Jeder Sechste, Eins bis Acht
Die Vision des lebendigen Gottes und die Berufung Jesajas
In dem Jahr, als der König Usia starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron. Sein Saum füllte den Tempel.
Seraphim standen über ihm, jeder von ihnen hatte sechs Flügel. Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Einer rief dem anderen zu und sprach: „Heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.“
Die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus wurde voll Rauch.
Da sprach ich: „Weh mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen. Denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, mit meinen Augen gesehen.“
Da flog einer der Seraphim zu mir. Er hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm. Er rührte meinen Mund an und sprach: „Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.“
Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“
Ich aber sprach: „Hier bin ich, sende mich!“
Die Herausforderung der Autorität im Namen Gottes zu handeln
Herr, gib uns Erkenntnis deiner Größe!
Ich muss Sie zuerst um eine abenteuerliche Vorstellung bitten: Da geht jemand in ein Autogeschäft und sagt, er komme in meinem Namen, nennt meinen Namen, lässt einen Kaufvertrag für ein teures Auto ausschreiben und unterschreibt in meinem Namen – und ich weiß von der ganzen Geschichte nichts. Das ist ein übler Trick, eine ganz lumpige Fälschung!
Manche meinen, solche Sachen seien ein wenig spaßig. Sie rufen irgendeine Telefonnummer an, verstellen die Stimme, sagen dann einen Namen und tun so, als wäre da ein anderer dran. Sie meinen, das sei ungeheuer witzig. Nein, das ist eine Fälschung! Sie können sich doch nicht als jemand ausgeben, der sie gar nicht sind! Sie können doch nicht sagen: „Ich rufe an im Namen von dem und jenem“, wenn das gar nicht stimmt.
Jetzt möchte ich Sie fragen: Woher nehmen wir eigentlich das Recht, heute Morgen einen Gottesdienst zu veranstalten und zu sagen: „Das machen wir im Namen Gottes“? Wer gibt uns dazu das Recht, ein Kind im Namen Gottes zu taufen? Wer gibt uns das Recht, durch diese Welt zu gehen und zu sagen: „Wir kommen als Boten des lebendigen Gottes“? Ist das nicht ein ganz übler Trick? Ist das nicht eine böswillige Fälschung? Ist das nicht sehr anmaßend?
Richtig, das haben ja schon viele kritisch bemerkt und gesagt: Da gibt es welche, die kommen und bilden sich ein, sie hätten wirklich von Gott her das Recht, allein zu bestimmen und zu reden. Und die ärgern das. Sie sagen: „Das kann doch keiner so genau wissen. Es gibt doch so viele verschiedene Gedanken von Gott. Wie kann denn da einer sagen, er sei allein autorisiert und berechtigt, im Namen Gottes zu reden? Woher hat man denn das Recht?“
Die anderen sagen immer wieder: „Wir haben doch selbst Zweifel, wir sind nicht so sicher in unserem Glauben wie ihr. Ihr könnt immer sagen: ‚Ich bin gewiss‘. Aber bei uns ist das ein fortwährendes Suchen.“ Vielleicht geht es Ihnen so, dass Sie sagen: „Ich bin ja einer von denen, die so suchen.“ Ich ärgere mich auch immer, wenn die anderen das so sicher wissen.
Dürfen wir Ihnen heute Morgen ganz offen sagen: Auch bei uns gibt es viele Anfechtungen und Zweifel. Es gibt keinen Menschen ohne Zweifel, denn uns geht es doch wie Ihnen. Wenn wir in die Welt hineinsehen, sehen wir doch so viel wie Sie. Wir sehen, wie Unrecht geschieht, wie Menschen leiden, wie Menschen unterdrückt werden, wie Menschen weinen, wie viel Zweifel herrscht, wo Krankheiten sind und wo Unrecht geschieht.
