Ja, ich hoffe, ihr wisst alle, zu was ihr eigentlich gekommen seid. Römer 11 ist ein sehr theologisches Thema. Israel ist immer wieder ein Thema, auch in den Nachrichten. Der Nahostkonflikt ist einer der Brennpunkte dieser Erde. Auf der einen Seite gibt es Selbstmordattentate, auf der anderen Seite ab und zu gezielte Tötungen von Terroristen durch die Israelis.
Es gibt Mauern, die gebaut werden, etwa zum Gazastreifen. Wir Deutsche haben dabei, glaube ich, ein etwas zwiespältiges Gefühl. Mauern sind sehr umstritten, sowohl die Haltung der einen als auch die der anderen Seite. Für Gläubige, die an die Bibel glauben, ist Israel natürlich ein Thema einer anderen Dimension. Für viele ist es auch ein sehr emotionales Thema. Es gibt viele Gläubige, für die Israel einfach immer Recht hat, egal was passiert.
Ist das so? Ist alles nur weltliche Propaganda, wenn etwas Negatives berichtet wird? Wie sieht es wirklich aus? Darum geht es heute Abend ein bisschen, denn in Römer 11 geht es um die Gegenwart und Zukunft Israels. Es ist ein theologisches Thema, weil die meisten von uns im Alltag nicht so viel praktisch damit zu tun haben.
In Deutschland leben heute nicht mehr so große jüdische Gemeinden wie vor dem Zweiten Weltkrieg beziehungsweise vor dem NS-Regime. Damals hatte man viele Juden in der Nachbarschaft und musste sich überlegen, wie man als Christ mit ihnen umgeht und wie man ihnen begegnet. Heute machen wir uns viel mehr Gedanken darüber, wie wir Moslems missionieren, als wie wir Juden evangelisieren. Das ist etwas, was viel mehr in unserem Umfeld präsent ist.
Trotzdem ist es natürlich ein wichtiges Thema, weil Israel das alttestamentliche Volk Gottes ist. Wie geht es damit weiter? Hat Israel überhaupt eine Zukunft? Das ist ein sehr, sehr umstrittenes Thema unter Christen. Viele Christen sagen: Nein, alles, was im Neuen Testament über Israel steht, ist geistlich und symbolisch gemeint und muss auf die Gemeinde übertragen werden. Israel als nationales Volk hat überhaupt keine Zukunft.
Wie sieht es persönlich aus? Wenn ich an meine Jugend denke, war das, was mit Israel passiert ist, für mich ein ganz wesentlicher Punkt meiner Naherwartung. Kurz vor meiner Lebenszeit, also in unserer Generation, hat Gott offensichtlich viele Juden aus diesem Volk wieder in ihr altes Land gebracht. Für mich war das ganz klar: Jetzt fängt Gott wieder an, mit Israel zu handeln. Jetzt leben wir in der Endzeit. Jetzt kommt der Herr bald wieder. Jetzt nimmt er seine Gemeinde bald weg in den Himmel, weil er mit Israel schon wieder angefangen hat, in so einem Land. Und jetzt geht es richtig los.
Ich erinnere mich noch gut: Ich glaube, es war 1974, da war ich auf einem großen Jugendkongress in Brüssel. Das war wirklich relativ groß, mit etwa acht- bis neuntausend Jugendlichen aus ganz Europa, verschiedenen Delegationen, Übersetzungen und so weiter. Dort waren Größen wie Billy Graham und Festo Kivengere aus Uganda und viele andere, die im evangelikalen Raum damals Rang und Namen hatten.
Es gab eine Fragestunde, bei der man Fragen abgeben konnte. In den 70er Jahren war der Nahostkonflikt ein spannendes Thema. Damals ging es noch nicht so sehr um die Palästinenser, sondern die Nahostkriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn wie Syrien und Ägypten waren sehr aktuell. Der Sechstagekrieg und andere Konflikte standen im Fokus.
Als Gäste auf diesem Europäischen Christlichen Jugendkongress war auch eine Delegation junger Christen aus Ägypten dabei. Sie hatten wirklich Stress mit Israel. Für sie war es eine Frage, wie sie sich Israel gegenüberstellen sollten als Araber. Müssen wir in diesem Konflikt sagen, Israel hat Recht und unsere Nation hat Unrecht? Wie sollen wir uns diesem Land gegenüber verhalten, wenn unsere Familien in diesem Konflikt verwickelt sind?
Ich weiß noch genau, dass vorne John Stott stand, ein relativ bekannter evangelikaler Theologe. Er sagte, dass das, was in Israel heute in unserer Generation passiert, nichts mit den biblischen Prophezeiungen zu tun hat. Das war seine Antwort. Ich dachte: Ups, interessante Antwort. Ich sah das ganz anders.
Und das ist natürlich ein Thema: Wie ist das? Wie sollte unsere Haltung zu Israel sein? Hat das, was in Israel vor 40, 50 oder 60 Jahren passiert ist, etwas mit den biblischen Prophezeiungen zu tun? Ist es die Erfüllung dessen, was Gott verheißen hat? Ist es der Anfang der Endzeit oder was ist es? Das sind die Fragen, die heute dahinterstehen.
Damals, als Paulus den Brief schrieb, waren die Fragen natürlich etwas anders, aber sie gehen zum Teil in eine ähnliche Richtung: Wie stellen wir uns diesem Volk gegenüber? Und wie steht Gott zu diesem Volk?
Theologische Grundlagen und persönliche Erfahrungen mit Israel
Im Römerbrief, insbesondere in den ersten acht Kapiteln, haben wir die Theologie der Rettung sowie die praktische Errettung für Christen im Alltag betrachtet. In den Kapiteln neun bis elf geht es vor allem um das Volk Israel. Dabei haben wir es nicht immer ganz genau bemerkt, weil es häufig um Fragen ging wie: Wie muss man sich bekehren? Wie können Juden sich bekehren? Warum bekehren sich die Juden eigentlich nicht, obwohl sie so viel Vorwissen haben?
Es ließen sich viele evangelistische Themen besprechen, doch heute, in Kapitel elf, sind wir an einem Punkt, an dem wir wirklich über Israel sprechen müssen. Der gesamte Abschnitt von Kapitel neun bis zum Ende, besonders der Anfang von Kapitel zehn, behandelt diese Thematik. Paulus sagt dort: Ich liebe dieses Volk wirklich. Viele sind eifrig, auch zur damaligen Zeit. Sie sind wirklich eifrig auf der Suche nach Gott und danach, die Gerechtigkeit zu finden, die in den Augen Gottes zählt.
