Zweifel und Fragen im Glauben
Es ist leicht, in ein solches Lied mit einzustimmen: Dank sei dir, o Herr! Aber ganz ehrlich, manchmal geht es uns doch ein bisschen anders mit Gott. Da ist unsere Frage vielleicht eher: Wo bist du? Hast du mich vergessen?
Diese Fragen stellen sich auch Christen immer wieder, denn schließlich ist unser Gott für uns unsichtbar. Manchmal lassen uns unsere Lebensumstände daran zweifeln, ob Gott wirklich da ist, ob er uns sieht, ob er noch etwas mit uns vorhat oder ob er uns vielleicht vergessen hat. So muss es dem Volk Israel in Ägypten gegangen sein.
Letzte Woche haben wir in der Predigt gesehen, mit der wir eine neue Predigtserie begonnen haben, dass wir in den nächsten Wochen durch die ersten 15 Kapitel des zweiten Buchs Mose gehen wollen. Dort haben wir gesehen, wie Israel in Ägypten litt.
Anfangs war Israel nach Ägypten gekommen, und Ägypten war ein Ort der Rettung für sie gewesen. Sie waren dort unter erstaunlichen Umständen hingelangt. Denn eigentlich war nur ein Sohn aus dem Hause Abrahams, Isaaks und Jakobs, nämlich Joseph, nach Ägypten geschickt worden – und das nicht mit guter Absicht. Seine Brüder dachten es böse, sie wollten ihn töten und verkauften ihn dann in die Sklaverei. So war er nach Ägypten gekommen.
Viele Jahre später, als eine schlimme Hungersnot über das Land Kanaan kam, führte Gott es so, dass seine Brüder, seine ganze Familie letztendlich zu ihm kam. Joseph war inzwischen auf wunderbare Weise zum zweiten Mann im Staat Ägypten aufgestiegen und konnte sein Volk, seine Familie, retten.
So endete das erste Buch Mose mit dieser großen Wendung: Die Familie Abrahams, Isaaks und Jakobs – ungefähr siebzig Menschen – war nun nach Ägypten gekommen und dort gut versorgt.
Letzte Woche haben wir aber auch gesehen, dass es dann nicht so gut weiterging. Zunächst war tatsächlich die Verheißung Gottes wahr geworden, der versprochen hatte, dass aus Abraham ein großes Volk werden sollte. Und tatsächlich war aus dieser Großfamilie ein großes Volk geworden.
Doch dann liefen die Dinge nicht mehr so gut. Es schien fast so, als hätte Gott sein Volk vergessen. Ein neuer Pharao kam an die Macht, der die Hebräer – ein anderes Wort für die Israeliten – als Bedrohung ansah.
Wir haben gesehen, wie er in drei verschiedenen Handlungen versuchte, dieses Volk kleinzumachen. Zuerst ordnete er schwere Zwangsarbeit an. Er hoffte, so verhindern zu können, dass das Volk Israel weiter wächst.
Als das nicht wirklich gelang und das Volk weiter wuchs, befahl der Pharao den Hebammen, jeden hebräischen Jungen bei der Geburt zu töten. Doch auch das gelang nicht. Die Hebammen erklärten dem Pharao, dass die Frauen zu schnell seien und sie immer zu spät kämen. So wurden weiterhin Kinder geboren, und das Volk wuchs weiter.
Im allerletzten Vers von Kapitel 1 lesen wir eine dritte Anordnung: Nun sollten alle aufgefordert werden, jeden Sohn Israels, jeden Sohn der Hebräer, in den Nil zu werfen und zu töten.
Wir sehen, es wurde immer schlimmer. Der Pharao hielt nicht inne, sondern kämpfte weiter gegen dieses Volk. Das Volk muss sich gefragt haben: Was ist hier los? Wo ist Gott? Was ist aus seinen Zusagen geworden?
Mose – Geburt und frühe Lebensjahre
Und damit kommen wir zum heutigen Predigttext, im zweiten Buch Mose, Kapitel zwei. Es ist ein Bericht, den Mose selbst geschrieben hat. Er erzählt von seiner Geburt und den ersten 80 Jahren seines langen Lebens.
Wir wissen, dass Mose insgesamt 120 Jahre lebte. Die ersten 80 Jahre werden in diesem einen Kapitel beschrieben. Doch es geht nicht nur um Mose. Tatsächlich steht vor allem der Gott Mose im Mittelpunkt – der Gott, der hinter allen Dingen Regie führt und wirkt.
