
Einen wunderschönen guten Morgen euch allen und herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst. Ganz besonders begrüße ich auch die Gäste, die heute bei uns sind. Nehmt bitte liebe Grüße mit in eure Heimatgemeinde.
Ich habe auch Grüße von Friedemann und Heidrun Lattik erhalten, die die Gemeinde ganz herzlich grüßen lassen. Ich hoffe, dass heute alle hier sind und diejenigen, die fehlen, tatsächlich im Urlaub sind oder anderweitig vertreten werden – und nicht etwa in Liritzhofen gestrandet sind, das wäre ungünstig. Aber sie werden es dann sicher merken, dass dort niemand ist.
Ich bete zum Anfang und bitte euch, dazu aufzustehen:
Großer Gott und Heiland, wir danken dir, dass wir uns heute hier treffen dürfen, um dein Wort zu hören und von dir zu lernen. Wir sind dankbar für die Freiheit und die Möglichkeit, uns auszutauschen und von dir zu lernen. Bitte sende deinen Heiligen Geist, dass er an uns wirkt und uns verändert.
Wir bitten dich um deinen Segen und um rechte Worte für Sebastian. Schenke ihm Weisheit und deinen Heiligen Geist, damit er dein Wort weitergeben kann. Lass uns positiv verändert aus diesem Gottesdienst hinausgehen. Danke für all das Gute, das du uns schenkst. Wir loben und preisen dich und beten dich an. Amen.
Ich lese euch einige Verse aus Psalm 139 vor. Psalm 139, Verse 7 bis 10:
Wo sollte ich hingehen vor deinem Geist? Und wo sollte ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Stiege ich hinauf zum Himmel, so bist du da. Machte ich das Totenreich zu meinem Lager, siehe, so bist du auch da. Nehme ich Flügel der Morgenröte und ließe mich nieder am äußersten Ende des Meeres, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
Es ist schön zu wissen, dass wir aus der Bibel erfahren dürfen, dass Gott gegenwärtig ist, dass er in unserer Mitte ist. Wir dürfen darauf vertrauen, dass diese Zusagen, die bereits im Alten Testament gegeben wurden, auch heute noch gelten.
Wir singen nun gemeinsam das erste Lied, Nummer 44: "Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten". Gleich danach kommen die Kinder nach vorne, und wir singen gemeinsam das Kinderlied. Anschließend folgt die Predigt.
Heute ist der letzte Gottesdienst im Mai. Normalerweise gibt es in der zweiten Stunde einen Zeugnis-Teil. Diesen werden wir heute nicht in dieser Form haben, sondern stattdessen ein Abendmahl außerhalb des üblichen Turnus. Letzte Woche gab es kein Abendmahl, und auch nächste Woche wird keines stattfinden.
Außerdem werden wir einen Rückblick auf das Jahr 2024 aus finanzieller Sicht erhalten, mit einem kurzen Bericht vom Kassierer. Danach folgt ein kleiner Ausblick auf die Zukunft und schließlich die Ankündigungen und wie gewohnt der Abschluss des Gottesdienstes.
Begegnungen und Selbstinszenierung im Alltag
Guten Morgen, schön, dass du da bist und mit uns zusammen in Gottes Wort eintauchen möchtest. Bevor wir das tun, will ich dir eine Frage stellen.
Stell dir vor, du bist bei einer Veranstaltung beim Mittagessen. Du lernst gerade jemanden am Essenstisch neu kennen. Solche Situationen kennt ihr vielleicht alle. Man ist irgendwo unterwegs, es gibt ein großes Essen, und man muss sich irgendwo einen Platz suchen. Dann sitzt jemand dir gegenüber, und es beginnt ein Gespräch. Irgendwann steht die Frage im Raum: „Und was machst du denn so?“
Zack, die moderne Version von „Wer bist du?“ ist gestellt. Dein Kopf fängt an zu rattern: Was sage ich jetzt? Worauf beziehe ich mich? Je nach Kontext fängst du vielleicht an, über deinen Beruf zu sprechen – irgendwas mit Informatik oder Computern, weil der Rest eh nicht verstanden wird. Oder du erzählst von deiner Familiensituation, zum Beispiel „Vater von bald fünf Kindern“.
Wenn es eine christliche Konferenz ist, beginnst du vielleicht darüber zu reden, was du in der Gemeinde oder übergemeindlich machst. Du legst die Sachen auf den Tisch und betonst, wo du herkommst. Je öfter du in solchen Situationen bist, desto geübter wirst du darin, dich selbst zu inszenieren – oft ohne es bewusst zu wollen.
Ich glaube, wir sind heute so darauf getrimmt, dass wir in solchen Momenten möglichst gut dastehen wollen. Du betonst die guten Dinge. Du fängst nicht unbedingt damit an zu sagen: „Übrigens, in meiner Vergangenheit habe ich auch zweimal den Job hingeschmissen“ oder „Zuhause bin ich gerade total gestresst.“ Solche Dinge erzählst du nicht in so einem Moment. Stattdessen legst du die guten Seiten auf den Tisch.
Ich bin da nicht besser. Wie schnell bestimmen meine Gespräche, was ich getan habe. Und wenn es im christlichen Kontext ist, dann ist das vielleicht noch demütig garniert mit Sätzen wie: „Gott hat es gesegnet in der Gemeinde“ oder „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen – schaut mal, wie toll ich gesprungen bin.“ Das schwingt alles mit.
Damit meine ich nicht, dass ich Dinge erzähle, die nicht stimmen. Das Verblenden meine ich noch gar nicht. Ich meine, dass wir vor allem davon reden, was wir tun. Schnell kann das im christlichen Bereich zur Selbstoptimierung werden. Vielleicht denkst du im stillen Kämmerchen die ganze Zeit darüber nach, ob du den richtigen Platz in Gottes Reich hast. Ob du mit deinen Gaben möglichst gut dienst. Ob du alles perfekt ausgerichtet hast. Ob du noch irgendwo anders hin müsstest.
Ohne es zu merken, geht es dann vielleicht gar nicht mehr darum, wirklich Gott zu dienen. Es geht mehr darum, dem optimalen Bild des Christen zu entsprechen, der man gerne wäre – vielleicht der große Prediger, Missionar, Gemeindegründer, Musiker oder was auch immer.
Im Innersten geht es um mich. Ich möchte bei der nächsten christlichen Konferenz am Mittagstisch etwas auf den Tisch legen können, was ich geleistet habe.
