Erbarmung und geistliche Impulse der Basler Mission
Wir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert bin – das haben die Missionare der Basler Mission bis hinauf auf die Usambara-Berge in Tansania getragen.
Als wir eines Morgens an einem Sonntag aufwachten, spielte der kleine Posaunenchor von Afrikanern mit seinen verbeulten Instrumenten. Danach sagte Friedel Wohlrab, eine Tochter des ersten Pioniermissionars, dort oben, wo die Usambara-Feilchen herkommen, auf diesem Hochgebirge: Das Lied wird gesungen, wenn ein Kind geboren wird, wenn eine Ehe geschlossen wird und wenn jemand zu Grabe getragen wird.
Das ist der Geist der Basler Mission, der ersten Basler Mission überhaupt. Einer der Mitbegründer und Förderer der Basler Mission, die 1812 gegründet wurde, war Gottlieb Wilhelm Hoffmann. Er war auch der Gründer von Korntal. Hier habe ich ein etwas jugendliches Bild von ihm, das vorne am Pult angebracht ist.
Die Lebensmelodie für ihn war: Zwar wuchs er in einem Pfarrhaus auf, doch der Pfarrer war pedantisch – so ein sturer Pfarrer –, dass Gottlieb Wilhelm Hoffmann, der von Beruf Notar war, später sagte: Wenn du ein christliches Werk beginnst und willst, dass nichts daraus wird, dann musst du zwei oder drei Theologen in den Vorstand berufen.
Er wusste, dass eigentlich Vorwärtsweisendes durch Laien geschieht. Das muss man hier in Langensteinbarhöhe nicht extra betonen. Theologen sind durch ihre Ausbildung immer rückwärtsorientiert. Sie wissen, was die alten Hebräer gedacht haben, bevor sie schließlich zu den heutigen Problemen kommen.
Gottlieb Wilhelm Hoffmann hat bei seinem Vater gelernt, dass das furchtbar rückwärtsgewandt ist. Das stimmt hier in Langensteinbarhöhe nicht – besonders nicht an diesem Sonntag.
Ich habe heute den Eindruck, liebe Schwestern und Brüder, dass wir vor einer Erweckung stehen könnten. Alles ist bereit. So hat nicht Louis Harms gepredigt, so hat Ludwig Hofacker nicht gepredigt. Alles ist bereit, damit Gott seinen Segen gibt und wir das, was wir hier an Impulsen mitbekommen, vervielfältigen.
Damals war eine ganz geistlich trockene Zeit, und das Einzige, was der Vater konnte, war furchtbare Strenge. Gottlieb Wilhelm Hoffmann sagte: „Ich habe in jedem Jahr 365 Mal Schläge bekommen, im Schaltjahr 366 Mal.“ Deshalb kam er bei der Erziehung seiner eigenen Kinder ohne Schläge aus, sondern mit Milde.
Persönliche Lebensgeschichte und geistliche Prägung Hoffmanns
Gottlieb Wilhelm Hoffmann ist also in einem sehr streng geführten Pfarrhaus aufgewachsen. Auch die Mutter hatte nicht viel Zeit für die Kinder. Später sagte der Vater, einer seiner Söhne sei ein Strolch geworden, und der andere ein Narr, weil Gottlieb Wilhelm Hoffmann sich den Pietisten angeschlossen hatte. Das war jedoch nicht selbstverständlich.
Sobald er aus dem strengen Elternhaus heraus war, begann er eine Schreiberlehre. Das war damals eine eher niedere Juristenlaufbahn, heute würde man von Verwaltungsdienst sprechen. Als er in Calw diese Lehre antrat, sagte er: „Jetzt will ich das Leben!“ Er begann mit Lebensfechten und Reiten und machte furchtbar viele Schulden.
Er geriet so sehr in finanzielle Not, dass er verzweifelt war. In Nagold, wo er lebte, kann man sich zwar kaum ertränken, da es nicht genug Wasser gibt, aber er fühlte, dass sein Leben nicht mehr gut weitergehen konnte. Er betete: „Lieber Gott, wenn es dich gibt, sorge du irgendwie dafür, dass das doch noch geregelt wird.“
Dann sagte er aber auch: „Lieber Gott, halbherzige Gebete gelten nicht. Wenn du mir helfen würdest, müsste ich ja mein Leben ändern und mit dir rechnen.“
Am nächsten Morgen klopfte es an der Tür. Ein Bote brachte eine Nachricht von einer reichen Müllersfrau, die entfernt mit ihm verwandt war. Sie wollte wissen, ob sie ihm helfen könnte. Hoffmann lehnte peinlich berührt ab und sagte: „Nein, danke, ich brauche nichts.“ Doch der Bote beharrte: „Die Müllersfrau will etwas wissen.“
Daraufhin schrieb Hoffmann ihr offen, dass er sich in Schulden verrannt habe. Die Müllersfrau bezahlte daraufhin alle seine Schulden und gab ihm darüber hinaus noch ein Kapital. Hoffmann wusste nun: Er musste sein Leben ändern.
Gott schickte ihn zu einem guten Chef, einem Verwandten des berühmten Pfarrers Flattich, dem Schreiber Flattich. Dieser versorgte den jungen Hoffmann mit guten Büchern, unter anderem von Steinhofer und Brastberger Predigtbüchern. Er gab die Empfehlung weiter an Pfarrer Machtolf von Möttlingen.
Pfarrer Machtolf schleppte einmal in einem Rucksack zwölf Lutherbände in Großausgabe nach Ostelsheim. Hoffmann vertiefte sich in diese Bücher. Später konnte er sagen: „Wessen Buch du liest, dessen Geist kommt über dich.“ Was würde er heute erst sagen in Zeiten des Fernsehens?
Man muss wissen, was man sich nimmt. „Ich bin doch kein Kuttereimer, der alles in sich hineinstopft. Ich brauche gute Kost.“ Jesus hat diese Lektüre benutzt, damit das Leben von Gottlieb Wilhelm Hoffmann schon in jungen Jahren ganz entschieden wurde.
Er wollte Jesus gehören. Später, in der Gemeinde, die er in Korntal gründete, rief er am Ostermorgen bei der Auferstehungsfeier mit einem großen Sprachrohr über die Gräber: „Er lebt!“ Das war die Parole, von der er selbst lebte.
