
Juda – ein echter Anführer
Einen wunderschönen guten Morgen, schön, dass ihr da seid. Ich freue mich, euch zu sehen. Ebenso freue ich mich, dass wir Gäste unter uns haben.
Für euch ganz kurz zum Ablauf: Unser Gottesdienst heute besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden wir die Predigt von Sebastian hören. Außerdem werden wir Judah kennenlernen, einen echten Anführer. Parallel dazu findet die Kinderstunde statt.
Im zweiten Teil wollen wir dann gemeinsam das Brot brechen, das Abendmahl feiern und zum Gebet kommen.
Die Herausforderung der Zeit und Prioritäten setzen
Ja, sorry, ich habe keine Zeit. Ich muss noch dies tun, noch jenes erledigen, ein Projekt vorbereiten und habe so viele Termine. Ich weiß nicht, ob dir das bekannt vorkommt. Wir haben keine Zeit. Wir sind so beschäftigt, unsere To-do-Listen-App quillt über, unser Kalender auch.
Es ist wirklich ein Problem, dass wir keine Zeit haben, denn wir haben immer etwas zu tun. Wir müssen immer auf dem aktuellen Stand sein. Martin Luther hat einmal Folgendes gesagt: Er hat so viel Arbeit, dass er nicht auskommt, ohne täglich mindestens drei Stunden seiner besten Zeit dem Gebet zu widmen.
Luther hatte also vor 500 Jahren schon das Problem, das wir heute kennen: zu viel Arbeit und zu wenig Zeit. Aber welche Einstellung hatte Martin Luther? Er hatte die Einstellung, dass ihm seine Beziehung zu Jesus am wichtigsten ist. Er nahm sich Zeit für das Gebet, weil er wusste, dass das essenziell ist – dass das die Quelle von allem ist, was wir von Gott bekommen. Die Beziehung zwischen uns und unserem Herrn Jesus.
Ich habe mir in der Vorbereitung ein bisschen Gedanken gemacht und mich gefragt, was meine Prioritäten sind. Ich weiß nicht, wie es dir da geht. Was sind deine Prioritäten? Wie sieht es aus mit deiner Beziehung zu Jesus? Hast du auch so viele Aufgaben zu erledigen?
Ich meine nicht, dass ich persönlich ein Problem damit habe. Ich meine auch nicht, dass wir unsere To-do-Listen-App löschen oder den Kalender wegwerfen sollen, der vielleicht bei uns in der Küche hängt. Darum geht es mir nicht. Mir geht es darum, dass wir uns Gedanken machen: Was sind meine Prioritäten? Und ist meine Beziehung zu meinem Herrn noch in Ordnung?
Wenn du früh morgens aufwachst, was ist das Erste, an das du denkst? Und wenn du abends ins Bett gehst, was ist das Letzte, an das du denkst? All das, was dich im Alltag beschäftigt – hinterfrage dich: Wie wichtig ist das überhaupt?
Gottes Reich als oberste Priorität
Ich möchte ganz kurz in der Bibel nachschlagen und schlage dazu das Matthäusevangelium auf. In Matthäus Kapitel 6 ist bei mir die Überschrift „Falsche und wahre Frömmigkeit“.
Ich lese uns die Verse ab 31 vor, Matthäus 6,31: „Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was können wir trinken? Was sollen wir anziehen?“ Denn damit plagen sich die Menschen dieser Welt herum. Euer Vater weiß doch, dass ihr all das braucht.
Jetzt komme ich zu Vers 33, auf den ich hinaus möchte: „Euch soll es zuerst um Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit gehen, dann wird er euch alles Übrige dazugeben.“
Wir lesen also nicht, dass alles, was uns im Alltag beschäftigt, total unwichtig ist und dass wir es streichen oder aus unserem Leben verbannen müssen. Vielmehr geht es darum, die Frage zu stellen: Was kommt zuerst? Vers 33 sagt, es ist das Reich Gottes und Gottes Gerechtigkeit. Erst danach kommt alles andere, was dich in deinem Leben beschäftigt. Und Gott wird dann das Übrige dazugeben.
Gott hat aus Liebe seinen Sohn Jesus Christus gegeben, uns geschenkt. Er ist der Gott, der uns aus Liebe zu seinen Kindern gemacht hat. Das ist dieser Gott, den wir heute auch in der Predigt betrachten werden. In einem zweiten Teil werden wir ihn ebenfalls näher anbieten.
Gebet und Lobpreis zum Beginn des Gottesdienstes
Bevor wir das Lied „Vater, deine Liebe ist so unbegreiflich groß“ singen, möchte ich mit uns beten und euch bitten, aufzustehen.
Danke dir, Herr Jesus, für diesen neuen Tag, den du uns schenkst. Danke, dass wir diesen Tag gemeinsam erleben dürfen, dass wir hier sein dürfen, und danke, dass du mitten unter uns bist.
Ich möchte dich bitten, dass du uns, wie auch gerade eben, immer wieder herausforderst, uns Gedanken zu machen, wie unsere Beziehung zu dir aussieht. Ich möchte dich bitten, dass, wenn die Beziehung in den letzten Tagen oder Wochen gelitten hat, du uns vergibst und uns eine neue Beziehung zu dir schenkst.
Ich möchte dich bitten, dass dieser Gottesdienst auch dazu dienen darf, dass wir einfach Neustart machen mit der Beziehung zwischen dir und uns.
Danke für dein Wort heute Vormittag. Ich möchte bitten, dass du Sebastian ruhig machst und durch ihn zu uns sprichst. Ich möchte auch für die Kinderstunde beten, die parallel stattfindet. Bitte sprich zu den Kinderherzen und segne alle Mitarbeiter, die sich heute mit einbringen.
Ja, danke dir für diesen Tag. Amen!
Ihr dürft stehenbleiben, wir singen gemeinsam das Lied „Vater, deine Liebe ist so unbegreiflich groß“.
Doch machst du mich zu deinem Kind,
du schenkst mir deine Liebe jeden Tag,
du lässt mich nie im Stich,
denn Vater, du bist immer bei mir.
Herr, ich preise deinen heiligen Namen,
du bist König, du nur bist mein Herr und mein Gott.
Gott, Herr, preise deinen Heil! Amen.
Du bist Herr, du nur bist mein Herr und mein Gott.
Deine Liebe ist so unbegreiflich groß,
und ich weiß gar nicht, wie ich leben konnte ohne dich, oh Herr.
