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Reihe: Unser Vater! (1/6)
Jürg Birnstiel
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Serie | 6 Teile

Unser Vater!

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Reihe: Unser Vater! (1/6)

Matthäus 6,5-8

Einleitende Gedanken

Jesus reiste nur zu den jüdischen Festen nach Jerusalem und durchquerte dabei das Gebiete Samaria. Ansonsten wirkte er hauptsächlich im Gebiet von Galiläa. „Jesus zog durch ganz Galiläa; er lehrte in den Synagogen, verkündete die Botschaft vom Reich Gottes und heilte alle Kranken und Leidenden im Volk.“ Mt.4,23. Bis nach Syrien hörte man von seinem Wirken, besonders über die erstaunlichen Wunder. Von weit her strömten die Menschen nach Galiläa. Sie wollten die Wunder sehen und Kranke hofften geheilt zu werden. „Grosse Menschenmengen folgten Jesus aus Galiläa und dem Zehnstädtegebiet, aus Jerusalem und Judäa und aus der Gegend jenseits des Jordans.“ Mt.4,25. Aber Jesus wollte nicht als Heiler gelten. Ihm ging es um viel mehr, um etwas viel Grösseres. Als er in Kapernaum regelrecht vereinnahmt wurde und die Jünger ihn drängen wollten mit dem Heilen fortzufahren, sagt Jesus: „Lasst uns von hier weggehen in die umliegenden Ortschaften, damit ich auch dort die Botschaft vom Reich Gottes verkünden kann; denn dazu bin ich gekommen.“ Mk.1,38. Die Heilung von Kranken und die Austreibung von Dämonen war nur ein Nebenschauplatz. Jesus ist nicht gekommen, dass die Menschen etwas weniger lang krank sind. Er ist gekommen, damit die Menschen für Zeit und Ewigkeit gerettet werden. Deshalb müssen sie die Botschaft vom Reich Gottes hören. Und wenn Jesus predigte, wühlte das die Menschen auf. „Sie waren von seiner Lehre tief beeindruckt, denn er lehrte sie nicht wie die Schriftgelehrten, sondern mit Vollmacht.“ Mk.1,22. Die Heilungen waren lediglich der Beweis dafür, dass Jesus der erwartete Retter, der Messias sein musste. Wer von Jesus geheilt wurde, der kam deswegen noch nicht in den Himmel. In den Himmel kommt, wer Jesus nachfolgt. Deshalb suchte Jesus immer wieder Gelegenheiten, um den Menschen, die ihm begegneten vom Reich Gottes zu erzählen und was im Reich Gottes von Bedeutung ist. Matthäus berichtet: „Als Jesus die Menschenmenge sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, seine Jünger versammelten sich um ihn, und er begann sie zu lehren.“ Mt.5,1-2. Was Jesus auf diesem Berg erzählte, wurde zu seiner bekanntesten und längsten Predigt. Es ist die Bergpredigt. Er lehrte die Leute über die Bedeutung des Gesetzes, über Feindesliebe, Ehebruch usw. Und er sprach auch über das Gebet. Er formulierte sogar ein Mustergebet. Das bekannteste Gebet überhaupt: das „Unser Vater“. Mit diesem Gebet werden wir uns die nächsten Sonntage beschäftigen. Bevor wir uns ab nächstem Sonntag dem Wortlaut dieses Gebets zuwenden, beschäftigen wir uns heute mit dem, was Jesus grundsätzlich übers Gebet sagt. Jesus geht dabei ganz selbstverständlich davon aus, dass Gott mir zuhören möchte, wenn ich mit ihm spreche. Wir lesen diesen Abschnitt: „Und wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler, die sich zum Gebet gern in die Synagogen und an die Strassenecken stellen, um von den Leuten gesehen zu werden. Ich sage euch: Sie haben ihren Lohn damit schon erhalten. Wenn du beten willst, geh in dein Zimmer, schliess die Tür, und dann bete zu deinem Vater, der auch im Verborgenen gegenwärtig ist; und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dich belohnen. Beim Beten sollt ihr nicht leere Worte aneinander reihen wie die Heiden, die Gott nicht kennen. Sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie, denn euer Vater weiss, was ihr braucht, und zwar schon bevor ihr ihn darum bittet.“ Mt 6,5-8