Ich bin mir sicher, dass es Zeiten in der Kirchengeschichte gab – und vielleicht auch heute den einen oder anderen gibt –, der zu wenig darüber nachdenkt, wo er Gott dienen kann und wo sein Platz ist.
Meine Befürchtung ist aber, dass wir manchmal auf der anderen Seite vom Pferd fallen. Dass wir mit einer lähmenden Selbstoptimierung eher eine christliche Egoshow in Gemeinde, auf Instagram und Co. veranstalten, anstatt wirklich Gott zu dienen.
Johannes der Täufer: Eine Stimme ohne Eigenlob
Und wir wollen heute über jemanden nachdenken, dem es ziemlich egal war, wer er ist. Er bekommt nämlich genau diese Frage gestellt. Wir wollen über Johannes den Täufer nachdenken, so wie ihn Johannes der Evangelist darstellt. Ihr werdet heute merken, dass ich etwas herausgefordert bin bei diesem Text, weil wir manchmal von Johannes, dem Autor, sprechen und manchmal von Johannes, dem Täufer. Verzeiht mir, falls ich die beiden mal durcheinanderbringe. Gleichzeitig ist das eine Aufforderung, jetzt sehr konzentriert zuzuhören – ihr dürft die Fehler dann zählen.
Wir schauen ins Johannesevangelium an die Stelle, wo wir das letzte Mal vor langer Zeit aufgehört haben, nämlich direkt nach dem Prolog, in Johannes 1,19. Ich möchte euch ermutigen, die Bibel mit aufgeschlagen vor euch zu haben, um nachvollziehen zu können, worüber wir sprechen.
Dort heißt es: „Und dies ist das Zeugnis des Johannes. Als die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm sandten, damit sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht, sondern bekannte: Ich bin nicht der Christus. Sie fragten ihn: Wer denn? Bist du Elija? Er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. Da sagten sie zu ihm: Wer bist du denn, damit wir denen Antwort geben, die uns gesandt haben? Was sagst du über dich selbst? Er sprach: Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg des Herrn, wie der Prophet Jesaja gesagt hat.“
Die Abgesandten waren von den Pharisäern, und sie fragten ihn weiter: „Warum taufst du denn, wenn du nicht der Christus bist, noch Elija, noch der Prophet?“ Johannes antwortete ihnen: „Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht aber einer, den ihr nicht kennt, der nach mir kommt. Ich bin nicht würdig, die Riemen seiner Sandalen zu lösen.“ Dies geschah in Bethanien jenseits des Jordans, wo Johannes taufte.
Am nächsten Tag sieht Johannes Jesus auf sich zukommen und spricht: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt wegnimmt. Dieser ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist. Denn er war, ehe ich war, und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbar wird, bin ich gekommen, mit Wasser zu taufen.“ Johannes bezeugte weiter: „Ich sah den Geist herabkommen wie eine Taube aus dem Himmel, und er blieb auf ihm. Ich kannte ihn nicht, aber der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, sprach zu mir: Auf den du den Geist herabkommen siehst und auf ihm bleiben, dieser ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe gesehen und bezeuge: Dieser ist Gottes Sohn.“
Johannes hat scheinbar Aufmerksamkeit erregt. In Jerusalem, der religiösen Zentrale des damaligen Landes, wurden die Leute etwas nervös und wollten gerne wissen, was da los ist. Im Lukas- oder Matthäusevangelium kann man lesen, dass große Mengen zu Johannes unterwegs sind, an den Jordan hinaus. Es sind große Scharen, ein Volksauflauf, und Johannes scheint quasi der neue große Influencer der damaligen Zeit zu sein.
Weil die religiöse Elite gerne wissen möchte, wer da ist, beschließt der Ausschuss für neue Influencer, eine Abordnung loszuschicken, um Johannes auf den Zahn zu fühlen: Was treibt er da, und wer ist er?
Wer in der Bibel ein bisschen fitter unterwegs ist, weiß, dass viel Misstrauen im Hintergrund steckt. Denn in Matthäus 21,25 lesen wir, dass ganz am Ende von Jesu Dienst immer noch die Frage im Raum steht, ob der Dienst oder die Taufe von Johannes aus dem Himmel oder vom Teufel sei. Da ist Misstrauen dabei, wenn auf einmal jemand so die Massen bewegt.
Die Frage lautet: Wer ist das, und was macht der da eigentlich? Woher nimmt er sich das Recht, zu taufen? Taufen war damals eher ungewöhnlich. Es gab die sogenannte Proselytentaufe. Das bedeutete, wenn ein Heide ins Judentum konvertierte, wurde er getauft. Aber in der Regel taufte er sich selbst.
Johannes hingegen tauft hier Leute, und viele kommen. Das löst Unruhe aus. Aber vielleicht, wenn er doch jemand Wichtiges ist, der Messias, auf den alle warten, möchte man sich auch gut mit ihm stellen, mitschwimmen auf der Volkswelle. Wenn er es aber nicht ist, soll er bitteschön keine Unruhe in das religiöse System der damaligen Zeit bringen. Diese Botschaft könnte sie sonst beunruhigen.
Deshalb möchte man wissen, mit wem man es zu tun hat. So kommt eine Abordnung der damaligen religiösen Führer, der Elite der Juden aus Jerusalem. Sicherlich waren es nicht alle Juden in Jerusalem, die sie schickten, sondern ziemlich sicher der Hohe Rat und andere Verantwortliche.
Sie kommen zu Johannes und wollen von ihm Rechenschaft, wollen wissen, wer er ist. Johannes ist gerade am Höhepunkt seines Dienstes. Es ist richtig viel Erfolg da. Es passiert etwas: Leute, die in ihrem Leben einfach dahingelebt haben und weit weg von Gott waren, kehren um und tun Buße. Das lesen wir in den anderen Evangelien.
Johannes könnte jetzt richtig etwas vorzeigen. Die Älteren unter euch kennen vielleicht noch eine alte Sparkassenwerbung aus den Neunzigerjahren. Dort treffen sich zwei Männer beim Klassentreffen oder wo auch immer, sitzen ordentlich gekleidet am Tisch. Der erste fängt an zu erzählen, was er erreicht hat, und legt Bilder auf den Tisch: Mein Haus, mein Auto, mein Boot – das habe ich geschafft. Es wird etwas ruhiger. Der andere schaut skeptisch, legt dann auch Bilder hin: Mein Haus, mein Boot, mein Auto, meine Pferde und so weiter. Man übertrumpft sich.
