Einstimmung und Einführung in den Brief
Ja, dann werde ich erst einmal noch mit euch bitten. Vater im Himmel, vielen Dank, dass wir uns heute Morgen wieder Zeit nehmen können, in dein Wort hineinzuschauen. Wir möchten dich bitten, dass du uns dabei Konzentration gibst. Gib mir die richtigen Worte, um auszusprechen, was heute Morgen gesagt werden soll, und allen anderen die Konzentration, das mitzunehmen, was du jedem Einzelnen mitgeben möchtest. Amen.
Wir sind heute Morgen wieder im Philippabrief. Gestern haben wir uns in einer ersten Runde etwas damit auseinandergesetzt. Wir waren bei Vers 1 stehen geblieben. Ich lese den Vers noch einmal und werde dann einen kleinen Einschnitt machen. Anschließend lese ich die Verse 2 bis 11, das ist der nächste Abschnitt.
Oder vielleicht lese ich erst einmal Vers 1 und 2, die ja zusammengehören, als Gruß und Einstieg für den Brief. Dann nehmen wir den ersten Teil, also den zweiten Teil, Vers 3 bis 11.
Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, an alle Heiligen in Christus Jesus in Philippi samt den Bischöfen und Diakonen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Mit dem ersten Teil haben wir uns ja schon intensiv beschäftigt. Wir sind eigentlich bis dahin gekommen, wo ich über die Heiligen in Christus Jesus in Philippi gesprochen habe. Ich habe darauf hingewiesen, dass „heilig“ im Griechischen „hagios“ heißt und vom hebräischen „kadosch“ abgeleitet ist. So werden im Alten Testament alle Gegenstände, Personen und Bereiche bezeichnet, die ausgesondert sind vom normalen Gebrauch.
Die Bedeutung von Heiligkeit im biblischen Kontext
Wenn ich einen Wohnraum habe, in dem ich arbeite, meine Freizeit verbringe und einfach lebe, dann ist das Allerheiligste oder der Tempel ausgesondert für den außerordentlichen Gebrauch für Gott. So bezeichnet er hier auch die Christen.
Im Alten Testament werden beispielsweise die Priester so genannt. Sie sollen heilig sein. Auch das Volk Israel wird als Zehnte bezeichnet, und die Propheten natürlich besonders. Das betrifft sowohl Gegenstände als auch Personen, die aus dem normalen Leben herausgenommen sind, um ganz für den Dienst Gottes da zu sein. Das ist die Bedeutung.
Hier wird noch ergänzt, dass heilig nicht aus sich selbst heraus bedeutet, sondern heilig in Jesus Christus. Das heißt, wir Christen haben die Stellung, ausgesondert zu sein aus dem normalen Getriebe der Welt, weil wir in Jesus Christus sind.
Ich habe auch erwähnt, dass „in Jesus Christus“ ein Begriff ist, den Paulus sehr häufig benutzt. Manchmal sagt er „in Christus“, „im Herrn“ oder „in Jesus Christus“. Insgesamt tauchen diese Begriffe etwa 150 Mal in den Paulusbriefen auf. Ich habe gestern schon darauf hingewiesen, dass dieses „in“ so viel bedeutet wie ein Vogel in der Luft oder ein Fisch im Wasser. Das heißt, ganz umgeben und bestimmt von dem Element, in dem das Tier lebt.
So ist das Element, in dem das Leben ist, „in Christus“. Ich bin ganz darin, er umhüllt mich vollständig. Mein Denken, mein Handeln, mein Wollen und mein Alltag sind damit gemeint. Dadurch sind wir heilig und ausgesondert.
Das ist keine eigene Leistung. Häufig, wenn wir die katholische Vorstellung von Heiligen im Kopf haben, denken wir, dass jemand heilig wird durch eigene Leistung, weil er besonders vorbildlich gelebt hat. Wenn jemand nicht so viel Nächstenliebe übt wie Mutter Teresa oder nicht so friedfertig ist wie Mahatma Gandhi, dann kann er ja nicht heiliger sein. Und nebenbei müsste er vielleicht noch ein paar Wunder getan haben.
Das ist nicht das Bild, das die Bibel von Heiligen hat. Heilig werden wir nicht durch unsere eigene vorbildliche Leistung, sondern weil wir ausgesondert sind für den speziellen Gebrauch Gottes. Wir sind herausgenommen aus dem normalen Getriebe der Welt.
So werden wir bezeichnet, weil Gott uns, weil Jesus uns erkauft und losgekauft hat von der Sünde. Wir sind jetzt seine Knechte geworden, so wie Paulus sich selbst bezeichnet. Deshalb sind wir herausgehoben.
Da müssen wir uns natürlich die Frage stellen: Leben wir auch unserer Stellung gemäß? Das wird in den folgenden Versen immer wieder angesprochen.
Das war ja etwas, woran Israel auch immer zu knacken hatte. Ich habe gesagt, Israel war im Alten Testament und auch im Neuen Testament als heilig bezeichnet, weil es im Gegensatz zu allen anderen Völkern, die in erster Linie nach ihren eigenen nationalen Interessen fragten, zuerst nach Gott fragen sollte. Deshalb sollte Israel ein lebendiger Hinweis auf Gott sein.
Aber das waren sie ja nicht immer. Wenn wir das Alte Testament durchlesen, zum Beispiel in den Büchern Könige oder Chronik, dann sehen wir, dass die meisten Könige und die meisten Zeiten des Volkes Israel nicht so gelebt haben.
Und trotzdem waren sie heilig, weil Gott sie dazu gemacht hat. Aber dann hat Gott sie erzogen, immer wieder gestraft und ins Exil geführt, um sie zurückzubringen zu dem Zweck, wofür er sie gebrauchen will.
Der Auftrag der Heiligen und die Bedeutung von Gemeinschaft
Hier lässt sich eine gewisse Parallele ziehen: Auch wir sind ausgesondert. Wir sollen ein Hinweis auf Gott sein und eben nicht normal sein wie alle anderen. Als Christen sollten wir unnormal sein. Das klingt vielleicht etwas merkwürdig und ist bewusst provokativ formuliert. Denn normal zu sein bedeutet heutzutage oft, zu lügen, zu stehlen, zu betrügen, egoistisch zu sein, bei jedem kleinen Streit auseinanderzulaufen und nicht vergebungsbereit zu sein.
