
Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart. Am Mikrofon hört ihr Thomas Powileit, und mir gegenüber sitzt Joachim.
Joachim, schön, dass du da bist.
Hallo, auch von meiner Seite. Danke für die Einladung.
Gerne. Unser Podcast will ja zum praktischen Christsein herausfordern und zum theologischen Denken anregen. Heute geht es um das Spannungsfeld zwischen Glaube und Naturwissenschaft.
Der Schwerpunkt wird allerdings etwas anders sein als in Podcast 65. Dort war Peter zu Gast und hat bereits über Glaube und Naturwissenschaft gesprochen. Dabei ging es vor allem darum, wie man damit umgeht, wenn wissenschaftliche Behauptungen im Gegensatz zur Bibel stehen.
Heute möchte ich hingegen darauf eingehen, wie man als Christ grundsätzlich mit wissenschaftlichen Aussagen umgehen kann.
Joachim, du bist ja das erste Mal bei uns im Podcast. Wenn du über das Spannungsfeld zwischen Glaube und Naturwissenschaft sprichst, hast du sicher einen Bezug dazu. Könntest du dich kurz vorstellen und uns sagen, wie dein Verhältnis zur Naturwissenschaft ist?
Ja, dieses Thema beschäftigt mich eigentlich schon seit vielen Jahren. Eigentlich seit meiner Jugendzeit habe ich eine große Faszination für die Naturwissenschaften verspürt, besonders für die Physik. Das habe ich dann auch zu meinem Beruf gemacht. Ich habe Physik studiert und mich während des Studiums viel mit der Problematik des Spannungsverhältnisses zwischen Glaube und Naturwissenschaft beschäftigt.
Dabei habe ich auch entsprechende Vertiefungsrichtungen gewählt und mich in meiner Freizeit intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt. Heute bin ich nicht mehr im direkten Forschungsbereich tätig. Ich habe die Universität schon vor vielen Jahren abgeschlossen, aber das Thema beschäftigt mich persönlich nach wie vor sehr.
Und du hast sogar in Physik promoviert?
Genau. Ich habe in einem sehr theoretischen Fachgebiet promoviert. Es ging um Diffusionsprozesse. Das heißt, ich habe während meiner Promotion drei Jahre lang einen bestimmten Typ von Differentialgleichungen gelöst. Heute arbeite ich etwas anwendungsnäher. Ich bin in der industriellen Forschung tätig und beschäftige mich dort mit praktischeren Anwendungsfällen.
Nach wie vor hat mein Beruf viel mit Statistik zu tun. Ich arbeite mit der Anwendung mathematischer Verfahren. Das fasziniert mich. Als Nicht-Mathematiker sind Differentiale für mich eine ganz andere Welt, in die ich nicht wirklich eingetaucht bin.
Super, wenn man das zu seinem Alltag machen kann. Was fasziniert dich denn an der Wissenschaft?
Was mich tatsächlich sehr fasziniert, ist der mathematische Aspekt. Dass wir es schaffen, die Natur mithilfe von eher abstrakten Größen und Gleichungen zu beschreiben. Und dass wir mit dieser Art der Beschreibung sehr weit kommen.
Früher gab es Naturwissenschaftler wie Galileo, die sagten, dass es neben dem Buch der Bibel noch ein zweites Buch gibt: das Buch der Natur. Dieses Buch ist in der Sprache der Mathematik geschrieben. Das finde ich wirklich faszinierend.
In der Naturwissenschaft haben wir keine Hirngespinste, sondern es funktioniert tatsächlich. Wir können aus diesen mathematischen Gebilden Aussagen ableiten, die in der Realität auch so beobachtbar sind.
Wenn ich jetzt in die Medien schaue oder mit Leuten spreche, erlebe ich manchmal eine Art Wissenschaftsgläubigkeit. Nach dem Motto: Die Wissenschaft hat gesagt, also ist es so – fast so, als hätte Gott selbst gesprochen.
