Welche Antwort auf Gottes Gnade ist richtig? Es ist ein verändertes Leben. Aber wo muss man dieses Leben zuerst sehen? Wenn man Paulus fragen würde, würde er sagen: Man muss es in der Gemeinde sehen.
Warum? Weil sich dort all die Menschen treffen, die diese Gnade erlebt haben. Wenn ich euch sehe, die ihr gläubig seid, dann verbindet uns dieselbe Erfahrung: die Erfahrung, dass wir Gott als Vater erlebt haben, der uns unsere Schuld vergeben hat.
Wenn ich euch sehe, gibt es für mich keine Ausrede zu sagen: „Ach, dich mag ich und dich mag ich nicht.“ Das ist Quatsch. Wir werden eine Ewigkeit miteinander verbringen. Wenn es in der Gemeinde also Leute gibt, die ich eigentlich nicht mag, dann sollte ich mich seelisch darauf vorbereiten, eine Ewigkeit lang zu lernen, sie doch lieb zu haben.
Weil Paulus sehr praktisch ist, stellt er uns in den nächsten Versen, den Versen 9 bis 16, einige Dinge vor, wie gelebte Liebesgemeinschaft eigentlich aussieht. Er überschreibt das Ganze in Römer 12, Vers 9 mit dem Satz: „Die Liebe sei ungeheuchelt.“
Echtes Leben in der Gemeinde als Antwort auf Gottes Gnade
Wir sollen einander lieben. Der Heuchler ist in der Bibel der Maskenträger. Das ist dasselbe Wort wie Schauspieler. Wir sollen ehrlich Liebe füreinander haben. Die Liebe sei ungeheuchelt. Das ist ein Anspruch.
Wir sollen einander nicht nur lieben. Liebe ist Tat. Dazu möchte ich jetzt gar nicht so viel sagen. Zum Thema Liebe gibt es von der Outdoor-Bibelschule einen Vortrag über 1. Korinther 13.
Jetzt stellt sich die Frage: Warum tue ich das? Mit welcher Einstellung tue ich es? Sage ich zum Beispiel: „Den mag ich kein Stück, aber na gut, weil ich ja Christ bin, muss ich ihm jetzt etwas Gutes tun?“ Das wäre so, als würde ich nach außen hin den Liebenswürdigen spielen, der sich um jemanden kümmert, während innen etwas ganz anderes ist.
Wenn das so wäre, dann wäre ich ein Schauspieler. Dann würde dieses Gebot hier zutreffen. Die Liebe soll aber ungeheuchelt sein.
Das wird funktionieren, wenn wir Menschen lieben, nicht weil sie für uns einen Vorteil darstellen. Ich liebe jemanden nicht, weil er mir etwas bringt. Vielleicht liebe ich ihn auch nicht, weil ich mich im Glanz seiner Persönlichkeit sonne oder mir von ihm irgendeinen Vorteil verspreche.
Ich liebe jemanden, wenn ich zu ihm lieb bin, wenn ich ihn liebe, ganz praktisch, wenn ich mich auf seine Seite stelle – einfach weil er Mensch ist. Mindestens, weil er Kind Gottes ist, Bruder im Herrn.
Aktive Ablehnung des Bösen und Festhalten am Guten
Die Liebe sei ungeheuchelt; verabscheut das Böse.
Das Wort „verabscheuen“ drückt mehr aus als nur Ignorieren. Hier ist eine ganz aktive Haltung gemeint: Ich verachte etwas, empfinde Widerwillen dagegen, bin aktiv aggressiv in Opposition. Ich will das einfach nicht mehr dulden.
In der Bibel gehört dazu auch das Bloßstellen, wie in Epheser 5,11, oder die Flucht vor dem Bösen, wie in 1. Timotheus 6,11 beschrieben. Dort ist das Böse präsent, und ich gehe nicht einfach nur durch die Welt und sage mir, ich muss irgendwie damit klarkommen. Stattdessen will ich dagegen sein.
Manchmal denke ich, wenn ich solche Worte lese wie „verabscheut das Böse“, dass wir als Christenheit in Deutschland momentan vielleicht ein bisschen zu nachgiebig sind. Das Böse nimmt immer mehr Überhand, und wir haben uns in unsere christliche Kulturkuschelecke zurückgezogen – vielleicht ein Stückchen zu weit.
Heute Morgen habe ich wieder das Magazin Ideaspektrum gelesen, und darin war eine Anzeige für einen Protestmarsch gegen Abtreibung. Dieser findet einmal im Jahr statt, und Menschen ziehen mit weißen Holzkreuzen durch Berlin. Ich dachte wieder: Ja, ihr habt Recht. Ich war noch nie dabei, aber jedes Jahr denke ich, ihr habt Recht.
Dass hier über 100 Menschenleben im Mutterleib pro Jahr ausgelöscht werden, ist einfach falsch. Das ist böse und geht nicht. Und ich habe in meinem Leben noch nie deutlich etwas dazu gesagt, obwohl ich in einer Demokratie lebe, in der ich das tun könnte. Auch als Gemeinde haben wir es noch nicht geschafft, klar Stellung zu beziehen.
Immer wenn ich diesen Marsch sehe, denke ich mir: Was wäre, wenn wir – oder wenn diese Menschen, ich selbst bin ja nicht dabei – vielleicht jeden Christen in der Stadt erreichen könnten? Stellt euch das mal vor: In Berlin sind es nicht so viele Christen. Aber wenn sie plötzlich durch die Stadt ziehen würden und sagen: „Wir sind wirklich dagegen, dass wir in einem Land leben müssen, in dem Mord im Mutterleib rechtlich sanktioniert ist“ – das wäre doch furchtbar wichtig.
Verabscheut das Böse! Und das Gegenstück dazu heißt: Haltet fest am Guten. Dieses Festhalten bedeutet, an etwas Kleben, etwas nicht loslassen wollen, wo es Gutes in meinem Leben gibt.
