Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 187: Du sollst nicht töten – Teil 1.
Einführung in die Bedeutung der Gebote Jesu
In der letzten Episode ging es um die Frage, was Jesus meint, wenn er in der Bergpredigt mehrfach sagt: „Ihr habt gehört, ich aber sage euch“.
Mir war es wichtig, auf zwei Dinge hinzuweisen. Erstens: Jesus will die mosaischen Gesetze nicht durch eigene Gesetze ersetzen. Die alten Gebote behalten ihren Wert und ihre Richtigkeit. Er kam, um sie zu erfüllen, nicht um sie aufzulösen. Später kann auch der Apostel Paulus auf die Frage, ob der Glaube das Gesetz aufhebt, antworten: „Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Auf keinen Fall, sondern wir bestätigen das Gesetz“ (Römer 3,31). Das ganze Konzept der Glaubensgerechtigkeit unterstreicht die Richtigkeit des Gesetzes – aber eben nicht als ein Mittel der Selbstrechtfertigung, sondern als einen Maßstab. Gerade weil das Gesetz heilig, gerecht und gut ist, zeigt es uns das ganze Ausmaß unserer Verlorenheit.
Zweitens möchte der Herr Jesus, dass wir Gebote nicht nur als Grenzen eines rechten Verhaltens verstehen, sondern den tieferen Sinn dahinter erkennen. Wenn man so will, hat ein Gebot im Alten Testament zwei Adressaten. Zum einen ist es dem Richter gegeben. Es beschreibt den Punkt, an dem ein Richter rechtsprechend eingreifen kann und soll.
Aber es wäre ganz falsch, ein Gebot auf diesen Punkt zu reduzieren. Wenn Gebote ein Ausdruck von Liebe sind und letztlich den Charakter Gottes widerspiegeln, dann ist die Beschreibung eines Punktes, an dem ein Richter eingreifen muss, nur die Spitze des Eisbergs. Hinter einem Gebot verbirgt sich mehr als nur das konkrete Verbot. Das Gesetz beschreibt ein Verhalten an Lieblosigkeit, das so schlimm ist, dass eine Gesellschaft nicht mehr darüber hinwegsehen kann, ohne sich selbst zu schaden.
Der zweite Adressat bin ich selbst. Dann darf ich ein Gebot als Ausgangspunkt nehmen, um darüber nachzudenken, wie sich Gott Beziehung, Liebe und Miteinander grundsätzlich vorstellt. Versteht ihr, was ich meine?
Die tiefere Bedeutung des Gebots „Du sollst nicht töten“
Ich kann das Gebot „Du sollst nicht töten“ beziehungsweise „Du sollst nicht morden“ ausschließlich als ein Gebot verstehen, das mich davon abhalten soll, einen Menschen umzubringen. Aber was, wenn es zwar genau diesen Punkt beschreibt, an dem ein Richter eingreifen muss, nämlich beim Mord?
Was, wenn das Gebot noch mehr kann? Was, wenn es mir den Punkt beschreibt, an dem eine Beziehung endgültig durch Gewalt beendet wurde? Es könnte mich dazu bringen, darüber nachzudenken, wo dieser Prozess anfing und welche Vorstufen von Mord es gibt – Dinge, die ein Richter nicht ahnden kann, weil sie im Herzen geschehen, die aber aus Gottes Perspektive trotzdem falsch sind. Falsch, weil sie seinem Charakter widersprechen.
Wenn Gott die Ethik des Alten Bundes beschreibt, dann formuliert er: „Ihr sollt heilig sein, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.“ Und der Herr Jesus wird am Ende von Matthäus 5 sagen: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“
Merkt ihr? Der Anspruch an die Gläubigen hat sich überhaupt nicht verändert. Jesus bringt kein neues Gesetz, sondern er stellt die alten Gebote so dar, wie sie für den einzelnen Israeliten immer schon gedacht waren. Nämlich als Ausgangspunkt, um über die Heiligkeit Gottes nachzudenken und sich selbst die Frage zu stellen, wie man Schritt für Schritt heiliger werden kann – mehr so werden kann, wie Gott ist.
Das sechste Gebot im Fokus der Bergpredigt
Lasst uns das am Beispiel von Mord einmal durchspielen.
Matthäus 5,21: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten. Wer aber töten wird, der wird dem Gericht verfallen sein.“
Das ist der Fokus auf die Tatsünde. Das war der Fokus der Rabbis. Mord ist falsch, und wer mordet, kommt ins Gericht. Daran ist erst einmal natürlich nichts falsch.