Bei Christen ist das manchmal anders. Sie sind oft sehr kritisch gegenüber manchen wissenschaftlichen Aussagen. Natürlich ist es so, dass die Wissenschaft sich an manchen Punkten auch häufiger mal geirrt hat. Für mich als Christ stellt sich daher die Frage: Wie kann ich ihr dennoch vertrauen? Wenn ich merke, dass immer wieder Aussagen getroffen wurden, die sich nach Jahrzehnten oder mehr Jahren als falsch erwiesen haben und revidiert werden mussten, wie soll ich dann Vertrauen aufbauen?
Tatsächlich ist es, wie schon eingangs erwähnt, ein Spannungsverhältnis. Es gibt keine einfache Antwort darauf. Um das Thema besser zu verstehen, ist es notwendig, etwas Hintergrundwissen zu haben.
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass es nicht die eine Wissenschaft gibt. Es gibt zwar Parallelen zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Teilgebieten und gewisse Arbeitsweisen, die sich bewährt haben. Auch gibt es Schnittmengen. Dennoch sind die Arbeitsweisen, wenn man genauer hinschaut, sehr unterschiedlich.
Wenn ich zum Beispiel an die Physik denke: Einen Teilchenbeschleuniger zu betreiben und die Ergebnisse richtig zu interpretieren, ist völlig anders, als wenn ein Archäologe in Israel oder im alten Rom alte Befunde freilegt und diese richtig interpretieren muss. Das sind komplett unterschiedliche Forschungsgegenstände. Beides ist Wissenschaft, aber die Art und Weise unterscheidet sich erheblich.
Ein weiterer Punkt, der das Thema Wissenschaftsgläubigkeit betrifft, ist definitiv ein Problem, das vor allem in den Medien beobachtet wird. Allerdings muss man hier differenzieren. In den Medien werden häufig Artikel über wissenschaftliche Themen von Journalisten oder Personen verfasst, die selbst nicht unbedingt im Fachgebiet sind.
Deshalb muss man unterscheiden zwischen dem, was wissenschaftliche Ergebnisse wirklich aussagen, und dem, was daraus in der Außendarstellung gemacht wird. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: An dieser Stelle wirklich zu unterscheiden.
Wenn man wissen will, wie belastbar eine bestimmte wissenschaftliche Aussage ist, führt letztlich kein Weg daran vorbei, die Originalarbeiten der betreffenden Wissenschaftler zu lesen. Diese sind oft sehr schwer verständlich. Das ist anstrengend und erfordert Fachkenntnis.
Hier merkt man schnell, dass man an Grenzen stößt, weil es schlicht nicht möglich ist, alle Fachliteratur zu allen Themengebieten zu lesen. Dennoch zeigt sich, dass es ein gewisses Spannungsfeld gibt, in dem es nicht einfach ist, eine pauschale Antwort zu geben.
Ich kenne dich nun, und was du immer wieder sagst, ist, dass es manchmal so etwas wie Pseudowissenschaften gibt. Du hast ja gesagt, man muss sich intensiv damit auseinandersetzen. Das ist auch ein Begriff von dir. Was verstehst du darunter, zum Beispiel im Gegensatz zu anderen wissenschaftlich belegbaren Aussagen?
Mir ist natürlich bewusst, dass es ein gefährliches Wort ist, das auch sehr häufig benutzt wird, um andere zu diffamieren. In dem Sinne meine ich es natürlich nicht, auch wenn es vielleicht ein bisschen geringschätzig klingt. Wer mich näher kennt, weiß, dass ich es nicht so meine. Aber man kann es natürlich falsch verstehen.
Was meine ich damit? Das Problem ist, dass man wissenschaftliche Sachverhalte unterschiedlich deuten kann. Es gibt auch wissenschaftliche Themengebiete, die sehr, sehr komplex sind und bei denen man viel Hintergrundwissen braucht, um das Themengebiet zu verstehen.
Ich mache es mal an einem Beispiel konkreter: Im Bereich der Quantenmechanik handelt es sich um ein durchaus kompliziertes und unintuitives Themenfeld. Dort gibt es bestimmte Beobachtungen in der Natur, bei denen man gesehen hat, dass sich beispielsweise Elektronen manchmal so verhalten, wie man es von einer Welle erwarten würde, und manchmal wie von einem Teilchen. Das widerspricht der Intuition komplett, und auch bis heute ist dieser Widerspruch nicht vollständig aufgelöst.