Bruderliebe als gelebte Gemeinschaft
In der Bruderliebe seid herzlich zueinander, in Ehrerbietung einer dem anderen vorangehend. Schön, ja, dieses Wort „einer dem anderen vorangehend“ bedeutet so viel wie sich gegenseitig ausstechen. Das ist der Wettbewerb, der in der Gemeinde laufen soll, sagt Paulus.
Ich wünsche mir, dass bei euch jeder bemüht ist, dem anderen mehr zu zeigen, wie sehr er ihn schätzt, als er es selbst gezeigt bekommt. Jeder soll die Nummer eins sein. Ich strenge mich an, dem anderen zu zeigen, wie sehr ich ihn lieb habe. Und wenn ich das schaffe, habe ich gewonnen. Es gibt so etwas wie einen positiven Konkurrenzgedanken. Das ist kein Kampf, sondern das Ich möchte, dass der andere auf alle Fälle weiß, wie sehr ich ihn lieb habe.
„Einer dem anderen in Ehrerbietung vorangehend“ wird im neuen sprachlichen Schlüssel übersetzt mit „übertrefft einander in der gegenseitigen Achtung“. Das bedeutet: Setz dich hin und warte nicht, bis ein anderer dir etwas Nettes sagt, um ihm dann eine Nettigkeit zurückzugeben. Überlege dir vorher, wie du dem anderen etwas Liebes sagen kannst. Mach dir eine Liste: Was begeistert mich an den Geschwistern?
Das wäre die Art und Weise, wie in einer Gemeinde Bruderliebe wächst. Stell dir eine Gemeinde vor, in der sich jeder hinsetzt, zuhause die Gemeindeliste nimmt und hinter jedem Namen etwas Positives schreibt. Stell dir das vor!
Wenn ich das nächste Mal in den Gottesdienst gehe, habe ich meine Liste. Sie muss ja nicht offensichtlich sein, aber ich habe sie so ein bisschen dabei. Wenn ich dir begegne, sage ich dir nicht nur „Hallo“, sondern: „Hey, ich freue mich, dich zu sehen. Ich weiß genau, du hast den Kuchen mitgebracht, und ich finde das so genial.“ Und der andere antwortet: „Ja, habe ich mitgekriegt.“ Oder bei jemand anderem sage ich: „Hey, ich freue mich, dass du ein bisschen weiter weg geparkt hast, damit die Letzten, die etwas später dran sind, hier noch einen Parkplatz kriegen.“ Und der andere: „Hast du das gesehen? Ja, habe ich gesehen.“
Stellt euch das mal vor: Jeder würde sich bemühen, dem anderen in Bruderliebe einfach diese Wertschätzung zu zeigen. Ich will die Nummer eins sein. Ich möchte mehr Leuten zeigen, wie herzlich gern ich sie habe.
Stell dir so eine Gemeinde vor: Du kommst rein, und 30 Leute sagen dir, wie toll sie dich finden. Das Thema Minderwertigkeitskomplex wäre in so einer Gemeinde kein Thema mehr. Ganz einfach so. Du hast vielleicht eine neue Krawatte? Denen, denen nichts einfällt, fällt vielleicht die neue Krawatte auf. Aber selbst das ist ja etwas. Und dann sagst du: „Hey, neue Krawatte!“ Und so weiter.
Stellt euch so eine Gemeinde vor, in der man es einfach darauf anlegt zu sagen: Wenn du nach Hause gehst, bist du ermutigt, du weißt, dass ich dich lieb habe.
Jetzt kommen wir wieder zurück in den Alltag, denn so eine Gemeinde gibt es nicht. Aber es könnte sie geben. Ich meine, ihr habt es jetzt gehört. Es wäre ja eine Anwendung, mal zu überlegen: Schaffe ich das? Schaffe ich es? Deshalb sollt ihr ja in der Bruderliebe wachsen.
Lernen, im Geist brennend zu bleiben
Die Frage ist: Wie lerne ich Bruderliebe? Wir wollen jetzt nicht auf 2. Petrus 1,5-7 eingehen, aber wenn ihr diese Stelle studieren würdet, würdet ihr feststellen, dass Gott uns die Gemeinde schenkt, damit wir im Kleinen lernen können, bevor wir Liebe im umfassenden Sinn lernen. Denn im Kleinen ist es viel leichter als im Großen.
In Vers 11 heißt es: „Im Fleiß nicht säumig“, also seid nicht faul. Und „brennend im Geist“ – das könnte man auch schöner übersetzen mit: Lasst euch vom Geist Gottes anzünden. Die Frage dahinter ist: Wie sieht es mit deiner Leidenschaft aus, mit dem Feuer in dir? Wo steckt das?
Ist das Feuer noch angesteckt? Oder sagst du: „Ja, als ich mal jung war, in den Zwanzigern, da war ich auch so feurig für den Herrn.“ Aber du musst verstehen: Das ist wie bei einer Fackel auf dem Balkon. Wenn die Party vorbei ist, ist die Fackel aus, weil das Öl weg ist. Falsch! Paulus sagt: brennend im Geist, lass dich anstecken. Sorge dafür, dass immer wieder eine Begeisterung wächst. Bleib dran!
Ja, das kann schwanken. Du hast mal mehr zu tun, die Kinder sind mal stressiger und so weiter. Aber im Großen und Ganzen darf das Feuer in dir brodeln, während du dem Herrn dienst. Das ist unser Ziel. Nicht dieses Zurückfallen in eine Sesselpupse-Mentalität: „Na ja, Christian geht schon irgendwie weiter.“ Nein, immer wieder diesen Schritt gehen.
Ich weiß, wie das ist. Irgendwann stellst du fest: Du bist vierzig. Du hast dich ganz normal entwickelt. Jetzt fährst du Auto, hast eine Wohnung, die einigermaßen eingerichtet ist. Wenn dich jemand fragt, was du dir zum Geburtstag wünschst, sagst du: „Ich habe eigentlich alles.“ Und es stimmt, du hast eigentlich alles. Du machst deinen Kühlschrank auf, da ist etwas zu essen drin. Wenn es nicht reicht, ist noch ein Tiefkühler darunter. Eigentlich läuft dein Leben.
