Ich freue mich, dass so viele von Ihnen gekommen sind, um diesen Nachmittag mit mir zu verbringen. Es wäre ja auch schade, wenn ich hier ganz alleine wäre. Dann könnte ich zwar ein Buch hervornehmen und ein bisschen lesen – so wäre die Kirchengeschichte. Aber ich denke, es wird durchaus eine spannende und lohnende Zeit, die wir hier miteinander verbringen wollen.
Zuerst einmal möchte ich die letzten Verse lesen, die wir in der Apostelgeschichte finden. Die Apostelgeschichte ist ja der Bericht, der uns mit hineinnimmt in das, was nach den Evangelienberichten geschehen ist, also nach dem Tod und der Auferstehung Jesu.
Wir wissen, dass sich in der Apostelgeschichte der erste Teil, etwa die erste Hälfte, mit der Ausbreitung der Gemeinde in Jerusalem, Judäa, Samaria und dann auch in die Heidenwelt hinein beschäftigt. Im Zentrum dieser Beschreibung steht Petrus, der Apostel. Dann wechselt es etwa in der Mitte der Apostelgeschichte, und plötzlich steht Paulus im Mittelpunkt. Paulus steht dann stellvertretend für die Ausbreitung des christlichen Glaubens im ganzen Römischen Reich.
Das endet dann in Kapitel 28, Vers 30: Paulus aber blieb zwei Jahre in einer eigenen Mietwohnung und nahm alle auf, die zu ihm kamen, und er verkündigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit aller Freimütigkeit und ungehindert.
Das sind die letzten beiden Verse in der Apostelgeschichte. Wir erinnern uns: Paulus wird in Jerusalem festgenommen, bleibt dann einige Zeit in Cäsarea am Meer in Gefangenschaft. Er wird dann per Schiff nach Rom gebracht und wartet dort auf seinen Prozess, weil er sich auf den Kaiser berufen hat. Von dort aus schreibt er auch die sogenannten Gefangenschaftsbriefe, das heißt die Briefe aus der Gefangenschaft an die verschiedenen Gemeinden, um an ihrer Seelsorge zu üben.
Hier wird damit abgeschlossen: Er blieb zwei Jahre in dieser Gefangenschaft. Es war eine lockere Gefangenschaft in einer eigenen Wohnung, aber bewacht von Soldaten, die rechts und links neben ihm waren und auf ihn Acht gaben. Man hatte keine Angst, dass er fliehen würde.
Das sind die letzten Ereignisse, die wir in der Bibel über die Ausbreitung des Evangeliums finden. An dem Punkt, an dem es abbricht, lebt Paulus noch, ebenso zahlreiche andere Jünger. Was danach passiert ist, was bis in die Gegenwart im Reich Gottes geschieht, damit beschäftigt sich die Kirchengeschichte.
Ich glaube, es ist gut, dass wir uns heute Nachmittag etwas Zeit dafür reservieren, um ganz klein hineinzuschnuppern in das, was im ersten, zweiten und dritten Jahrhundert geschehen ist.
Denn wir sollten uns vor Augen führen: Gott ist ein Gott der Geschichte, nicht wahr? Die Bibel besteht nicht nur aus dogmatischen, lehrmäßigen Aussagen darüber, was wir tun und lassen sollen. Ein großer Teil der Bibel beschreibt vielmehr, wie Gott mit Menschen gehandelt hat.
Zum Beispiel lesen wir im ersten Buch Mose, wie Gott eine Sintflut schickte – ein geschichtliches Ereignis. Ebenso, wie er Abraham berief, ebenfalls ein historisches Ereignis. Wir erfahren, wie er das Volk Israel sammelte, wie er Mose berief und sein Volk aus Ägypten befreite.
Dann folgen die Bücher 1. Könige, 2. Könige, 1. Chronik, 2. Chronik, 1. Samuel und 2. Samuel – allesamt Geschichtsbücher. Dort wird beschrieben, wie die verschiedenen Könige in Israel regiert haben und was Gott in dieser Zeit getan hat.
Darüber hinaus enthalten viele Aussagen der Propheten historische Bezüge. Die Evangelien sind zunächst Beschreibungen des irdischen Lebens Jesu, also ebenfalls geschichtliche Darstellungen. Die Apostelgeschichte trägt ihren Namen, weil sie uns weitergibt, wie Gott mit Menschen handelt.
Ich glaube, wir können daraus schließen, dass Gott ein Gott ist, der in die Geschichte eingegangen ist und sich den Menschen in der Geschichte offenbart hat. Das hat nicht mit dem Abfassen der Apostelgeschichte aufgehört. Wir gehen davon aus, dass wir auch heute noch Gottes Eingreifen in unserem Leben erleben.
Ihr als Gemeinde hier in Achenbach seid ein Teil dieser Kirchengeschichte. Gott hat hier mit euch gearbeitet und Geschwister berufen, vor allem vor zwei oder drei Generationen, um mit der Gemeindearbeit zu beginnen. Bevor diese Gemeinde entstand, gab es andere Gemeinden, andere Kirchen und Christen, die mit Gott lebten.
Insofern denke ich, wenn wir Gott näher kennenlernen wollen, sollten wir nicht mit den Worten aus der Apostelgeschichte abbrechen. Vielmehr sollten wir hineinschauen, wie Gott über all diese Zeit hinweg gehandelt hat.
Darüber hinaus verstehen wir auch uns selbst viel besser. Wir sind ja alle – ob wir es mehr oder weniger wissen oder uns dessen bewusst sind – geprägt durch die Kirchengeschichte, unter anderem auch durch die frühe Kirchengeschichte. Manchmal wissen wir das nicht, und dann ist es gut, sich dessen bewusst zu werden, um besser damit umgehen zu können.
Wir verdanken vielen dieser Glaubensväter Immenses. Hätten sie nicht die Bibel aufgeschrieben, so wie wir sie heute haben – unter Leitung des Heiligen Geistes –, säßen wir heute ohne Informationen über Jesus und die Jünger da.
Hätten sie diese Schriften nicht nur verfasst, sondern auch überliefert, immer wieder abgeschrieben und genau darauf geachtet, dass sich nichts daran verändert, dann hätten wir ebenfalls keine Informationen über Jesus und seine Jünger in der Gemeinde.
Wir verdanken diesen Vätern vieles. Sie haben auch viele Streitfragen beantwortet, die bis heute in der Christenheit diskutiert werden, und sich intensiv damit auseinandergesetzt.
Viele von ihnen waren Vorbilder im Glauben. Sie lebten in einer ähnlichen Situation, wie wir sie heute erleben. Von ihnen können wir lernen, wie wir uns heute verhalten sollten und welche Auswirkungen unser Verhalten haben kann.
Ich denke, so sollten wir hier genauer hinschauen. Das wollen wir in aller gebotenen Kürze tun. Wenn ich heute 300 Jahre in einer Stunde darlege, dann ist natürlich klar: Es geht nur um die allerwichtigsten Dinge. Es geht darum, einige grundsätzliche Züge vor Augen zu führen.
Ich beginne damit, darauf hinzuweisen, dass die Geschichte, wie ich gesagt habe, in der Apostelgeschichte direkt weitergeht. Beispielsweise wissen wir aus der Kirchengeschichte, dass Paulus nach seinem Prozess, den er hier hatte, freigesprochen wurde und dann noch einige Jahre in Spanien missionierte. Davon lesen wir in der Apostelgeschichte nichts.
Wir erfahren allerdings, dass Paulus diese Absicht hatte. Im Römerbrief schreibt Paulus nämlich der Gemeinde in Rom, dass er jetzt nach Rom kommt und dann ganz im Westen, also von ihm aus gesehen, in Spanien das Evangelium verkünden will.
Wir wissen, dass Paulus systematisch vorging. Er begann im Osten, an Jochien, missionierte dann Kleinasien und kam danach nach Griechenland. Als Nächstes wollte er nach Italien. Dort kam er auch an, allerdings anders, als er es sich vorgestellt hatte, nämlich als Gefangener. In Italien gab es bereits einige Gemeinden, wie die Gemeinde in Rom. Wir wissen nicht genau, wie sie entstanden ist.
Paulus wurde freigelassen und missionierte weiter. Unter der Verfolgung von Nero wurde er noch einmal festgenommen und starb dort, soweit wir wissen, den Märtyrertod in Rom, etwa gleichzeitig mit Petrus.
Dann wissen wir, dass einer der letzten Jünger der Johannes war. Er war im hohen Alter zunächst in Ephesus und später auf Patmos, wo er die Offenbarung schrieb. Die Heilsgeschichte, oder die Geschichte Gottes, geht hier weiter. Es gab dann die Schüler des Paulus.
Manche von ihnen kennen wir mit Namen. In den Briefen werden sie besonders erwähnt, zum Beispiel Titus, Timotheus oder Johannes Markus. Viele einzelne Personen werden genannt, manche lesen wir nur in den Grußlisten, etwa am Ende des Römerbriefs. Dort erfahren wir, wie viele Menschen an der Ausbreitung des Evangeliums beteiligt waren. Noch viel mehr sind jedoch namenlos geblieben.