Johannes hätte gerade alles Mögliche hervorholen können: Wer er ist, was er geleistet hat, was er tun könnte. Und doch geht er nicht zu locker darüber hinweg, sondern es steht nicht im Raum, dass Johannes sich jetzt selbst darstellt oder Wert darauf legt.
Ich glaube, Vers 20 macht das deutlich, weil Johannes, der Autor, betont, dass Johannes, der Täufer, bekennt und nicht irgendetwas Falsches erzählt.
Und was bekennt er? Johannes bekennt drei Dinge, die er nicht ist. Er sagt dreimal, dass er nicht die Person ist, auf die die Leute seiner damaligen Zeit, die Juden, ihre ganze Erwartung gesetzt haben.
Johannes widersteht der Versuchung, eine große Liste von geistlichen Diensten, Ämtern oder Ähnlichem auf den Tisch zu legen, um zu zeigen, was er geleistet und erreicht hat.
Die Demut des Johannes und die Erwartungshaltungen seiner Zeit
Er könnte ja sagen: „Oh, schön, dass ihr mal vorbeischaut. Hey, ich kann euch mal meinen Masterplan zeigen, wie man bitte predigen sollte, damit alle aus der Stadt rauskommen, hier Busse tun und sich in der Drecksbrühe im Jordan taufen lassen.“ Das war es nämlich damals. Er macht das nicht. Johannes macht das nicht.
Und glaubt mir, diese Herausforderung steckt in jedem von uns drin, wenn wir Erfolg haben, den auf den Tisch zu legen. Warum? Seit 1. Mose 3 versucht jeder von uns, mehr zu sein, als er ist. Wir wären gerne wie Gott, wir würden gerne den Erfolg hinlegen. Und er steckt in dir und mir drin. Johannes war auch nicht gefeit davor, aber er widersteht ihm.
Er sagt eben nicht: „Ich bin dieser Prediger, der ganze Stadien füllt. Ich habe mein Leben ganz dem Dienst im Reich Gottes verschrieben. Ich habe mich Gott ganz zur Verfügung gestellt, er gebraucht mich jetzt. Schaut mal, wie einfach ich lebe und was ich alles aufgegeben habe, um Gott zu dienen. Schaut doch mal genau hin, dann seht ihr doch direkt, was Sache ist, was ich erreicht habe.“ Das ist nicht seine Antwort.
Stattdessen verneint Johannes: „Ich bin nicht der Christus, ich bin nicht Ilija und ich bin nicht der Prophet.“ Er streicht alle Erwartungshaltungen durch und enttäuscht alle. Johannes geht damit auch gegen den Trend seiner damaligen Zeit.
Es gab nämlich einige Volksgenossen um ihn herum, die in den letzten hundert Jahren vor ihm aufgetreten sind und gesagt haben: „Ich bin der Messias, ich bin der Christus, ich bin der, der jetzt das Volk retten wird.“
Zur Erklärung: Die Leute haben damals auf Elija gewartet, weil in Maleachi 4, Vers 5 verheißen ist: „Siehe, ich will euch senden den Propheten Elija, ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt.“ Und es gibt noch ein paar andere Stellen im Maleachi, wo das verheißungsvoll angekündigt wird. Sie haben erwartet, dass Elija kommt, bevor Gott eingreift und handelt.
Außerdem haben sie den Propheten erwartet, seit Mose ihnen das mal verheißt hat. In 5. Mose 18,15 heißt es: „Einen Propheten wie mich wird der Herr, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern, dem sollt ihr gehorchen.“ Johannes streicht all diese Erwartungen durch.
Ja, kurzer Einschub: Ich weiß, bei einigen rattert jetzt der Kopf. Aber Moment mal, sagt nicht Jesus selbst, dass Johannes der Elija war? Warum sagt Johannes jetzt, er sei nicht Elija? Das ist eine schwierige Stelle.
Jesus sagt das in Matthäus 11,14 ziemlich klar, wo er sagt: „Und wenn ihr es annehmen wollt: Er ist Elija, der da kommen soll.“ Auch bei der Ankündigung seiner Geburt an Zacharias wird Johannes mit Elija identifiziert (Lukas 1,17): „Und er wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft des Elija, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern und die Ungehorsamen zu der Klugheit der Gerechten, zuzurichten dem Herrn ein Volk, das wohl vorbereitet ist.“
Wer genau hinschaut bei der Lukasstelle, findet, denke ich, schon die Lösung dafür. Johannes will demütig ganz klar machen, dass er keiner dieser wichtigen Personen ist. Und was offensichtlich ist, wenn wir das Neue Testament lesen, ist, dass Johannes eine eigenständige Person ist und nicht der reinkarnierte Elija. Das ist, glaube ich, völlig klar, dass das nicht der Fall ist.
Aber Johannes will wahrscheinlich auch der viel größeren Gefahr widerstehen, dass er jetzt irgendwie überhöht wird. Johannes lebt vielleicht wirklich auch in dieser Demut: „Nee, ich bin keiner von diesen großen Leuten.“ Jesus sieht aber mehr, sieht das große Ganze und erkennt, dass Johannes durchaus in dieser, ich nenne es mal typologischen Linie steht, dass Elija steht, dass Johannes wirklich auftritt wie Elija. Das wird selbst an solchen äußeren Sachen sichtbar, wie Kamelhaarmantel und Heuschrecken essen und solchen Dingen.
Die Botschaft des Johannes steht in der Linie des Elija, und er führt den Auftrag aus, mit dem er angekündigt ist, nämlich ein Volk vorzubereiten. Aber – und das ist mir hier jetzt an dieser Stelle zuerst mal wichtig – in Johannes’ Denken ist er unwichtig und nichts.
Johannes streicht alles durch, was irgendwie im Raum stehen könnte, und er fängt eben nicht an, irgendetwas Tolles zu betonen, was er tun würde. Und ich glaube, das fordert uns heraus. Johannes ist doch niemand Kleines im Heilsplan Gottes. Aber was denkst du von dir? Wer du bist?
Kann die christliche Gemeindeleitung ohne dich auskommen? Ich meine nicht deine Antwort, die du gibst, wenn dir jemand die Frage stellt – da sind wir alle demütig, natürlich – sondern was dein Herz dir sagt. Bist du überzeugt davon, dass du diese Gemeinde hier in eine positive Richtung bringst und dass, wenn du nicht da wärst, alles umkippen würde?