Doch machst du mich zu deinem Kind,
du schenkst mir deine Liebe jeden Tag,
du lässt mich nie im Stich,
denn Vater, du bist immer bei mir.
Herr, ich preise deinen Wunsch,
du bist mein Herr, ich preise deinen Heil und mein Gott,
Gott, unser Vater, der uns nie verlässt.
Ihr dürft euch wieder hinsetzen, danke für eure Geduld.
Ja, Gott, unser Vater, der uns niemals im Stich lässt, der bei uns ist, jeden Tag, auch heute, auch jetzt mitten unter uns ist und den wir heute anbeten dürfen.
Bevor Sebastian nach vorne kommt, wollen wir mit dem Kinderlied die Kinder noch verabschieden. Wir singen gemeinsam mit den Kindern „Mein Gott ist so groß“.
Mein Gott ist so groß, so stark und so mächtig,
unmöglich ist nichts meinem Gott.
Die Berge sind sein, die Flüsse sind sein,
die Sterne schuf alle der Herr.
Mein Gott ist so groß, so stark und so mächtig,
unmöglich ist nichts meinem Gott.
Mein Gott ist so groß, so stark und so mächtig,
unmöglich ist nichts meinem Gott.
Die Berge sind sein, die Flüsse sind sein,
die Sterne schuf alle der Herr.
Mein Gott ist so groß, so stark und so mächtig,
unmöglich ist nichts meinem Gott.
Sehnsucht nach guten Anführern in schwierigen Zeiten
Ja, schönen guten Morgen. Schön, dass ihr alle da seid, dass die Sonne lacht und uns hier einheizt. Mir ist jedenfalls richtig warm, ich hoffe euch auch. Ich hoffe, das führt jetzt nicht dazu, dass ihr wegdämmert, denn ich möchte euch heute Morgen ein bisschen herausfordern.
Ich möchte gleich zu Beginn eine These in den Raum stellen: Umso schlimmer die Zeiten, umso größer die Sehnsucht nach einem guten Anführer oder Leiter.
Eine zweite These, die genau in dieselbe Richtung geht, lautet: Umso schlechter und schlimmer die Anführer und Leiter, umso größer die Sehnsucht nach einem wirklich Guten.
Vielleicht hält der eine oder andere noch an der Illusion fest, dass es ohne Anführer am besten läuft. Wer das glaubt, dem empfehle ich die Lektüre des Richterbuches. Dort kann man gut nachvollziehen, dass das nicht funktioniert. Aber diese Sehnsucht nach guten Leitern ist definitiv da.
Daraus könnte man direkt die Frage anschließen: Was macht so einen guten Anführer oder Leiter aus? Nach welchen Eigenschaften sollte man Ausschau halten?
Um ehrlich zu sein, wäre meine eigene Sehnsucht ziemlich groß nach einem halbwegs passablen Chef. Vielleicht geht es dem einen oder anderen ähnlich. Aber es ist ziemlich einfach, über andere zu sprechen.
Jetzt stehe ich hier, gewollt oder ungewollt, in der Situation, andere führen zu müssen oder zu dürfen – je nachdem, wie man das sehen mag. Das beginnt in der Familie, wenn man Familie hat. Es gilt für Ehen, für Gemeinden, und bei mir ganz speziell auch für die Gemeinde. Vielleicht trifft es auch auf den Job oder andere Bereiche zu.
Die Frage, die ich mir immer wieder stelle und mit der ich ringe, ist: Wie macht man das richtig? Worauf kommt es an?
Ich bin mir sicher, dass die meisten von euch auch Sehnsucht nach einem relativ guten Leiter haben. Aber ich behaupte, dass auch diejenigen, die sich gerade noch nicht angesprochen fühlen, irgendwann in Situationen kommen, in denen sie leiden. Das kann auf Arbeit, Familie oder Gemeinde zutreffen, aber ich glaube, es gibt noch viel mehr Bereiche.
Viele von euch haben vielleicht im Freundeskreis schon einmal den Hut aufgesetzt und ein bisschen angegeben, wo die Richtung hingeht – ohne es bewusst zu machen – und haben dadurch andere geprägt.
Vielleicht bist du Mutter zu Hause und erziehst deine Kinder. Glückwunsch, du bist betroffen, denn du leitest und führst an. Vielleicht machst du Kinderstunde, Jungschau oder Ähnliches in der Gemeinde. Auch da prägst du andere, du leitest und führst an.
Und die Frage bleibt: Wie kannst du Leiterschaft im Sinne Gottes gut leben? Wie kannst du jemand sein, der gut führt?
Ihr werdet merken, ich werde heute ein bisschen mit den Begriffen ringen, weil das Wort „Leiter“ in Deutschland ziemlich verbrannt ist. Deshalb werde ich eher von Anführern oder Leitern sprechen. Es geht dabei eigentlich um jemanden, der andere Menschen führt, der vorangeht und die Richtung vorgibt.
Was macht so jemanden aus? Ist es ein schickes Aussehen, ein charismatisches Auftreten, die Fähigkeit gut zu reden? Heutzutage ist es vielleicht nicht mehr die laute Stimme, die voranpoltert und sagt: „So ist es!“, sondern eher der, der zuhören kann, sich hineinversetzen kann, liebevoll ist und sich nach möglichst vielen ausrichtet.
Das mag variieren. Oder ist es mehr?
Ich habe mich entschieden, doch noch einmal über Juda zu sprechen. Zuerst hatte ich gedacht, ich lasse das, weil ich eigentlich dachte, ich sei mit den Patriarchen durch. Aber ich glaube, wenn wir über die Patriarchen reden und Juda ausklammern – was sehr schnell passiert, weil er in der Josef-Geschichte ein bisschen untergeht –, dann vermissen wir einen ganz großen Punkt.
Judah als Leitfigur in der Josefsgeschichte
Und wie komme ich von Juda auf das Thema Leidenschaft, auf das Thema Anführer? In der Josef-Geschichte steckt eine wichtige Frage mit im Hintergrund, und zwar: Wer wird von all diesen Brüdern derjenige sein, der die Richtung vorgibt? Wer hält die Gruppe – ich nenne sie mal so – im wahrsten Sinne des Wortes zusammen und schaut, wohin die Reise geht?
Wir werden sehen, dass es von Anfang an Juda ist. Allerdings ist Juda noch lange kein guter Leiter. Er ist derjenige, der, obwohl er nicht der Erstgeborene ist – das wäre Ruben –, am Ende auch derjenige sein wird, der den Erstgeburtssegen erhält und auf den die ganzen Verheißungslinien in der gesamten Geschichte des ersten Buches Mose weiterlaufen.
