Einführung in die Weisheit der Sprüche Salomos
Angeblich soll es Menschen geben, die die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. So sagt es zumindest ein altes deutsches Sprichwort. Wäre das nicht klasse? Einfach eine Dose Weisheit kaufen, öffnen, den Löffel hineinstecken – und schon sind wir weise.
Leider ist es nicht ganz so einfach, wie uns dieses Sprichwort glauben machen möchte. Und doch gibt es Sprichwörter, die uns tatsächlich weise machen können. Mit solchen Sprichwörtern wollen wir uns im Rahmen der heute beginnenden Predigtreihe beschäftigen.
Bis Mitte August, mit zwei Unterbrechungen – eine davon gleich nächste Woche, also wird es dann etwas anderes geben – wollen wir uns die ersten neun Kapitel im Buch der Sprüche anschauen. Diese Sprüche sind Salomo zugeschrieben oder werden manchmal einfach Sprichwörter genannt.
Heute wollen wir die Einführung, die Präambel dieses Buchs betrachten: Sprüche Kapitel 1, die ersten sieben Verse. Ich habe die Kernaussage dieser Einleitung zusammengefasst. Wenn ihr das Gottesdienstblatt vor euch habt, könnt ihr das nachverfolgen.
Vielleicht erkennt man es nicht auf den ersten Blick, aber das Fettgedruckte ist ein Satz. Beim zweiten Punkt ist das große „D“ bei „Die“ etwas irreführend und müsste klein geschrieben sein.
Die Kernbotschaft ist etwas komplex, doch vielleicht können wir sie gemeinsam nachvollziehen: Wir sollten das Buch der Sprüche aufmerksam lesen, denn es lehrt uns Sprichwörter, die weise machen für ein gutes Leben – sowohl für unreife als auch für reife Menschen, wenn sie in Gottesfurcht angenommen werden.
Das ist die Struktur der heutigen Predigt. Wir wollen dieses Buch der Sprüche miteinander lesen und studieren. Denn es beinhaltet Sprichwörter, und darüber denken wir in Vers 1 nach: Diese Sprichwörter machen weise.
Für ein gutes Leben sind das die Verse 2 und 3. Diese Sprichwörter richten sich sowohl an unreife als auch an reife Christen – oder besser gesagt an Menschen. Und diese Sprichwörter werden uns nur dann dienen, wenn sie in Gottesfurcht angenommen werden. Das ist der letzte Vers, Vers 7.
Die Herkunft und Bedeutung der Sprüche Salomos
OK, also direkt zur Überschrift: Sprüche 1, Vers 1. Die Überschrift lautet: „Dies sind die Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel.“
Das ist eine ganz typische Überschrift, die wir öfter in Bibelbüchern finden. Nicht jedes Bibelbuch hat eine solche kurze Erklärung. Aber zum Beispiel beginnt das Buch Prediger, das direkt nach den Sprüchen im biblischen Kanon kommt, mit den Worten: „Dies sind die Reden des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs zu Jerusalem.“
Auch manche Prophetenbücher fangen ähnlich an. Bei Jesaja, Jeremia oder Nahum wird jeweils einmal gesagt, worum es geht und von wem das Buch stammt. So ist es auch hier.
Also, worum handelt es sich? Das sind Sprüche Salomos. Es sind Sprichwörter, und der primäre Autor ist Salomo, König Salomo. König Salomo ist bekannt dafür, dass er schon in jungen Jahren Gott um Weisheit gebeten hat. Gott hatte dieses Gebet erhört und sich darüber gefreut.
Im ersten Buch Könige, Kapitel 3, lesen wir, wie Gott auf Salomos Gebet antwortet und ihm eine wunderbare Zusage gibt. In 1. Könige 3,11 heißt es:
„Weil du darum bittest und nicht um ein langes Leben, noch um Reichtum, noch um den Tod deiner Feinde, sondern um Verstand, um zu hören und Recht zu richten, siehe, so tue ich nach deinen Worten. Siehe, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz, so dass seinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht aufkommen wird.“
Wenn also jemand uns Weisheit lehren kann, dann wohl dieser Mann, der sie in einem Maße von Gott empfangen hat, wie sonst keiner. Tatsächlich heißt es weiter in 1. Könige 5,12, dass Salomo wohl dreitausend Sprichwörter gedichtet hat.
Dabei wird auch klar, dass diese Sprichwörter in poetischer Form geschrieben sind. Das werden wir heute schon sehen. Sie zeichnen sich oft dadurch aus, dass zwei Zeilen parallel zueinanderstehen. Entweder sagen sie nahezu dasselbe: Die zweite Zeile greift die erste auf und konkretisiert sie oder bringt sie in anderen Worten noch einmal. Oder sie stehen im Kontrast zueinander: Die eine Zeile sagt das, die andere bringt den Gegensatz dazu.