Auf der anderen Seite sieht man, dass sich auch Licht manchmal wie eine Welle verhält und manchmal wie ein Teilchen. Wir haben hier einen Sachverhalt, der selbst für Fachleute durchaus kopfzerbrechend sein kann. Um diesen Sachverhalt zu verstehen, braucht man wirklich eine Menge Wissen.
Ich habe an der Universität dazu zwei Pflichtvorlesungen gehört, die zum Pflichtprogramm gehörten und geprüft wurden – Quantenmechanik. Danach habe ich noch drei weitere Semester lang eine Wahlvorlesung zu dem Thema besucht. Außerdem habe ich selbst als Tutor in der Vorlesung darüber unterrichtet. Trotzdem habe ich das Themengebiet bis heute nicht vollständig erfasst.
Wir sehen also ein sehr komplexes Themengebiet, das aber durch Beobachtungen tief gestützt ist. Es gibt einen gewissen mathematischen Formalismus, der durch Beobachtungen unterstützt wird.
Nun schlage ich die Brücke zur Pseudowissenschaft nach dieser langen Einleitung. Es gibt im Internet bestimmte Blogs oder Internetseiten, auf denen Menschen einzelne Begriffe wie „Welle“ oder „Hilbertraum“ herausgreifen – also Begriffe, die sehr geheimnisvoll klingen – und dann irgendwelchen Quatsch erzählen.
Zum Beispiel werden dort medizinische Produkte angepriesen, die angeblich auf Quanteneffekten beruhen. Wenn man jedoch den ganzen Kontext kennt, sieht man als Fachmann relativ schnell, dass diese Begriffe in der Art und Weise, wie sie verwendet werden, nicht das bedeuten, was diese Menschen daraus machen.
Hier sehen wir eigentlich schon wieder das Problem: Um das einordnen zu können, braucht man dieses Hintergrundwissen. Das ist natürlich für jemanden, der in dem Themengebiet nicht tief drinsteckt, auf den ersten Blick nicht erkennbar.
An dieser Stelle sei auch gesagt, dass ich mich selbst nur in sehr wenigen Wissenschaftsgebieten auskenne. Es gibt viele Themen, von denen ich persönlich keine Ahnung habe. Dabei stehe ich natürlich auch in der Gefahr, Dinge falsch zu verstehen oder zu interpretieren.
Pseudowissenschaft würde ich persönlich so interpretieren, dass Menschen es mit Vorsatz machen, also nicht aus Unkenntnis, sondern bewusst einen wissenschaftlichen Anstrich verleihen, der eigentlich nicht gerechtfertigt ist.
Da bin ich ganz dankbar, dass wir Leute wie dich in der Gemeinde haben. Wenn ich mit solchen Sachen konfrontiert werde und wir über Pseudowissenschaften sprechen – zum Beispiel das große Thema Flache Erde – dann sage ich einfach: Geh zum Joachim, red mit ihm. Da gibt es auch wissenschaftliche Grundlagen, die man bedenken muss.
Zum Thema Wissenschaft: Du hattest vorhin Galilei zitiert, glaube ich. Er sagte, Gott schreibe im Buch der Mathematik oder so ähnlich. Das bedeutet, Wissenschaft hilft uns, Gottes Gedanken besser zu verstehen.
Wenn ich zum Beispiel einen Regenbogen sehe und weiß, wie er entsteht, macht das den Regenbogen nicht kleiner. Gott hat sich das ja ausgedacht. Ebenso, dass ich auf der Erde laufe und nicht in der Luft fliege, also dass es eine Erdanziehung gibt, ist etwas, das ich entdecke und nachweisen kann. Dadurch wird deutlich, dass Wissenschaft und Glaube nicht unbedingt Gegensätze sind. Deshalb machen wir ja auch diesen Podcast.
Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine, früher stand in wissenschaftlichen Arbeiten oft „Zur Ehre Gottes“ am Anfang. Wissenschaftler begannen damit und schrieben dann ihre Entdeckungen auf. Vorhin wurde gesagt, dass Wissenschaftsjournalisten in den Medien das anders darstellen, weil sie ihre Story verkaufen müssen.
