
Ängste im Blick auf das, was durch die Flüchtlingskrise ausgelöst worden ist, sind nicht unberechtigt. Ich persönlich kenne eine Frau, die Frau eines Freundes von mir. In einem Fall, bei dem Nordafrikaner aufeinander losgegangen sind – oder ich weiß gar nicht genau, ob es Deutsche waren, die angegriffen wurden – ist sie dazwischengegangen und wurde selbst Opfer eines Messeranschlags.
Es hat sie nicht direkt getroffen, aber seelisch hat es sie sehr wohl getroffen. Sie hat viele schlaflose Nächte danach gehabt. Das sind also plötzlich keine Geschichten mehr, die weit weg sind oder erzählt werden, ohne dass ein Wahrheitsgehalt dahintersteckt. Das sind Grausamkeiten, die es in dieser Welt gibt und die hierher getragen werden.
Wir sollten uns natürlich nicht einbilden, als Deutsche oder als Europäer, dass hier alles in Ordnung wäre. Gerade wird der Fall Walter Lübcke rekonstruiert. Es gibt eine Festnahme, und es gibt Gründe, die dafür sprechen, dass dieser Mordanschlag am vergangenen Samstag einen rechtsextremen Hintergrund hat.
Was für ein Hass muss in einem Menschen stecken, der fähig ist, jemanden – in diesem Fall den Regierungspräsidenten von Kassel – kaltblütig zu erschießen, nur aufgrund einer politischen Auffassung? Das kann ich nicht beweisen und will da nicht zu weit gehen, aber möglicherweise hat es genau das auch zum Thema.
Hier merken wir, dass von beiden Seiten eine Gefahr ausgeht und dass wir in einer absolut chaotischen Welt leben. Die Frage, die gerade in dem Lied zum Ausdruck gebracht wird, wie man Ordnung in das Chaos bringt, ist eine berechtigte Frage. Es herrscht eine Menge Chaos in dieser Welt. Ich würde sagen, unser Planet ist von der Sünde entstellt.
Das ist an vielen Stellen zu entdecken, überall dort, wo Krieg oder Mordanschläge begangen werden. Das gibt es natürlich auch in kleinerem Rahmen, in vielen Familien, wo manchmal ein kalter Krieg herrscht, wo man nicht mehr miteinander redet, wo Hass und zumindest sehr viel Lieblosigkeit herrschen.
Ganz abgesehen von korrupten Staaten und vielen anderen Problemen sowie der ganzen Umweltkatastrophe: Dieser Planet ist von Sünde entstellt. Wer das nicht sieht und wer an einem Tag wie heute nur die Sonne scheinen sieht, der ist auf mindestens einem Auge blind.
So, jetzt möchte ich einen Szenenwechsel machen. Wir reden dieser Tage von Jesus, und das tun wir sehr bewusst, weil wir überzeugt sind, dass Jesus von Gott in diese in Sünde gefallene Welt gesandt wurde. Er ist der Heiland, und die Frage, wer Ordnung in all das Chaos bringt, ist in Jesus beantwortet.
Dieser Jesus sitzt mit einigen interessierten Leuten zusammen – mit Jüngern, also seinen Schülern, und auch anderen Zuhörern. Er lehrt sie, wie es damals üblich war, im Sitzen. Während der Unterrichtsstunde steht plötzlich einer auf. Zum einen, weil er nicht sitzen bleiben will, zum anderen, weil er etwas Wichtiges zu sagen hat. Das wollen wir uns einmal anschauen.
Wir befinden uns in Lukas Kapitel 10. Wir folgen in diesen Tagen einigen Beispielgeschichten oder Gleichnissen, die Jesus erzählt hat. Im Lukasevangelium sind wir jetzt im zehnten Kapitel angekommen, bei Lukas 10, Vers 25. Dort steht:
Ein Gesetzeslehrer stand auf und wollte Jesus auf die Probe stellen. Er fragte ihn: „Lehrer, was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?“
Jesus antwortete: „Was steht denn im Gesetz? Was liest du dort?“
Der Gesetzeslehrer antwortete: „Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen und mit ganzem Willen und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Verstand. Und liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
„Du hast richtig geantwortet“, sagte Jesus. „Handle so, und du wirst leben.“
Aber dem Gesetzeslehrer war das zu einfach, und er fragte weiter: „Wer ist denn mein Nächster?“
Nun, jener Mann ist ebenfalls Lehrer, ein Gesetzeslehrer, so wird er uns hier vorgestellt. Er ist eine Mischung aus Jurist und Dozent. Er spricht Jesus mit „Lehrer“ an. Hier begegnen sich also zwei Lehrer, vermeintlich auf Augenhöhe. Sie reden miteinander, und wir hören ihnen zu.
„Lehrer, was muss ich getan haben, um ewiges Leben zu erben?“ Das ist eine so bedeutsame Frage, die dieser Mann hier stellt, weil sie über das Diesseits hinaus in die Ewigkeit hineinreicht. Was muss ich tun? Was ist die Voraussetzung dafür, ewiges Leben zu erlangen? Damit meint er göttliches, qualitatives und beständiges Leben.
Uns allen ist bewusst, dass das in dieser Welt nicht alles ist. Das muss man den Christen auch manchmal in Erinnerung rufen: Wir haben hier keine bleibende Stadt. Und wenn manche meinen, dass eine Gesellschaftsform erhalten bleiben muss und keine Überfremdung von außen zulässig ist, dann gilt doch: Wir haben hier keine bleibende Stadt.
Eine Gesellschaftsform, die so gottlos geworden ist, wo man nichts mehr anfangen kann mit Jesus, wo man nichts mehr anfangen kann – wie ich das dieser Tage schon gesagt habe – mit christlichen Feiertagen, das ist keine Gesellschaftsform, bei der wir sagen, eine christliche Tradition werde da von anderen Religionen überfremdet.
Ich bin mir der Gefahren des Islam sehr wohl bewusst und will das in keiner Weise schönreden. Aber wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern eine zukünftige Stadt suchen wir. Und wir wollen hier in dieser Zeit, die Gott uns zur Verfügung stellt, so viele Menschen wie möglich mitnehmen auf den Weg in die Ewigkeit, in die Gegenwart Gottes.