Wer die Josef-Geschichte nicht mehr ganz im Kopf hat, dem empfehle ich, sie zu Hause nachzulesen. Dann wird die Predigt an der einen oder anderen Stelle vielleicht verständlicher. Diese Geschichte ist der Hintergrund für das ganze Ereignis, das passiert.
Ganz grob zusammengefasst: Josef ist das Lieblingskind seines Vaters. Er hat noch elf andere Brüder, die ihm ziemlich neidisch sind, weil er eben das Lieblingskind ist. Sie wollen ihn umbringen, verkaufen ihn aber dann als Sklaven nach Ägypten. Dort lebt er Höhen und Tiefen durch, wird schließlich aber zweitwichtigster Mann in Ägypten hinter dem Pharao. Er bewahrt das damalige Weltreich vor einer Hungersnot. Seine Brüder kommen zu ihm, um Getreide zu kaufen. Er lässt sich zunächst nicht erkennen und prüft sie, um zu sehen, ob sich etwas verändert hat. Das geht gut aus, und am Ende ist die ganze Familie wieder vereint und gerettet.
Das ist die Josef-Geschichte in aller Kürze. Juda spielt darin eine ziemlich wichtige Nebenrolle. Er ist die entscheidende Führungsperson unter den Brüdern. Auf ihn wird gehört – das taucht mehrfach in der ganzen Geschichte auf. Ihr könnt mal beobachten, wie das gemacht wird.
Ruben, der Erstgeborene, versucht es immer wieder, aber die anderen reagieren an mehreren Stellen nicht auf ihn. Das mag daran liegen, dass er als junger Mann die Nebenfrau seines Vaters genommen und mit ihr geschlafen hat. Dadurch hat er seine Stellung vielleicht verbrannt. Das spiegelt sich auch in dem Segen oder Fluch wider, den sein Vater am Ende seines Lebens über ihn ausspricht.
Das ist das tragische Schicksal von Ruben. Um ihn soll es aber nicht gehen. Wir wollen uns anschauen, wie Juda am Anfang als Anführer auftritt und wie Gott ihn dann zu einem guten Anführer macht.
Judahs erster Führungsakt und seine Motive
Die erste Szene, in die wir eintauchen, zeigt die Situation, in der die Brüder neidisch auf Josef sind. Josef kommt zu ihnen aufs Feld. Das ist jedoch nicht einfach nur um die Ecke im Dorf, sondern wahrscheinlich einige Tagesreisen entfernt, wo die Brüder mit der Herde unterwegs sind. Sie wurden von ihrem Vater geschickt, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist.
Die Brüder sagen sich: Das ist der Moment, in dem wir ihn endlich loswerden können. Sie wollen ihn töten. Doch da sie sich noch nicht genau darüber im Klaren sind, wie sie es anstellen sollen, stecken sie ihn zunächst in eine Zisterne. Diese Zisterne ist ein Wasserloch, aus dem er nicht herauskommt. Während sie überlegen, hat Ruben die Idee, Josef heimlich nachts zu retten und zu befreien. Ruben ist jedoch gerade unterwegs.
Nun kommt Juda ins Spiel. Das lesen wir in 1. Mose 37,26. Hier sehen wir, dass Rubens Idee scheitert, während die von Juda gelingt. Ob das eine gute Lösung ist, werden wir gleich sehen. In 1. Mose 37,26 steigen wir mitten in die Situation ein: Josef ist in der Zisterne, seine Brüder sitzen außen herum, und Juda spricht.
Da sagte Juda zu seinen Brüdern: „Was hilft es uns, wenn wir unseren Bruder töten und sein Blut verbergen? Kommt, lasst uns ihn den Ismailitern verkaufen!“ Denn gerade in diesem Moment zieht eine Karawane von Ismailitern vorbei. So können sie sich die Hände nicht an ihm schmutzig machen, denn er ist ihr Bruder, ihr Fleisch und Blut. Die Brüder gehorchten ihm.
Als die midianitischen Kaufleute vorüberkamen, zogen sie Josef aus der Grube heraus und verkauften ihn für zwanzig Silberstücke an die Ismailiter. Diese brachten ihn nach Ägypten.
Das Erste, was man sich hier fragen könnte, ist, ob das, was Juda tut, positiv ist. Immerhin verhindert er, dass Josef getötet wird. Doch wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass Juda sich nicht die Hände schmutzig machen will. Er möchte keinen Mord auf sich laden. Er scheint eine höhere Hemmschwelle zu haben als seine Brüder.
Zudem ist Juda ziemlich geschäftstüchtig. Er denkt, dass sie mehr davon haben, wenn sie Josef als Sklaven verkaufen. Zwanzig Silberstücke mögen erst einmal wenig klingen, vielleicht wie zwanzig Euro. Tatsächlich entsprechen sie jedoch etwa einem Zweijahresgehalt. Auch wenn man das Geld mit mehreren Leuten teilt, hat man dadurch einen erheblichen Gewinn.
Juda spielt hier seine Macht aus, indem er geschäftstüchtig handelt. Das erinnert an typische Machtmenschen unserer Zeit, die sich durchsetzen und radikal auf Gewinn aus sind. Dabei steht ihr persönlicher Vorteil an erster Stelle. Sie wollen sich keine unnötige Schuld aufladen, sind aber bereit, für den Gewinn Grenzen zu überschreiten.
Mord muss nicht unbedingt sein, aber jemanden als Sklaven zu verkaufen, ist akzeptabel. So nimmt man eben noch ein paar Euro mit – das erscheint ihnen ganz nett und positiv.
Empathie gegenüber Josef ist völlig fehl am Platz. Mitleid oder Fürsorge gibt es kaum. Judas Fürsorge gilt vor allem einer Person – und das ist vermutlich er selbst. Das wird noch deutlicher, wenn wir weiter lesen.
Wer kennt das nicht heute: Menschen, egal ob im Geschäftsleben, in der Politik oder anderswo, die bestechlich sind und nur ihren eigenen Vorteil suchen. Väter oder Mütter, die ihre Familien verlassen, um das vermeintlich große Glück zu finden, und dabei nur an sich selbst denken.
Führungskräfte in Unternehmen, die ihren eigenen Vorteil suchen und vor allem in die eigene Tasche wirtschaften. Vielleicht hast du das schon erlebt, dass Manager alle zwei Jahre den Posten wechseln müssen, damit ihre Karriere nicht stagniert. Dabei achten sie meist darauf, dass diese zwei Jahre möglichst gut für ihre Karriere laufen – nicht unbedingt für das Unternehmen.
