Ich wünsche einen guten Abend, obwohl es draußen ja noch ziemlich hell ist. Ich weiß gar nicht, ob man da Abend oder guten Tag sagt. Auf jeden Fall herzlich willkommen bei einem weiteren Abendvortrag des Bibelstudienkollegs.
Mein Name ist Albrecht Wandel. Ich bin Dozent für Kirchengeschichte und praktische Theologie hier am Bibelstudienkolleg.
Wie komme ich zu diesem Thema Achtsamkeit und Meditation? Dazu möchte ich zwei kleine Geschichten erzählen.
Ich war in einer Reha-Einrichtung, und in jeder Reha-Einrichtung kommen Sie heute in eine Achtsamkeitsgruppe – das ist Standard. Ich war also in so einer Achtsamkeitsgruppe. Es wurde gesagt: „Jetzt beginnen Sie mal zu meditieren.“ Dann wurde uns erklärt, dass wir jetzt einfach gar nichts denken sollen. Wir müssen ganz im Hier und Jetzt und ganz bei uns sein.
Ganz ehrlich: Ich wusste nicht so genau, was ich machen soll. Ich habe einfach Bibelsprüche in Erinnerung gerufen und gebetet. Was soll man denn sonst machen, wenn man bei sich sein soll? Also war ich nicht bei mir, sondern bei meinem Herrn.
Im Anschluss bin ich zu der Achtsamkeitsleiterin oder Gruppenleiterin gegangen und habe zu ihr gesagt: „Wissen Sie, ich meditiere jeden Tag, ich lese die Bibel und bete.“ Und dann sagte sie etwas Überraschendes: „Das ist genauso gut wie Meditation.“ Also habe ich die offizielle Erlaubnis von einer Achtsamkeitsleiterin bekommen, nach meinem eigenen Gusto zu meditieren.
Die andere Erfahrung war ebenfalls in einer Reha-Einrichtung. Wir haben morgens immer meditiert, also eine kleine Kurzmeditation gehabt. Das bedeutete: Für alle, die als Patienten da waren, war das verbindlich. Man musste sich in einem großen Versammlungsraum treffen. Dann hat einer der Patienten einen Spruch herausgesucht und vorgelesen. Ich wurde ein bisschen an die Losungen erinnert. Anschließend hat man diesen Spruch meditiert, das heißt, darüber nachgedacht.
Ich habe da einige Zeit lang zugehört, was das für Sprüche sind. Mir ist eines aufgefallen: Es waren viele buddhistische Sprüche dabei, aber kein einziger aus dem christlichen Kontext. Weder von irgendeiner christlichen Persönlichkeit noch aus der Bibel. Dabei gibt es dort durchaus hilfreiche Sinnsprüche, auch für Menschen, die nicht unbedingt christlich unterwegs sind. Viel Buddhismus, nichts Christliches.
Irgendwann habe ich gefragt: „Warum fehlen da diese christlichen Sprüche? Das wäre doch auch mal etwas.“ Dann wurde mir gesagt: „Ach, wir wollen da niemandem zu nahe treten, deshalb lassen wir das weg.“ Aber mit Buddhismus tritt man ja auch Leuten nahe.
Das sollen ein paar Beispiele aus dem Bereich der Achtsamkeit und Meditation sein. Wie gesagt: Wenn Sie in eine psychotherapeutische Einrichtung kommen, werden Sie mit Achtsamkeit konfrontiert werden.
Jetzt würde ich niemals davon abraten, in eine psychotherapeutische Einrichtung zu gehen. Ich habe denen viel zu verdanken. Aber wir müssen uns überlegen, wie wir als Christen damit umgehen. Und dazu müssen wir ein bisschen Anlauf nehmen.
Sie haben schon gemerkt, dass das irgendetwas mit Buddhismus zu tun hat. Deshalb muss ich Ihnen zunächst ein bisschen etwas über den Buddhismus erklären.
Aber zunächst einmal: Wo begegnet uns denn Achtsamkeit und Meditation? Man spricht von einem sogenannten Megatrend Achtsamkeit. Das gehört zu den ganz prägenden Methoden und Erkenntnissen in unserer westlichen Welt. Es hat vieles verdrängt, was christlich ist.
Ich habe viele Zeugnisse von Leuten gelesen, die im Buddhismus über Achtsamkeit gelandet sind. Sie sagen, wir haben das auch mit den christlichen Kirchen versucht, aber die haben uns nicht das gegeben, was wir gesucht haben. Das haben wir in der Achtsamkeit und Meditation gefunden. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht.
Auch darauf werden wir noch zu sprechen kommen: Was könnten wir in unseren Gemeinden vielleicht verändern oder anbieten, damit wir der Achtsamkeit nicht das Feld überlassen?
Achtsamkeit ist, wie gesagt, Teil jeder Psychotherapie und jeder Reha. Es mag wenige Ausnahmen geben, aber grundsätzlich ist sie auch Teil der Ausbildung. In der betrieblichen Fortbildung, in Coachings – egal in welchem größeren Betrieb man ist – wird man auf Achtsamkeit stoßen.
Es gibt Achtsamkeits- und Meditations-Apps, die wurden sogar von der Stiftung Warentest getestet. Das geht also bis in diesen Bereich hinein.
Mir ist sehr aufgefallen, dass vor allem zwei Krankenkassen – deren Namen ich nicht nenne, aber es sind die größten in Deutschland – Achtsamkeitskurse und Angebote im Zusammenhang mit dem Buddhismus fördern. Vielleicht ist das so eine Gegenbewegung oder eine Alternative. Der Buddhismus hat in der westlichen Welt ganz starken Aufwind.
Jetzt sehe ich gerade nicht ganz ausgeschrieben: Im Buddhismus, im buddhistischen Umfeld, in buddhistischen Klöstern und so weiter gibt es natürlich viele Angebote zur Achtsamkeit. Übrigens hat auch der Zen-Buddhismus, vor allem in christlichen Klöstern, Einzug gehalten. Mit dem Zen-Buddhismus sind auch Achtsamkeit und Meditation dort angekommen.
Ich frage mich: Haben wir als Christen nicht viel mehr oder vielleicht andere Alternativen zu bieten?
Ein kleiner Ausflug in den Buddhismus: Keine Angst, wenn Sie die Folien vollständig sehen, wir werden nicht alle Folien komplett durchgehen. Diese Präsentation dient auch als Vorbereitung für ein Seminar, das wir eventuell durchführen.
Der Buddhismus kennt die sogenannten vier edlen Wahrheiten. Die erste Wahrheit besagt, dass es kein Leben ohne Leiden gibt. Dem würde ich zustimmen.
Die zweite Wahrheit nennt die Ursache des Leidens: Gier, Hass und Unwissenheit. Auch dem würde ich zustimmen, allerdings würde ich diese Ursachen vielleicht etwas anders interpretieren.
Die dritte Wahrheit besagt, dass mit dem Erlöschen dieser Ursachen auch das Leiden erlischt. Das bedeutet, ich muss mich bemühen, damit Gier, Hass und Unwissenheit keinen Einfluss mehr auf mich haben. Dann werde ich kein Leiden mehr erfahren. Genau das ist das Ziel.
Das Ziel des Buddhismus ist das Erlöschen jeglichen Leidens. Zu diesem Erlöschen führt der achtfache Pfad des Buddhismus. Gleich werden Sie sehen, warum dieser Pfad so wichtig ist.