Doch sie sind nicht bereit, sich Gottes Gerechtigkeit zu unterwerfen. Sie wollen ihre eigene Gerechtigkeit aufrichten – entweder nach den Regeln des Alten Testaments oder nach selbstgemachten Maßstäben. Diese eigene Gerechtigkeit wollen sie haben, doch sie sind nicht bereit, sich der Gerechtigkeit zu fügen, die Gott gezeigt hat und eigentlich schenken will. Das ist ihnen zu demütigend. Das wollen sie nicht.
Letztlich können sie diese Rettung nicht von Gott einfordern. Das war das große Thema in Kapitel neun: Sie können nicht nach ihren eigenen Regeln, Maßstäben oder Bedingungen gerettet werden. Gott hat einen Weg der Rettung gezeigt, und dieser zählt. Er ist der einzige Weg.
In Kapitel zehn liegt der Schwerpunkt auf der Frage: Ist es denn eigentlich zu schwer? Warum bekehren sich so wenige Juden? Wissen sie es nicht? Doch, sie wissen es. Sogar die Heiden haben es verstanden. Es ist nicht schwer zu verstehen. Ist es schwer, diese Rettung anzunehmen? Nein, eigentlich ist es ganz einfach, wie wir gelesen haben.
In Kapitel elf geht es um die Verheißungen des Alten Testaments und die Zukunft Israels. Paulus betont sehr stark – und das ist vielleicht einer der wesentlichen Punkte, die wir aus diesen drei Kapiteln mitnehmen sollten –, dass er pro Israel ist.
Im Anfang von Kapitel neun sagt er: „Ich sage die Wahrheit in Christus, ich lüge nicht, indem mein Gewissen mit mir Zeugnis gibt im Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit habe und unaufhörlichen Schmerz in meinem Herzen. Denn ich selbst habe gewünscht, durch einen Fluch von Christus entfernt zu sein für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch, die Israeliten sind.“
Paulus hat wirklich gelitten, dass so viele von seinem Volk, so viele seiner nahen und fernen Verwandtschaft, diese Heilung nicht ergreifen.
Am Anfang von Kapitel zehn heißt es: „Brüder, das Wohlgefallen meines Herzens und mein Flehen für sie zu Gott ist, dass sie errettet werden. Denn ich gebe ihnen Zeugnis, dass sie Eifer für Gott haben.“
In Kapitel elf lesen wir ebenfalls, mitten heraus, Vers 13: „Euch aber, den Nationen, sage ich: Insofern ich nun der Apostel der Nationen bin, ehre ich meinen Dienst, ob ich auf irgendeine Weise sie, die mein Fleisch sind, zur Eifersucht reizen und einige von ihnen erretten möge.“
Paulus ist also wirklich nicht gegen Israel, ganz im Gegenteil. Er sagt: Ich bin Jude, ich komme daher, mein Herz schlägt für dieses Volk. Nicht nur, weil es mein Volk ist, sondern weil es so viel hat, so einen Reichtum, weil es so unglaubliche Wurzeln mit Gott im Alten Testament hat, weil sie so viel Eifer haben.
Und es tut ihm so weh, dass dieser Eifer oft blind ist.
Die Verwerfung Israels und Gottes Gnade
Okay, was sind die Themen in Kapitel elf? Die Themen sind zum einen: Gott hat die Nationen angenommen und damit Israel ein Stück weit verworfen, zur Seite gestellt. Er handelt gerade nicht mit Israel.
Kapitel elf, Verse eins bis zehn, behandelt die Frage, ob die Verwerfung Israels vollständig ist. Ab Vers elf bis zum Ende des Kapitels geht es um die endgültige Verwerfung Israels. Kommt Gott irgendwann als Nation zu Israel zurück? Oder geht es jetzt mit der Gemeinde weiter? Jeder Israelit, der gerettet werden will und eine ewige Zukunft hat, hat nur eine Chance: einfach so zu werden wie die Heiden und sich zu bekehren.
Ich lese mal Vers eins bis sechs:
Ich sage nun: Hat Gott etwa sein Volk verstoßen? Das sei fern! Denn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams, vom Stamm Benjamin. Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erkannt hat. Oder wisst ihr nicht, was die Schrift in der Geschichte Elias sagt, wie er vor Gott auftritt gegen Israel? „Herr, sie haben deine Propheten getötet, deine Altäre niedergerissen, und ich allein bin übrig geblieben, und sie trachten mir nach dem Leben.“
Aber was sagt ihm die göttliche Antwort? „Ich habe mir übrig bleiben lassen siebentausend Mann, die ihre Knie nicht vor dem Baal gebeugt haben.“ So besteht nun auch in der jetzigen Zeit ein Überrest nach Auswahl der Gnade. Wenn er aber durch Gnade, so nicht mehr aus Werken, sonst ist die Gnade nicht mehr Gnade.
Also, was sagt er? Die Frage ist: Sind die Israeliten so verbohrt? Sie haben Gottes Sohn getötet, sie haben den Messias getötet, auf den sie angeblich seit Generationen gewartet haben. Hat Gott jetzt gesagt: Mit diesem Volk, mit Leuten aus diesem Volk will ich nichts mehr zu tun haben? Irgendwann hat mir irgendein Jude etwas getan, mit Juden bin ich fertig. Irgendwann als Junge hat mich ein Türke verprügelt, mit Türken bin ich fertig. Ist Gott so? Hat er gesagt: Mit Israel bin ich fertig. Die haben meinen Sohn umgebracht. Wer aus diesem Volk kommt, Schluss.
Paulus sagt: Nein, offensichtlich nicht. Ich meine, ich bin Jude und bin gerettet worden. Es gab damals ganze Gemeinden, die quasi fast vollständig aus ehemaligen Juden bestanden. Gottes Liebe ist nicht in Hass umgeschlagen. Das ist ja oft so: Du liebst jemanden, und dann tut er dir richtig weh. Gerade weil du ihn so geliebt hast, gerade weil du so viel investiert hast, schlägt deine Liebe in Hass um. Umso mehr bist du gegen ihn.
Das ist bei Gott nicht so. Paulus sagt: So wie damals zur Zeit von Elias Gott gesagt hat, ich habe mir siebentausend übriggelassen, so hat Gott heute Menschen aus den Juden übriggelassen, denen er nachgegangen ist, die er gerettet hat. Er hat nicht gesagt: Mit Leuten aus diesem Volk will ich nichts mehr zu tun haben.