Wie ist es vielleicht bei dir? Kennst du das auch, dass deine Fürsorge in erster Linie dir selbst gilt? Dass du darauf achtest, dass du etwas davon hast? Dass du Menschen, die du führen solltest, vor allem so leitest, dass sie deinem Zweck dienen?
Das kann in der Familie passieren, wenn man andere missbraucht. Es kann auf der Arbeit stark vorkommen, ebenso in Gemeinden oder sogar im Freundeskreis. Dort manipuliert und lenkt man andere so, dass es einem selbst gut tut und am Ende das herauskommt, was man will.
Bei Juda war das erst der Anfang einer Abwärtsspirale, mit der er führt und leitet.
Judas persönliche Krise und Fehlentscheidungen
Das Kapitel 38 ist ein Einschub in der Josef-Geschichte und beschäftigt sich ausschließlich mit Juda. Eigentlich müsste man das ganze Kapitel lesen, doch die Zeit erlaubt das nicht. Wir schauen uns daher einige wichtige Ereignisse daraus an.
Die ersten zwei Verse in Kapitel 38 zeigen, wie Juda erneut Führung für sein Leben übernimmt. Das, was er tut, klingt zunächst harmlos, doch dahinter steckt einiges. Es heißt dort: „Es begab sich um die Zeit, dass Juda von seinen Brüdern hinabzog und sich zu einem Mann aus Adullam namens Hira gesellte. Juda sah dort die Tochter eines Kanaaniters namens Heschua und nahm sie zur Frau.“
Was Juda hier tut, ist, dass er seine Familie verlässt und sich den Feinden seiner Familie, den Kanaaniter, anschließt. Er wendet sich von seinem Vater Jakob ab, zeigt ihm die kalte Schulter und hängt sich an Hira. Ob Hira ein guter Kumpan von ihm war, ist unklar. Wenn man das Kapitel 38 weiterliest, sieht man, dass die beiden einiges gemeinsam unternehmen. Ob Juda sich dadurch großes Glück erhoffte, bleibt offen.
Juda geht also seinen eigenen Weg. Das führt dazu, dass er eine Beziehung mit einer Kanaaniterin eingeht. Wenn man sich die Linie in der Genesis anschaut, ist das absolut nicht akzeptabel. Abraham schickte seinen Knecht extra weg, um für Isaak eine Frau zu suchen, die nicht von den Kanaaniter stammt. Auch Isaak schickte Jakob weg, weil er mit seinem Bruder eine schlechte Erfahrung gemacht hatte. So sollte Jakob eine Frau außerhalb der Kanaaniter finden. Juda aber rebelliert und macht genau das Gegenteil.
Aus dieser Verbindung bekommt Juda drei Söhne. Der erste stirbt, weil er gegen Gott lebt. Zu der damaligen Zeit war das noch nicht im Gesetz festgeschrieben, das wurde erst später am Sinai festgelegt. Doch damals war es im Volk Israel üblich, dass eine Schwagerehe vollzogen wird. Das bedeutet, dass ein Bruder die Frau seines verstorbenen Bruders heiraten muss, um Nachkommen für diesen Bruder zu zeugen. Es ging dabei sozusagen um eine Art Rentenversicherung.
Juda gibt daraufhin Onan die Tama zur Frau. Onan ist jedoch schlau. Er weiß, dass die Nachkommen von Tama nicht seine Erben wären, sondern die seines verstorbenen Bruders. Aus diesem Grund verweigert er die Zeugung von Kindern mit Tama, was man heute als natürliche Verhütung bezeichnen würde. Onan handelt egoistisch, doch das gefällt Gott nicht. Er stirbt ebenfalls.
Nun wird Juda nervös, denn er hat noch einen dritten Sohn, Schela. Diesen will er Tama aber nicht zur Frau geben, mit der Begründung, Schela sei noch zu jung. Nach einigen Jahren merkt Tama, dass sie hingehalten wird. Schela ist inzwischen alt genug, doch Juda gibt ihn ihr nicht.
Daraufhin tut Tama etwas ziemlich Verrücktes, das nicht unbedingt gut ist. Sie verkleidet sich als Prostituierte und setzt sich an den Wegesrand. Inzwischen ist Judas erste Frau gestorben. Juda läuft vorbei und hat nichts Besseres zu tun, als mit der vermeintlichen Prostituierten ein Schäferstündchen zu haben. Er hinterlässt seinen Siegelring und seinen Stab als Pfand. Eigentlich sollte er einen Schafbock bringen, schickt aber seinen Kumpel Hira los. Das zeigt, dass Hira offenbar ein enger Vertrauter ist.
Hira findet die Frau jedoch nicht, denn Tama ist verschwunden. Warum Juda sie nicht erkennt, liegt daran, dass Prostituierte damals wohl verschleiert waren.
Nach einiger Zeit lesen wir wieder in Kapitel 38, genauer gesagt ab Vers 24: „Nach drei Monaten wurde Juda angesagt: Deine Schwiegertochter Tama hat Hurerei getrieben und ist schwanger geworden.“ Juda befiehlt, sie hinauszuführen, damit sie verbrannt wird. Doch als man sie hinausführt, schickt sie eine Nachricht an ihren Schwiegervater und sagt: „Von dem Mann bin ich schwanger, dem dies gehört.“ Sie zeigt die Siegel, die Schnur und den Stab.
Juda erkennt sie und sagt: „Sie ist gerechter als ich, denn ich habe meinem Sohn Schela nicht gegeben.“
Judas Führung seiner Familie geht weiter, indem er zu einer Prostituierten geht. Danach wird sie schwanger, und er ist selbstsicher und selbstgerecht. Ohne sie anzuhören, verurteilt er sie zum Tod durch Verbrennen. Doch das Blatt wendet sich schnell. Dort, wo Juda dachte, er könne richten und gerecht sein, ist er selbst schuldig.
Judas Weg endet in Sünde mit Tama und in Selbstgerechtigkeit. Ich habe mich dabei an heutige Leiter erinnert gefühlt, die oft hohe Maßstäbe anlegen, an denen sie selbst scheitern. Unter Gleichen sind manche gleicher als andere. Das gilt für alle politischen Richtungen – ob Liberale, Linke oder Konservative, wie zuletzt etwa die Freiheitlichen in Österreich.
