Begrüßung und Einführung in die Bibelstunde
Wunderbar, jetzt können wir anfangen. Schön, dass Sie da sind. Auch ich möchte Sie ganz herzlich an diesem Nachmittag zu dieser Bibelstunde begrüßen. Ich freue mich sehr, diese Zeit mit Ihnen teilen zu können.
Ich habe heute Nachmittag einen Text mitgebracht, einen langen Text, ein ganzes Kapitel, das ich mit Ihnen anschauen möchte. Es ist ein Kapitel, das man als die erste Kirchengeschichte der Christenheit bezeichnen könnte: Apostelgeschichte Kapitel 12.
Bevor wir den Text gemeinsam lesen, möchte ich ein Gebet sprechen.
Guter Herr, wir sind hier, weil wir Durst haben – Durst nach Leben, Durst nach Frieden, Durst nach Trost und Durst nach deinem Wort. Nun bitten wir dich, dass du uns ausschenkst vom lebendigen Wasser, damit wir trinken können, dass unser Durst gestillt wird und wir am inneren Menschen satt werden.
Schenke uns neuen Mut, damit wir diesen Gottesdienst gestärkt verlassen können. So segne uns in deinem Namen. Amen.
Lesung des Kapitels Apostelgeschichte 12
Ich möchte mit Ihnen ein ganzes Kapitel lesen. Sie finden es hier alles auf der Leinwand und können dann mitlesen: Apostelgeschichte 12.
Um diese Zeit legte der König Herodes – es ist nicht der Herodes, unter dem Jesus gekreuzigt wurde, sondern Herodes Agrippa, einer der Nachfolger dieses Königs Herodes – Hand an einige von der Gemeinde, um sie zu misshandeln. Er tötete Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. Gemeint ist Jakobus, der Sohn des Zebedäus. Sein Bruder Johannes, ebenfalls ein Sohn des Zebedäus, ist aus den Evangelien bekannt. Beide waren Jünger Jesu und gehörten zum Apostelkreis. Dieser Jakobus wird nun mit dem Schwert getötet.
Als Herodes Agrippa sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber gerade die Tage der ungesäuerten Brote. Nachdem er Petrus ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und übergab ihn vier Wachen, von je vier Soldaten, um ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen.
So wurde Petrus im Gefängnis festgehalten. Die Gemeinde betete ohne Aufhören zu Gott für ihn.
In jener Nacht, als Herodes ihn vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten mit zwei Ketten gefesselt. Die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein, und Licht leuchtete im Raum. Er stieß Petrus in die Seite, weckte ihn und sprach: „Steh schnell auf!“ Die Ketten fielen ihm von den Händen.
Der Engel sprach zu ihm: „Gürte dich und zieh deine Schuhe an!“ Petrus tat es. Dann sagte der Engel: „Wirf deinen Mantel um und folge mir!“ Petrus ging hinaus und folgte ihm. Er wusste nicht, dass dies wirklich durch den Engel geschah, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen.
Sie gingen durch die erste und die zweite Wache und kamen zu einem eisernen Tor, das zur Stadt führt. Dieses tat sich von selbst auf. Sie traten hinaus, gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel.
Als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: „Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt hat und mich aus der Hand des Herodes errettet hat – und von allem, was das jüdische Volk erwartete.“
Nachdem er sich besonnen hatte, ging er zum Haus Marias, der Mutter des Johannes mit dem Beinamen Markus, wo viele beieinander waren und beteten. Als er an das Hoftor klopfte, kam eine Magd namens Rode, um zu hören, wer da wäre. Als sie die Stimme des Petrus erkannte, öffnete sie vor Freude das Tor nicht, sondern lief hinein und verkündete, dass Petrus vor dem Tor stünde.
Sie aber sprachen zu ihr: „Du bist von Sinnen.“ Doch sie bestand darauf, dass es so sei. Da sagten sie: „Es ist sein Engel.“ Petrus klopfte weiter an.
Als sie nun aufmachten, sahen sie ihn und entsetzten sich. Er winkte ihnen mit der Hand, damit sie schweigen sollten, und erzählte ihnen, wie ihn der Herr aus dem Gefängnis geführt hatte. Dann sprach er: „Verkünde dies dem Jakobus und den Brüdern.“ Danach ging er hinaus und zog an einen anderen Ort.
