Einladung und Ausgangspunkt für die Evangelisation
Nun bitte ich Sie, die Bibeln zur Hand zu nehmen: 1. Korinther 9,19-22. In den ausgelegten Bibeln finden Sie den Text auf Seite 180 im Neuen Testament, 1. Korinther 9,19.
Wir laden jetzt schon zu den Schulungen der Mitarbeiter für die kommende große Jugendevangelisation in der Schleierhalle ein. Dabei interessiert uns folgende Frage: Was muss man können, wenn man andere mit dem Evangelium erreichen will?
Das ist gar nicht leicht, und viele persönliche Voraussetzungen fehlen bei uns. Paulus schreibt dazu von einer, die ihm ganz wichtig war:
„Denn obwohl ich allen gegenüber frei bin, habe ich mich doch selbst zum Knecht aller gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz stehen, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden, obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz stehe, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden, obwohl ich doch vor Gott nicht ohne Gesetz bin, sondern im Gesetz Christi lebe. Damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne, den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf jeden Fall einige rette.“
Herr, hilf uns jetzt, Widerstände abzubauen, die verhindern, dass andere gerettet werden. Amen.
Kulturelle Unterschiede und ihre Bedeutung für die Evangelisation
Liebe Schwestern und Brüder,
in der Praxis ist es manchmal ganz kompliziert, wie Menschen ein unterschiedliches Empfinden zwischen den einzelnen Völkern haben. Das kann man leicht beobachten.
Da war ein Amerikaner, der einen japanischen Freund in sein Haus eingeladen hatte. Er wusste nicht, dass die Japaner sehr höfliche Menschen sind. Wenn sie zu einer bestimmten Zeit eingeladen werden, kommen sie etwa eine halbe Stunde später. Sie wollen auf keinen Fall die Hausfrau in Verlegenheit bringen, die vielleicht noch nicht ganz fertig ist.
Der japanische Freund kam also eine halbe Stunde später. Die gute amerikanische Hausfrau war außer sich, denn ihr Abendessen war schon in der Backröhre verschmort. Der Hausherr sagte: „Lassen Sie uns gleich an den Tisch sitzen, oder wollen Sie vielleicht noch kurz das Bad benutzen?“ Das ist in unseren Ländern eine gebräuchliche Floskel.
Der Japaner war überrascht von so viel Höflichkeit und kehrte erst nach einer Stunde gestriegelt zurück. In Japan ist es selbstverständlich, vor einem festlichen Essen ein ausführliches Bad zu nehmen. Dass dieser Hausherr sogar noch sein eigenes Bad angeboten hatte, war für den Japaner zu viel der Güte.
So viel Vertrauen einem Gast entgegenzubringen, ist schon eine große Liebe. Sie können verstehen, dass diese lieben Gastgeber in Amerika völlig außer sich waren. Sie hatten nicht gewusst, was Höflichkeit und Anstand in Japan bedeutet.
Rechnen Sie eigentlich damit, dass die Menschen, mit denen Sie zusammentreffen, unterschiedliche Vorstellungen haben, wenn Sie ihnen von Jesus erzählen? Vielleicht sagen Sie: „Wir leben doch alle im gleichen Kulturkreis, das sind doch keine Schranken.“
Wir vergessen viel zu leicht, dass Menschen eine andere Bildung und eine andere Erziehung gehabt haben als wir. Wir reden so fröhlich mit ihnen drauflos und meinen immer, sie müssten verstehen, was wir ihnen sagen. In Wirklichkeit aber gibt es eine ganz große Schwelle, die uns von vielen Menschen, auch um uns herum, trennt.
Wenn Sie wissen wollen, warum heute bei uns so viele Menschen das Evangelium gar nicht verstehen, obwohl wir es ihnen schon so oft gesagt haben, dann liegt das an ganz ähnlichen Gründen. Sie können es gar nicht verstehen. Wir haben uns nie die Mühe gemacht, das, was wir sagen wollen, in ihr Denken, ihr Verständnis, ihre Art und ihre Lebensweise zu übersetzen.
Die Notwendigkeit der Anpassung im Evangelisationsdienst
Wenn man heute im Gottesdienst ein solches Thema anspricht, sagen manche vielleicht: „Ach, komm, der Heilige Geist ist so stark, der macht das schon. Gott kann das, du musst nur richtig Glauben haben.“
Der Heilige Geist kann Brücken schlagen. Ich denke, Paulus hat dem Heiligen Geist noch viel mehr zugetraut als wir alle – nämlich Brücken zu den Menschen zu schlagen, die ohne Gott verloren sind.