Aber Vers 5: So besteht nun auch in der jetzigen Zeit ein Überrest nach Auswahl der Gnade. Wenn er aber durch Gnade, so nicht mehr aus Werken, sonst ist die Gnade nicht mehr Gnade.
Was nun? Was Israel sucht, das hat es nicht erlangt. Es ist interessant, wir hatten schon mal so etwas Ähnliches in Kapitel 9, Vers 30: „Was sollen wir nun sagen? Dass die von den Nationen, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, Gerechtigkeit erlangt haben, eine Gerechtigkeit aber, die aus Glauben ist; Israel aber, einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebend, nicht zu diesem Gesetz gelangt ist?“
Das, was sie suchten, haben sie nicht bekommen. Das haben sie gesucht. Sie haben den Messias gesucht, sie haben die Erfüllung der Verheißung gesucht, sie haben eine Gerechtigkeit gesucht, die vor Gott gilt, und sie haben das alles im Gesetz gesucht. Sie haben das alles in ihren Werken gesucht. Paulus sagt: Sie haben es nicht erlangt.
In Kapitel 9 hat er gesagt, fast Vers 30: Es hat jemand erlangt, der es nicht gesucht hat, die Nationen. Sie haben all das gekriegt, was Israel eigentlich gesucht hat auf seinem Weg. Es haben die Nationen gekriegt auf einem anderen Weg.
Und hier sagt er: Was Israel gesucht hat, haben sie nicht erlangt. Aber ein Überrest von den Israeliten hat es erlangt. Petrus hat mal gesagt, nachdem Cornelius sich bekehrt hat, wir hoffen, auf die gleiche Weise gerettet zu werden wie diese Heiden. Paulus sagt: Es ist passiert.
Gott hat keinen Hass auf dieses Volk, aber Gott hat einen Weg gegeben, wie man gerettet werden muss. Und das gilt für Juden ganz genauso, hundert Prozent genauso wie für Heiden.
Vers 7 und am Ende von Vers 8:
Die übrigen aber sind verstockt worden, wie geschrieben steht. Gott hat ihnen einen Geist der Betäubung oder einen Geist der Schlafsucht gegeben, Augen, die nicht sehen, und Ohren, dass sie nicht hören, bis auf den heutigen Tag. Und David sagt: Ihr Tisch werde ihnen zur Schlinge und zum Fangnetz und zum Anstoß und zur Vergeltung. Verfinstert seien ihre Augen, dass sie nicht sehen, wie ein Rücken gebeugt, alle Zeit.
Die übrigen aber sind verstockt worden. Wir haben es gelesen in Kapitel neun: Gott verstockt, wen er will. Und zwar offensichtlich nicht nur, wie in Kapitel neun Pharao, sondern, wie er auch in Kapitel neun schon angedeutet hat, auch immer wieder dieses Volk Israel.
Darf er das? Darf Gott einfach Menschen verstocken? Ja, offensichtlich darf er das. Ich möchte mit euch kurz die Zitate anschauen, die Paulus hier anführt.
Biblische Begründungen für die Verstockung Israels
Dieses erste Zitat, Vers 8, lautet wie geschrieben: „Gott hat ihnen einen Geist der Betäubung gegeben, Augen, dass sie nichts sehen, und Ohren, dass sie nicht hören bis auf den heutigen Tag.“ Es ist eigentlich eine Mischung aus zwei alttestamentlichen Zitaten. Genauer gesagt, handelt es sich um einen ursprünglichen Vers im Alten Testament, der an einer anderen Stelle im Buch Jesaja noch einmal zitiert wird.
Vielleicht schauen wir uns zuerst den ursprünglichen Vers an, 5. Mose 29. Paulus bewegt sich in den Kapiteln 9 bis 11 seines Briefes sehr viel in den Kapiteln 5. Mose 29 und 30. Diese Kapitel bilden sozusagen den Abschluss der fünf Bücher Mose, die für Juden die Tora darstellen – den Kern des Alten Testaments. Die anderen Teile des Alten Testaments, wie die Psalmen, die Geschichtsbücher und die Propheten, kommen zusätzlich dazu. Aber die fünf Bücher Mose, das Gesetz Gottes, sind der Kern.
In 5. Mose 29 und 30 wird vieles zusammengefasst: Israel wird der Segen und der Fluch vorgelegt. Paulus zitiert sehr häufig daraus und kehrt immer wieder auf diese zwei Kapitel zurück. Daher ist es spannend, mal in 5. Mose 29, Vers 3 reinzuschauen. Dort steht der Ursprung dessen, was Paulus hier zitiert. Es heißt: „Aber der Herr hat euch nicht dein Herz gegeben zu erkennen und Augen zu sehen und Ohren zu hören bis auf diesen Tag.“ Das klingt noch halbwegs nett.
Gott hat Dinge getan, Gott hat geredet, und dann sagt Mose: „Bis auf diesen Tag hat Gott euch nicht Augen gegeben, das wirklich zu sehen, und Ohren, das zu hören.“ Das klingt noch irgendwie passiv. Er hat die Augen einfach noch nicht geöffnet. Das heißt eigentlich noch, dass Gott gar nichts tut. Sie brauchen vermutlich, dass Gott ihnen die Augen öffnet, und Gott tut nichts. Gott ist an dieser Stelle passiv.
Wenn wir nun den Vers nehmen, aus dem Paulus zitiert hat, sehen wir, dass er ein paar Formulierungen aus 5. Mose 29 eingebaut hat, aber auch aus Jesaja 29, Vers 10. Dort steht: „Denn der Herr hat einen Geist tiefen Schlafes über euch ausgegossen und hat eure Augen geschlossen, die Propheten, und eure Häupter, die Seher, hat er verhüllt. Und jedes Gesicht, jede Vision ist euch geworden wie die Worte einer versiegelten Schrift, die man einem gibt, der lesen kann, indem man sagt: 'Lies das doch!' Er aber sagt: 'Ich kann nicht, denn es ist versiegelt.' Man gibt die Schrift einem, der nicht lesen kann, indem man sagt: 'Lies das doch!' Und er sagt: 'Ich kann nicht lesen.'“
Hier ist es viel aktiver. Auch wie Paulus es zitiert, ist es viel aktiver. Im 5. Mose sagt Mose: Gott hat eure Augen noch nicht geöffnet. Jesaja hingegen sagt, Gott hat eure Augen verschlossen. Das ist schon eine andere Dimension des Handelns. Ob ich jemandem die Augen nicht öffne oder ob ich sie ihm aktiv verschließe, macht einen großen Unterschied.