Und wo ist denn Gott? Warum können da ein paar Leute einfach sagen: „Ich weiß es, ich bin gewiss, Gott sagt dir heute sein Wort“? Wo kommen wir überhaupt dazu, sogar im Nächstengottesdienst im Namen Gottes Sünden zu vergeben? Ist das nicht eine Anmaßung, die ungeheuer ist, die zurückgewiesen werden muss, die gar nicht gehen kann?
Und wenn wir zugeben: Wir haben doch auch Zweifel, wir haben auch Fragen. Jeder Tag ist eine dauernde Frage an unseren Glauben. Wenn ich mich selbst ansehe, sehe ich doch nur mein verzwungenes, verkrampftes Leben. Ich sehe all die Unvollkommenheit an mir. Das ist mir doch eine dauernde Anfechtung. Und du willst predigen? Wie willst du das? Wie hat einer das Recht, im Namen Gottes zu reden?
Die Grundlage der Berufung: Gottes Offenbarung an Jesaja
Da muss sich Gott offenbaren. Und genau das ist bei Jesaja geschehen. Gott hat ihm einen Blick in seine große Ewigkeit gewährt. Dabei hat Jesaja Gott erkannt.
Sagen Sie nicht gleich, Sie hätten diese Vision nicht gehabt – das meine ich auch gar nicht. Diese Erfahrung war bei Jesaja ganz außergewöhnlich. Er war einer der Propheten Gottes, und Sie und ich sind keine Propheten. Er hat einen Blick auf den Thron Gottes geworfen.
Das war der Grund, warum er reden musste, warum er jetzt reden darf und die Autorität dazu hat. Niemand sollte über Gott reden, nur weil er sich Gedanken gemacht hat. Das interessiert keinen Menschen. Wenn wir unsere Vorstellungen von Gott erzählen oder über religiöse Fragen diskutieren wollen, ist das nicht der wahre Grund, warum wir reden.
Die Jünger damals waren im Rückblick tief bewegt. Sie sagten: „Wir sahen Gottes Herrlichkeit!“ Wenn Sie das Wort „Herrlichkeit“ hören, ist das im Deutschen kaum genau zu übersetzen, was Jesaja meinte. Im Hebräischen steht dort das Wort „Kavod“, das bedeutet Ehre.
Was hat Jesaja da gesehen? Genau das Gleiche wie Herrlichkeit. Man kann es auch als die volle Macht Gottes verstehen oder als den Lichtglanz Gottes. Es ist etwas, das sich aus menschlicher Sicht mit keiner anderen Erfahrung vergleichen lässt. Deshalb ist es unaussprechlich.
Die Jünger haben etwas von der Größe und Majestät Gottes geahnt. Sie sagten rückblickend: „Wir sahen das, wir haben es plötzlich begriffen, da hat es uns aufgeleuchtet.“ Das sagten sie, als sie daran dachten, wie sie damals den sterbenden Leichnam Jesu sahen.
Andere lachten und sagten: „Schau doch, wie armselig dieser sterbende Körper ist.“ Aber die Jünger merkten: Sie hatten keine Vision gehabt. Doch in diesem sterbenden Körper Jesu erkannten sie, dass Gottes Liebe ihnen entgegenkommt. Das ist der Sohn Gottes.
Das haben sie nur durch das Wort Gottes verstanden, das ihnen gesagt wurde. Da wurde ihnen Vergebung geschenkt. Dort konnte ein neues Leben beginnen. Sie erkannten alles, indem sie nur diesen Körper Jesu sahen und sein Wort hörten. Deshalb mussten sie Apostel und Prediger des Evangeliums werden.
Die Erleuchtung durch den Heiligen Geist und die Bedeutung des Glaubens
Das ist für uns jetzt wichtig: Wie kommen wir dazu, im Namen Gottes zu reden, wenn wir einmal vom Herrn das Verständnis geschenkt bekommen haben?