Du bist gesettelt, wirklich zufrieden. Du freust dich, deine Ehe läuft, deine Kinder laufen, es läuft irgendwie. Du hast einen Job, der dir auch noch Spaß macht. Aber es besteht die Gefahr dieses „Plopp“: Du setzt dich hin und lässt es einfach laufen. Früher hast du Veranstaltungen organisiert, Büchertische gemacht, Verteilaktionen gestartet und einen Kreis aufgebaut. Und jetzt schleicht sich der Gedanke ein: Sei ein bisschen entspannter.
Doch Paulus sagt: Nein, nicht entspannter! Nicht dieses „Wir zotteln im vierten Gang durch die Stadt mit fünfzig.“ Sondern ab und zu mal runterschalten und schauen, wie es sich anfühlt, mit viertausend Umdrehungen zu fahren. Mal wieder spüren, dass es dich in den Sessel drückt. Einfach mal wieder brennend im Geist sein, dem Herrn dienend.
Hoffnung, Gebet und praktische Nächstenliebe
Dann etwas, das wir schon kennen, Vers zwölf: „In Hoffnung freut euch.“ Ich hoffe, ihr habt ein bisschen Hoffnung mitgenommen in Trübsal.
Erinnert euch an Römer 5: Trübsal ist nicht das Übel aller Dinge. Trotzdem müssen wir aufpassen, dass sie uns nicht erdrückt. Ganz wichtig: Ein Kennzeichen echten Christseins ist das Gebet. Trübsal bringt uns auf die Knie. Aber wenn wir gelernt haben zu beten und wirklich dranbleiben im Gebet, dann wird sie uns nicht erdrücken.
An den Bedürfnissen der Heiligen nehmt teil. Merkt ihr, da sind wir wieder bei der Bruderliebe angelangt. Das kreist so ein bisschen darum. Das heißt, nicht nur die, die die Gabe der Barmherzigkeit und des Mitteilens haben, sondern alle sollen sich füreinander interessieren.
Das bedeutete in der damaligen Zeit ganz besonders: Nach Gastfreundschaft trachtet. Denn es gab nicht solche Hotels, wie wir sie heute kennen. Die wenigen Herbergen, die es gab, waren eher üble Spelunken. Ein Christ kam in die Stadt, suchte eine Unterkunft und brauchte die Gastfreundschaft von Freunden beziehungsweise der Gemeinde.
Ich möchte euch Mut machen, viel über Gastfreundschaft nachzudenken. Wir haben unendlich viel Segen dadurch erlebt, dass wir gastfreundlich waren und Leute bei uns wohnen ließen. Ich kann sie jedem nur ans Herz legen.
Ich könnte so viele Geschichten erzählen über Leute, die mehr oder weniger spontan bei uns übernachtet haben und immer ein Segen waren. Sie brachten immer eine Geschichte mit. Zum Teil sind Freundschaften entstanden, die rund um die Welt reichen.
Umgang mit Verfolgung und Feinden
Vers 14: Segnet die, die euch verfolgen, segnet und verflucht nicht. Wenn jemand segnet, bittet er Gott um Gutes. Ein Christ erträgt nicht einfach Verfolgung, sondern er schlägt zurück – aber nicht mit Fluch, sondern mit Segen.
Das bedeutet, ich bleibe nicht passiv. Dort, wo sich jemand mir gegenüber falsch verhält, überlege ich, wie ich ihn segnen kann. Vor kurzem habe ich diesen Vers in einer Andacht für die Kinderstunde, den Kindergottesdienst, verwendet. Das war lustig.
Wir haben uns überlegt, wer in deiner Klasse am problematischsten ist. Jeder hatte jemanden im Kopf, der in der Klasse ist und allen anderen das Leben schwer macht. Dann haben wir überlegt, was wir dieser Person Gutes wünschen könnten. Wir haben alle im Kindergottesdienst dafür gebetet, dass es im Leben derjenigen, die vorher vielleicht nicht so gemocht wurden, besser wird. Und genau das sollen wir auch tun.
Vers 15 klingt zunächst ganz einfach: Freut euch mit den sich Freuenden, weint mit den Weinenden. Vielleicht ist es leichter, sich mit denen zu freuen, die sich freuen. Es sei denn, jemand erlebt Siege an Stellen in seinem Leben, an denen ich noch verliere und mich als Verlierer fühle. Dann bin ich vielleicht ein bisschen neidisch.
Möglicherweise ist es doch leichter, mit den Weinenden zu weinen. Aber auch hier merke ich: Manchmal ist das eigene Leben so voll, dass keine Kraft mehr da zu sein scheint für die Sorgen und Freuden der Geschwister. Ich bin dann eigentlich nur froh, mein eigenes Leben zu schaffen.
Hier warnt Paulus und sagt: Pass auf, dass du noch eine Reserve, eine Gangreserve, zurückhältst. Sorge dafür, dass es in deinem Leben so etwas gibt wie Mitfreuen und Mitweinen. Das wäre zumindest das Ideal.
Dann heißt es: Seid gleichgesinnt gegeneinander. Gleichgesinntsein hat mit Harmonie zu tun. Heute würden wir sagen: Geht harmonisch miteinander um. Wenn wir zusammenleben, sind wir lieb, herzlich, zeigen Wertschätzung und sind fürsorglich. Wir freuen uns mit und weinen mit.
Das ist der typische Umgang von Christen in der Gemeinde. Niemand benutzt die Gemeinde als Bühne, um möglichst viel Applaus zu bekommen. Stattdessen investiert jeder sich in den anderen.
Es geht nicht um hohe Dinge wie Ansehen, Bekanntheitsgrad oder Ehre. Paulus fordert: Haltet euch zu den Niedrigen. Das Wort „Niedrigen“ ist hier großgeschrieben, obwohl es auch kleingeschrieben werden könnte. Die Großschreibung betont, dass der Schwerpunkt nicht nur darin liegt, nicht auf hohe Dinge zu achten, sondern dass es um Menschen geht, die auf der sozialen Leiter weiter unten stehen.