Wie gehe ich aber damit um, wenn ich Berichte über Wissenschaft lese, zum Beispiel in Zeitschriften, die nicht so spezialisiert sind wie „Spektrum der Wissenschaft“, sondern eher einfache Themen behandeln, die ich gerne verstehen möchte? Auch hier gibt es unterschiedliche Aspekte, die man bedenken muss.
Zum einen gibt es Fälle, in denen Ergebnisse verzerrt dargestellt werden. Wenn man genauer hinschaut, geben die Befunde nicht das her, was der Journalist daraus gemacht hat oder wie es in bestimmten Medien dargestellt wurde.
Es gibt aber ein großes Aber: Auf der anderen Seite gehört zur Wahrheit auch, dass es Befunde gibt, die tatsächlich vorhanden sind. Diese können für uns als Christen durchaus herausfordernd sein oder auch Fragen an unseren Glauben stellen.
Dazu gehören zum Beispiel Themen aus der Biologie oder Geologie wie Evolution, Artenvielfalt oder das Alter der Erde. Diese Befunde sind nicht von Journalisten oder Wissenschaftlern erfunden, sondern real vorhanden. Wenn man sich damit tiefer beschäftigt, bleibt manchmal eine Spannung bestehen, die sich nicht auflösen lässt.
Ich selbst habe mich, wie eingangs gesagt, intensiv mit dem Verhältnis von Glauben und Naturwissenschaft beschäftigt. Ab etwa der Mitte meines Studiums habe ich mich besonders mit dem Thema Selbstorganisation befasst.
Das ist natürlich ein sehr umfangreiches Thema, das hier den Rahmen komplett sprengen würde. Es geht um die Selbstorganisation der Materie.
Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, gibt es bestimmte Prozesse in der Natur, bei denen aus einer scheinbaren Unordnung heraus geordnete Strukturen entstehen. Ein einfaches Beispiel sind Flüssigkeitsmuster: Wenn ich von außen Energie zuführe, können sich geordnete Strömungsmuster bilden.
Auch bei einem Laser ist es so, dass zunächst ungeordnet Energie zugeführt wird, aus der dann eine sehr geordnete Strahlung entsteht. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob sich auf ähnliche Weise auch die Entstehung des Lebens erklären lässt.
Je tiefer ich in dieses Thema eingetaucht bin – ein Prozess, der sich über viele Jahre hinzog und bei dem ich eine ungezählte Zahl an Büchern und Fachartikeln gelesen habe – desto mehr wurde mir klar, dass ich diese Frage nicht einfach beantworten kann.
Ich habe zum Teil auch mit Christen darüber diskutiert und Bücher von anderen christlichen Autoren gelesen, die vermeintlich einfache Antworten gaben. Sie waren der Meinung, das Leben müsse von Gott geschaffen worden sein und könne nicht auf natürliche Weise entstanden sein.
Als ich mir deren Argumente im Detail ansah, stellte ich jedoch fest, dass diese Argumente ebenfalls nicht eindeutig sind. Oft waren es letzte Schlussfolgerungen, die man wiederum durch Gegenargumente in Frage stellen kann.
Nach mehreren Jahren kam ich für mich selbst an den Punkt, an dem ich erkannte, dass ich diese Frage nicht endgültig beantworten kann. Ich kann sie nicht auflösen.
Dieser Prozess war für mich sehr wichtig. Es bedeutete, diese Unsicherheit auszuhalten und nicht in eine christliche Version der Pseudowissenschaft abzurutschen, indem ich bewusst Dinge verschweige.
Das ist natürlich eine Versuchung, der man ausgesetzt ist. Doch ich wollte bewusst nicht so vorgehen, sondern die Spannung stehen lassen und dazu stehen, dass ich manche Dinge nicht erklären oder wissenschaftlich nicht auflösen kann.
Für mich war das ein sehr wichtiger Erkenntnisprozess.
Es ist wichtig, nicht den Fehler zu machen, Gott immer in die Lücken dessen hineinzuinterpretieren, was wir gerade noch nicht erklären können. Diese Gefahr besteht auch für uns Christen. Manchmal neigen wir dazu, Dinge aufzuzählen, bei denen die Naturwissenschaften an ihre Grenzen stoßen. Doch diese Grenzen können sich verschieben. Es ist immer möglich, dass zukünftige Erkenntnisse bestimmte Sachverhalte erklären.