Ich lasse ein paar Verse aus und komme zum Schluss des Kapitels.
An einem festgesetzten Tag legte Herodes Agrippa wieder das königliche Gewand an, setzte sich auf den Thron und hielt eine Rede an das Volk. Dieses rief ihm zu: „Das ist Gottes Stimme und nicht die eines Menschen!“
Alsbald schlug ihn der Engel des Herrn, weil er Gott nicht die Ehre gab. Von Würmern zerfressen, gab er den Geist auf.
Das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus.
Herr, heilige uns in der Wahrheit! Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.
Die Fragen und Rätsel des Kapitels
Ein bewegtes Kapitel, ein dramatisches Kapitel, ein spannendes Kapitel, ein fragenreiches Kapitel – ein Kapitel, das uns viele Rätsel aufgibt.
Da steht die Frage der Gerechtigkeit im Raum: Warum wird der eine Jünger gerettet, wunderbar gerettet, während der andere den Märtyrertod erleidet? Wie sollen wir das erklären?
Die nächste Frage lautet: Warum lässt Gott überhaupt zu, dass seinem Volk so viel Gewalt angetan wird, so brutale Gewalt? Warum schützt Gott seine Gemeinde nicht wirksam? Diese Frage ist bis auf den heutigen Tag sehr aktuell, mitreißend und bewegend.
Dann kommt die Frage: Wenn die Gemeinde mit solcher Gewalt, mit solchem Hass und Widerstand konfrontiert wird, wie soll sie darauf reagieren? Was sollen wir tun? Wenn die Gemeinde das erlebt, was den Jüngern damals begegnet ist, wie soll man sich gegen die Tyrannen wehren?
Was können wir für unser Leben, unser Leiden mit T und unser Leiden mit D aus dieser Geschichte lernen? Das ist Kirchengeschichtsschreibung aus der Bibel.
Ich möchte Sie einladen, mit mir in dieses Kapitel hineinzuhören, Sie auf eine Exkursion in die erste Kirchengeschichte der Weltgeschichte mitzunehmen. Sie werden möglicherweise erstaunt sein, was es dort alles zu entdecken gibt.
Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes
Eine erste Wahrnehmung
Es ist eine Geschichte von den Rätseln des Lebens und den Antworten des Glaubens. Am Anfang des Kapitels steht der Bericht einer fürchterlichen Niederlage. In ganz kurzen, knappen Worten wird erzählt, dass Herodes Agrippa den Jakobus, den Sohn des Zebedäus und Bruder von Johannes dem Zebedäer, mit dem Schwert hat hinrichten lassen. Er tat dies, um dem jüdischen Volk einen Gefallen zu tun, sozusagen seine eigene Attraktivität zu steigern und ein bisschen Publicity und Werbung für sich zu machen.
Das kennen wir bis zum heutigen Tag: Unter Mehrheitswillen werden Minderheiten geschlagen und verfolgt, um Sympathien beim Volk zu gewinnen. Das ist eine aktuelle Geschichte, die bis in die Gegenwart reicht.
Mehr erfahren wir nicht. Nach dem anschließenden Bericht von der wunderbaren Rettung des Petrus, der viel ausführlicher ist, stellt sich uns die erste Frage: Warum wird der eine errettet? Acht Verse lang wird eindrucksvoll beschrieben, wie sich die Gefängnistüren öffnen und die Ketten abfallen. Warum wird der eine wunderbar errettet und der andere nicht? Beide waren Jünger Jesu, beide gehörten zum engsten Kreis, beide waren mit ihm auf dem Weg und zentrale Figuren der ersten Gemeinde.
Warum erfährt der eine eine wunderbare Rettung und der andere den Märtyrertod? Hat die Gemeinde nicht auch für Jakobus gebetet? Natürlich hat sie das, ganz sicher. War der eine besser als der andere? Hat der andere etwas Verborgenes getan? Diese Fragen tauchen immer wieder auf, wenn wir uns mit den großen Rätseln des Lebens oder den Rätseln unseres eigenen Lebens beschäftigen.
Hat Gott den einen lieber gehabt als den anderen? Das sind die Fragen, die im Angesicht des Todes auftauchen, die bei schweren Schicksalsschlägen entstehen. Diese Fragen sind mitten in dieser Geschichte enthalten.