Denn jeder von uns läuft auf diesen Tag zu, der das Ende unseres diesseitigen Lebens bedeutet. Da muss man die Frage stellen: Was hat es mit der Ewigkeit auf sich? Was kommt nach dem Sterben?
Es ist also eine so bedeutsame Frage, die hier angesprochen wird, dass wir darüber reden und nachdenken sollten.
Ich staune manchmal, dass manche ergrauten oder weißgewordenen Menschen diese Frage einfach abtun, als hätte man noch unendlich viel Zeit, darüber nachzudenken. Manche beenden ein Gespräch geradezu abrupt, indem sie den Satz einwerfen: „Es ist ja noch niemand zurückgekommen.“ Damit ist das Thema dann für sie erledigt. In vielen Fällen wird darüber nicht weiter gesprochen und es wird nicht wirklich durchdacht.
Wenn wir jedoch ernst nehmen würden, was Gott uns in diesem Buch, der Bibel, offenbart, dann hätten wir sehr wohl glaubwürdige Antworten auf die wesentliche Frage: Was kommt nach dem Tod?
Es stimmt einfach nicht, dass niemand zurückgekommen ist. Der Apostel Paulus spricht im 2. Korintherbrief Kapitel 12 von einem Mann – wir haben gute Gründe anzunehmen, dass er von sich selbst spricht – der bis in den dritten Himmel entrückt wurde und unaussprechliche Dinge gehört und gesehen hat.
Außer biblischen Quellen gibt es zahlreiche Berichte, die von ähnlichen Erfahrungen erzählen – von Menschen, die reanimiert und zurückgeholt wurden. Diese Berichte sind keine Belege dafür, dass es Himmel und Hölle gibt, und sie sind auch kein Fundament, auf das ich bauen möchte.
Die Bibel spricht jedoch ebenfalls von einem Stephanus, der gesteinigt wurde – ein Schicksal, das Paulus ebenfalls traf, vielleicht etwa vierzehn Jahre bevor er den zweiten Korintherbrief schrieb.
Genau diese Steinigung in Lystra, bei der man dachte, Paulus sei tot und ihn zur Stadt hinaus schleppte, könnte das Erlebnis gewesen sein, von dem Paulus spricht. Das kann ich zwar nicht beweisen, aber es spricht einiges dafür.
Ein anderer Stephanus wurde aufgrund seines Bekenntnisses zu Jesus Christus gesteinigt. Kurz vor seinem Tod sah er den Himmel geöffnet und den Sohn Gottes zur Rechten Gottes stehen.
Hier sehen wir jemanden, der einen Blick in die Ewigkeit wirft. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Es ist nicht einfach so, als würde der Stecker gezogen und nichts ginge mehr.
Das Gegenteil scheint bei Menschen der Fall zu sein, die wiederbelebt wurden. Dennoch möchte ich meine Überzeugung nicht auf solche Berichte stützen, sondern allein auf das, was in der Bibel offenbart ist.
In diesem Fall hier, Herr Lehrer, was muss ich tun, um ewiges Leben zu bekommen?
Es ist eine gute Frage, das steht außer Frage. Allerdings stelle ich mir die Frage, ob es eine aufrichtige Frage ist. Denn eingeleitet wird dieser Satz ja mit „Er versuchte ihn“ oder „er stellte ihn auf die Probe“. Es ist keine aufrichtige Frage, die dieser Mann hier stellt.
Denkbar ist, dass er ein Spitzel der religiösen Oberschicht ist, die Jesus schon seit Kapitel fünf im Lukasevangelium bespitzelt und beschattet. Jesus begegnete nämlich manchem Fragesteller, der in Wirklichkeit ein Fallensteller war. Dieser wollte, dass Jesus sich irgendwie in Widersprüche verwickelt, um ihm etwas nachweisen zu können. Denn es gab sehr viele Neider um Jesus herum.
Vielleicht hat dieser Akademiker auch das Bedürfnis, allen in der Gruppe seinen Scharfsinn zu beweisen. Fest steht: Der Mann redet gerne. Und es gibt auch in der Christenheit sehr handliche Labertaschen. Das sind theologische Theoretiker, die diskutieren bis zum Umfallen. Sie stellen alles und jeden in Frage, kommen aber nie zu irgendeinem Ergebnis. Ihr Geschwätz ist meistens ziemlich hohl.
Von ihnen heißt es, dass sie aufgeblasen sind – wie Luftballons, hohl eben – dass sie in Wirklichkeit nichts wissen und stattdessen krank sind. Diagnose: Streitfragen und Wortgezänk, frei nach 1. Timotheus 6,4. Solche Leute gibt es, die legen sich gerne mit anderen an.
Jeder Kopfglaube, der nichts anderes ist als ein Grund, darüber zu diskutieren und der sich auf unser Nachdenken beschränkt, nimmt dem, was wir predigen und was das Wort Gottes eigentlich beabsichtigt, den Kern. Da landen wir bei einer Menge von Positionen und Einsichten. Aber von dem, was Gott eigentlich beabsichtigt und was er hier hat niederschreiben lassen, passiert nur ganz wenig.
Während wir in unseren Kirchen – und einige Kirchenmitglieder gibt es ja immerhin in unserer Zeit noch – also während sie dauernd auf der Suche nach neuen Positionen sind, merkt man, dass die Leute ihnen davonlaufen. Da muss man überlegen, wie man das Ganze irgendwie ein bisschen attraktiver und einladender gestalten kann.
Und so frage ich mich: Wo sind die Scharen von Neubekehrten, wenn man so klug ist, zu wissen, wie man den Menschen von heute erreichen kann? Wo sind die fröhlichen Taufeiern, bei denen Menschen bezeugen: Ich bin mit Christus gestorben und ich bin mit Christus auferstanden, ich fange ganz neu an?
Wo sind in unseren Kirchen – und auch in unseren Freikirchen – die lebendigen Gebetsversammlungen? Glaube kann so tot sein! Glaube kann so abgedroschen sein.