Falsch wird es erst, wenn man denkt, dass alles gut ist, solange man keinen umbringt. Falsch wird es, wenn ich glaube, das sechste Gebot aus den Zehn Geboten habe mir nicht mehr zu sagen als: „Bring keinen um.“
Aber genau das ist es, was Jesu Zuhörer gehört haben: Solange du keinen Menschen umbringst, hast du kein Problem mit dem Thema Mord. Mord fängt da an, wo ich mit einem blutigen Messer in der Hand über der Leiche stehe.
Und ja, für einen Richter fängt Mord genau an dieser Stelle an. Aber nicht für Gott, der in mein Herz hineinblickt. Und mich muss interessieren, was Gott über mich denkt.
Was will Gott mir sagen, wenn er mir das Gebot gibt: Du sollst nicht töten?
Es lohnt sich dazu, den bekanntesten Mord der Weltgeschichte zu betrachten: Kain und Abel. Kain erschlägt Abel.
Aber wo fängt dieser Mord eigentlich an? Wir wissen, wo er nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Der Mord von Kain und Abel als Beispiel für die Herzenshaltung
Erste Mose Kapitel 4, Vers 8: Und Kain sprach zu seinem Bruder Abel. Als sie auf dem Feld waren, erhob sich Kain gegen Abel und erschlug ihn. Das ist der Point of no Return: Jetzt ist Kain ein Mörder im rechtlichen Sinn.
Aber noch einmal die Frage: Womit fängt Mord im Herzen eigentlich an? Was geschieht, bevor ich den Stein aufhebe, um meinem Bruder den Schädel einzuschlagen? Was passiert, als Gott nicht auf die fromme Show von Kain eingeht und seine Opfergabe nicht annimmt?
Erste Mose Kapitel 4, Verse 5 und 6: Da wurde Kain sehr zornig, und sein Gesicht senkte sich. Der Herr sprach zu Kain: „Warum bist du zornig, und warum hat sich dein Gesicht gesenkt?“ Merkt ihr? Die Frage ist: Womit fängt Mord im Herzen eigentlich an? Hier sehen wir, es ist Zorn, genauer gesagt ungerechtfertigter Zorn.
Und noch etwas kommt dazu: Erste Mose Kapitel 4, Vers 7. Gott spricht zu Kain: „Ist es nicht so: Wenn du Recht tust, erhebt sich dein Angesicht? Wenn du aber nicht Recht tust, liegt die Sünde vor der Tür, und nach dir wird ihr Verlangen sein. Du aber sollst über sie herrschen.“
Was kommt also, bevor Kain Abel erschlägt? Ungerechtfertigter Zorn und Unbußfertigkeit. Das geht dem Mord voraus. Diese Dinge stecken im Gebot „Du sollst nicht töten“ mit drin. Nicht so, dass ein Richter sie ahnden könnte – das ist wahr. Aber ebenso nimmt Gott sie sehr wohl als Vorstufe von Mord im Herzen wahr.
In Gottes Augen werde ich nicht erst dann zum Mörder, wenn ich einen Menschen umbringe, sondern wenn sich ungerechtfertigter Zorn in meinem Herzen breitmacht. Dieser Zorn ist vor Gericht noch kein Mord. Aber wenn mir ein Rabbi das sechste Gebot erklärt, dann wäre es gut, darauf hinzuweisen, dass Gott Kain schon für seinen Zorn zurechtweist – und nicht erst für den eigentlichen Mord an Abel.
Die ethische Forderung hinter dem Gebot
Und das bedeutet doch, dass „Du sollst nicht töten“ auch alles mit einschließt, was ich im Vorfeld der Tat denke, fühle und tue. Oder drücken wir es noch etwas gewagter aus: Wenn Gott mir verbietet, die Beziehung zu einem Menschen endgültig zu beenden, dann tut ein Mord genau das. Er beendet eine Beziehung ein für allemal.
Wenn Gott mir das verbietet, heißt das nicht, dass er von mir verlangt, alles daran zu setzen, gute Beziehungen zu führen? Wenn ich Leben nicht nehmen soll, will Gott dann von mir, dass ich jemand bin, der Leben gibt? Jemand, der lebensspendende Beziehungen führt, einer, der Menschen so liebt, wie er selbst von Gott geliebt wird.
„Seid heilig, denn ich bin heilig“ – das mögen auf den ersten Blick gewagte Gedanken sein, aber sie sind ziemlich genau das, was der Herr Jesus in der Bergpredigt von seinen Jüngern fordert.
Was könntest du jetzt tun? Du könntest eine Inventur deiner Beziehungen machen und schauen, ob du auf irgendwelche Personen völlig zu Unrecht zornig bist.
Abschluss und Segenswunsch
Das war es für heute. Bete heute ausgiebig für die Leiterschaft deiner Gemeinde. Ermutige sie durch eine liebe SMS oder eine Postkarte.
Der Herr segne dich. Erfülle dich mit seiner Gnade und lasse dich in seinem Frieden leben. Amen.