Auch das werden wir heute sehen. Also, das ist es, was wir hier haben: Sprichwörter von Salomo, diesem König.
Das ganze Buch hat 31 Kapitel. Wir betrachten heute nur die ersten sieben Verse. Der Rest von Kapitel 1 bis Kapitel 9 ist eigentlich eine Einführung. Sprüche 1 bis 9 sind die Einführung in das Buch. Dort bekommen wir in längeren Lehreinheiten in poetischer Sprache erklärt, warum Weisheit so erstrebenswert ist.
Die eigentlichen Sprichwörter beginnen dann in Kapitel 10. Wenn man die Bibel aufschlägt und bis Kapitel 10 blättert, hat man in Sprüche 10,1 den Eindruck, dass es jetzt richtig losgeht. Dort heißt es nämlich: „Das sind die Sprüche Salomos.“
Jetzt kommen sie, die Sprichwörter Salomos. Diese Sprüche sind oft kurz und stakkatoartig. Manchmal hängen sie zusammen, manchmal wirken sie wie ganz verschiedene Themen, die bunt nacheinander angeführt werden.
Diese Sprüche sind also Sprüche Salomos, allerdings nicht nur von Salomo. In Kapitel 22, Vers 17, wird gesagt: „Hier kommen noch ein paar Sprüche von anderen weisen Leuten.“ Salomo war offensichtlich weise genug, nicht nur seine eigene Weisheit kundzutun, sondern auch Weisheiten anderer weiterzugeben, und zwar bis zum Ende von Kapitel 24.
Kapitel 25 beginnt dann eine zweite Sammlung, in der es wieder heißt: „Auch dies sind die Sprüche Salomos.“ Zum Abschluss kommen noch zwei andere Männer mit ihren Weisheiten zu Wort.
Das Buch endet mit dem wahrscheinlich bekanntesten Kapitel, Sprüche 31, dem Loblied auf die tüchtige Hausfrau. Sehr passend zum Muttertag vielleicht, aber das lassen wir heute weg. Wir fangen ganz vorne an und nicht am Ende.
Heute betrachten wir also die ersten sieben Verse. In den Versen 2 und 3 erfahren wir gleich, was die Absicht dieser Sprichwörter ist und was sie bewirken wollen.
Das Ziel der Sprichwörter: Weisheit für ein gutes Leben
Das bringt uns schon zum zweiten Punkt der Predigt. Das Ziel der Sprichwörter ist es, Menschen weise zu machen – weise für ein gutes, ich könnte auch sagen, gottgefälliges Leben. Wir lesen das hier in Vers 2 und 3:
Diese Sprichwörter sind, um Weisheit und Zucht zu lernen und verständige Rede zu verstehen, damit man Zucht annimmt, die klug macht, sowie Gerechtigkeit, Recht und Redlichkeit.
Hier sehen wir schon etwas, das ganz typisch für das Buch der Sprüche ist, nämlich zwei parallele Aussagen, die sehr ähnliche, fast identische Dinge sagen. Vers 2 sagt: „Um Weisheit und Zucht zu lernen“ und „verständige Rede zu verstehen“. Das sind keine zwei völlig unterschiedlichen Dinge. Weisheit zu lernen bedeutet konkret, verständige Rede zu verstehen.
Noch konkreter: Die Sprichwörter Salomos sollen wir verstehen. Dafür ist uns dieses Buch gegeben. Dadurch werden wir weise, so verstehen wir verständige Rede. Und all das tun wir, um in die Zucht genommen zu werden. Wir lernen Zucht. Das ist ein Ziel der Sprichwörter.
Man könnte auch sagen, sie sollen uns erziehen. Zucht kommt vom Erziehen. Diese Sprichwörter sollen uns erziehen, uns reif machen und uns zurüsten für ein gutes Leben. Konkret für ein Leben, das geprägt ist durch Grundsätze von Gerechtigkeit, Recht und Redlichkeit. Das soll dieses Buch bewirken.
Es soll uns weise machen, damit wir erzogen werden und mehr und mehr so leben, dass unser Leben von Gerechtigkeit, Recht und Redlichkeit geprägt ist. Das ist ein gutes Leben.
Wir merken hier schon, dass das alles etwas komplizierter ist, als wir es von manchen anderen Teilen der Bibel kennen. Das Gesetz ist relativ einfach und ziemlich klar. Weisheit ist anders als das Gesetz.