Warum macht Gott das? Ich habe vorhin provokativ gefragt: Darf Gott das? Paulus stellt dieselbe Frage in Römer 9 und antwortet: Natürlich darf Gott das. Gott ist Gott. Aber die eigentliche Frage ist: Warum macht Gott es? Wenn er es darf, muss er es ja nicht tun.
Warum verschließt Gott aktiv die Augen der Israeliten, damit sie sein Handeln und seine Botschaft nicht erkennen und nicht verstehen? In Vers 13 heißt es: „Und der Herr hat gesprochen, weil dieses Volk sich mit seinem Mund naht und mich mit seinen Lippen ehrt, aber ihr Herz fern von mir hält, und ihre Furcht vor mir ist ein angelerntes Menschengebot.“ Das ist die Begründung.
Was ist das Problem? Immer wenn Israel ein größeres Problem hatte, haben sie sich bekehrt. Immer wenn es ihnen wieder gut ging, haben sie sich wieder abgewandt. Es war eine oberflächliche Bekehrung, immer wieder. Schon durch die Wüste, im Land, in der Zeit der Richter – ihr könnt es ja mal nachlesen. Immer wenn der Stress kam, haben sie sich zu Gott bekehrt. Und immer wenn der Stress nachließ, zeigte sich, dass diese Bekehrung nicht viel wert war. Sie ging nicht sehr tief, sie blieb beim Mund.
Irgendwann hat Gott im Alten Testament gesagt: Was soll ich machen? Meine Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Wenn sie sich jetzt bekehren und sagen: „Herr, wir kommen zurück zu dir“, und alle Leute drumherum – ich sage mal die Ungläubigen – das sehen, und ich reagiere nicht, wie sieht das aus? Es sieht bescheuert aus, mal ganz menschlich gesagt. Es sieht so aus, als würden sie zu mir rufen und schreien, und ich sage einfach: „Interessiert mich nicht, ich helfe ihnen nicht.“ Das ist doof.
Es wird gesagt, das Einzige, was ich machen kann, ist, sie von vornherein an diesen oberflächlichen Bekehrungen zu hindern. Das heißt, ich mache ihre Augen zu, damit sie meine Reden nicht verstehen. Ich hindere sie daran, diesen Schritt überhaupt zu gehen, sich so oberflächlich zu bekehren. Ich bringe sie dazu, sich gar nicht mehr zu bekehren, wenn sie sich schon nicht richtig bekehren wollen.
Das hat Gott letztlich auch in der Zeit vor der Wegführung nach Babylon gemacht. Er hat gesagt: So handle ich mit diesem Volk. Sie müssen richtig gegen die Wand laufen, bis sie es mal wirklich kapieren und es ein bisschen tiefer geht. Und es hat auch wirklich diese Wegführung nach Babylon sehr viel bewirkt.
Das Gleiche sagt das Neue Testament. Jesus zitiert diese Stellen auch, Paulus zitiert sie ebenfalls. Das Gleiche hat Gott letztlich auch gemacht, als sein Messias, als Jesus auf dieser Erde war. Er hat die Leute daran gehindert, sich oberflächlich zu bekehren. Er hat geschaut, wie tief es geht. Und ich sage es jetzt wieder menschlich: Dann hat er gesehen, wie wenig tief es geht. Er hat gesagt: Dann sollen sie ihn auch nicht oberflächlich als Messias annehmen. Sie sollen ihn nicht als König dauerhaft hochheben aufs Schild, sondern dann will ich wirklich ihre Herzen verschließen, ihre Augen verschließen.
Ich will, dass sie Jesus ganz annehmen oder gar nicht. Und das ist es, wovon Paulus, glaube ich, hier spricht, indem er diese Zitate aus dem Alten Testament bringt. Er sagt: Das ist es, was mit Israel passiert ist. Ihre Herzen sind verschlossen worden, ihre Augen sind verschlossen worden.
Wie würde es hier gelesen? Wie geschrieben steht: Gott hat ihnen einen Geist der Betäubung, einen Geist des Schlafes gegeben, Augen, die nichts sehen, und Ohren, dass sie nicht hören bis auf den heutigen Tag. Gott hat es sehr bewusst gemacht.
Die Folgen der Ablehnung des Messias
Ein weiterer Punkt, der im nächsten Zitat vorkommt, ist letzten Endes auch etwas Heftiges, zu dem sie sich entschieden haben. Psalm 69 können wir dazu noch einmal kurz aufschlagen. Dieser Psalm verweist in weiten Passagen auf die Leiden Jesu und seine Hinrichtung. Genau das tut Paulus hier ebenfalls. Er spielt letztlich auf die Hinrichtung Jesu an und darauf, was es bedeutet, dass sie Jesus als Messias abgelehnt haben.
In Vers 22 heißt es: „Und sie gaben in meiner Speise Galle, in meinem Durst gaben sie mir Essig zu trinken.“ Das kommt uns bekannt vor. In Vers 23 zitiert Paulus weiter: „Ihr Tisch werde ihnen zur Schlinge und ihnen den Sorglosen zum Fallstrick.“
Paulus sagt: Das, was mit Israel passiert, hat etwas damit zu tun, dass sie den Messias Gottes abgelehnt haben. Gott lässt nicht zu, dass so mit seinem Sohn und seinem Volk umgegangen wird. Letzten Endes hat Gott die Herzen dieser Nation als Ganzes verstockt – zumindest bis zum Jahr siebzig nach Christus. Zu diesem Zeitpunkt führten die Römer das Volk weg und zerstörten die Stadt.
Einerseits wollte Jesus das Volk als Ganzes nicht, andererseits hat Gott sie auch verstockt, damit sie nicht nur oberflächlich umkehren, sondern bis das Gericht wirklich massiv war. Dieses Gericht endete nicht im Jahr siebzig nach Christus. Die Judenverfolgung, die wir in Deutschland kennen, setzte sich über die Jahrhunderte fort. Gott hat all das zugelassen, damit dieses Volk wirklich richtig umkehrt.
Heute ist das eine spannende Frage. Es wird viel über messianische Juden gesprochen – Juden, die Jesus irgendwie als Messias anerkennen. Das kann jedoch ganz unterschiedlich aussehen. Man kann Jesus als Messias anerkennen und sagen, es war damals ein Fehler, ihn hinzurichten. Man kann ihn als den Messias Gottes sehen, aber nicht viel mehr.