I. Gott schätzt meine Aufmerksamkeit

In einem Gespräch fragte mich ein Sängerkamerad verwundert: „Du betest?“ „Klar, bete ich,“ sagte ich, „du etwa nicht.“ Bei uns mag das sonderbar scheinen, wenn man als normaler Mensch betet. Jedenfalls kann man sich damit in unserer Gesellschaft selten Lorbeeren verdienen. Ganz anders war das damals in Israel. Sonderbar waren die Menschen, die nicht beteten. So wie wir das heute im Islam beobachten können, gehörte das regelmässige Gebet zum Leben wie Essen und Trinken. Ein jüdischer Gelernte unterwies folgendes: „Die früheren Frommen warteten vor dem Gebet eine Stunde, in der Gegenwart Gottes; dann beteten sie eine Stunde und warteten hinterher nochmals eine Stunde.“ Es gab Juden, die dieses Prozedere dreimal am Tag durchliefen und so praktisch neun Stunden im Gebet und vor Gott verbrachten. Gebete waren im Volk Israel etwas ganz selbstverständliches. Da verwunderte man sich nicht über jemanden, der betet und man machte sich schon gar nicht lustig über solche Leute. Im Gegenteil, man konnte sich durch fleissiges Beten Achtung und Bewunderung verschaffen. Darin sah Jesus aber die grosse Gefahr, denn bei diesen öffentlichen Gebeten ging es bei vielen nicht mehr um das Gespräch mit Gott, sondern um die Darstellung der eigenen Frömmigkeit. Damit konnte man sich hohes Ansehen verschaffen. Deshalb sagt Jesus: „Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler, die sich zum Gebet gern in die Synagogen und an die Strassenecken stellen, um von den Leuten gesehen zu werden.“ Mt.6,5. Das Gebet verfehlt seinen Zweck, wenn es dazu dient, den anderen Menschen zu zeigen, wie fromm man ist. Jesus bezeichnet diese Leute als Heuchler. Sie suchen nicht die Nähe zu Gott, sondern sie suchen die Ehre bei den Menschen. Und tatsächlich, sie bekamen dafür in der damaligen Gesellschaft Anerkennung und sie wurden hoch geachtet. Das kann übrigens auch heute unter Christen der Fall sein. Das Gebet steht auch bei uns hoch im Kurs und guten und fleissigen Betern begegnet man mit besonderem Respekt. Das muss nicht negativ sein. Doch wer sich als guter Beter präsentiert, um insgeheim Bewunderung, Respekt und Ansehen zu bekommen, der hat den Sinn und die Bedeutung des Gebets nicht verstanden. Jesus sagt klipp und klar: „Ich sage euch: Sie haben ihren Lohn damit schon erhalten.“ Mt.6,5. Sie wollten bei den Menschen durch ihre Gebete Respekt und Achtung erhaschen und das haben sie tatsächlich bekommen. So haben sie den Lohn, den sie mit ihren Gebeten suchten bereits bekommen. Für Jesus ist das Gebet aber etwas ganz anderes. Im Gebet, wie Jesus es versteht, sprechen wir mit Gott unserem Vater. Deshalb sagt Jesus: „Wenn du beten willst, geh in dein Zimmer, schliess die Tür, und dann bete zu deinem Vater, der auch im Verborgenen gegenwärtig ist.“ Mt.6,6. Wer betet, der soll sich zurückziehen. Er soll an einem Ort beten, an dem man ihn gar nicht beobachten kann. Er soll sich in sein Zimmer zurückziehen oder noch besser gesagt in ein Versteck. Denn das griechische Wort, das hier mit Zimmer übersetzt wird, bezeichnet eigentlich eine Vorratskammer, die damals in den Bauernhäusern ein Versteck war, um die Vorräte vor Dieben und streunenden Tieren zu schützen. Das war der einzige Raum im Haus, den man abschliessen konnte und der keine Fenster hatte. In diesem Versteck sollen wir beten, also dort, wo uns niemand finden kann – ausser Gott. Er sieht und hört uns! Für Gott gibt es keinen Ort, an dem er uns nicht nahe sein kann, auch an den verborgenen Orten ist er gegenwärtig. Das ist ein grosser Reichtum, den wir in der Beziehung zu Gott haben, denn Jesus macht damit deutlich, dass wir an keinen Ort gebunden sind, wenn wir mit Gott sprechen möchten. Wir müssen weder Tempel noch Kirchen aufsuchen. Egal, wo ich mich befinde, Gott sieht und hört mich. Und nun sagt Jesus noch etwas total Überraschendes, das wir gerne überlesen und nicht darüber nachdenken: „Dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dich belohnen.“ Mt.6,6. Wenn ich mit Gott spreche und ihm so meine Aufmerksamkeit schenke, dann wird Gott mich dafür belohnen. Wie diese Belohnung aussehen wird, dass sagt Jesus nicht, aber wenn Gott uns belohnt, dann wird er das in grosszügiger Weise tun. Ob das in dieser Welt schon geschieht, oder erst in der zukünftigen Welt, ist eigentlich egal. Hauptsache er belohnt uns. Jesus motiviert also seine Jünger und damit auch uns zum ernsthaften Gebet, indem er uns sagt, dass es sich lohnt: Du bekommst eine Belohnung! Dieser Gedanke ist unter Christen etwas verpönt, weil wir uns stark vom Gedanken der Selbstlosigkeit leiten lassen. Selbstloses Handeln ohne einen Gedanke an irgendeine Belohnung gilt als reifes geistliches Handeln. Wer an eine Belohnung denkt, dem fehlt die geistliche Reife. Jesus sieht das offensichtlich ganz anders. Für Jesus ist es selbstverständlich, dass der Vater uns belohnen wird. Im Hebräer steht sogar: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Wer zu Gott kommen will, muss glauben, dass es ihn gibt und dass er die belohnt, die ihn aufrichtig suchen.“ Hebr.11,6. Es gehört also zur geistlichen Reife, dass wir glauben, dass Gott uns belohnt.