Das Gesetz sagt: Tu dies und lass das bleiben. Das ist richtig, das ist falsch. Richtig und falsch – das ist ziemlich simpel. Das Problem beim Gesetz ist nicht, dass wir lange überlegen müssen, wie es gemeint ist, sondern die Frage ist: Will ich das tun? Das Problem beim Gesetz ist also, ob wir ein Herz haben, das gehorsam sein will.
Das, was das Gesetz von uns fordert, ist typischerweise klar und relativ schwarzweiß. Weisheit ist komplexer und nicht so einfach zu erlangen. Weisheit ist für das da, was durch das grobe Raster des Gesetzes vielleicht durchfällt.
Weisheit bedeutet zum Beispiel zu erkennen, wie ich leben kann, damit ich nicht in Versuchung gerate und dann nicht das tue, was vom Gesetz verboten ist. Weisheit greift früher an und führt weiter.
Vielleicht zur Veranschaulichung ein Beispiel: Das Gesetz verbietet einer jungen Frau nicht, an Orte zu gehen, wo gottlose Männer sind, die vielleicht um sie werben. Das Gesetz verbietet jedoch, sich auf solche Männer einzulassen.
Aber Weisheit gebietet, gar nicht erst an solche Orte zu gehen. Weisheit schützt uns, tut uns gut und hilft uns, gut zu leben.
Das wollen die Sprüche Salomos für uns tun. Sie sind uns gegeben, damit wir weise werden für ein wirklich gutes Leben, das Gott gefällt.
Das ist also das Ziel der Sprichwörter: Weisheit.
Wer braucht die Weisheit? Unreife und reife Menschen im Blick
In den Versen 4 bis 6 erfahren wir, wer es nötig hat, die Sprüche zu hören. Ich lese diese drei Verse noch einmal, und dann betrachten wir sie etwas genauer.
Die Sprichwörter Salomos sind uns gegeben, um weise zu machen, damit die Unverständigen klug werden und die Jünglinge vernünftig und besonnen. Wer weise ist, der höre zu und wachse an Weisheit. Und wer verständig ist, der lasse sich raten, damit er Sprüche und Gleichnisse versteht – die Worte der Weisen und ihre Rätsel.
Wir merken, hier sind zwei Gruppen angesprochen. Im Vers 4 werden zunächst konkret diejenigen genannt, die noch unreif sind. Wir sehen hier in Vers 4 eine Doppelung, die typisch für poetische Literatur ist: Immer wieder heißt es, dass die Unverständigen klug werden und die Jünglinge vernünftig und besonnen. Das sind jedoch keine zwei ganz unterschiedlichen Gruppen, sondern tatsächlich eine Gruppe. Jünglinge sind noch unverständlich. Sie haben es nötig, klug zu werden, Vernunft und Besonnenheit zu lernen.
Diese Worte stehen letztlich alle synonym für Weisheit. Klug sein, vernünftig sein, besonnen sein – das sind nicht drei verschiedene Dinge, sondern der Versuch, Weisheit zu umschreiben. Junge Menschen brauchen das, denn sie haben es nicht von Natur aus. Es ist keine Schande, jung und unverständlich zu sein. Das ist ganz normal. Man kann nicht schon mit der Babynahrung Weisheit mit Löffeln fressen. Man muss sie erlernen, und es braucht seine Zeit.
Es ist wirklich spannend zu sehen, dass selbst Jesus nicht von Anfang an die vollkommene Weisheit besaß. Am Ende von Lukas 2 lesen wir, dass selbst Jesus in der Zeit seiner Jugend an Weisheit zunahm. Weisheit muss erlangt werden. Sie entsteht dadurch, dass wir die Erfahrungen, die wir machen, durchdenken und daraus lernen. Weisheit wird oft erworben, indem wir weisen Menschen zuhören, ihnen zusehen und sie beobachten.
Weisheit ist etwas, das Jünglinge nötig haben. Salomo war überaus weise, aber auch er musste diese Weisheit erst erhalten. Gott hat sie ihm letztlich gegeben. Weil er so überaus weise war, konnte er als weiser Lehrer uns Dinge sagen, durch die die Jünglinge weise werden. Letztlich hat er auch weise gelebt. Die Bibel zeugt von Weisheit im Leben.
So kann uns die Bibel ein Bild davon geben, wie wir als Christen leben sollten. Tatsächlich wird Weisheit oft leichter abgeschaut als nur durch Hören gelernt. Wir brauchen Vorbilder, und das Buch der Sprüche macht das deutlich. Im Fortgang werden wir immer wieder lesen, dass ein Weiser, ein Mensch, der in Weisheit wachsen will, Vorbilder hat, auf die er achtet. Solche Vorbilder brauchen wir.