Und Sie merken schon: Wir kommen mit dieser Frage hier in dieser Geschichte nicht weiter. Ebenso wenig kommen wir bei den rätselhaften Lebensfügungen weiter, wenn wir nur bei dieser Frage stehenbleiben.
Wir stehen hier vor der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes, der sogenannten Theodizee-Frage, auf die wir in dieser Zeit niemals eine Antwort bekommen. Das wird erst in der Ewigkeit anders sein.
Viele Menschen ringen mit irgendeiner Form dieser Theodizee-Frage: Warum ist das Leben meines Bruders oder meiner Schwester so viel besser gelungen als meines? Warum muss ich so viele Lasten und Bürden tragen im Vergleich zu meinem Nachbarn oder meiner Nachbarin? Warum musste ich diesen oder jenen Schicksalsschlag verkraften? Warum ist dieses oder jenes in meinem Leben so gelaufen und nicht anders?
Das sind die Fragen, mit denen wir vor Gott reden, und diese Frage schreit uns aus dieser Geschichte am Beispiel dieser zwei Männer entgegen.
Wir ringen mit diesen Fragen manchmal auch im Blick auf unseren Dienst in der Gemeinde. Missionare ringen mit diesen Fragen, Pastoren ringen mit dieser Frage: Warum wird der Dienst des einen so gesegnet, und warum stoße ich mit meinem Dienst immer wieder an Grenzen und Mauern?
Wir haben in der Missionsgeschichte großartige Zeugnisse von gesegneten Missionaren, die ganze Völker und Generationen zum Glauben geführt haben, wo die Türen weit aufgegangen sind und ein reicher Missionssegen entstanden ist. Und wir haben dreimal so viele Geschichten von Missionaren, die in vergangenen Jahrhunderten ausgereist sind und nach wenigen Wochen an Gelbfieber gestorben sind.
Beides sind Missionsgeschichten, und beides gehört zusammen.
Wir stehen hier vor einem letzten Rätsel, das uns nicht gelöst wird. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Schicksale von Jakobus, dem Zebedäer, und Petrus will uns genau das sagen: Wir bekommen auf diese letzten Fragen unseres Lebens und möglicherweise unseres Dienstes keine Antwort – oder präziser gesagt – noch keine Antwort.
Ich muss es in meinem Leben und in meinem Dienst aushalten, mit den fehlenden Antworten zu leben und lernen, dass Dinge offen bleiben können bis in die Ewigkeit.
Theologie ist nicht nur die Wissenschaft von dem, was wir über Gott sagen können. Theologie ist auch die Wissenschaft vom stillen Sein vor der Unergründlichkeit Gottes, vor der Rätselhaftigkeit seiner Wege. Auch das ist Theologie.
Der Sinn des Leidens und das Wachstum des Wortes Gottes
Die Sache verändert sich in dem Moment, in dem wir die Frage anders stellen, also neu formulieren. Wenn wir fragen, welchen Sinn das Leiden dieser Christen hat, dann sind wir in diesem Kapitel an einer besseren Adresse.
Auf die Frage nach dem Sinn des Leidens der Nachfolger Jesu bekommen wir eine Antwort. Während das Kapitel im ersten Vers mit dem Märtyrertod des Petrus beginnt, endet es im letzten Vers mit dem Hinweis, dass das Wort Gottes wuchs und sich ausbreitete. Und das eine hat mit dem anderen zu tun. Es ist in der Apostelgeschichte immer wieder dasselbe: Der Zeugentod der Nachfolger Jesu führt zum Wachstum der Gemeinde.
So war es bei Stephanus, dessen Martyrium in Kapitel sieben erzählt wird. Nach seinem Martyrium wird die Gemeinde verfolgt, sie muss fliehen und wird zerstreut. Genau das führt dazu, dass sich das Evangelium ausbreitet. Es gelangt nach Samarien, nach Syrien. Dort kommen Menschen zum Glauben, dort werden Menschen zu Missionaren und breiten das Evangelium weiter aus.
Mission war im ersten Jahrhundert nach Christus immer mit Martyrium verbunden. Martyrium war ein Instrument Gottes der Mission. Gott hat seine Leute zerstreut, gewaltsam auseinandergetrieben durch die Widersacher. Genau so hat sich das Evangelium ausgebreitet.