Man richtet andere, steht aber selbst genauso ungerecht da. Juda passt unheimlich gut in dieses Bild. Ein Kennzeichen vieler Leiter ist, dass sie schnell über andere urteilen. Vielleicht ist das das größte Problem hinter Judas Führung. Er lenkt seine Familie in große Tiefen, weil er nur sich selbst gegenüber verantwortlich ist. Er kennt niemanden über sich, meint, er sei der Nabel der Welt.
Mit dem, was er bis zu diesem Punkt lenkt, fährt er sein eigenes Leben und das seiner Familie völlig gegen die Wand. Die Dramatik der Situation ist kaum zu übersehen: Ein Bruder wurde in die Sklaverei verkauft, Juda hat seine Familie verlassen und sich den schlimmsten Feinden angeschlossen. Zwei seiner Söhne starben, weil Gott ein radikales Urteil über sie sprach. Seine Frau ist tot, und er hat Hurerei mit seiner Schwiegertochter begangen – Inzest. Er steht völlig blamiert da.
Das ist das Ergebnis von Judas Führung. Er hat seine Brüder geleitet, dann seine Nachkommen in Richtung Kanaan geführt und Kinder mit einer Kanaaniterin bekommen. Alles ist ins Verderben geraten. Er dachte, er wäre der schlaue Hund, der den Schela vor Tama schützt, bringt aber die Familie erst richtig in Schwierigkeiten.
Ganz ehrlich: Das ist häufig das Ergebnis von Führung heute – verbrannte Erde. Viele tun das. Man kann Politiker im Hinterkopf behalten, aber auch sich selbst. Verbrannte Erde.
Ich glaube, dass eine große Abneigung gegen Autorität in unserer Gesellschaft auch daher rührt, dass wir erleben, wohin autoritäre Führung führen kann – wie bei Juda ins Chaos. Keine Autorität ist aber auch keine Lösung, wie man im Richterbuch sieht.
Spannend ist, was Jesaja über das Gericht über Babel verheißt. Viele deuten es als Beschreibung des Falls Satans. Das lasse ich offen, aber was dort beschrieben wird, zeigt den Kern der Sünde eines, der führen will. In Jesaja 14,12-15 heißt es:
„Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst! Du aber dachtest in deinem Herzen: ‚Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen. Ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden. Ich will auffahren über die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten.‘ Ja, hinunter zu den Toten führst du zur tiefsten Grube.“
Diese Verse beschreiben das hohe Ansinnen von jemandem, der groß werden will. Zwar wird der König von Babel beschrieben, doch manche sehen darin mehr. Jemand wollte ganz groß werden und alles erreichen. Das Ende ist die tiefste Tiefe, hinab zu den Toten.
Judas Leben zeigt bis zu diesem Punkt genau das. Er dachte, er wüsste, wo es besser läuft – bei den Kanaaniter. Er dachte, dort führt er hin, doch er ging ins tiefste Chaos.
Was in Jesaja beschrieben wird und sicher auch bei Juda dahintersteht, ist, dass jemand sich als letzte Autorität sieht und die höchste Position anstrebt. Das führt ins Unglück, weil sich alles um die eigene Person dreht. Das ist nicht immer sofort für andere sichtbar, manchmal erkennt man es selbst spät – oder erst, wenn man in der tiefen Grube sitzt.
Warum ist das so? Juda macht deutlich, dass man seinem eigenen Anspruch an andere nicht gerecht wird, wenn man an sich selbst hängt. Man ist nicht der tolle Hecht, der alles richtig macht, wie man meint.
Das ist typisch für Machtmenschen: Sie halten sich für unfehlbar, erkennen eigene Schwächen und Sünden nicht oder wollen sie nicht erkennen. Andere dürfen sie selten darauf hinweisen. Doch genau diese Fehler und Sünden bringen einen ins Unglück und zum Absturz.
Ein klassisches Beispiel: Wer nicht hören will, muss fühlen. Juda reißt andere mit. Er braucht es, bis er erkennt, dass er selbst schuldig ist.
Römer 2,1 beschreibt das ähnlich: „Darum, oh Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst, weil du dasselbe tust.“
Die Situation von Juda könnte kaum besser beschrieben werden. Sein Gerichtsurteil über Tama, das er ausspricht, fällt auf ihn selbst zurück. Er verlangt, dass sie verbrannt wird, doch am Ende steht er da, mit der Sünde, die sie begangen hat. Die Ironie der Geschichte zeigt, wie Gott ihnen den Spiegel vorhält.
Der Wendepunkt in Judas Leben
Aber jetzt kommt der entscheidende Punkt: Durch die ganze Geschichte lässt Gott Judah aufwachen. Da bin ich total überzeugt davon. Das macht dieser letzte Vers deutlich, in dem Judah sagt: „Sie ist gerechter als ich, denn ich habe sie meinem Sohn vorenthalten.“
Ich denke, er hat durchaus den Blick – auch wenn es nicht ausdrücklich steht – dass er selbst mitschuldig geworden ist an ihr. Er erkennt seine eigene Sünde und bekommt einen Blick dafür, dass er wahrscheinlich nicht der Nabel der Welt ist.
Warum glaube ich das? Weil er sagt: „Sie ist gerechter als ich.“ War es okay, was Tamar getan hat? Ich denke nicht. Es war eine Verzweiflungstat, aber keine unbedingt gute. Doch Judah erkennt, dass er mindestens genauso viel Schuld trägt.
Der biblische Bericht erzählt uns gar nicht so viel darüber, was alles bei Judah passiert. Ob es eine richtige Bekehrung oder Ähnliches ist – das ist in der alttestamentlichen Zeit ohnehin schwer zu erkennen. Es spricht aber viel dafür, dass Judah genau hier zerbricht. Dieses Kapitel 38 ist irgendwie so zentral eingeschoben in die Josef-Geschichte, und Judah tritt danach völlig anders auf, wie wir gleich sehen werden.
Ich behaupte, dass Judah in diesem Moment einen Richter über sein Leben erkennt – eine andere Autorität, der er gegenüber Rechenschaft ablegen muss.