Zur Überwindung des Leidens gehören zunächst rechte Einsicht, rechtes Denken, rechte Rede, rechtes Tun und rechte Lebensführung. Diese ethischen Grundsätze finden sich in fast allen Religionen, auch im Christentum. Es ist ein grundlegender Konsens in der Ethik.
Dann folgen die speziell buddhistischen Elemente: rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung. Die rechte Anstrengung und die rechte Sammlung dienen dazu, sich auf die rechte Achtsamkeit zu konzentrieren.
Mit anderen Worten: Die Achtsamkeit ist das Zentrum des Buddhismus. Sie ist der Heilsweg, weil ich durch Achtsamkeit die Anhaftungen – also Gier und alles, was dazugehört – überwinden kann. So befreie ich mich und erreiche die Erlösung, das heißt die Befreiung vom Leiden.
Das Ziel ist der sogenannte Nirwana. Man kann wirklich sagen, dass Achtsamkeit das Zentrum des Buddhismus bildet.
Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder, der achtsam durchs Leben geht, automatisch Buddhist ist. Oft merkt man gar nicht, dass die Wurzeln der Achtsamkeit im Buddhismus liegen. Hier müssen wir überlegen, was wir übernehmen können und wo Grenzen gesetzt sind.
Aber klar ist: Achtsamkeit ist das spezifisch Buddhistische und der Heilsweg im Buddhismus.
In der Lehre der Grundlagen der Achtsamkeit gibt es vier unterschiedliche Methoden oder Wege der Achtsamkeit. Das erste ist die sogenannte Körperbetrachtung. Wenn Sie in psychotherapeutischen Einrichtungen sind, wird Ihnen das begegnen. Dort werden Sie Körperbetrachtungen und Atemübungen machen. Nicht alle Atemübungen sind buddhistisch, aber es gehört ein gewisses Gespür dazu, zu erkennen, wann etwas ins Religiöse kippt und wann es einfach nur eine Atemübung ist.
Beim Körperlichen wird das Entstehen und Vergehen beobachtet. Die Körperhaltung wird eingenommen, meist eine bekannte Haltung, etwa mit den Fingern. Der Körper wird dabei nur wahrgenommen, jedoch nicht bewertet. Die Betrachtung des Körpers basiert auf den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Auf dieser Grundlage wird der Körper letztlich wahrgenommen. Auch Tod und Zerfall werden nur wahrgenommen, ohne darauf zu reagieren.
Ich möchte ein Beispiel geben, das Sie gerne mitmachen können. Ich selbst würde es eher nur anhören, um zu zeigen, wie eine Achtsamkeitsmeditation, insbesondere die Körperbetrachtung, aussehen kann. Ich führe Sie durch eine Atemübung. Machen Sie einfach nur mit, oder hören Sie zu.
Die Anweisung für die Atemübung lautet ungefähr so: Zunächst können Sie etwas mehr Zeit einplanen, etwa zehn bis zwanzig Minuten. Setzen Sie sich mit geschlossenen Augen aufrecht und entspannt hin. Konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Beobachten Sie, wie Sie ein- und ausatmen, ohne Ihren Atem zu verändern oder zu kontrollieren. Nehmen Sie keinen Einfluss auf das Atmen, lassen Sie es einfach laufen.
Lassen Sie den Atem einfach kommen und gehen. Nehmen Sie dann wahr, wo er am deutlichsten zu spüren ist, zum Beispiel an den Nasenlöchern. Achten Sie anschließend auf Ihren Brustkorb: wie er sich hebt und senkt, sich ausdehnt und zusammenzieht. Wenn Sie bemerken, dass Ihre Gedanken abschweifen, lassen Sie sie ziehen und kehren Sie zurück zur Betrachtung Ihres Atems.
Lassen Sie das Gefühl der Achtsamkeit auch nach Beendigung der Übung noch ein wenig zu und nehmen Sie es mit in Ihren Tag. Das klingt zunächst relativ harmlos. Die Frage ist jedoch, was man daraus macht. Ist es nur eine Atemübung oder ein Weg zu einem, wie auch immer gearteten, Heil?
Die zweite Methode ist die Gefühlsbetrachtung. Dabei nimmt man jedes Gefühl wahr, das man hat – wie es kommt und wie es geht. Man beobachtet, welche Gefühle beim Betrachten der Gefühle auftauchen. Diese Gefühle werden nicht bewertet. Das heißt, man sagt nicht, dass ein Gefühl schlecht oder gut ist. Stattdessen versucht man, die Gefühle sehr neutral an sich vorbeiziehen zu lassen, obwohl es ja die eigenen Gefühle sind.
Die dritte Methode ist die Geistbetrachtung. Hier geht es immer mehr ins Spirituelle. Es werden kommende und gehende geistige Phänomene betrachtet, wie Lust und Unlust, verblendeter oder unverblendeter Geist. Die Qualitäten dieser geistlichen Entwicklung, die man erlebt hat, werden registriert, aber wieder nicht bewertet. Es heißt: Das ist so, das bin ich, und ich lasse es vorüberziehen.
Die vierte Methode ist die Geist-Objektbetrachtung. Dabei werden die geistigen Hemmnisse für die Befreiung achtsam beobachtet. Auch die Zumutungen des Lebens – wie Alter, Geburt und Tod – sowie die Bedingungen des Leidens werden registriert. Dennoch wird ihnen nicht nachgegeben. Man lässt gleichsam das Leiden, das einem selbst, anderen oder der Welt Kummer macht, zu und lässt es an sich vorbeiziehen, ohne etwas damit zu machen.
Zu den Zielen von Achtsamkeitskursen möchte ich gar nicht viel sagen. Sie können sich diese in Ruhe anschauen, indem Sie den Vortrag anhalten und später noch einmal nachschauen.
Es gibt eine Vielzahl von Zielen, die sehr umfassend sind. Sie reichen von der Wahrnehmung der Emotionen über die geistige und spirituelle Wahrnehmung bis hin zur Konzentration. Außerdem geht es um das Erlernen und Erforschen bestimmter Fähigkeiten.
Der Erfinder der Achtsamkeit ist Jon Kabat-Zinn. Er hat das sogenannte Mindfulness Based Stress Reduction-Programm (MBSR) entwickelt. Wie der Name schon sagt, geht es dabei um die Reduzierung von Stress.
Tatsächlich zeigt sich, dass sich durch Achtsamkeitsübungen und die Beschäftigung mit Achtsamkeit der Stress nachweislich reduziert. Darüber hinaus können auch andere psychische bis hin zu organischen Beschwerden gelindert werden. Das ist sehr gut erforscht, und wir werden uns das später noch genauer anschauen.
Aus diesem Grund sind die MBSR-Kurse von Jon Kabat-Zinn heute Teil vieler Ausbildungen zum Psychotherapeuten. Sie sind inzwischen fest in die Psychotherapie integriert. Man kann sagen: Keine Psychotherapie ohne MBSR.
Ich möchte das nicht wertend formulieren, sondern einfach feststellen, dass es ihm gelungen ist, diese Methoden und Möglichkeiten in die Psychotherapie einzubringen. Und da sage ich jetzt mal ein bisschen zynisch: Wir Christen haben das nicht geschafft.