„Mir ist Erbarmen widerfahren, und er, Jesus, lebt“, so wie wir es heute Morgen auch bezeugt bekommen haben.
Spaziergang durch Korntal und die Gründungsgeschichte
Jetzt darf ich Sie einfach mitnehmen, und ich danke Ihnen dafür, am Abend dieses so eindrücklichen Tages zu einem kleinen Spaziergang durch das Korntal. Dieses wurde 1819 von Gottlieb Wilhelm Hofmann gegründet, also nach jenen furchtbaren Hungerjahren 1817 und 1818 – unvorstellbarer Hunger in Europa, besonders im Süden Deutschlands.
Die Ernten waren ausgeblieben. Armut, Trunksucht, Diebstahl – das Land war verheert. Die Folgen der napoleonischen Kriege waren noch gar nicht ausgestanden. Bettlerbanden von Kindern, ähnlich den Straßenkindern, die man heute aus Rumänien kennt, durchzogen die einzelnen Kommunen. Die Dörfer konnten die verwaisten Kinder nicht mehr versorgen, die Armenhäuser nicht mehr bezahlen und schickten die Kinder auf die Straße, von Dorf zu Dorf. Es herrschte furchtbare Not.
Aus dieser Not heraus sind viele Familien ausgewandert. Damals war Russland ein Auswanderungsland. Schon Katharina die Große hatte gesagt: „Ihr bekommt hundert Jahre Steuerfreiheit, braucht keinen Militärdienst und dürft auf gutem Boden siedeln.“ Auch Zar Alexander I. wiederholte diese Einladung. So sind viele Menschen ausgewandert.
In jener Zeit wurde Korntal gegründet. Bevor wir jedoch in die Geschichte eintauchen, nehme ich Sie mit auf einen kleinen Spaziergang durch Korntal, wie der Beginn auf dem Saalplatz genannt wird. Dort steht ein etwas scheunenartig gebautes Gebäude, der große Saal. Er hat nur einen kleinen Dachreiter mit einem kleinen Glöckchen. Als Wetterfahne dient das Lamm mit der Siegesfahne, das Sie heute Morgen auch auf den Bannern gehört haben: „Jesus lebt, Jesus siegt.“
Ich lese gerade ein dickes Buch über die Geschichte des Pietismus. Dabei bin ich überrascht, dass Wissenschaftler jetzt plötzlich sagen, wir hätten den Pietismus verkannt. Sie erkennen erst jetzt, welche Auswirkungen er auf Musik, Geistesleben, Philosophie und Baustile hatte. Graf Zinzendorf sagte: „Ach, die Kirchengebäude, die Kathedralen sind nichts. Wir brauchen die Festsäle der Schlösser.“
Das Festlichste, was es gibt, ist in Weiß gehalten, von Kerzen beleuchtet – das ist der Ort für Gottesdienste. Schauen Sie sich Königsfeld an, vor allem Herrnhut mit den schönen Herrnhüter Gebäuden. Korntal hat diesen Stil des großen Saals übernommen, auch heute noch in Weiß gehalten. Dort feiern wir unsere Gottesdienste, Frühgottesdienste mit bis zu 200 Leuten und Hauptgottesdienste mit 700 bis 800 Besuchern.
Natürlich liegt das auch daran, dass wir einen guten Pfarrer und Prediger haben, der den langen Steinbaren Höhe geprägt hat: Michael Wanner. Da sind schon Auswirkungen spürbar. Gott kann es durch Menschen schenken, dass Impulse weitergehen.
Ein prächtiges Leben! Als heute Morgen bei den Abkündigungen all die Kreise genannt wurden und Feste gefeiert wurden, Jugendgottesdienste, habe ich gedacht: Wir freuen uns, dass wir hier verschwistert sind, dass Gott in Korntal und hier auf der Laahöhe so ein Leben schenkt.
Korntal als Zentrum christlicher Einrichtungen
Wir verlassen den Saal. Gegenüber befindet sich in der Galerie eine kleine Ausstellung und ein Israeladen. Von Anfang an war Korntal mit dem Schicksal der Juden des Volkes Israel verbunden.
An dem Platz, an dem früher das große Bildungsinstitut, das Töchterinstitut, stand, wurden viele der schwäbischen Lehrerinnen und Lehrer geprägt. Sie alle hatten eine Verbindung zu diesem Töchterinstitut. Allerdings ist der Baugrund in Korntal sehr schlecht – es handelt sich um Gipskeuper, der durch das Grundwasser ausgewaschen wird. Am Ende war das Töchterinstitut baufällig geworden. Heute steht an dieser Stelle das prächtige Rathaus, das auf Betonsäulen errichtet wurde.
Wir gehen weiter am CvHM-Häusle und am Schlosshotel vorbei. Dieses ehemalige Landschloss war das einzige Gebäude, das früher auf dem Gelände stand, als Gottlieb Wilhelm Hoffmann sich die hundert Hektar in der Gegend gekauft hat. Heute ist es ein Hotel im Besitz der Brüdergemeinde, sehr vornehm. Wenn man dort keinen Parkplatz mehr bekommt, liegt das daran, dass Porsche dort seine Vertreterversammlung abhält. Das Hotel ist also sehr geschätzt.
Wenn man ein schönes Wochenende verbringen möchte, ist Korntal ein guter Ort dafür. Der Gottesdienst findet gleich nebenan statt. Dahinter liegt das Gemeindehaus. Wir gehen am Häusle vorbei und erreichen schon den alten Friedhof, den Begräbnisgarten oder Auferstehungsgarten genannt.
Gleich links vom Eingang befindet sich das Grab von Samuel Ewig, dem großen Indienmissionar mit seinem langen Bart. Er ist auf den indischen Götzenfesten erschienen, bis man ihn mit den Tempelelefanten wegjagte. Dahinter liegt das Grab von Rebmann, der als erster Weißer den Kilimandscharo entdeckte. Daneben befindet sich das Grab von Doktor Ludwig Krapff, einem bedeutenden Tansania-Missionar. Bei der Feier der großen Kirche in Ostafrika wurde gesagt, dass die modernste Erweckungsbewegung in Ostafrika von ihm und Rebmann geistlich geprägt wurde. Dabei konnte Rebmann nur einen einzigen Afrikaner taufen, einen Gefangenen. Doch Gott kann aus dem, was in unseren Augen nichts ist, etwas Großes machen.