Luther spricht in der Erklärung zum dritten Glaubensartikel von der Erleuchtung. Wenn der heilige Geist uns ein Licht aufsteckt, dann müssen wir erkennen: Jesus ist der Sohn Gottes, mein Erlöser und Herr. Er ist der Sohn des ewigen Vaters, der die Welt geschaffen hat. Heute sendet er mir seinen Heiligen Geist.
Ich will heute im Dreieinigkeitsfest nicht über tiefsinnige Fragen grübeln, doch über die Dreieinigkeit. Stattdessen will ich Ihnen versprechen, dass der Herr Erkenntnis schenkt. Wer das erkennt, der kann fröhlich Zeuge Gottes sein.
Die Welt interessiert sich nicht für unsere Ideen und Meinungen. Vielmehr interessiert sie, dass wir etwas von der Wirklichkeit Gottes weitersagen. Von dem, was wir selbst erkannt und gesehen haben, wo wir Zeugen sind.
Dieses Wunder will Gott heute in uns wirken. Er will uns ein Licht aufstecken, damit wir ihn erkennen.
Drei Entdeckungen machen wir da.
Die erste Entdeckung: Gott lebt und herrscht über die Welt
Gott lebt! Das war eine weltgeschichtlich sehr bewegte Stunde, als Jesaja dies sah. Es ist genau beschrieben im Jahr, als der König Usia starb. Eine vierzigjährige Wirtschaftswunderepoche ging mit dem Tod Usias zu Ende. Wohlstand und eine gut laufende Wirtschaft neigten sich dem Ende zu.
Die Menschen waren in großer Spannung. Was würde kommen? Wie würde die Entspannungspolitik mit Syrien weiterlaufen? Musste man weiter aufrüsten? Konnte Israel seine Unabhängigkeit im Spiel der Großmächte bewahren? Die Sorgen der Menschen richteten sich auf die großen tagespolitischen Fragen.
Das Königreich Juda, in dem Jesaja lebte, stand an einer Kippe. Tatsächlich begann in diesem Jahr der Niedergang des Königreichs Juda. Schon mit dem Tod Usias setzte eine schlimme Teuerungswelle ein. Die Menschen verarmten, die sozialen Probleme wurden immer härter. Und da, mitten in diesem Chaos, sah Jesaja die Gegenwart des lebendigen Gottes.
Es ist, als würde ein Vorhang weggezogen. Das bewegt uns als Christen auch heute, wenn wir die Tagesereignisse betrachten und die Aufregungen um uns herum wahrnehmen. Das war der Grund, von dem Jesaja später in all seinen Botschaften ausging. Er sprach viel zur Tagespolitik, doch der Grund war: Gott, der Herr, lebt. Er ist Herr des Himmels und der Erde.
Ich habe immer die Befürchtung, dass selbst wir als glaubende Christen viel zu wenig Ahnung von der Majestät und Größe Gottes haben. Gott wird auf seinem Thron immer kleiner. Das hat diesen jungen Mann, Jesaja, fast zusammenbrechen lassen, als er das sah. Wenn ich das genau lese, haben Theologen viel darüber nachgedacht. Man weiß gar nicht richtig, was Jesaja überhaupt gesehen hat.
Er hat Seraphim gesehen, die Flügel dieser Engel. Aber was hat er von Gott eigentlich gesehen? Wahrscheinlich überhaupt nichts, offenbar nur den Saum seines Gewandes. Das ist das Äußerste – und in meinem Talar ist das der dreckigste Teil, der auf dem Boden schleift. Von Gottes Herrlichkeit ist das eigentlich nur der äußerste Zipfel und Rand. Und das hat ihn tief beeindruckt.
Er stand da staunend. Manche Menschen wünschen sich, Gott auch einmal so zu sehen. Doch Gott kann man nicht sehen. Paul Gerhardt sagt: „Ich müsste stracks vergehen wie Wachs im Feuerhitz.“ Ich kann mit meinen sündigen menschlichen Augen nicht die Reinheit und Klarheit Gottes sehen. Aber Gott kann mir nur einen Abglanz geben. Er kann es mir zeigen – über ein Wort, über ein Geschehen.