Man kann sich eine Gesellschaft vorstellen, in der Sklaven in der Gemeinde sind. Heute würden wir vielleicht sagen: Menschen, die schon lange von Hartz IV leben, bei denen man den Eindruck hat, sie kommen nicht mehr heraus. Die Gesellschaft gibt ihnen kaum Chancen. Menschen, die sehr krank sind oder psychisch auffällig, die allgemein nicht als Freunde gelten.
Ich finde es extrem spannend, die Gemeinde als Gründungsarbeit zu erleben, in der wirklich ein breites Spektrum von Leuten zusammenkommt. Leute, die sich sonst nie in einem Verein gefunden hätten. Weil wir uns die Leute nicht aussuchen, die zum Glauben finden, sondern weil Gott sagt: „Dich stecke ich in die Gemeinde.“
Manchmal ist man völlig perplex und denkt: Ups, okay, schauen wir mal, was wir jetzt machen. In einer Gemeinde finden sich alle Arten von Menschen. Gott sagt ganz explizit zu denen, die sich ein Stück weit aussuchen können, mit wem sie Kontakt haben: Es gibt immer in der Gemeinde die, die mit allen können. Die so sind, wie sie sind, die Trendsetter. Mit denen möchte eigentlich jeder Kontakt haben.
Paulus sagt: Ich möchte, dass ihr euch zu den Niedrigen haltet. Jede Art von Kastendenken, Klassensystem oder Schichtung in der Gemeinde gilt nicht. Und das passiert so schnell: Die Intellektuellen treffen sich in ihrem Grüppchen und philosophieren über hochgeistige Dinge. Die Hertha-BSC-Fußballfreunde treffen sich in ihrem Grüppchen. Dann gibt es vielleicht die Strickgruppe, die Schwestern, die gerne Handarbeiten machen.
Plötzlich denkt die eine Gruppe ein bisschen über die andere. Es gibt keine Verbindung mehr. Das ist doof und soll nicht sein.
Paulus fordert: Seid nicht klug bei euch selbst. Haltet euch nicht für das Maß aller Dinge. Das ist gelebte Liebe in der Gemeinde. Einer für alle, alle für einen.
Eigentlich ist das relativ einfach. Man muss nur irgendwann damit anfangen.
Umgang mit Bösem und staatlicher Ordnung
In den Versen, die jetzt folgen, nämlich Römer 12,17 bis Kapitel 13, Vers 7, beginnt ein neues Thema. Es geht plötzlich nicht mehr um Liebe, sondern um etwas anderes: ums Vergelten. Es geht um die Frage, was zu tun ist, wenn jemand nicht so mit mir umgeht, wie ich es mir vorstelle.
Der erste Punkt, der sich über mehrere Verse bis Vers 21 erstreckt, lautet: Privatrache ist verboten. Du darfst dich nicht rächen. Vers 17 sagt: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem.“ Dann heißt es weiter: „Seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen.“ Ich möchte das lieber übersetzen mit: „Seid bedacht auf das Gute gegenüber allen Menschen.“ Das trifft den Kern des Textes etwas besser.
Warum? Wir sollen uns Gedanken machen, auch dann, wenn jemand uns etwas Böses tut, was für ihn gut ist. Vers 18 enthält ein wichtiges Wort: „Wenn möglich.“ Wenn möglich, so viel an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden. Es ist nicht immer möglich, und es ist auch nicht euer Problem. Du tust für eine Beziehung das, was geht, das, was dir möglich ist. Irgendwann kommst du an den Punkt, an dem du sagst: „Aber der andere will doch gar nicht.“ Wenn der andere nicht will, wirst du mit jemandem nicht in Frieden leben können, so sehr du dich auch anstrengst.
Das ist die Realität. Jetzt nicht innerhalb der Gemeinde, hoffe ich, aber wir sprechen hier nicht mehr über das Leben in der Gemeinde, sondern über das Leben in dieser Welt, wo uns Böses widerfährt. Der Anspruch lautet: „Wenn möglich, so viel an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden.“ Wir sollen uns wirklich anstrengen, aber die besten Bemühungen werden irgendwann ins Leere laufen. Dann dürfen wir nicht denken: „Ach, ich habe es nicht geschafft.“ Du bist nicht verantwortlich dafür, mit jedem in Frieden zu leben. Du darfst auch mal sagen: „Es ging nicht.“
Und auch an dieser Stelle sei nüchtern. Man kann sich einreden, dass man immer noch mehr tun kann, aber das stimmt nicht. Du hast ein Leben, und in diesem Leben gibt es Prioritäten und Möglichkeiten, die man nutzt. Irgendwann muss man sagen: „So, mir sind hier die Hände gebunden. Den nächsten Schritt sehe ich eigentlich nicht, wie ich noch etwas machen kann.“
Deshalb heißt es: „Wenn möglich, so viel an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden!“ Aber selbst dort, wo das nicht geht, muss klar sein: Vers 19 sagt: „Recht euch nicht selbst.“ Also auch dort, wo ich merke, dass ich keinen Frieden erreiche und ständig wieder verletzt werde, gibt es einen anderen Gedanken. Ihr merkt, wir sind wieder bei einem Eckpunkt: Was auf keinen Fall geht, ist „Ich räche mich.“ Privatrache ist verboten.
Stattdessen heißt es: „Gebt Raum dem Zorn“, gemeint ist der Zorn Gottes. Denn es steht geschrieben: „Meines ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.“ Wir leben in einem Universum, in dem das Böse bestraft wird. Aber wir sind nicht die Rächer, sondern Gott wird sich darum kümmern. Er wird das einmal durch ein ewiges Gericht tun. Er wird es tun, wie wir gleich sehen werden, durch den Staat. Er wird es tun durch bestimmte Strafgerichte, das können Krankheit oder Krieg sein.
Wir wissen aus Römer 1, dass Gott Menschen auch dadurch straft, dass er sie ihre eigenen schlechten Entscheidungen ausleben lässt.