Deshalb möchte ich noch einmal deine Aussage aufgreifen: Wenn Gott die Naturgesetze geschaffen hat, dann hat er alle Dinge geschaffen – sowohl die Dinge, die wir verstehen, als auch die, die wir nicht verstehen. Wenn wir also hinter bestimmten Dingen Mechanismen erkennen oder verstehen können, macht das Gott nicht kleiner. Das ist, glaube ich, ein sehr wichtiger Punkt, der in der öffentlichen Debatte oft untergeht.
Du hast dich ja so intensiv mit dem Thema beschäftigt, dass du sogar ein Buch darüber geschrieben hast, habe ich gehört. Das ist schon einige Jahre her, oder?
Ja, ich habe tatsächlich vor über zehn Jahren ein Buch zu diesem Thema geschrieben. Aus heutiger Sicht würde ich versuchen, es verständlicher zu formulieren. Damals ist es mir nicht wirklich gelungen, die komplexen Sachverhalte auf eine leicht verständliche Weise darzustellen.
Das Schreiben dieses Buches war für mich eine große Herausforderung, weil es viele Fragen aufgeworfen hat, die auch den Glauben betreffen. Insofern war es für mich selbst eine sehr große Herausforderung. Wie gesagt, heute würde ich versuchen, die Sachverhalte noch verständlicher darzustellen, was aber nicht immer einfach ist.
Wenn ich dich richtig verstehe, sagst du, dass es wissenschaftliche Fakten gibt, die mich als Christ herausfordern. Diese Fakten kann ich nicht einfach ohne Weiteres über die Bibel stellen. Sie darf ich auf keinen Fall verschweigen. Gleichzeitig darf ich sagen, dass ich diese Fakten auf eine bestimmte Weise interpretiere.
Gleichzeitig kann ich auch anerkennen, dass jemand, der nicht mit Gott unterwegs ist, diese Fakten anders interpretieren kann. Meine Interpretation kommt aus dem Glauben, ist aber nicht die einzige mögliche. Ich kann also verstehen, warum jemand an einem anderen Punkt anders denkt. Habe ich dich da richtig verstanden?
Genau. Ich kann auch nachvollziehen, wenn Menschen sagen: „Wir sehen, dass die Natur durch Naturgesetze bestimmt wird, und deshalb braucht es keinen Gott.“ Das kann ich insofern verstehen, als dass, wenn ich Gott nur als den Urheber der Naturgesetze sehe, er in gewisser Weise überflüssig erscheint.
Für mich ist das ein ganz entscheidender Punkt: Als Christ glaube ich, dass Gott auch übernatürlich eingreifen kann. Er tut das häufig und hat es vielfach getan. Das ist aber etwas, was ich nicht beweisen kann. Wenn ein Atheist also sagt: „Das sehe ich nicht, und Gott ist für mich nur ein Dückenbüser“, dann ist das ein Argument, das ich nicht teile, aber intellektuell nachvollziehen kann. Ich halte es für vernünftig, weil es von einer anderen Position ausgeht.
Du rätst Christen also dazu, nicht einfach zu sagen: „Das ist doch logisch, es gibt nur diese eine Lösung.“ Stattdessen sollen sie verstehen, dass andere Menschen zu anderen Lösungen kommen – aber nicht ausgehend von der Bibel.
Genau.
Auf der anderen Seite kann ich auch sagen: Selbst wenn ich an die Bibel glaube, kann ich trotzdem zu einer Schlussfolgerung kommen, die mit der Bibel übereinstimmt. Diese Schlussfolgerung ist vielleicht nicht die einzige mögliche. Und ich kann Spannungen aushalten, die ich nicht auflösen kann.
Genau, das ist ja unser Thema. Wir haben das erlebt, besonders in der Corona-Zeit, aber auch zu anderen Zeiten, dass verschiedene Experten unterschiedliche Aussagen treffen. Man hört dem einen zu und denkt: „Ja, das stimmt.“ Dann hört man dem anderen zu und denkt ebenfalls: „Ja, das stimmt auch.“ Alle sagen: „Wir sind die Wissenschaftler.“
Wie geht man damit um, wenn zwei Experten zwei verschiedene Aussagen zum gleichen Thema treffen?