Vielleicht ist es auch für dich an der Zeit, aufzuwachen. Wenn du dich vielleicht für den Nabel der Welt hältst, wenn du denkst: „Lass mich mal in die Politik, dann wird die Sache schon laufen.“, oder: „Lass mich in der Gemeinde ans Ruder, dann kriegen wir den Haufen schon ans Laufen.“ Vielleicht denkst du auch manchmal: „Wenn ich an der Stelle meines Vaters wäre, hätte ich bessere Entscheidungen für die Familie getroffen.“ Oder: „Wenn ich an der Stelle meines Mannes wäre, würde das besser laufen.“ Vielleicht denkst du als Mann: „Wenn ich mehr Zeit für die Kinder hätte, könnte ich sie besser erziehen.“
Vielleicht musst du aufwachen und erkennen, dass du nicht der Superman bist, für den du dich hältst. Vielleicht musst du dich als jemanden erkennen, dessen Gerechtigkeit nicht ausreicht, um wirklich gut zu leiten, zu führen und das Leben in die richtige Richtung zu lenken.
Und vielleicht musst du anerkennen, dass da jemand über dein Leben ein Urteil spricht – und nicht du der letzte Richter bist.
Judah hat das, glaube ich, getan. Und es passiert jetzt eine Riesenveränderung. Bei allem, was wir danach sehen, ist Judah völlig anders unterwegs. Ich glaube, dass er etwas erfahren hat, nämlich Vergebung, Gnade, Veränderung und Neuanfang – etwas, das die Welt nicht kennt.
Eigentlich hätte er keine Autorität mehr. Aber wir sehen ab jetzt Judah wieder im Kreis seiner Familie, weiterhin als den, der die Richtung vorgibt und akzeptiert wird. Die hätten eigentlich allen Grund gehabt, ihn zu verbrennen und rauszuschmeißen.
Das erleben wir heute übrigens auch in aller Härte mit jemandem, der irgendwo versagt hat, wo wir nicht mehr bereit sind, zu vergeben und gnädig zu sein. Das erlebt man auch in der Politik, im Arbeitsleben, im Freundeskreis und Ähnlichem, wo wir Perfektion erwarten und alle daran scheitern.
Judah bekommt einen Neuanfang und lebt anders – übrigens wieder im Kontrast zu Ruben.
Judah übernimmt Verantwortung für seine Familie
Wir gehen in eine neue Szene, einige Jahre später. Es herrscht eine Hungersnot. Die Brüder waren bereits einmal in Ägypten, um Getreide zu kaufen, denn Ägypten hatte durch Josephs Vorsorge große Mengen Getreide angehäuft.
Sie mussten Simeon zurücklassen. Joseph hat sich nicht erkennen lassen und gesagt, dass sie beim nächsten Mal Benjamin, den jüngsten Bruder, mitbringen müssten. Benjamin hatte quasi die Position von Joseph als Lieblingssohn von Jakob übernommen. Jakob jedoch will sie nicht gehen lassen.
Im Kapitel 42 kann man nachlesen, dass die Lage offenbar wieder enger wird und die Familie erneut Not leidet. Ruben kommt zum Vater und schlägt vor: „Lass uns ziehen und Benjamin mitnehmen. Wenn ihm etwas passiert, sollen meine zwei Söhne als Bürgschaft für ihn einstehen.“ Doch Jakob lässt es nicht zu. Der Erstgeborene scheitert erneut mit seinen Vorschlägen, wie schon am Anfang.
Im Kapitel 43 bringt dann Juda einen ähnlichen Vorschlag. Er sagt, sie müssten jetzt ziehen. Das könnt ihr zuhause im Detail nachlesen, da die ganze Geschichte recht lang ist. Juda erklärt, er werde für Benjamin bürgen und dafür sorgen, dass Benjamin wieder zurückkommt.
Interessant ist, dass Juda nach der Situation mit Thamar wieder in seiner Familie ist, die er zuvor verlassen hatte. Er kümmert sich wieder um die Familie und übernimmt Verantwortung – allerdings ganz anders als zuvor. Er übernimmt die Bürgschaft für Benjamin und zeigt damit eine neue Haltung.
Die Brüder ziehen nach Ägypten und kommen zu Joseph. Joseph bewirtet sie sehr freundlich. Man kann sagen, sie verbringen eine gute Zeit miteinander. Joseph gibt ihnen ordentlich Nahrung mit nach Hause, Benjamin sogar deutlich mehr als den anderen.
Doch Joseph legt etwas in Benjamins Sack – den silbernen Trinkbecher, der auch ein Machtzeichen ist. Das geschieht wohl ganz bewusst, denn Benjamin ist jetzt wieder der Lieblingsbruder, was möglicherweise Neid hervorruft.
Die Brüder machen sich auf den Weg, doch Joseph schickt die Staatspolizei hinterher. Diese durchsuchen die Säcke und finden bei Benjamin den Becher. Alle werden zurück zu Joseph gebracht. Benjamin soll als Sklave bleiben.
Jetzt wird es spannend. Genau darauf hat Joseph wohl abgezielt: Wie reagieren die Brüder? Ihr werdet sehen, dass sie völlig anders reagieren als zuvor. Juda tritt als Repräsentant der Brüder auf und zeigt die Veränderung, indem er wieder das Heft in die Hand nimmt und die Führung übernimmt.
In 1. Mose 44,14 heißt es: „Und Juda ging mit seinen Brüdern in Josefs Haus, denn er war noch dort, und sie fielen vor ihm nieder auf die Erde.“ Der Autor schreibt hier bewusst, dass Juda vorausgeht und nicht einfach nur die Brüder Josephs Haus betreten.
Noch spannender wird es, als Joseph sagt, Benjamin solle als Strafe hierbleiben. Wie reagiert Juda darauf? In Vers 16 spricht Juda: „Was sollen wir meinem Herrn sagen, oder wie sollen wir reden? Womit können wir uns rechtfertigen? Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden. Siehe, wir sind alle Knechte, und der, bei dem der Becher gefunden ist, soll mein Sklave sein.“
Zunächst sagen die Brüder, sie würden alle als Sklaven bleiben. Doch Joseph antwortet: „Das sei fern von mir, dass alle bleiben sollen. Nur derjenige, bei dem der Becher gefunden ist, soll mein Sklave sein. Ihr aber zieht hinauf mit Frieden zu eurem Vater.“
Es folgt eine längere Rede von Juda, in der er schildert, was passieren würde, wenn Benjamin nicht zurückkehrt. In Vers 30 sagt er: „Wenn ich heimkomme zu deinem Knecht, meinem Vater, und der Knabe wäre nicht mit uns, an den er mit ganzer Seele hängt, so wird es geschehen, dass er stirbt. Wenn er sieht, dass der Knabe nicht da ist, so würden wir, deine Knechte, die grauen Haare deines Knechtes, unseres Vaters, mit Herzleid hinunter zu den Toten bringen.“
Literarisch ist das genial formuliert: Wenn Benjamin nicht zurückkommt, würde Jakob sterben, und sie würden die grauen Haare des Vaters mit ins Grab nehmen.