Ein Wort an die jungen Menschen unter uns: Ihr mögt es vielleicht etwas anstößig finden, dass Salomo euch nicht nur Jünglinge nennt, sondern auch unverständlich. Nehmt das offen an. Das ist die Grundausstattung von uns Menschen, und wir wachsen darin. Wenn ihr schon einige Tage gelebt habt, habt ihr bereits eine gewisse Weisheit erlangt. Ihr braucht aber mehr davon.
Das sollte euer Denken und Handeln prägen. Wenn ihr nur Zeit mit Gleichaltrigen verbringt, fehlen euch weise Menschen, die euch lehren und Vorbild sein können. Die Jungen brauchen die Reiferen, damit sie in Weisheit wachsen können.
Und liebe reife Geschwister, gerade hier in diesem Gottesdienst sehe ich einige mit grauem Haar – es soll ja angeblich ein Zeichen von Weisheit sein. Ich fange gerade erst damit an. Erweist eure Weisheit, indem ihr euch anderen zur Verfügung stellt. Erkennt, dass ihr, wenn ihr Weisheit erlangen durftet, nun eine wichtige Rolle im Leben derer spielen sollt, die noch nicht so weit sind.
Ich möchte das ganz offen sagen: Ich sehe mit gewisser Sorge, dass wir in unserer Gemeinde – und ich glaube, das ist typisch für viele Gemeinden – uns ein wenig alterssegmentiert haben. Die Senioren treffen sich in ihren Kreisen, die Jugend in ihren Gruppen, die jungen Familien verbringen gerne Zeit miteinander. Das ist alles legitim. Aber wir vertun uns etwas, wenn das die einzigen Gruppen sind, in denen wir leben und Beziehungen pflegen.
Ich möchte uns da bewusst herausfordern: Ihr jungen Leute, sucht euch ältere, reife Christen, die euch helfen können, in Weisheit zu wachsen. Die euch Vorbilder sein können darin, was es heißt, ein weises Leben zu führen. Junge Singles, sucht euch Familien, bei denen ihr lernen könnt, wie man weise lebt – auch in ehelichen Beziehungen.
Kinderlose Ehepaare, sucht euch Eltern! Gerade wenn ihr jung und kinderlos seid und hoffnungsvoll auf Kinder wartet, sucht euch reifere Familien. Sucht Menschen, die in diesen Bereichen schon Weisheit besitzen, zum Beispiel in der Kindererziehung, und lernt von ihnen.
Wir alle brauchen einander, um voneinander zu lernen. Schau, wo du noch Weisheit brauchst und wo du vielleicht schon Weisheit erlangt hast, die du weitergeben kannst.
Die Aufforderung an die Weisen: Weiter wachsen in Weisheit
Das darf gerade die reifen Christen unter uns herausfordern. Wenn wir ein paar Schritte weiter sind und meinen, reifer im Glauben zu sein, dann sollten wir hoffentlich die Weisheit besitzen, zu erkennen, dass Gott uns in die Gemeinschaft mit Jüngeren, Unerfahrenen und Unreifen gestellt hat. Gott will uns in ihrem Leben gebrauchen.
Handle also in Weisheit und stelle dich zur Verfügung. Geh bewusst auf die zu, die vielleicht nicht weise genug sind, zu erkennen, dass sie dich brauchen. Willst du so weise sein, lieber reifer Christ?
In Vers 5 werden dann die weisen Christen ganz direkt angesprochen. Hier merken wir, dass nicht nur die Jünglinge Weisheit lernen und die Reiferen Weisheit weitergeben müssen, sondern dass auch reife Christen aufgefordert sind, weiter in der Weisheit zu wachsen.
Vers 5 sagt: Wer weise ist, der höre zu und wachse an Weisheit. Und wer verständig ist – eine Art Doppelung – der lasse sich raten, damit er Sprüche und Gleichnisse, die Worte der Weisen und ihre Rätsel versteht.
Das heißt, wahre Weisheit zeigt sich darin, dass wir erkennen, wie viel wir noch nicht verstehen. Wahre Weisheit sagt uns: Ich habe noch so viel zu lernen. Die Weisesten sind oft diejenigen, die das am klarsten erkennen. Wirklich weise Menschen suchen sich oft und gerne Rat, weil sie weise genug sind, ihre eigenen Begrenzungen klar zu sehen.
Wir merken schon: Weisheit und einfach nur alt sein können zwei unterschiedliche Dinge sein. Lange Christ sein heißt nicht automatisch, dass man weise ist. Tatsächlich treffe ich immer wieder auf Langzeitchristen, die meinen, es nicht mehr nötig zu haben, belehrt oder korrigiert zu werden. Solche Christen denken, sie seien weise, offenbaren aber durch diese Haltung einen eklatanten Mangel an Weisheit.