Gott kann es so in unser Herz fallen lassen, dass wir es plötzlich begreifen. Dann rückt das ganze Weltgeschehen, das uns bewegt – die kriegerischen Schlachten, die Preise, die Regierungen und das Geschrei, das tagtäglich die Spalten der Zeitung füllt – in den Hintergrund. Gott ist Herr des Himmels und der Erde. Jesaja sah ihn so groß, er hat alle Macht, und sein Thron steht fest.
Das ist die Grundlage der Botschaft des Jesaja gewesen. Es ist erstaunlich, wie Jesaja später viel im Namen Gottes für seine Zeit verkünden konnte. Wichtig ist mir, dass man einmal die Basis sieht, von der er ausgeht.
Wenn wir heute in unserer so ungläubigen und abgöttischen Zeit reden, dann sollte das nur bedeuten, dass wir selbst zuerst aus einer Begegnung mit dem lebendigen Gott kommen. Einem Gott, der nicht irgendwo auf der Seite sitzt, der sich nicht von der Welt zurückgezogen hat, sondern der heute alles mit Leben erfüllt und hinter der ganzen Schöpfung steht – die Größe Gottes.
Das ist ein Trost. Das steht ja gerade in diesem Jesajabuch, wo er sagt: „Warum sprichst du denn? Mein Recht geht an meinem Gott vorüber.“ Das war die Stimme der Angefochtenen, der Zweifelnden. Sie sagten: „Ach, Gott kümmert sich doch nicht mehr um mich. Er hat mich längst vergessen, ich bin abgeschrieben, und er hört meine Gebete gar nicht mehr.“
Dann beginnt Jesaja zu reden: „Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Welt geschaffen hat, wird nicht müde noch matt.“ Das hatte Jesaja erkannt, und nun konnte er sprechen.
„Hebe deine Augen auf in die Höhe! Wer hat dies alles geschaffen?“ Diese unendliche Weite des Sternenmeers – allein 500 Millionen Sternbilder. Die Zahl der Sterne ist bis heute von keinem Astronomen zu zählen. Dies hat Gott, der Herr, geschaffen, und er steht bis heute als der lebendige und wirkende Herr hinter allem.
Das hat Jesaja bewegt. Ja, dieser Herr lebt! Dieser Herr lebt!
Die zweite Entdeckung: Gottes Reinigung und Berufung trotz unserer Unvollkommenheit
Jesus selbst hat einmal in einer eindrucksvollen Geschichte von einem jungen Mann erzählt, dessen Leben sehr verworren verlief. Er war resigniert, ließ den Kopf hängen und sagte, er wolle nicht mehr. Er war in ein sehr hartes Arbeitsverhältnis eingespannt und spürte: „Ich bin im Grunde kein Mensch mehr.“ Was er dort tun musste, war Sklavenarbeit. Er wurde getrieben und eingespannt und war ein unglücklicher, verzweifelter junger Mann.
Da erinnerte er sich plötzlich: „Ich habe zuhause meinen Vater. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ Er stand auf, machte sich auf und kam zu seinem Vater.
Das müssen wir zuerst wissen: Wir haben einen Vater, den lebendigen Gott, der auf uns wartet. Einen wirkenden und schaffenden Gott, der tätig sein will. Hinter all den Tagesfragen, die Sie heute bewegen, ist es wichtig, dass Sie den lebendigen Gott kennen. Dass bei Ihnen dieses Wunder geschieht, dass Sie Gott, Ihren Vater, erkennen.
Jesus wollte uns eindrücklich zeigen, dass wir zu diesem großen, mächtigen Gott, meinem Vater, sagen dürfen: Mein Vater, der viel, viel größer ist als all die komischen Vaterfiguren dieser Welt, der der vollkommene Vater ist über alles, was Kinder heißt, im Himmel und auf Erden, der lebt.