Am Ende unseres Predigttextes erfahren wir, dass dieser Gott sein Volk nicht vergessen hat. So ist es meine Hoffnung, dass wir durch diesen Text erkennen, wie Gott mitten in den Irrungen und Wirrungen des menschlichen Lebens führt und handelt. Dabei will er auch Menschen wie dich und mich gebrauchen.
Wir sehen uns den Text an, der letztendlich vier Episoden aus dem Leben von Mose enthält. Am Ende steht ein Abschnitt, in dem Gott besonders in den Blick kommt.
Die Geburt und das Verstecken des Mose
In den ersten vier Versen sehen wir die Geburt von Mose und tatsächlich auch die ersten drei Monate seines Lebens. Ich lese uns diese ersten vier Verse vor:
„Und es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm ein Mädchen aus dem Hause Levi zur Frau, und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn. Soweit sehr unspektakulär – so etwas kommt vor. Mann trifft Frau, sie heiraten, werden schwanger. Und als sie sah, dass es ein feines Kind war, verbarg sie ihn drei Monate. Als sie ihn aber nicht länger verbergen konnte, nahm sie ein Kästlein von Rohr, verklebte es mit Erdharz und Pech, legte das Kind hinein und setzte das Kästlein in das Schilf am Ufer des Nils. Aber seine Schwester stand von fern, um zu erfahren, wie es ihm ergehen würde.“
Das klingt zunächst noch relativ harmlos und lässt sich ganz gut lesen. Doch was dahintersteckt, ist Drama pur. Wir haben gerade gehört, dass der Pharao angeordnet hatte, dass jeder Sohn im Nil ertränkt werden sollte. Ich weiß nicht, wie es wirklich war, aber ich kann mir vorstellen, dass dieses junge levitische Paar, als es erfuhr, dass die Frau schwanger war, inständig zu Gott gebetet hat: „Herr, schenk uns eine Tochter, damit wir diesem Drama entgehen.“
Doch es war ein Sohn – ein schön anzusehender Sohn. Was sollten die Eltern tun? Nun, sie versuchten das, was wahrscheinlich jeder erst einmal versuchen würde: den Sohn irgendwie zu verbergen, ihn zu verstecken, um sein Leben zu retten. Aber ich glaube, ich verrate nicht zu viel, auch denen, die noch keine Kinder haben, wenn ich sage, dass man kleine Kinder nicht ruhig halten kann. Und wenn die Lungen etwas wachsen, werden die Kinder immer lauter.
So war es dann auch: Nach drei Monaten war es hoffnungslos. Man konnte diesen Jungen nicht mehr verstecken. Was sollten die Eltern jetzt tun? Sie wussten, dass jeder, der jetzt vorbeikommen würde und diesen Sohn hören und sehen würde, ihn im Nil ertränken müsste.
Man kann fast den Eindruck bekommen, dass die Eltern an diesem Abend – es gab ja noch kein Netflix – sich an die Geschichten erinnerten, die immer wieder erzählt wurden aus der Frühgeschichte der Menschheit. Ihnen kam eine Situation in den Sinn, in der die Menschheit schon einmal vor dem Ertrinken bedroht war, vor einem Gericht, das angeordnet war: die Geschichte von Noah und der Flut.
Denn sie tun genau das, was Noah damals tun sollte, um Rettung aus dem Gericht zu bewirken: Sie bauen eine Arche. Tatsächlich steht hier im Luthertext das Wort „Kästlein“, das uns an das Wort „Kasten“ aus 1. Mose 6,14 erinnert. Im Hebräischen steht hier dasselbe Wort, das gemeinhin mit „Arche“ übersetzt wird.
Sie bauen also eine Arche. Sie tun dies in der Hoffnung, dass Gott noch einmal in seiner großen Gnade aus dem Gericht retten würde. Der Hebräerbrief Kapitel 11 macht das deutlich: Die Eltern handelten im Glauben, im Vertrauen auf Gott.
So bauen sie dieses Kästlein, legen ihren Sohn hinein und hoffen, bangen, beten und zittern. Sie können es gar nicht mit ansehen. Was sollte nun werden? Was würde geschehen?