Ich denke, das war eines der Grundprobleme der Menschen, an die der Hebräerbrief gerichtet war. Viele von ihnen hatten Jesus als Messias anerkannt und sich deshalb den Christen angeschlossen. Doch aus dem, was der Schreiber schreibt, erkennt man, dass sie nicht verstanden haben, was das Opfer Jesu bedeutet.
Die Hinrichtung des Messias als Fehler zu sehen, ist das eine. Aber zu begreifen, dass ich das Opfer des Messias für meine Sünden brauche, ist etwas ganz anderes. Genau das war damals das Problem: Vielleicht waren Menschen bereit, Jesus als Gesandten Gottes oder sogar als Messias zu akzeptieren, doch sie waren weit davon entfernt, das Opfer Jesu anzunehmen.
Für Juden ist das aber der einzige Weg zur Errettung, und dahin wollte Gott sie führen.
Die Frage der ersten zehn Verse war: Gott hat sie gerichtet und verstockt. Das Jahr siebzig nach Christus lag noch in der Zukunft, und das Thema würde noch massiver werden. Bedeutet das, dass Gott etwas gegen dieses Volk hat oder es ganz ablehnt? Lehnt er alle ab, die aus diesem Volk stammen?
Nein, sagt Paulus. Gott liebt dieses Volk. Auch in dieser Zeit gibt es viele, die gerettet sind. Aber nicht aufgrund ihrer Werke, nicht aufgrund ihrer Abstammung und nicht aufgrund des Gesetzes, sondern wie jeden Heiden auch durch Gnade mittels des Glaubens.
Die Zukunft Israels und die Rolle der Heiden
Und die zweite Frage lautet nun: Ist die Verwerfung dieses Volkes als Ganzes endgültig, und werden nur einzelne gerettet – genauso wie einige Heiden gerettet werden? Ist das der endgültige Weg Gottes? Ist dieses Volk endgültig abgeschafft, sozusagen in seiner Funktion als Volk Gottes? Wie sieht die Zukunft aus?
Schließlich lesen wir in den Versen 11 bis 15: „Ich sage nun: Sind sie etwa gescheitert, damit sie fallen sollten? Das sei ferne! Sondern durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden, um sie zur Eifersucht zu reizen, also die Juden. Wenn aber ihr Fall der Reichtum der Welt ist und ihr Verlust der Reichtum der Nationen, wie viel mehr ihre Vollzahl? Euch aber, den Nationen, sage ich: Insofern ich nun der Apostel der Nationen bin, ehre ich meinen Dienst, ob ich auf irgendeine Weise sie, die Meinen, zur Eifersucht reizen und einige von ihnen retten möge. Denn wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was ist ihre Annahme anderes als Leben aus den Toten?“
Gott hatte zwei Ziele, als er Israel verworfen oder zur Seite gesetzt hat. Das erste Ziel war, dass der Weg dadurch offen wurde, sich den Heiden zuzuwenden. Die Botschaft konnte nun an alle Völker gehen, nicht mehr nur an dieses eine.
Das Ziel Gottes – und es ist bemerkenswert, wie das hier in den Versen 11, 12 und dann 13 bis 15 wiederholt wird – war, möglichst viele aus den Nationen zu retten. Auch das Ziel von Paulus war dieses. Er sagt: „Ich bin der Apostel der Nationen.“ Paulus’ Ziel war es ebenfalls, möglichst viele aus den Nationen zu retten.
Aber das zweite Ziel, das Paulus nennt, hatte Gott noch im Hinterkopf – vielleicht ein Nebengedanke für uns, aber für Gott nicht. Er hat gesagt: Wenn Heiden sich retten lassen und plötzlich eine enge Beziehung zu Gott haben, mit Heilsgewissheit und dem Ziel, in den Himmel zu kommen, dann könnte das die Israeliten eifersüchtig machen. Vielleicht fragen sie dann auch, wie sie dieses Heil bekommen können.
Paulus sagt: Wenn Gott dieses Ziel hat, dann habe ich dieses Ziel auch. Ich rede zu den Heiden und möchte, dass möglichst viele sich bekehren, damit vielleicht Leute aus meinem Volk eifersüchtig werden und dieses Heil auch haben wollen.
Dann weist Paulus auf die Auswirkungen hin, die die Verwerfung Israels hatte. Dass das Evangelium jetzt frei und ungehindert von alten Regeln und Versprechen zu allen Nationen kommen kann, ist gewaltig! Paulus sagt: Schaut mal, Israel hat durch seinen Schaden einen Segen für die ganze Welt gebracht!
Aber jetzt stellt euch mal vor, wenn Israel sich bekehren und dieses ganze Volk zu Gott umkehren würde! Paulus gibt hier einen Nebengedanken: Was hätte das für Auswirkungen?
Man muss sich das nur einen Moment vorstellen: Eine Nation, ein Land auf dieser Erde, in dem wirklich Gott regiert. Ein ganzes Land, in dem alle Menschen gläubig sind. Ein politisches System, das nach diesen Maßstäben funktioniert.
Paulus sagt: Stellt euch vor, was das für Auswirkungen haben könnte! Wenn schon ihre Verwerfung viele Heiden zum Glauben gebracht hat, was würde dann passieren, wenn dieses ganze Volk mit Gott leben würde? Was könnte das für Auswirkungen auf diese Welt haben? Sozusagen im zweiten Schritt.
Warnung vor Hochmut und die Einheit im Handeln Gottes
Vers 16: Wenn aber der Erstling heilig ist, so ist auch die Masse heilig. Wenn die Wurzel heilig ist, so sind auch die Zweige heilig.
Wenn aber einige der Zweige ausgebrochen wurden und du, der du ein wilder Ölbaum warst, eingepfropft wurdest und an der Wurzel und der Fettigkeit des Ölbaums teilhast, rühme dich nicht gegen die Zweige. Wenn du dich aber gegen sie rühmst, trägst du nicht die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.
Paulus wendet sich hier nicht mehr an die Juden, sondern ganz speziell an die Menschen, die aus den Heiden gläubig geworden sind. Er sagt: Passt mal auf! Vielleicht besteht die Gefahr, dass ihr arrogant gegenüber den Juden werdet. Diese Juden haben so viel mit Gott erlebt. Sie hatten das Alte Testament, die Propheten. In ihrem Land hat der Messias gelebt. Und trotzdem lehnen sie den Messias ab. Das ist doch unfassbar.