Das zweite, was Jesaja entdeckt, ist: Er macht mich rein. Wenn Gott Leute anheuert, denkt man oft, Gott kann ja ganz froh sein, wenn es in dieser Zeit noch ein paar gibt, die nicht nach materiellen Dingen trachten, sondern sich für Gott zur Verfügung stellen. Haben Sie nicht auch schon so gedacht, wenn Sie sagten: „Ich mache an der Sache Gottes mit. Hoffentlich freut sich Gott, wenn ich komme.“
Bei Jesaja war das ganz anders. Er war tief bedrückt und spürte: „Ich kann ja gar nicht Gottes Diener sein.“ Er merkte, da müsste man vollkommen sein. Ich wünsche Ihnen auch die zweite Entdeckung: Zuerst einmal erkennen, wer wir sind. Das geht mit der Erkenntnis Gottes merkwürdigerweise einher.
Man kann mit Menschen viel über Schuld reden. Sie gestehen uns vielleicht noch zu, dass wir ein paar Fehler haben, sagen: „Sicher, ich bin nicht vollkommen, ich habe auch meine Fehler.“ Aber was Schuld wirklich ist, das wissen Menschen gar nicht. Das kann man nur erkennen, wenn man Gott erkennt. Und das hängt genau zusammen mit der Größe und Majestät Gottes.
Jesaja bekommt nur eine ferne Ahnung davon, wer Gott wirklich ist. Da erschrickt er über sich selbst und sagt: „Ich kann gar nicht Diener Gottes sein.“ Wenn Sie einmal die Berufung der großen Gottesboten in der Bibel durchgehen, fällt auf, dass die meisten sagten: „Ich kann das nicht, ich schaffe das nicht, ich bin gar nicht geeignet.“ Sie wollten fliehen.
Ein Petrus sank nieder und sagte: „Herr, geh bloß weg von mir, ich bin voll von Sünde und kann nicht in deine Nähe kommen.“ Sie wollten Jesus weg haben.
Ich will das einmal so klar aussprechen, weil es heute immer wieder Menschen gibt, die angesichts der Leistungen, die von ihnen gefordert sind, zusammenbrechen. Es ist erschütternd, wie viele Menschen sich heute das Leben nehmen, weil sie sagen: „Ich bin den Anforderungen, die an mich gestellt sind, nicht gewachsen.“
Hören Sie das heute: Wir sind nie den Anforderungen gewachsen, die an uns gestellt sind. Das ist immer eine Überschätzung. Wenn wir etwas leisten können, dann schaffen wir es nur aus der Kraft, die Gott uns darreicht.
Das möchte ich all denen sagen, die verzweifeln: Bleiben Sie an dieser Stelle ganz nüchtern! Das ist eine heilsame Erkenntnis, die uns allen nottut: Wer sind wir eigentlich? Und das gilt erst recht im Reich Gottesdienst.
Die schlimmste Sünde ist der Hochmut, die Einbildung, dass wir meinen, wir könnten etwas und unsere Gaben würden für Gott etwas erreichen. Gar nicht. Wir sind für Gott ganz untaugliche Menschen in allem, was wir anfangen.
Und wenn manchmal ein Jugendgruppenleiter kommt und sagt: „Ich versage durch die Bank“, dann denke ich manchmal: Halleluja, endlich ist er da, wo er stehen muss. Wenn wir immer an diesem Punkt stünden, dass wir sagen: „Ich weiß nicht, was ich reden soll bei dem Besuch, ich habe das Wort nicht zum Weitersagen.“ Natürlich nicht.