Hier sollen wir unnormal, anders sein. Das ist unser Auftrag als Heilige. Das steckt bereits darin, wenn Paulus sich so an die Gemeinde wendet.
Übrigens sehen wir am Rande, dass es damals noch keine Konfessionen gab. Heute sind wir daran gewöhnt, evangelisch, katholisch, orthodox usw. zu unterscheiden, ebenso an die vielen Freikirchen. Hier werden einfach die Christen, die Heiligen in Philippi, angesprochen.
Manche haben daraus abgeleitet, dass es an einem Ort nicht mehr als eine Gemeinde geben dürfe. Es gibt verschiedene Gemeindebewegungen, meistens immer wieder neue, die meinen, sie seien die einzigen wahren Christen und alle müssten zu ihnen kommen. Das Ergebnis war in der Kirchengeschichte regelmäßig, dass es einfach eine zusätzliche Konfession gab und nicht, dass wirklich alle Christen zusammenkamen.
Ich glaube, daraus abzuleiten, dass es an einem Ort nur eine Gemeinde geben dürfe, ist falsch. Entscheidend ist, was uns zu Christen macht. Es ist nicht wichtig, ob ich Baptist, Lutheraner, Reformierter, Katholik oder Brüdergemeindler bin. Was mich zum Christen macht, ist die Berufung Gottes. Und es sollte schon ein Miteinander in einer Stadt oder einem Land geben.
Ohne einer falschen Ökumene das Wort reden zu wollen, also ohne zu sagen, wir müssten jetzt unbedingt alle dasselbe glauben und tun – das nicht –, ist doch ein Kennzeichen heiligen Lebens, christlichen Lebens das Streben nach Einheit. Darauf werden wir später noch eingehen.
Nun müssen wir uns Gedanken machen, was das heute für uns bedeutet. Einheit um jeden Preis? Laden wir alle ein, die sich Christen nennen? Lassen wir alle Streitpunkte unter den Tisch fallen? Sicherlich nicht.
Paulus setzt sich ja auch mit Irrlehrern auseinander und mit denen, die unmoralisch leben in der Gemeinde. Es muss Auseinandersetzung geben, aber diese muss Grenzen haben. So erkennen wir, wo Geschwister sind, und verschwenden nicht unsere Zeit damit, uns von anderen abzusetzen und sie fertigzumachen.
Daneben werden auch Bischöfe und Diakone erwähnt. Hier habe ich mich gefragt: Warum werden sie eigentlich gesondert erwähnt? Eine ganz eindeutige Antwort habe ich nicht.
Einerseits dachte ich, sie sind besonders herausgehoben. Vielleicht will Paulus auch sagen, dass sie zur Gemeinde dazugehören, wenn mit „Samt“ übersetzt wird. Vielleicht will er darauf hinweisen, dass die Gefahr besteht, dass sich die Kirchenleitung von der Gemeinde entfernt und sich als etwas Besonderes wahrnimmt. Hier packt er sie zusammen und sagt: Kirchenleitung und Gemeinde gehören genauso zusammen.
Vielleicht gibt er uns auch einen Hinweis, was er ausführlich in den Pastoralbriefen erläutert, also im 1. Timotheusbrief, 1. Petrusbrief und Titusbrief. Dort finden wir Anleitungen über eine biblische Gemeindeordnung. Diese können wir hier tatsächlich erkennen.
Denn das, was wir in der Bibel als Gemeindeleitung finden, ist kein Pfarrer, kein Prediger, kein Priester, kein Gemeindeleiter oder Ähnliches – das gibt es in der Bibel gar nicht. Stattdessen gibt es im Neuen Testament Bischöfe, meist das griechische Wort Presbyteroi, was wir heute auch als Älteste übersetzen können.
Der damalige Bischof war nicht der mit einem goldenen Hirtenstab, einer Krone auf dem Kopf und der in einem Palast wohnte, sondern ein ganz normaler Christ, der in der Gemeinde war und das Amt eines Ältesten ausführte, also für das Wohl der Gemeinde sorgte.
Im Neuen Testament finden wir tatsächlich nur diese beiden Amtsbezeichnungen: Bischöfe (Älteste) und Diakone.
Im Laufe der Zeit sind verschiedene Unterteilungen hinzugekommen, besonders bekannt durch Johannes Calvin, einen bekannten Reformator. Er sprach von fünf verschiedenen Ämtern. Die Presbyter, also die Ältesten, sollten für Gemeindezucht und Organisation zuständig sein; die Diakone für praktische Nächstenliebe; die Lehrer für die rechte Lehre in der Gemeinde – getrennt von den Presbyteroi – und dann noch die Hirten, die sich mehr um die praktische Fürsorge der Menschen kümmern.
Diese Unterscheidung verschiedener Ämter finden wir so nicht in der Bibel. Es kann jedoch sein, dass verschiedene Älteste in der Gemeinde unterschiedliche Schwerpunkte haben.
Hier, bei den Bischöfen bzw. Ältesten, finden wir als Qualifikation, dass sie lehrfähig sein und Vorbild in ihrem Leben sein sollen. Die ersten Diakone, wie Stephanus, waren zuständig für Armspeisung, Witwenversorgung und Ähnliches.
Diese Personen gehören mit zur Gemeinde und werden hier zusammen mit den Christen in Philippi genannt.
Dann folgt der Gruß: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott.“
Der Begriff Gnade, im Griechischen Charis, war damals ein gewöhnlicher Gruß. Man sagte „Chaire“ – Gnade sei mit dir.
Bei Paulus bekommt dieser Gruß jedoch eine besondere Bedeutung. Gnade bedeutet so viel wie „dir soll es gut gehen“. Im Neuen Testament sind Charis oder Charismata (Gnadengaben) vielfältig.
Vor allem gehört dazu, dass wir Kinder Gottes geworden sind. Im Römerbrief wird Charismata mehrfach als Gnadengabe bezeichnet – für den, der Sündenvergebung hat, für den, der ewiges Leben hat, für den, der den Heiligen Geist empfangen hat.
Allein im 1. Korintherbrief wird Charismata auch für andere Begabungen, also Wirkungen des Heiligen Geistes im Leben der Christen, verwendet.