Was ist der Sinn der Achtsamkeit? Nach dem Theologen Stephan S. Jäger, dessen Gedanken ich hier in eigenen Worten wiedergebe, ist die Antwort darauf sehr interessant. Stephan Jäger ist Dozent am Johanneum und an der Hochschule in Tabor. Er erklärt zunächst, dass jede Sinneswahrnehmung eine Wertung erzeugt.
Das funktioniert bei uns so: Wenn wir zum Beispiel hier drin schwitzen, empfinden wir das anfangs als angenehm, weil es etwas warm ist. Doch mit der Zeit wird das Schwitzen unangenehm. Wenn wir dann einen Windhauch durchziehen lassen, werten wir diesen plötzlich als angenehm. Alles, was wir also wahrnehmen, ist mit einer Wertung verbunden, und zwar mit einer, die ich selbst vornehme. Es kann aber sein, dass jemand anderes das ganz anders wahrnimmt. Vielleicht sagt er, hier drin ist es noch gar nicht warm, er zieht sich einen Pullover an und empfindet eher Kälte. Das müssen wir zunächst festhalten: Alles ist mit Wertung behaftet.
Durch diese Ich-Anhaftung entstehen Begierde, Aversion oder Gleichgültigkeit. Ich habe zum Beispiel Begierde nach Luft und eine Aversion gegen das Schwitzen – um es auf diese kleine Sache herunterzubrechen. Ich kann nicht gleichgültig sein, oder doch? Eigentlich muss ich gleichgültig sein, weil ich jetzt nicht alle Fenster aufreißen kann, da draußen ist es laut. Man merkt, das sind wirklich Beobachtungen aus dem Leben.
Buddha hat das tatsächlich so beobachtet. Er hat lange Zeit damit verbracht, einfach nur seine Umgebung zu beobachten und wahrzunehmen. Dabei hat er auch wahre Dinge erkannt. Diese Ich-Anhaftung erzeugt Leid. Irgendwann wird es hier so heiß, dass es Leid verursacht. Dann versuchen wir, hier herauszurennen, drängeln uns an der Tür und stoßen uns die Ellenbogen an den Rippen. Schon beginnt das Leid.
Alles, was Ich-Anhaftung ist, alles, was ich wahrgenommen und subjektiv beobachtet habe, ist mit Leid verbunden. Die Ich-Anhaftung – und das ist das letzte Ziel der Achtsamkeit – soll eliminiert werden. Im Idealfall soll ich in einen Zustand kommen, in dem mich das Schwitzen hier überhaupt nicht mehr tangiert. Ich nehme wahr, dass ich schwitze, lasse das Schwitzen vorbeiziehen, spüre das Bechlein am Rücken, aber es macht mir nichts aus.
Ich nehme wahr, dass hier kein Wind ist, und das ist gut so. Aber es hat nichts mit mir zu tun. Ich lasse nicht zu, dass das bei mir eine Anhaftung erzeugt. Deshalb ist Achtsamkeit die Unterbrechung dieser Kettenreaktion.
Natürlich kann man das Schwitzen auch unterbinden, das ist nicht so dramatisch. Aber wenn man das Prinzip auf bestimmte Lebenssituationen überträgt, geschieht eine Ablösung von Impulsen, die von außen kommen, und eine Regulation dieser Impulse. Genau das hat einen ganz wichtigen Effekt, zum Beispiel bei Suchterkrankungen.
Da kommt von außen ein Impuls, und jetzt muss ich als Süchtiger – ich bin nicht süchtig, aber ich spreche hier neutral – diesen Impuls nicht unbedingt eliminieren, sonst würde er Leid erzeugen. Ich muss den Impuls regulieren, ebenso meine Emotionen, die das Bedürfnis auslösen, eine Droge zu konsumieren oder ein Bier oder Wodka zu trinken.
Das hat tatsächlich in der Therapie von Süchtigen einen hohen Stellenwert und auch einen großen Effekt. Man merkt, dass Achtsamkeit Gutes bewirken kann. Gleichzeitig gibt es aber auch Bereiche, in denen man sagen kann, dass dies eindeutig spirituell oder ideologisch geprägt ist.
Diese Grafik zeigt, wie die Achtsamkeit in unserer Zeit zugenommen hat. Im Jahr 1980 gab es so gut wie keine Studien über Achtsamkeit. Dann begann es langsam mit ein bis zwei Studien pro Jahr, die sich mit dem Thema beschäftigten.
Anfang der 2000er Jahre nahm das Interesse deutlich zu. Die Anzahl der Studien stieg exponentiell an. Das zeigt, dass vor allem die psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Wissenschaft sich plötzlich sehr für Achtsamkeit interessierte und zahlreiche Studien dazu durchführte. Auf der Grundlage dieser Studien etablierte sich das Thema Achtsamkeit zunehmend.
Dabei war man sich oft gar nicht mehr bewusst, welche religiös-spirituellen Hintergründe darin stecken. Buddha sagt beispielsweise, dass Achtsamkeit allein zum Ziel führt – also zu dem, was wir als Heil oder als Endziel unseres Daseins betrachten würden. Im Dhammapada, Strophe 21, sagt Buddha: „Achtsamkeit ist der Weg zum Todlosen“. Das bedeutet, dass man durch Achtsamkeit das Leiden des Todes nicht mehr durchmacht, sondern den Tod besiegt. Dieses Ziel nennt man Nirwana, was vielen vielleicht schon ein Begriff ist.
Die Unachtsamkeit hingegen führt zum Tod. Wenn ich nicht achtsam durchs Leben gehe und mich nicht um Achtsamkeit bemühe, dann nimmt das Leiden immer mehr zu und geht immer mehr auf mich über. Wer achtsam lebt, stirbt nicht mehr.
Das klingt vertraut, erinnert aber an eine andere Aussage aus der Bibel. In Johannes 11 steht: „Wer an mich glaubt, der stirbt nicht mehr. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“ Hier hängt es an einer Person, während im Buddhismus die Methode entscheidend ist.
Der Buddhismus ist zwar eine Religion, aber vor allem ein Lebensweg und eine Lebenshaltung. Er kennt keinen Gott, und doch kennt er alle Götter – ähnlich wie der Hinduismus. Der Unachtsame ist schon wie tot. Wer nicht achtsam lebt, ist ein lebendig Toter.
In der Bibel heißt es, wer Jesus nicht hat, der ist schon tot. Doch es gibt einen Weg aus diesem Tod. Dieser Weg führt nicht über ein angestrengtes Bemühen, achtsam durchs Leben zu gehen, sondern über den Glauben an Jesus Christus. Wer auf ihn vertraut, der geht vom Tod zum Leben über und lebt, auch wenn er stirbt.
Hier steht also ein unglaublicher Gegenentwurf: Im Buddhismus ist es die Methode der Achtsamkeit, die zum Leben führt. Im Christentum ist es der Glaube an Jesus Christus, der den Tod überwindet und neues Leben schenkt.
Einer der Vordenker der Achtsamkeit war ein deutscher Guru, der jedoch bereits verstorben ist. Er sagte: Der Ausgangspunkt und Endpunkt der Heilsbotschaft des Buddha sowie das Kernstück seiner Geistlehre liegt in jenem einfachen Mahnwort „Sei achtsam“.