Aber da steht ja der Herr und sagt: „Ich mache dich rein.“ Dieses große Wort: Er greift ein und nimmt diesen Jesaja. Ich glaube nicht, dass Kohlen Lippen reinigen können. Unsere Lippen, die so viel Ungutes reden und so viele böse Dinge aussprechen, kann man nicht reinigen, indem man sich die Lippen verbrennt.
Sonst könnten wir unseren ganzen Körper verbrennen lassen, das hilft nichts. Aber Gott kann Zeichen benutzen. Und das ist ja noch viel wunderbarer, dass Gott nicht nur die Kohle bei Jesaja benutzt hat, sondern dass er das Blut seines Sohnes nimmt.
Viele haben gerätselt, warum gerade das Blut Jesu. Er hat es dafür genommen, dass meine Sünde gesühnt sei. Und Sie dürfen das jetzt einsetzen an den Punkten, wo Sie sagen: „Ich bin ein Versager, ich schaffe nichts, ich leiste nichts“, bis hinein in Ihre Verpflichtungen, die Sie in Ihren weltlichen Aufgaben haben.
Ihre Sünde will Jesus sühnen, und in Ihrer Sünde ist das ganze Unvermögen, das Ganze, was wir nicht geschafft haben, was wir wollten. Wir sind Versager, auch in unseren Elternpflichten, in unseren Patenämtern, wir sind Versager in unseren Erziehungsaufgaben.
Dürfen wir das nicht, müssen wir das nicht jeden Gottesdienst neu sagen, wie wir als Gemeinde versagen, als Kirche versagen vor der Welt? Aber wir haben einen Herrn, der rein macht. Er tritt zu Jesaja hinzu und sagt: „Rein sollst du sein!“
Und wenn dazu die Seraphim im Chor singen: „Heilig, heilig ist Gott der Herr“, dann meint das ja, dass diese große Heiligkeit nun im Leben dieses schmutzigen jungen Mannes Jesaja durchbrechen soll.
Gott will sein Leben heiligen, nicht damit er sich selbst verzwingen kann, sondern damit Gott in ihm wohnen will und aus ihm einen neuen Menschen macht. Dieses Wunder geschieht: Der Herr macht rein und macht Menschen vollkommen neu.
Er kann Menschen von Grund auf verwandeln und ihnen ein neues Herz, einen neuen Sinn, eine neue Art und ein neues Wesen geben.
Ich habe darüber nachgedacht, ob dieser Jesaja ein Priester war. Ich weiß es nicht. Vielleicht war er nur ein einfacher Tempelangestellter. Vielleicht war er nur ein traditioneller Gottesdienstbesucher, der kam, vielleicht nicht mal ein eigenes Gesangbuch hatte, sich so ein rotes Gesangbuch unterm Arm geklemmt hatte und einfach nur dabei sein wollte im Gottesdienst.
Dann hat es ihn überfallen: Der lebendige Gott, heilig, heilig, will in mein Leben! Er ist doch nie auf die verrückte Idee gekommen, dass er selbst sein Leben ändern kann.
Sind Sie so naiv, dass Sie meinen, Sie könnten ein guter Mensch sein? Nein, er hat sich geöffnet für die Heiligkeit Gottes, die ihn ergriffen hat und die sein Leben nun verwandeln will. Das ist Gottes Programm.
Darum werden Christen nie mutlos, auch wenn sie in ihrem Leben viel Versagen entdecken. Sie sagen: „Das hat ja Gott einmal begonnen, er hat das gute Werk geplant, er hat das Konzept entworfen, dass er mit mir etwas machen will. Dann wird er mit mir auch zu Ende kommen. Er wird neu schaffen nach seinem Bilde. Er hat mich gerufen, er wird aus meinem Leben noch etwas machen zu seinem Lob.“
Ich kann das nicht verstehen, wenn Christen immer wieder resignieren und sagen: „Aber ich habe doch versagt.“ Ob wir versagen – seine Macht ist größer. Er kann Menschen verändern.
Die dritte Entdeckung, die Jesaja macht...