Hier ist ein Mann, der nimmt das Ganze nur als Gesprächsinhalt und versucht, darüber zu diskutieren: Was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen? Gerne will der Typ mit Jesus über die Theorie des Glaubens philosophieren. Wahrscheinlich hat er das beabsichtigte Wortgefecht zuhause im Sandkasten auch schon ausprobiert. Es ist also ein schlauer Mann, der sich gut vorbereitet hat.
Jesus antwortet ihm: „Das solltest du eigentlich wissen, mein Freund. Du bist doch Schriftgelehrter, Gesetzeslehrer. Was steht denn in der Schrift? Was liest du?“
Dann zitiert er sofort auswendig: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzem Willen, mit all deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand. Und liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (5. Mose 6,5).
Das hat er schon im Kindergottesdienst gelernt, in der Jungschau wiederholt, im Konfirmandenunterricht durchgenommen, im Teamkreis als Anspiel aufgeführt, in der Jugendgruppe diskutiert, im Hauskreis erörtert und im Theologiestudium als Prüfungstext gehabt. Er ist also tief in der Materie drin, da macht ihm so schnell keiner etwas vor.
Und Jesus sagt: „Richtige Antwort, eine Religion, eins. Tu dies, und du wirst leben. Du hast gut geantwortet. Jetzt mach auch was aus diesem Wissen.“
Es ist eben nicht nur eine Theorie, die man lernt, oder eine Einsicht, zu der man kommen kann. Wenn sich das nicht in unserem Verhalten auswirkt, dann ist es nichts wert. Tu es! Fertig, genug geredet, ran an die Arbeit!
So könnte die Geschichte hier eigentlich zu Ende sein. Wir sehen nur noch eine Staubwolke, wie er davonläuft und Möglichkeiten sucht, wie er Nächstenliebe verwirklichen kann – zum Beispiel Nachbarn gegenüber und Rollstuhlfahrern helfen.
Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Außerdem haben wir noch ein bisschen Zeit. Es würde Sie wahrscheinlich wundern, gerade bei mir, dass ich jetzt schon fertig sein sollte. Und außerdem könnte man glauben, an dieser Stelle bekommt man ewiges Leben dadurch, dass man etwas dafür tut.
Das ist ein Missverständnis. Von daher müssen wir noch einmal weiter darüber nachdenken.
Fest steht, dass jeder von uns weiß: Wenn jeder von uns lieben würde, Gott lieben würde, Ehrfurcht vor Gott hätte, aber mehr noch Gott lieben würde und den Nächsten, dann sähe die Welt besser aus, ganz ohne Frage.
Das lässt sich mit der Bibel auch wunderbar begründen. An Wissen, zumindest der wichtigsten biblischen Aussagen, mangelt es vielen von uns gar nicht. Das ist gar nicht das große Problem.
Der Mann hier wusste die gespeicherten Worte im richtigen Moment abzurufen. Aber oft sind solche Worte, die man mal gelernt hat – und ja, vielleicht ist es hier auf dem Westerwald noch ein bisschen anders als in Berlin –, nur Daten, die wir in unserem Kopf mit uns herumtragen.
Hier gibt es wahrscheinlich noch sehr viel mehr fromme Tradition. Vor 150 Jahren gab es zum Beispiel eine Erweckungsbewegung, die von Wuppertal ausgehend das ganze Siegerland, große Teile des Westerwaldes und auch den Dandelkreis, wo ich zuhause bin, ganz stark geprägt hat.
Da gibt es noch immer gottesfürchtige Leute, solche, die etwas mitbekommen haben von biblischer Wahrheit. Aber oft sind es eben nur die Dinge, die man mal gelernt hat. Das ist ein Wissen, das man, wie der Mann hier, abrufen kann, wenn danach gefragt wird – oftmals aber leider nicht viel mehr.
Manchmal allerdings werden solche Wörter lebendig. Sie fangen an zu atmen, bewegen sich. Da bekommt so ein Bibelspruch plötzlich Augen, und er sieht dich an.
Wer hat das schon mal erlebt, dass er in der Bibel gelesen hat und plötzlich gemerkt hat: Das meint mich?
Darum habe ich hier um ein Bekenntnis gebeten. Es sind doch etliche Hände, die hier nach oben gegangen sind. Danke für diese Bestätigung.
Und das passiert eben nicht unbedingt in einer Diskussion. Es passiert auch nicht immer während einer Predigt. Es passiert sehr häufig in der Stille, wenn wir uns persönlich mit dem Wort Gottes auseinandergesetzt haben – ganz häufig allerdings auch in völlig abgefahrenen Situationen.
Es ist offensichtlich, dass Jesus nun auf konkrete Situationen, also auf die Praxis, eingeht. Plötzlich geht es um die Gottes- und die Nächstenliebe. Der Gesetzeslehrer hat nach dem ewigen Leben gefragt und damit ein hohes Thema angesprochen. Jetzt aber kommt dieser Paukenschlag: Liebe.
Jesus wird dadurch womöglich noch an den Stadtrand geschickt, irgendwo ins Ghetto. Er ist schon irgendwie ein unbequemer Gesprächspartner.
Was macht unser Freund? Er kramt das nächste Problem aus der Labertasche hervor. Das ist ja oft so: Das Wort Gottes stellt dich in Frage, und dann stellst du sofort eine Gegenfrage. Zum Beispiel: Ist die Bibel nicht auch nur von Menschen geschrieben worden? Oder noch besser: Gibt es Gott überhaupt? Man kann sich doch nicht auf jemanden verlassen, der vielleicht gar nicht existiert.
Nun lautet die Gegenfrage des Schriftgelehrten: Wer ist denn mein Nächster? Das ist nämlich ziemlich problematisch, lieber Doktor Jesus von Nazareth. Wer soll denn jetzt der Empfänger meiner Liebe sein?
Ist es die alte Frau, die ich immer mit ihrem Rollator die Straße entlang wackeln sehe? Oder ist es die Familie aus Syrien, die man jetzt in Hausnummer siebzehn untergebracht hat? Wer ist mein Nächster? Sind es vielleicht ganz andere Leute, die mir viel näherstehen – Kollegen oder mein Chef, der heute Morgen auch nicht so besonders gut aussah? Wer ist mein Nächster? Das müsste man ja erst einmal feststellen.