Aber derselbe Missionar Paulus hat sich auch sehr bemüht, den Menschen ähnlich zu werden. Er versuchte, ihren Stil und ihre Denkweise zu verstehen. Er bemühte sich, ihnen nachzugehen, ihre Sprache und ihren Jargon zu sprechen und sich ihnen anzupassen.
Selbst ein so gesegneter Evangelist wie Elias Schrenk pflegte, täglich sieben Zeitungen gründlich zu lesen, um zu wissen, was die Menschen bewegt.
Darum soll mein erster Punkt sein: Richtige Anpassung ist nötig – Anpassung.
Könnte es bei mir jetzt auch sein, dass ich hier etwas durcheinanderbringe? Wir haben doch immer Angst, wir würden das Evangelium anpassen. Nein, in der Sache wollen wir das Evangelium nicht anpassen. Jesus Christus, auferstanden von den Toten, der Sieger über den Tod, der für die Sünden der Welt am Kreuz starb – das ist das Evangelium. Dieses bleibt unveränderlich in seinem Inhalt.
Aber kann man das Evangelium nur mit den Tönen von Schütz und Bach im Stil des 17. Jahrhunderts sagen, mit Formen des 18. Jahrhunderts und in der Sprache des 19. Jahrhunderts?
Oder dürfen wir es wirklich auch in Musik und Klangformen unserer Zeit auf ganz ungewohnte Art ausdrücken? Nicht damit es uns gefällt, sondern so, dass wir Menschen erreichen und es in ihrer Art weitersagen können.
Wie können wir das Evangelium weitertragen?
Beispiele für kulturelle Anpassung in der Missionsgeschichte
Es ist für Missionare völlig selbstverständlich, dass sie sich bemühen, sich in ihrer neuen Kultur zurechtzufinden. Hudson Taylor, der berühmte China-Missionar, trug den chinesischen Zopf und chinesische Kleidung. Hindu-Missionare schmückten sich manchmal mit einer Brahmanen-Schnur, wurden Vegetarier und trugen sogar das Kastenzeichen an der Stirn.
Es gab Missionare, die Afrikanerinnen heirateten, um diesen Menschen näherzukommen. Doch letztlich kommt es nicht so sehr auf diese Äußerlichkeiten an. Für die Menschen, zu denen wir gehen, wirkt das oft wie ein Kostüm. Manchmal erscheint es auch ganz gestelzt, wenn jemand eine unnatürliche Sprache spricht, nur um junge Menschen zu erreichen.
Das Entscheidende liegt viel tiefer, und darauf wollen wir hinaus: Spüren die Menschen, zu denen wir gehen, dass wir sie von Herzen lieben? Das ist bei Missionaren so, wenn sie den Schweißgeruch in einem überfüllten Raum aushalten oder eng beieinander auf einer Matte schlafen müssen.
Wie empfinden wir es, wenn wir zu einem Kranken gehen und danach die Hände waschen? Ist es so, dass wir sagen: „Jetzt tue ich das alles weg“? Oder können wir sagen: „Ich will mitempfinden mit dem, was dieser Mensch gerade durchmacht“?
Sind unsere Besucher oft nur ein kurzes Einkehren? Oder tragen wir die Last eines Schwermütigen tagelang mit uns, sodass er spürt: „Ihr steht mit unter meiner Last, ihr seid mir gleich geworden“?
Darum kommt es nicht nur darauf an, die Sprache zu sprechen oder sich so zu kleiden. Es reicht auch nicht, morgen in Blutschins zu predigen, nur um jungen Menschen zu gefallen. Viel wichtiger ist, dass wir wirklich mit den Fragen mitempfinden können, die junge Menschen heute haben.
Wir müssen wissen, was einen erfolgreichen Geschäftsmann unter uns bewegt. Wir müssen verstehen, was Menschen empfinden, die heute an der Universität sind, wenn wir ihnen das Evangelium sagen wollen.
Die Haltung des Dienens und Selbstverleugnung im Evangelisationsdienst
Paulus sagt hier: „Ich mache mich zum Knecht aller.“ Paulus war kein Knecht im herkömmlichen Sinn. Menschen sagen oft, Christen seien niemals Knechte von Menschen. Wir lassen uns nicht herumkommandieren, weder von Stilen noch von Formen oder Traditionen. Paulus war frei, weil er unter Jesus stand. Doch im Evangelisationsdienst – und das ist heute für uns wichtig – wenn wir das Evangelium an unsere Kinder oder Nachbarn weitergeben wollen, dann mache ich mich freiwillig allen zum Knecht.