Nebenbei erwähnt: Wir haben momentan 250 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind. Hundert Millionen davon sind Christen. Diese Christen nehmen das mit, was in ihrem Herzen wohnt – das Evangelium. Die größte Missionsbewegung der Gegenwart sind hundert Millionen christliche Flüchtlinge, aus welchen Gründen auch immer, die das Evangelium von hier nach dort mitnehmen. Da kann keine Missionsgesellschaft dieser Welt mit diesen Bewegungen mithalten.
Es war der große Theologe und Apologet Tertullian, der im zweiten Jahrhundert dieses berühmte Wort prägte: Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche. Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche. Und das wird in der Apostelgeschichte immer wieder deutlich. Die Niederlagen der Gemeinde erweisen sich immer als die Siege Gottes.
Aber nicht nur das: Lukas, der Schreiber der Apostelgeschichte, macht hier auch deutlich, dass es sehr wohl eine verborgene Gerechtigkeit in Gottes Handeln gibt. Diese können wir nicht immer wahrnehmen, aber am Ende kommt sie in jedem Fall zum Tragen. Es ist die Kunst des Geschichtsschreibers, diese verborgene Gerechtigkeit durch die Beschreibung der Zusammenhänge in diesem Kapitel sichtbar zu machen.
Am Ende des Kapitels heißt es: „Alsbald schlug ihn“ – gemeint ist Herodes Agrippa – „der Engel des Herrn, weil er Gott nicht die Ehre gab, und von Würmern zerfressen, gab er den Geist auf. Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus.“
Am Anfang des Kapitels steht die brutale Machtdemonstration des mächtigen Tyrannen zum Gefallen des Volkes, und am Ende steht sein Tod vor allem Volk. Am Anfang des Kapitels will der König dem Volk den Tod der Apostel vorführen, und am Ende wird sein Tod dem Volk vorgeführt. Am Anfang des Kapitels steht das Martyrium, und am Ende die Ausbreitung des Wortes Gottes.
Aus Tod und Tyrannei entsteht Leben und Wachstum der Gemeinde – das ist die Botschaft dieses Kapitels. Aus Misshandlung entsteht Befreiung, aus dem Kollaps des vergöttlichten Menschen entsteht das Wachstum des göttlichen Wortes. Das sind Zusammenhänge, die Lukas in diesem Kapitel miteinander in Verbindung bringt. Gleichzeitig macht er klar: Ja, es gibt eine letzte Gerechtigkeit, aber diese Gerechtigkeit wird von Gott gewirkt und nicht von Menschen.
Die Rolle der Gemeinde und die Macht des Gebets
Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist: Die Gemeinde tut in diesem Kapitel relativ wenig. Sie ist nicht die große Akteurin in dieser Geschichte. Die Gemeinde und alle Christen verhalten sich durchgehend gewaltfrei. Es gibt keinen Aufstand gegen den Tyrannen.
Es gibt nur eine Aktion, die die Gemeinde hier ausführt – nur eine: Sie betet. Das Gebet ist hier der politische Aufstand gegen die Willkür der Tyrannen. Es ist der politische Aufstand gegen die Willkür der Tyrannen.
In dieser Geschichte gibt es letztlich nur zwei wirkliche Akteure, die Gewalt und Gegengewalt ausüben. Der eine ist Herodes Agrippa, der andere ist Gott, der letzte Richter. Herodes lässt hinrichten und Gefangene machen, und Gott lässt richten. Er lässt seine Engel schlagen und befreien.
Das Einzige, was die Gemeinde tut, ist zu beten und darauf zu vertrauen, dass Gott handelt und seine Macht erweist. Dies geschieht in dieser Geschichte mit unglaublicher Brutalität, die einem den Atem verschlagen kann.
Die Gemeinde muss und darf die Gerechtigkeit nicht erzwingen, aber sie kann beten. Wir haben kein Recht, als Gemeinde Gewalt auszuüben. Doch wir hoffen auf Gottes Gerechtigkeit und beten um sie. Denn das Gebet hat die Verheißung, mächtiger und kräftiger zu sein als alle Gewalt aller Tyrannen dieser Welt.