In Vers 32 sagt Juda weiter: „Denn ich, dein Knecht, bin Bürge geworden für den Knaben vor meinem Vater. Wenn ich nicht wieder bei ihm bin, will ich mein Leben lang die Schuld tragen.“
Und in Vers 33 zeigt sich die ganze Veränderung in Judas Leben: „Darum lass deinen Knecht hierbleiben als Bürge für den Knaben, und die Brüder sollen mit dem Knaben hinaufziehen.“
Juda übernimmt wieder die Führung, geht voran – aber diesmal nicht mehr zu seinem eigenen Vorteil. Er stellt sich vor seine Brüder, vor Benjamin und vor allem sorgt er sich um seinen Vater, den er zuvor verlassen und der er ins Gesicht geschlagen hatte, als er zu den Kanaanäern gezogen war.
Diese Sorge um seinen Vater ist in Judas Rede deutlich zu spüren. Er will ihn schonen und verhindern, dass Benjamin nicht zurückkehrt. Juda selbst tritt in die vermeintliche Schuld von Benjamin hinein.
Man darf nicht vergessen: Ich könnte mir vorstellen, dass Juda wirklich dachte, Benjamin hätte den Becher gestohlen. Woher hätte Benjamin wissen sollen, dass Joseph den Becher versteckt hat? Das weiß nur, wer die Geschichte kennt und liest. Aber Juda wusste das damals vermutlich nicht. Trotzdem ist er bereit, die Strafe für Benjamin auf sich zu nehmen, obwohl Benjamin vielleicht erst mal als Verbrecher galt.
Juda, der einst egoistische Leithammel, der in den Kapiteln zuvor seine eigenen Wünsche in den Vordergrund stellte, zeigt sich jetzt als jemand, der um seine eigene Schwäche weiß und deshalb Mitleid hat – mit Benjamin und anderen. Er führt, indem er dient.
Diese Haltung von Juda gibt Jesus in Markus 9,35 weiter. Dort streiten die Jünger darüber, wer der Erste sein will. Jesus sagt: „Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und aller Diener sein.“
An Judas Leben wird deutlich, was Jesus meint. Es geht nicht darum, dass es falsch ist, Führung zu übernehmen. Sowohl Jesus als auch Juda und andere im Neuen Testament zeigen, dass Führung wichtig ist.
Aber Jesus meint, dass bei der Führung nicht der eigene Vorteil oder die eigenen Interessen im Vordergrund stehen dürfen. Vielmehr sollen die Interessen der anderen und vor allem Gottes Willen an erster Stelle stehen.
Das kennzeichnet jemanden, der richtig führt: Er dient den anderen, sucht das Beste für sie und hat sie im Sinn.
Juda spricht sehr deutlich mit seinem Vater und ringt darum, dass Benjamin mitkommt. Das ist auch eine Form von Führung: zu sagen, wir müssen wieder nach Ägypten ziehen und Getreide kaufen, sonst verhungern wir.
Es wäre nicht gut gewesen, wenn Juda gesagt hätte: „Wir warten, bis Jakob selbst auf die Idee kommt.“ Er muss vorangehen.
Aber er tut es nicht mehr, um seine eigenen Ziele zu verfolgen, sondern um das Beste für die anderen zu suchen.
Die wahre Bedeutung von gutem Leiterschaftsdienst
Übrigens bedeutet das, das Beste für die anderen zu suchen, nicht zwingend, den Willen der Mehrheit zu entsprechen. Das ist vielleicht ein großes Missverständnis unserer heutigen Zeit. Es gibt ja genug Politiker, die genau das praktizieren. Vielleicht gibt es sogar jemanden hier im Süden, der das seit ein paar Jahrzehnten perfektioniert: zu schauen, wo die Mehrheit gerade steht und sich entsprechend hinzudrehen.
Das ist jedoch nicht gemeint. Vielmehr geht es darum, in Anbetracht einer höheren Autorität die Frage zu stellen, was das Beste für die Menschen ist, für die ich Verantwortung trage. Was ist das Beste jetzt für ihr Leben? Das kennzeichnet jemanden, der gut führt. Und das kann nur von Gott kommen. Es kann nur geschehen, wenn jemand eine letzte Autorität über sich anerkannt, verstanden und gesehen hat.
Nur dann hat er eine Richtschnur, um gut und weise zu entscheiden, was das Beste ist – ohne wie ein Fähnchen im Wind der Mehrheit hinterherzulaufen. Nur dann ist es möglich, ohne auf der anderen Seite seine eigenen Ziele, Wünsche und Ideen in den Vordergrund zu stellen.
Ich möchte die Frage stellen, ob du bereit bist, dienend zu führen – egal, wo du vorangehst, sei es in der Familie, im Freundeskreis, bei der Arbeit oder in der Gemeinde. Bist du bereit, mit dieser Haltung zu dienen, deine eigenen Interessen hintenanzustellen und zuerst die Interessen der anderen zu sehen?
Es geht nicht nur um große Dienste. Schon im Kleinen ist diese Frage relevant. Vielleicht scheint es manchmal verlockend, Ämter anzunehmen. Und ja, die Bibel spricht davon, dass es für Ältestendienste doppelte Ehre geben soll. Doch in erster Linie ist dieser Dienst – wie jeder andere Dienst und jede Führungsposition – etwas, das von dir die Bereitschaft fordert, dich selbst aufzugeben.
So wie Juda es am Ende tut, als Diener Allahs, der das Beste für die anderen sucht und in die Bresche springt – wie Juda es für Benjamin tut. Das ist mehr als nur ein einfacher Dienst, dahinter steckt noch viel mehr. Juda ist ein Bild für etwas Größeres, wie fast alles im 1. Mose. Das dürfen wir am Ende lesen, wenn Jakob Juda segnet in 1. Mose 49,8-12.
Davor sind Ruben und andere dran, und dann kommt Jakob zu Juda. Vorher hat er nicht immer viel Positives über ihn zu sagen, aber jetzt passiert etwas mit diesem Segen für Juda, wie er schon anfängt:
1. Mose 49,8: "Juda, du bist es! Dich werden deine Brüder preisen, deine Hand wird deinem Feind auf dem Nacken sein, vor dir werden sich die Söhne deines Vaters verneigen."