Auch Missionar Isenberg ist hier begraben. Er wurde aus Abessinien vertrieben und nach langjähriger Haft von den Engländern nach Bombay gebracht. Dort sollte er Kinderheime aufbauen, weil die Engländer auf dem Indischen Ozean Sklavenschiffe mit afrikanischen Kindern aufgebracht hatten. Diese Kinder wurden nach Bombay gebracht, erzogen oder von Isenberg zurück nach Ostafrika gebracht, um die kleinen Rebmannschen Gemeinden zu unterstützen. Man könnte an jedem Grab endlos erzählen.
Über dem Begräbnisgarten befindet sich ein großes Areal, auf dem die Akademie für Weltmissionen steht. Dort können Missionare, die in Liebenzell oder anderen Bibelschulen wie Grishona ausgebildet wurden, ihr Studium aufstocken. In Asien und Afrika müssen sie immer wieder nachweisen, dass sie einen akademischen Grad wie Magister oder Bachelor besitzen. In Verbindung mit einer amerikanischen Universität können sie hier solche Abschlüsse erwerben.
So sind stets etwa 120 Missionare in der Gemeinde, was einen großen Impuls für die Gemeinde darstellt und sie lebendig hält. Es ist kaum möglich, alle ihre Berichte und Erfahrungen aufzunehmen.
Unten am Alten Friedhof befindet sich unser modernes Alten- und Pflegeheim. Ursprünglich als Altenheim gedacht, ist es heute ein reines Pflegeheim. Das Schöne daran ist, dass viele Gemeindeglieder, die können, sich engagieren. Auch wir Rentner sind dabei: Meine Frau macht zum Beispiel Gedächtnistraining, andere helfen beim Essen oder beim Betten. So sind die Gemeindeglieder von Korntal aktiv am diakonischen Auftrag beteiligt.
Wir sind aus Versehen an dem Haus vorbeigegangen, in dem auch das Büro der Ludwig-Hofacker-Vereinigung ist. Weiter unten liegt das große Areal des Missionsbundes „Licht im Osten“. Etwas weiter westlich befindet sich der Christliche Technikerbund. Man merkt, dass sich eine Vielzahl von christlichen Einrichtungen in Korntal angesiedelt hat.
An der Stelle, an der früher das Missionarshaus stand, hat Gottlieb Wilhelm Hoffmann gesagt: Wenn Missionare auf Heimaturlaub kommen oder plötzlich krank werden und aus Indien zurückkehren, wissen sie oft nicht, wohin sie sollen. Deshalb baute er ein Haus, in dem Missionsfamilien die ersten Monate unterkommen können, bevor klar ist, ob sie noch einmal ausreisen.
Außerdem errichtete er ein Witwenhaus, weil er erkannt hatte, dass Frauen ohne Versorgung dastehen, wenn ein Landwirt stirbt und das Erbe unter den Kindern verteilt wird. Er schuf eine Heimat für die Witwen, eine Versorgung, sowie das erste kleine Krankenhäusle und zwei Kindergärten.
Insgesamt gibt es heute 27 diakonische Einrichtungen, die von der Brüdergemeinde bis heute getragen werden. Auch die Mitglieder der Gemeinde, die sich gerade zur Brüdergemeindeversammlung treffen, unterstützen diese Einrichtungen.
All das ist entstanden. Wir haben noch nicht vom Gnadeninstitut gesprochen, noch nicht von der Rettungsanstalt, von den modernen Behindertenschulen, vom Flattichhaus und von der Mittelanstalt. Das alles kommt noch, wenn ich etwas mehr Luft habe.
Die Herausforderung des unfruchtbaren Bodens und die Gründung von Korntal
Aber jetzt wollen wir zuerst fragen: Wie kam es denn dazu, dass in diesem Korntal, das seinen Namen völlig zu Unrecht trägt, das entstanden ist? Denn es ist ein ganz unfruchtbares Gebiet.
Ich bin froh, dass wir kein Stückchen Garten mehr haben, sondern vor unseren Fenstern den schönen Schlosspark. Denn es würde keine einzige Moorrübe, kein einziger Rettich wachsen. Wir haben so einen festen Boden, wie festgetretener Schlamm, da wächst nichts Rechtes.
Es wurde berichtet, dass man im frühen Korntal auf den Äckern zwischen den einzelnen Halmen gehen konnte, ohne einen Halm zu zertreten. Und das heißt auch noch Korntal, nicht? Aber oben, auf der Höhe, über den ehemaligen Weinbergen – Wein soll dort gewachsen sein. Deshalb sind die alten Korntaler so klein geblieben; das hat sie zusammengezogen.
Es war kaum so essigzuverwenden. Aber oben beginnt das Strohgäu, München zu, da ist fruchtbarer Boden. Es gibt in Württemberg gar nicht viel fruchtbaren Boden auf den Filtern, dann im Gäu, bei Herrenberg, im Strohgäu, aber Korntal ist leer ausgegangen. Deshalb hat auch der Freiherr von Görlitz sein Gut verkauft.
Warum hat Hoffmann es gekauft? Hoffmann war als befähigter Notar und Schreiber dann zum Amtsbürgermeister des Amtes Leonberg gewählt worden. Heute würde man sagen Landrat. Er war verantwortlich für die bürgerlichen Gemeinden. Zwar gab es in jeder Gemeinde einen Schuldheiß, einen Schultheiß, aber der Landrat erledigte die eigentlichen Verwaltungsgeschäfte.
Zugleich war er Mitglied der Kammer im ersten Parlament Württembergs und ein guter Demokrat. Ein befähigter Mann. Der König hat ihn eingesetzt, zu der Zeit, als die französischen Truppen da waren, um im ganzen Land die Versorgung der Truppen zu regulieren. Dabei sorgte Hoffmann dafür, dass auch die Leute das letzte Heu für die Franzosen herausgaben.
Der König hatte Respekt vor dem Gottlieben Wilhelm Hoffmann, weil dieser ihm an einem Tag Paroli geboten hat. Auf der Höhe von Überkorntal sieht man das Schloss Solitude, damals noch vom Herzog Karl Eugen gebaut. Es blickt über die ganze Landschaft.