Wenn also gesagt wird, du musst achtsam sein und achtsam leben, dann hast du dich auf dem Weg des Buddha begeben. Denn das ist der komplette Heilsweg im Buddhismus.
Es gibt jedoch auch kritische Blicke auf diese ganze Achtsamkeitsgeschichte. Im Tagesspiegel vom 19.08.2019 findet sich eine etwas kritische Abhandlung. Dort steht, für den Oberguru Kabasin – das ist der Entwickler der Achtsamkeitsmethode in der Psychologie – steht fest: Achtsamkeit ist die einzige Chance der Menschheit, ihre Denkkrankheit und ihr kollektives Aufmerksamkeitsdefizit zu überwinden und die nächsten Jahrzehnte zu überleben.
Also nur durch Achtsamkeit wird die Menschheit überleben, nicht nur diejenigen, die jetzt Achtsamkeit üben. Diejenigen, die Achtsamkeit praktizieren, werden überleben, die anderen sind quasi schon tot.
Die Ursache für den Stress wird jedoch nicht in Frage gestellt, sondern nur das Anpassungsvermögen des Individuums. Das Leiden wird dadurch dekontextualisiert oder als vollendete Tatsache anerkannt, was eine Scheuklappenmentalität verursacht.
Es wird also alles Leiden ausgeblendet, denn es darf keine Emotionen bei mir erzeugen. Es darf nicht an mich herankommen, sonst zieht es mich hinein. Durch Achtsamkeit blende ich das aus.
Deshalb gibt es in der Achtsamkeit auch keine Vergangenheit und keine Zukunft, sondern nur eine Gegenwart. Ich lebe immer im Hier und Jetzt. Wenn ich mich mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftige, bedeutet das Ich-Anhaftung. Das kann unter Umständen Leiden verursachen, wenn ich sehe, was auf uns zukommt oder was ich hinter mir habe.
Diese Scheuklappenmentalität lässt die wahren Probleme außer Acht. Das Ich wird gleichsam zum Sündenbock und zur eigenen Rettung – je nachdem, ob du Achtsamkeit betreibst oder nicht.
Weiter heißt es: Achtsamkeit ist ein Bewältigungsmechanismus, aber kein guter. Sie setzt einen auf eine Empfindlichkeitsstufe, auf der man den Anschein der Funktionstüchtigkeit wahren kann, selbst noch kurz vor dem innerlichen Kollaps.
Sie gaukelt Normalität vor, wo eigentlich Empörung angebracht wäre. Sie macht überforderte Arbeitnehmer zu Bewusstseinsunternehmern, die ihren eigenen Körper so resilient machen wollen, dass sie Strapazen gehorsam über sich ergehen lassen – mehr noch, damit sie besser werden als die Konkurrenz.
Das Ziel, warum Achtsamkeit in großen Unternehmen proklamiert und praktiziert wird, ist also, dass diejenigen, die mitmachen, im Grunde genommen willenlos werden, sagt der Tagesspiegel.
Und das bereitet mir dann doch etwas Kummer.
Die Frage lautet nun, und das ist etwas, bei dem ich mir viel sicherer fühle: Ist Achtsamkeit mit dem christlichen Glauben vereinbar?
Wir haben bereits festgestellt, dass es Aspekte gibt, die positiv sind – etwa Atemübungen oder die Möglichkeit, einmal abzuschalten von dem, was um einen herum geschieht.
Stephan Jäger zieht als Resümee: Es liegt auf der Hand, dass Achtsamkeit als methodisch praktizierter Heilsweg im buddhistischen Sinn mit dem christlichen Glauben kaum vereinbar ist. Dies liegt daran, dass sich sowohl das Gottes- und Menschenbild als auch die Beschreibung des Heilsziels deutlich unterscheiden.
Mich hat überrascht, dass er zu einem so klaren Resümee kommt. Dieses Resümee kann man unter anderem in einer Schrift nachlesen, die die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin zum Thema Achtsamkeit herausgegeben hat.
Übrigens ist Meditation ein Teil der Achtsamkeit. Wenn ich also derzeit mehr über Achtsamkeit spreche, bedeutet das nicht, dass ich nichts mehr über Meditation sage.
Meditation lasse ich mir jedoch nicht aus der Hand nehmen. Ich glaube, dass sie im Ursprung etwas Christliches ist.
Achtsamkeit im Neuen Testament...
Gibt es im Neuen Testament Achtsamkeit? Und ja, sie gibt es. Ich habe nur zwei Bibelstellen genannt und weitere darunter aufgeführt: „Acht auf dich selbst und die Lehre“.
Wir müssen also achtsam mit uns umgehen und auf uns Acht geben. Aber das geschieht in Verbindung mit der Lehre der Bibel. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Der Buddhismus würde sagen, es geht gar nicht darum, auf etwas von außen zu achten; alles soll an einem vorbeiziehen.
In Apostelgeschichte 20, in der Abschiedsrede vor den Ältesten in Ephesus, sagt Paulus: „Habt Acht auf euch selbst und auf die Herde“. Ich finde es bemerkenswert, dass an beiden Stellen das „Habt Acht auf euch selbst“ am Anfang steht.
Ich glaube nicht, dass das etwas mit Selbstverliebtheit oder Selbstbewusstsein zu tun hat. Wenn ich angeschlagen bin, wenn ich eine Baustelle habe – darauf werden wir gleich noch eingehen – dann kann ich nicht der Herde vorstehen.
Deshalb sind auch die Anforderungen, die wir in 1. Timotheus 3 über die Ältesten lesen, sehr hoch. Sie erfordern, dass man sein Leben in Übereinstimmung mit der Lehre, dem Wort Gottes und der Gemeinschaft der Geschwister führt. Man lebt nach den Vorgaben des Gesetzes Christi.
Diese Anforderungen sind streng. Ich führe als Ältester, in diesem Fall – denn es ist an die Ältesten gerichtet – eine Herde in die Zukunft. Es gibt eine Zukunft, aber auch eine Vergangenheit, aus der ich komme. In dieser Vergangenheit spielte die Bibel eine wichtige Rolle, ebenso wie die ganze Tradition des Christseins.
Auch im Alten Testament gibt es Achtsamkeit. Ich war wirklich überrascht, wie oft das Verb „achten“ dort vorkommt, mehr als ich gedacht hätte. Es findet sich vor allem in den Psalmen und in der Weisheitsliteratur, also in Prediger, Sprüche und anderen Büchern.
Außerdem gibt es es in den Abugrüfen, besonders bei Sirach. Dieses Buch gehört allerdings nicht zu unserem protestantischen Kanon. Luther hat gesagt, es sei trotzdem gut zu lesen, und ich glaube, gerade in diesem Fall ist es wertvoll, es zu lesen.
Jetzt möchte ich gerne einen kurzen Vergleich zwischen christlicher Meditation und buddhistischer Meditation anstellen. Dabei soll letztendlich auch ein Vergleich zwischen Christentum und Buddhismus gezogen werden.
Christliche Meditation...
Christliche Meditation dreht sich um die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott und um Beziehung.