Insofern wünscht Paulus hier Charis, Gnade, und erinnert daran, dass Gott euch das schon mitgeteilt hat. Er wünscht, dass Gott euch auch in Zukunft Vergebung der Sünden schenkt, euch durch den Heiligen Geist führt und euch für eure Aufgaben in der Gemeinde begabt.
Das steckt darin. Charis ist also der griechische Gruß.
Danach folgt Friede, alrene. Daraus kommt das deutsche Wort „Irene“ – die Friedfertige.
Die Griechen haben sich nicht mit „Irene“ gegrüßt; das war unüblich.
Paulus war eine Mischung: teilweise römischer Staatsbürger, griechischsprachig, auf der anderen Seite Jude.
Hier spielt das Jüdische mit hinein, denn der typische hebräische Gruß, den wir bis heute kennen, ist „Shalom“. Auch die Araber haben etwas Ähnliches, „As-Salam“, was ebenfalls „Friede“ bedeutet.
Mit Frieden ist hier nicht nur das Schweigen der Waffen gemeint, sondern ein vollkommenes Ruhefinden.
Shalom bei den Juden bedeutet dieses Ruhefinden in Gott, das Ausgeglichensein in Gott.
Der vollständige Zustand von Shalom ist, wenn du im Tempel bist, in der Gegenwart Gottes, wenn die Herrschaft Gottes auf Erden ist.
Das meint, wenn die Versöhnung vollkommen da ist, wenn du wieder vereint bist mit Gott – das ist Shalom.
Das steckt hier mit drin.
Auf der einen Seite die Führung Gottes, die Vergebung Gottes, auf der anderen Seite die vollkommene Einheit mit Gott, den inneren Frieden mit Gott, die Gemeinschaft mit Gott in Ewigkeit.
So könnte man es sagen.
Ich habe den Eindruck, dass für Paulus das nicht nur eine Floskel ist.
Das zeigt sich auch darin, dass er diese Begriffe, Friede und Gnade, immer wieder gebraucht.
Diese Kombination war nicht typisch griechisch, sondern wurde erst durch ihn geprägt.
Es wird auch betont, dass der Friede nicht neutral entsteht, sondern durch den Vater kommt.
Gott wird hier als unser Vater bezeichnet.
Ich glaube, das ist das Exklusive, was wir als Christen haben.
Alle Menschen können Gott als ihren Schöpfer erkennen und auch als Richter.
Viele Menschen sagen: „Wir werden alle einmal vor Gottes Gericht stehen, und er wird uns beurteilen.“
Aber Gott als Vater kennenzulernen – der uns liebt, befreit und immer bei uns ist – das ist das Exklusive, was Christen erfahren können.
Das wird hier mit hineingenommen.
Es wird gesagt, dass Gott die Ursache unseres Friedens ist.
Der Friede ist nicht von uns selbst gemacht, organisiert oder durch Lehre herbeigedacht, sondern etwas, das Gott bewirkt – von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Übrigens kennen wir „unser Vater“ am besten als Einleitung für das Vaterunser.
Dabei steckt auch ein „Unser“ mit drin.
Paulus identifiziert sich erstmals mit der Gemeinde nicht mit „mein Vater“, sondern mit „unser Vater“.
Hier wird wieder die Betonung der Einheit deutlich, die wir hier auf Erden schon haben sollen und die sich im Jenseits bei Gott fortsetzt.
Dann folgt: „und dem Herrn Jesus Christus“.
„Herr“ ist hier das Wort „Kyrios“, was den Herrscher meint, den unumschränkten Herrn über das Leben eines anderen.
Das passt zusammen mit Paulus’ Selbstbezeichnung als „Doulos“, also Sklave.
Hier wird noch einmal deutlich: Mein Herr ist Jesus.
Wenn wir von „Herr Jesus“ sprechen, im Gebet oder im Alltag, meinen wir genau das.
Wir geben damit zum Ausdruck: „Jesus, du bist mein Sklavenhalter“, könnte man sagen.
Das klingt für uns heute etwas merkwürdig, und Sklaverei sehen wir als negativ.
Doch die Bibel sagt deutlich: Du bist entweder Sklave der Sünde oder Sklave Gottes.
Eines kannst du wählen. Einen neutralen Raum gibt es nicht.
Hier ist das Bekenntnis: Jesus, du bist mein unumschränkter Herrscher im Leben.
So war Paulus' Gruß, seine Einleitung.
Paulus’ Dankbarkeit und Gebet für die Gemeinde
Dann lese ich erst einmal im Zusammenhang Kapitel 1, Verse 3 bis 11, und dann machen wir uns Gedanken darüber.
Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke. Was ich allezeit tue in all meinen Gebeten für euch alle, und ich tue das Gebet mit Freuden für eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tag an bis heute. Und ich bin darin guter Zuversicht, dass der, der in euch angefangen hat das gute Werk, es auch vollenden wird bis an den Tag Jesu Christi.
Wie es denn recht und billig ist, dass ich so von euch allen denke, weil ich euch in meinem Herzen habe, die ihr alle mit mir an der Gnade teilhabt in meiner Gefangenschaft und wenn ich das Evangelium verteidige und bekräftige. Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Jesus Christus. Und ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher werde an Erkenntnis und aller Erfahrung, sodass ihr prüfen könnt, was das Beste sei, damit ihr lauter und unanstößig seid für den Tag Christi, erfüllt mit Furcht der Gerechtigkeit durch Jesus Christus zur Ehre und zum Lob Gottes.
Zuerst einmal danke ich meinem Gott, so oft ich euer gedenke. Mir ist dabei besonders wichtig geworden, dass Paulus hier eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung zeigt, ehe wir darauf kommen, wofür er dankt.
Wenn wir uns zurückversetzen: Paulus ist jetzt in Gefangenschaft. Wir lesen in der Apostelgeschichte, dass diese Gefangenschaft etwa zwei Jahre dauerte. Das war damals nicht angenehm, in römischer Gefangenschaft zu sein. Und das Erste, was er der Gemeinde schreibt, ist nicht: „Bemitleidet mich, ich armer Tropf, und sorgt doch dafür, dass ich endlich frei werde, mir geht es so schlecht“, sondern das Erste, was er sagt, ist: „Ich danke Gott.“ Danach folgt auch, wofür er dankt.