Wir können diesen Text heute Nachmittag nicht bedenken, ohne daran zu erinnern, dass täglich Hunderte unserer Schwestern und Brüder den Märtyrertod erleiden, den hier Jakobus erlitten hat. Die Tageszeitung Die Welt hat ausgerechnet, dass alle fünf Minuten ein Christ auf dieser Welt um seines Glaubens willen umgebracht wird. Die meisten von ihnen sterben im Namen der Religion, deren Anhänger heute zu Hunderttausenden in unser Land strömen.
Noch einmal: Wir dürfen und werden Gerechtigkeit nicht erzwingen. Aber nach wie vor ist das Gebet die stärkste Macht der Welt. Es ist unsere Pflicht, die leidende Gemeinde tagtäglich in unser Gebet einzuschließen. Das ist unser Mittel gegen die Tyranneien dieser Welt.
Gleichzeitig begreifen wir im Licht dieser Geschichte auch das andere: Das Blutzeugnis dieser Märtyrer ist nicht vergeblich, es ist der Samen der Kirche. So wie Christus sind auch Christen Kreuzesmenschen, die den Weg des Weizenkorns gehen – das erst sterben muss, um Frucht zu bringen.
Und so wie am Ende dieser Verfolgungsgeschichte der Tod des Herodes Agrippa steht, haben wir im vergangenen Jahrhundert das Ende von Adolf Hitler, Josef Stalin, Mao Zedong, Pol Pot und anderen erlebt.
Deshalb beten wir weiter für die Schwestern und Brüder in Nordkorea, in der islamischen Welt und überall dort, wo sie leiden. Denn der Tag wird kommen, an dem auch ihr Leiden ein Ende nehmen wird.
Wir wissen das ganz genau, weil Gott seine Geschichte zum Ziel führen wird. Er ist treu, und es ist nur eine Frage der Zeit – nicht ob es passiert, sondern wann es passiert –, dass Gott sein Volk in die Freiheit führt.
Die Symbolik der Türen: Freiheit und Gemeinschaft
Eine zweite Beobachtung
Es ist eine Geschichte von einer wundersam geöffneten Tür und einer merkwürdig verriegelten Tür. In diesem Kapitel spielen zwei Türen eine Rolle, zwei sehr unterschiedliche Türen. Da ist zum einen die massive Kerkertür, die fest bewacht ist und mit menschlichen Mitteln eigentlich völlig unüberwindbar scheint. Auf der anderen Seite gibt es eine Haustür, hinter der sich die Gemeinde versammelt und betet. Das sind zwei Türen in einer einzigen Geschichte.
Von diesen beiden unterschiedlichen Türen wird hier nun eine fast schon paradoxe Geschichte erzählt. Die eiserne und massiv bewachte Kerkertür öffnet sich – im griechischen Text heißt es hier „automate“, wovon unser deutsches Wort „automatisch“ stammt – sie öffnet sich also automatisch. Die Tür der betenden Gemeinde dagegen tut sich und tut sich und tut sich nicht auf. Petrus klopft sich die Finger wund, aber er kommt nicht hinein.
Gott hat offensichtlich weniger Probleme, seinen Apostel aus dem Gefängnis herauszuholen, als ihn wieder in seine Gemeinde hineinzubringen. Das ist die Komik dieser Geschichte. Während es Gott geradezu spielerisch gelingt, eine Todeszelle zu öffnen und Petrus buchstäblich wie im Traum in die Freiheit zu führen, ist die einfache Haustür der Gemeinde fast unüberwindlich, fast undurchdringbar.
Vier Verse – vier ganze Verse – drehen sich um das Klopftrauma des Petrus vor der verschlossenen Gemeindetür. Die Befreiungsaktion aus dem Kerker verläuft glatter, einfacher und schlichter als die Hineinführung in die Gemeinde. Für Petrus war es leichter, aus dem Kerker herauszukommen, als in die Gemeinde hineinzukommen.