II. Gott kennt meine Anliegen

Jesus macht noch auf ein Missverständnis im Gebet aufmerksam. Es geht um eine heidnische Gebetspraxis, die sich auch in Israel verbreitet hat. Er sagt: „Beim Beten sollt ihr nicht leere Worte aneinander reihen wie die Heiden, die Gott nicht kennen. Sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.“ Mt.6,7. Die Heiden meinen, sie müssten Gott mit vielen Worten und ausgedehnten Gebeten beschwören. Die Masse der Wörter würden bei Gott etwas in Bewegung bringen. Ein anschauliches Beispiel für solche Gebete finden wir bei einer Begebenheit am Karmel. Der Prophet Elia wollte die Israeliten davon überzeugen, dass sie wider jede Vernunft mit Baal einen falschen und viel schwächeren Gott verehren. So liess er einen Altar bauen und vereinbarte mit den Baalspriestern, dass sie das Opfer nicht selber in Brand setzen, sondern Gott soll das Opfer in Brand setzen. Zuerst waren die Baalspriester an der Reihe, um ihren Gott zu bitten, das Opfer anzuzünden. So ging es am Morgen los. Die Baalspropheten richteten das Opfer zu und riefen vom Morgen bis zum Mittag: „Baal, höre uns!“ Dabei tanzten sie um den Altar und hüpften die Stufen hinauf. 1.Kö.18,26. Nichts geschah, kein Feuer vom Himmel. Elia spornt sie an: „Ihr müsst lauter rufen! Er ist doch ein Gott! Vielleicht denkt er gerade nach oder er musste dringend mal weg oder ist auf Reisen gegangen. Vielleicht hält er gerade seinen Mittagsschlaf. Ihr müsst ihn aufwecken!“ 1.Kö.18,27. Die Priester zogen alle Register. „Sie schrien immer lauter und ritzten sich nach ihrem Brauch die Haut mit Schwertern und Speeren, dass das Blut an ihnen herabfloss.“ 1.Kö.18,28. Nichts – aber auch gar nichts geschah. Gegen Abend übernahm Elia die Führung. Jetzt konnte er zeigen, dass Jahwe, der Gott Israels, wesentlich mächtiger ist als Baal. Er liess den Altar komplett unter Wasser setzen, so dass es unmöglich war, die Opferstätte anzuzünden. Nun betet er kurz: „Herr, du Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs! Alle sollen heute erfahren, dass du Gott bist in Israel und ich dein Diener, der dies alles in deinem Auftrag getan hat. Höre mich, Herr, erhöre mich! Dieses Volk soll erkennen, dass du, Herr, allein Gott bist und dass du sie wieder auf den rechten Weg zurückbringen willst.“ 1.Kö.18,36-37. Und jetzt geschah das Unvorstellbare. „Der Herr liess Feuer herabfallen. Es verzehrte nicht nur das Opfertier und die Holzscheite, sondern auch die Steine, die Erde ringsum und das Wasser im Graben.“ 1.Kö.18,38. Elia musste nicht viele Worte machen. Gott erhörte ihn. Jesus sagt: „Euer Vater weiss, was ihr braucht, und zwar schon bevor ihr ihn darum bittet.