Wie sollen wir dann mit Feinden umgehen? Sollen wir einfach nur zusehen, wie Gott es macht? Nein! Vers 20 sagt: „Wenn nun dein Feind hungert, so speise ihn; wenn er dürstet, so gib ihm zu trinken.“ Denn wenn du das tust, wirst du „feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“
Seht ihr die Anführungszeichen bei „Wenn nun dein Feind hungert“? Das zeigt, dass es ein Zitat ist. Man hört manchmal, im Neuen Testament sei alles Liebe, im Alten Testament sei Gott nicht so lieb. Im Neuen Testament dreht sich alles um Liebe, im Alten Testament noch nicht so sehr.
Das ist ein Zitat aus dem Alten Testament, genauer gesagt aus Sprüche 25. Paulus sagt: „Ich möchte, dass ihr mit euren Feinden so umgeht, wie es in Sprüche 25 steht.“ Ich möchte, dass du, wenn du merkst, da ist einer, der dich nicht leiden kann und dir das Leben schwer macht, und du hast eine Chance, ihm zu helfen, genau das tust.
Wir gehen Leuten also tatsächlich weit entgegen und lassen uns nicht auf eine Position zurückdrängen, wo wir sagen: „Jetzt helfe ich dir nicht mehr.“ Der andere bleibt, obwohl er Feind ist, Mensch. Und als Mensch und Nächster hat er das Recht darauf, dass ich ihm helfe, wann immer er in Not ist.
Wir schreiben nie jemanden ab. Wir kommen vielleicht in bestimmten Punkten nicht weiter, aber wenn Gott uns die Gelegenheit schenkt, einem Menschen zu dienen – selbst einem, der uns Böses will –, werden wir diese Gelegenheit ergreifen.
Warum? Vers 21 sagt: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden.“ Immer dann, wenn wir uns rächen, immer dann, wenn wir nicht helfen, obwohl wir es können, immer dann, wenn wir selbst Böses tun, gewinnt das Prinzip „Böses“ in unserem Leben. Und das sollen wir nicht zulassen, sondern das Böse mit dem Guten überwinden.
Das Verhältnis von Christen zum Staat
Ich hätte gesagt, es gibt verschiedene Strafsysteme Gottes. Eines davon ist der Staat, und das wird hier in Kapitel 13 auch von Paulus ausgelegt. Kapitel 13, insbesondere die ersten sieben Verse, ist ein Text, den man leicht missverstehen kann. Deshalb muss ich ein paar Vorbemerkungen machen.
Wenn Paulus über den Staat und das Verhältnis der Christen zum Staat beziehungsweise zu weltlichen Regierungen spricht, geht er von einem Ideal aus. In diesem Ideal ist der Staat Gottes Dienerin zum Guten.
Zweitens: Die Situation, in die dieser Brief hineingeschrieben ist, ist eine positive. Wir denken bei Nero natürlich immer an Christenverfolgung, aber Nero hat auch eine gute Phase. Bis ins Jahr 59 herrscht in Rom Frieden, und der Kaiser regiert eigentlich recht weise. Danach wird es schwieriger, weil erst seine Mutter und dann sein bester Berater ums Leben kommen. Doch bis 59, in der Zeit, in der dieser Brief geschrieben wurde, herrscht Frieden, und Nero regiert vernünftig.
Wenn Paulus davon spricht, dass man sich dem Staat unterordnen soll, dann ist das ein Brieftext, der in diese aktuelle Situation hineingeschrieben wurde. Die Aufforderung, sich dem Staat unterzuordnen, basiert auf der Hoffnung, dass Nero weiterhin ein friedvoller, netter und weitsichtiger Kaiser bleibt.
Das bedeutet Folgendes: Dieser Text behandelt nicht die Frage, wie sich ein Christ in Zeiten aktiver Verfolgung verhalten soll. Es geht nicht darum, wie ein biblisch begründeter oder gebotener Widerstand gegen die Staatsgewalt aussieht. Auch die Frage, wann Christen zu den Waffen greifen dürfen oder ob sie sich an der Ermordung eines Diktators beteiligen dürfen, wird hier nicht behandelt.
Ein dritter Punkt: Dieser Text sagt auch nichts über Konflikte auf internationaler Ebene aus. Es geht nicht um die Frage, ob es einen gerechten Krieg gibt. Paulus spricht hier von einer konkreten Situation, einer konkreten Gemeinde in einer konkreten Stadt im ersten Jahrhundert.
Er sagt Folgendes: „Jede Seele unterwerfe sich den übergeordneten Mächten.“ (Römer 13,1)
Ich habe hier einige Worte wie „staatlich“ herausgenommen, weil sie im Begriff „übergeordnete Mächte“ bereits enthalten sind. Der Begriff „staatlich“ ist an dieser Stelle unnötig und sogar irreführend. Im Originaltext steht es nicht, und ich halte es für falsch, es einzufügen.
Der Satz lautet: „Denn es ist keine Macht außer von Gott.“ Das bedeutet nicht, dass jeder blutrünstige Tyrann, jedes antichristliche Regime oder jeder korrupte Politiker direkt von Gott eingesetzt ist. Darum geht es hier nicht.
Paulus will sagen: „Jede Seele unterwerfe sich den übergeordneten Mächten.“ Er betont, dass wir keine Rebellen sind. Gott hat auf dieser Erde Über- und Unterordnungssysteme installiert, die von Gott gewollt sind.
Es gibt Machtsysteme auf dieser Erde. Eines davon ist, dass es in einem Staat eine Regierung gibt und Menschen, die regiert werden. Die Idee hinter diesem System ist von Gott. Deshalb dürfen wir das System als solches nicht in Frage stellen.
Es gibt auch andere Systeme, zum Beispiel Eltern und Kinder. Auch hier gilt, dass Kinder sich in dieses System einbinden sollen. Genau das Gleiche gilt für die Regierung: Gott setzt Machtbezüge. Er sagt, es gibt eine Regierung, und es gibt Untertanen, die sich unter diese Regierung stellen.
Gott ist der Erfinder von Staaten mit vernünftigen Regierungen. Die bestehenden Systeme – und damit meint Paulus nicht die Politiker, sondern die unterschiedlichen Machtkonstellationen, die wir auf der Erde finden, wie Mann und Frau, Eltern und Kinder, Gemeindeälteste, Bürger und Staat – will Gott.