Das ist eine Entscheidung, die ich frei treffe und aus Liebe tue. Was bedeutet es, Knecht der Menschen zu werden? Wenn man heute zu Menschen geht, braucht man viel Geduld, einen langen Atem. Wissen Sie, viele Menschen sind sehr verwundet, das muss man wissen. Sie haben schlechte Erfahrungen mit Christen gemacht, mit kirchlichen Organisationen. Deshalb ist es wichtig, einfach zu bitten: „Können Sie mir einmal zuhören?“ Und einem Menschen sagen: „Ich verstehe dich, wenn du all das ablädst, was dich von deinem Religions- oder Konfirmandenunterricht her verfolgt, was du Schlechtes mit Pfarrern erlebt hast. Rede doch mal von Herzen, ich will nicht gleich streiten oder die Kirche verteidigen.“
Wie oft sind Menschen das Konfessionsgezänk müde. Sie sagen: „Ja, ich kann mit dir fühlen.“ Wenn Sie sich zum Knecht der Menschen machen, verraten Sie nichts am Evangelium. Oft fällt es uns jedoch schwer, mit Menschen so mitzufühlen. Das Hindernis liegt in uns selbst. Wir wollen uns nicht freigeben.
Ich habe mich gefragt, was oft das Hindernis bei uns ist. Es ist ein Stück Selbstverleugnung. Wenn heute ein Missionar hinausgeht, seine heimatliche schwäbische Tradition, die ihm so wichtig ist, hinter sich lässt und in der Fremde lebt, so dass die Fremde zu seiner Heimat wird – können Sie so mit einem jungen Menschen heute mitfühlen? Mit der jungen Generation? Können Sie so mitfühlen mit alten Menschen, mit Arbeitslosen? Können Sie so mit ihnen mitfühlen wie ein Missionar, der in eine andere Kultur geht?
Woher können Sie ihm das Evangelium sagen? Paulus sagt: „Ich bin frei unter Christus.“ Er hat mich gelöst von dem, was mir bisher wichtig war. Und ich kann ganz klar unterscheiden zwischen nebensächlichen Traditionen und Formen und dem, was wirklich Not tut.
Paulus als Vorbild in der kulturellen Anpassung und Kompromissbereitschaft
Und das möchte ich Ihnen noch einmal ganz praktisch zeigen: Wie der Apostel Paulus den Juden nachging, um für die Juden ein Jude zu werden. Ja, das war er mit Leidenschaft – das war seine Heimat. Er ist von Kind auf in den Schriften der Propheten und im Gesetz aufgewachsen. Er kannte sie auswendig, war in der Rabbinenhochschule gewesen, und wenn er in der Synagoge war, ging ihm das Herz auf. Die Menschen spürten: Das ist einer von uns.
Dann richtete er das Zeugnis von Jesus aus. Aber derselbe Paulus konnte, wenn er in Athen auf dem Areopag stand, so reden, dass keine Wendung mehr daran erinnerte, dass er ein jüdischer Rabbiner war. Er konnte in der Sprache der Philosophen der damaligen Zeit sprechen. Dabei holte er die Leute bei ihren Erfahrungen ab, bei dem, was sie bewegte und was sie kannten. Er sprach glasklar das Wort vom Gericht Gottes, von der Auferstehung Jesu und davon, dass wir alle vor Jesus stehen. Da duldete er keine Kompromisse.
Was noch wichtig ist: Paulus, der so klare Prinzipien hatte – auch in seinem Dienst und im Aufbau der Gemeinden –, zeigte gleichzeitig eine große Kompromissbereitschaft, auch in äußeren Fragen. Es ist wichtig, das zu kennen: Nur im Missionsdienst, um Menschen zu retten, ging er die weitesten Wege.
Auf seiner letzten Missionsreise, als er schon nach Jerusalem kam, kurz vor seiner Verhaftung, sagten ihm ein paar Freunde: „Du, die Juden hier wollen dich anklagen, du seist nicht treu im Gesetz. Jetzt beweis ihnen, dass du tief im jüdischen Gesetz verwurzelt bist.“ Das war für Paulus schwer, denn er wollte ja immer die Freiheit vom Gesetz predigen. Um der Juden willen nahm er ein Gelübde auf sich und fastete viele Tage.
Ganz ähnlich war es, als er den Timotheus beschneiden ließ. Timotheus war aus einer Ehe mit einem griechischen Vater hervorgegangen. Das war eigentlich gar nicht nötig. Warum aber maß Paulus diesem alten Brauch noch so viel Bedeutung bei? Wenn er damit Menschen gewinnen konnte und wenn er damit nicht zum Anstoß wurde, dann wollte er es tun.