Achtsamkeit und buddhistische Meditation sehen sich hingegen nicht in erster Linie als Beziehung. Beziehung wird hier oft als schädlich betrachtet, weil sie Leiden verursachen kann. Außerdem gibt es in dieser Sichtweise keine Beziehung zu einem Gott. Stattdessen gilt der Mensch selbst als göttlich, ebenso wie jedes andere Lebewesen. Man ist sozusagen ein göttlicher Kosmos für sich. Deshalb entsteht im Grunde genommen keine Beziehung, denn sie ist auch nicht darauf ausgelegt.
In der christlichen Meditation reden wir mit Gott, hören auf ihn und sprechen mit ihm. Wir lesen die Bibel und beten, vielleicht auch in der Stille. Dabei haben wir ein Gegenüber: unseren Herrn Jesus Christus und Gott. Wir haben eine Beziehung.
Wenn man eines der großen Hauptworte der Bibel nennen möchte, dann ist es bestimmt das Wort Beziehung. Beziehung zu Gott, Beziehung zu mir selbst, Beziehung zu anderen Menschen und auch Beziehung zu den nicht belebten Dingen oder zu den Lebewesen und allem, was es gibt.
Im Buddhismus gibt es keinen Gott, sondern nur Göttlichkeit – ohne ein Ich und ohne ein Du. Das bedeutet, dass ich nicht einmal eine Beziehung zu mir selbst haben darf. Denn sobald ich eine Beziehung zu mir aufbaue, könnte das wieder Leiden verursachen. Wenn ich zum Beispiel wahrnehme, dass mein Bauch weh tut, entsteht daraus Leiden.
Es handelt sich also um ein unpersönliches Bewusstsein, ein beziehungsloses Bewusstwerden und Bewusstsein.
In der christlichen Meditation beschäftigen wir uns mit Gottes Wort. Dabei sinnen wir über Gottes Wort nach und meditieren darüber. Wie man das genau machen kann, wird später noch erläutert.
Im Buddhismus hingegen geschieht etwas ganz anderes. Das Ziel der Achtsamkeit ist, das Denken vollständig auszuschalten. Es geht darum, einen Zustand zu erreichen, in dem kein Denken mehr stattfindet. In diesem Zustand ziehen alle Eindrücke an mir vorüber, ohne dass ich sie wahrnehme.
Unter dem Stichwort Achtsamkeit hört man oft die Aufforderung: Seien Sie ganz bei sich, denken Sie nichts mehr, seien Sie nur bei sich.
Wie ist das bei der christlichen Meditation mit dem Reden? Natürlich sollen wir reden, denn wir sollen ja mit Gott kommunizieren. Wir sollen unsere Mitmenschen, unsere Anliegen, unsere Freuden und unseren Dank zu Gott bringen.
Ich möchte dazu etwas sagen, das ich eigentlich schon fast amüsant fand, das mich aber im Grunde genommen doch bewegt hat. Es war in einer Achtsamkeitsgruppe, wo ich während der Meditation etwas ausgebrochen bin und mein eigenes Ding gemacht habe.
Wir hatten dort eine Achtsamkeitsübung, die folgendermaßen ablief: Wir bekamen ein paar Bohnen in die Hand, und dann wurde uns gesagt: „Machen Sie jetzt einen Spaziergang, gehen Sie raus, und jedes Mal, wenn Sie für etwas danken, nehmen Sie eine dieser Bohnen in die andere Hand. Wenn die Bohnen in der anderen Hand sind, machen Sie es umgekehrt, jedes Mal, wenn Sie zu danken haben.“
Dabei dachte ich: Moment, danken – das bezieht sich doch auf jemanden. Ich danke doch nicht einfach für das Grün der Bäume, sondern ich habe jemanden als Ansprechpartner meines Dankes, der mir etwas Gutes getan hat und dem ich danke. Ein Kind steht doch nicht beim Metzger und sagt „Danke“, obwohl es gar keine Wurst bekommen hat. Erst wenn es eine gewisse Wurst bekommen hat, sagt es zur Verkäuferin hoffentlich „Dankeschön“.
Aber das ist beziehungslos, das ist Danken in die Luft hinein. Was habe ich gemacht? Sie ahnen es: Natürlich habe ich die Übung gemacht. Ich finde die Übung gut, aber ich danke meinem Gott, ich bete – das ist doch logisch.
Also breche ich aus diesem buddhistischen Hintergrund des reinen „Ganz bei sich Seins“ aus und besetze das mit meinem christlichen Glauben und meiner christlichen Meditations- oder Achtsamkeitspraxis. Übrigens bin ich immer noch auf der Suche nach einem Wort, das man als Alternative verwenden kann.
Ich bin so auf dem Dreh, dass ich sage: Das Christliche ist Besonnenheit. Nicht Achtsamkeit, sondern Besonnenheit. Ich besinne mich, ich schalte mein Denken ein, ich besinne mich auf meinen Gott, auf die Beziehung, die ich zu ihm habe.
Das wird ja ganz oft verwendet: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Und da können wir wahrscheinlich mit „Besonnenheit“ am wenigsten anfangen. Vielleicht liegt das daran, dass wir das ausgeblendet haben, was die Buddhisten ganz massiv hineingebracht haben.
Also, wenn Sie einen Begriff haben, der irgendwie den christlichen Lebensstil oder das christliche Leben kennzeichnet, bin ich sehr dankbar. Aber mir scheint „Besonnenheit“ zumindest in die richtige Richtung zu weisen.
Jetzt sind wir bei der inneren Sammlung. Wenn wir uns auf der Basis des Bibellesens gesammelt haben, werden wir mit der eigenen Hölle, mit der eigenen Sünde konfrontiert. Ich lese die Bibel und merke, dass ich diesem Standard nicht entspreche. So werde ich mit meiner eigenen Unzulänglichkeit, meiner eigenen Sünde und meiner eigenen Hölle konfrontiert.
Wie ist das im Buddhismus? Der Buddhismus sieht ebenfalls die eigene Hölle, lässt sie aber vorüberziehen und beschäftigt sich gar nicht weiter damit. Sobald man sie an sich heranlässt, verursacht das Leiden. Und der Buddhist hat keinen Ausweg, wohin er mit seinem Leiden gehen kann.
Der Christ kann leiden und weiß, wohin er mit dem Leiden hingeht, weil er einen Herrn hat, der gelitten hat. Der Buddhist hat keinen Herrn, der gelitten hat. Für Buddhisten ist Leiden zu eliminieren, indem man es ignoriert.
Buddhisten sollten jetzt zuhören, denn das, was ich sage, ist sicherlich verbesserungswürdig. Natürlich erkennen wir durch das Wahrnehmen unserer inneren Hölle die Sünde. Und nicht nur erkennen wir sie, sondern wir haben auch einen Ansprechpartner. Wir können die Sünde bekennen, und dann ist sie weg. Sie verursacht kein Leiden mehr, weil Christus sie wegnimmt.
Im Buddhismus gibt es keine Vergebung und keine Veränderung. Deshalb darf der Buddhist diese Sünde gar nicht an sich heranlassen. Vielleicht haben Sie es schon bemerkt: Immer mehr Menschen sagen, sie empfinden überhaupt keine Sünde, sie haben gar keine Sünde.
Das hängt zwar mit dem Buddhismus zusammen, aber ursprünglich mit Achtsamkeit. Der achtsame Mensch lässt die Sünde nicht an sich heran. Für ihn gibt es keine Sünde, weil es auch keine Vergebung gibt. Er hat keine Bewältigungsstrategie, außer das Ganze nicht an sich heranzulassen und bei sich selbst zu bleiben.