So ist es manchmal in dieser Welt: Die Türen der Gemeinde sind manchmal länger verriegelt als die Türen dieser Welt. Die Gemeinde zeichnet sich im Neuen Testament und bis heute immer wieder durch eine eigentümliche Begriffsstutzigkeit aus. So war es schon bei der Auferstehungsbotschaft. Jesus ist vom Tod auferstanden – und niemand glaubt es. Der Auferstandene wird als bloser Geist wahrgenommen. Die Emmausjünger laufen elf Kilometer Seite an Seite mit ihm, klagen ihm ihr Leid, und erkennen ihn nicht. Maria Magdalena hält ihn für den Gärtner. Als die Frauen den Jüngern vom leeren Grab erzählen, halten diese es für Altweibergeschwätz.
So ist Auferstehung. Und so ist es auch hier: Da steht das Wunder vor der Tür, das erbetene Wunder steht buchstäblich, leibhaftig und personell vor der Tür. Die Gemeinde hat Tag und Nacht für dieses Wunder gebetet, und als das Wunder vor der Tür steht, diskutiert man drinnen, ob die Magd übergeschnappt ist oder ob ein Engel vor der Tür steht.
Und wie oft ist das in unserem Leben auch so? Wir beten darum, dass Gott Türen öffnet, wir beten darum, dass Gott Wunder tut, dass er Veränderung bewirkt. Und dann hat Gott weniger Probleme damit, unsere Gebete zu erhören, als dass wir diese Erhörung auch kapieren und verstehen.
Immer wieder heulen die Jünger sich aus: „Wir hofften, er sei es, der Israel erlösen würde, wir hofften, er sei es, der unsere Probleme erlösen würde.“ Und einen Meter neben ihnen läuft die Auferstehung und das Leben, einen Meter neben ihnen läuft das Brot des Lebens, da läuft das Licht der Welt, da läuft derjenige, der allen Jammer und alle Not ändern kann – und sie heulen nur vor sich hin: „Wir hoffen, er sei es.“
Das ist unser Leben. Da klagen wir Gott unsere Sorgen vor, und er steht als der Auferstandene neben uns, und wir erkennen ihn nicht. Das Beten ist eine Sache, das geistliche Sehen der Wirklichkeit Gottes ist eine ganz andere Sache. Wir haben es nötig, dass Gott Wunder tut, aber mindestens so nötig ist es, dass uns die Augen geöffnet werden für die Wunder, die er schon getan hat und die er tagtäglich immer wieder tut.
Bei Wundern ist es nicht nur entscheidend, dass sie geschehen, sondern mindestens ebenso wichtig, dass wir sie auch erkennen.
Wir beten seit Jahrzehnten für eine Erweckung in der islamischen Welt. Wenn man betet, hat man in aller Regel ein Bild vor Augen, wie Gott ein Gebet erhören könnte. Jeder von uns hat eine Vorstellung davon, wie Gott das tun müsste. Wir beten seit Jahrzehnten für die islamische Welt und haben das Bild, dass Gott Missionare hinschickt, diese Missionare Menschen zum Glauben führen, diese Menschen im Glauben wachsen, sie zu Gemeindeleitern werden, Gemeinden gründen und diese Gemeinden eine missionarische Kraft in ihren Ländern im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika und anderswo entfalten.
Das ist das Bild. Und jetzt macht Gott es anders. Jetzt schickt Gott Tausende und Abertausende, Hunderttausende zu uns, in unsere Städte, in unsere Straßen, in unsere Vorgärten. Sie stehen jetzt vor unserer Tür. Ich will gar nicht leugnen, dass das gigantische Probleme auslöst und riesige Überforderungen bedeutet. Aber wir können Gott nicht vorschreiben, wie er unsere Gebete erhören soll.
Jetzt macht Gott es so. So hatten wir es uns nicht vorgestellt, so hatten wir es nicht erbeten. Wir hätten gern, dass sie zum Glauben kommen, aber bitte dort, wo sie sind.
Ist es bei uns auch so, dass Gott es leichter fällt, Menschen aus verwüsteten Staaten herauszuholen, als sie zu uns in die Gemeinde hineinzubringen? Werden wir genauso begriffsstutzig sein wie die Jünger damals, wenn draußen einer steht und klopft und klopft und klopft – und wir vier Verse lang brauchen, bis wir aufmachen?
Das sind sehr aktuelle Fragen, die uns in dieser Kirchengeschichte aus dem ersten Jahrhundert gestellt werden. Es gibt viele unsichtbare Türen auch in unserem Land, in unseren Gemeinden.