Damit die Menschheit funktioniert, braucht es Menschen, die führen, und solche, die sich führen lassen. Wir Christen stellen das nicht in Frage.
Vers 2: „Wer sich daher der Macht widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes.“ Hier steht nicht „staatliche Macht“, das ist eine unzutreffende Einfügung. Wenn man das so übersetzen würde, hieße das, dass jeder, der im Dritten Reich Widerstand gegen Adolf Hitler geleistet hat, ein Sünder wäre. Das ist falsch.
Im Griechischen steht nur „Macht“, und der Artikel ist komplex. Richtig übersetzt heißt es: Wer sich einer von Gott verordneten Macht widersetzt, der widersetzt sich Gott. Das kann auch bedeuten, dass ein Kind, das sich seinen Eltern nicht unterordnet, sich nicht nur gegen die Eltern, sondern gegen Gott stellt.
Ein Staatsbürger, der aus Prinzip Anarchist ist und gegen jede Macht rebelliert, kann das Paulus zufolge nicht sein. Er sagt: Du kannst nicht prinzipiell gegen Macht sein, auch nicht gegen die Regierung.
Vers 2 fährt fort: „Die aber widerstehen, werden ein Urteil empfangen.“ Das bedeutet aber nicht, dass jede Form von Regentschaft für sich in Anspruch nehmen kann, gottgegeben zu sein. Regierungen, die nicht als Dienerinnen zum Guten handeln, sind nicht von Gott legitimiert.
Vers 3 erklärt, wofür Regenten da sind: „Denn die Regenten sind nicht ein Schrecken für das gute Werk, sondern für das Böse.“ Wer Gutes tut, braucht sich vor der Regierung nicht zu fürchten, sondern wird Lob erhalten.
Der Staat hat von Gott die Aufgabe bekommen, das Gute zu fördern – ähnlich wie Eltern die Verantwortung haben, ihre Kinder zu erziehen und sich um sie zu kümmern. Das ist heute oft nicht mehr so präsent.
Vers 4: „Denn sie ist Gottes Dienerin dir zum Guten.“ Das ist spannend, denn Politiker überlegen manchmal, ob sie ihren Amtseid mit den Worten „So wahr mir Gott helfe“ ablegen sollen, tun es dann aber nicht. Doch sie sind Diener Gottes zum Guten.
Es geht nicht nur darum, dass das Böse verhindert wird. Zum Beispiel ist Frau Dr. Angela Merkel, zumindest noch bis nächste Woche, dafür zuständig, dass in Deutschland das Gute vorankommt. Das ist ihre Verantwortung, der sie sich nicht entziehen kann.
Das bedeutet auch, dass wir in einer Demokratie ein Stück Verantwortung dafür tragen, dass dieses Ziel, das Gute zu erreichen, auch erreicht wird. Wenn jemand bei der nächsten Wahl nicht wählt, trifft er damit eine Entscheidung, sich nicht in das Ziel, das Gott mit Deutschland hat, einzubringen.
Ich weiß nicht, ob man im Moment so klar sagen kann, was man wählen soll. Es ist derzeit ein etwas problematischer Zustand, fast schon ein einheitsbreiartiger Zustand. Aber wir haben eine Verantwortung. Wir können nicht einfach sagen: „Die müssen mal.“ Wir tragen eine Mitverantwortung – zumindest nach dem Wortlaut hier.
Vers 6 und 7: „Gebt allen, was ihnen gebührt: Steuer, Zoll, Ehre.“ Steuer und Zoll sind interessant, weil es damals gerade eine Debatte gab. Nero wollte die indirekten Steuern abschaffen. Man kann sich vorstellen, dass die Leute dachten: „Lasst uns erstmal eine Weile nichts mehr zahlen, vielleicht fällt das alles weg, dann sparen wir Geld.“ Paulus sagt aber: „Spar das nicht, zahlt eure Steuern und den Zoll!“
Furcht und Ehre beziehen sich auf die innere Haltung und den äußerlich sichtbaren Respekt vor den Amtspersonen. Wenn ein Christ einem Polizisten begegnet, sollte der Polizist merken, dass der Christ Christ ist – an seinem Umgang mit ihm. Wenn das nicht der Fall ist, gibt es ein Problem.
Warum? Weil Gott den Staat mit seinen Organen eingesetzt hat, und diese verdienen Respekt und Ehre. Furcht ist heute nicht mehr unser Wort, aber Respekt und Ehre schon. Wir dürfen einem Polizisten sogar sagen, dass wir schätzen, was er tut, denn viele dieser Menschen machen einen harten Job, den wir nicht übernehmen möchten.
So viel zum Thema Christ und Staat.
Geistliche Lebensgrundsätze: Liebe und Gesetz
Zum Schluss fliegen wir noch durch die Verse 8 bis 14 und schauen uns ein letztes Mal die zwei geistlichen Lebensgrundsätze an, die Paulus uns vor Augen malt. Das machen wir, bevor wir uns morgen früh treffen und über ein ganz anderes Thema nachdenken.
Wir sind wieder beim Verhältnis von Liebe und Gesetz angekommen. Irgendwie ist es ein großer Bogen, der sich langsam dem Ende neigt.
Vers 8 sagt: "Seid niemand irgendetwas schuldig, als nur einander zu lieben." Darf ein Christ eigentlich einen Kredit aufnehmen, wenn man das so liest? "Seid niemand etwas schuldig"? Darüber habe ich mal nachgedacht. Ist das ein Verbot der Kreditaufnahme? Nein, das ist es nicht. Denn Schuldigkeit fängt erst da an, wo du mit der Rate in Rückstand gerätst. Solltest du also deine Schulden nicht abbezahlen, dann bist du wirklich jemandem etwas schuldig.
Aber wenn dir jemand Geld leiht, was in der Bibel durchaus in beide Richtungen üblich war, dann ist das in Ordnung. Natürlich erlaubt oder rät die Bibel nicht dazu, sein Leben auf Pump zu führen, das ist euch auch klar. Trotzdem gibt es eine Form von Schuld, aus der wir nie herauskommen: die Liebe.