Wir finden nur kleine Hinweise, und außerhalb der Kirchengeschichte lesen wir noch mehr über ihre Wirksamkeit. Zum Beispiel erfahren wir von Papias, einem Schüler des Johannes, der ebenfalls in Ephesus war und von Johannes gelernt hat. Papias schrieb Briefe und berichtet als einer der Ersten außerhalb der Bibel von den Evangelien.
Die ältesten Evangelien-Schriften, die wir haben, stammen bis auf einen kleinen Schnipsel aus dem Markus-Evangelium erst aus dem frühen 2. Jahrhundert. Papias berichtet jedoch, dass zu seiner Zeit, um das Jahr 90 herum, die Evangelien, die wir heute haben, bereits aufgeschrieben wurden.
Er zeigt uns beispielsweise, dass das Matthäusevangelium ursprünglich in hebräischer Schrift verfasst wurde. Das können wir auch nachvollziehen, denn wenn wir das Matthäusevangelium anschauen, richtet es sich in erster Linie an die Juden, die für den Glauben erreicht werden sollen. Deshalb wird immer wieder betont, dass das Volk Israel das erwählte Volk ist und dass Jesus der Messias ist.
In keinem anderen Evangelium wird so oft auf erfüllte Prophetien aus dem Alten Testament hingewiesen wie im Matthäusevangelium. Daher ist es naheliegend, dass Papias Recht hat und das Evangelium auf Hebräisch verfasst wurde.
Papias schreibt auch von Lukas, einem Begleiter des Paulus, wie wir aus den Briefen des Paulus erschließen können. Lukas hat das Lukasevangelium zusammengestellt und aufgeschrieben.
Hier merken wir: Die Geschichte geht weiter, sie endet nicht mit den Jüngern. Übrigens werden in der Apostelgeschichte nur diese zwei Jünger Jesu erwähnt. Wir haben aber noch die anderen zehn, von denen wir ebenfalls aus der Kirchengeschichte wissen, wo und wie sie aktiv waren.
Einige von ihnen gingen zeitgleich in den Osten, möglicherweise sogar bis nach Indien. Wir wissen von der Ausbreitung des christlichen Glaubens in Bessinien zur selben Zeit, wo eine eigene christliche Kirche entstand. Davon lesen wir nur wenig, etwa vom Kämmerer aus dem Morgenland. Was daraus geworden ist, erfahren wir nicht aus der Bibel, sondern aus der Kirchengeschichte.
So breitete sich der christliche Glaube im ersten Jahrhundert in Ägypten und Nordafrika aus. Im Galater 4,4 heißt es: "Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Jungfrau, unter das Gesetz getan usw." Was ist mit "als die Zeit erfüllt war" gemeint?
Ich denke, damit ist gemeint, dass Gott die Weltgeschichte auf die Entstehung der Gemeinde vorbereitet hat. Wahrscheinlich haben einige das schon einmal gelesen: Es war das römische Weltreich, das die besten Voraussetzungen für die Ausbreitung des Evangeliums bot.
Erstens waren im gesamten römischen Reich Juden verbreitet. In jeder größeren Stadt wohnten Juden. Durch sie hatten auch die Heiden bereits vom Alten Testament gehört. Sie wussten, dass es nur einen Gott gibt und dieser Gott unsichtbar ist.
Als die Christen begannen zu predigen, konnten sie auf dem aufbauen, was die Menschen bereits von den Juden gehört hatten. Das ist ein Punkt, den Gott vorbereitet hat.
Ein weiterer Punkt war die griechische Sprache, das sogenannte griechische Koine, in der das Neue Testament geschrieben wurde. Diese Sprache wurde erst im Jahrhundert vor der Geburt Jesu zur allgemein verständlichen Sprache im gesamten östlichen Mittelmeerraum.
Auch hier war es einfacher zu predigen, da jeder die Sprache verstand. Man musste nicht von einer Grenze zur nächsten einen Übersetzer mitnehmen oder die Bibel in eine neue Sprache übersetzen. Auch das zeigt, dass Gott vorbereitet hat.
Darüber hinaus gab es im römischen Reich eine Multikulti-Gesellschaft, wie wir heute sagen würden: Multikulturalität. Es gab viele verschiedene Religionen, und deshalb herrschte im römischen Reich eine gewisse Religionsfreiheit. Das war nicht immer so.
Auch hier hat Gott vorbereitet. Jeder Römer konnte sich aussuchen, welchem Glauben er folgen wollte. So sehen wir, dass Gott in der Geschichte vieles vorbereitet hat.
Wenn wir uns das heute anschauen, sehen wir eine explosionsartige Ausbreitung des Christentums, die damals begann. Am meisten beteiligt daran waren nicht die großen Apostel oder großen Prediger, sondern die ganz normalen, einfachen Christen.
Diese Christen wurden durch Verfolgungen hier und dort vertrieben und erzählten frei von ihrem Glauben. Da waren Kaufleute und Handelsleute, die über die großen Straßen zogen, die damals gebaut worden waren, und frei von ihrem Glauben berichteten.
Es waren diejenigen, die den Missionsauftrag sahen und in fremde Städte gingen, um zu missionieren. Viele, viele namenlose, einfache Christen erzählten vom Glauben.
Ohne sie hätte sich das Christentum nicht ausgebreitet. Ein Christentum, das auf irgendwelchen Amtshierarchien oder vollzeitig angestellten Mitarbeitern aufgebaut wäre, gab es damals nicht. Fast alles war ehrenamtlich und wurde nebenbei gemacht.
Das führte dazu, dass niemand die Verantwortung abschob. Es gab nicht die Haltung "Die sind dafür verantwortlich", sondern jeder sah sich selbst in der Verantwortung.
So war es im ersten Jahrhundert. Allerdings wurden die Christen nicht immer freundlich aufgenommen.
Wir lesen in der Apostelgeschichte von Ephesus, wie Paulus dort auftritt und der Silberschmied Demetrios zum Aufstand aufruft. Er fürchtet, dass der Kult der Diana verloren gehen könnte.
In den ersten drei Jahrhunderten sind die Christen absolut in der Minderheit. Obwohl wir von Gemeinden lesen, sind diese meist sehr klein. Die Größe entsprach oft etwa der Anzahl der Personen, die hier sitzen – das wäre damals schon eine sehr große Gemeinde gewesen.
Beispielsweise berichtet Ignatius im zweiten Jahrhundert, als er in seine Gemeinde kommt, dass diese gerade einmal dreißig Mitglieder zählt. Das bedeutet, dass überwiegend kleine Gemeinden entstanden sind.
Es gab starken Widerstand, zunächst von den Vertretern der etablierten Religionen Griechenlands und Roms. Die Anhänger von Zeus, Diana, Athene und anderen Göttern des griechischen Altertums waren gegen die Christen eingestellt, da sie diese als Konkurrenz wahrnahmen.
Auch die Juden arbeiteten gegen die Christen, weil sie diese als Sekten ansahen, die Jesus als Messias verkündeten, obwohl er nach jüdischer Auffassung nicht der Messias sei.
Der römische Staat betrachtete die Christen ebenfalls kritisch. Die Christen galten als schlechte Untertanen, weil sie nicht schwören wollten und auch keine göttliche Verehrung dem Kaiser entgegenbrachten. Deshalb wurden sie angegriffen und verfolgt.
Darüber hinaus gab es die Gnostiker, eine philosophische Gruppe der damaligen Zeit, die man heute am ehesten als Esoteriker bezeichnen würde. Auch sie standen den Christen ablehnend gegenüber.
Zudem fühlten sich viele Menschen in der Bevölkerung durch die Christen provoziert. Am Wochenende gingen sie ins Theater oder in den Zirkus, um Gladiatorenspiele zu sehen. Dort kämpften Menschen brutal gegeneinander, oft mit tödlichem Ausgang. Diese Kämpfe waren keine bloßen Schauspiele, sondern reale Todeskämpfe, die jede Woche stattfanden und von den Zuschauern verfolgt wurden.
Die Christen kamen und erklärten, dass dieses Vergnügen nicht im Sinne Gottes sei. Sie warnten, dass es ein Gericht geben werde und die Menschen vor Gott gerichtet würden. Diejenigen, die so lebten, würden ewiges Feuer erwarten.
Man kann sich vorstellen, dass die Nachbarn dieser Christen nicht erfreut waren. Sie verbreiteten oft üble Nachrede gegen sie.
In den ersten drei Jahrhunderten bis zu Konstantin dem Großen im Jahr 312 gab es immer wieder Verfolgungen im Römischen Reich. Dabei darf man jedoch nicht den Eindruck gewinnen, dass Christen ständig verfolgt wurden. Wäre das so gewesen, hätte es keine Christen mehr gegeben.