Bist du der Retter der Gemeinde? Bist du der, der jetzt endlich mal hier Schwung reinbringt und eine Sache vorwärts bringt? Oder alternativ derjenige, der das Rad am Laufen hält und ohne den eigentlich nichts geht? Oder sogar der, der auf weiter Flur allein verhindert, dass die Gemeinde irgendwelchen Abgründen entgegengeht und sich Irrlehren anheftet, der letzte Moikaner, der die wahre Lehre bewahrt, wo alle wegkippen?
Ist das deine Sicht auf dich? Oder bist du bereit, wie Johannes einzugestehen: „Nö, bin ich nicht, bin ich nicht, bin ich nicht, bin ich nicht.“
Bin ich der wichtigste Prediger der Gemeinde? Nein, bin ich nicht. Bin ich der, der organisatorisch alles hinkriegt? Nein, bin ich nicht. Bin ich der, der sich endlich mal um die Armen und Schwachen in der Gemeinde kümmert, der einzige, der dasteht? Nein, bin ich nicht.
Bin ich der, der endlich mal Ordnung schafft, dass gescheit geputzt wird und der darauf schaut, dass die anderen auch wirklich die Toilette richtig putzen, ohne denen alles hier unordentlich wäre? Nein, bin ich nicht.
Bin ich der, ohne den alles hier zusammenbrechen würde? Nein, bin ich nicht.
Johannes verweist auf Jesus – Die Stimme, die den Weg bereitet
Johannes’ Reaktion auf die Frage, wer er ist, ist sehr spannend. Er nutzt die Gelegenheit, um zu sagen: „Hey, super, dass ihr fragt, wer ich bin. Aber habt ihr eigentlich schon mal von jemand anderem gehört?“ Das ist etwas, das ihr bei Johannes immer wieder bemerken werdet. Man fragt ihn, wer er ist, und er möchte die ganze Zeit über jemand anderen sprechen.
Das ist ein wichtiger Punkt, denn ich glaube, Johannes ist uns hier ein großes Vorbild. Indem er sagt: „Lasst uns über jemand anderen reden“, erfüllt er genau seine Aufgabe im Reich Gottes.
In Johannes 1, Vers 23, wird Johannes herausgefordert, etwas Konkretes über sich selbst zu sagen. Darauf antwortet er: „Ich bin eine Stimme in der Wüste, die ruft: Ebnet den Weg des Herrn“, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Johannes identifiziert sich hier mit einer alttestamentlichen Verheißung. Er nennt Jesaja ausdrücklich und bezieht sich auf Jesaja 40, Vers 3, wo es heißt: „Es ruft eine Stimme in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn für unseren Gott.“
Johannes hat zwar eine Rolle, aber diese Rolle sieht er nur als eine Stimme an. Er sagt nicht: „Ich bin eine große Persönlichkeit“ oder „Ich bin ein Held“. Er bezeichnet sich selbst nur als eine Stimme, die irgendwo gehört wird und etwas Wichtiges zu sagen hat. Die Person, von der die Stimme kommt, ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist die Botschaft: „Mach dich bereit, jemand anderem zu begegnen.“
Bereite dich darauf vor, jemand anderen kennenzulernen. Im Kontext der Diskussion, in der Johannes steht, ist die Frage, wer er ist, völlig unwichtig. Die entscheidende Frage ist, wer jemand anderes ist. Darum soll man sich kümmern und sich darauf vorbereiten, nämlich dem Herrn zu begegnen. Wir werden gleich sehen, dass das auch tatsächlich passieren wird.
Die Pharisäer reagieren darauf in Vers 24. Die Abgeordneten der Pharisäer – ich glaube, es ist eine Gruppe, manche denken, es sind zwei Gruppen – fragen: „Warum taufst du denn, wenn du nicht der Christus bist, noch Elija, noch der Prophet?“ Johannes hat gerade erklärt, dass er die Stimme des Rufenden ist. Die Zuhörer antworten eher mit: „Ja, ja, schon gut, aber lass uns noch einmal darüber reden, was du eigentlich machst.“
Sie fragen: „Warum taufst du? Du sagst, du bist niemand im Reich Gottes. Du bist nicht einer der großen, wichtigen Personen, von denen wir erwarten würden, dass sie so etwas tun. Da gab es Erwartungen, etwa an Ezechiel oder andere, aber du bist es nicht. Warum taufst du dann?“ Diese Fragen bringen sie nicht zusammen.
Für Johannes ist das ein Einstieg, um ihnen mehr zu erklären. Er antwortet auf diese Frage, warum er tauft. Dabei wird es etwas kompliziert. Vielleicht ist es euch beim Lesen des Textes aufgefallen: Die Dialoge im Johannesevangelium verlaufen oft schleifenartig. Es fehlt etwas an Struktur, weil ständig zwischen zwei oder drei Themen hin und her gesprungen wird.
Dieses Muster zieht sich durch das ganze Johannesevangelium. Es war damals die typische jüdische Art zu reden. Man bewegte sich schleifenartig vorwärts und fügte immer mehr hinzu. Wer heute im modernen Projektmanagement oder in der IT arbeitet, kennt so etwas als agile Vorgehensweise. Man beschäftigt sich immer wieder mit dem Gleichen und verbessert es Schritt für Schritt. Das konnten sie damals schon. So entwickelten sie ihre Diskussionen und Gespräche weiter.
Johannes der Täufer und der Autor des Evangeliums berichten uns, dass Johannes sich mit zwei Themen beschäftigt: Zum einen erklärt er, warum er tauft, zum anderen bleibt er immer noch bei der Frage hängen, wer er eigentlich ist. Dabei stellt er sich selbst als nichts dar und grenzt sich von dem ab, über den er eigentlich sprechen will. Er setzt sich in ein schlechtes Licht – oder besser gesagt, in ein schwaches Licht.
Dieses schleifenartige Gespräch wollen wir nun etwas ordnen. Wir lesen die Verse 26 bis 33, wobei wir Vers 29 auslassen und diesen danach anschauen.
Johannes antwortete ihnen: „Ich taufe mit Wasser mitten unter euch, steht da jemand, den ihr nicht kennt, der nach mir kommt. Ich bin nicht würdig, die Riemen seiner Sandalen zu lösen.“ Das geschah in Betanien jenseits des Jordans, wo Johannes taufte.