Die ganz gerade Straße von der Solitude hinüber nach Ludwigsburg war die Grundlage der Landesvermessung in Württemberg. Eine schnurgerade Straße, weil man mit Pythagoras oder rechten Winkeln, das wissen Sie besser, das berechnen konnte. Jedenfalls ist die Solitude so entstanden.
Der König sagte: „Ich brauche einen Wildpark.“ Und neben der Stadt Gerlingen, aus der die meisten württembergischen Missionare kamen, wollte er ein großes Stück Wald wegnehmen. Es waren schon die schwarz-roten Pfähle im Wald eingeschlagen.
Da sagte Hoffmann als Amtsbürgermeister: „Majestät, das geht nicht. Man darf nicht einfach Grund und Boden wegnehmen, das brauchen die Gerlinger.“ Der König sagte: „Ich entlohne sie.“ Hoffmann entgegnete: „Das Geld ist immer schnell verbraucht, wenn Geld da ist. Denn das ist dauernder Besitz.“
Er setzte sich gegen den König durch. Die Gerlinger sind heute noch dem Hoffmann dankbar, dass er das gemacht hat. Es war damals Mut vor dem Königsthron – eine ganz seltene Sache. Deshalb schätzte der König diesen Mann, diesen Hoffmann.
Hoffmann lebte in einem schönen Fachwerkhaus am Marktplatz in Leonberg, das heute noch zu sehen ist, zusammen mit der Familie Josenhans. Aus beiden Familien – Hoffmann und Josenhans – sind ganz großartige Missionsinspektoren hervorgegangen. Heute sind sie Direktoren der Basler Missionen, nämlich Joseph Josenhans und Ludwig Wilhelm Hoffmann.
Es war ein frommes Haus. Man nannte den Kaufladen von Josenhans in Leonberg den „Kuriosen Hans“. Wenn man neun Kinder hat und was in dem Laden alles gibt – das mit den neun Kindern ging bloß deshalb, weil ich neun gesagt habe – tatsächlich waren es neunzehn Kinder. Die Mutter war eine schlagkräftige Frau und hat die Kinderschar im Zaum gehalten.
Bei Hofmanns wurde nicht geschlagen; das war die nicht schlagende Linie. Und bei Josenhans war die schlagende Linie. Also war es ein kurioses Haus. Aber alle frommen Leute konnten das Haus anlaufen. Die Leute hatten ja schließlich nichts mehr zu essen.
Alle frommen Leute aus der Umgebung kamen zu Hoffmanns und Josenhans ins Haus und wurden herrlich aufgenommen. Hoffmann wollte manchmal Ruhe haben. Er hatte ein Hinterstübchen, in das er sich manchmal zurückzog, wenn zu viele fromme Brüder aufgetaucht sind.
Es ist auch gut, dass es früher schon das Problem gab, ob man sagen kann, der Vater ist nicht da, oder dass man sich verleugnen lassen kann. Man braucht ja auch mal irgendwann Ruhe. Und es war gutes Einvernehmen zwischen den beiden Familien.
Hoffmanns Engagement für Kinderarbeit und musikalische Impulse
Hoffmann hat bereits in Lernberg mit einer sehr intensiven Kinderarbeit begonnen. Ich habe vorgestern schon erwähnt – und gestern noch einmal betont –, dass geistliches Leben immer mit einer lebendigen Kinderarbeit beginnt, insbesondere mit der Sonntagsschularbeit. Denn so werden Laien als Erzähler und Mitarbeiter in die Bibel eingeführt.
Hoffmann hat ein Kinderliederbuch herausgegeben, das vom Calwer Verlag in mehreren Auflagen veröffentlicht wurde. Auch im musikalischen Bereich verfügte er über eine Begabung. Wenn heute eine neue Single erscheint, finde ich es immer interessant, dass auch damals die Erweckung daran zu erkennen war, dass man die alten Choräle schätzte, aber auch gerne neue Lieder dazu nahm.
Hoffmann litt als Politiker und Landrat darunter, dass so viele Familien ins Verderben stürzten, weil sie glaubten, in Russland würde alles besser laufen, wenn sie dort neu siedeln könnten. Diese Sorge teilte auch König Wilhelm. Schon sein Vorgänger, der „dicke Friedrich“, ehemaliger Kurfürst Friedrich von Württemberg, war eine markante Persönlichkeit – Napoleon staunte über die Dehnbarkeit seiner Haut. Bei seiner Beerdigung 1815 gab es ein Problem: Er passte einfach nicht in den Sarg.
Der „dicke Friedrich“ beklagte zurecht, dass die besten Familien dem Land verloren gingen – die unternehmungslustigsten wanderten aus. Amerika war damals für Württemberg noch kein attraktives Ziel. Wie konnte man diese Abwanderung stoppen? Friedrich List, ein Oberregierungsrat, wurde hinzugezogen. Er war ein bekannter Nationalökonom und sollte die Gründe für die Auswanderung analysieren.
List unterschied verschiedene Gruppen von Auswanderern: Es gibt Menschen, die aus totaler Verarmung kommen und deren Besitz verloren ist. Dann gibt es solche, die im Leben gescheitert sind. Diese könne man gehen lassen, das sei nicht schlimm. Aber es gibt auch eine Gruppe, die eine religiöse Erwartung hat: Sie glauben, dass Jesus bald wiederkommt. Und wenn Jesus wiederkommt, würden seine Füße auf dem Ölberg stehen.
Da Jerusalem damals zum Osmanischen Reich gehörte und man nicht dorthin reisen konnte, wollte man möglichst nahe sein – also nach Südrussland, auf die Krim. Denn wenn Jesus kommt, wollte man möglichst nahe bei ihm sein. Woher kam diese Erwartung?
Albrecht Bengel, der 1752 gestorben war, hatte nach seinen Berechnungen ausgerechnet, dass im Jahr 1836 das tausendjährige Reich beginnt. Das wird etwas kompliziert: Bengel rechnete nicht damit, dass Jesus sofort wiederkommt. Er war der Meinung, dass zuerst die tausend Jahre des Friedens kommen, in denen der Antichrist gebunden ist. Danach wird der Antichrist noch einmal losgelassen, und erst dann kommt Jesus.