Vielleicht geht es dir zu Beginn dieses Jahres ähnlich. Vielleicht stehst auch du vor ungewissen Zeiten. Vielleicht gibt es auch in deinem Leben Situationen, in denen Hoffen und Bangen ganz nah beieinanderliegen. Situationen, in denen Gebet und Glaube an Gott auf der einen Seite stehen und auf der anderen Seite ein Zittern und Zweifeln.
So muss es auch bei den Eltern gewesen sein. Ihr Glaube war sicherlich nicht frei von großer Angst und großem Schmerz, den geliebten Sohn auszusetzen und nicht zu wissen, was geschehen würde.
Die Eltern gingen wahrscheinlich nach Hause, denn sie konnten das Drama nicht weiter mit ansehen. Was, wenn diese Kiste umfallen würde? Was, wenn jemand sie finden würde?
Doch in Vers vier lesen wir, dass Moses Schwester vor Ort blieb. Sie, die große Schwester, wahrscheinlich auch nur ein paar Jahre alt, wollte mitansehen, was mit ihrem kleinen Bruder geschieht.
Würde Gott Mose in seiner kleinen Arche retten, so wie einst Noah und seine Familie? Das bringt uns zum nächsten Abschnitt.
Die Rettung Moses durch die Tochter des Pharao
In Vers fünf lesen wir von der Rettung Moses. Die Tochter des Pharao ging hinab, um im Nil zu baden. Ihre Gespielinnen gingen am Ufer hin und her. Als sie das Kästlein im Schilf sahen, sandte sie ihre Magd hin und ließ es holen.
Als sie das Kästlein öffnete, sah sie das Kind. Siehe, das Knäblein weinte. Da jammerte es sie, und sie sprach: „Es ist eins von den hebräischen Kindern.“ Seine Schwester fragte die Tochter des Pharao: „Soll ich hingehen und eine der hebräischen Frauen rufen, damit sie dir das Kind stillt?“
Die Tochter des Pharao antwortete: „Geh hin, geh hin!“ Das Mädchen ging und rief die Mutter des Kindes. Die Tochter des Pharao sagte zu ihr: „Nimm das Kindlein mit und stille es mir, ich will es dir lohnen.“ Die Frau nahm das Kind und stillte es.
Als das Kind groß wurde, brachte sie es der Tochter des Pharao zurück. Es wurde ihr Sohn, und sie nannte ihn Mose, denn sie sprach: „Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.“
Was für eine große, was für eine erstaunliche Wendung! Genau an der Stelle, wo Mose in seiner kleinen Arche sitzt, geht die Tochter des Pharao baden. Sie findet den kleinen Mose. Sofort ahnt sie, dass es eines der hebräischen Kinder sein muss.
Doch dann tut sie etwas Erstaunliches. Sie handelt nicht so, wie es ihr Vater getan hätte. Sie sagt nicht: „Oh, der sitzt in einem Kästchen, raus damit und rein ins Wasser.“ Nein, ihr Herz wird weich. Sie erbarmt sich, hat Mitleid und rettet das Kind.
Wir lesen das so, als wäre es das Natürlichste der Welt. Doch das ist es nicht. Das Natürlichste wäre gewesen, das Kind wegzuschieben oder gar zu töten. Wahrscheinlich hätte die Tochter des Pharao ihrem Vater gefolgt und getan, was er angeordnet hatte.
Moses kleine Schwester, die wir später im 15. Kapitel namentlich als Mirjam kennenlernen, sieht das alles mit an. Wir dürfen erleben, wie Gott sie in seinem großen Rettungsplan gebrauchen will. Denn sie handelt mutig und schnell.
Sie geht zur Tochter des Pharao und bietet ihre Hilfe an. Sie schlägt vor, eine hebräische Mutter zu holen. Davon gab es sicher viele, denn jede hebräische Mutter, die einen Sohn gebar, der umgebracht werden sollte, war wahrscheinlich bereit, weitere Babys zu stillen.
Ich will nicht zu viel hineininterpretieren, aber es ist interessant zu sehen, dass das, was hier geschieht, typisch für Gott ist. Er gebraucht oft die Unscheinbaren, die in der Gesellschaft wenig gelten, um seinen guten Plan auszuführen. Hier gebraucht er ein kleines Mädchen.