Diese Verfolgungen waren meist regional begrenzt, oft nur von kurzer Dauer und nicht immer systematisch. Häufig handelte es sich um Aktionen lokaler Herrscher, etwa eines Prokurators, der sich Respekt verschaffen wollte und einen Sündenbock brauchte. Dann wurden Christen angegriffen oder verfolgt, doch nach einigen Monaten legte sich das wieder.
Wie reagierten die Christen auf solche Verfolgungen? Manche leugneten ihren Glauben, wie Petrus, der im Vorhof des Hohepriesters sagte, er habe nichts mit Jesus zu tun. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, wie grausam Christen damals umgebracht wurden.
Andere Christen flohen in andere Regionen. Ein Beispiel sind Priscilla und Aquila, die in Rom verfolgt wurden, flohen und später zurückkehrten. Dieses Vorgehen war auch in den folgenden Jahrhunderten üblich.
Manche versteckten sich, wurden von Bekannten verborgen oder lebten zeitweise in Katakomben. Das war eine weitere Variante des Schutzes.
Es gab auch Christen, die sogenannte Libelli besaßen. Das waren kleine Scheine, die dokumentierten, dass jemand ein Opfer vor dem Standbild des Kaisers dargebracht hatte. Wer so einen Schein vorweisen konnte, wurde nicht verfolgt.
Da Christen jedoch keinen Weihrauch vor dem Kaiseropfergefäß darbrachten, da sie den Kaiser nicht verehrten, konnten sie keinen solchen Schein erhalten. Einige Christen bestachen deshalb Opferbeamte, damit diese ihnen einen Schein ausstellten, ohne dass sie tatsächlich geopfert hatten.
Man kann sich fragen, ob das legitim war. Zwar wurde nicht geopfert, aber bestochen und gelogen. Doch zumindest dadurch überlebten manche.
Schließlich gab es Christen, die treu blieben und sich töten ließen. Tertullian, einer der bedeutendsten Kirchenlehrer des zweiten Jahrhunderts, schrieb um 180: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche.“ Denn die Christenverfolgungen jener Zeit waren oft kontraproduktiv.
Man könnte sagen, sie wirkten wie eine Massenevangelisation. Warum? Weil die Christen, die sich verfolgten ließen, ein Zeugnis abgaben, das viele Menschen neugierig machte. Mehr Menschen bekehrten sich nach solchen Hinrichtungen, als dass Christen getötet wurden.
Stellen wir uns vor: In einem großen Theater sind Tausende versammelt. Sie sind es gewohnt, Gladiatoren zu sehen, die mit wilden Tieren kämpfen, oder Schwerverbrecher, die den Tieren zum Fraß vorgeworfen werden. Diese grausamen Schauspiele gehörten zur damaligen Unterhaltung.
Dann werden Christen hereingeführt, und die hungrigen Löwen werden auf sie losgelassen. Doch die Christen laufen nicht weg, schreien nicht um ihr Leben und bitten nicht um Gnade. Stattdessen singen sie Chöre, knien sich im Kreis nieder und bitten Gott um Kraft für diese letzte Prüfung.
Zunächst buhen einige Zuschauer, weil das nicht die Show ist, die sie erwartet hatten. Doch immer mehr Menschen fragen sich, woher die Christen diese Kraft nehmen. Das wirkt übermenschlich und unmöglich.
Diese Haltung führt dazu, dass immer mehr Menschen in der Öffentlichkeit nach Jesus und den Gemeinden fragen und sich viele zum Glauben bekehren.
Es ist uns vielleicht verständlich, dass Gott solche Situationen gebraucht. Manche mögen sich fragen, wie sie selbst in einer solchen Lage reagieren würden.
Wir können das wohl nicht wirklich beantworten. Wer würde schon gern vom Löwen gefressen werden? Oder sich durch Bestechung einen Schein kaufen, um weiterleben zu können? Der Tod auf diese Weise ist keine angenehme Vorstellung.
Doch die Christen damals waren ganz normale Menschen, wie du und ich. In dem Moment, in dem sie es brauchten, erhielten sie von Gott Kraft, standhaft zu bleiben.
Es gibt verschiedene Überlieferungen, wie genau diese Kraft kam. Zum Beispiel lesen wir von Perpetua, die Ende des zweiten Jahrhunderts in Ägypten verfolgt wurde. Sie war eine junge Frau aus dem Adel, die zum Glauben gekommen war.
Sie wurde festgenommen, kurz nachdem sie ein Kind geboren hatte. Das Baby wurde nicht berücksichtigt. Perpetua kam in ein finsteres Verlies und wurde aufgefordert, abzuschwören. Wenn sie das täte, könnte sie ihr Kind wiedersehen und zu ihrer Familie zurückkehren. Doch sie blieb standhaft.
Man überredete sie, das Baby ab und zu hereinzubringen, damit sie es stillen konnte. Als das Kind abgestillt war, kam der Tag der Hinrichtung.
Man wollte Perpetua in einem Kessel mit siedendem Öl töten. Der zuständige Soldat verspottete sie und forderte sie erneut auf, abzuschwören. Er sagte, sie sei jung und habe ihr ganzes Leben noch vor sich.
Doch sie weigerte sich. Sie sagte: „Gott liebt dich auch. Ich werde dir erscheinen, wenn ich tot bin.“ Tatsächlich starb sie.
In der folgenden Nacht träumte der Soldat von Perpetua. Sie lächelte und erzählte ihm, wie schön es im Himmel sei. Ob es wirklich Perpetua war oder Gott ihm diesen Traum schickte, wissen wir nicht.
Auf jeden Fall bekehrte sich der Soldat, legte als Soldat öffentlich Zeugnis ab und wurde zwei Tage später selbst getötet.
Diese Geschichte zeigt die große Ausstrahlungskraft der Christen, die bereit waren, für ihren Glauben zu leiden und zu sterben.
Etwas anderes, was die Christen ebenfalls auszeichnete, war nicht nur ihre Konsequenz, sondern auch die Entschlossenheit, ihr Leben vollkommen anders zu gestalten als die Umwelt um sie herum.
Beispielsweise habe ich bereits erwähnt, dass Christen generell ablehnten, an weltlichen Vergnügungen teilzunehmen. Sie sagten, dass das, was dort verherrlicht wird, mit ihrem Glauben nicht vereinbar sei – zum Beispiel der Besuch im Theater. Sie fragten: „Was wird denn im Theater gezeigt?“ Ehebruch, Gewalt und Göttergeschichten. Das konnten sie nicht anschauen, um sich daran zu erfreuen. Deshalb gingen sie nicht hin. Dieses Verhalten erregte Aufsehen.
Auch die Frauen schmückten sich nicht so schön wie die weltlichen Frauen, sondern kleideten sich eher schlicht. Das fiel den Leuten auf. Wenn Christen Feste feierten, hatten sie keine parfümierten Räume. Damals war es gerade Mode, überall Parfüm zu verströmen, damit es gut roch. Außerdem gab es keine laute Musik und nur wenig Alkohol. Auch darin unterschieden sie sich von der Umgebung.
Darüber hinaus zeigten sie sich in vielen anderen Dingen positiv verschieden. Zum Beispiel kümmerten sie sich um ihre Alten. Im Römischen Reich gab es keine Rentenversicherung. Wenn jemand älter wurde und nicht mehr arbeiten konnte, war er auf die Unterstützung der Kinder angewiesen. Es war damals durchaus üblich, dass Kinder sich ihrer älteren Eltern entledigten. Es gab sogar ein Sprichwort in Rom: „die Alten von den Brücken“. Das bedeutete, dass man den Großvater oder die Großmutter, wenn sie nicht mehr gut zu Fuß waren, bei einem Abendspaziergang am Tiber ins Wasser warf, um sie loszuwerden.
Wir müssen uns vorstellen, dass die Welt damals nicht von christlicher Nächstenliebe geprägt war – selbst innerhalb der Familie nicht. Da waren die Christen anders.
Abtreibung war im Römischen Reich der Normalfall. Die Statistik zeigt, dass eine normale Familie etwa zwei Kinder hatte. Das ist keine neue Entwicklung. Die Kirchenväter schrieben darüber, dass Christen im Gegensatz zu den Römern keine Abtreibung praktizierten. Es gab damals sogar eine Art Kopfprämie, eine Gebärprämie, für Römer, damit sie mehr Kinder bekamen.
Manchmal erinnern wir uns auch heute daran, denn es hat sich in mancher Hinsicht nicht viel geändert.
Scheidung war damals an der Tagesordnung. Auch heute ist das oft so. Christen unterschieden sich darin, indem sie sagten: „Nein, wir bleiben einander treu.“ Sie treiben keine Abtreibung.
Die Christen gingen sogar noch weiter: Wenn ein Kind nicht abgetrieben werden konnte und geboren wurde, konnte der Vater das Kind als rechtmäßiges Kind anerkennen oder nicht. Wenn der Vater das Kind nicht anerkannte, konnte es auch nach der Geburt noch getötet werden. Heute fordern Ethiker wie Peter Singer aus Australien genau dasselbe: Sie sagen, ein Baby habe kein Lebensrecht.