Viele in Württemberg aber sagten: Wenn das tausendjährige Reich mit Frieden beginnt und der Antichrist gebunden ist, und Mission zu allen Völkern geht, kann es doch gar nicht anders sein, als dass Jesus vorher kommt. Diese Diskussion gibt es bis heute in der Theologie. Die Prämillenaristen und Postmillenaristen in Amerika streiten sich bis heute, ob Jesus vor oder nach dem tausendjährigen Reich wiederkommt.
Hoffmann sagte: Wenn der Herr Jesus kommt, werden wir ihn auch in Württemberg sehen. Wie der Blitz vom Aufgang der Sonne bis zur Mitte leuchtet, braucht man nicht extra nach Jerusalem zu gehen.
Nun gab es zwei Gruppen: Die einen wollten auswandern, die anderen bleiben. Deshalb gab Hoffmann für sein geplantes Korntal die Parole aus: „Wir beten, warten und hoffen, als ob der Herr morgen käme, und wir arbeiten und wirken in Treue, als ob es noch tausend Jahre weiterginge.“ Beides müsse man verstehen: Man will bereit sein, wenn der Morgen kommt, heute Abend oder morgen früh. Aber man will auch treu arbeiten, wenn es noch tausend Jahre weitergeht.
Diese Hoffnung nahm man auf, aber man berücksichtigte auch, was List gesagt hatte: Es gab die Gruppe, die nach Südrussland auswandern wollte, weil sie glaubten, dort Jesus näher zu sein. Hoffmann hielt das für unnötig und richtete eine Eingabe an den König. Er meinte, ein großer Teil würde hierbleiben, wenn man ihnen erlauben würde, eine eigene Gemeinde zu gründen. Dort könnten sie selbst bestimmen, welches Gesangbuch sie nutzen, welchen Pfarrer sie wählen, und wären nicht einem liberalen Pfarrer ausgeliefert.
Damals war die Zeit eines großen theologischen Liberalismus. Das Konsistorium schickte einfach die Pfarrer in die Gemeinden, und es gab ein neues Gesangbuch, das so seicht war, dass man es heute kaum mehr versteht. Im Vergleich dazu erscheint das neue evangelische Gesangbuch, das Einheitsgesangbuch, von damals sehr fromm.
Auch eine neue Liturgie wurde unter dem „dicken Friedrich“ eingeführt, bei der etwa bei der Taufe die Worte „Ich entsage dem Teufel und allen seinen Werken“ abgeschafft wurden. Man sagte, der Teufel sei durch Kabinettsbeschluss abgeschafft worden – gottlos von der Regierung. Viele sagten daraufhin: „Wir müssen weg hier.“
Hoffmann meinte, wenn man diesen Gemeinden erlauben würde, eine eigene Agenda zu haben und ihren Pfarrer selbst zu berufen, würden sie bleiben. Das Gesuch verschwand jedoch – wie das heute oft geschieht – unerledigt.
Hoffmann richtete insgesamt 17 Eingaben an den König, bis schließlich die siebzehnte erhört wurde. Er wusste als Landrat, dass man bei Behörden beharrlich bleiben muss. Zunächst wurde eine Umfrage gemacht, wie viele Familien überhaupt Interesse an einer solchen neuen Gemeinde hätten.
Über 700 Familien meldeten sich, tatsächlich begannen später etwa 80. Das zeigte ein großes Interesse. Es wäre großartig gewesen, wenn es diese eigene Gemeinde gegeben hätte.
Herausforderungen und Aufbau der Gemeinde Korntal
Im schwäbischen Pietismus hat einer meiner Ururururururgroßväter gesagt: „Ich verspreche mir überhaupt nichts davon, wenn fromme Leute zusammenziehen. Das wird furchtbar. Ich kenne mein eigenes Herz. Ich möchte fromm sein, aber ich kenne die Unarten meines eigenen Herzens. Wenn zwanzig Fromme zusammenziehen mit ihren je eigenen Unarten, das gibt ein Fiasko.“
Hoffmann hat selbst gesagt: „Am liebsten hätte ich einen Mörser, in dem ich jeden einzeln zerstampfe, und mit Liebe Gottes ansehe.“ Er war nüchtern in der Erkenntnis, dass es keine Idealgemeinde gibt – das gibt es auch heute nicht.
Wir haben auch den Streit: Es werden viel zu viele neue Lieder gesungen, die anderen sagen, es sind viel zu viele alte. Die Predigt ist viel zu lang oder viel zu kurz. Man muss zu oft aufstehen, zu oft sitzen – all diese Streitigkeiten gibt es auch heute noch. Wir haben doch alle unsere merkwürdigen Ecken und Kanten. Das war von Anfang an so.
Dann hat Hoffmann mit diesen 80 Familien begonnen, die meist aus armen Verhältnissen kamen. Er sagte: „Bevor ihr eure Hütten fertigbaut, die so ein bisschen Lehmhütten waren, wird der große Saal gebaut.“ Das erste Gebäude der Siedlung war also der große Saal. Er wurde 1819 eingeweiht. Tausende waren aus Württemberg gekommen. Ich weiß bis heute nicht, wie man das gemacht hat, denn sie hatten gar nicht alle Platz im großen Saal. Lautsprecheranlagen gab es damals nicht. Aber damals konnten die Brüder und auch die Pfarrer noch laut reden, das kann heute kaum noch jemand richtig.
Ich habe in Ulm im Münster noch als junger Pfarrer angefangen, als es noch keine Lautsprecheranlage gab. Dort hatten wir einen Pfarrer Klass, den Onkel des späteren Landesbischofs. Er hat so gepredigt: „Liebe Gemeinde!“ Er brauchte nicht viele Gedanken, um 25 Minuten zu füllen, aber er konnte laut reden. Im Ulmer Münster gibt es sieben Sekunden Nachhallzeit.
Aber jetzt wollen wir von Korntal sprechen. Also: Der große Saal wurde gebaut und mit einem Fest eingeweiht. Danach wurden die Straßen schachbrettartig angelegt. Hoffmann hatte sich vorgestellt, dass es eine Gemeinde des schwäbischen Pietismus gibt, in der die verschiedenen Gruppen der Pietisten versammelt sind.