Das darf ermutigen, wenn jemand denkt: „Ich bin zu schwach, zu klein oder zu jung. Gott kann mit mir nichts anfangen.“ Gott hat Freude daran, gerade solche Menschen zu gebrauchen, um seinen Plan zu erfüllen.
Mirjam lässt sich gebrauchen und erlebt, wie ihr Mut belohnt wird. Sie läuft los, holt eine Mutter – nicht irgendeine, sondern ihre eigene, die Mutter dieses kleinen Babys –, damit sie für ihren eigenen Sohn sorgen kann.
Stell dir die Situation zu Hause vor: Die kleine Mirjam kommt angelaufen, die Eltern sitzen wahrscheinlich mit verheulten Augen auf den Knien, zittern und beten noch. Die kleine Mirjam sagt: „Mama, Papa, die Tochter des Pharao hat unseren Mose gefunden!“ Die Eltern verzweifeln komplett.
„Die Tochter dieses Tyrannen?“ Nein, alles ist gut! „Komm, du sollst mitkommen und Mose großziehen. Du wirst dafür sogar bezahlt.“ Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein, oder?
Was für eine Wendung! Dort, wo eben noch Zweifel und Angst waren, kehrt jetzt große Freude ein. Sie müssen den Sohn nicht mehr verstecken. Sie können ihn jetzt ganz frei großziehen – als angenommenes Kind des Hauses Pharao.
Mose – Erziehung und erste Konflikte
Was wir hier sehen, ist natürlich viel mehr als nur die Rettung eines kleinen Babys. Was hier geschieht, ist tatsächlich die Grundlage für die Rettung des ganzen Volkes und letztendlich sogar für die Rettung der ganzen Welt. Denn dieser Mose würde das Volk aus der Knechtschaft führen. In dieses Volk hinein würde der große Retter geboren werden.
Und wie Gott das alles führt! Mose wird nicht einfach irgendwo erzogen. Einerseits von seiner eigenen Mutter, sodass er die Geschichte seines Volkes und den Gott seines Volkes erfahren kann. Er lernt die Sprache seines Volkes und kennt die Verheißungen, die sein Volk von Gott empfangen hat.
Andererseits kommt er ins ägyptische Königshaus, eine Hochkultur mit hervorragender Bildung. Wahrscheinlich war er zu der Zeit der einzige Hebräer, der viele Sprachen sprach, lesen und schreiben konnte und viele Dinge beherrschte. Noch dazu hatte er Zugang zum ägyptischen Königshaus und kannte die dort vorherrschenden Sitten.
Gott hatte all diese Dinge gebraucht, um Mose perfekt zu positionieren, damit er der Retter werden konnte, der er dann sein würde. So wächst Mose auf. Wir haben in Apostelgeschichte 7 gerade gehört, dass er vierzig Jahre im Königshaus verbrachte.
Dann kam der Tag, an dem Mose den Schutz des ägyptischen Palastes verließ, um nach seinen hebräischen Landsleuten zu sehen. Das lesen wir ab Vers elf im dritten Abschnitt. Hier sehen wir, dass Mose von seinen eigenen Landsleuten abgelehnt wurde.
Zu der Zeit, als Mose groß geworden war, ging er hinaus zu seinen Brüdern und sah ihren schweren Dienst. Er nahm wahr, dass ein Ägypter einen seiner hebräischen Brüder schlug. Da schaute er sich nach allen Seiten um, und als er sah, dass kein Mensch da war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand.
Am nächsten Tag ging er wieder hinaus und sah, wie zwei hebräische Männer miteinander stritten. Er sprach zu dem, der im Unrecht war: „Warum schlägst du deinen Nächsten?“ Dieser antwortete: „Wer hat dich zum Aufseher oder Richter über uns gesetzt? Willst du mich auch umbringen, wie du den Ägypter umgebracht hast?“
Da fürchtete sich Mose und fragte: „Wie ist das bekannt geworden?“ Es kam vor den Pharao, der danach trachtete, Mose zu töten. Mose floh vor dem Pharao.
Der ganze Luxus des Königshauses konnte Mose letztendlich nicht dazu bringen, zu vergessen, woher er kam. So ging er eines Tages hinaus zu den Hebräern. Er sah, wie sie auch vierzig Jahre später noch harte Zwangsarbeit verrichten mussten. Dann musste er mitansehen, wie einer der Aufseher der Ägypter einen Hebräer schlug.