In der Geschichte wurden Juden immer wieder mit genau diesem Argument verfolgt. Hier in Europa wurden Juden mit dem Argument verfolgt: Wir haben das Recht, sie auszugrenzen, wir haben das Recht, sie umzubringen, weil sie den Christus getötet haben. So hätten Christen das natürlich nicht gesagt, aber Paulus spürt, dass bei den Heidenchristen durchaus ein Stück Arroganz aufkommen kann. „Bei uns?“ – so könnten sie denken.
Damals war das natürlich noch viel mehr der Fall, weil Juden und Heiden viel mehr miteinander zu tun hatten in den Gemeinden, an die Paulus schrieb. Er sagt: Passt auf, wir sollten als Christen eine gewisse Sympathie für dieses Volk haben. Wir sollten israelfreundlich sein, sagt Paulus. Denn geistlich gesehen kommen wir von dort. Unsere „Religion“ ist eine historische Religion.
Abraham hat uns beigebracht, was Glauben bedeutet. Abraham ist der Stammvater Israels. Ohne Israel, ohne das Handeln Gottes mit Israel durch die Geschichte hindurch, wüssten wir so gut wie nichts von Gott. Der Messias war Jude. Wir dürfen nicht vergessen, was unsere geistliche Wurzel ist. Wir dürfen nicht vergessen, was wir diesem Volk verdanken.
Paulus sagt hier: Wir sollten Sympathie für dieses Volk haben, durch das Gott sich uns überhaupt gezeigt hat.
Warnung vor Hochmut und die Möglichkeit der Wiedereingliederung
Na ja, sagen die Heiden in Vers 19, Polly sagt, du wirst nun sagen: Die Zweige sind ausgebrochen worden, damit ich eingepfropft werde. Okay, recht, sie sind ausgebrochen worden durch den Unglauben. Du bestehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich.
Denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht verschont hat, wird er auch dich etwa nicht verschonen? Siehst du nun die Güte und die Strenge Gottes? Gegen die, die gefallen sind, ist es Strenge, gegen dich aber Güte Gottes – wenn du an der Güte bleibst. Sonst wirst auch du ausgeschnitten werden.
Auch jene aber, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden. Denn Gott vermag sie wiederum einzupfropfen. Wenn du aus dem von Natur wilden Ölbaum ausgeschnitten und gegen die Natur in den edlen Ölbaum eingepfropft worden bist, wie viel mehr werden dann diese, die natürlichen Zweige, in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft werden?
Ja, Paulus, du sprichst von der Vergangenheit. Natürlich wissen wir, dass wir Wurzeln in der Vergangenheit haben, dass es damals tolle Glaubenshelden gab, dass damals Mose das Gesetz bekommen hat. Aber wie sieht es denn heute aus?
Israel – die israelitischen Familien, die israelitischen Stämme – sind aus diesem Baum des Handelns Gottes herausgebrochen worden. Und wir Heiden in Antiochia, wir Heiden in Rom, wir Heiden in Korinth, wir sind eingepfropft worden. Das ist doch etwas!
Paulus sagt: Ja, es ist etwas. Aber warum ist es so? Was wir hier verstehen müssen in diesem Bild, das Paulus verwendet: Er spricht hier von diesem Baum, von diesem Baum des Handelns Gottes, dieses organischen Handelns Gottes durch die Geschichte.
Wir sind es gewohnt, die Geschichte in Scheiben zu zerlegen – verschiedene Heilszeiten, egal wie viele du haben willst, zwei, drei, sieben, egal. Also verschiedene Heilszeiten des Handelns Gottes, in denen Gott nach ganz bestimmten Prinzipien handelt. Und das ist richtig.
Aber Paulus verwendet hier ein anderes Bild. Er sagt: Trotzdem ist das Handeln Gottes durch die Geschichte wie ein Strom. Und er sagt hier: „Wie ein Baum, es ist organisch.“ Insgesamt geht das Handeln Gottes immer weiter. Ob er gerade mit Israel handelt oder gerade mit den Nationen, irgendwie ist es eine Einheit, die wächst – auch wenn es Brüche gibt.
Brüche sieht man daran, dass etwas herausgebrochen und etwas eingepfropft wird. Was wird herausgebrochen? Herausgebrochen sind in dieser Zeit, nachdem sie den Messias abgelehnt hatten, die Stämme Israels. Zum Teil natürlich schon viel früher, denn zu der Zeit gab es ja nur noch ganz wenige Stämme – eigentlich mehr oder weniger Juda, ein paar Leviten, Benjamin. Viel mehr gab es nicht. Einzelne Leute kamen aus den anderen Stämmen.
Im Großen und Ganzen waren schon viele Stämme herausgebrochen worden, als das Nordreich Israels nach Assyrien weggeführt wurde. Aber sagen wir, spätestens hier wurden die einzelnen Familien, die einzelnen Stämme Israels sozusagen aus diesem Heilshandeln Gottes ein Stück herausgebrochen.
Was wurde eingepfropft? Das ist ganz wichtig, um diesen Text zu verstehen, jetzt für uns, um da keine Missverständnisse zu haben. Was Paulus hier spricht, entspricht den Stämmen des Alten Testaments, den Familienästen des Alten Testaments. Er spricht wieder von Familien und Stämmen.
Wir können uns das vielleicht so vorstellen: Jemand kommt zum Glauben, durch ihn kommen andere zum Glauben, und durch diese wieder aus der Verwandtschaft, aus der Freundschaft. Es ist wie ein großer Ast, und dadurch entstehen manchmal ganze Gemeinden, manchmal auch aus Meeren solche Äste. Manchmal entstehen ganze Gemeindebewegungen, manchmal entstehen ganz dicke Äste, so wie irgendwelche Kirchen, Freikirchen, die eine Geschichte haben und die irgendwie ein Ast sind. Dann ist das ein Baum des Handelns Gottes.
Warum sind die Israeliten herausgebrochen worden und Gott hat aufgehört, mit ihnen zu handeln? Wegen des Unglaubens. Warum sind diese neuen Äste entstanden und organisch mit diesem Handeln Gottes, mit diesem Baum Gottes verbunden? Wie ich glaube.
Paulus sagt: Ihr habt keinen Grund, arrogant zu sein. Ich meine, ihr seid begnadigt worden und habt es nur geglaubt. Und es kann ganz leicht passieren, dass euer Ast, auf dem ihr sitzt, zu dem ihr gehört, irgendwann herausgebrochen wird.