"Juda ist ein junger Löwe, du bist hochgekommen, mein Sohn vom Raube. Wie ein Löwe hat er sich hingelegt und wie ein Löwe liegt er da und wacht über die Steppe."
Das ist das Bild, das Jakob hier vor Augen hat – ein Löwe mit Mähne, der dominant ist und über sein Gebiet wacht. Wer will ihn stören?
"Das Zepter wird nicht von Juda weichen, noch der Herrscherstab von seinen Füßen, bis der Held kommt, und ihm werden die Völker anhangen. Er wird seinen Esel an den Weinstock binden und seine Eselstuten an die edlen Reben. Er wird sein Kleid in Wein waschen und seine Gewänder in Traubenblut. Seine Augen sind dunkel vor Wein, und seine Zähne weiß von Milch."
Jakob sieht im Sterben viel mehr, als was gerade ist. Er sieht, dass aus Juda Großes entstehen wird. Das wird schon deutlich während der Wüstenwanderung. Man muss sich mal die Dimension des Stammes Juda im Vergleich zu den anderen Stämmen anschauen – er ist viel dominanter.
Das wird noch deutlicher, wenn man sieht, dass die Königslinie aus Juda kommt, mit Leuten wie David, Salomo und anderen, die in dieser Tradition stehen als dienende Könige und Anführer, wie David für sein Volk als Vorbild. Es gibt auch andere positive Beispiele wie Josia.
Vor allem aber wird deutlich, dass dieser Held kommt, der wahre Anführer und dienende Führer seines Volkes ist – mehr als Juda, mehr als alle Könige Israels zusammen: Jesus. Dieser eine Bruder, der sich vor dem Vater verbirgt, um seine Brüder zu retten.
Er ist es, der die Strafe trägt, wie Juda sie für Benjamin bereit war zu tragen, damit wir leben können. Gerade in dieser Tat zeigt er, dass er der wahre Leiter und Anführer ist. Was im Leben von Juda bei Benjamin sichtbar ist, wo die reife Prüfung Judas liegt, sehen wir in Jesus Christus am Kreuz auf Golgatha.
Er ist das perfekte Bild dessen, was aufopferungsvoller Dienst bedeutet. Und er wird dieser Held, dieser wahre Anführer, nicht nur für die Stämme Israels sein, sondern für alle Völker, wie Jakob hier verheißt.
Durch diesen Bruder kann jeder von uns heute gerettet werden – wenn du es nicht bist, dann allein durch ihn. Ihn hatte Juda nötig, der erkennen musste, dass seine Gerechtigkeit nicht ausreicht. Und ihn braucht jeder von uns, der erkennen muss, dass seine eigene Gerechtigkeit nicht ausreicht, um irgendjemanden gut zu leiten oder zu führen.
Wir brauchen jemanden, der weg von uns selbst führt. Das kann nur passieren, und das können wir nur bekommen, wenn wir an diesen einen wahren König hängen, der sein Leben für uns gegeben hat. Nur wenn wir an ihn hängen und diese letzte Autorität anerkennen, dann bekommen wir die Kraft, so zu dienen, zu leiten und zu führen.
Das Schöne daran ist: In Jesus Christus werden alle Sehnsüchte dieser Welt nach einem guten Leiter erfüllt – eines Tages auch sichtbar für die ganze Welt. Diese Sehnsucht, die die Welt hat, die wir heute vielleicht wieder stärker wahrnehmen als vor dreißig Jahren, nach einem starken Mann, nach jemandem, der alles in Ordnung bringt, ist gut.
Warum? Weil sie uns zeigt, dass wir wirklich jemanden brauchen, der besser ist als alle Menschen, die hier Verantwortung tragen. Und die Bibel zeigt uns Jesus Christus. Er ist derjenige, der es schafft. Nur in ihm werden diese Sehnsüchte erfüllt.
Und nur die können führen, die sich selbst geführt wissen, weil sie an jemand anderen hängen. Die Frage, die heute an dich geht, ist, ob du erkennst, dass du ihn brauchst. Ob du erkennst, dass du nicht der tolle Hecht bist, für den du dich vielleicht hältst.
Deine Gerechtigkeit reicht nicht aus, um anderen wirklich gut voranzugehen. Aus dir selbst heraus sind deine Wünsche nicht die besten Ideen. Du musst dich an jemanden anderen hängen.
Wenn du das noch nicht erkannt hast, möchte ich dir Mut machen, dir das heute einzugestehen und diese Gerechtigkeit, die außerhalb von dir liegt, anzunehmen. Jesus Christus bietet sie an.
Hänge dein Leben an diesen einen wahren Leiter, an diese höchste Autorität. Nur dann kannst du wirklich dienen. Nur dann kannst du andere führen – gerade dort, wo du vorangehst und wo du es tust.
Mach es in dem Bild, das Juda uns hinterlässt, und wo Jesus uns das größere Bild hinterlassen hat: als jemand, der sich selbst aufgibt für diejenigen, die er zu führen hat, der das Beste sucht.
Einladung zur Selbstreflexion und Nachfolge
Konkret für die Woche: Denk vielleicht mal darüber nach, wo du Einfluss auf andere hast, wo du andere führst. Frag dich, was wirklich das Beste für diese Leute ist, wie du ihnen dienen kannst und wie du dich darum kümmerst.
Echte Führer, die sich von Jesus geführt wissen, hinterlassen Gutes. Das sieht man auch bei Juda. Am Anfang steht eine gespaltene, zerstrittene Familie – wirklich ein Haufen, bei dem man sich denkt: „Oh Hilfe, da wären vielleicht Pflegefamilien besser für die Kinder.“ Doch am Ende entsteht vor unseren Augen eine vereinte Familie.
Warum ist das so? Zum einen, weil Gott Josef bewahrt hat und aus Bösem Gutes gemacht hat, wie ihr euch an die erste Predigt erinnert. Zum anderen, weil Gott Juda und seine Brüder verändert hat und sie sich jetzt von ihm führen lassen.
Ich bin überzeugt, wenn wir zu dienenden Führern werden, wird das Endurteil über unseren Dienst kein vernichtendes sein – anders als bei vielen Politikern oder anderen Menschen in Leitungspositionen, die vielleicht schnell ihre Schäfchen ins Trockene bringen müssen und sich noch einen guten Pensionsjob in irgendeiner Influencertruppe oder Ähnlichem sichern wollen.
Nein, ich glaube wirklich, wenn wir vor Gott geführt führen, werden wir Gutes hinterlassen. Und ich möchte dir Mut machen, dich deswegen an Jesus zu hängen. Amen!