Er selbst sagte: „Ich bin zum Glauben gekommen als Prägitzer.“ Da muss unser lieber Bruder später erklären, was die Prägitzer sind – mit einem mehr fröhlichen Christentum. „Ich will mein Leben führen als Haner, nämlich mit ernsthaftem Glaubensgehörsam, und ich möchte sterben als Herrnhuter, in fröhlicher Siegeszuversicht und Himmelshoffnung.“
Also müssen verschiedene Gruppierungen zusammenwirken, auch die verantwortlichen Personen. Da müssen ebenso viele Haner, Altpietisten und Prägitzer da sein, damit nicht eine Linie über die andere Überhand gewinnt. Schon damals mussten pietistische Brüder aufpassen, damit die Balance gehalten wird. Das hat Hoffmann als politischer Taktiker auch gewusst.
Nachdem der große Saal eingeweiht war, sagte Hoffmann: „Wir wollen nicht bloß jetzt für uns Freiheiten haben, sondern diese Gemeinde darf kein Tümpel sein, in dem das Wasser nachher abgestanden ist, sondern muss Abflüsse haben.“
Weil er selbst von seiner eigenen Leonberger Zeit her sehr für die Jugend aufgeschlossen war, sagte er: „Die erste Sache, die wir brauchen, ist Jugenderziehung, Kindererziehung. Wir wollen junge Menschen zu brauchbaren Bürgern dieser und jener Welt erziehen.“
Er holte den jungen Schulmeister, den Feuerkopf Johannes Kullen aus Metzingen, der dort eine kleine Lateinschulanstalt hatte. „Bring deine Schüler und deine Schwestern mit, die dir haushalten“, sagte Hoffmann. So entstand das Knabeninstitut.
Über das könnte man viel reden. Es gab eine Zeit im Knabeninstitut, etwa um 1860, als etwa 250 Gymnasiasten aus Schottland, England, Frankreich, der Schweiz, Ungarn und Österreich dort waren. Unter Professor Pleiter, der später das Johanneum gegründet hat, sagte man: „Wir brauchen die Ausländer, damit ich von den Schwaben verlangen kann, dass sie wenigstens schriftdeutsch reden. Denn die Ausländer müssen ja wenigstens schriftdeutsch sprechen können. Es hilft ihnen, wenn sie Englisch, Französisch usw. kennen.“
Der berühmte amerikanische Bibeltheologe Philipp Schaff war einer der Absolventen dieses Knabeninstituts, das unheimlich viele Freunde quer durch die Welt hatte. Was denken Sie, was für Horizonte das den jungen Leuten geöffnet hat?
Und unter Pfleider noch ein Gedanke: Pfleider hat in England gesehen, wie wichtig der Sport ist, einschließlich Fußballspiel. Er sagte: „Bei den Korntaler Geschwistern kann ich die jungen Leute auf der Wiese nicht Fußball spielen lassen, die sagen, sie sollen lieber Bibel lesen.“
Dann kaufte er vor den Toren von Korntal ein Grundstück am Tachensee und legte ein riesiges Sportgelände an, 1862, mit einer Halle, in der die jungen Leute abends verpflegt wurden. Mit Schubkarren wurden Imbisse aus dem Schülerheim herausgebracht. Im Winter konnten sie dort Schlittschuhlaufen, im Sommer im Tachensee baden. Ein kleiner Weinberg war dabei.
So wurde jugendgemäß auf die Interessen der jungen Leute eingegangen. Es war keineswegs bloß eng. Natürlich gab es auch Leute in Korntal, die eng waren, aber allein durch das Gnadeninstitut wurde der Horizont weit aufgerissen.
Man sagte: „Oh Kullen, du machst es gut, aber wir brauchen eigentlich auch ein Töchterinstitut.“ Es gab doch gar keine Mädchenbildung, erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entstand sie richtig. 1846 wurde eine höhere Ausbildung für Töchter eingeführt. Diese wurden so qualifiziert, dass sie fast alle Lehrerinnen wurden.
Das Töchterinstitut entstand also, aber vorher war etwas anderes entstanden. Hoffmann sagte: „Wir müssen etwas tun für die Straßenkinder.“
Vorher war es ausgelassen. Er wollte die verschiedenen Gruppen des Pietismus verbinden und sagte: „Der Michael Hahn, der Leiter der Hahnischen Gemeinschaften, Gründer der Hahnischen Gemeinschaften, der soll Vorsteher von Korntal werden.“
Kaum hatte er das gesagt, starb Hahn, wurde in die Ewigkeit abgerufen. Dann sagte Hoffmann: „Dann wird ein Hahnischer Bruder von Plieningen Vorsteher.“ Aber der starb auch. Da fragte Bruder Metzger von Auenhahner, von Böblingen: „Bist du bereit?“ Er antwortete: „Ich kann nicht von meinem Geschäft weg.“
Da hätte ich gesagt: „Es ist des Herrn ganz klar ausgesprochener Unwille, dass wir mit Korntal weitermachen.“ Es gab also Schwierigkeiten mit den Vorstehern. Aber dann sagte Hoffmann: „Dann mache ich es selbst.“
Er gab seinen gut bezahlten Posten als Notar auf und ging unbezahlt ehrenamtlich nach Korntal. Er lebte von ein paar Vermögensverwaltungen, machte nebenher die kleine Poststelle und betrieb mit seiner Familie das Gasthaus. Dieses Gasthaus führte er zu einer Blüte, sodass es im ganzen Umkreis hieß: „Wenn du gut speisen willst – und Schwaben speisen ist etwas besonders Wichtiges, denn es hält Leib und Seele zusammen – dann komm ins Gemeindegasthaus.“
Dieses wurde von Hoffmann selbst betrieben. Er übte großen Verzicht für sich und seine Familie.
Zu seiner Familie: Seine erste Frau starb früh bei der Geburt des ersten Kindes, auch das Kind starb. Seine zweite Frau, geborene Löffler, brachte drei Mädchen und einen Sohn zur Welt – den späteren Basler Missionsinspektor, späteren Generalstabsintendanten der Kurmark und Hofprediger in Berlin.
Die dritte Ehe war mit einer geborenen Löffler, einer geborenen Baumann. Aus ihr ging der Sohn Christoph hervor, der Führer der Templer, wenn Sie schon etwas gehört haben: Jaffa-Aroostan, Haifa, Beginn der Karmenmission. Das ist eine Extrageschichte, die ich nächstes Jahr erzähle.