Babys wurden damals ausgesetzt, draußen liegengelassen, wo wilde Hunde sie fraßen, oder sie wurden selbst getötet. Die Christen hingegen sammelten diese Babys ein und adoptierten sie. Neben ihren eigenen nahmen sie auch fremde Kinder auf. Das blieb der Umgebung nicht verborgen.
Als dann in Rom und wenig später in Alexandrien eine Pest ausbrach, war es so, dass die Familien die ersten Erkrankten auf die Straße warfen. Sie wollten sich nicht anstecken. Ihr Leben auf der Erde war ihnen wichtiger als das ihrer Angehörigen. So starben viele Menschen grausam auf der Straße, ohne dass sich jemand um sie kümmerte.
Was machten die christlichen Gemeinden? Sie sammelten diese Menschen auf. Das war ein großes Risiko, denn viele Christen starben daran, weil sie sich ebenfalls ansteckten. Gott heilte nicht jeden von ihnen. Aber dieses Verhalten war ein starkes Zeugnis für die Umgebung.
Die Liebe der Christen zeigte sich nicht nur in Worten, sondern in Taten.
Wir wissen, dass Ende des zweiten Jahrhunderts, etwa um das Jahr 200, die Gemeinde in Rom etwa 1.500 Obdachlose, Witwen, Waisen und Kinder aus der Stadt heraus versorgte – alles durch Spendengelder. Sie nahmen diese Menschen in Familien auf und gaben ihnen Geld zum Leben.
Der damalige römische Kaiser bemerkte, dass die Christen nicht nur ihre eigenen Angehörigen aufnahmen, sondern auch diejenigen, die eigentlich gar nicht gläubig waren. So wollten sie praktisch zeigen: Jesus liebt euch.
Dadurch fielen die Christen auf.
Manchmal wurden ältere Gemeindemitglieder während der Verfolgung festgenommen, aber nicht sofort getötet. Stattdessen wurden sie in Bergwerke gesteckt, zum Beispiel in Sizilien.
Dann kamen junge Männer aus der Gemeinde und ließen sich freiwillig als Sklaven in den Bergwerken versklaven, um die älteren Geschwister freizukaufen. Sie gingen zum Bergwerksbesitzer und sagten: „Hier, dieser Arbeiter stirbt sowieso bald. Nimm mich, ich bin dein Sklave, damit er frei ist.“
Das ist ein beeindruckendes Zeugnis.
Man hätte sagen können: „Der lebt doch sowieso nicht mehr lange, ich habe noch ein langes Leben vor mir.“ Ich glaube, selbst als Christen hätten wir heute manchmal Probleme, so etwas wirklich zu tun. Zu Recht, denn das kann man nur mit der Kraft Gottes schaffen. Auch die Christen damals konnten das nur durch Gottes Kraft tun.
Aber dieses Handeln bewirkte viel mehr als irgendeine große Evangelisation. Es machte die Menschen aufmerksam auf das Evangelium.
So breitete sich das Evangelium aus – unter anderem auch durch Schriften. Besonders die sogenannten Apologeten, wie sie sich nannten, schrieben Bücher, um den christlichen Glauben den Nichtgläubigen zu erklären. Sie antworteten auf Widersprüche und Vorwürfe, die an Christen gerichtet wurden.
Der christliche Glaube verbreitete sich sukzessive – zuerst von Ost nach West und dann von Süd nach Nord.
Zunächst entstanden die Gemeinden in den großen Städten. Das lesen wir bereits in der Apostelgeschichte. Paulus war fast nur in großen Städten unterwegs: Antiochien, Ephesus, Korinth, Philippi, Rom, Athen – immer die großen Städte. Warum? Weil dort die meisten Menschen lebten.
So breitete sich der Glaube zuerst in den Städten aus, und dort entstanden die ersten Gemeinden.
Dann entstanden weitere Gemeinden an den Verkehrswegen, an den Handelsstraßen und an Flussläufen, wo Handel betrieben wurde. Christen kamen durch ihren Beruf dorthin, erzählten vom Glauben, und neue Gemeinden entstanden.
So finden wir die ersten Gemeinden im deutschsprachigen Raum zum Beispiel an der Donau oder im süddeutschen Raum am Rhein. Dort entstanden die ersten christlichen Gemeinden durch zum Glauben gekommene römische Soldaten und Kaufleute.
Schon im zweiten Jahrhundert gab es die ersten Christen im deutschsprachigen Raum.
Von den Städten aus missionierten die Gemeinden in das Hinterland, also in ihr Umfeld. Deshalb nennen wir bis heute diejenigen, die nicht gläubig sind, Heiden.
Das Wort „Heiden“ im Deutschen kommt von „Heide“. Damit waren die Landbewohner gemeint, die am spätesten zum Glauben kamen. Deshalb nannte man sie später Heiden.
Diese Bezeichnung hat sich bis heute erhalten.
Nun, die nächste Frage lautet: Ich habe ja gesagt, die Christen wurden angegriffen, sie haben überlebt. Darauf habe ich hingewiesen, ebenso darauf, wie sich das Christentum verbreitet hat. Vielleicht möchte ich noch ein paar Momente darauf eingehen, was den Christen alles vorgeworfen wurde.
Zunächst einmal wurde ihnen vorgeworfen, sie würden den ganzen Spaß verderben – das habe ich bereits erwähnt. Zweitens wurde ihnen Kindermord vorgeworfen. Dabei stellt sich die Frage: Wie kam man überhaupt darauf?
Man muss sich vorstellen, dass die Christen das Abendmahl, das Herrenmahl, feierten. Daran konnte niemand von außen teilnehmen. Doch die Häuser waren meist offen, nicht dicht verschlossen. So hörte der Nachbar etwa: „Das ist mein Blut, nehmt und trinkt davon; das ist mein Fleisch.“ Die Nachbarn bekamen natürlich Angst und dachten, hier würde tatsächlich jemand getötet.
So verbreiteten sich Gerüchte, dass Menschen getötet und gegessen würden. Dagegen schrieben die Apologeten, also die Verteidiger des Glaubens, an. Die wichtigsten Apologeten sind zum Beispiel Irenäus von Lyon, Justin der Märtyrer und Tertullian – nur um drei zu nennen, die alle im zweiten Jahrhundert starben. Sie sind sehr bedeutend, denn sie schrieben Bücher, um die Heiden aufzuklären.
Tertullian etwa schrieb um das Jahr 180 nach Christus sein Werk „Apologetikum“. Darin heißt es: „Das können wir doch gar nicht. Wir würden doch nie Kinder töten, denn schaut in unsere Heiligen Schriften! Dort steht sogar, dass wir nicht einmal Kinder abtreiben dürfen – und ihr treibt doch Kinder ab.“ Wenn wir also schon keine Kinder abtreiben, dann bringen wir sie erst recht nicht um, wenn sie geboren sind. Das sei doch verrückt.
Weiter heißt es: Im Alten Testament stehe, dass wir nicht einmal Blut von Tieren essen dürfen. Wie sollten wir dann Blut von Menschen trinken? Das sei doch unmöglich. Tertullian weist außerdem darauf hin, dass die Heiden im Kult des Belenus in Gallien sogar Menschen töten und essen würden.
Tatsächlich wissen wir, dass es im Römischen Reich damals üblich war, bei manchen Mysterienkulten – also religiösen Veranstaltungen – Menschen lebendig zu essen. Das ist für uns heute unvorstellbar, aber damals gab es das. Auch wurden Verurteilte getötet, und man fing ihr Blut auf, weil man glaubte, es sei heilkräftig. Dieses Blut wurde dann Kranken verabreicht.
Tertullian sagt: „Das tut ihr alles als Heiden, und uns werft ihr vor, wir würden das tun. Ihr müsst nur mal in unsere Schriften hineinschauen.“ Und er fragt: „Woher habt ihr denn eure Informationen? Hat vielleicht ein Kind bei uns verloren gegangen?“ Er bezeichnet all diese Vorwürfe als Gerüchte.
Tertullian argumentiert überzeugend, vor allem, weil er selbst Rechtsanwalt war. So konnte er gut auf Rede und Gegenrede eingehen und seine Argumente präzise darlegen.
Ein weiterer Vorwurf gegen Christen lautete, sie würden Inzest begehen. Woher kam diese Idee? Nun, es war so: Ein Bruder heiratet seine Schwester – so dachten die Nachbarn. „Was? Das machst du? Das ist doch verboten!“
Die Heiden verstanden jedoch nicht, dass Jesus sagte: „Die, die den Willen meines Vaters im Himmel tun, sind meine Brüder und Schwestern.“ So bezeichneten sich die Christen damals als Brüder und Schwestern untereinander. Die Welt aber dachte, sie meinen leibliche Geschwister und sah darin Inzest. Auch dieser Vorwurf wurde erhoben.