Dieser Paulus, der gleichzeitig, wenn er draußen in der Welt war, die ganzen jüdischen Reinheitsvorschriften, die ihm doch seine Identität bedeuteten, wegwerfen konnte, fiel es ihm nicht schwer, mit den anderen Gemeinschaft zu haben und all die großen ehrwürdigen Traditionen des Gottesvolkes Israel zu vergessen. Er konnte es tun – aus Menschenwillen.
Überwindung von Traditionen zugunsten der Rettung
Und wenn Sie mit Menschen reden, dann bitte ich Sie, dass Sie viel, viel weglassen können. Was bedeutet uns unsere lutherische Kirche, die Väter, die uns so viel vom Glauben wichtig gemacht haben?
Stellen Sie sich mal vor, ein anglikanischer Christ würde zuerst, wenn er zu Menschen kommt, über die Gewänder der Priester reden und über die ehrwürdigen mittelalterlichen Gesänge, die in der Kirche gesungen werden. Oder er würde gar einen Menschen einladen mit den Worten: „Du musst zuerst in unseren Gottesdienst kommen, du musst unseren Pfarrer hören.“ Nein, das muss er nicht. So kommt er nicht zum Glauben.
Er kommt durch Menschen zum Glauben, die draußen in der Welt stehen und die den einen wichtigen Punkt den Menschen sagen können: Es geht um Rettung, um Rettung.
Bei uns wird dieses Wort immer falsch zitiert. Man sagt: „Den Juden einen Jude und den Griechen einen Griechen.“ Paulus sagt das hier nicht. Er sagt, dass denen, die ohne Gesetz sind, er einer geworden ist ohne Gesetz.
Paulus konnte den Griechen nie ein Grieche werden. Das griechische Denken war voll von einer irrigen Gottesvorstellung. Und das Denken der Griechen war voll davon, dass der Mensch gut sei. Wenn er sich nur erlösen wolle, könne er sich durch gedankliche Arbeit selbst vervollkommnen.
Paulus hat dem Griechentum immer dort die Stelle gezeigt, wo eine Bekehrung nötig ist. Er ging ihnen in den Formen sehr weit nach, aber dann hat er gezeigt: Es geht um Rettung.
Jesus Christus möchte uns lösen aus der eigenen Ichbezogenheit und uns zurückführen in den Frieden Gottes. Er will die Schuld unseres Lebens durchstreichen.
Ermutigung zur praktischen Evangelisation im Alltag
Sie werden am Ende fragen: Wie kann man das denn tun? Wir sind doch immer wieder so schwerfällig, ja, wir alle.
Ich möchte Ihnen heute mit diesem Gottesdienst einfach Mut machen, dass Sie das Wort von Jesus weitersagen. Viel mehr Menschen können bekehrt werden – dort am Arbeitsplatz, in den Nachbarschaftsbeziehungen unserer Wohnungen – als im Gottesdienst oder bei Evangelisationen. Denn draußen können sie viel klarer auf das eine hinweisen, was Not tut, und sagen: Wenn du nicht zu Jesus gehörst und er deine Schuld nicht getragen hat, bist du für die Ewigkeit verloren. Dann gibt es niemanden, der dich am Gericht freispricht.
Dabei wollen wir lernen, nicht andere zu richten und lieblos zu verurteilen. Wir wollen nicht an äußeren Formen hängenbleiben. Wir wollen unseren Christenglauben nicht an liebgewonnene Formen binden. Wir wollen andere, die eine andere Empfindung haben, nicht abwerten. Wir sind bereit, auf unser eigenes Recht und unsere eigene Tradition zu verzichten, wenn nur eines groß wird: dass Menschen gerettet werden, dass Menschen heute aus der Finsternis heraustreten und Jesu Herrschaft in ihrem Leben annehmen, wenn sie ihm nachfolgen.
Paulus sagt, er kann das, weil er im Gesetz Christi lebt. Nach außen ist er völlig frei, aber innerlich gebunden an Jesus – mit Haut und Haar. Davon kann er nicht lassen. Im Gesetz Christi heißt das, dass er die Demut Jesu und die Sanftmut besitzt. Jesus hat ihm diese Last aufs Herz gelegt – nicht das, was er selbst will, bekommt oder findet, sondern ob andere zu Jesus kommen.
Haben Sie auch dieses Gesetz Jesu in Ihrem Leben als beherrschend und bestimmend? Das Gesetz Jesu gibt uns viele praktische Ordnungen, aber es macht uns vor allem eines wichtig: dass andere durch Jesus gerettet werden, ihn erkennen, annehmen und gläubig werden.
Es braucht heute wieder Menschen, die das weitersagen. Der eigene Sinn und das eigene Denken müssen sterben, denn sie sind nicht brauchbar. Amen!