Liebe Geschwister, die Worte aus Vers 5 sollten gerade die unter uns, die schon länger im Glauben stehen – ich schließe mich da mit ein – herausfordern. Sie fordern uns heraus, weiter bereit zu sein, in der Weisheit zu wachsen. Ich weiß, wie schwer mir das manchmal fällt. Ich will ja nicht von mir auf andere schließen, aber vielleicht kannst du dich damit ein bisschen identifizieren.
Nur ein Beispiel: Ich bin jemand, der von Berufs wegen regelmäßig predigt, so wie jetzt gerade. Aber oft genug habe ich jüngere Geschwister, die hier vorne stehen und predigen. Und immer wieder ertappe ich mich danach dabei, dass ich vor allem darauf geachtet habe, was sie besser hätten machen können. Ich bin im Lehrermodus, im Belehrermodus, im Korrekturmodus, anstatt hier zu sitzen und zu fragen: Was habe ich zu lernen? Was will mir dieser Bruder heute sagen? Ich brauche Belehrung.
Ich bin dankbar für junge Geschwister, die mich regelmäßig belehren. Aber ich merke, mein Herz ist nicht immer bereit dazu. Wirklich weise Christen sind nicht die ewigen Besserwisser, sondern die ewigen Wissbegierigen. Vielleicht ist das mal ein Spruch, nicht aus der Feder Salomos, sondern aus der Feder Lomans: Die wirklich weisen Christen sind nicht die ewigen Besserwisser, sondern die ewig Wissbegierigen.
Weise Christen stellen Fragen und lassen sich etwas sagen, anstatt immer nur andere belehren zu müssen. Sie hinterfragen sich selbst, lassen sich hinterfragen und korrigieren, anstatt schnell dabei zu sein, anderen ihre Fehler zu zeigen und ihnen die Welt zu erklären.
Weise Christen erkennen an, dass sie auch von Jüngeren und Unerfahrenen viel zu lernen haben. Sie sind nicht überzeugt davon, immer alles besser zu wissen.
Von daher möchte ich einen ganz konkreten Vorschlag machen: ein Projekt für das Buch der Sprüche, ein Projekt für uns alle. Ich hoffe, wir können uns darauf einlassen.
Such dir einen Christen hier in der Gemeinde, wenn du zur Gemeinde gehörst. Such dir jemanden, der entweder zehn Jahre länger oder zehn Jahre kürzer Christ ist als du. Also bewusst jemand, der entweder zehn Jahre mehr oder zehn Jahre weniger Lebenserfahrung und Glaubenserfahrung hat. Das sollte für jeden möglich sein.
Nimm dir diese Person, geh auf sie zu und lest gemeinsam das Buch der Sprüche. Es ist ein Projekt. Wenn dir das zu lang ist, dann nimm nur die ersten neun Kapitel. Vielleicht einfach so lange, wie die Predigtserie läuft.
Trefft euch einmal in der Woche nach der Predigt, die hier gehalten wurde, und sprecht darüber, was ihr gelernt habt und wie sich das in eurem Leben zeigt. Gebt einander weiter, was ihr daraus erkannt habt. Lest vielleicht auch schon den Abschnitt, der in der nächsten Woche dran kommt, und redet darüber. Fragt euch, was ihr daraus lernen könnt. Lernt voneinander.
Seid ihr bereit, euch auf so ein Projekt einzulassen? Das war jetzt nicht nur ein kleiner rhetorischer Einschub in meiner Predigt, sondern eine echte Herausforderung für uns als Gemeinde.
Wer niemanden kennt, der kann sich gerne ans Gemeindebüro wenden. Dann versuchen wir, dir jemanden zuzuweisen. Aber ich hoffe, dass du es schaffst, jemanden zu finden, der zehn Jahre jünger oder zehn Jahre älter ist, der schon deutlich länger Christ ist als du oder deutlich weniger lang.
Eine Person, vielleicht nur die ersten neun Kapitel, nur bis Mitte August. Es darf auch mal eine Woche ausfallen. Das soll eine Ermutigung für uns sein.
Dazu sind uns die Sprüche gegeben, damit wir weise werden. Sie sprechen junge und reife Christen an. Aber sie beruhen auf einer ganz wesentlichen Grundlage, und das ist der letzte Vers, den wir betrachten wollen: Vers 7.
Die Grundlage aller Weisheit: Gottesfurcht
Die Grundlage aller Weisheit, die Furcht des Herrn, ist der Anfang der Erkenntnis. Die Toren verachten Weisheit und Zucht.