Wir werden in zehn Jahren ganz andere Gemeinden haben als heute. Stellen Sie sich darauf ein. Die Frage ist nicht, ob wir so bleiben wollen, wie wir sind, sondern ob wir bereit sind, uns mit den Menschen, die Gott uns vor die Tür stellt, zu verändern – oder ob wir als Gemeinde verschwinden.
Das sind die Fragen.
Gottes Allmacht und die Austauschbarkeit von Führungspersönlichkeiten
Eine dritte Beobachtung
Es ist eine Geschichte von der Allmacht Gottes und der Austauschbarkeit seines Führungspersonals. Das zwölfte Kapitel ist das Kapitel, in dem Petrus die Bühne der Apostelgeschichte und damit im Grunde auch die Bühne der Kirchengeschichte verlässt. Er tritt buchstäblich ab. Am Ende dieses Kapitels, Vers 17, geht er an einen anderen Ort. Wir erfahren nicht einmal, wohin genau er geht, als er Jerusalem verlässt.
Wir wissen aus der Kirchengeschichte, dass er wohl irgendwann nach Rom gekommen ist, dort tatsächlich erster Bischof der Stadt Rom wurde und wahrscheinlich verschiedene Missionsreisen unternahm. In der Apostelgeschichte taucht er hier aber ab. Er kommt noch einmal kurz in Apostelgeschichte 15 nach Jerusalem zum Apostelkonzil. Doch auch dort hat er nicht die dominierende Rolle. Hier tritt er im Grunde von der Bühne der Apostelgeschichte und letztlich auch von der Bühne der Kirchengeschichte ab.
Ab Kapitel 13 ist Paulus der Held der Geschichte, der Protagonist der Apostelgeschichte. Damit macht Lukas, der Schreiber, klar: Es kommt in dieser Geschichte Gottes, die er beschreibt, in dieser Geschichte seiner Gemeinde nicht auf einzelne Menschen an. Es ist nicht die Geschichte des Petrus. Im Grunde ist auch der Name Apostelgeschichte ein falscher Name. Es ist immer und bleibt immer Gottesgeschichte, die hier erzählt wird. Er ist der Autor dieser Geschichte. Er hält den roten Faden in der Hand und führt seine Geschichte zum Ziel.
Wichtig ist nicht, wer es macht. Wichtig ist nicht Petrus, nicht Jakobus und auch nicht Paulus. Das sind alles Werkzeuge, ein Rüstzeug zum Dienst dieser Geschichte Gottes. Wichtig ist, dass Gottes Wort sich ausbreitet – wie auch immer, durch wen auch immer. Wichtig sind nicht die, die die Hauptrolle haben. Wichtig ist, dass das Evangelium weitergeht.
Neunzehnmal wird das in der Apostelgeschichte wiederholt: Das Wort wuchs, Menschen kommen zum Glauben, die Gemeinde wächst. Darauf kommt Lukas an, darauf kommt Gott an: Dass es Gottes Geschichte ist, wodurch sich sein Wort ausbreitet und Menschen zum Glauben kommen. Wer das tut, wer das organisiert, durch wen das geschieht, sind nebensächliche Fragen.
Gott kann sein Führungspersonal auswechseln, und das Evangelium geht seinen Weg. Das ist übrigens ein Kriterium gesunder Gemeinden, ein Kriterium gesunder Organisationen, ein Kriterium gesunder Werke: dass Gott das Führungspersonal austauschen kann und die Arbeit weitergeht. Wenn die Arbeit nicht weitergeht, weil Menschen ausgetauscht werden, dann war es Menschenwerk.
Ein weißer Mann hat im Blick auf Gemeinden und Gemeindewachstum einmal gesagt – er war Amerikaner: "I reserve judgment till the first generation is gone." Ich bewahre mir ein Urteil über die Güte und Qualität einer Gemeinde, man könnte sagen eines Werkes oder einer Organisation, auf, bis die erste Generation gewechselt hat. Erst dann weiß man, ob es weitergeht. Erst dann weiß man, ob das Werk einer herausragenden Führungspersönlichkeit, einer charismatischen Führungsfigur war oder ob es Gotteswerk war.
Wir bewahren uns ein Urteil auf, bis die erste Generation gegangen ist. Die erste Generation geht in Apostelgeschichte 12, und die Gemeinde wächst, es geht weiter und voran.