Jetzt sind wir am nächsten Tag. In Vers 30 heißt es: „Dieser ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Ich kannte ihn nicht, aber damit er Israel offenbar wird, bin ich mit Wasser gekommen, um zu taufen.“ Johannes bezeugte weiter: „Ich sah den Geist herabkommen wie eine Taube aus dem Himmel, und er blieb auf ihm. Ich aber kannte ihn nicht, sondern der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, sprach zu mir: ‚Auf den du den Geist herabkommen siehst und auf ihm bleiben, dieser ist es, der mit Heiligem Geist tauft.‘“
Johannes beginnt also damit, dass er sagt: „Ich taufe mit Wasser.“ Dabei denkt man: Ja, das haben wir gesehen, warum er das tut. Dann springt er wieder darüber hinweg und sagt: „Ach ja, übrigens, ich bin unwichtig. Aber der andere, über den ich reden will, der ist total wichtig.“
Wie macht er das? Indem er sagt: „Der war viel früher da als ich.“ Das ist eine sehr spannende Aussage. Wir wissen noch gar nicht, wer genau gemeint ist, aber dieser war vor Johannes da. Dann sagt er: „Ich bin nicht einmal würdig, ihm die Schnürsenkel zu öffnen.“
Wir müssen verstehen, dass das damals eine Aufgabe von Sklaven war. Johannes sagt also: Wenn derjenige, über den ich rede – und ihr wisst, dass es Jesus ist – kommt und da steht, dann bin ich nicht einmal würdig, ihn so zu bedienen, wie es der niedrigste Sklave tun würde. Selbst das ist für mich zu viel Ehre. Johannes sagt damit: Gegenüber dem, von dem er spricht, ist er nichts, unwichtig, weniger als ein Sklave.
Johannes deutet an, dass dieser jemand besonders sein muss, weil er andeutet, dass dieser schon immer existiert hat. Er bekennt auch: „Ich habe ihn eigentlich nicht wirklich gekannt.“ Wenn man weiß, dass Johannes hier von Jesus spricht, denkt man: „Moment mal, ihr wart doch Cousins, du kennst ihn doch.“ Johannes meint damit aber sicher, dass er ihn als Person kannte, aber nie wirklich erkannt hat, wer er wirklich ist. Das musste ihm anderswo offenbart werden.
Johannes bringt damit die große Distanz zum Ausdruck zwischen sich selbst als Vorläufer des Messias und dem Messias selbst. Das sagt Johannes, der in den Augen Jesu einer der Größten war, die je gelebt haben. In Matthäus 11,11 sagt Jesus über Johannes den Täufer: „Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer.“
Es gibt noch einen Zusatz, der hier aber erst einmal nicht wichtig ist. Für das irdische Leben sagt Jesus über Johannes den Täufer: Es gibt eigentlich niemanden, der größer ist. Und Johannes sagt, wenn er über sich und Jesus spricht: „Da ist ein riesiger Unterschied. Ich bin nichts im Vergleich zu ihm.“
Diese Demut zieht sich immer wieder durch das Gespräch. Johannes betont immer wieder, wie viel größer Jesus ist.
Die Bedeutung der Taufe und der Unterschied zu Jesu Wirken
Aber zurück zu der Frage, warum er eigentlich tauft – die beantwortet er nämlich auch in dem ganzen Durchlauf. Ihr habt ja jetzt schon mitbekommen, dass es ihm nicht um seinen Dienst oder seine Person geht.
Er tauft also Leute nicht, um sie zu Nachfolgern von sich zu machen, sie an sich zu binden oder in seinen Verein zu integrieren. Er tauft sie, so seine Begründung, um sie auf den anderen, auf den Messias, vorzubereiten. Wenn die Leute auf Johannes sehen würden und sich an ihn binden würden, dann würden sie enttäuscht werden. Das ist seine Botschaft, denke ich. Er kann ihre Erwartungen niemals erfüllen.
Aber was Johannes tun kann, ist, ihnen den zu zeigen, der alle ihre Erwartungen erfüllen kann und erfüllen wird. Das ist der Job und die Rolle, in der Johannes sich sieht. Und wie tut er es, sie darauf vorzubereiten, dass sie den erkennen und sehen, den sie brauchen, der ihre Erwartungen erfüllen kann? Indem er sie tauft.
Wie bringen wir das heute zusammen? Ich denke, wir müssen verstehen, was Taufe zur Zeit Johannes vor allem bedeutet hat. Dieses Wassertaufen war in der Regel damit verbunden, Unreinheit abzuwaschen, eine Reinigung zu vollziehen. Das ist die Symbolik, die da ist.
In Matthäus 3,11 sagt Johannes noch ein bisschen mehr, was diese Taufe bedeutet:
„Ich taufe euch mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen. Der wird euch mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen.“
Johannes selbst stellt diese Taufe, dieses Reinigen, in Verbindung mit Buße. Das, was Johannes tun konnte, war, die Menschen dahin zu bringen, dass sie die Notwendigkeit erkannt haben, dass sie einen Retter brauchen. Dass sie erkannt haben, dass sie nicht perfekt sind, dass sie nicht gut sind, dass sie sich das eingestehen und Reinigung nötig haben.
Johannes hat den Finger in die Wunde gelegt und gezeigt, wo ihr Leben nicht den Maßstäben Gottes entspricht. Dazu war Johannes in der Lage, dazu war diese Wassertaufe von ihm in der Lage: Sünde sichtbar zu machen.
Aber Johannes war zu einer Sache nicht in der Lage, das bekennt er hier, das bekennt er in Matthäus: die Herzen zu verändern. Er konnte den Leuten klar machen, dass sie eine Notwendigkeit dafür haben. Er konnte ihnen aufzeigen, wie das Minus aussieht, aber er war nicht in der Lage, sie zu verändern.
Wie komme ich darauf? Johannes betont zweimal, dass er mit Wasser tauft, aber der, der nach ihm kommt, mit Heiligem Geist tauft. Und hier ist, denke ich, eine Betonung darauf, dass Jesus, der eben da kommt, viel mehr tun kann.
Er kann das tun, was in Ezechiel verheißen ist: die Herzen verändern, neue Herzen reinsetzen, reine Herzen geben. Da will ich heute nicht in die Tiefe darauf eingehen, da fehlt mir die Zeit dazu, aber das ist vielleicht ein Gedanke, um zuhause noch darüber nachzudenken – was dieser Unterschied zwischen der Taufe mit Wasser und der Taufe mit dem Heiligen Geist bedeutet.