Hier sehen wir zum ersten Mal eine poetische Form, in der nicht der zweite Teil des Satzes den ersten quasi wiederholt und mit anderen Worten vielleicht konkretisiert, sondern in der beide Teile im Kontrast zueinanderstehen.
Auf der einen Seite steht die Ansprache an die Weisen: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis.“ Auf der anderen Seite finden wir die Toren, die Weisheit und Zucht verachten. Das heißt, die Toren – man könnte auch sagen die Törichten oder Dummen – lassen sich nichts sagen. Sie haben kein Interesse daran, Weisheit und Zucht zu lernen, wie es bereits in Vers 2 heißt.
Diese Toren sagen: „Das Buch der Sprüche brauche ich nicht. Eigentlich brauche ich überhaupt keine Bibel, aber das Buch der Sprüche schon mal gar nicht.“ Sie verachten Weisheit und Zucht.
Im Gegensatz dazu stehen diejenigen, die danach streben, in Weisheit zu wachsen. Ihnen sagt Salomo hier: „Der Anfang aller Erkenntnis ist die Furcht des Herrn.“ Wenn ihr Weisheit haben wollt, dann braucht ihr die Furcht des Herrn – oder anders gesagt: Gottesfurcht.
Die Furcht des Herrn ist der Schlüsselbegriff der biblischen Weisheitsliteratur. Wir finden diesen Ausdruck immer und immer wieder.
Zum Beispiel im Zentrum des Buchs Hiob. Dort heißt es in Hiob 28: „Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit; das Meiden des Bösen, das ist Einsicht.“
Auch im Psalm 2 lesen wir in Vers 11: „Dient dem Herrn mit Furcht.“ Psalm 111, Vers 10, greift fast genau die gleichen Worte auf, die wir hier haben: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang; klug sind alle, die danach tun.“
Das nachfolgende Buch, das Buch Prediger, endet ebenfalls mit der Erinnerung daran, dass wir die Gottesfurcht brauchen, die Furcht des Herrn. In Prediger 12, Vers 13 heißt es: „Lasst uns die Hauptsumme aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gilt für alle Menschen.“
Die Sprüche greifen die Furcht des Herrn immer wieder auf. In Kapitel 1 kommt die Furcht des Herrn gleich noch einmal vor, in Kapitel 1, Vers 25, dann in Kapitel 2, Vers 5, Kapitel 8, Vers 15, Kapitel 9, Vers 10 und so weiter – immer wieder die Furcht des Herrn.
Tatsächlich ist die Furcht des Herrn nicht nur der zentrale Begriff der biblischen Weisheitsliteratur, sondern etwas, das wir in der Bibel immer wieder finden: Gottesfurcht, Furcht des Herrn.
Die Bedeutung der Gottesfurcht für den Menschen
Was ist das eigentlich? Nun, die Furcht des Herrn, die Gottesfurcht, ergreift Menschen, wenn sie anfangen, Gott zu erkennen und sich im Spiegel Gottes selbst zu erkennen. Gottesfurcht ist die Konsequenz von Gotterkenntnis und Selbsterkenntnis.
Wenn ich Gott erkenne und begreife, dass er heilig ist – dass er der ewige, allmächtige und allwissende Gott ist –, wenn ich erkenne, dass er gerecht ist und eines Tages gerecht richten wird, und zugleich erkenne, dass ich als sein Geschöpf geschaffen bin, um unter seiner guten Herrschaft ihm zur Ehre zu leben, aber tatsächlich nicht so lebe, dann entsteht Gottesfurcht. Anstatt heilig zu sein, wie Gott heilig ist, sind wir es nicht. Wir müssen anerkennen, dass wir immer wieder in Rebellion gegen Gott leben. Wir sind nicht heilig, gerecht und gut.
Deshalb können wir vor dem allwissenden Gott, der uns vollkommen kennt, vor dem ewigen Gott, der gestern, heute und morgen klar im Blick hat, und vor dem heiligen Gott, der eines Tages wiederkommen wird als der gerechte Richter, nicht bestehen. Die Bibel lehrt uns das überall und immer wieder: Wir stehen von Natur aus unter Gottes gerechtfertigtem Zorn.
Wenn wir das verstehen, dann kommt etwas – nämlich die Furcht des Herrn. Kennst du diese Gottesfurcht? Kennst du die Furcht vor der Heiligkeit Gottes angesichts deiner eigenen Sündhaftigkeit? Tore erkennen das nicht. Tore erkennen keinen Gott, sie streben nicht nach Erkenntnis und blenden das aus.