Ich glaube, das ist eine ungemeine Herausforderung für uns heute. Das heißt, wir sollten uns auch die Frage stellen, worauf wir mehr schauen: auf das, was uns in unserem Leben Probleme macht – und das ist ja real da, auch bei Paulus gab es reale Gründe –, oder auf das, wofür wir tatsächlich ernsthaft danken können. Und bei Paulus gibt es dann ja auch reale Gründe, dankbar zu sein, die er im Folgenden aufführt. Aber er konzentriert sich erst darauf, er schaut darauf und eben nicht auf das, was ihn niederzieht.
Dieser Dank wird jetzt noch präzisiert: „So oft ich euer gedenke.“ Nachher sagt er in Vers 4, dass er allezeit an sie denkt in Gebeten. Was mir hier auch aufgefallen ist: Diese positive Lebenseinstellung richtet sich nicht nur auf das, was er davon hat, sondern auch auf die anderen Menschen, mit denen er zu tun hat.
Ich habe mich dann selbst gefragt: Wie geht es mir, wenn ich an andere Menschen denke? Denke ich auch in erster Linie positiv über andere Menschen, oder denke ich eher: Der müsste sich verändern, die müsste sich verändern, der müsste jetzt aber das machen, oder jeder müsste dies tun?
Ich glaube, dass in der Gemeinde, wie manchmal auch in der Familie, einfach in dem Kreis der Menschen, mit denen wir viel zu tun haben, das schnell dazu tendieren kann, dass diese negativen Gedanken überwiegen, weil uns am meisten eben die Sachen ärgern, die wir gerne anders hätten. Und wir uns eher darauf konzentrieren. Das, was in unserem Sinn verläuft, das, was positiv läuft, nehmen wir als Menschen gerne als selbstverständlich hin.
Hier können wir von Paulus lernen: Nicht in erster Linie darum herumzubeten, „Mach den anderen anders, mach meinen Ehepartner anders, meine Kinder, meine Arbeitskollegen, meine Gemeindemitglieder.“ Überhaupt: „Die sind ja alle schlecht, nur ich bin gut.“ Das ist jetzt natürlich provokativ formuliert, so würden wir es ja nie beten, aber unsere Gedanken tendieren dahin, dass wir in erster Linie auch die Defizite des Anderen sehen, die vielleicht da sind.
Die Gemeinde in Philippi war ja beileibe nicht vollkommen, wie alle anderen Gemeinden der ersten Generation auch nicht. Aber das Erste, was Paulus hier im Mittelpunkt hat und wo er mit ehrlichem Gewissen sagt: „Allezeit, wenn ich an euch denke, danke ich erst einmal Gott.“ Ich glaube, das kann uns herausfordern, danach zu fragen, wofür ich dankbar sein kann für meinen Ehepartner, für meine Kinder, für meine Gemeinde, für meine Nachbarn, für meine Arbeitskollegen, auch da, wo sie mich sonst vielleicht nerven.
Ich muss das ja nicht ignorieren, ich muss keine Gedankenakrobatik machen, um alles zu verdrängen oder so zu tun, als ob alles nur super wäre. Aber eben zu sehen: Das ist auch da, und durch all die Menschen, mit denen ich zu tun habe, will Gott mich auch beschenken. Das ist die Perspektive, die Paulus hier hat, und die finde ich herausfordernd.
Dann geht es hier in Vers 4 weiter: „Was ich allezeit tue“, also der Gemeinde gedenken. Schon allein dieser Satz fordert mich heraus, wo ich mich frage, inwiefern ich allezeit an die Geschwister denke. Hier geht es ja um die Gemeinde.
Ich glaube, in einer Zeit der heutigen Vereinzelung, in der wir eher dazu erzogen werden, „Denk an dich selbst, vielleicht noch für deine Familie, dein trautes Heim, aber alles, was danach kommt, ist eher unwichtig“, und „Wenn es mir nichts bringt, dann verzichte ich halt auch darauf“, gibt es einen immer größer werdenden Kreis von Christen, die gar keine Gemeinde mehr besuchen, sich in keiner Gemeinde fest engagieren und einbringen.
Das ist ein Trend, der in den USA noch viel weiter vorangeschritten ist als in Deutschland. In den USA gibt es Millionen von Fernsehchristen. Damit will ich nicht sagen, dass die Christen nur fernsehen, sondern sie sind Mitglied einer Fernsehgemeinde. Das ist dann irgendein Fernsehprediger, und da gehst du am Sonntagmorgen hin, du stehst auf dem Bett auf oder bleibst sogar noch liegen, das sieht ja keiner, dann stellst du den Fernseher an. Dort werden Lieder gesungen, du hörst die Predigt, hinterher wird die Spenden-Nummer eingeblendet, da geht also der Klingelbeutel herum, du kannst gleich an deinen PC gehen und zack, überweisen – und das ist deine Gemeinde.
Das ist in den USA ein Trend, denn es ist ja mühsam, mit Menschen umzugehen. Es gibt viele Reibungsverluste, viele Probleme. Das ist alles viel schöner in dieser Virtual Reality, die man dort im Fernsehen oder im Internet hat.
Ich kenne junge Christen, die vielmehr über ihre Probleme sprechen – nicht mit den echten Christen, mit denen sie zu tun haben, sondern in Chatrooms, auch christlichen Chatrooms. Die sind generell nicht schlecht, aber sie sind nie ein Ersatz für die Begegnung mit einem normalen Menschen. Denn dort begegnest du eben keinem realen Menschen. Du blendest auch diejenigen aus, die dich ärgern, die, die dir im Chatraum passen, blendest du aus, zack, weg, und suchst lieber Gleichgesinnte.
Das ist in der Gemeinde im Normalfall nicht so. Hier bei Paulus: „Allezeit, wenn ich euer gedenke, danke ich Gott.“ Für mich war das eine Herausforderung, mehr für meine Gemeinde und meine Christen in meiner Umgebung zu danken, dass Gott sie mir geschenkt hat und dass Gott dabei auch etwas an mir bewirken will, etwas bei mir verändern will. Hier, glaube ich, ist eine Herausforderung für uns alle.
Dann: „Was ich allezeit tue in all meinen Gebeten für euch alle.“ Hier wird auch die Kraft des Gebetes herausgehoben: Fürbitte zu üben für andere, Dank zu geben an Gott für andere, also auch, dass Gebete sich nicht so stark nur um uns selbst drehen.
