesu in jedem Bereich unseres Lebens. Zuerst sehen wir: Er ist ganz Gott und ganz Mensch. Er entäußerte sich, das heißt, er verzichtete freiwillig auf bestimmte göttliche Rechte und nahm die Knechtsgestalt an. Das bedeutet, er verfügte nicht mehr über sich selbst, sondern war total Sklave Gottes.
Jesus wurde ganz Mensch, und so sollen auch wir uns mit den Menschen identifizieren, die wir erreichen wollen. Wir sollen nicht vorspielen, besser zu sein als sie. Natürlich sollten wir moralisch klar besser sein, aber wir dürfen nicht heraushängen lassen, dass wir auf einer höheren Stufe stehen. Stattdessen gilt: Gott liebt dich, Gott liebt mich. Wir stehen auf einer Stufe.
Dann kommt das Erniedrigen: Wir verzichten selbst und sind gehorsam. Wir stellen unseren Willen hinter den Willen Gottes zurück. Ja, wir sind sogar bereit, unser Leben einzusetzen. Wenn du nicht für Gott sterben musst, wie die Märtyrer der frühen Kirche, dann kann es sein, dass Gott einfach von dir fordert, dass du einen Teil deiner Lebenszeit investierst. Nicht dein ganzes Leben, und du musst dich nicht umbringen lassen, aber du sagst: „Ich will jeden Tag nur zwei Stunden für dich geben.“ Gott könnte auch verlangen, dass du dein ganzes Leben gibst, aber hier geht es um Lebenszeit.
Als Nächstes sehen wir: Wer sich selbst erniedrigt, wird von Gott erhöht werden. Das ist ein Grundprinzip Gottes für die Gemeinde und unser Christsein. So auch bei Jesus. Er wird erhöht und erhält einen besonderen Namen. Ich denke, es ist der Name des Erlösers. Denn das ist ja seine Demut.
Dann sehen wir, dass alle Menschen das einmal eingestehen müssen – auch die Engel, die unsichtbaren Dämonen und der Teufel selbst. Er wird seine Knie beugen müssen. Im Totenreich, bei denen, die auferstehen, bei denen, die noch leben und bei denen, die im Himmel sind.
Hinter allem stehen auch alle Zungen, das bedeutet: aus allen Völkern und Ländern werden Menschen erkennen müssen, dass Jesus Herr ist, Kyrios, der Herrscher. Das sollten wir schon hier auf der Erde erkennen, und es hat Konsequenzen. Wir müssen uns demütig unterordnen.
Darüber müssten wir noch ausführlicher sprechen, auch moralisch. Ich glaube, es gibt eine eindeutige Aufforderung, wenn wir zum Beispiel die Früchte des Heiligen Geistes lesen. Dort steht: „Früher wart ihr so“, und dann sollen wir vom Heiligen Geist geprägt sein. Das heißt, wir sollen Liebe, Freundlichkeit, Frieden, Geduld und Langmut haben. Das will Gott in uns bewirken.
Dann bin ich also moralisch besser. Wenn Gott mich verwandelt, werde ich keinen Banküberfall machen, keinen Ehebruch begehen und nicht lügen. Ich bin überzeugt, dass wir im Brief von Paulus noch darauf zu sprechen kommen werden. Wenn wir Paulus lesen, wächst aus der liebenden Hingabe die Erkenntnis, dass es nicht um Moral allein geht.
Du hast Recht, es geht darum, woher meine moralische Veränderung kommt. Ich habe gesagt, sie kommt durch die Unterordnung unter Gott, nicht durch meine Leistung. Aber dass wir danach besser sein sollen, das ist eindeutig in allen Paulusbriefen und bei Jesus zu finden.
Jesus sagt sogar am Ende der Zeiten: „Ihr habt mich gespeist, ihr habt das getan.“ Die Motivation ist eine andere Frage. Aber Jesus betont die Werke ganz deutlich. Paulus tut das auch, zum Beispiel im ersten Johannesbrief und im Jakobusbrief. Dort steht: „Zeig mir deinen Glauben ohne Werke, und ich zeige dir meinen Glauben aus den Werken. Der Glaube ohne Werke ist tot.“
All diese Dinge sind ganz deutlich. Vielleicht müssen wir das später noch einmal besprechen.