Doch in seiner Gnade überführt uns Gott immer wieder von sich selbst und von uns selbst, sodass die Furcht des Herrn in uns Raum bekommt. Ich weiß, wovon ich rede. Ich kann sagen, dass ich die Gottesfurcht in den ersten 25 Jahren meines Lebens ausgeblendet habe. Da war keine Gottesfurcht in mir. Ich war ein Meister darin, Gott zu ignorieren, um nicht über ihn nachdenken zu müssen, obwohl ich nominal christlich gelebt habe.
Aber dann fing Gott an, meine blinden Augen zu öffnen und meine tauben Ohren zu erwecken. Durch sein Wort überführte er mich. In seiner großen Gnade brachte Gott mich an einen Punkt, an dem die Furcht des Herrn Raum in mir einnahm – einen erschreckenden Raum. Gottesfurcht war nicht irgendetwas Nettes, das man irgendwie ganz nett auch biblisch sagen kann. Es war eine Furcht, wie ich sie nie gekannt hatte.
Der Anfang der Gottesfurcht ist bei den meisten Menschen eine tiefe Angst – die Angst eines Menschen, der weiß, dass er Sünder ist und vor einem heiligen Gott steht. Das ist nicht niedlich, das ist echte Furcht. Aber diese Furcht des Herrn führt uns hin zu wahrer Weisheit.
Ich will nicht sagen, dass du so eine Erfahrung gemacht haben musst wie ich. Für manche Menschen ist die Gottesfurcht etwas, mit dem sie aufwachsen. Sie haben von klein auf eine Gotterkenntnis gelehrt bekommen, sie übernommen und verstanden. Sie haben von klein auf begriffen, dass sie vor diesem heiligen Gott nicht bestehen können. In diesen Menschen lebt eine Gottesfurcht.
Diese Gottesfurcht brauchen wir, denn die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis oder auch der göttlichen Weisheit. Die göttliche Weisheit führt uns letztlich zu Jesus Christus, denn Jesus Christus ist die Inkarnation der Weisheit Gottes in Vollkommenheit. Weisheit zu ergreifen bedeutet, Christus zu ergreifen.
Gottesfurcht treibt uns zu Christus, denn er ist gekommen, damit wir nicht mehr in Furcht leben müssen. Die Weisheit Gottes, dass Gott in diese Welt eingreift, ermöglicht es Menschen, die anfangen, Gott wirklich zu fürchten, Frieden mit Gott zu haben. Für die Welt ist das Torheit, aber es ist wahre Weisheit.
Das haben wir in der Textlesung vorhin gehört. Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit für die, die verloren werden, haben wir dort gehört. Und dann heißt es weiter im ersten Korinther 1, Vers 21: "Denn weil die Welt umgeben von der Weisheit Gottes Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben."
Die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit. Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, der für die Juden ein Ärgernis und für die Griechen eine Torheit ist. Denen aber, die berufen sind – Juden und Griechen –, predigen wir Christus als Gotteskraft und Gottes Weisheit. Wir predigen Christus als Gottes Weisheit. Die Weisheit Gottes in Person ist Jesus Christus.
Im Vers 30 betont Paulus, dass Jesus Christus uns gemacht ist zur Weisheit. Die Furcht des Herrn, die anfängliche Furcht des Herrn, führt uns zu Jesus Christus, denn nur in ihm finden wir Befreiung aus der Angst vor Gott.
Ich hoffe, du hast das erlebt. Ich hoffe, du kennst die Furcht des Herrn. Wenn dein Glaube bisher nicht geprägt ist von einem Anerkennen Gottes als eines Gottes, der zu fürchten ist, dann möchte ich dich fragen: Kann es sein, dass du Gott noch nicht wirklich erkannt hast – in seiner ganzen Heiligkeit und in seinem gerechten Richten?
Jeder, der in der Bibel eine Begegnung mit Gott hat, bekommt es ausnahmslos mit Angst zu tun. Immer dort, wo Gott auftaucht, kommt Angst, kommt Furcht. Und immer, wenn Gott in Gnade auftaucht – und fast immer tut er das –, kommen dann die Worte: "Fürchte dich nicht" und Zuspruch.
Aber Gottesfurcht ist eine natürliche Reaktion, und wir brauchen diese natürliche Reaktion. Sie führt uns dazu, Jesus Christus zu erkennen, und dann kann Gott zu uns sagen: "Fürchte dich nicht." Gottesfurcht bringt uns dahin, zu erkennen, dass wir einen Retter brauchen, einen Erlöser – jemanden, der uns vor dem gerechten Gericht rettet. Ich, der ich nicht heilig bin, wie ich heilig sein sollte.