Schaut mal: Wenn hier in dieser Gemeinde in Offenbach-Bibel in der zweiten, dritten, vierten Generation einfach nur noch das Programm läuft und eigentlich kein Glaube mehr da ist, dann kann es sein, dass Gott diesen kleinen Ast aus seinem Handeln herausbricht, sagt Paulus.
Was hat er hier gesagt? Es kann sein, dass du herausgebrochen wirst. Vers 22: Sieh nun die Güte und die Strenge Gottes! Gegen die, die gefallen sind, Strenge, gegen dich aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst. Sonst wirst auch du ausgeschnitten werden.
Hier geht es nicht darum, dass du ganz persönlich ausgeschnitten wirst, sondern um diese neuen Äste, um ein bisschen größere Einheiten. Vielleicht wird irgendwann so ein dicker Ast wie die FWG oder die Baptisten oder keine Ahnung wer, wenn dort gar kein Glaube mehr ist, auch wenn sie eine tolle Geschichte haben, herausgebrochen aus dem Baum Gottes.
Paulus sagt: Wer drinbleibt in diesem Baum des Handelns Gottes, das sind die Gruppen, das sind die Bewegungen, in denen Glauben da ist. Und als in Israel kein Glaube gefunden wurde in den Augen Gottes, hat er es weggebrochen für diese Zeit.
Und genau das kann euch aus den heutigen Christen auch passieren. Seid nicht arrogant! Ihr seid in dem Baum durch Gnade, ihr seid an dem Baum durch Güte Gottes, und ihr seid an dem Baum des Handelns Gottes durch die Geschichte, weil ihr noch glaubt.
Darauf müsst ihr euch nichts einbilden. Schaut, dass ihr den Glauben bewahrt, sonst kann alles, was durch euch entstanden ist, all das, woran ihr mitgearbeitet habt, all das, womit ihr euch identifiziert, ganz schnell weg sein vom Handeln Gottes.
Die zukünftige Errettung Israels
Aber wisst ihr, sagt Paulus, was noch passieren könnte? Die alten Äste, die ursprünglich mal zu diesem Baum gehörten – also diese Stämme und Familien – könnten wieder eingepfropft werden (Vers 25). Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet.
Was ist das Geheimnis? Dass Verhärtung Israel zum Teil widerfahren ist. Es gab ja Ausnahmen, wie wir gesehen haben. Diese Verhärtung dauert bis zu einem Ziel, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen ist – also bis sich wirklich alle aus den Nationen bekehrt haben, die sich bekehren werden. Danach wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: Aus Zion wird der Erretter kommen, er wird die Gottlosigkeit von Jakob abwenden, und dies ist für sie der Bund von mir, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.
Hinsichtlich dieses Evangeliums sind sie zwar Feinde um eurer Zwingen willen. Man sieht es in der Apostelgeschichte immer wieder: Die Juden waren die Feinde. Heute sehen wir das weniger, aber damals waren die Juden diejenigen, die die Verkündigung des Evangeliums an die Nationen verhindern wollten.
Hinsichtlich des Evangeliums sind sie momentan zwar Feinde um eurer Zwillen willen, hinsichtlich der Auswahl aber Geliebte. Gott liebt sie noch immer, weil er einmal gesagt hat: Ich habe mich mit diesem Volk verbunden um der Väter willen. Denn die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unberäubar.
Hier sagt Gott, dass er wieder mit Israel handeln wird. Die Frage ist, was die Voraussetzung dafür ist. Das ist eine ganz wichtige Frage für Israel-Fans, ein Thema, bei dem man sich viele Feinde machen kann.
Was die Voraussetzung ist, wird in Vers 26 beschrieben: Und so wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: Aus Zion wird der Erretter kommen, der die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden wird. Dies ist der Bund von mir, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.
Ich finde es eine ganz spannende Frage, dass Israel seit ein paar Jahrzehnten wieder in seinem Land ist. Ist das die Erfüllung der Verheißungen Gottes oder nicht?
Schauen wir noch einmal in 5. Mose 30. Ich lese mal das Ende. Es sind Verse vom Ende von Kapitel 29, ich kann jetzt nicht alles vorlesen, diese zwei Kapitel könnt ihr irgendwann mal ganz durchlesen.
5. Mose 29,26: Da entbrannte der Zorn des Herrn über dieses Land, sodass er den ganzen Fluch darüber brachte, der in diesem Buch geschrieben ist. Und der Herr hat sie herausgerissen aus ihrem Land, im Zorn, im Grimm und in großem Unwillen. Er hat sie in ein anderes Land geworfen, wie es bis heute ist.
Das hat sich erfüllt, und zwar mehrmals. Es hat sich bei der Wegführung und Zerstreuung nach Assyrien erfüllt, bei der Wegführung nach Babel und siebzig Jahre nach Christus, als sie in die ganze Welt zerstreut wurden. Sie haben Gott nicht geglaubt und nicht gehorcht. Gott hat seine Versprechen wahrgemacht: Ich werde euch aus diesem Land wegnehmen und wegwerfen.
Aber dann kommt Kapitel 30, Vers 3: So wird der Herr, dein Gott, deine Gefangenschaft wenden und sich deiner erbarmen. Er wird dich wieder sammeln aus all den Völkern, wohin der Herr, dein Gott, dich zerstreut hat. Wenn deine Vertriebenen am Ende des Himmels wären, so wird der Herr, dein Gott, dich von dort sammeln und dich von dort holen. Der Herr, dein Gott, wird dich in das Land bringen, das deine Väter besessen haben, und du wirst es besitzen. Er wird dir Wohltun und dich nähren, mehr als deine Väter.
Boah, eine coole Verheißung, oder? Sehen wir das nicht? Verstreut bis an die Enden der Erde, und Gott sammelt sie. Gott bringt sie zurück in dieses Land und gibt ihnen dieses Land zum Besitz.
Aber wir haben die Voraussetzung nicht gelesen. Fangen wir ein bisschen früher an, Kapitel 30, Vers 1: Und es wird geschehen, wenn alle diese Worte über dich kommen, der Segen und der Fluch, die ich dir vorgelegt habe, und du es zu Herzen nimmst – an all den Nationen, wohin der Herr, dein Gott, dich vertrieben hat – und umkehrst zu dem Herrn, deinem Gott, und seine Stimme gehorchst nach allem, was ich dir heute gebiete, du und deine Kinder, mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele.