Ich glaube, das ist eine Gefahr, in der wir auch stehen können, was ja auch verständlich ist, weil ich in erster Linie mit meinen Problemen im Alltag zu tun habe. Ganz stark fiel mir das immer wieder auf, wenn unsere Kinder angefangen haben zu beten, dass sich sehr viele Sachen erst einmal um ihr eigenes Wohl drehten und das bis heute immer noch tun.
Ich habe mir gedacht, auch als Erwachsene können wir schnell genau dahin kommen. Unser Sohn betet zum Beispiel dafür, dass er gut schläft, dass ihn in der Nacht kein Räuber überfällt, dass sein Schwert morgen noch heil ist, mit dem er spielt, oder dass er morgen ein Auto geschenkt bekommt – solche Sachen eben, die ein Kind bewegen.
Das ist ja auch nicht verboten, solche Dinge zu Gott zu sagen. Aber als reife, erwachsene Christen sollten wir auch stärker unseren Blickwinkel auf das Wohl und Ergehen der anderen richten. Das ist hier mit drin.
„Also für euch alle, und ich tue das Gebet mit Freuden.“ Hier nicht nur aus Druck, sondern er freut sich daran, weil er, wenn er auf sie sieht, das Wirken Gottes in ihrem Leben sieht.
Diese Freude ist bei ihm nicht nur eine Frage von „Ich will das Positive sehen“, sondern er führt im Philipperbrief auch mehrere konkrete Gründe an.
Zum einen lesen wir in Vers 4, dass er am Anteilnehmen an den inneren Nöten Freude hat. Auch freut er sich daran, dass Jesus verkündigt wird in der Gemeinde in Philippi und anderswo. Das sehen wir in Vers 18: „Was aber tut’s, wenn nur Christus verkündigt wird, auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder zur Wahrheit, so freue ich mich darüber.“
Hier zeigt sich auch seine Freude an der Gemeinde. Er sieht, es läuft manchmal schlecht, manche predigen aus Eigensucht, aber er freut sich, denn letztendlich wird Jesus verkündigt.
Das ist nicht diese postmoderne Ignoranz, die sagt, es sei egal, was gepredigt wird. Nein, er nennt die Schwachpunkte durchaus, aber sagt: Obwohl die Schwachpunkte da sind, freue ich mich, dass Jesus verkündigt wird.
Das ist ein konkreter Grund, den er nennt.
Dann hat er die Freude am Glauben generell, also in Kapitel 1, Vers 25: „Und in solcher Zuversicht weiß ich, dass ich bleibe und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben.“ Dass der Glaube in seinem Leben da ist, dass der Glaube in der Gemeinde da ist, dass er der Gemeinde helfen kann, dienen kann, das bereitet ihm Freude.
In Kapitel 2, Vers 2 lesen wir: „So macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr ein Sinn seid.“ Einerseits bemängelt er, dass es noch nicht ganz so weit ist, aber andererseits lobt er die Gemeinde auch: „Ja, ihr seid auf dem richtigen Weg.“ Dass sie an einem Strang ziehen, macht ihm Freude, auch wenn das noch nicht vollkommen zum Ende geführt ist.
Dann Kapitel 2, Vers 17: „Und wenn ich auch geopfert werde bei dem Opfer und Gottesdienst eures Glaubens, so freue ich mich und freue mich mit euch allen.“ Mit dem Opfer ist gemeint, wenn er um des Glaubens willen sterben muss, dann freut er sich auch darüber. Freude über Leid.
Er ist würdig, für Jesus zu leiden, und freut sich darüber. Auch das ist eine Perspektive.
Er freut sich auch über das Leid, in dem die Gemeinde steckt. Nicht nur die Perspektive unserer Gesellschaft, die Leid in erster Linie als etwas Negatives ansieht, sondern Leid kann auch etwas Positives sein.
Paulus sagt hier: „Ich freue mich darüber, ich freue mich sogar, wenn ich die Todesstrafe erleide und sterbe.“ Aber er freut sich auch, wenn er nachher wieder freigelassen wird und zu ihnen kommt, um ihnen helfen zu können.
Diese Freude sehen wir zum Beispiel auch bei Polykarp von Smyrna, einem Christen des zweiten Jahrhunderts, der in einer Christenverfolgung umgebracht wird. Polykarp beschreibt: „Ich danke Gott, dass er mich für würdig befindet, für ihn leiden zu können.“ Genau dieselbe Perspektive, die Paulus hat.
Ich glaube, wenn wir dem ein Stück weit nachgehen, kann das unsere Perspektive und unseren Umgang mit Leid vollkommen verändern und revolutionieren.
Das ist hier nicht das Hauptthema, aber es spielt immer mit hinein, weil die Gemeinde in Philippi unter Druck und Verfolgung steht und Paulus selbst im Gefängnis sitzt.
Er beklagt das nicht in erster Linie. Ich frage mich für uns heute: Haben wir das vielleicht verlernt, Leid auch als etwas Positives zu sehen? Meinetwegen Krankheit als etwas Positives? Oder tendieren wir schnell dazu, Krankheit per se und generell als negativ zu sehen? Unser einziges Bestreben muss sein, die Krankheit loszuwerden, und wenn wir sie nicht loswerden, dann kommen wir in geistliche Depressionen und Probleme hinein.
Das ist bei Paulus gerade nicht so.
Hier sehen wir zwei Jahre Gefangenschaft, der Prozess geht nicht voran. Täglich die Unsicherheit. Hier geht es nicht um irgendeinen Prozess, sondern um Leben und Tod. Wird er am Ende des Prozesses getötet oder nicht? Er kann seiner Aufgabe nicht mehr nachgehen. Die Gemeinde, die er gegründet hat, kann er nicht mehr besuchen. Er sieht Irrlehre auftreten, kann nicht gegen sie antreten. Das ist durchaus ein Grund zu leiden.
Aber hier ist er gott-dankbar, weil er weiß, alles, was ihm geschieht, kommt letztendlich von Gott, und Gott muss auch hiermit etwas Positives im Sinn haben.
Dann gibt es auch noch Freude an der christlichen Gastfreundschaft. Er erwähnt, dass er sich freut, dass er von der Gemeinde positiv aufgenommen worden ist, dass sie ihn immer wieder versorgen. Freude an den Gaben, die die Gemeinde ihm gibt, Freude, in Christus zu sein.