Auch hier kann es tatsächlich ganz unterschiedliche Ursachen geben. Wenn man sich tiefer damit beschäftigt, wie Wissenschaft funktioniert, sieht man, dass es bestimmte Tücken gibt. Vor ein oder zwei Jahren gab es zum Beispiel eine Artikelserie in einer bekannten, wissenschaftlich orientierten Zeitschrift. Dort wurde zu Beginn aufgezeigt, wie in der Wissenschaft mit Statistiken umgegangen wird. Sie haben sich verschiedene Studien angeschaut und festgestellt, dass in vielen dieser Studien bestimmte statistische Sachverhalte falsch gedeutet wurden.
Das bedeutet, dass anderen Wissenschaftlern, die sich die Daten angeschaut hatten, Fehler in der Datenanalyse unterlaufen sind. Es kommt also tatsächlich vor, dass Daten falsch interpretiert werden. Das kann dazu führen, dass die eine Studie zu einem Ergebnis kommt und eine andere vermeintlich zu einem anderen Ergebnis.
Man muss dann schon wirklich tiefer und genau hinschauen, um festzustellen, wer denn jetzt Recht hat. Das ist als Laie allerdings faktisch nicht machbar, muss man ehrlicherweise sagen.
Ein anderer Punkt, der häufig auffällt, ist, dass sich in der Debatte – gerade bei solchen Reizthemen wie Corona – nicht immer nur die Experten zu Wort melden, die wirklich genau auf diesem Themengebiet arbeiten. Manchmal melden sich auch Leute zu Wort, die vielleicht auf einem vermeintlich ähnlichen Themengebiet tätig sind, das aber eigentlich in eine ganz andere Richtung geht.
Oder es sind Außenseiter, die eine Außenseitermeinung vertreten und mit einem sehr großen Sendungsbewusstsein auftreten. Hier gilt es natürlich vorsichtig zu sein.
Mir ist auch schon bei Christen aufgefallen – natürlich nicht nur bei Christen –, dass man manchmal gegenüber dem sogenannten Mainstream oder dem, was man dafür hält, sehr skeptisch ist. Dafür nimmt man dann aber Blogger oder Influencer oft unkritisch an. Man „frisst ihnen förmlich aus der Hand“, um es mal so zu sagen.
Hier muss man aufpassen, dass man überall dieselben Maßstäbe anlegt. Ich glaube, es ist manchmal ehrlicher zu sagen: „Ich weiß bestimmte Dinge nicht, ich muss sie auch nicht wissen.“ Deshalb sollte man nicht mit einem missionarischen Anspruch auftreten und Dinge weiterverbreiten, die man irgendwo im Internet aufgeschnappt hat.
Ich denke, eine gewisse zurückhaltende Haltung ist manchmal wirklich angebracht. Gerade wir als Christen können es uns leisten, nicht immer alles besser wissen zu müssen.
Genau, ich finde es gut, dass du sagst, Demut ist angebracht. Man sollte sagen: Ich habe zwar meine Meinung, aber ich bin mir bewusst, dass ich vielleicht manche Hintergründe nicht kenne.
Können wir als Christen, unabhängig von einzelnen Ergebnissen, etwas von den Naturwissenschaften lernen? Wir sprechen ja über Wissenschaft als solche.
Etwas, das ich persönlich von der Naturwissenschaft gelernt habe und das mein Denken geprägt hat, ist eine gewisse kritische Denkweise. Die Naturwissenschaft lebt davon, dass man Dinge immer wieder hinterfragt. Wenn man eine Position zu einem Thema hat, versucht man selbst, diese Position zu widerlegen.
Das bedeutet nicht, dass man sich in einem ständigen Strudel aus Selbstzweifeln und Selbstkritik bewegen muss. In der Wissenschaft ist es vielmehr so, dass durch das ständige Hinterfragen Erkenntnisse robuster werden. Wenn man weiß, dass eine Erkenntnis oft geprüft wurde, kann man ihr eine hohe Plausibilität zuschreiben.