Ein weiterer Vorwurf war der des allgemeinen Menschenhasses. Man sagte, die Christen seien Menschenhasser. Warum? Weil sie vom großen Gericht sprachen, von der Hölle und vom Himmel. Die Menschen dachten: „Was, die Christen wünschen uns alle ins ewige Feuer? Das müssen Menschenhasser sein.“
Auch dieser Vorwurf musste aufgeklärt werden. Übrigens wurde den Christen auch vorgeworfen, sie seien Atheisten – ein seltsamer Vorwurf. Warum? Weil sie die Existenz all der anderen Götter leugneten.
Die Heiden sagten: „Ich bete Astarte an, ich bete Diana an, ich bete irgendeiner anderen Gottheit an.“ Die Christen aber antworteten, diese Götter gäbe es alle gar nicht. Daraufhin fragte man sie: „Wo ist denn dein Gott?“ Die Christen antworteten: „Den kann man nicht sehen, er ist nicht da, man kann ihn einfach nirgends besuchen.“
Die Leute sagten: „Einen Gott, den man nicht sehen kann, den gibt es nicht. Also seid ihr Atheisten.“ Damals war das Wort „Atheist“ eher negativ besetzt, im Gegensatz zu heute. Man konnte zwar an alles Mögliche glauben, aber Atheist zu sein, war nicht gut. Deshalb wurden Christen auch verfolgt, weil man sie für Atheisten hielt.
Oder man verfolgte sie, weil man sie für subversive Elemente im Staat hielt, die gegen den Staat seien. Warum? Weil sie vor dem Kaiserbild kein Opfer brachten – obwohl sie doch die treuesten Untertanen waren. Keiner zahlte so zuverlässig Steuern wie die Christen, darauf weist auch Tertullian hin.
Wir sehen also, dass es viele Vorurteile gab, auf die eingegangen werden musste. Die Apologeten argumentierten öffentlich dagegen. Sie versuchten auch zu erklären, was der christliche Glaube eigentlich bedeutet.
Man kann sagen, dass diese Bücher ähnlich sind wie jene, die den Glauben erklären, die wir bis heute kennen. Sie wurden damals geschrieben und können auch heute noch mit Gewinn gelesen werden.
Ich möchte jetzt auch darauf eingehen, dass die Christen nicht nur Gefahren von außen hatten. Es gab damals, genauso wie heute, nicht nur den Druck von außen, zum Beispiel Verfolgung. Wir müssen im Kopf behalten, dass wir auch in der Gegenwart eine starke Verfolgung erleben. Zum Glück nicht in Deutschland, aber weltweit schon.
Jedes Jahr sterben etwa 130 Menschen für ihren Glauben, für ihr Bekenntnis zu Jesus Christus. Und das ist eine ganze Menge. Wir bekommen das nur am Rande mit. Das ist natürlich in vielen Ländern so, beispielsweise in Nordkorea, wo das Christsein immer noch verboten ist. Auch in zahlreichen islamischen Ländern werden Christen verfolgt und umgebracht. So ist es zum Beispiel noch immer im Sudan und im Süden des Sudans, wo Christen wegen ihres Glaubens getötet werden. Manche auch nur wegen ihres Namensglaubens, aber immerhin bezeugen sie, Christen zu sein, und werden dafür getötet.
Das gab es damals auch. Heute ist die Gefahr jedoch nicht nur von außen. Bei uns in Deutschland ist die Verfolgung nicht so stark durch offensichtliche Gewalt, sondern eher sukzessive. Manche nehmen sie gar nicht wahr, denn die Verfolgung in Deutschland geschieht eher durch eine Art Gehirnwäsche, durch Ideologisierung. Dafür müssen wir die Augen und Ohren offenhalten.
Die Verweltlichung geschieht im Kopf, nicht durch äußere Gewalt, sondern durch das, was wir durch die Medien wahrnehmen. Das, was uns vermittelt wird, ist kein christlicher Einfluss, sondern richtet sich gegen die Bibel. Versucht man, eine Mediendokumentation zu finden, im Internet oder Radio, also bei größeren Medien, in der Christen positiv dargestellt werden – lebendige, gläubige Christen – gibt es das nicht.
Vor ein paar Wochen gab es im ZDF eine lange Dokumentation über Fundamentalisten, und damit sind letztendlich auch wir gemeint. Dabei wird über uns hergezogen und wir werden fertiggemacht. Wenn heute ein Lehrer an einer öffentlichen Schule zu stark den Glauben bekennt, kann ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, wenn sich Eltern oder der Direktor beschweren.
Wir leben nicht in einem vollkommen neutralen Staat, sondern in einem, der bewusst eine Art Atheismus vertritt. Christen dürfen ihren Glauben nur als persönliche Sache leben, in ihrem privaten, engen Kämmerlein. Aber bitte nicht in der Öffentlichkeit – dort darf das nicht sein. In anderen europäischen Staaten, wie Frankreich, ist das noch schlimmer.
Diese Auseinandersetzung gibt es auch in den USA. Obwohl es dort mehr Christen gibt, gibt es auch einen großen Teil der Bevölkerung, der vollkommen gegen Christen eingestellt ist und polemisiert. Zum Beispiel Richard Dawkins, ein Evolutionsbiologe, hat vor ein paar Monaten gesagt, er wolle einen Kreuzzug gegen die Christen in Amerika führen. Er hat bereits zahlreiche Mithelfer, darunter hochdekorierte Wissenschaftler, die öffentliche Veranstaltungen organisieren, um gegen Christen vorzugehen.
In Deutschland gibt es ansatzweise ähnliche Entwicklungen. Man muss sich nur umschauen: Warum wollen so wenige Menschen mit dem Glauben etwas zu tun haben? Nicht, weil sie sich selbst dagegen entscheiden, sondern weil sie durch Schulen und Medien so erzogen wurden, dass der Glaube kein Thema mehr ist.
Wie gesagt, es gibt also die Gefahr von außen. Die Gefahr von innen ist insbesondere durch Sektierertum gegeben. Das gibt es heute genauso bei uns. Ich möchte nicht von eurer Gemeinde sprechen, aber unter Christen tauchen immer wieder Menschen auf, die sagen: „Ich habe die Wahrheit erkannt, die einzig wahre, und ihr müsst mir nachfolgen.“
Beispielsweise war das in den letzten Jahren Ivo Sasek. Ich weiß nicht, ob ihr ihn in der Schweiz kennt. Er schrieb unter anderem einem christlichen Leiter in Deutschland einen Brief, den ich auch bekommen habe. Darin heißt es, es gebe die letzte Möglichkeit zur Umkehr. Er sei von Gott berufen worden. Wer sich ihm anschließt, werde im Gericht der Endzeit von Gott verschont. Alle anderen würden bestraft. Er behauptete, eine besondere Offenbarung zu haben, wie man die Bibel verstehen müsse. Alle anderen Christen seien verkommen und unmoralisch.
Eine andere Bewegung, mehr im charismatischen Bereich, ist derzeit „Wort und Geist“ in Deutschland. Diese hat Tausende Anhänger, und deren Leiter sagen, sie hätten das wahre Evangelium erkannt. Alle anderen Gemeinden seien falsch.
Die Zeugen Jehovas sind als Bibellesebewegung im 19. Jahrhundert entstanden. Anfangs hatten sie noch nicht so viele Irrlehren, diese kamen erst mit der Zeit. Warum? Weil aus der Gemeinde heraus Irrlehrer neue Erkenntnisse und Offenbarungen beanspruchten, die nicht mehr überprüft wurden.
Die Mormonen entstanden ähnlich. Joseph Smith besuchte zunächst eine freie Gemeinde, bis er seine Offenbarung erhielt.
Wie war das bei den ersten Christen? Es gab insbesondere drei große sektiererische Bewegungen, die im Prinzip bis heute existieren, nur unter anderen Namen, aber mit ähnlicher Struktur.
Die erste Gruppe waren die sogenannten Gnostiker. Das Wort „Gnosis“ bedeutet Erkenntnis. Sie behaupteten, es gebe eine höhere Erkenntnis als die, die in der Bibel steht. Christsein sei okay, aber es gebe noch ein Geheimnis, das Jesus nur einigen wenigen anvertraut habe. Dieses könne man in der Tiefe der Bibel entdecken.
Paulus warnt uns vor der sogenannten Erkenntnis, der Gnosis, die schon zur Zeit des Neuen Testaments gefährlich war, weil sie von innen heraus kam. Die Gnostiker lehrten zum Beispiel, es gebe zwei Götter: einen bösen Gott des Alten Testaments, der die Materie erschaffen und damit die Sünde ermöglicht habe, und einen guten Gott, der rein geistig sei. Das vertreten heute viele Esoteriker, Anthroposophen und Theosophen. Wenn wir mit solchen Menschen sprechen, die sagen, sie glauben an Jesus Christus, meinen sie oft etwas ganz anderes als wir. Sie trennen Jesus als irdischen Menschen vom Christusgeist, der darüber schwebt. Die Erlösung funktioniere eher durch eine innere Erleuchtung nach buddhistischem Vorbild. Das war die geheime Wahrheit der Gnostiker.