Dreimal ist in diesem Bericht von einem Engel die Rede. Damit macht Lukas deutlich, es ist letztlich Gottesgeschichte, um die es hier geht. Er ist der, der durch seine Engel, durch sein himmlisches Personal, die Geschicke lenkt und das Geschehen weiterführt. Weder Herodes Agrippa im Negativen noch Petrus im Positiven sind die Stars. Gott ist es, der führt, lenkt, wirkt und handelt.
Gott lenkt, handelt und wirkt trotz unserer Schwachheit und trotz unserer Begriffsstutzigkeit. Sieht man einmal von Jakobus ab, der hier das Martyrium erleidet, spielen alle, restlos alle Charaktere in diesem zwölften Kapitel fast schon eine komische Rolle.
Die ganze Rettung von Petrus spielt sich in einer Art Trancezustand ab. Er ist gar nicht bei sich, überhaupt nicht richtig wach. Der Engel weiß nicht, ob es ihm aufgefallen ist, und muss ihm alles erklären: Steh auf, zieh dich an – erst Hemd, dann Gürtel, dann die Schuhe, mach den Hosenlader zu, dann den Mantel und bitte, bitte, Beeilung!
So läuft das in dieser Geschichte mit der Befreiung. Petrus ist überhaupt nicht ganz bei sich. In Vers 11 heißt es dann: "Und als Petrus zu sich kam." Vers 12 lautet: "Und als er sich besonnen hatte." Petrus stolpert in dieser Geschichte völlig verpeilt durch die Gassen Jerusalems. Er weiß überhaupt nicht, wo oben und unten ist. Und als er es irgendwann weiß, steht er dann vor der Tür und klopft sich die Fingerwunde.
Drinnen diskutiert man, ob die Magd übergeschnappt ist oder ob ein Engel vor der Tür steht. Als man ihm endlich – vier Verse lang – aufmacht, steht das erbetene Wunder vor der Tür. Dann heißt es: "Und die Gemeinde entsetzte sich."
Man könnte das ganze wunderbar als Komödie inszenieren. Dieses Kapitel taugt als Heldengeschichte überhaupt nicht. Gott braucht keine Helden. So lautet ja der Titel des berühmten Buches von Magnus Malm: "Gott braucht keine Helden." Gott macht seine Geschichte mit uns trotz unserer Grenzen, trotz unserer Begriffsstutzigkeit und manchmal sogar trotz unserer Dämlichkeit.
Das ist Gott, der diese Geschichte schreibt. Wenn wir Jesus nachfolgen – und das wird in dieser Geschichte auch sehr deutlich – dann ist es nicht wichtig, ob wir eine große Rolle spielen wie Petrus oder eine kleine wie diese Magd, die sonst nie wieder erwähnt wird in der Bibel. Sie taucht nie wieder auf in der Apostelgeschichte oder sonstwo in der frühen Kirchengeschichte.
Es ist noch nicht einmal wichtig, ob unser Leben glücklich oder leidvoll ist. Es ist noch nicht einmal wichtig, ob es früher endet wie das Leben des Jakobus oder später wie das des Petrus, der übrigens auch später den Märtyrertod erlitt. Das ist alles nicht wichtig, das sind alles zweitrangige Dinge.
Und dann ist noch nicht einmal entscheidend, ob wir ein souveräner und furchtloser Held sind wie Paulus oder wie Petrus hier etwas orientierungslos durch die Jerusalemer Gassen stolpern und schließlich die große Bühne der Weltgeschichte verlassen und in der Versenkung verschwinden.
Das ist alles nicht entscheidend. Das ist alles nicht wichtig. Da müssen wir auch unsere Bilder ein bisschen entrümpeln, die wir im Kopf haben, von dem, wie wir als Christen und als Nachfolger Jesus sein müssten.
Wenn wir Jesus nachfolgen, dann sind wir in Freude wie im Leid ein Teil seiner Geschichte, ein Teil seiner Heilsgeschichte, ein Teil der Geschichte von Gottes Wort und seiner Gemeinde. Und diese Geschichte, egal wie sie verläuft, egal wie glänzend oder wie schlicht sie verläuft, wird in die Ewigkeit hineinführen und noch nicht einmal dort enden.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören. Amen.