Der Empfang des Lebens im christlichen Glauben
Der Empfang des Lebens geschieht durch den Sühnetod Jesu und durch die Vergewisserung durch den Heiligen Geist. Dieser Geist sagt uns immer wieder: Ja, du bist erlöst durch Jesus.
Im Buddhismus gibt es keinen Empfang des Lebens. Das Leben ist bereits da. Wenn ich an meinem Ich-Anhaften festhalte, habe ich das Leben. Wenn ich jedoch nicht achtsam bin, bin ich bereits tot. Der Achtsame lebt, der Unachtsame ist tot, sagt Buddha. Das bedeutet, das Leben entscheidet sich letztlich danach, wie achtsam ich bin und wie sehr ich in dieser Achtsamkeit auch die Meditation pflege.
Leiden und Sterben oder überhaupt Leiden gehören im Christentum zum Leben. Wir wissen, dass wir leiden müssen – im schlimmsten Fall, wenn wir verfolgt werden. Das Leiden und Sterben Jesu ist uns dabei vor Augen. Daran orientieren wir uns, und es dient zur Erlösung. So sagt es ein Liederdichter zur Freude in allem Leide.
Der Christ kann sich trotz des Leidens in der Welt und des eigenen Leidens freuen, weil er weiß: Das hat der im Griff, der selbst gelitten hat.
Im Buddhismus ist das Leiden Teil dieser Welt, soll aber durch Achtsamkeit und Meditation eliminiert werden. Das hatten wir schon ein paar Mal erwähnt.
Im Christentum spricht Gott durch Geschichte. Die Bibel ist ja zu einem großen Teil Geschichte, aus der wir lernen können. Gott spricht durch die Geschichte und gibt Hoffnung für die Zukunft, indem er uns das ewige Leben schenkt.
Hoffnung ist dabei nicht etwas, das vielleicht kommt. Hoffnung ist die Gewissheit, dass es schon da ist, ich es aber noch nicht ergriffen habe.
Für uns ist der Blick in die Geschichte sehr wichtig, um zu erkennen, wie unser Gott ist und wie er handelt. Für uns ist die Perspektive des ewigen Lebens der Grundinhalt unseres Glaubens.
Der Buddhismus lebt nur im Hier und Jetzt. Er kennt nur die Gegenwart. Das hat natürlich Auswirkungen bis in die Gestaltung des Lebens hinein.
Es gibt eine Testfrage, die anscheinend Gurus ihren Schülern stellen: Sie fragen ihre Schüler, wo sie ihre Schuhe hingestellt haben. Wenn der Schüler antwortet: „Draußen vor der Tür“, hat er den Test nicht bestanden, weil er sich an die Vergangenheit erinnert hat. Ganz trivial, aber gerade am Trivialen wird es oft anschaulich.
Im Christentum gibt es keine religiösen Leistungen, durch die wir uns das Heil aneignen können. Es gibt nur die Annahme und den Dank für Geschenke. Gnade bedeutet nichts anderes als Geschenke, Charis.
Alles, was ich bekomme, bekomme ich durch meinen Herrn. Ich muss mir nichts verdienen. Alles ist Gnade, alles ist Geschenk.
Im Buddhismus dagegen ist Anstrengung wichtig. Um zum Heil zu gelangen, muss ich Achtsamkeit üben und meditieren. Sonst bekomme ich kein Heil.
Wir merken in dieser Gegenüberstellung, wie sich das Christliche, wie es in der Bibel dargestellt wird, und die buddhistische Tradition mit ihrer Meditation sehr konträr zueinander verhalten.
Das habe ich eigentlich schon gemacht, was ich gerade gezeigt habe. Jetzt wollen wir uns einmal damit beschäftigen, welche Alternativen es gibt und wie man mit Achtsamkeit umgehen kann, wenn man beispielsweise in einem Kurs, im Betrieb oder in einer Reha ist.
Es ist dabei völlig egal, in welcher Reha Sie sind – ob es eine psychische oder eine körperliche Reha ist. Achtsamkeitskurse werden Sie dort immer finden.
Zunächst möchte ich die Achtsamkeit auch ein Stück weit würdigen. Achtsamkeit und Meditation haben tatsächlich einen Effekt. Es hilft wirklich, diese Atemübungen zu machen. Sie helfen dabei, sich ein wenig von allem, was um einen herum geschieht, zu lösen. Das wirkt sich positiv aus.
Sie können damit beispielsweise Blutdruck und Puls beeinflussen. Und noch vieles mehr, wie die Verdauung und andere Körperfunktionen. Es handelt sich also nicht nur um eine eingebildete Wirkung, sondern um eine tatsächliche Auswirkung auf die Gesundheit eines Menschen.
Die Frage ist, ob derjenige, der gesund macht, auch Recht hat. Ich glaube das nicht, aber in unserer Gesellschaft ist es so, dass der, der heilt, immer Recht hat. Wenn also Achtsamkeit, Meditation oder Buddhismus heilt, dann hat auch der Buddhismus Recht.
Die positiven Wirkungen sind da, und ich glaube, dass das Anliegen dahinter ehrlich ist. Sie haben es selbst erlebt: In Achtsamkeitsübungen wurde sogar der Puls gemessen und verschiedene Werte aufgezeichnet. Dabei kann man tatsächlich Blutdruck und Puls senken. Das ist wirklich erstaunlich.
Es gibt aber auch Alternativen. Zunächst möchte ich eine kleine Korrektur vornehmen: Es heißt nicht Jakobusen, sondern Jakobsen. Die progressive Muskelentspannung nach Jakobsen ist meiner Ansicht nach eine gute Alternative.
Diese Methode ist überhaupt nicht ideologisch besetzt. Dabei geht es darum, einzelne Muskelpartien anzuspannen, die Anspannung zu halten und dann wieder zu entspannen. Der Hintergrund ist, dass die Muskeln im ganzen Körper lernen, wie es sich anfühlt, entspannt zu sein.
Das geschieht durch das Anspannen. Die meisten Menschen haben das ohnehin schon einmal erlebt. Wenn sie dann entspannen, spüren sie ein Gefühl, das sie vielleicht schon lange nicht mehr hatten.
Die progressive Muskelentspannung nach Jakobsen sehe ich als eine gute Alternative. Sie wird oft in Reha-Einrichtungen angeboten. Dort können Sie auch sagen: „Diese Achtsamkeit ist nicht so meins, ich möchte lieber Muskelrelaxation nach Jakobsen.“ Dann werden Sie in eine entsprechende Gruppe eingeteilt, wo Sie auf dem Boden liegen, Ihre Muskeln entspannen und alles ist gut.
Bei der Feldenkreismethode ist das etwas anders. Hier versucht man, den Körper wahrzunehmen und das Gefühl für den Körper wiederzuerlangen. Diese Methode ist ebenfalls nicht ideologisch oder spirituell belastet. Es geht einfach darum, den eigenen Körper wieder bewusst wahrzunehmen.
Die Feldenkreismethode findet man eher selten in Reha-Einrichtungen, aber die progressive Muskelentspannung nach Jakobsen gibt es dort eigentlich immer – ähnlich wie Achtsamkeit.