Zweitens lehrten sie, dass Erlösung nicht dadurch geschieht, dass man sich bekehrt und Sünden bekennt, sondern durch das Wissen um diese Geheimnisse. Das Erkennen dieser Wahrheit selbst bringe Erlösung und Rettung.
Die zweite große sektiererische Gruppierung war die, die einen zwei Stufen Christsein lehrte. Man sei noch kein richtiger Christ, wenn man bekehrt sei, sondern brauche noch einen Zuschlag. Das gibt es insbesondere in manchen charismatischen Gemeinden, wo gesagt wird: Wenn du nicht die Taufe mit dem Heiligen Geist hast, bist du noch kein richtiger Christ. Du musst auf eine höhere Stufe.
Diese höhere Stufe und neue Offenbarungen wurden auch bei Montanus stark betont. Montanus trat Ende des zweiten Jahrhunderts in Pepuza in Kleinasien (heutige Türkei) auf. Er behauptete, von Gott Offenbarung erhalten zu haben, dass Jesus zu seiner Zeit wiederkommen werde und das himmlische Jerusalem in seiner Heimatstadt aufgebaut werde.
Nebenbei berief er einige Frauen als Prophetinnen, die mit ihm in langen weißen Gewändern auftraten und prophetisch redeten. Sie sagten: „Gott sagt dir das, das ist gut für dich, das sollst du tun“ und brachten neue Offenbarungen.
Diese Bewegung blühte, bis Montanus starb. Dann begannen die Menschen zu überlegen: „Er hat doch gesagt, Jesus kommt zu seinen Lebzeiten wieder – was ist passiert?“ Wenige Jahrzehnte später ging die Bewegung unter.
Auch heute gibt es Ähnliches. Leute behaupten, über die Bibel hinaus neue Erkenntnisse und Offenbarungen zu haben. Sie arbeiten oft prophetisch, sagen aber häufig Dinge, die nicht mit der Bibel übereinstimmen oder nicht von Gott sind.
Jesus warnt in Matthäus 24 dreimal vor falschen Propheten, die in der Endzeit auftreten. Es sind nicht die richtigen Propheten, sondern die falschen, die in seinem Namen kommen und behaupten, „Ist nicht dies, ist nicht das wahr?“
Die dritte Bewegung war die des Markion. Markion war Sohn eines reichen Händlers am Schwarzen Meer und kam nach Rom. Er erstellte eine Zusammenstellung des Neuen Testaments, den sogenannten Kanon. In diesem strich er alles Jüdische heraus und sagte: „Mit dem Judentum wollen wir nichts mehr zu tun haben. Nur das Neue, das durch Jesus offenbart wurde und in den Briefen des Paulus steht, ist gut.“
Das war gefährlich, weil es damals noch kein festes Neues Testament gab. Wie reagierte die Gemeinde? Einige ließen sich verführen, denn diese Sektenleute waren durchaus liebe und nette Menschen.
Wenn ihr heute einem Zeugen Jehovas begegnet, ist das nicht unbedingt ein böser Mensch, der euch grimmig anschaut. Viele Zeugen Jehovas sind liebe, nette, freundliche Menschen. Wir hatten gerade letzte Woche wieder Besuch von ihnen.
Der entscheidende Faktor ist nicht, ob sie nett sind, sondern ob die Lehre, die sie bringen, richtig ist. Das mussten die einfachen Gemeindeglieder erst erkennen können.
Die Christen reagierten darauf erstens durch das Schreiben von Büchern, den Apologeten, die nicht nur gegen Angriffe von Ungläubigen, sondern auch gegen Angriffe von Sektenlehrern verteidigten.
Zweitens wurde in dieser Zeit das apostolische Glaubensbekenntnis verfasst. Es lautet zum Beispiel: „Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ und so weiter. Jeder Christ sollte es auswendig lernen, um prüfen zu können: Glaubst du, was in diesem Glaubensbekenntnis steht? Wenn ja, wusste man, dass dieser Christ näher an der Wahrheit ist. Wenn nicht, konnte man sagen: „Unsere Wege trennen sich.“
Drittens begann man Mitte des zweiten Jahrhunderts, verpflichtend für alle Gemeinden die Bücher des Neuen Testaments zu sammeln und zusammenzustellen. Bis dahin wurden sie in den Gemeinden abgeschrieben und herumgereicht. Doch mit der Verbreitung der Schriften der Sekten, besonders der apokryphen Evangelien und Schriften, musste man unterscheiden: Welche Bücher stammen wirklich von den Aposteln, sind von Gott eingegeben, und welche sind menschliche Erfindungen?
Um 150 bis 160 n. Chr. wurde in Rom erstmals ein Kanon zusammengestellt. Auch Irenäus von Lyon und Tertullian schrieben darüber. Das geschah noch in der Zeit der Verfolgung.
Schon im zweiten Jahrhundert stand somit fest, was zur Bibel gehört und was nicht. Die Kriterien waren:
Erstens: Die Bücher mussten von jemandem geschrieben sein, der bei Jesus dabei war oder es von jemandem erfahren hatte, der dabei war. Zum Beispiel Matthäus, Markus und Johannes waren Jünger Jesu. Lukas war Begleiter des Paulus und bekam seine Informationen von ihm. So gehören auch die Briefe des Jakobus dazu – alles Personen aus der damaligen Zeit.
Zweitens durften keine anonymen Bücher aufgenommen werden. Heute würden wir genauso vorgehen: Ein anonymes Buch ist zweifelhaft. Wenn ihr anonyme E-Mails bekommt, müsst ihr vorsichtig sein, denn man weiß nicht, wer dahintersteckt. So war das damals auch.
Drittens war die Lehre entscheidend. Galater 1 sagt: Selbst wenn ein Engel vom Himmel kommt und ein anderes Evangelium predigt, soll er verflucht sein. Die Lehre der Bücher musste im Einklang mit dem Alten Testament und mit dem stehen, was wir sicher von Jesus wissen.
Viertens war die Autorität der Schriften wichtig. Schon Papias und Irenäus, die an der Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert lebten, zitierten die Briefe des Paulus als Schrift, als griechisches „Graphē“. Sie beriefen sich auf die Schriften des Paulus und die Evangelien als Autorität. Ihre eigenen oder die Schriften anderer Kirchenlehrer zitierten sie auch, aber nicht mit derselben Autorität.
Den Kirchenlehrern war also schon klar: Hinter diesen Schriften steckt eine besondere Autorität, im Gegensatz zu menschlichen Überlegungen, die zwar gut sein können, aber nicht dieselbe Autorität haben.
So entstand im Widerstand gegen die Irrlehrer und Angriffe der Kanon des Neuen Testaments.
Damals entstand auch das feste Amt des Presbyters, des Ältesten. Dieses Amt wird immer auf Jesus zurückgeführt. Man spricht später vom monarchischen Episkopat. Vereinfacht heißt das: Jeder Gemeindeleiter soll seine Leitung auf Jesus zurückführen können.
Man wollte wissen: Wo hast du gelernt? Ihr könnt ja heute jemanden fragen: „Wo hast du studiert?“ Wenn er sagt: „Ich habe meine Ausbildung am Theologischen Seminar gemacht“, könnt ihr ungefähr einschätzen, welche theologischen Überzeugungen er hat. So war das damals auch. Wenn jemand sagte: „Ich habe von Papias gelernt, und Papias hat von Johannes gelernt, und Johannes von Jesus“, dann galt das als glaubwürdige Lehrtradition.
Das sind mehrere Dinge, die sich im zweiten Jahrhundert herauskristallisierten.
Allerdings gab es damals auch schon erste Irrlehren, die später in der katholischen Kirche weiter ausgebaut wurden. Zum Beispiel, dass der Älteste eine große Macht bekommt. Man sagte: „In der Gemeinde kann nicht jeder selbst prüfen, der Älteste muss entscheiden.“ Später nannte man diesen Ältesten Bischof, was eigentlich nichts anderes ist als der heutige Gemeindeleiter. Das griechische Wort „Episkopos“ oder „Presbyteros“ bedeutet dasselbe.
Das wurde gemacht, um der Gemeinde Sicherheit zu geben und eine Instanz zu haben, die letztlich entscheidet. Doch mit wachsender Macht entstand ein Amtssystem, das später zur Ausbildung fester Ämter in der katholischen Kirche führte.
Die vorbildliche Lebensweise der Christen führte dazu, dass sie sich immer mehr darauf einbildeten, gut zu leben. Das führte zu einer Werkgerechtigkeit. Leute, die in schwere Sünde fielen, wurde gesagt: „Du gehst verloren, du kannst nicht mehr gerettet werden, weil du gesündigt hast.“
Denjenigen, die Jesus in der Verfolgung verleugneten, wurde das Wort Jesu zitiert: „Wer mich bezeugt vor den Menschen, den will ich bezeugen vor dem himmlischen Vater; wer mich verleugnet, den will ich auch verleugnen.“ Man sagte: „Einmal verleugnet, kannst du nicht mehr gerettet werden.“
Liberale Theologen sagten dagegen: „Wenn du in der nächsten Verfolgung den Märtyrertod stirbst, hast du die zweite Taufe, die Blutstaufe, und dir wird vergeben.“ Das sind radikale Thesen, nach denen die meisten von uns wohl durchfallen würden.