Es war wahrscheinlich nicht nur eine sanfte Backpfeife. Das Wort „schlug“, das hier steht, ist dasselbe, das Luther im nächsten Vers mit „erschlug“ übersetzt. So wie Mose den Ägypter erschlug, schlug der Ägypter einen anderen Hebräer. Wahrscheinlich griff Mose hier ein, um zu verhindern, dass sein Landsmann getötet wird.
Mose agiert als Retter seines Landsmanns. Natürlich ahnen wir sofort, dass dieser Weg der Rettung nicht funktionieren konnte. So mutig und stark Mose auch gewesen sein mag: Aus eigener Kraft konnte er seine hebräischen Landsleute nicht aus der Knechtschaft in Ägypten befreien. Er konnte nicht einfach jeden Ägypter nacheinander erschlagen.
Am nächsten Tag geht er wieder hinaus und sieht, wie zwei Hebräer miteinander streiten. Das versteht er nicht. Das sind doch Landsleute, die einander freundlich und gut behandeln sollten. Sie sollten miteinander unterwegs sein.
Er versucht, als Friedenstifter zu wirken, wird aber abgelehnt und verspottet. Er wird nicht als der Führer erkannt, den Gott erwählt hatte, um sein Volk zu retten. So sagt dieser Hebräer zu Mose: „Wer hat dich zum Aufseher und Richter über uns gesetzt?“ Die Antwort auf diese Frage ist Gott. Doch das erkennt der Hebräer nicht.
„Willst du mich auch töten, wie du gestern in Ägypten den Ägypter getötet hast?“ Hier bekommt Mose Angst. Wie kann das sein, dass jetzt zwei andere Hebräer von dem wissen, was an anderer Stelle geschehen ist? Irgendwie hat sich das herumgesprochen.
Vielleicht waren sogar Leute dabei, die sagten: „Da kam einer aus dem ägyptischen Königshaus, hat den Ägypter erschlagen und uns gerettet.“ So sprach es sich herum. Vielleicht war es nicht mehr böse Absicht, aber die Nachricht verbreitete sich.
Diese Nachricht kam bis zum Pharao, und so war Mose nicht mehr sicher. Er musste fliehen. Das muss für Mose wirklich schwer begreiflich gewesen sein.
Stell dir vor, Mose weiß, dass Gott ihn auf erstaunliche Art und Weise gerettet und zugerüstet hat. Aus dem Text in Apostelgeschichte 7, aus der Predigt des Stephanus, die wir vorhin gehört haben, wissen wir, dass ihm klar war, dass Gott ihn berufen hatte, sein Volk zu retten.
Jetzt hat er gerade damit angefangen, aber muss erleben, dass die Seinen, zu denen er gekommen ist, um sie zu retten, ihn nicht annehmen. Er ist gescheitert. Was hat das alles jetzt zu bedeuten? Warum diese Wendung? Hatte Gott keine Verwendung mehr für ihn?
Ja, zugegeben, es war wahrscheinlich nicht der richtige Weg, einfach die Ägypter zu erschlagen. Aber letztendlich hatte er doch zum Wohle seines Volkes gehandelt. Warum jetzt das?
Vielleicht kommt dir das auch bekannt vor. Solche Wendungen kennen wir: Dinge, die gut gemeint sind, mit guter Intention und im Vertrauen darauf, dass Gott sie gebrauchen will, werden getan – und dann geht alles schief.
Mose im Exil von Midian
Wir lesen ab Vers 15, wie schief das alles ging. Mose musste für vierzig Jahre ins Exil. Er floh vor dem Pharao und hielt sich im Land Midian auf. Dort setzte er sich bei einem Brunnen nieder.
Der Priester in Midian hatte sieben Töchter. Sie kamen, um Wasser zu schöpfen, und füllten die Rinnen, um die Schafe ihres Vaters zu tränken. Da kamen Hirten und stießen sie weg. Mose aber stand auf, half ihnen und tränkte ihre Schafe.
Als die Töchter zu ihrem Vater Reguel kamen, fragte er: „Warum seid ihr heute so früh zurückgekommen?“ Sie antworteten: „Ein ägyptischer Mann stand uns bei gegen die Hirten, schöpfte für uns Wasser und tränkte die Schafe.“ Reguel fragte: „Wo ist er? Warum habt ihr den Mann draußen gelassen? Ladet ihn doch ein, mit uns zu essen.“ Mose willigte ein, bei dem Mann zu bleiben.