Johannes betont aber, dass sein ganzer Dienst darauf ausgerichtet ist, Menschen vorzubereiten, um jemand anderen zu begegnen. Die ganze Taufe von ihm hat nur einen Zweck: Leute vorzubereiten, ihrem Messias zu begegnen.
Die Motivation im Dienst: Jesus in den Mittelpunkt stellen
Und ich möchte dir die Frage stellen: Was ist der Grund, wenn du in der Gemeinde dienst, sei es in der Predigt oder bei anderen Aufgaben? Was ist der wahre Grund? Nicht nur als frommes Lippenbekenntnis – wir sagen alle, es sei zur Ehre Gottes. Aber was ist der Grund deines Herzens? Was ist der Antrieb? Bist du so begeistert von diesem Anderen, dass du einfach nur willst, dass andere ihn auch sehen? Ist das der Kern, der Antrieb, die Motivation, warum du anderen das Evangelium weitersagen willst?
Wer ist dieser Andere? Wer ist es, von dem Johannes so begeistert ist, dass er mit allem, was er tut, den Leuten nur sagt: Mit ihm müsst ihr euch beschäftigen, mit ihm müsst ihr euch auseinandersetzen? Ich bin unwichtig, kümmert euch nicht um mich, kümmert euch um den. Johannes legt darüber Rechenschaft ab. Er tut es, indem er an zwei Tagen unterwegs ist, indem er am nächsten Morgen, nachdem er diese Frage gestellt bekommt, Jesus kommen sieht und indem er sagt: Zum einen die Person Jesu, die ist es, und zum anderen, indem er sagt, wer diese Person wirklich ist – was nichts mit ihrem Äußeren zu tun hat, sondern mit dem tiefsten Wesen.
Wir lesen Johannes 1,29: Am nächsten Tag sieht Johannes Jesus auf sich zukommen und spricht: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.“ Es ist wirklich so, Johannes scheint in einer Situation zu stehen, in der ein totaler Aufmerksamkeitsmarker im Text steckt. Er ist vielleicht mit den Leuten irgendwo beschäftigt, sieht Jesus, unterbricht alles und schreit in die Menge hinein: „Schaut, der ist es! Den, von dem habe ich gestern geredet, auf den müsst ihr schauen.“ Nehmt alles hin, lasst alles stehen und liegen, kümmert euch um den, da muss es hingehen.
„Seht!“ – Ausrufezeichen – „Der ist es, um den geht’s, alles andere ist unwichtig. Vergesst, worüber wir sonst diskutieren, schaut auf den!“ Das ist die große Botschaft, die Johannes hat. Er stellt sich hin und sagt zu den Leuten: „Hey, hier, da hinschauen, kommt her!“ Johannes macht das jetzt total spannend. Er stellt sich nicht einfach hin und sagt: „Hey, übrigens, das ist der Messias.“ Sondern er bringt eine ganz spannende Aussage, die exklusiv im Johannesevangelium steht: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt wegnimmt.“
Es ist spannend, dass der Evangelist Johannes das so betont, denn das Thema „Lamm Gottes“ nimmt in all seinen Schriften – im Evangelium, in den Briefen und in der Offenbarung – eine zentrale Rolle ein, dieses Bild. Wahrscheinlich sind sich die Kommentatoren uneinig, aber ich würde mit denen mitgehen, die davon ausgehen, dass es hier nicht der Moment der Taufe ist, sondern dass die Taufe bereits vorher stattgefunden hat und Jesus jetzt in einer anderen Situation vorbeikommt, von der der Evangelist hier berichtet.
Viele gehen davon aus, dass es vielleicht sogar nach der Prüfungszeit in der Wüste war, als Jesus zurückkommt und seinen Dienst beginnt. Johannes berichtet jetzt rückblickend von dem Moment, als er ihn damals getauft hat und Gott ihm offenbart hat, dass Jesus der Messias ist. Er betont dies den Leuten gegenüber, die Johannes hier die Frage stellen, wer er denn sei, um ihnen zu verdeutlichen, wer Jesus ist.
Das halte ich zumindest für relativ schlüssig, warum eben auch ein gewisser Unterschied besteht zu den Berichten bei Markus, Matthäus und Lukas über das gesamte Geschehen.
Das Bild vom Lamm Gottes und seine Bedeutung
An was denkt Johannes, wenn er hier von dem Lamm Gottes spricht? Ich glaube, jeder von uns hat sofort viele alttestamentliche Bezüge im Kopf, ohne dass eine eindeutige Stelle zitiert wird. Und ich denke, es ist bewusst offengelassen, was er genau damit meint.
Vielleicht haben wir 2. Mose 12,3 im Kopf, wo das Passalamm eingesetzt wird: Die Gemeinde Israel soll am zehnten Tag dieses Monats jeder Hausvater ein Lamm nehmen, je ein Lamm für ein Haus. Wenn aber in einem Haus ein Lamm zu wenig ist, soll er es mit seinem Nachbarn nehmen, der seinem Haus am nächsten wohnt, bis sie zusammen ein Lamm haben, das sie essen können. Es soll ein makelloses Lamm sein, ein männliches Tier, ein Jahr alt, von den Schafen oder Ziegen. Dieses Opferlamm springt förmlich ins Auge, wenn Johannes vom Lamm Gottes spricht.
Doch das Messias-Lamm so zu sehen, war damals revolutionär. Es passt übrigens, wenn Jesus gerade aus der Wüste gekommen ist, wo er seine Sündlosigkeit in der Versuchung durch Satan bewiesen hat, dass er als dieses makellose Lamm auftritt und kommt.
Vielleicht hat Johannes auch den leidenden Gottesknecht aus Jesaja 53 im Blick, wo ebenfalls ein Lamm beschrieben wird, das die Sünden trägt. Vielleicht denkt er auch an Abraham bei der Opferung Isaaks. In 1. Mose 22,8 sagt Abraham: „Mein Sohn, Gott wird sich ersehen, ein Schaf zum Brandopfer“, und die beiden gehen weiter. Später, in Vers 13, sieht Abraham einen Widder hinter sich im Gestrüpp hängen. Er nimmt den Widder und opfert ihn anstelle seines Sohnes. Abraham nennt die Stätte „Der Herr sieht“ – bis heute sagt man auf dem Berg, dass der Herr sich sehen lässt.