So versucht der Fragesteller geschickt, ein bisschen Zeit zu gewinnen. Er kann noch ein wenig im Warmen sitzen bleiben. Er muss eben nicht gleich rausgehen und Nächstenliebe üben oder sich bei den Eltern entschuldigen für das Verhalten, das er ihnen gegenüber gezeigt hat. Auch muss er nicht sofort irgendwo sozial engagiert tätig werden.
Wer ist mein Nächster? Das ist eine Frage, die sich wahrscheinlich manche stellen. Viele Menschen sitzen in ihrem Leben wie in einem Wartezimmer. Sie warten immer darauf, dass irgendeiner, der vielleicht dann reinkommt, ihr Nächster wird.
Wir warten ständig auf Gelegenheit. Wir sind umgeben von Gelegenheiten, Menschen Gutes zu tun – Nächstenliebe zu zeigen. Aber wir warten. Ist das überhaupt richtig? Ist das ein Auftrag, den Gott mir gegeben hat? Dann warten wir weiter und weiter, bis wir grau und alt werden – und haben Tausende von Möglichkeiten verpasst.
Im Wartezimmer sitzt man also da und spekuliert, schaut über den Zeitungsrand: Bin ich hier gefragt oder nicht? Wir warten ab.
Nun, anstatt jetzt mit dem Mann über das Wesen des Nächsten zu diskutieren, beginnt Jesus, wie im Kindergarten, eine Räubergeschichte zu erzählen. Und das gegenüber einem gebildeten Mann.
Jesus fängt an: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho. „Na prima“, sagt sich der Schriftgelehrte, „irgendein Mensch, irgendeiner, den ich überhaupt nicht kenne, der soll wahrscheinlich mein Nächster sein? Das ist kein Nachbar, kein früherer Schulfreund, nur ein Spaziergänger.“ Die Geschichte lässt ihm wenig Zeit, seine Gedanken auf eine längere Wanderschaft zu schicken.
Jesus nahm die Frage auf und erzählte folgende Geschichte: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab. Unterwegs überfielen ihn Räuber. Sie nahmen ihm alles weg, schlugen ihn zusammen und ließen ihn halbtot liegen.
Nun kam zufällig ein Priester denselben Weg. Er sah den Mann liegen und ging vorbei. Genauso machte es ein Levit. Als er an die Stelle kam, sah er ihn liegen und ging ebenfalls vorbei.
Schließlich kam ein Reisender aus Samarien. Als er den Überfallenen sah, ergriff ihn das Mitleid. Er ging zu ihm hin, behandelte seine Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier und brachte ihn in die nächste Gaststätte oder das nächste Gasthaus, wo er sich weiter um ihn kümmerte.
Am anderen Tag zog er einen Geldbeutel heraus, gab dem Wirt zwei Silberstücke und sagte: „Pflege ihn! Wenn du noch mehr brauchst, will ich es dir bezahlen, wenn ich zurückkomme.“
Ein unbedarfter Reisender wird Opfer eines Anschlags. Ob dieser einen antisemitischen Hintergrund hatte und wer diese Ganoven waren, weiß man bis heute nicht. Sie schlagen ihn jedenfalls halbtot, rauben ihn aus und ziehen ihm alles weg. Den wehrlosen und wertlosen Rest, wie sie meinen, lassen sie zurück. So bleibt der Arme am Straßenrand liegen.
Dann erzählt Jesus, dass ein Priester den Weg hinabkommt. Von Jerusalem kommt er, das heißt, er kommt von der Arbeit. Da ist man müde und freut sich auf ein bisschen Entspannung. Und dann liegt da ausgerechnet noch viel entspannter ein Kerl im Weg.
Dem aufmerksamen Priester fallen die blauen Flecken auf. Der Mann ist betrunken, wahrscheinlich gegen einen Baum gerannt oder so. Dann schaut er sich um und versichert sich, dass niemand gesehen hat, dass er ihn gesehen hat. Eilig geht er mit der Bibel unterm Arm heim zum Frauchen, um ein Glas Wein mit ihr zu trinken.
Es dauert nicht lange, da kommt als Nächstes ein Tempeldiener zum Tatort. Was kann man hier tun? Dem dienen? Na ja, ich bin ja ein Tempeldiener, mein erster Hilfekurs ist schon lange her. Außerdem liegen vielleicht hundert Meter weiter die gleichen Bösewichte irgendwo hinterm Busch und lauern nur darauf, mir auch einen irgendwie über den Schädel zu ziehen.
In der Bibel kennt er sich nicht so gut aus, er sitzt im Tempel lediglich an der Tontechnik. Und dann zitiert er doch noch fromm klingend: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“, öffentliche Meinung, 1 Vers 1. Damit hat er eben die Leviten gelesen, sprich als Levit seine Pflicht erfüllt, und weg ist auch er.
Es ist ja irgendwie auch eine blöde Situation. Man kann sich auf so eine Begegnung gar nicht wirklich vorbereiten. Irgendwie liegt ja der, der meine Hilfe braucht, gerade dann am Wegesrand, wenn ich ganz furchtbar beschäftigt bin, überhaupt keine Zeit habe. Aber das kommt immer so ungelegen.
Und erstaunlich, welche Ausreden uns dann plötzlich einfallen: „Der ist verdächtig, wahrscheinlich vorbestraft, versoffen, faul, fies und selber schuld.“ So sind wir fertig, machen die Augen zu und warten wieder. Das Gewissen schläft ein, sobald jener beunruhigende Nächste wieder außerhalb des Sichtfeldes liegt.
Es ist tatsächlich leicht, einen Bogen zu machen, ich weiß das ja selber. Es ist leicht, einen Anhalter stehen zu lassen, wenn man gerade eine Tasche auf dem Beifahrersitz stehen hat. Es ist auch leicht, weiterzuschalten, wenn dir gerade irgendwo nach einer Naturkatastrophe das Elend eines Volkes vor Augen gehalten wird und du zu Spenden aufgerufen wirst. Dann schaltet man wieder zum Unterhaltungsprogramm um.