Die dritte Entdeckung: Gott braucht Menschen trotz ihrer Schwächen
Gott braucht mich? Nein, das verstehe ich wirklich nicht. Gott hat ja Legionen von Engeln.
Ich hätte es Ihnen heute Morgen auch lieber gegönnt, wenn an meiner Stelle hier Gabriel oder einer seiner Freunde gepredigt hätte. Der hätte das viel besser gekonnt, mit seiner Reinheit, als irdische Menschen mit all ihren Beschränkungen.
Und das wollen wir auch akzeptieren von uns in der Gemeinde. Wir kennen einander sehr genau und wissen auch um die Begrenzungen, die jeder von seiner Art her hat. Oft enttäuscht uns das und wir sagen: „Ach, das ist eben ein schwacher Mensch.“ Ja, so wirkt Gott durch schwache Menschen.
Das verstehe ich nicht, dass Gott ausgerechnet mit Menschen arbeitet – mit gefallenen Menschen, die sehr viel Sünde haben und für Gott untauglich sind. Darum hat Gott so viele Personalnöte, obwohl er Legionen von Engeln hat. Die will er aber nicht einsetzen in dieser großen Aufgabe.
Und wenn Sie wieder hinausgehen aus dieser Kirche: Es geht doch nicht nur um den vollzeitlichen Dienst, den man im Hauptberuf für das Reich Gottes tut. Es geht um den vollzeitlichen Dienst, dass Sie als Mensch Gottes Heiligkeit aufnehmen sollen, dass der lebendige Gott in Ihnen Wohnung macht. Dass das, was Sie heute reden, planen und denken, von Gott geheiligt wird. Dazu beruft er.
Und schauen Sie sich mal um: Solche Leute fehlen in Stuttgart. Wer will mein Bote sein? Wo ist ein Mensch, der sich füllen lässt von der Heiligkeit des dreieinigen Gottes, des Schöpfers, des Erlösers, des Verschöners? Wo ist jemand, der die Frage an uns stellt?
Es ist merkwürdig, warum in unserer evangelischen Kirche das so verpönt ist. Manche werden ganz unruhig, wenn man sagen würde: „Da muss man aufstehen jetzt“ oder „Da muss man raustreiten.“ Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich bringe Sie nicht in Verlegenheit.
Es ist viel ernster: Sie müssen es vor dem heiligen Gott beantworten. Und wenn Sie die Frage nur verschieben, ist das auch eine Antwort. Sie können das nicht einmal mit einem einfachen „Ja“ oder „Jawohl“ erledigen. Das ist eine Frage, die Sie bis ins Innerste treffen muss.
Ich kann mich dem Anspruch Gottes heute nicht mehr entziehen, und er betrifft alle Gebiete Ihres Lebens. Er betrifft Ihr Geld, Ihre Verwandtschaftsangelegenheiten, Ihre Ehe oder Ihre Ehelosigkeit, Ihre Fantasie, Ihr Reden, Ihr Arbeiten und Ihre Berufswelt. Das betrifft alles, wer mein Bote sein will.
Jesaja hat so sagen können – nicht fröhlich, aber bereit: „Herr, hier bin ich, sende mich!“ Er hat gewusst: Wenn der Herr mich sendet, dann liegt die Verantwortung bei ihm. Dann gehe ich ja nicht in meinem Namen los. Es ist nicht ein Schummeltrick, wie wenn ich ein Auto auf eine fremde Adresse kaufe, sondern ich gehe auf die Rechnung dieses großen Herrn. Er hat zu verantworten, was dabei herauskommt. Es steht nicht in meiner Verantwortung.
Er hat mich gerufen. Er ruft Sie heute. Er will Sie senden, damit alles, was Sie tun, Ihr ganzes irdisches Leben, das noch vor Ihnen steht bis zu Ihrer Todesstunde, im Namen Gottes gelebt werde. Amen.