Auf der einen Seite gab es das positive Leben, auf der anderen Seite führte der starke Wert auf Ethik zur Gesetzlichkeit. Auch heute haben wir Schwierigkeiten, den Ausgleich zwischen totalem Liberalismus – jeder tut, was er will – und starker Gesetzlichkeit zu finden.
Ein weiteres Problem der damaligen Gemeinde, neben dem Amtsproblem, das wir bis heute haben: Entweder Demokratie, bei der jeder ein Wort sagt, egal ob er Ahnung hat, oder einer reißt die Macht an sich. Auch das ist ein Problem, das damals auftauchte und uns heute nahekommt.
Auch die Frage der Taufe wurde damals eifrig diskutiert. Im zweiten Jahrhundert, zur Zeit von Tertullian, schrieb dieser, dass man kleine Kinder gar nicht taufen müsse, weil sie sowieso gerettet würden. Da fragt man sich natürlich: Wo steht das in der Bibel?
Ich habe hier die Schlachterbibel mit Anmerkungen von John MacArthur, der ebenfalls schreibt, dass unmündige Kinder gerettet würden. Ich bin der Meinung: So ist es nicht. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse, wenn ich das so sage. Ich glaube, das ist biblisch schwer zu begründen.
Damals gab es die Kindertaufe noch nicht. Es gab die Erwachsenentaufe und bis zur Zeit Konstantins des Großen die Taufe auf dem Totenbett. Christen sagten: „Ja, die Taufe ist Untertauchen.“ Paulus schreibt im 1. Korintherbrief, dass wir mit Christus untergetaucht und aus dem Wasser wiedergeboren werden. Das wäscht die Sünde ab.
Man ging dann davon aus, dass die Sünde nach der Taufe nicht mehr abgewaschen werden könne, weil man sich nur einmal taufen lassen könne. Also ließ man sich am besten auf dem Totenbett taufen, denn dann sterbe man wenige Minuten später und könne keine Sünde mehr tun. So wollte man gereinigt von aller Sünde ins Himmelreich eingehen.
Die Menschen waren vorher schon Christen und bekehrt, verstanden aber nicht, dass die Taufe ein Zeugnis ist. Hier zeigt sich der langsam entstehende Sakramentscharakter der Taufe. Nicht alle machten das so, aber einige.
Die meisten im ersten und zweiten Jahrhundert durchliefen vor der Taufe ein dreijähriges Katechumenat – das heißt Taufunterricht. Man wollte bewusst keine Leute taufen, die nicht genau wussten, worum es geht.
Die meisten Gläubigen stammten aus heidnischem Hintergrund und waren nicht mit der Bibel aufgewachsen. Die Bibel hatten kaum jemand. Wenn Leute durch Evangelisation oder Kontakte sagten: „Die Christen sind gut, ich lasse mich taufen“, wussten sie weder über Schöpfung, noch über das Alte Testament, Jesus Christus oder Bekehrung Bescheid.
Deshalb gab es die Schulung. Wenn jemand nach drei Jahren immer noch taufen wollte, wurde er getauft. Meistens geschah das zu Ostern, als symbolträchtiger Zeitpunkt.
Man fastete in der Woche vor Ostern, insbesondere die Täuflinge. Am Abend vor Ostersonntag versammelte man sich, sang, betete die ganze Nacht. Morgens bei Sonnenaufgang, symbolisch für das Kommen Jesu und das neue Leben nach der dunklen Nacht, wurden die Menschen in fließendem, kaltem Wasser dreimal untergetaucht – auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Vorher mussten sie dreimal abschwören: dem Teufel, der Welt und der Sünde. Das sollte bewusst machen, dass das Leben nun völlig anders werden soll.
Die Täuflinge kamen in weißen Gewändern aus dem Wasser. Sie wurden mit Öl gesalbt – Augen, Mund und Ohren – als Zeichen der Versiegelung durch den Heiligen Geist. Öl war im Alten Testament Symbol für den Heiligen Geist bei der Salbung.
Danach bekamen die Täuflinge Milch und Honig. Nun seien sie Bürger des Reiches Gottes. So wie im Alten Testament das verheißene Land als Land beschrieben wird, in dem Milch und Honig fließen, sind sie nun in diesem Land.
Wir merken, dass dies mit viel Symbolik verbunden war, aber auch bewusst überlegt. Die Leute ließen sich das etwas kosten. Wer einmal dabei war, blieb auch dabei – trotz dieser äußeren Formen.
Vielleicht sollten wir auch einen Moment darauf hören, wie das damals mit den Gottesdiensten der Christen ablief. Zunächst einmal müssen wir sehen, dass es den typischen Sonntagmorgen- oder Sonntagnachmittag-Gottesdienst, wie wir ihn heute kennen, in den ersten drei Jahrhunderten aus mehreren Gründen nicht gab.
Zum einen existierten kaum öffentliche Kirchengebäude. Die Christen trafen sich meist zu Hause, da das Christentum weitgehend verboten war. Wir wissen zwar, dass es in den großen Städten im zweiten Jahrhundert erste kleine Kirchengebäude gab, die geduldet wurden. Doch die meisten Christen versammelten sich in privaten Räumen. Dort hatte jemand vielleicht eine Werkstatt, in der abends die Werkzeuge weggeräumt wurden, und dann feierte man gemeinsam Gottesdienst.
Außerdem müssen wir wissen, dass der Sonntag erst durch Konstantin den Großen zum Feiertag erklärt wurde. Davor war der Sonntag in all den Jahrhunderten ein normaler Arbeitstag. Man hätte sich also gar nicht am Morgen oder Nachmittag treffen können. Wann trafen sich die Christen also? Entweder ganz früh morgens vor der Arbeit, also um fünf oder sechs Uhr, oder am Abend nach der Arbeit kamen sie zusammen. Diese typische Sonntagmorgen-Gottesdienstform, wie wir sie heute kennen, gab es damals also nicht.
Wie fanden die ersten Gottesdienste statt? Es wurde fest gebetet, Bibellesungen gemacht – vor allem aus dem Alten Testament, weil das Neue Testament in der Anfangsphase noch nicht gesammelt war. Es kam erst mit der Zeit hinzu, dass auch daraus gelesen wurde. Danach wurden Zeugnisse weitergegeben, es wurde gesungen und gebetet.
Häufig wurde entweder das Herrenmahl gefeiert oder, was oft unterschieden wurde zwischen morgens und abends, das sogenannte Agape-Mahl. Paulus spricht im 1. Korinther 11 davon, wenn er sagt, dass diejenigen, die das Mahl des Herrn nicht unterscheiden, etwas falsch machen. Die ersten Christen waren stark auf Nächstenliebe ausgerichtet, viele Sklaven waren gläubig geworden und wurden in der Gemeinde mit Essen versorgt. Man aß also gemeinsam, entweder am Abend oder am frühen Morgen. Das Agape-Mahl und das Abendmahl wurden bewusst voneinander getrennt, um sie nicht zu vermischen.
Meistens wurde auch Geld gesammelt, das der Gemeindeleiter verwaltete. Dieses Geld war für die Armen bestimmt, die versorgt wurden. Darauf habe ich ebenfalls schon hingewiesen.
Was die Lieder angeht, so sang man vor allem Psalmen aus dem Alten Testament. Beim Gebet knieten die Christen meist oder beteten mit erhobenen Händen, wie es im Alten Testament beschrieben ist. Das bedeutet nicht, dass sie flächendeckend Charismatiker waren, sondern dass dies die übliche Gebetshaltung war – die Hände ausgestreckt zu Gott.
Das hatte mehrere Bedeutungen: Zum einen das Ausstrecken zu Gott, aber noch mehr war es, wie wir bei den frühen Kirchenvätern lesen, ein Zeichen des Kreuzes. Wenn ich die Arme so ausbreite, ist das wie ein Kreuz. Dadurch bekenne ich: Ich gehöre zu Jesus Christus, ich bin mit Jesus gekreuzigt und auferstanden. Das Hochheben der Hände war für die Christen also vor allem ein Symbol, ein Zeichen mit besonderer Bedeutung.
Den Christen war klar, dass der Segen Gottes nicht von oben kommt oder durch die Hände hindurchfließt. Das wäre eine magische Vorstellung. Der Geist Gottes ist überall, er ist in den Herzen der Gläubigen und kommt zu uns – nicht direkt von oben herab. Das Hochheben der Hände drückt also das Kreuzzeichen aus, verbunden mit alttestamentlicher Gebetstradition.
Die Gebetshaltung, die heute verbreitet ist – gesenkter Kopf und gefaltete Hände – ist eigentlich eher germanisch. Die Germanen, unsere Vorfahren, gingen so in ihre heiligen Hallen, um vollkommene Unterwerfung zu zeigen. Man band ihnen die Hände zusammen, was bedeutete: Ich bin vollkommen wehrlos, ich kann nichts tun und unterwerfe mich dem Gott.