Es ist leicht, in der Zeitung die Armutsstatistiken zu überschlagen. Warum gibt es eigentlich so viel Elend auf der Welt? 75 Prozent der Weltbevölkerung haben kaum etwas zu essen, geschweige denn einen Kühlschrank, haben hier gar nichts, was sie da reintun könnten, haben kaum Kleidung, haben kein Dach über dem Kopf.
Warum? Das hat unter anderem damit zu tun, dass du und ich zu oft die Augen verschließen. Wie sagen wir manchmal: Augen auf im Straßenverkehr!
Die Straße zwischen Jerusalem und Jericho gibt es nicht nur in Palästina, sondern diese Straße führt quer durch die ganze Welt. Diese Straße führt auch hier durch Weitefeld, und diese Straße führt quer durch dein Leben hindurch.
Also ist es eine Geschichte, die uns meint. Das hat Jesus nicht allein diesem Mann erzählt, der es sowieso nicht aufrichtig gemeint hat. Es ist aufgeschrieben worden von Lukas, der das hier bezeugen kann, dass das die Reden von Jesus waren, weil es allgemeingültig für uns ist.
Wir müssen auf einmal beschämt feststellen, dass wir so viel besser als dieser Priester und dieser Levit auch nicht sind. Wie oft haben wir Gelegenheiten verpasst und sind einfach vorbeigegangen?
Aber wenn wir wirklich lieben und wenn wir das ernst nehmen würden, was Gott sagt – dass wir Gott lieben und dass wir unsere Nächsten lieben –, dann wären wir auch bereit, uns mal aus unseren Plänen und Vorhaben herausreißen zu lassen.
Wir müssten zumindest bereit sein, uns auch mal von Aufgaben überraschen zu lassen, die Gott einem spontan stellt. Gott ist ein Gott der Überraschungen in vielfacher Hinsicht.
Und zu Liebe gehört es eben auch, einfach mal zu improvisieren.
Ein Glaubensvorbild für mich ist der Bezirkspfarrer von Herborn, Eberhard Hoppe. Den kann man ruhig namentlich erwähnen. Er ist ein ganz demütiger, vorbildlicher und hingegebener Christ, der Nächstenliebe lebt. Nicht nur, weil er Notfallseelsorger ist, sondern weil man ihm das in seinem ganzen Wesen ansieht, wie eng er mit Gott verbunden ist und aus dem Glauben heraus lebt.
Er hat mir einmal erzählt, dass er, wenn er einen Termin hat, immer, wenn es irgendwie möglich ist, mindestens eine halbe Stunde vorher losfährt. Denn Gott hat ständig irgendwelche Überraschungen für ihn bereit. Da ist es mal jemand, der Pannenhilfe braucht oder etwas anderes. Er trifft einen Bekannten und ist dann froh, Zeit für ein Gespräch zu haben, weil das oft in diesem Moment auch nötig ist.
Ich muss von mir ehrlich sagen, das kann Samuel bestätigen: Ich breche oft so kurz vor knapp auf. Wenn ich also denke, ich brauche 35 Minuten nach Weitefeld, fahre ich auch nur 35 Minuten vorher los. Und dann kommt doch manchmal etwas dazwischen. Da ist man auch manchmal ein bisschen gestresst, aber man denkt immer, man kann das und das und das noch erledigen. Ich arbeite daran und möchte mir als Vorbild nehmen, einfach mal früher loszugehen und abzuwarten, was Gott ungeplant mit mir vorhat. Das tut Gott.
Gott ist ja ein persönlicher, ein erfahrbarer Gott. Vor einiger Zeit machte meine Frau mich darauf aufmerksam: „Schau mal aus dem Fenster, da sitzt ein alter Mann auf einem großen Karton.“ Und tatsächlich war da ein Mann, vermutlich über siebzig Jahre alt, der auf dem Karton saß und aussah, als würde er auf jemanden warten.
„Was ist mit dem?“, fragte sie. Ich sagte: „Wahrscheinlich wird der gleich abgeholt. Wir beobachten das mal.“ Ich war gerade in meinem Wartezimmer. Fünf Minuten später schaute ich noch einmal aus dem Fenster. Dann saß der Mann etwa zehn bis fünfzehn Meter weiter auf dem Karton. Kurz darauf saß er wieder eine Strecke weiter auf dem Karton.
Da sagte ich: „Komm, jetzt gehst du mal runter und fragst, ob du irgendwie helfen kannst.“ So stellte sich heraus, dass er in Kasachstan geboren wurde und im Bergwerk gearbeitet hatte. Seine Lunge hatte dort große Schäden erlitten, und er war daher sehr kurzatmig. Er hatte sich eine Mikrowelle gekauft und schleppte diese jetzt Stück für Stück nach Hause. Dabei musste er sich immer wieder ausruhen.
„Wo wohnen Sie denn?“, fragte ich. „Hier an der Bahnhofstraße.“ „Das ist gar nicht so weit. Ich bringe Ihnen die Mikrowelle nach Hause.“ Auf dem Weg, als wir die Straße überquerten, sagte er: „Scheiß Leben.“ Ich zitiere das jetzt so, wie er es gesagt hat. Da habe ich ihm Recht gegeben und gesagt: „Das ist wirklich wahr. Aber wie gut, dass das Leben hier nicht alles ist.“
Er schaute mich erstaunt an und sagte gleich: „Du zu mir? Glaubst du wirklich?“ „Oh ja, ich glaube, das Leben hier ist nicht alles. Ich lebe auf ein Ziel zu, das viel, viel besser ist als dieses Scheißleben, dieses von Sünde so beschädigte Dasein, das wir hier auf der Erde fristen.“
Dann gingen wir weiter und lernten uns ein bisschen kennen. Er wohnte ja nicht so weit von uns. Bis dahin war er mir nie aufgefallen, obwohl wir im Bahnhofsviertel wohnen. Ich habe ihn immer wieder mal besucht.