"Seid niemand irgendetwas schuldig, als nur einander zu lieben." Das ist eine Schuld, die wir nie abtragen können. Gleichzeitig, und wie gesagt, es geht um diese beiden Grundsätze – Liebe und Gesetz –, ist es so, dass wir, wenn wir uns bemühen zu lieben, tatsächlich das Gesetz erfüllen. Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt.
Das ist das Spannende dabei: Du kannst die Gebote einhalten, ohne zu lieben, aber du kannst nicht lieben, ohne die Gebote einzuhalten. Du kannst aus einer falschen Motivation das Richtige tun, ja. Aber wenn du liebst, wenn die Motivation stimmt, wirst du die Gebote Gottes halten.
Paulus fasst das zusammen und bringt einige Beispiele, die das verdeutlichen: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren. Wenn es ein anderes Gebot gibt – such dir irgendein Gebot aus –, es ist in diesem Wort zusammengefasst: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."
Und es stimmt: Wenn ich den anderen liebe, werde ich kein Gebot übertreten. Warum nicht? Weil jedes Gebot ein Ausdruck von Liebe ist. Wenn Gott mir ein Gebot gibt, dann doch nicht, um mich zu gängeln, sondern damit ich lerne, ihn zu verstehen, seine Liebe zu begreifen und selbst zu einer liebenden, heiligen Persönlichkeit zu werden.
Wenn du liebst, wirst du auch seine Gebote halten.
Vers 10 sagt: "Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses." Es geht einfach nicht. Ich kann dir keine Ohrfeige geben und sagen: "Ich habe dich lieb." Nein, das ist einfach nicht so. Deshalb kann Paulus hier in Vers 10 schreiben: "So ist nun die Liebe die Erfüllung des Gesetzes."
Erinnert ihr euch an die Frage, die wir schon hatten? Wenn wir unter Gnade stehen, wie ist das dann? Kann ich leben, wie ich will? Das stimmt nicht.
Wenn ich unter Gnade stehe, wenn ich die Erbarmungen Gottes verstehe und Gott dankbar sein möchte, wenn ich mein Leben als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Opfer investieren will und mich frage, was das im Innersten bedeutet, dann heißt das: zu lieben. Die Liebe sei ungeheuchelt, in der Bruderliebe einer dem anderen vorangehend.
Dann bin ich irgendwie wieder vorne angekommen. Wenn ich mich dazu entschieden habe, aus Dankbarkeit ein wirklich hingegebenes, liebevolles Leben zu führen, dann sind die Gesetze ganz nebenbei miterledigt. Denn ich stelle mir die Frage: Was tut dem anderen wirklich gut? Und dann bin ich wieder bei dem Punkt, wo ich sage: Ich tue dem anderen das, was Gott schon immer von mir wollte.
Wer liebt, erfüllt das Gesetz.
Leben in der Übergangszeit und Wachsamkeit
Paulus kann am Ende nur sagen: Wir sind solche Menschen, und wir sollen solche sein, die nach dem Vorbild Jesu leben. Das ist wahrscheinlich nichts Neues, aber es bleibt immer wieder eine Herausforderung. Dies gilt besonders für diejenigen, die die Zeit erkennen.
Wir wissen, dass wir in einer Übergangszeit leben. Auf der einen Seite ist das Neue, die Ewigkeit, seit der Auferstehung angebrochen. Seit der Auferstehung ist ewiges Leben für die, die glauben, eine Realität. Auf der anderen Seite ist das Alte noch nicht richtig abgeschlossen, denn wir warten noch darauf, dass der Herr Jesus wiederkommt. Wir warten darauf, dass diese Erde ein Ende findet.
In dieser Übergangszeit leben wir und erleben ein Paradox. Einerseits sind wir solche, auf die der Geist Gottes ausgegossen ist. Andererseits werden Menschen gleichzeitig gewalttätig. Der Sohn ist geoffenbart, und gleichzeitig wird das Werk Gottes verspottet. Antichristen treten auf, um es zu zerstören. So stecken wir in dieser Spannung.
Wir erkennen die Zeit, begreifen die Zusammenhänge und wissen, dass wir in einer Zeit leben, in der Finsternis und Licht aufeinanderprallen und sich durchdringen. Manchmal hat man den Eindruck, man kann sie gar nicht mehr richtig voneinander trennen. Das bewirkt, dass diejenigen, die die Zeit erkennen und wissen, dass die Stunde schon da ist, aus dem Schlaf erwachen.
Hier folgt eine Abfolge von Bildern: Wenn du mit deinem geistlichen Leben eingeschlafen bist, wenn du denkst, dass die Imperative, die wir vorhin gelesen haben – die Liebe, die Bruderliebe, der Fleiß, die Hoffnung, das Gebet, die Gastfreundschaft, das Sich-zu-den-Niedrigen-Halten, das Mitfreuen und Mitweinen – für dich ein bisschen weiter weg gewesen sind, dann ist jetzt der Moment, wo das wieder frisch wird.
Dann heißt es: Wach auf, steh auf! Denn jetzt ist unsere Errettung näher als zu dem Zeitpunkt, als wir zum Glauben kamen. Von dem Moment, als du heute Morgen gefrühstückt hast, bis jetzt ist der Moment deiner Errettung – je nachdem, wann du aufgestanden bist – vielleicht zwischen zehn und fünfzehn Stunden nähergerückt. Du bist also zehn bis fünfzehn Stunden näher an der Ewigkeit.
Paulus schreibt: „Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.“ Gemeint ist damit ein Dreifaches: Erstens schmecken wir schon die Wirksamkeit Christi. Wir erleben schon etwas von der Macht und Herrlichkeit, die einmal in unserem Leben sichtbar werden wird. Wir werden heute schon verändert, weil in uns die Kraft wirkt, mit der Jesus aus den Toten auferweckt wurde.