Reguel gab Mose seine Tochter Zipporah zur Frau. Sie gebar einen Sohn, den Mose Gerscham nannte. Denn er sagte: „Ich bin ein Fremdling geworden im fremden Land.“
Wir wissen aus der Apostelgeschichte 7, dass diese Zeit in Midian vierzig Jahre dauerte. Mose war also nach Midian geflohen. Midian liegt östlich von Ägypten und ist benannt nach einem der Söhne Abrahams. Abraham hatte in zweiter Ehe Ketura geheiratet, die einige Söhne hatte. Diese Söhne wurden noch vor Abrahams Tod von ihm weggeschickt. Einer dieser Söhne war Midian, der in die Region des heutigen Saudi-Arabiens zog. So waren das also in gewisser Weise noch Verwandte von Mose.
Mose kam dorthin und sah, wie einige junge Frauen bei einem Brunnen von Hirten weggestoßen wurden. Mose war immer noch derselbe. Er sah Unrecht und griff ein. So wie zuvor in der Wüste tat er es auch hier. Diesmal wurde ihm seine Hilfe gedankt. Er fand Aufnahme im Haus Reguels, bekam eine seiner Töchter zur Frau und hatte einen Sohn.
Doch das ist kein wirkliches Happy End. Das wird deutlich durch den Namen, den Mose seinem Sohn gab. Er nannte ihn Gerscham, denn er sagte: „Ich bin ein Fremdling geworden im fremden Land.“ Das klingt reichlich desillusioniert, oder?
Mose wusste um seine erstaunliche Rettung. Er hatte das Königshaus voller Tatendrang verlassen, war sich seiner Berufung durch Gott bewusst und wollte Gutes tun. Doch alles ging schief, und jetzt saß er dort in Midian. Nicht nur kurz, sondern lange genug, um zu heiraten, Kinder zu bekommen und einfach zu bleiben.
Mitten in der Öde der Wüste saß er 40 Jahre lang. Zum Vergleich: Das ist zwanzig Mal so lang wie die Corona-Pandemie, sogar noch mehr. So lange saß er dort.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber diese Öde der Corona-Pandemie geht mir richtig auf die Nerven. Und ich denke, dass es jetzt wirklich genug ist – zwanzig Mal so lang, 40 Jahre mitten in der Wildnis.
Hat Gott ihn vergessen? War es das jetzt? Was ist aus seiner Berufung geworden? Vielleicht kannst du dich in Mose hineinversetzen. Manche von uns haben das Gefühl, mitten in der Öde zu sitzen, in der Wüste. Andere sagen, es geht, aber Gott scheint weit weg zu sein.
Vielleicht fragst du dich, ob Gott mit dir noch etwas vorhat. Vielleicht läuft das Leben irgendwie, aber du hast keine Vision mehr, dass Gott mit dir noch etwas anfangen will. Wenn es dir so geht, wenn du heute hier bist und das Gefühl hast, Gott hat dich vergessen oder will dich nicht mehr gebrauchen, dann hoffe ich, dass die letzten drei Verse unseres Predigttextes dich ermutigen und dir eine neue Perspektive geben.
In den Versen 23 bis 25 finden wir einen Übergangsabschnitt, der uns zu dem führt, was wir in den nächsten Wochen betrachten werden. Gott öffnet uns ein Fenster, sodass wir zu ihm hinsehen können.
Gottes Treue und das kommende Eingreifen
Lest uns diese drei Verse. Lange Zeit danach starb der König von Ägypten, und die Israeliten seufzten über ihre Knechtschaft und schrien. Ihr Schreien über ihre Knechtschaft kam vor Gott.
Gott erhörte ihr Wehklagen und gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob. Er sah auf die Israeliten und nahm sich ihrer an.
Der Text beginnt hier damit, dass der Pharao, der König von Ägypten, stirbt. Wir wissen nicht genau, welcher Pharao das ist. Sicherlich ist es nicht mehr der Pharao, der angeordnet hatte, dass die Kinder im Nil ertränkt werden sollten. Das war inzwischen achtzig Jahre her. Vielleicht war es noch der Pharao, der vierzig Jahre vorher Mose nach dem Nebentracht verfolgte. Vielleicht war es auch ein anderer. Fest steht: Er stirbt, aber die Lage bleibt schlimm.