Vor zwei Jahren hatten wir auch so eine Zeltwoche, genau wie die hier bei uns in Dülmburg Manderbach. Ich habe ihn eingeladen, und er war jeden Abend, also zehn Abende lang, mit dabei. An einem der Abende hat er sogar ein Gebet mitgesprochen, das wir hier allabendlich beten: „Herr Jesus, ich will von jetzt an dir vertrauen. Ich bekenne dir meine Sünden, komm du in mein Leben, mach du mein Leben neu, ich will dir nachfolgen.“
Eigentlich war das eine so simple Geschichte. Ich bin so froh, dass meine Frau mich darauf aufmerksam gemacht hat. Ich hätte das wahrscheinlich nicht getan. Es war ja so: „Du musst ja die nächste Predigt vorbereiten, alles ganz wichtig.“ Während der Arbeitszeit kam ich nicht auf die Idee, Hilfeleistungen anzubieten.
Es sind einfache Aktionen, die meist einfach aus der Nächstenliebe heraus geboren werden.
Wer Jesus Christus ist, erfährt man nicht allein durch das Nachdenken über dogmatische Probleme am Schreibtisch.
Wer Jesus Christus ist, das erfährt man nach Matthäus 25 von den Gefangenen, von den Hungernden und von den verfolgten Brüdern. In ihnen will er uns begegnen, das wird uns dort sehr eindrücklich mitgeteilt.
Solche Geschichten könnten wir ständig erleben. Das sage ich jetzt an die lieben Mitchristen hier: Wenn wir unsere Segel setzen und uns vom Geist Gottes bewegen ließen, auch in diesen Tagen, dann würden wir losgehen und schauen, wo irgendwo am Rande Menschen sitzen, die vielleicht nur darauf warten, mitgebracht zu werden.
Aber anstatt zu segeln, fahren wir Zug. Wir sind so in unseren eingefahrenen Gleisen drin. Komm doch einfach mal raus aus deiner Routine, bete für diese Überraschungen und sei ein bisschen beweglich.
Übrigens: Der Priester und der Levit sind Hauptamtliche, wie man uns nennt, die wir Geld für unseren geistigen Dienst bekommen. Siegfried Schnabel hat sich irgendwo versteckt, schon vor lauter Scham.
Diese Hauptamtlichen oder Vollzeitler kommen hier nicht allzu gut weg. Sie gehen beide vorbei, aber nicht allzu gut weg. Denen, sprich uns, sollte man nicht den ganzen Dienst für Gott und am Nächsten überlassen.
Ich bin manches Mal vorbeigegangen, ich habe Gelegenheiten verpasst. Und du, was glaubst du, wirst du am Ende deines Lebens bereuen, heute nicht getan zu haben?
Am Ende kommt der Samariter. Er sieht den Verwundeten, ist innerlich bewegt und hilft ihm. Er, der nie eine Jungschar besucht hat, geschweige denn Konfirmandenunterricht, tut etwas – trotz seiner ziemlich mangelhaften Theorie der Liebe.
Er wäscht und kühlt dem Mann die blauen Flecken. Dann hebt er ihn auf seinen Esel, bringt ihn in ein feudales Hotel und trägt den Bewusstlosen wahrscheinlich noch eigenhändig ins Bett. Er zahlt die Rechnung im Voraus und bestellt Sanitäter. Gott sei Dank ist nichts gebrochen, keine inneren Verletzungen.
Dennoch trifft er Vorsorge an der Rezeption. Er hinterlässt einen 200-Euro-Schein für alle Fälle, sorgt gut für meinen Freund und sagt, er stelle das beste Menü für ihn zusammen. Sobald er wieder bei Kräften ist, schickt er einen guten Masseur. Falls es teurer wird, kommt er wieder und übernimmt alle Kosten.
Dieser Mann hat die Scheuklappen abgelegt. Er sieht, was um ihn herum passiert. Und wir sollten – so wie er – die eingefahrenen Gleise verlassen. Sonst sehen wir eben nur unser eigenes Leben und werden Teil dieser kalten, lieblosen Gesellschaft. Wer nur die eigenen Ansprüche vor Augen hat, geht schnell über Leichen.
Wie endet jetzt der Bericht? In Vers 36 heißt es: „Was meinst du, wer von diesen dreien der Nächste dessen gewesen ist, der unter die Räuber gefallen war?“ So fragte Jesus diesen Gesetzeslehrer.
Er aber antwortete: „Der, der die Barmherzigkeit an ihm übte.“ Jesus aber sprach zu ihm: „Geh hin und handle du ebenso.“
Der Gelehrte wollte wissen, wer sein Nächster ist. Man könnte meinen, dass Jesus uns beibringen will, dass der Nächste so ein Armer am Wegrand ist. Also sei aufmerksam, wo Gott dir da jemanden über den Weg schickt.
Wenn wir uns diesen Text hier aber genauer anschauen, stellen wir fest, dass der am Wegesrand überhaupt nicht zur Debatte steht. Schauen Sie mal genau hin: Da steht, wer von den Dreien hat als Nächster gehandelt. Wer ist hier der Nächste?
Diese drei sind der Priester, der Levit und der Samariter. Mit dieser Geschichte dreht Jesus den Spieß herum. Er reißt sozusagen die Tür zum Wartezimmer deines Lebens auf und sagt: „Der Nächste bitte!“ Damit meint er dich. Du bist der Nächste!
Wir stellen uns immer die Frage: Wo können wir sein? Wie können wir möglichst den Flüchtlingen gegenüber freundlich sein? Das sind ja wichtige Fragen, und es ist wichtig, dass wir die Augen offen haben – auch im Straßenverkehr, dazu habe ich ja auch appelliert.
Aber in dieser Geschichte meint er den Fragesteller selbst, und damit meint er dich und mich. Er erwartet, dass du und ich aufstehen, dass wir losgehen, dass wir handeln.
Jetzt bist du dran. Der Nächste bitte – das bist du!
Seht ihr, wenn ich so darauf bestehe, dass wir unseren durchblutungsgestörten Hintern hochkriegen, dann will ich damit kein Leistungsdenken oder Leistungskritier sein oder Gesetzlichkeit predigen. Gesetzlichkeit bedeutet, dass Leute meinen, aufgrund des Einhaltens der Regeln, wie sie diese in der Bibel zu erkennen glauben, dadurch vor Gott gerecht werden.