Wahrscheinlich spezifizieren weder Johannes der Täufer noch Johannes der Evangelist genau, was sie meinen. Vielmehr wollen sie bewusst die rote Linie der vielen Opfer und der Notwendigkeit eines Lammes darstellen, die im Alten Testament vorgezeichnet ist und notwendig ist, um Sünde wirklich wegzubringen.
Was meint Johannes hier mit „Sünde der Welt“? Bedeutet das, dass alle einzelnen Sünden gesühnt sind? Diese Frage taucht auf. Ich habe nicht die Zeit, hier tief einzusteigen, aber ich glaube nicht, dass das gemeint ist. Vielmehr ist hier von der Sünde als gesamtes Problem die Rede, von dem Problem der Sünde, das Jesus wegschafft. Die Bibel und Johannes selbst machen an vielen Stellen deutlich, dass wir umkehren und Buße tun sollen. Die Vergebung der Sünde gilt für den, der sein Vertrauen auf dieses eine Opferlamm setzt, der seine Hand auflegt auf das Lamm und die Sünde überträgt.
Die zweite Aussage neben dem Lamm Gottes ist spannend in Johannes 1, Vers 34 am Ende, weil sie das Thema des Johannesevangeliums aufgreift – wenn ihr euch an die erste Predigt erinnert. Johannes 1,34 lautet: „Und ich habe gesehen und bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist.“ Johannes streicht hier ganz am Anfang, beim ersten öffentlichen Auftreten Jesu im Johannesevangelium, die Gottheit Jesu heraus.
Jetzt haben wir hier die Aussage „Gottes Lamm“ und „Gottes Sohn“ im selben Kontext auf dieselbe Person vereint, direkt zu Beginn des Wirkens Jesu. Ich glaube nicht, dass Johannes der Täufer vollständig verstanden hat, was alles kommen wird und passieren wird. Vielmehr bringt er hier prophetisch Dinge zusammen, die erst am Kreuz und im Evangelium vollständig sichtbar werden: Gott selbst wird Mensch, um das geforderte Opferlamm zu werden, Gott selbst wird Mensch, um die Sünde wegzunehmen und wegzuschaffen.
Was für eine Botschaft und Nachricht! Ich weiß, ihr habt sie schon oft gehört, aber es ist der Kern und die Zentralbotschaft, warum wir hier stehen und uns Christen nennen. Gott selbst wird Mensch, wird dieses Lamm – nicht einfach nur in der Form eines Tieres, nicht einmal nur als einfacher Mensch, sondern als Gott selbst wird er dieses Opferlamm, um deine und meine Schuld zu tragen.
Wenn wir vorher an das schwache Schattenbild der Opferung Isaaks gedacht haben, wo Abraham gefordert ist, seinen Sohn zu geben, dann bekommt es hier sein volles eigenständiges Bild. Abraham sollte nur hinweisen: Gott ist es nicht Abraham am Ende, sondern Gott ist es, der seinen Sohn nimmt und ihn als makelloses Opferlamm für die Sünde der Welt hingibt.
Johannes der Täufer, der das wahrscheinlich sogar nur stückweise erkennt, steht in dem Moment, wo er Jesus kommen sieht, völlig begeistert da und sagt zu den Leuten: „Hey, es gibt nur eine wichtige Sache, schau auf den hier! Er ist genau die Person, um die alles geht. Konzentrier dich auf ihn, konzentrier dich auf dieses Lamm!“
Dieses Lamm spielt in den johannäischen Schriften – also in allen Schriften, die aus der Feder von Johannes, dem Apostel, stammen – eine große Rolle. Für alle, die es spannend finden wollen: Johannes der Zippideus – da hatten wir zuhause jetzt ein paarmal Spaß, weil er einer der Zippideus-Brüder ist – dieses Lamm spielt eine große Rolle und es spielt die Rolle in der größten Botschaft der Weltgeschichte.
Zwei Beispiele: 1. Johannes 4,10 in den Briefen: „Darin besteht die Liebe nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden gesandt hat.“ Das ist genau die Aussage, die Johannes der Täufer trifft.
Und noch etwas Spannendes, das das Bild ein bisschen plastischer macht: Offenbarung 5. Offenbarung 5,1-5 lese ich zunächst, weil wir dort etwas Spannendes sehen – auch diese Macht Gottes Sohn verknüpft mit dem Lamm.
Offenbarung 5,1: „Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln.“ Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimme: „Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen?“ Und niemand – weder im Himmel, noch auf Erden, noch unter der Erde – konnte das Buch auftun oder hineinschauen. Keiner ist in der Lage.
Johannes der Täufer nicht, du und ich nicht, die besten Engel nicht, niemand. Und Johannes weinte sehr, weil niemand würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen. So geht es Johannes, dem Evangelisten.
Dann kommt einer der Ältesten und spricht zu ihm: „Weine nicht! Siehe, es hat überwunden, der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel.“ So weit, so gut. Der Löwe, dieses kräftige Tier aus dem Stamm Juda, gewaltig und mächtig – da können wir uns damit abfinden, dass er in der Lage ist, das Buch zu öffnen.
Aber lest weiter! Man liest über diese Veränderung des Bildes hier so schnell hinweg, wenn man früh morgens noch nicht den ersten Kaffee hatte, dass hier eine Änderung im Bild passiert. Das ist total spannend.
Vers 6: Es geht immer noch darum, dass das Buch aufgemacht wird. Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Wesen und mitten unter den Ältesten kein Löwen stehen, sondern ein Lamm, wie geschlachtet. Es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, die ausgesandt sind in alle Lande.
Und es kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß. Als es das Buch nahm, fielen die vier Wesen und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm. Jeder hatte eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk, das sind die Gebete der Heiligen. Und sie sangen ein neues Lied: „Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel aufzutun. Denn du bist geschlachtet, und mit deinem Blut hast du Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen, Sprachen, Völkern und Nationen. Du hast sie unserem Gott zu seinem Königreich und zu Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf Erden.“
Ich sah und hörte eine Stimme vieler Engel um den Thron, um die Wesen und um die Ältesten. Ihre Zahl war zehntausend mal zehntausend und viele tausend mal tausend. Sie sprachen mit großer Stimme: „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob zu empfangen.“
Es geht mir jetzt nicht um Details des Bildes, sondern um die Botschaft: Der Löwe aus dem Stamm Juda, Gottes Sohn, ist niemand anderes als das Lamm Gottes, das sein Leben für dich und mich gibt. Der stärkste, mächtigste, herrlichste, vollkommenste, perfekte, sündloseste Sohn Gottes – sein ganzes Auftreten ist das eines Lammes, das für dich hingeht und sich hingibt.