Das Volk der Israeliten, die Hebräer, ist weiterhin in Knechtschaft. Es schreit aus tiefer Not. Und dann heißt es hier: "Und ihr Schreien über ihre Knechtschaft kam vor Gott." Gott hört dieses Gebet – ein Gebet aus tiefer, langjähriger Not.
Gott hat seine Verheißungen nicht vergessen. Er hatte große Verheißungen gegeben: erst an Abraham, dann wiederholt an Isaak und nochmals an Jakob. Gott ist treu. Er gedenkt seines Bundes, den er mit seinem Volk geschlossen hat. Er sieht sein Volk und nimmt sich seiner an.
In den nächsten Wochen werden wir sehen, wie Gott das tat. Heute will ich nicht vorgreifen. Für hier und heute halte ich einfach fest: Wir sehen, Gott ist nicht fern. Gott hört Gebet, er sieht seine Kinder und er vergisst seine Verheißungen niemals.
Tatsächlich steckt eine gewisse Ironie in diesem Text, denn es klingt fast so, als hätte Gott 80 Jahre lang Mittagsschlaf gehalten. Aber jetzt gedenkt er, nimmt wahr und hört. Doch tatsächlich haben wir im ganzen Predigttext gesehen, dass Gott aktiv war. Die Menschen haben das vielleicht nicht wahrgenommen, für sie wirkte es so. Aber wir dürfen wissen: Gott war aktiv. Er führte alle Dinge so, um eine zukünftige, noch viel größere Rettung vorzubereiten und diese in gewisser Weise auch schon bildhaft darzustellen.
Dazu hat er Mose so zugerüstet, dass, wenn Mose das Volk aus dem Exil führt, aus diesem Volk heraus der große Retter geboren werden würde. Dieser Retter würde nicht nur sein Volk retten, sondern alle Menschen, die sich ihm jemals im Glauben zuwenden.
Mose weist uns diesen Retter hin – auf Jesus. Wir sehen: Das ist ein großes Schauspiel, kein Zufall. Gott hat alles so geplant und geführt.
Nicht anders als Mose wurde auch Jesus bei seiner Geburt von einem bösen Tyrannen bedroht. So wie Mose durch seine Eltern gerettet wurde, so wurde auch Jesus von seinen Eltern gerettet, die mit ihm flohen.
Wie Mose wurde auch Jesus von den Seinen abgelehnt – von denen, zu denen er gekommen war, um sie zu retten. Er wurde gefangen genommen, gefoltert und schließlich brutal an ein Holzkreuz genagelt und getötet.
Wenn Mose hier zu scheitern scheint, dann schien Jesus erst recht gescheitert zu sein. Aber Gott erwies sich, wie schon bei der Rettung des kleinen Mose aus dem Nil, als der Gott der großen Wendungen.
Durch Jesu Tod und Auferstehung hat Gott den großen Feind besiegt, der die Menschen versklavt. Er hat sein Volk gerettet aus einer Knechtschaft, die schlimmer ist als die Knechtschaft unter einem fremden Tyrannen.
Denn die Knechtschaft, unter der wir alle leiden, ist die Knechtschaft unter der Sünde. Tatsächlich litt auch das Volk Israel unter dieser Knechtschaft. Das sehen wir an den Hebräern, die mitten in der Wüste, nachdem Mose gerade angefangen hatte, als Retter aufzutreten, miteinander stritten.
Denn ihre Herzen, wie die Herzen aller Menschen, sind von Jugend auf böse. Aber Jesus kam, um dieses Böse und die gerechte Strafe für all das Böse auf sich zu nehmen.
Deshalb wurde er nicht gerettet, sondern gab sein Leben am Kreuz und starb stellvertretend für unsere Schuld. So wird jeder, der sich ihm im Glauben zuwendet, gerettet.
Er ist der große Retter.
Gottes Wirken in unscheinbaren Menschen und Handlungen
Diesen großen Rettungsplan bekommen wir hier schon angedeutet, schattenhaft dargestellt. So, wie wir das hier hören, dürfen wir auch heute wissen: Gott ist ein Gott, der das Schreien von Menschen in Not hört.