Wenn ich also möglichst lieb bin, Nächsten lieb bin und immer brav zur Kirche gehe – mir hat mal eine Frau bei uns im Dorf gesagt: „Der Pfarrer kann mit mir zufrieden sein.“ Als ob es darauf ankäme. Damit wollte sie sagen, sie sei jeden Sonntag da. Wir sind nicht dadurch gerecht vor Gott, dass wir etwas tun. Dieses Missverständnis muss ich an dieser Stelle unbedingt ausräumen: Wir sind nicht errettet, weil wir etwas tun. Aber wir tun etwas, weil wir errettet sind.
Sehen Sie, es gibt Leute, die meinen, wenn sie zu Jesus kommen – und ich habe in den letzten beiden Tagen dazu eingeladen, sich diesem Jesus anzuvertrauen –, weil er uns berechtigte Hoffnung gibt im Blick auf das ewige Leben. Weil er uns unsere Sünden vergeben möchte. Er ist am Kreuz für deine und meine Sünde gestorben. Er hat die Liebe Gottes offenbart, gezeigt dadurch, dass er bis zum Letzten gegangen ist. Er hat sich von Menschen, die er selbst erschaffen hat – an der Schöpfung beteiligt war –, an diesen Querbalken nageln lassen und zugelassen, dass die da unter dem Kreuz standen und ihn verspottet, beschimpft und vorher bespuckt haben, wie den letzten Dreck behandelt haben.
Das hat Jesus alles aus Liebe zu uns über sich ergehen lassen. Er hat Nächstenliebe bewiesen, als er sein Leben für uns hingegeben hat. Da meinen manche, dass wenn sie Christ werden sollten, sie erst dies und jenes bei sich in Ordnung bringen müssen, sonst passen sie nicht dazu und sind keine Christen. Und das ist eben ein ganz großer Irrtum. Wir werden nicht aufgrund unserer Werke errettet, sondern gute Werke sind eine Folge meiner Errettung.
Wenn ich ergriffen bin von dem, was Jesus für mich getan hat, werde ich aus Dankbarkeit heraus ein neuer Mensch. Nicht zuletzt auch dadurch, dass der Heilige Geist in mir Liebe bewirkt. Pfingsten liegt ja gerade hinter uns, und das möchte ich erklären: Das hat mit dem Kommen des Heiligen Geistes zu tun. Der Anfang der Gemeinde, wo Menschen mobilisiert wurden und plötzlich ausgeströmt sind in die damals bekannte Welt, um die Botschaft von Jesus Christus in Wort zu dokumentieren und zu proklamieren.
Diese guten Werke sind Folge meiner Errettung. Also noch einmal: Es geht hier nicht darum, gute Werke zu tun, um dadurch errettet zu werden. Kein Mensch wird durch gute Werke errettet werden. Das macht auch der Apostel Paulus sehr deutlich, wenn er sagt: Aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden, denn durchs Gesetz kommt allenfalls Erkenntnis der Sünde.
Sehen Sie, wenn Jesus diese Geschichte erzählt und schließt mit „Tu das“, dann ist das Gesetz. Jesus predigt hier tatsächlich Gesetz. Es ist nicht der einzige Fall, wo er das tut. Da kam ein reicher junger Mann zu ihm, der fragt auch so: Was muss ich tun, um gerettet zu werden? Da sagt er zu ihm: „Die Gebote kennst du.“ Und dann zählt er sogar ein paar auf: „Du sollst nicht Ehe brechen“ usw. Da predigt er auch Gesetz.
Und dann wird dieser Mann ganz beschämt. Das ist so gesetzesbeschämt. Auch diese Geschichte hier stellt uns bloß. Gefällt Ihnen die Predigt von heute Abend? Mir nicht, weil das so beschämend ist. Man merkt, ich komme da nicht dran, ich genüge dem nicht. Da erkennen wir die Unmöglichkeit, das ganze Gesetz zu halten, und dann brauchen wir Vergebung unserer Sünden.
Wir alle miteinander haben versagt, und es gibt auch Unterlassungssünde, das müssen wir uns bewusst machen. Wie wir sagen im Jakobusbrief: „Wer weiß, Gutes zu tun und tut es nicht, dem ist es Sünde.“ Ich höre oft das Argument: „Ihr habt nichts Großes auf dem Kerbholz.“ Meistens höre ich: „Ich habe noch keinen umgebracht.“ Herzlichen Glückwunsch. Aber wer weiß, Gutes zu tun und tut es nicht, dem ist es Sünde. Da fängt es schon an, das sind Unterlassungssünden.
Wir brauchen Vergebung unserer Sünden. Wir dürfen ja nicht vergessen, wo wir hierherkommen. Zunächst mal sind wir ja unter die Räuber gefallen. Wir sind ausgezogen und beraubt worden. Die Sünde hat uns verwundet und geschlagen. Ich habe manches Mal weinen müssen über mein eigenes Versagen, wenn ich am Ende eines Tages festgestellt habe, wie herzlos ich gewesen bin und wie ich andere Menschen verletzt habe.
Sehen Sie, und dann kommen der Priester und der Levit. Wenn die kommen, dann müssen wir liegen bleiben. Die helfen nicht. Die Vertreter des Gesetzes helfen nicht. Das ist die Aussage hier: Die Vertreter des Gesetzes helfen nicht. Nochmal, Paulus sagt: Aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden.
Das, was Gott von uns erwartet, ist Glaube, nicht Gesetzeswerke. Da sagt Paulus dann, damit sich niemand rühme, niemand auf die Schulter klopft und sagt: „Schau mal!“ Das bedeutet ja auch, wenn ich gute Werke tue, dass ich dem, was Jesus für uns getan hat am Kreuz, den Preis seines Lebens zu bezahlen, noch etwas hinzufügen muss durch meine guten Werke.