Jesus Christus kommt und sagt: "Ich bin heilig für dich. Flieh zu mir, bring mir deine Schuld, ich nehme sie ans Kreuz und sterbe für dich. Du hast nichts mehr zu fürchten, denn ich habe die Strafe auf mich genommen. Du bist jetzt frei."
Ich hoffe, dass du diesen Schritt gegangen bist. Nur wenn du diesen Schritt gegangen bist, hat das Buch der Sprüche überhaupt einen Ansatzpunkt in deinem Leben. Denn die Gottesfurcht ist der Anfang aller Erkenntnis.
Und weißt du, dann kann es gut sein, dass eine gewisse Gottesfurcht weiter fortbesteht, aber eben nicht mehr diese vollkommene Angst. Manche Christen kennen diese Angst noch, nämlich immer dann, wenn sie die Gnade Gottes aus dem Blick verlieren und nur auf ihre eigene Sünde schauen.
Doch da möchte ich dir Mut zusprechen: Schau auf Christus, er hat dich befreit. Dann darf eine gewisse Gottesfurcht da sein – eine Ehrfurcht, eine Liebe zu Gott. Auch das sehen wir in der Bibel. Es gibt eine Form von Gottesfurcht, die in der Ewigkeit bestehen wird. Das ist keine Angst vor Gott, sondern Anbetung, Ehrfurcht, Liebe – ein Beziehungsbegriff.
Ich hoffe, dass du dahin gefunden hast, dass diese Gottesfurcht in dir lebt. Denn dann bist du bereit, weise zu werden und in Weisheit zu wachsen. Dafür ist uns das Buch der Sprüche gegeben.
Jesus Christus als Vollendung der Weisheit
In der Tat, wenn wir danach streben, das Buch der Sprüche immer mehr in unser Leben anzuwenden, werden wir Christus immer besser erkennen. Denn Christus ist vollkommen weise. Kein Mensch war so weise wie Salomo – außer dem Gottmenschen Jesus Christus. Er war noch weiser.
Wir wissen aus dem Leben Salomos, dass es kein gutes Ende nahm. Das Leben Jesu jedoch nahm ein gutes Ende. Er starb stellvertretend für Sünder, überwand den Tod und lebt. Jesus Christus hat in vollkommener Weisheit gelebt.
Jesus Christus ist nicht nur die Erfüllung des Buchs der Sprüche. In ihm werden alle Forderungen dieses Buchs, alle weisen Ratschläge erfüllt. Er ist wirklich auch die Inkarnation der Weisheit. Das heißt: Wenn wir das Buch der Sprüche lesen, möchte ich dich in den nächsten Wochen und Monaten einladen, diese Worte zu lesen und dabei an Jesus zu denken. Er allein erfüllt dieses Buch. Er lebt in allem so, wie es das Buch fordert.
Ich hoffe, du möchtest mehr sein wie er. Dafür ist dir das Buch der Sprüche gegeben. Du möchtest weise sein? Weisheit kann man nicht mit Löffeln fressen, aber man kann weise werden. Mit Gottesfurcht fängt alles an.
Die Sprichwörter Salomos können uns dann helfen, weiter zu wachsen in der Weisheit. Wir werden weise, wenn wir auf sie hören. Wir werden weise, wenn wir einander dabei helfen, sie zu verstehen.
So möchte ich uns noch einmal einladen, so zu leben, wie es diese Präambel des Buchs fordert: dass die Unverständigen klug werden und die Jünglinge vernünftig und besonnen. Wer weise ist, der höre zu und wachse an Weisheit. Und wer verständig ist, der lasse sich raten, damit er Sprüche und Gleichnisse versteht – die Worte der Weisen und ihre Rätsel.
Schlussgebet
Ich bete mit uns: Himmlischer Vater, danke für dieses Buch der Sprüche. Danke, dass du durch dieses Buch zu uns sprichst und dass du in Jesus Christus für unsere Gerechtigkeit geworden bist und zur Weisheit.
So bete ich, dass wir durch die Gottesfurcht zur Weisheit finden. Schenke uns Demut, um zu lernen, Demut, um weiter zu wachsen, und Demut, um mehr und mehr weise zu werden.
Schenke uns außerdem, dass wir als Gemeinde darauf bedacht sind, einander anzuspornen, füreinander da zu sein, einander zuzurüsten und auch bereit zu sein, voneinander zu lernen.
Herr, danke, dass du uns so zusammengestellt hast, damit wir Vorbilder und Lehrer haben können.
So bitten wir dich: Wirke du durch diese Predigtserie an uns, auf dass wir weise werden zu deiner Ehre. Amen.