Ich glaube, im christlichen Glauben kann man eine Parallele ziehen. Natürlich gibt es einen Unterschied zur Naturwissenschaft. Hier geht es nicht nur um Beobachtung, sondern ich habe die Bibel als Grundlage. Aber auch hier darf ich mein eigenes Denken und meine Sichtweisen immer wieder hinterfragen – im Licht der Bibel.
Ist die Art und Weise, wie ich Bibelstellen verstehe, wirklich richtig? Ist das, was ich in Predigten gehört oder in Büchern gelesen habe, wirklich richtig? Es ist wichtig, auch kritisch zu überlegen: Was könnten Gegenargumente sein? Welche Bibelstellen fallen mir ein, die gegen meine Sichtweise oder gegen die Sichtweise, die ich gerade gehört habe, sprechen?
Das ist ganz spannend. Es geht nicht darum, in einem ständigen Prozess der Selbstzerfleischung zu verbleiben. Aber wenn ich das immer wieder tue, werden meine Meinungen stärker am Wort Gottes gegründet.
Ich glaube, das kann man als Christ durchaus lernen. Man weiß dann: Okay, es gibt zwar diese Bibelstelle, die dagegen spricht, aber manches muss ich auch stehen lassen. Und bei manchem kann ich sagen: Ich habe lange darüber nachgedacht und eine Erklärung für mich gefunden.
Ja, wenn ich das kurz zusammenfasse: Du musst dann sagen, ob ich dich richtig interpretiere. Glaube und Naturwissenschaft sind ein Spannungsfeld, das haben wir ja jetzt einfach miteinander besprochen. Aber wenn ich dich richtig verstehe, sollten wir als Christen die Wissenschaft grundsätzlich nicht als Feind, sondern als Freund sehen. Sie ist eine Möglichkeit, Gottes genialen Schöpfungsgedanken und auch seine Gesetze beschreiben zu können.
Aber dort, wo die Wissenschaft dem Wort Gottes widerspricht, muss man vielleicht sagen: Okay, da ist die Wissenschaft noch nicht so weit, die Zusammenhänge der Bibel zu erkennen. Oder kann man das so sagen?
Man kann es so sagen. Ich würde vielleicht noch ergänzen, dass ich natürlich auch immer die Möglichkeit in Betracht ziehen muss, dass vielleicht eine Bibelstelle nicht das sagt, was ich bisher darin gelesen habe. Das war die ganz große Debatte, gerade weil wir von Galilei gesprochen haben. Es ging um die Frage, ob die Bibel lehrt, dass die Erde im Mittelpunkt des Sonnensystems steht. Es gab tatsächlich Theologen, die damals die Bibel so gelesen haben. Heute sind wir ein Stück weiter und sehen auch, dass die Bibel diese Aussagen in dieser Form nicht trifft.
Insofern beinhaltet das natürlich auch immer eine Offenheit auf dieser Seite. Das bedeutet aber nicht, dass ich mir die Bibel immer so zurechtbiege, wie es gerade der Wissenschaft, in Anführungszeichen, „vorschreibt“. Auch hier ist es durchaus ein Spannungsfeld, bei dem ich immer wieder schauen muss: Verstehe ich die Bibel richtig?
Wenn ich der Meinung bin, ja, die Bibel trifft bestimmte Aussagen, beispielsweise über die Wunder Jesu, dann bin ich absolut davon überzeugt, dass sie so stattgefunden haben. Und wenn jetzt jemand mit vermeintlich wissenschaftlichen Argumenten beweisen will, dass das so nicht stattgefunden haben kann, dann gehe ich trotzdem davon aus, dass die Bibel an dieser Stelle Recht hat.
Ja, danke. Vielen Dank, Joachim, für das Gespräch. Damit ist der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart schon wieder zu Ende. Wir hoffen, ihr konntet einen Impuls für euch mitnehmen. Vielleicht ist die Erkenntnis: Glaube und Naturwissenschaft sind manchmal tatsächlich ein Spannungsfeld. Aber die Wissenschaft ist nicht mein Feind, und sie ist auch nicht allwissend.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Podcast, dann schreibt uns doch unter podcast@efa-stuttgart.de. Wir wünschen euch Gottes Segen und einen guten Umgang mit Spannungsfeldern.