Kapitel 3, Vers 1: „Weiter, liebe Brüder, freut euch im Herrn, dass ich euch immer dasselbe schreibe, verdrießt mich nicht, und macht euch umso gewisser.“
Hier lesen wir, dass Paulus sich immer wieder erinnern muss, dass die Gemeinde den christlichen Glauben noch nicht ganz verstanden hat. Trotzdem freut er sich darüber, und sie sollen sich auch freuen – im Herrn.
Hier sehen wir wieder, dass wir einfach in Jesus sind, dass Jesus uns umgibt, und darüber sollen wir uns freuen.
Er freut sich, wenn jemand für Christus gewonnen wird.
In Kapitel 4, Vers 10 lesen wir: „Ich bin aber hocherfreut im Herrn, dass ihr wieder eifrig geworden seid, für mich zu sorgen.“ Hier kommt auch ein persönlicher Vorteil zum Ausdruck, den er davon hat.
Freude ist auf der einen Seite eine Willensentscheidung von ihm, auf der anderen Seite gründet sie auf realen Beobachtungen, auf die er aufmerksam wird, weil er sich darauf konzentriert: mit Freuden.
Dann, für eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tag an bis heute, Vers 5. Er dankt für die Gemeinschaft. Sie gehören zu einer Familie, sie kämpfen an einer Sache, das steht für ihn im Mittelpunkt.
Hier wiederum die Gemeinschaft, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl. Ich empfinde das als Herausforderung, dass gerade diejenigen von uns, die sich als bibeltreu verstehen – und das tun wir hoffentlich alle –, leider in der Kirchengeschichte häufig zu Separationen neigen, zu immer kleinerer Zersplitterung.
Ich habe da und dort mit Christen im Reich Gottes zu tun, und manchmal habe ich den Eindruck, es gibt so viele Sonderlinge, so viele Extremisten, die meinen, sie allein hätten die Wahrheit gepachtet. So viele Gemeinden zersplittern sich immer kleiner.
Ich habe Gemeindespaltungen erlebt, die sich daran aufgehalten haben, ob man beim Abendmahl nur Wein oder auch Traubensaft trinken darf. Sie konnten sich nicht einigen – zwei Gemeinden, die Traubensaft-Trinker und die Wein-Trinker, sozusagen.
Oder bei der Frage nach Musikinstrumenten im Gottesdienst: Trommelspieler gegen Orgelspieler oder so etwas. Da kannst du dich so sehr spalten, was eigentlich eine Schande ist.
Nach dem Oxford Lexikon der Konfessionen gibt es weltweit 30 christliche Konfessionen, also nicht nur einzelne Gemeinden, sondern Konfessionen, die sich von anderen abgrenzen.
Ich habe den Eindruck, sie wissen häufig selbst nicht mehr genau, wodurch sie sich unterscheiden, aber sie haben wenigstens einen eigenen Namen: die einzig Bibeltreuen, die alleinig Übergebliebenen, die absolut Bibeltreuen, die Täufer, Mennoniten, Baptisten, Bibeltreuen oder sonst etwas.
Das ist ja nicht schlecht, nach Bibeltreue zu streben, aber wir müssen daran immer denken: Paulus betont hier die Gemeinschaft am Evangelium. Wir gehören zusammen, selbst mit einer Gemeinde, die er später kritisieren muss, weil sie Probleme und Fehler hat.
Ich glaube, hier ist es eine ungemeine Herausforderung, die Fehler nicht unter den Tisch fallen zu lassen, um des lieben Friedens willen, das nicht. Aber auf der anderen Seite diese Einigkeit, diese Gemeinschaft, die uns in Jesus verbindet, ob wir wollen oder nicht. Diese Verbindung, dass wir zu einer Familie gehören, nicht zu vergessen und auch bewusst im Miteinander und im Gebet zu berücksichtigen.
Vom ersten Tag an bis heute, schreibt er hier in Vers 6: „Und ich bin darin guter Zuversicht, dass der, der in euch angefangen hat das gute Werk, es auch vollenden wird bis an den Tag Jesu Christi.“
Hier sehen wir: Unser geistliches Leben baut nicht auf unserer eigenen Entscheidung auf. Er sagt ja hier: „Der, der es angefangen hat.“ Wer hat denn dein Christsein angefangen? Nicht du selbst.
Ich glaube, wir sind geprägt von dem Individualismus unserer Zeit, auf einer falschen Fährte, nämlich der, dass wir meinen, es käme in erster Linie auf uns an.
Das kann zu einer Werksgerechtigkeit führen, oder auch zu einer Einbildung, dass wir zu stark Wert legen auf Bekehrungserlebnisse: „Ich habe das gemacht, Gott ist zu mir gekommen, dann habe ich abgewogen, ja, das und das dafür, und Gott hat mir noch ein Sonderangebot gemacht, dann habe ich gesagt, okay, du hast mich überzeugt, ich werde Christ.“
Dabei vergessen wir, dass die Bibel eine ganz andere Perspektive hat. Was steht hier? „Der, der in euch angefangen hat, wird es auch vollenden.“
Selbst da, wo ich gesagt habe, „Ich habe ja gesagt“, ist die Initiative Gottes dahinter. Er ist dir nachgegangen, hat dir Menschen in den Weg gestellt, dich durch Bibelverse angesprochen, durch Situationen, dich vor einem Unfall bewahrt.
Bei uns in der Gemeinde ist vor eineinhalb Jahren eine Frau neu in die Gemeinde gekommen, eine Postzustellerin. Sie hatte einen schweren Autounfall, dachte, sie müsste sterben, kam aber fast unverletzt heraus. Das war für sie so ein Wunder, dass sie anfing, nach Gott zu fragen, zum Glauben kam und jetzt bei uns in der Gemeinde ist.
So etwas tut letztendlich Gott, der dahintersteht, und nicht wir selbst.
Diese Perspektive soll uns nicht nur positiv stimmen, sondern uns entlasten. Es kommt nicht darauf an, wenn ich mal nichts tun kann. Das ist ja gerade das, was Paulus erlebt. Er ist im Gefängnis, kann nichts tun, merkt aber, dass Gott da ist und groß dabei ist und mit ihm und der Gemeinde wirkt.
„Darin guter Zuversicht, dass der, der in euch angefangen hat das gute Werk, es auch vollenden wird.“ Fertig werden wir mit dem, was Gott um uns wirkt, eigentlich erst in der Ewigkeit.