Eine weitere Methode ist das autogene Training. Der Effekt ist beeindruckend, tatsächlich. Allerdings ist die wissenschaftliche Belegung nicht so gut wie bei der Muskelrelaxation nach Jakobsen.
Für autogenes Training muss man zunächst in einen Trancezustand versetzt werden. Das ist eine Art Selbsthypnose, um diesen Zustand zu erreichen. Dabei habe ich persönlich meine Schwierigkeiten und würde diesen Zustand ungern erreichen.
Nach dem Trancezustand folgen Übungen, und man muss vor allem wieder sicher aus diesem Zustand zurückkehren können. Das gelingt nur unter Anleitung. Deshalb rate ich dringend davon ab, autogenes Training allein mit Kassetten, MP3s oder Streaming-Diensten zu machen.
Wenn Sie autogenes Training praktizieren möchten, tun Sie das bitte unter Anleitung, damit Sie sicher und gut aus dem Trancezustand zurückkommen.
Ich kann nur sagen: Ich würde autogenes Training nicht machen, weil ich bei Sinnen bleiben möchte, um es einmal so auszudrücken.
Sollen Christen Achtsamkeitstraining machen? Ich erinnere an den Vers aus 1. Korinther 10,23-24. Paulus spricht dort zunächst über das Götzenopferfleisch. Soll man es essen oder nicht? Das ist vergleichbar mit der Frage nach Achtsamkeitsübungen. Paulus sagt: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles nützt. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf.“ Denkt dabei nicht an euch selbst, sondern an die anderen. Habt vor allem die anderen im Blick.
Ich glaube, ich kann nicht allgemein sagen, ob Sie an Achtsamkeitsübungen teilnehmen sollen oder nicht. Ich gebe Ihnen gleich meine persönlichen Konsequenzen, die Sie gerne übernehmen können. Achtsamkeit hat etwas für sich, aber meiner Ansicht nach auch viel dagegen. Ich habe beschlossen, das, was mir nicht zusagt, so gut es geht auszuklammern und mit anderem zu füllen. Ob das der richtige Weg ist, kann ich nicht sagen.
Wenn Sie aufgrund dessen, was ich aufgezeigt habe, sagen: „Das ist mir zu buddhistisch“, dann lassen Sie es. Dann ist es für Sie nicht nützlich und baut auch nicht auf. Wenn Sie in einer therapeutischen Einrichtung oder in einer Reha sind, dann ist es wirklich der richtige Weg zu sagen: „Das ist nicht mein Ding, das passt für mich nicht.“
Ein Beispiel: Ich war in einer Reha eingeteilt in Qigong. Qigong hat seine Wurzeln im Buddhismus und in der Achtsamkeitsgeschichte. Qigong ist total populär, und viele Leute entspannen sich dabei. Ich habe die erste Stunde mitgemacht, Übungen gemacht und mich komplett verspannt. Keine Ahnung warum. Ich bin zum Qigong-Leiter gegangen und habe gesagt: „Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das scheint nicht meins zu sein. Ich verspanne mich total.“ Das hat ihn überrascht, aber es war wirklich so. Ich habe die Gruppe verlassen und bin in eine andere gewechselt, vermutlich Muskelrelaxation oder so etwas.
Es ist nicht so, dass einem diese Übungen aufgedrängt werden. Wenn das in einer Reha doch der Fall wäre, dann wäre die Reha nichts wert. Man lässt die Freiheit, und das muss man wissen. In christlichen Köpfen hält sich oft die Vorstellung, in einer Reha werde einem der Glaube kaputt gemacht. Das Gegenteil ist der Fall. In der Psychotherapie wird heute das eigene Spirituelle, das ein Mensch mitbringt, zur Genesung eingesetzt.
Ein weiteres Beispiel: Ich habe den Therapeuten gesagt, dass ich nebenher meine eigene Therapie mache. Ich lese die Bibel, bete, denke an viele Menschen und bin in der Gegenwart meines Herrn. Die Therapeuten fanden das wunderbar und toll. Es gibt nicht mehr die Vorstellung von einer ekklesiogenen Neurose, die es ohnehin nicht gibt. Spirituelle Elemente werden eher eingebaut, und darin sehe ich eine Chance.
Deshalb habe ich für mich folgende Konsequenzen gezogen – persönliche Konsequenzen, die Sie gerne übernehmen können: Im Rahmen einer ärztlich verordneten Reha kann ich an Achtsamkeitsübungen teilnehmen, und das tue ich auch. Ich fülle die Übungen jedoch mit meinen christlichen Inhalten. Bei einer Dankübung zum Beispiel danke ich Gott, meinem Herrn Jesus. Ich gehe durch den Wald vor der Tür, schaue die Blumen an, denke an meine Familie und danke meinem Herrn. Das macht mich sehr beglückt.
Zur Achtsamkeitsgruppe frage ich mich, wem die anderen gedankt haben. Bei einer Meditation, wenn gesagt wird: „Lassen Sie alles, seien Sie ganz bei sich“, dann bin ich ganz bei meinem Herrn, bei Jesus. Wie mache ich das? Ich bete und rufe mir Bibelsprüche oder Liedverse in Erinnerung, die ich auswendig kann. Es ist eine gute Übung, einfach mal zu denken: „Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Das fällt mir spontan ein.
Diese Bibelstellen – das wissen meine Studenten – fallen mir nicht in Zahlen ein. Sie waren ursprünglich auch nicht in der Bibel, aber Bibelsprüche kommen mir in den Sinn. Ich lasse das zu, denke über die Bibelworte nach und danke dem Herrn: „Danke, dass du mir dieses Wort gegeben hast.“ Ich fülle die Übungen mit meinen christlichen Anliegen, mit dem, was die Beziehung zu meinem Herrn stärkt. Nicht mit einem beziehungslosen Vorübergehenlassen.
Das ist übrigens interessant: Das wurde bisher immer akzeptiert. Wenn Übungen verlangt werden, die mir nichts nützen oder mich belasten, sage ich, dass es nicht meins ist. Das wird immer akzeptiert. Ich habe noch nie erlebt, dass gesagt wurde: „Man macht es trotzdem, das ist hier so.“ Ich würde dann auch sofort gehen, ehrlich gesagt. Ich würde mich sogar beschweren. Aber ich musste das noch nie, es wurde immer akzeptiert.
Ich kommuniziere ehrlich und ohne Überheblichkeit meinen christlichen Glauben. Einmal wurde gefragt: „Was ist das Ziel Ihres Lebens?“ Wir saßen im Kreis bei einer Achtsamkeitsübung, und jeder sagte sein Lebensziel. Das war für mich ein Augenöffner, wie wenig die Ziele wirklich Sinnziele sind. Ich sagte: „Das Ziel meines Lebens ist, bei Jesus zu sein, nach meinem irdischen Leben.“ Verrückterweise wurde diese Übung zweimal gemacht, und eine Frau saß bei beiden Übungen dabei.
Kurz vor Ende der Reha kam sie auf mich zu und sagte: „Das lässt mich nicht los, was du da gesagt hast. Ich muss dringend wissen, wie man dieses Lebensziel erreicht.“ Ich konnte ihr zwei Stunden lang bei einem Spaziergang davon erzählen. Ob sie es angenommen hat, weiß ich nicht. Ich halte mich nicht zurück, versuche es aber so zu formulieren, dass die Leute nicht durch meine Sprache oder meinen Duktus denken, ich sei überheblich oder der Besserwisser. Christen sind nicht besser, aber sie sind besser dran – das ist Unsinn und Überheblichkeit.