Die Frage für dich ist nur: Kennst du deine größte Not? Hast du schon zu Gott geschrien und um Rettung gebeten? Weißt du, dass du eines Tages im Gericht Gottes nicht aus dir heraus bestehen kannst, weil du nicht gut genug bist, um vor dem heiligen Gott zu bestehen? Das ist die Knechtschaft, die uns plagt.
Mein Gebet für dich, falls du das noch nicht getan hast, ist, dass der Herr dir ganz deutlich zeigt, wie groß deine Not ist. Dass du erkennst, du bist in einer Knechtschaft, die schlimmer ist als alles, was dir Lebensumstände jemals bringen können. Dann schrei um Hilfe, ruf um Hilfe, so wie das Volk damals in seiner Not getan hat. Sei gewiss: Gott hört und sieht und nimmt sich eines jeden an, der zu ihm ruft.
Das ist meine Einladung an dich: Wenn du das noch nicht getan hast, ruf zu diesem Gott und erlebe, dass er ein Gott ist, der große Wendungen bringt, neues Leben schenkt, neue Perspektiven eröffnet und rettet. Viele, die allermeisten unter uns, haben das getan. Wir haben zu Gott gerufen und bei ihm Rettung gefunden.
Aber auch wir tun gut daran, daran erinnert zu werden, dass der Gott, der uns gerettet hat, mit uns noch nicht fertig ist. Auch wenn es dir so vorkommen mag, dass seit der Rettung manches abgeflaut ist, das Feuer nicht mehr so brennt und die Begeisterung nachgelassen hat: Gott sieht dich, und Gott will dich gebrauchen.
Ich hoffe, das sehen wir hier in diesem ganzen Predigttext. Ich hoffe, es ist dir aufgefallen, wie Gott auch durch ganz unscheinbare Personen und nebensächliche Handlungen seinen großen Plan mitten in den Irrungen und Wirrungen des menschlichen Lebens ausführt.
Denk noch einmal an Moses Eltern und ihren Plan, eine Arche zu bauen – eigentlich absurd, ein kleines Kästlein, um ein Baby damit auf dem Fluss auszusetzen. Es wurde von Gott gebraucht. Denk an Miriam, dieses kleine Mädchen, das an der Seite ihres kleinen Bruders blieb und dann gedankenschnell handelte, als sie die Chance dazu hatte. Denk an die Tochter des Pharaos, deren Akt der Barmherzigkeit den Grundstein legte – zuerst für die Rettung des Gottesvolkes und letztendlich zur Rettung aller Völker.
In unserem Text tauchen noch andere Namen auf. Wir lesen hier von Reguel, auch Jethro genannt, den Gott später gebrauchen würde, um Mose zur Seite zu stehen, als er Hilfe braucht. Wir lesen von Zipporah, von der wir in der nächsten Predigt nächste Woche hören werden, wie Gott sie gebraucht, um Mose zu retten.
Ihr Lieben, ich hoffe, wir sehen, dass mitten in all dem Chaos, all den Irrungen und Wirrungen, all den Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens Gott ein Meister darin ist, jeden, der sich von ihm gebrauchen lässt, zu gebrauchen, um seinen perfekten Plan auszuführen.
Die Frage für dich heute früh ist: Willst du dich diesem Gott zur Verfügung stellen? Willst du zu ihm rufen und sagen: Hier bin ich, gebrauche auch mich?
Gebet und Schlusswort
Ich bete mit uns. Himmlischer Vater, wir wollen dir danken für dein gutes Wort, das Licht bringt in all den Nebel unseres Lebens.
Herr, wir bekennen dir, dass wir viele Dinge nicht verstehen und immer wieder Fragen haben, wo du bist, was du gerade tust und was das alles soll.
Oh Herr, es ist so wohltuend zu sehen in der Geschichte, die du mit deinem Volk geschrieben hast, wie du ein Gott bist, der alle Dinge gebraucht. Wir dürfen wissen, dass denen, die dich lieben, wirklich alle Dinge zum Besten dienen. Du hast einen guten Plan zur Rettung von Menschen, die zu dir rufen.
So ist es mein Gebet, dass wir heute früh neu wachsen im Vertrauen auf dich. Dass auch wir im Glauben leben, in aller Not zu dir kommen und darauf vertrauen, dass du uns siehst und gebrauchen willst – egal, wer wir sind, egal, wo wir sind und egal, wie unser Leben aussieht.
Wir befehlen uns deiner guten Führung an und bitten, Herr, gebrauche uns. Amen.