Zweitens ist der Tag der Wiederkunft Jesu nah, weil es in Gottes Zeitplan keinen weiteren Zwischenstopp gibt. Man hat oft so Kalender im Kopf, in denen man plant, was wann nacheinander kommt. Der nächste Schritt, der nächste Stopp ist: Jesus kommt wieder.
Drittens lebt Gott in einer anderen Dimension. Wenn er von „nahe“ spricht, dann ist es kein Problem, wenn das zweitausend Jahre entfernt ist. Wir dürfen wissen: Der Tag ist nahe. Deshalb gilt: Lasst uns die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anziehen.
Aufforderung zu einem heiligen Lebenswandel
Und jetzt wird er ein bisschen kämpferisch. Also: Weg mit dem Alten, aber jetzt ran an das Neue! Lasst uns anständig wandeln, wie am Tag, in der Öffentlichkeit, wenn jeder zuschauen kann. Nichts Verstecktes, nichts Geheimes, nichts Hintenrum. Keine Maskenträger und Heuchler, sondern ehrlich das ausleben, was du bist.
Drei Beispiele: Nicht in Schwelgereien und Trinkgelagen – also keine Fress- und Saufveranstaltungen. Nicht in Unzucht und Ausschweifungen, denn da steckt das Sexuelle mit drin. Und nicht in Streit und Neid, denn dabei geht es darum, wie ich mich mit anderen umgehe.
Das sind unterschiedliche Bereiche unseres Lebens, die so schnell aus den Fugen geraten. Seid vorsichtig, wandelt anständig!
Ich finde das so spannend, weil es bei diesen Bereichen immer einen richtigen Umgang und einen falschen Umgang gibt. Es ist nie damit getan, einfach nur zu sagen, ich soll das immer sein lassen.
Ich soll nicht fressen und saufen, aber ich soll das Leben trotzdem irgendwie genießen. Ich soll keine Unzucht und Ausschweifungen haben, aber Sexualität in der Ehe ist erlaubt. Ich soll nicht streiten und neidisch sein, aber gleichzeitig soll ich ein Vorbild sein und in Bruderliebe ein bisschen anstacheln. Ich soll mich mitfreuen.
Es ist nie einfach, den mittleren Weg zu finden. Es ist nie leicht, die Balance zu halten. Wir müssen nachdenken, was das bedeutet, und dann müssen wir es leben.
Jesus Christus als unser Vorbild und Lebensmantel
Indem wir, letzter Vers für heute, den Herrn Jesus Christus anziehen – ihn anziehen. Das Bild stammt aus dem Alten Testament, bei Jesaja, als der Mantel der Gerechtigkeit. Ja, ich bin dreckig, ich bin schmutzig, ich bin ein Sünder, und Gott zieht mir den Mantel der Gerechtigkeit an. Nicht, weil ich so hübsch bin, sondern weil er so schön ist.
Dieses Bild wird übertragen: Zieht den Herrn Jesus Christus an wie ein Kleid. Was heißt das? Das bedeutet, wenn man dich sieht, dann sieht man den Herrn Jesus Christus, weil du ihn wie ein Kleid, wie eine Robe angelegt hast. Er ist das, was man eigentlich wahrnimmt, wenn man dich sieht. Er soll umgestaltet werden in sein Bild.
Wenn man dich wahrnimmt, wenn man dich erfährt, soll man ihn erfahren. Wenn man mit dir redet, soll man seine Worte hören. Wenn du in das Leben eines Menschen hineinwirkst, dann soll er selbst es sein, der in das Leben hineinwirkt.
Damit wir das können, muss gelten: Treibt nicht Vorsorge für das Fleisch, Vorsorge oder Fürsorge. Es ist spannend: Wir dürfen dieses Leben genießen, und trotzdem kann ein Punkt kommen, an dem dieser Genuss in Sünde umschlägt. Dort, wo in unserem Kopf plötzlich unser Fleisch zu unserem Gott wird, wo die Fürsorge für unsere natürlichen Bedürfnisse zum zentralen Motor für unser Verhalten wird. Es ist ein heikler Punkt.
Treibt nicht Vorsorge für euer Fleisch, damit Begierden nicht wach werden. Schafft in eurem Leben nicht so viel Raum für eure Lüste und Begierden, dass sich an dieser Stelle Sünde in euer Leben einnisten kann. Gleichzeitig aber genießt die guten Gaben Gottes.
Lass mich zum Abschluss noch ein Beispiel bringen, um das, was ich ausdrücken möchte, noch einmal zu verdeutlichen. Auf der einen Seite nehmen wir die Schwelgereien und Trinkgelage. Auf der anderen Seite ist es gut und richtig, sich vernünftig zu ernähren, gutes Essen zu sich zu nehmen und dankbar aus Gottes Hand die Dinge zu empfangen, die er uns gibt.
Und auf der anderen Seite gilt: Wenn wir nicht aufpassen, kultivieren wir in uns einen Drang, immer noch besser, immer noch mehr zu wollen. Aus einem „Ich habe etwas genossen, ich habe dankbar von Gott etwas entgegengenommen“ wird eine Sehnsucht nach besserem Essen, mehr Essen, Fressen, Saufen.
Irgendwie sollen wir unser Leben in der Mitte leben. Dort, wo wir auf der einen Seite genießen, aber auf der anderen Seite in Abhängigkeit von Gott sind. Wo wir merken: Jetzt schlägt unser Fleisch zu, jetzt kommt in uns ein Bedürfnis auf, das nicht mehr okay ist, wo wir den Weg der Heiligkeit verlassen.
Dann sagen wir: Schnitt, das gibt es nicht mehr. Das ist der Punkt, an dem wir aufgefordert sind, den Herrn Jesus Christus anzuziehen. Er war ein Freund der Zöllner und Sünder und wurde als Weinsäufer verspottet, aber er war nie jemand, der in Trinkgelagen betrunken war.
Merkt ihr das? Ganz spannend. Ich wünsche euch viel Weisheit an dieser Stelle, euer geistliches Leben zu leben. Macht es euch nicht zu einfach, sondern werdet lieber weise und lernt zu entscheiden, was der Wille Gottes für euer Leben ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene. Amen.