Christoph Hofmann war ein bisschen anders; er glaubte später nicht mehr an Jesus und die Trinität. Er ist ein bisschen daneben hinausgegangen, war aber auch ein großer Unternehmer.
Also gab es verschiedene Ehen nacheinander. Aber Hoffmann war natürlich auch ein kleiner Papst, und man durfte ihm nicht widersprechen. Wenn er sich eine Idee in den Kopf gesetzt hatte, dann musste das gemacht werden.
So hatte er eines Tages die Idee, als in seinem Gemeindegasthaus ein bettelnder Bube hereinkam, abgehärmt. Einer von den Wirtsleuten sagte: „Es ist schlimm, dass man diese Leute auf der Straße lässt. Kann man da nichts tun?“ Und er legte Hoffmann 24 Kreuzer hin und sagte: „So ähnlich wie bei Franke in Halle, versuchen Sie etwas für die Kinder zu tun.“
Mit 24 Kreuzern begann der Aufbau einer Rettungsanstalt, einer Armenrettungsanstalt. Hoffmann sagte: „Ich brauche den befähigtesten Mann dazu.“ Er schrieb an Christian Heinrich Zeller von Beugen, der 1820 mit einer Armenrettungsanstalt am Rhein begonnen hatte: „Schick mir den besten Mitarbeiter.“
Zeller antwortete: „Ich habe gerade den Baumgärtner ans Raue Haus nach Hamburg gegeben, aber ich habe hier den Banner, der ist Württemberger, den kriegt ihr.“
Andreas Banner und seine Frau Christine, geborene Kullen, bauten das Rettungshaus auf. Sie erkannten sofort: „Diese Kinder sind so kaputt, dass ich sie nicht in die Dorfschule schicken kann, zu den anderen Kindern. Sie brauchen wahrscheinlich Einzelunterricht. Ich muss dem Einzelnen nachgehen.“
Man sagte: „Das schert aber alles auf. Jetzt braucht man einen extra Lehrer, der dir noch hilft in deiner Armenanstalt. Wir haben doch kaum Geld für die Kartoffeln da.“
Der Berner sagte: „Ich möchte eine eigene Schule um der Kinder willen.“ Da gerieten die beiden so in Streit, dass Hoffmann im Brüdergemeinderat aufstand, die Tür zuschlug und sagte: „Ich werfe den ganzen Bettel hin.“
Der Berner kam heim und sagte: „Oh Mutter, oh Mutter, jetzt ist alles aus mit unserer Brüdergemeinde. Der Herr Vorsteher ist völlig aus dem Häuschen, und ich habe ihm Widerpart gegeben. Ich habe alles falsch gemacht.“
Da setzte sich Christine schnell hin und schrieb einen kleinen Zettel: „Verehrter Herr Vorsteher, vielleicht haben wir alle gefehlt, aber wir müssen doch zusammenhalten. Vergeben Sie um Christi willen!“
Daraufhin sagten sie: „Na gut, dann ist es in Ordnung, dann mache ich wieder weiter.“
Wenn Frauen Zettel schreiben, ist das ganz wichtig. Eine Nase, wo ein Gewitter aufzieht. Wir Männer können oft nicht von unserer Position herunter, bis wir merken: Korntal ist keineswegs ein heiliger Ort.
Das habe ich in meinen Büchlein immer geschrieben: Nicht, dass man sagt, heiliges Korntal, in dem die Menschen heilig sind. Es waren lauter Menschen mit Ecken, Kanten und Fehlern, und Gott hat durch einzelne Leute wieder geholfen, dass man einigermaßen weitergekommen ist.
Aus dieser Armenanstalt ist ein ganz großes Werk mit behinderten oder früh kaputtgemachten Kindern entstanden. Ich darf alle paar Wochen dort Andacht halten.
So beten meine Frau und ich nie für einen geistlichen Auftrag, bevor es zu den Kindern geht, dass sie überhaupt ruhig werden. Da muss man eine Mischung zwischen Billy Graham und einem Löwendompteur sein.
Neulich war es ein Geschenk. Es war die Davidsgeschichte dran, in der David auf der Harfe spielt, wenn Saul unruhig war vom bösen Geist. Abends kommt Frau Bodenberger und ruft an und sagt: „Herr Schöpf, wissen Sie, was heute Abend passiert ist? Der ganz schwierige junge Kerl, zehnjährig, können wir nicht etwas singen?“
„Ja, warum?“
„Damit der böse Geist weggeht.“
Sei Halleluja, lieber Gott, dass bei dem armen Jungen etwas von der Geschichte angekommen ist.
Für solche Aufgaben sind unsere Rettungsanstalten da, die heute alle weißen Spezialschulen sind – ich kenne gar nicht die heutigen Ausdrücke –, wie man heute sagt: die Johannes-Kullen-Schule. Dort sind fast immer nur Klassen mit ein oder zwei Kindern.
Zeitlang wollte die Stadt Stuttgart, weil wir außerhalb des Territoriums von Stuttgart liegen, uns keine Kinder mehr schicken. Es mussten zuerst die Plätze in Stuttgart gefüllt werden. Jetzt haben sie gemerkt, dass so wie in Korntal die Kinder nirgends betreut werden, dass wenigstens bei einigen Hoffnung entsteht, dass sie zurechtkommen und zu brauchbaren Bürgern dieser und jener Welt werden.
Jetzt haben wir wieder Schule und Heim voll, und da sind wir froh.
Das fängt schon mit Kleinkindern an. Ich habe bei unserer Schwester Anna erlebt, wie ein Zuhälter ein Kind brachte, das eine Prostituierte geboren hatte. Aus solchem Milieu kommen die Kinder schon zweijährig total verkommen.
Korntal hat diese Anstalten betrieben, neben dem Witwenhaus und dem Missionssitz. Aber das ganz große Anliegen von Korntal war immer die Weltmission, verbunden mit der Evangelisation.
Deshalb waren wir so froh, dass Emil Zimmermann, der erste große Evangelist nach Elias Schrenk, seinen Wohnsitz in Korntal genommen hat und der Evangelist aus Korntal war. Heute kommen noch viele Evangelisten aus Korntal, vor allem aber Missionare.