So, bitte, Herr, das Ton.
Was ich mich frage, ist: Ist das wirklich 1949 passiert? Ist es wirklich passiert, dass dieses Volk mit ganzem Herzen zu Gott umgekehrt ist? Ist das, was heute in Israel passiert, die Mehrheit?
Nein, das ist nicht das, was passiert ist. Natürlich gibt es fromme Gruppen, aber sie sind eine Minderheit in diesem Volk. Wenn das nicht passiert ist, dann haben sie kein Anrecht auf diese Verheißung. Dann haben sie kein Anrecht darauf, dass diese Verheißung 1949 erfüllt worden ist, denn das war die Voraussetzung.
Ich meine, es kann sein, es gibt verschiedene Verheißungen. Es kann sein, dass das, was wir gesehen haben und was wir heute in Israel sehen, eine Erfüllung von Hesekiel ist, wo Gott sagt: Ich werde erst mal die Knochen zusammenfügen, und dann kommt Leben rein.
Aber vielleicht auch nicht.
Leute, solange die Voraussetzung nicht erfüllt ist, dass dieses ganze Volk zu Gott umkehrt, wissen wir nicht, ob die Verheißungen erfüllt sind. Es kann sein, dass Gott sagt: Leute, es war ein Test. Ich habe so viele Wunder getan – es ist sicher übernatürlich, dass Gott dieses Volk durch die Geschichte erhalten hat. Und es ist sicher übernatürlich, dass er sie nach Palästina zurückgebracht hat.
Aber wisst ihr, wo die Garantie ist, dass Gott nicht sagt: Ich habe so viel Übernatürliches getan, und ihr glaubt mir immer noch nicht? Dann braucht ihr noch ein paar Jahrhunderte irgendwo anders.
Ich glaube, solange sie nicht als Volk an Gott glauben, haben sie kein Anrecht auf einen Quadratmeter von Palästina. Das ist meine persönliche Meinung.
Einheitliche Grundlage der Errettung und Gottes unergründlicher Plan
Zurück zu Römer 11,30: Denn wie ihr einst Gott nicht geglaubt habt, jetzt aber unter die Gnade gekommen seid durch ihren Unglauben, so haben auch jetzt diese an eure Begnadigung nicht geglaubt, damit auch sie unter die Begnadigung kommen.
Denn Gott hat alle zusammen in den Unglauben eingeschlossen, um alle zu begnadigen. Alle müssen auf genau der gleichen Grundlage gerettet werden: Glaube an Jesus als den Messias, Glaube an Jesus als den Hohenpriester, Glaube an Jesus als das Opfer – egal, ob Heide oder Jude.
Irgendwann wird es passieren – hier ist die Verheißung: Irgendwann wird es geschehen, dass dieses Volk im Ganzen glaubt. Ich meine damit, dass es sicher Ausnahmen geben wird. Das heißt nicht, dass jeder, der aus Israel ist, ohne Ausnahme Gott glauben wird. Aber das Volk als Ganzes wird glauben. Jemand ist ein Außenseiter in diesem Volk, wenn er es nicht tut, und nicht umgekehrt.
Gott hat gesagt, dass das irgendwann passieren wird. Dann wird er wieder mit diesem Volk handeln, wenn sie vom Unglauben zum Glauben gekommen sind. Es wird geschehen, aber noch ist es nicht eingetreten. Es ist irgendwie der Plan Gottes, dass es für keinen hier einen geraden Weg gibt. Jeder muss vom Unglauben zum Glauben kommen und sich begnadigen lassen – egal, welche Geschichte er hat, egal, welche Wurzel er hat.
Paulus schließt diese drei Kapitel mit einem Ausbruch ab, in Vers 33: „O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unergründlich seine Wege! Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Mitberater gewesen? Oder wer hat ihm zuvor gegeben, dass es ihm vergolten wäre? Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge; ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit.“
Paulus staunt über Gottes Handeln mit den Heiden und mit Israel, darüber, wie Gott alles unter einen Hut bringt und alle zur gleichen Errettung führt. Er sagt, das ist der Wahnsinn, wie Gott sich die Geschichte ausgedacht hat.
Er beschreibt Gott als so reich: Hier steht „Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes“. Paulus sagt, schaut mal, wir können Gott nichts geben, was er nicht schon hätte. Gott ist so reich, dass man ihm nichts hinzufügen kann. Das ist ein Reichtum.
Gott ist so weise, dass er keinen Ratgeber braucht. Paulus geht noch weiter: „Wer ist sein Mitberater gewesen?“ (Vers 35). Wer hat ihm etwas gegeben? Nein, Gott ist so reich, dass du ihm nichts geben kannst. Er braucht keinen Berater. Du musst ihn nicht beraten oder seine Gedanken in eine bestimmte Richtung lenken. Du kannst ihm nichts hinzufügen, und das, was er hat, musst du nicht lenken.
Gott ist weise – der Größte des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes. „Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt?“ Es gibt nicht einmal jemanden, der die Dinge versteht, die Gott versteht.
Nicht nur, dass du Gott nichts geben kannst und seine Gedanken nicht lenken musst. Wir Menschen können nicht einmal verstehen, was Gott versteht und sieht. Gott hat seinen Plan durch die ganze Geschichte. Er hat seinen Plan, wenn er Israel zur Seite setzen muss – und er hat seinen Plan, wenn er Israel wieder zuwendet.
Paulus ist begeistert von diesem Überblick, den Gott hat. Auch wenn es ein schwieriges Thema ist, weil wir Gottes Gedanken nicht verstehen können, sollten wir uns vielleicht zumindest ein wenig von dieser Begeisterung anstecken lassen. Paulus hat, glaube ich, mehr verstanden als wir, und er war sehr begeistert. Wenn wir auch nur ein kleines bisschen von Gottes Handeln verstehen, sollten wir vielleicht ein wenig begeistert sein.
Übergang zu praktischen Anwendungen
Okay, das war der Ausflug in die Geschichte und Zukunft Israels. Nun folgt ein deutlicher Schnitt, und dann beginnt Kapitel zwölf.
Dieses Kapitel ist ganz, ganz praktisch und steht im Gegensatz zu dem sehr theoretischen Teil zuvor. Es enthält so viele praktische Einzelheiten, dass man eigentlich drei Stunden bräuchte, um alles zu besprechen.
Diese Zeit haben wir jedoch nicht. Deshalb wird Kapitel zwölf sehr spannend werden.