Das können wir nicht. Glaube heißt anzuerkennen: Ja, Herr, ich vertraue dir als der, der stellvertretend für mich ans Kreuz gegangen ist. Ich will dir mein ganzes Vertrauen, meine ganze Liebe, meine ganze Aufmerksamkeit, meine ganze Hingabe schenken. Darum geht es.
Und das ist das, was Paulus dann weiter in Römer 3 sagt. Dort steht, dass es durch das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde kommt und dann weiter: Dieser Weg besteht im Glauben, das heißt im Vertrauen auf das, was Gott durch Jesus Christus getan hat. Jesus hat als Letztes am Kreuz ausgerufen: „Es ist vollbracht.“ Er hat es getan, dem ist nichts hinzuzufügen von unserer Seite.
Schließlich kommt der Samariter – weißt du, wer das ist? Unser Herr Jesus Christus, der barmherzige Jesus. Den Samaritern haben die Juden damals die kalte Schulter gezeigt, mit denen wollten sie nichts zu tun haben, ebenso wie sie Jesus abgelehnt haben. Sein eigenes Volk wollte ihn nicht.
Und dieser Jesus kommt, er sieht uns, er ist innerlich bewegt, er erbarmt sich über uns, er wäscht uns und verbindet uns. Er bringt uns nach Hause. Er bezahlt für uns den Preis. Und er ist der, der spricht: „Geh hin und handle du ebenso.“
Er wäscht und verbindet uns da, wo wir von der Sünde krank geworden oder verletzt worden sind. Er will dich von deinen Sünden freimachen, gesund machen – egal, ob es eine innere Zerrissenheit ist, Schuldgefühle, die bis hin zu Depressionen gehen können, Eheprobleme oder Probleme in der Familie.
Ich habe es so oft erleben dürfen, wenn Jesus der Herr im Haus einer Familie wurde, dass vieles plötzlich in Ordnung gekommen ist. Weil sich Menschen da plötzlich nicht mehr voreinander profilieren müssen, sondern grundsätzlich wissen, sie sind von Gott geliebt – das haben sie erfahren.
So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn für uns gab. Wenn Menschen das mal klar geworden ist: Wir sind geliebt von Gott. Er hat alles dafür getan, dass wir gerettet werden können. Das hat Auswirkungen auch auf zwischenmenschliche Beziehungen. Und er bringt uns nach Hause.
Diese Frage: Was kommt nach dem Tod? Kannst du sie sicher beantworten? Ich gehe heim zu Jesus, und er wartet darauf, dass Menschen, die versöhnt sind mit Gott, in die Wohnungen einziehen, die er für uns bereitet hat.
Er hat – so wie dieser Samariter hier – den Preis bezahlt. Und zwar nicht einen 200-Euro-Schein, sondern er hat sein Leben als Preis bezahlt. Er hat mit seinem Leben bezahlt, da wo du und ich zahlungsunfähig sind vor Gott, wo wir es nicht wiedergutmachen können durch unsere guten Werke.
Du kannst durch gute Werke Sünden nicht aufwiegen, das geht nicht. Das ist im Straßenverkehr auch so: Wenn du geblitzt wirst, kannst du nicht sagen: „Jetzt fahre ich an derselben Stelle 50 Mal mit 30 Stundenkilometern vorbei, ich mache es wieder gut.“ Das ist ja lächerlich.
Jesus bringt dich nach Hause. Er hat den Preis für dich bezahlt, und er ist der, der spricht: „Geh hin und handle du ebenso.“ Er wird einen ganz neuen Menschen aus dir machen, den man nicht wiedererkennen kann, von dem plötzlich Liebe ausgeht.
Dieser Mensch wird hier im Ort oder wo auch immer sie oder du zu Hause bist, Gutes tun. Und das wird spürbar. Ich wünsche mir, dass hier so eine Generation von Christen, auch in der jungen Generation, aufsteht, denen man es wieder ansieht, dass sie von Jesus geprägt sind, dass sie seine Jünger sind, von ihm gelernt haben, von ihm verändert sind und diese Liebe zeigen können, wie Jesus sie gehabt hat.
Das wollen wir bezeugen: Jesus verändert zum Guten.
Wir wollen jetzt aufstehen und miteinander beten. Ich lade Sie ein, im zweiten Teil dieses Gebetes mitzubeten und dem Herrn Jesus Ihr Leben anzuvertrauen. Dieser Tag kann ein bedeutender Wendepunkt in Ihrer Biografie sein.
Herr Jesus, wir danken dir sehr für die eindrückliche Geschichte, die du uns erzählt hast – die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Wenn wir uns mit diesem Samariter vergleichen, sind wir beschämt. Vielmehr finden wir uns eher in dem Priester und dem Leviten wieder, die versagt haben. Wir erkennen, dass auch wir oft versagen, wenn wir versuchen, durch das Gesetz gerecht zu werden. Doch wir müssen feststellen: Das reicht niemals aus.
Wenn jetzt Menschen hier sind, die ihre Sünden bereuen – auch die vielen Unterlassungssünden – möchte ich darum beten, dass manche aus großer Überzeugung dieses Gebet mitbeten. Ladet Jesus ein, als Heiland in euer Leben zu kommen und euer Leben völlig auf den Kopf zu stellen und zu verändern.
Danke, dass viele Menschen das so erlebt haben. Danke, dass es auch heute so sein kann.
Wenn du möchtest, kannst du jetzt mitbeten:
Herr Jesus, danke, dass du heute Abend zu mir gesprochen hast. Ich habe erkannt, dass du der Barmherzige bist. Ich danke dir, dass du herabgestiegen bist und dich uns Menschen zugewandt hast. Danke, dass du verbinden möchtest.
Danke, dass du Heiland bist. Danke, dass du den Preis am Kreuz bezahlt hast. Danke, dass du mich nach Hause bringen willst.
Ich bekenne dir jetzt meine Sünden. Bitte vergib mir. Ich lade dich ein, jetzt in mein Leben zu kommen. Du sollst der Mittelpunkt meines Lebens sein. Von heute an will ich dir nachfolgen und dir gehorsam sein.
Danke, dass du mich bis zum Ziel führen wirst und danke, dass du mich als dein Kind angenommen hast. Amen.