In einem der ersten Kapitel, in denen Johannes, der Apostel, über Jesus schreibt, bringt er das zusammen. Und in der Offenbarung ist es weiterhin dieses große Bild: Gottes Sohn, der zum Lamm wird, um für dich und mich zu sterben.
Begeister dich daran! Begeister dich an Jesus! Bist du auch jemand, der dasteht und sagt: „Schaut auf ihn, seht Gottes Lamm, Gottes Sohn“? Ist es seine Schönheit, die dich begeistert und motiviert, in seinem Reich mitzuarbeiten? Worauf liegt der Fokus deines Lebens? Liegt er auf diesem Lamm Gottes?
Wenn du Jesus nicht kennst, dann möchte ich dir heute sagen: Sieh dieses Lamm Gottes, das nach Golgatha geht und dort sein Leben für dich lässt, um alle Schuld zu bezahlen.
Ja, du kannst erkennen, dass du vor Gott unrein bist – das konnte Johannes den Leuten aufzeigen. Aber nur dieses Lamm kann dich rein und neu machen. Nur bei ihm wirst du Frieden und Ruhe finden.
Und wenn du manchmal verzweifelt bist, mit Gott ringst, ihn nicht verstehst, nicht zu ihm traust oder Angst hast, ihm nicht zu genügen: Sieh dieses Lamm, sieh dieses Lamm Gottes, das alles für dich getan hat, diese ganze Liebe. Vertraue dich ganz diesem Lamm an.
Ich glaube, wir können nur Ruhe finden in der Schönheit Jesu. Nur dort kann Begeisterung entstehen. Wenn du anfängst, auf dich zu schauen und zu prüfen, ob alles in deinem Leben läuft, ob dein Dienst richtig läuft, ob du ordentlich genug unterwegs bist, wirst du verzweifeln oder ein Blender sein, der im Selbstbetrug lebt. Nur wenn du auf Jesus schaust, wirst du Frieden und Ruhe finden.
Die Haltung im Dienst: Nebenrolle für den König
Und das Zweite, was ich dich fragen will: Was ist deine Botschaft? Johannes hat eine Botschaft. Er will von Jesus reden. Es ist ihm völlig unwichtig, wer er ist oder was sein Dienst ist.
Bist du bereit, die Nebenrolle zu spielen, damit der wahre König in der Hauptrolle glänzen kann? Vielleicht brauchst du weniger Bühne und mehr Dienst im Verborgenen. Vielleicht mehr Zeit mit einzelnen Leuten, die nicht die Masse sehen – nicht wie die Kanzel hier vorne.
Vielleicht brauchst du mehr unsichtbaren Dienst, wie zum Beispiel putzen oder heute früh um halb neun den Beamer anschalten, damit alles läuft. Das hat keiner gesehen, oder? Aber es war wichtig. Bist du bereit, nach hinten zu gehen?
Paulus sagt einmal in 2. Korinther 4,5: „Denn wir predigen nicht uns selbst.“ Es geht nicht um dich. Es geht nicht um deine Leistung. Es geht nicht um deine Lebensratschläge, wie Leute ihr Leben besser leben könnten. Es geht nicht darum, wie du irgendwas hingekriegt hast, sondern um Jesus Christus, dass er der Herr ist. Wir aber sind Knechte um Jesu willen.
Diese Welt und unsere Zeit sind eine dürre Wüste. Für die Jüngeren: Schaut nur in Instagram rein, das ist echt dürr. Wenn du mal ein bisschen hinter die Lebensrealitäten schaust, erkennst du, wie die ganze Welt seit jeher Jesus braucht. Nicht so dringend wie alles andere, aber Jesus zu sehen, wie dieses Lamm Gottes.
Ich möchte dir die Frage stellen: Wie muss sich dein Dienst verändern, wenn dieses Lamm ins Zentrum rücken muss? Was müsste anders sein? Bist du bereit, in der Zeit von Selbstoptimierung darauf zu verzichten, selbst gut dazustehen? Um dafür den einen ins rechte Licht zu rücken, um den es in allem geht?
Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, dass du den einen perfekten Platz hast, wo du dienst. Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, dass du ständig darüber nachgrübst, ob du die richtigen Gaben hast und ob du sie richtig einsetzt. Steh mich nicht falsch, das kann schon mal Sinn machen. Aber sich ständig darum zu drehen – vielleicht ist es einfach nur wichtig, von Jesus zu reden.
Vielleicht ist es einfach nur wichtig, Jesus lieb zu haben und jede Faser deines Lebens danach auszurichten, anderen Jesus zu zeigen und die Gelegenheiten zu nutzen, die Gott dir vor die Füße legt. Vielleicht ist es dran, irgendwo einen Schritt zurückzumachen und zu sagen: Herr, ich lieb dich und ich will einfach nur begeistert von dir sein.
Spurgeon sagt einmal: „Die Summe von allem, was ich euch sagen möchte, ist: Meine Brüder, predigt Christus und immer wieder Christus. Er ist das ganze Evangelium. Seine Person, sein Amt, sein Werk müssen unser großes, allumfassendes Thema sein. Der Welt muss immer noch ihr Heiland und der Weg zu ihm verkündigt werden.“
Paradoxerweise spielt Johannes der Täufer eine sehr große Rolle in Gottes Heilsplan. Gerade deshalb, weil es ihm nicht um sich selbst ging. Es war ihm egal, wer er ist und was er bewirkt. Gerade dort, wo er in den Hintergrund tritt und sein großes Ziel ist, Jesus groß zu machen, kommt seine wahre Berufung zum Vorschein und zum Glänzen.
Ich bin überzeugt davon: Wenn du bereit bist, auf die Seite zu treten und dein Leben und dein Dienst sich um jemand anderen dreht, wird dein Leben schön. Du wirst in der Herrlichkeit – interessanterweise – neben Jesus umso mehr strahlen.
Das ist das Paradox des Christentums: Wo wir uns selbst verlieren, gewinnen wir alles, weil wir Jesus gewinnen. Deswegen seht auf dieses Lamm, den Sohn Gottes, der sein Leben für dich gibt. Amen.