“ Mt.6,8. Es ist nutzlos, Gott mit Formeln, Floskeln und Ritualen zu bearbeiten. Natürlich sagt Jesus damit nichts gegen ein ausgedehntes und intensives Gebetsleben. Aber er sagt etwas gegen hirnlose Gebete und gegen Gebete, die in einer falschen Haltung gesprochen werden. Einmal sagte Gott den Israeliten: „Wenn ihr im Gebet eure Hände zu mir ausstreckt, blicke ich weg. Und wenn ihr mich auch noch so sehr mit Bitten bestürmt, ich höre nicht darauf; denn an euren Händen klebt Blut!“ Jes.1,15. Gott geht es um unsere Grundhaltung und um die Beziehung mit ihm. Wenn wir bewusst in der Sünde leben, dann hilft es sehr wenig, wenn wir Gott mit tausend Redewendungen und Floskeln bestürmen. Jakobus schreibt den Christen: „Wenn ihr euch an Gott wendet, werden eure Bitten nicht erhört, weil ihr in verwerflicher Absicht bittet: Das Erbetene soll dazu beitragen, eure selbstsüchtigen Wünsche zu erfüllen!“ Jak.4,3. Wenn unsere Beziehung zu Gott stimmt, dann ist Beten ganz einfach. Ich muss Gott nicht beschwichtigen, noch in irgendeiner Form bearbeiten. Ich kann ihm einfach sagen, was mich beschäftigt. So wie wir im Psalm 62 aufgefordert werden: „Ihr, die ihr zu seinem Volk Gottes gehört, setzt allezeit euer Vertrauen auf ihn, schüttet euer Herz bei ihm aus; denn Gott ist unsere Zuflucht!“ Ps.62,9. Wir dürfen Gott einfach sagen, was uns bewegt und er hört auf uns. Wir müssen ihn nicht beschwören. „Dein Vater weiss, was du braucht, und zwar schon bevor du ihn darum bittest.“ Mt.6,8. Gott freut sich einfach darüber, dass du mit dem, was dich beschäftigt zu ihm kommst und dass du von ihm Hilfe erhoffst.

Schlussgedanke

Jesus will nicht sagen, dass wir nicht mehr miteinander beten sollen. Wir müssen unsere Gebetstreffen nicht abschaffen. Wir sollen im Gottesdienst miteinander beten und wir dürfen auch lange beten, wenn wir wollen. Jesus spricht hier gegen den Missbrauch des Gebets. Er will nicht, dass wir beten, um unser Ansehen zu fördern. Wir sollen beten, wenn wir mit Gott sprechen wollen und ihm unsere Aufmerksamkeit schenken. Und wir müssen nicht plappern und unnötig viele Worte machen. Gott weiss schon, was uns bewegt und was wir brauchen. Freuen wir uns einfach darüber, dass Beten so einfach ist. Freuen wir uns darüber, dass Gott uns tatsächlich zuhören will und er unsere Anliegen kennt und ernst nimmt. Befolgen wir doch den Rat von Petrus: „Legt alle eure Sorgen bei ihm ab, denn er sorgt für euch.“ 1.Petr.5,7. Oder wie Paulus es sagt: „Macht euch um nichts Sorgen! Wendet euch vielmehr in jeder Lage mit Bitten und Flehen und voll Dankbarkeit an Gott und bringt eure Anliegen vor ihn.“ Phil 4,6