Durch die Akademie für Weltmission und durch viele Missionare, die von Korntal ausgegangen sind, schlägt ihre Wirkung bis heute in Korntal Wellen.
Weitere Impulse und Herausforderungen in Korntal
Ein letztes möchte ich noch erzählen. Es gäbe noch viel zu berichten, aber ich habe einiges vom Geist von Korntal in dieses Büchlein aufgenommen.
Karl Köllner, der die Judenmission entdeckt hat, ist eine wichtige Persönlichkeit in dieser Geschichte. Der König Wilhelm sagte: „Ich habe erlaubt, dass Korntal gegründet wird. Wie sieht es mit einer zweiten Gemeinde aus?“ Er antwortete Hofmann, dass er eigentlich genug zu tun habe, um Korntal aus den Schulden herauszubringen. Den Tilgungsplan für das Gelände, das er 1836 gekauft hatte, setzte er fest – für den Fall, dass Jesus wiederkommt. Andere hätten vielleicht gesagt, es sei nicht schlimm, wenn sie Schulden haben, falls Jesus zurückkehrt. Sie müssten sich dann nicht darum kümmern. Aber der König wollte, dass seine Schulden bezahlt sind, wenn Jesus für ihn wiederkommt.
Dann sagte der König, er habe noch eine Aufgabe im Oberschwäbischen, im neu hinzugekommenen Württemberg, von Ulm südwärts bis Friedrichshafen. Der „dicke König Friedrich“ hatte deutlich erklärt: „Jetzt habe ich sogar einen Hafen.“ Deshalb wurde Botmann in Friedrichshafen umbenannt. In diesem Gebiet, das von viel Moor geprägt ist, sollte eine Gemeinde entstehen, die das Moor und Ried urbar macht. Man nannte sie zu Ehren des nachfolgenden Königs Wilhelms „Wilhelmsdorf“. Korntal bürgte für seine Tochtergemeinde.
Liebe Brüder und Schwestern, ich spreche aus viel Erfahrung: Bürgen Sie niemals! Lieber werfen Sie das Geld in den Rhein, da hören Sie es wenigstens platschen. Niemals bürgen! Doch Korntal übernahm die Bürgschaft aus Verantwortung für Wilhelmsdorf und stand beinahe vor dem Bankrott. Hofmann war damals schon schwer krank und schrieb mit dem Finger auf die Decke „Wilhelmsdorf“. Er wurde bis in seine schwerste Krankheitszeit verfolgt. Mit seinem eigenen Vermögen bürgte er, konnte seinen Kindern aber nichts hinterlassen.
Dann sprang ein junger schwäbischer Notar namens Dauer ein, der später Hofmanns Nachfolger wurde. Er warb bei den schwäbischen pietistischen Gemeinschaften um eine weitere Sonderspende. Die Gemeinschaften brachten noch einmal 40 Gulden zusammen. Mit diesem Betrag konnte Wilhelmsdorf entschuldet werden – damals eine unvorstellbar große Summe. Hofmann erlebte die Entschuldung nicht mehr, doch Gott wirkte das Wunder über seinen Tod hinaus.
Während seines Lebens wurde er oft lächerlich gemacht. Zur Verteidigung erschien eine Schrift von Dr. Christian Gottloh Barth mit dem Titel „Hoffmännische Tropfen gegen die Glaubensohnmacht unserer Zeit“. Daraufhin schrieb ein liberaler Pfarrer eine Gegenschrift, in der die „hoffmännischen Tropfen“ chemisch untersucht und als nichtig erkannt wurden. Es entbrannte damals ein Kampf. Hoffmann sagte: „Gott sei Dank ist alles nicht wahr, und Gott gebe, dass es nicht wahr wird.“ Er konnte über die Kritik, die an ihm geübt wurde, hinwegsehen.
Der eigentliche Impuls seines Lebens war für ihn, dass Gott ihm große Gaben – politische und wirtschaftliche – verliehen hatte. In der Christenheit brauchen wir Menschen, die befähigt sind, sich im normalen Leben zu bewegen und auch zu taktieren. Gott prägte diesen Mann durch die Schriften, die er gelesen hatte – von Steinhofer, Brasburger und vor allem Luther. Der Geist dieser Menschen kam über ihn, sodass er sich nicht in den Nöten von Korntal festgrub, sondern ein Mann des Hoffens blieb.
Als sein Sohn, Dr. Ludwig Wilhelm Hofmann, von Basel über Tübingen als Hofprediger nach Berlin berufen wurde, schrieb ihm sein Freund Blumhart: „Lieber Wilhelm, verliere dein Eff nicht, werde nicht aus einem Hoffmann ein Hofmann, ein Höfling.“ Der Vater Hofmann blieb ein Mann des Hoffens.
Mit weitem Blick für viele Gemeinden bis nach Südrussland sorgte er für Pfarrer. Wenn Sie heute immer wieder hören, dass bei Tisch über die Mennoniten-Brüdergemeinden gesprochen wird, die in Kanada, Paraguay, Tschako und Russland leben und trotz furchtbarer Verfolgungen zusammengehalten haben, dann wissen Sie: Die Verfassung der Mennoniten-Brüdergemeinden ist von Korntal abgekupfert. Pfarrer Eduard Wüst, den Hofmann nach Neustuttgart, Rosenfeld und Neu-Ulm in die Gegend von Berdjansk schickte, brachte diese Verfassung mit. Sie besagt, dass die Laien das Sagen haben und ihren Pfarrer selbst bestimmen können. Auch das Liedgut und eine geordnete Liturgie sind wichtig. Diese Regeln halfen den Mennonitengemeinden, mitten in Verfolgungszeiten die schwere Zeit zu überstehen.
Sie sehen: Impulse, die Gott durch diesen einen Mann des Hoffens geschenkt hat, leben weiter. Wir wollen warten, beten und hoffen, als käme der Herr morgen. Gleichzeitig wollen wir arbeiten und wirken, als ob es noch tausend Jahre weiterginge.
Herr, mach uns bereit, mit dir zu leben, sodass wir mit dir zusammen weder Zeit noch Stunde wissen, aber uns von dir sagen lassen: „Wacht, seid bereit!“ Schenk uns das, damit wir brauchbare Bürger dieser und erst recht jener Welt werden. Amen!