Diese Gebetshaltung haben die christlichen Missionare übernommen. Sie sagten: Das Symbol ist nicht schlecht, aber überlege, unter welchem Gott du dich unterwirfst. Es gibt nur einen, dem du dich total ausliefern sollst, und das ist der Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat.
Diese Gebetshaltung findet man in der ganzen Bibel nicht, und die ersten Christen hatten sie auch nicht. Aber keine Angst, wenn ihr so betet, müsst ihr nicht denken, ihr seid jetzt alte Germanen. Ihr könnt diese Haltung beibehalten. Auch die Symbolik „Ich unterwerfe mich Gott“ ist gut und sinnvoll. Es ist in Ordnung, Gott als Herrn und sich selbst als Diener zu bekennen.
Die wichtigsten Feste der Christen in den ersten drei Jahrhunderten waren das Osterfest und das Pfingstfest. Das Osterfest war das bedeutendste Fest. Es wurde am größten und längsten gefeiert. Es gab große Streitfragen darüber, wann genau das Osterfest zu feiern sei. Einige wollten sich am jüdischen Kalender orientieren und den 14. Nissan nehmen, andere meinten, man solle den Sonntag nach dem 14. Nissan feiern. Diese Streitigkeiten dauerten lange an. Heute feiern wir meist am Sonntag nach dem 14. Nissan.
Das Pfingstfest wurde als Gründungsdatum der Gemeinde gefeiert. Das Weihnachtsfest kam erst später auf. Wir wissen aber, dass die Geburt Jesu etwa um das Jahr 300 herum gefeiert wurde. Auf christlichen Sarkophagen sind Darstellungen von Jesu Geburt, der Krippe und Maria zu finden. Das waren erste Anklänge, allerdings ohne das Brauchtum, das wir heute kennen. Das kam erst viel später.
Es gab damals vier verschiedene Termine, die miteinander konkurrierten, weil die Bibel das genaue Geburtsdatum Jesu nicht nennt. So gab es also Feste und das Alltagsleben der Christen. Ich habe euch ein bisschen beschrieben, wie sich die ersten Christen von ihrer Umgebung abhoben, warum sie verfolgt wurden und wie sie sich ausbreiteten.
Ich habe euch von den Irrlehrern der ersten Kirche erzählt und von den Apologeten, die den Glauben verteidigten. Ich habe euch berichtet, wie die Christen starben und welche Auswirkungen das hatte. Außerdem habe ich euch vom Alltagsleben und vom Gottesdienstleben erzählt.
Ich hoffe, das hat euch einen Einblick gegeben, wie es in den ersten drei Jahrhunderten war. Bewusst habe ich nicht massenhaft Namen genannt. Ich könnte das tun, wenn ihr wollt, und euch noch eine Viertelstunde lang Namen nennen. Aber ich vermute, die meisten von euch würden diese Namen hören und schnell wieder vergessen.
Deshalb belasse ich es bei den wenigen, die ich erwähnt habe: Irenäus, Papias und Tertullian. Nehmt diese drei als wichtige Namen der Christen der ersten drei Jahrhunderte mit.
Was ich euch aber mehr zeigen wollte, ist, wie ganz normale Christen damals lebten. Die Herausforderung für uns heute ist, dass wir an manchen Stellen erkennen können, dass manche Dinge, wie wir heute leben, ganz ähnlich sind wie damals. Lasst euch dadurch herausfordern.
Wenn ihr das jetzt kennt, könnt ihr auch besser auf Menschen antworten, die sagen: „Die Gemeinde hat sich einfach so entwickelt“ oder „Da wurde ja alles Mögliche nur unterdrückt“, wie zum Beispiel Dan Brown in seinem Roman „Sakrileg“ sagt. Viele Leute glauben, die Bibel sei einfach zufällig entstanden oder sei unterdrückt worden.
Deshalb habe ich euch heute erzählt, wie die Bibel, das Neue Testament, wirklich entstanden ist, damit wir Argumente haben, unseren Glauben zu verteidigen und darzulegen.
Die Geschichte ging natürlich weiter. Es brauchte weitere 1.700 Jahre, bis wir in der Gegenwart angekommen sind. Auch heute schreibt Gott Kirchengeschichte mit dir. Seid euch dessen bewusst und setzt euch dafür ein.
Kirchengeschichte braucht nicht nur große Namen, und sie beginnt nicht erst 500 Jahre später. Kirchengeschichte ist hier und heute. Bedenkt: Es war nie eine glorreiche Zeit für die Christen – weder vor tausend Jahren, noch vor zweitausend Jahren, noch zur Zeit Luthers. Es bedeutet immer Kampf und Auseinandersetzung.
Diese müssen wir auch heute annehmen. Wir müssen sehen, wo heute die Herausforderungen liegen, wo wir Zeugnis ablegen müssen und wo wir glaubwürdig zu den Menschen reden müssen, damit sie verstehen, worum es im Glauben geht.
Wenn wir nur unter uns bleiben, sind wir Gott ungehorsam und werden dafür einmal Verantwortung ablegen müssen. Wir sind wie die Christen damals herausgerufen, den Menschen um uns herum glaubwürdig und verständlich das Evangelium zu verkündigen, um sie zu Jesus zu führen.
Ob sie gläubig werden oder nicht, liegt nicht in unserer Hand. Aber wir müssen es verkündigen – so, dass sie es verstehen können.
Damit schließe ich ab und bitte euch, dazu aufzustehen:
Vater im Himmel, vielen Dank, dass du Jesus, deinen Sohn, geschickt hast und dass er für unsere Sünden gestorben ist. Vielen Dank, dass du die Apostel berufen hast, die unter großen Opfern bereit waren, ihren Glauben zu verbreiten und davon zu erzählen.
Wir danken dir auch für die vielen Christen in den ersten drei Jahrhunderten, die unter schweren Bedingungen, Armut, Unterdrückung, Anfeindung, Verfolgung und Tod treu zu deinem Evangelium standen und es verbreiteten.
Wir danken dir für ihre Weisheit im Umgang mit Irrlehren und äußerem Druck. Wir danken dir, dass wir auf ihren Schultern stehen können und von dem profitieren, was sie überliefert und bedacht haben.
Wir danken dir, dass sie gerade in Zeiten ethischer Freizügigkeit treu zu dir standen und sich nicht vom Zeitgeist beeinflussen ließen. Wir danken dir, dass sie bereit waren, persönliche Opfer in Zeit und Geld zu bringen, um zu ihrem Glauben zu stehen.
Wir danken dir für die Apologeten, die öffentlich für dich eintraten und Gründe gegen den Glauben widerlegten. Wir danken dir, dass damals schon in den Gottesdiensten an dich gedacht wurde, an das Opfer am Kreuz und an die Erlösung von der Sünde.
Wir danken dir, dass wir vieles von den Christen jener Zeit wissen und dass sie uns Vorbilder sind.
Wir bitten dich, dass wir daraus lernen und dass du uns als Zeugen in unserer Zeit gebrauchen willst. Lass uns erkennen, wo heute die Herausforderungen liegen, wo wir in Gefahr sind, verführt, lasch oder sektiererisch zu werden.
Wo Druck durch Staat, Medien oder Ideologien geschieht, schenke uns den Mut, Nein zu sagen und zugleich positiv Vorbild zu sein. So dass Menschen nicht nur merken, wogegen wir sind, sondern auch, wofür wir stehen.
Die Christen damals waren bereit, für andere ins Gefängnis zu gehen, andere aufzunehmen und zu versorgen – einfach um ihre Liebe auszudrücken.
Ich bitte dich für alle Geschwister hier und auch für mich, wenn ich wieder zurückfahre, dass du uns an diese Dinge erinnerst und uns ganz konkret zeigst, wo wir im Alltag Dinge verändern können, um dir ähnlicher und gehorsamer zu werden. Amen.
Ich weise noch kurz darauf hin: Wer mehr Fragen zur Kirchengeschichte hat, kann mich gern gleich ansprechen. Wenn ihr ein Buch zum Nachlesen wollt, könnt ihr euch an mich wenden. Ich nenne euch einige Empfehlungen zur Kirchengeschichte.
Wer etwas von meinen Büchern lesen möchte: Da drüben liegen noch einige aus. Ihr könnt das Geld in den Pappkarton werfen.
Außerdem habe ich Informationsschriften über die Bibelschule Brake ausgelegt. Wer Interesse hat, kann sie gerne mitnehmen – natürlich kostenlos.
Es hat mich gefreut, Gemeinschaft mit euch zu haben. Ich hoffe, ihr habt etwas mitgenommen, vielleicht ein paar Aha-Erlebnisse und Ermutigungen. Falls das nicht so war, hoffe ich, dass Gott es dennoch nutzt, damit ihr in Zukunft, wenn ihr anderen Menschen begegnet, die Fragen zur Kirchengeschichte haben, besser antworten könnt.