Das heißt, es ist ein Prozess, den wir immer weiter durchlaufen. Da wir auf der Erde immer noch mit Sünde zu tun haben, werden wir diesen vollkommenen Endpunkt erst in der Ewigkeit bei Gott erreichen.
Das schreibt Paulus auch in 1. Korinther 13: „Jetzt erkenne ich stückweise, dann werde ich erkennen, wie ich erkannt worden bin.“ Dann, wenn ich einmal in der Ewigkeit bei Gott bin. Oder wie Paulus sagt: „Ich strecke mich nach dem vorgestreckten Ziel.“
Auch er kämpft danach, sucht noch danach, versucht das noch zu erringen, obwohl er merkt, dass Gott das alles tut.
Das steckt dahinter.
Dieses Vertrauen, dass Gott das machen wird, kann uns entlasten – vor Selbstknechtung, Selbstunterdrückung oder so etwas, wo wir versuchen, alle Leistungen aus uns herauszubringen. Wir merken: Gott steht dahinter.
„Wie es denn recht und billig ist, dass ich so von euch allen denke, weil ich euch in meinem Herzen habe, die ihr alle mit mir an der Gnade teilhabt in meiner Gefangenschaft und wenn ich das Evangelium verteidige und bekräftige.“
„Recht und billig“ heißt so viel wie: Ich habe keine besondere Leistung, ich habe kein besonderes Anrecht darauf. Hier drückt Paulus sein Denken und Leben aus: „Wie es denn recht und billig ist.“ Das, was ich tue, das, was Gott an euch tut, ist recht und billig, normal. Ihr könnt euch nichts darauf einbilden, euch das nicht auf die Fahnen schreiben.
„Weil ich euch in meinem Herzen habe“ soll zum Ausdruck bringen, dass es nicht nur eine Verpflichtung ist, der er nachgeht, wenn er an die Gemeinde denkt, sondern es ist ihm ein Herzensanliegen, das ihm wirklich ganz nahekommt.
Sie haben teil an der Errettung, an der Gnade, an der Verbreitung des Evangeliums. Hier soll hervorgehoben werden: Auch wenn wir nicht Missionare sind, auch wenn wir nicht Gemeindeleiter sind, wir gehören zusammen. Es gibt nicht nur den anderen, der den Job tun soll, sondern ich bin genauso mit eingebunden, auch wenn ich nicht Ältester oder Gemeindeleiter bin.
Dann muss ich meine Gaben einbringen, damit die Gemeinde funktioniert. Dann muss ich mein Gebet einbringen für die Ältesten. Dann muss ich auch sagen, wo mir etwas auffällt, wo sie etwas falsch machen.
Gerade gestern habe ich eine E-Mail bekommen und darauf geantwortet. Ich hatte einen Artikel über falsche Prophetie geschrieben und dabei auch einige Leute im christlichen Rahmen genannt, die falsche Prophetien verbreitet haben und sich eindeutig so gezeigt haben.
Unter anderem habe ich David Wilkerson erwähnt. Er hatte ein Buch geschrieben, was in Amerika alles mit den Juden passieren sollte. Obwohl das schon einige Jahre her ist, hat sich nichts erfüllt.
Da hat mir jemand eine E-Mail geschrieben, ein glühender Wilkerson-Anhänger, der sagte: „Was fällt dir eigentlich ein? Hast du denn so viele Leute zum Glauben geführt wie David Wilkerson? Du müsstest eigentlich schweigen.“ Gut, jeder kann mal etwas sagen, was nicht stimmt.
Nur das Problem ist: Jeder muss sich korrigieren lassen, egal wie geistlich du bist und was Gott durch dich bewirkt.
Was wollte ich jetzt eigentlich sagen? Ach ja, Mitarbeiter – genau das war der Punkt.
Mitarbeiter heißt auch, denjenigen, die leiten, Korrektur zu geben. Das heißt: Einer, der Pastor ist oder auslegt, muss nicht immer Recht haben, sondern muss sich genauso Korrektur aussetzen.
Häufig tendieren Pastoren und Gemeindeleiter dazu, resistent gegen Kritik zu werden. Sie sehen das als Ärgernis an und hätten am liebsten eine Gemeinde, die schweigt, mitgeht und tut, was sie sagt und denkt.
Aber eigentlich ist das schlecht. Wenn du Verantwortung in der Gemeinde hast, bist du jemand, der Kritik äußert, nicht als Ruhestörer, sondern als jemand, der seine Verantwortung ernst nimmt – wenn es aus geistlichen Motiven geschieht und nicht aus Eigensucht.
Dann will ich noch zum Ende hier auf zwei Punkte zu sprechen kommen: „Mich das Evangelium zu verteidigen und zu bekräftigen.“
Hier steht „Apologisten“, das ist das Wort „Apologie“, das dahintersteht, heißt Verteidigen.
Er will in seiner Gefangenschaft das Evangelium verteidigen.
Hier wird unsere Verantwortung herausgehoben. Wir können uns nicht nur darauf verlassen, dass Gott alles in der Hand hat und es schon macht. Das ist eine Wahrheit.
Die andere Wahrheit ist: Du musst dich anstrengen, indem du das Evangelium verteidigst.
Unter Apologetik verstehen wir heute – und das war damals auch so – die verstandesmäßige Begründung und Rechtfertigung geistlicher Inhalte, das Sammeln von Argumenten für den Glauben, um Menschen, die den Glauben angreifen, auch verstandesmäßig etwas entgegenhalten zu können.
Das heißt, den Verstand anzusprechen, Gründe für den Glauben, für die Wahrheit des christlichen Glaubens zu sammeln.
Apologetik ist damit auch das Lukasevangelium, wo Lukas am Anfang schreibt: „Ich bin dem ganz genau nachgegangen, und du kannst mir vertrauen, was ich von Jesus schreibe, das hat sich wirklich so verhalten.“ Das ist Apologetik.
Wir sind heute umso mehr herausgefordert, uns auch apologetisch vorzubereiten, weil immer mehr Menschen um uns herum den christlichen Glauben grundsätzlich in Frage stellen.
Das heißt nicht unbedingt, dass sie nicht glauben wollen, sondern sie meinen, nicht glauben zu können, weil sie so und so viele Ideen im Kopf haben.
Gestern habe ich von der reformierten Presseagentur eine E-Mail bekommen, eine Umfrage in der Schweiz unter reformierten Gläubigen. Nur 34 Prozent der reformierten Gläubigen in der Schweiz glauben, dass Jesus ledig war. 46 Prozent glauben, dass er mit Maria Magdalena verheiratet war.
Ich kann euch fragen: Woher wissen die das? Steht das in der Bibel? Nein, das wissen sie von Dan Brown, von „Sakrileg“ und so.
46 Prozent der Schweizer Reformierten.
Da merken wir, da brauchen wir Apologetik.
Letztendlich ist nicht so entscheidend, ob Jesus verheiratet war oder nicht, aber das trifft viele andere Sachen zu.
Das ist eine punktuelle Erfahrung von gestern, die zeigt, dass es Verteidigung des Glaubens braucht.
Wenn wir den Glauben verteidigen, müssen wir erst einmal die Grundlage unseres Glaubens richtig gut kennen, also die Bibel gut kennen, um uns verteidigen zu können.
Wir sind auch herausgefordert, uns immer mehr mit den Angriffen von außen auseinanderzusetzen.
Ein Angriff in der Wissenschaft ist im Moment die Hirnforschung.
In der Hirnforschung wird immer mehr die Bibel in Frage gestellt, weil gesagt wird: Du hast eigentlich gar keinen freien Willen, sondern alles ist bloße Hirnphysiologie, biochemische Prozesse im Gehirn, elektronische Impulse, die von Neuronen ausgetauscht werden und darüber entscheiden, was du tust, welche Vorlieben du hast, welche Entscheidungen du triffst.
Es wurde festgestellt, dass, wenn bestimmte Hirnzonen gereizt werden, Menschen religiöse Visionen und Vorstellungen haben.
Dann sagt man, alle religiösen Vorstellungen hängen bloß damit zusammen, dass du bestimmte Hirnzonen reizt.
Das heißt, wenn du eine Vision wie Paulus haben willst, kannst du dich demnächst in eine Praxis begeben, ein paar Elektroden ans Gehirn angeschlossen bekommen, und plötzlich siehst du den Himmel vor dir.
Das ist einerseits naturwissenschaftliche Wahrheit, andererseits aber auch ein Angriff auf den Glauben.
Vielleicht habt ihr den „Spiegel“ gelesen, ich glaube vor eineinhalb Monaten. Das Titelthema war „Naturwissenschaft ohne Gott“ oder „gegen Gott“ oder so ähnlich.
Da wurde gesagt, dass es einen Zusammenschluss international führender Naturwissenschaftler gibt, die einen Kreuzzug gegen die Religion, insbesondere gegen den christlichen Glauben, führen.
Sie sagen: Religion schadet dem Menschen, die Wissenschaft hilft dem Menschen, der Mensch muss sich endlich befreien von den Fesseln der Religion.
Wir merken, wir sind in einer Apologetik, in einer Auseinandersetzung.
Wir dürfen uns nicht nur vergraben in christlichen Kreisen, mit christlichen Argumenten austauschen.
Wir müssen sehen, es gibt einen Kampf und eine Auseinandersetzung.
Das sieht Paulus hier auch, indem er sagt: Ich und ihr betreiben Verteidigung des Evangeliums, Apologetik – das ist das griechische Wort, was dahinter steht.
Was noch dabei ist, ist die Bekräftigung.
Bekräftigung ist mehr das, was nach innen geht. Bekräftigung brauchen wir, indem wir uns vergewissern: Ja, der Glaube ist wahr, indem wir uns ermutigen.
Apologetik ist das, was sich nach außen richtet, die Auseinandersetzung nach außen.
Denkt daran, es ist doch ein paar Tage her, als – ich weiß nicht, ob es CTF war – da war wieder eine Sendung über Fundamentalisten, irgendwie „die Hardliner des Herrn“ oder so ähnlich hieß das.
Wieder kam das Thema auf, natürlich ausschließlich negativ: Das sind die Gefährlichen, die die Gesellschaft in Frage stellen, gegen die man vorgehen muss.
Ihr wisst vielleicht noch vom Frühjahr dieses Jahres, da wurden christliche Schulen aufs Korn genommen.
Da sind doch noch welche so blöd, die lehren doch tatsächlich, Gott habe die Welt in sechs Tagen geschaffen und solche Sachen.
Da merken wir, wir sind in einer Auseinandersetzung.
Unterschätzt nicht, dass ihr meint, es sei alles so fromm und christlich und der Staat akzeptiere alles. Nein, wir sind auch hier in Auseinandersetzung.
Das sieht Paulus damals, und wir müssen Apologetik betreiben: nach innen Festigung, nach außen Apologetik.
Hier mache ich für heute Schluss.
Schlussgebet und Bitte um Begleitung
Ich bete gerade noch mit euch. Vater im Himmel, wir danken dir für diese Verse im Philippabrief.
Wir möchten dich bitten, dass du uns an diesem Tag begleitest und uns erwägen lässt, was für jeden Einzelnen von uns zutreffend ist. Hilf uns zu erkennen, wie es bei jedem von uns aussieht – mit unserer Dankbarkeit im Leben und wie wir mit Problemen umgehen. Lass uns daraus lernen, wie wir mit Gebet umgehen und wie wir unsere Beziehung zu anderen Geschwistern gestalten.
Ich möchte dich bitten, dass du uns aufmerksam machst auf die Liebe zueinander und auf die Verbindung untereinander, so wie Paulus sie betont. Lass uns auch Dank sagen können für unsere Geschwister, die du an unsere Seite gestellt hast, auch wenn sie uns manchmal ärgern.
Ich bitte dich außerdem, dass du uns hilfst, das, was du uns im Glauben anvertraut hast, klar zu sehen. Hilf uns zu verstehen, dass du dahinterstehst und dass es nicht unsere Leistung ist. Gleichzeitig gib uns die Aufgabe, diesen Glauben zu verteidigen – nach außen und nach innen.
Schenke uns die richtigen Argumente, führe uns im Heiligen Geist, gib uns die passenden Bücher in die Hand und die richtigen Menschen, die uns beraten können. Stärke uns, damit wir zu deinem Wort und zu den Glaubensaussagen stehen können.
Hilf uns auch, anderen aktiv zu helfen, das zu verstehen und zu akzeptieren. Amen.