Ich sage das ganz ehrlich in aller Bescheidenheit und Demut, und es wurde bisher akzeptiert. In der freien Zeit – das habe ich schon angedeutet – habe ich meine eigenen geistlichen Übungen. Ich lese die Bibel, halte Stille. Das ist wunderbar und kann man in solchen Rehas gut machen. Ich bete, mache Dank- und Gebetsspaziergänge, und das wirkt sehr befruchtend bei solchen Maßnahmen. Ich denke mit großer Freude daran zurück.
Ich kommuniziere ehrlich meinen Glauben und begegne den Menschen offen. Es gab auch Gegenwind. Einmal erzählte ich etwas sehr Persönliches bei einer Übung, und es kam Lachen von einer Seite. Ich sagte daraufhin ehrlich: „Ich finde es nicht gut, dass du gelacht hast. Das hat mich verletzt, das war auch intolerant.“ Ich habe offen gesagt, was ich empfand, und dass das Lachen nicht geht. Das war peinlich für diejenige, sie entschuldigte sich. So etwas muss man kommunizieren.
Ich bitte um Akzeptanz und lehne Diskriminierung, auch gegenüber mir, ab. Wir sagen oft, Diskriminierungsgesetze seien nur für andere. Nein, sie sind auch für uns, wir müssen sie nur für uns nutzen. Dann werden wir sehen, dass wir berücksichtigt werden.
Vor dem Essen habe ich auch Achtsamkeitsübungen praktiziert. Ich habe fürs Essen gedankt. Das ist sogar eine Achtsamkeitsübung: Vor dem Essen sitzen, wahrnehmen, dass das Essen gut ist, dass ich es jetzt aufnehme und dass dafür Pflanzen und Tiere sterben mussten. Ich nehme es mit diesem achtsamen Bewusstsein auf, danke und esse es – egal ob Fleisch, Wurst oder Gemüse. Frisch esse ich alles.
Wir sollten auch hier keine Hemmnisse mehr haben. Ich glaube, es ist inzwischen selbstverständlich, zum Essen zu beten. Das ist im Chor der Spiritualität eine Art Kurzmeditation.
Der Buddhismus – so sagt Stephan Jäger – macht Defizite in der christlichen Frömmigkeitspraxis allerdings auch deutlich. Und da möchte ich jetzt zum Schluss noch ein paar Dinge einfach aufzeigen.
Stephan Jäger schreibt: Die buddhistische Achtsamkeitspraxis erinnert daran, dass auch christliche Lebensgestaltung eine regelmäßige Übung bedarf. Wisst ihr, die Buddhisten – das hat mich immer fasziniert – egal ob es der Schamane war. Der war jetzt kein Buddhist, als Schamane war er mein Krankengymnast, aber ich habe sehr offen mit ihm kommuniziert. Und dann der Buddhist: Die machen das mit einer Disziplin, die mich immer fasziniert hat. Und ich habe diese Disziplin nicht, und das beschämt mich. Also regelmäßig, immer zugleich, da kann kommen, was will, das machen die strikt.
Und das Neue Testament sagt uns doch auch: Übe dich in der Frömmigkeit. Und da fängt es ja schon an: Was ist Frömmigkeit? Wie macht man eine Übung in der Frömmigkeit? Schon da sagen wir: Keine Ahnung, wie man das macht. Uns fällt vielleicht noch Bibel lesen und beten ein, aber dann hört es schon auf.
Üben heißt übrigens Aszeo. Askese kommt davon. Denn die Frömmigkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des künftigen Lebens. Also diese Übungen der Frömmigkeit befruchten das diesseitige Leben und das jenseitige.
Und wir wissen nicht, wie man es macht. Also ich zumindest tue mir schwer, mir zunächst etwas darunter vorzustellen. Ich habe mir viele Gedanken gemacht in den letzten Tagen, habe viel gelesen über das und bin auf manchen vielleicht Schatz gestoßen.
Zunächst bin ich bei Dietrich Bonhoeffer fündig geworden. Ehrlich gesagt, bin ich eigentlich bei Luther fündig geworden, aber bei Luther ist mir seine Meditation noch etwas unverständlich, weil die letzte Stufe seiner Meditation Anfechtung ist. Ich frage mich nur immer, was er damit meint. Ich habe es noch nicht ganz gecheckt, aber das liegt bestimmt an meinem begrenzten Hirn.
Bei Bonhoeffer hat mir das eher eingeleuchtet. Es gibt einen ganz wunderbaren Text, der allerdings schwer zugänglich ist. Für ihn ist Meditation immer Schriftmeditation. Er sagt, es gibt freie Meditation, also dass ich einfach so hinsitze und meinen Gedanken freien Lauf lasse, oder es gibt Meditation auf der Basis der Heiligen Schrift. Und da sagt Bonhoeffer: Das ist etwas für uns.
Wie baut er seine Zeit der Meditation auf? Zunächst betet er. Er bittet um die Wirkung des Heiligen Geistes, um Sammlung für sich und auch für alle anderen, die meditieren. Dann liest er die Bibel und meditiert diesen Bibeltext.
Was bedeutet das? Er liest ihn mehrfach, er denkt darüber nach – und zwar auf gar keinen Fall akademisch. Also er versucht nicht, das irgendwie exegetisch zu ergründen oder irgendwelche Bibellexika zu wälzen. Er sagt: Das ist das Reden Gottes zu mir ganz persönlich aus seinem Wort.
Wir sind sehr kognitiv veranlagt und denken sofort über die Zusammenhänge nach, wie das jetzt ist und was das bedeutet, anstatt dass wir es einfach mal auf uns wirken lassen und sagen: Herr, was hast du mir jetzt zu sagen? Und vielleicht auch mal danken, dass das jetzt da drinsteht, ohne dass wir es bis in die letzten Tiefen eruiert haben.
Er sagt in dem Text ganz bewusst: Lasst das akademische Nachdenken. Und dann hat er auch Gebet während der Meditation. Er redet mit Gott über das, was er liest, er redet mit Gott über diesen Text.
Gebet hat – ich komme immer mehr darauf – weniger mit Bitten zu tun, als mit einer Audienz, die wir mit Gott haben, wo wir in einen Dialog mit Gott eintreten. Ich glaube, dass wir da keine Stimmen hören. Mir reicht es, wenn so ein Wort zu mir spricht. Da habe ich genug zu knabbern.
Zum Schluss seiner Meditation spricht er ein Dankgebet.
Ihr werdet merken: Das unterscheidet sich nicht sonderlich von eurer stillen Zeit. Genau, aber er macht es immer gleich. Er hat dieses Raster und er macht es immer zur gleichen Zeit. Für ihn ist das sehr wichtig – nicht diese Routine, sondern diese Verlässlichkeit. Er sagt: Das brauche ich, das brauche ich als Theologe insbesondere.
Und das fand ich auch interessant: Er sagt, die Texte sind viel zu wertvoll, als dass wir jeden Tag einen neuen Text lesen und uns damit beschäftigen. Er gibt den Rat: Beschäftigt euch doch mal eine Woche lang mit dem gleichen Text. Meditiert jeden Tag so durch, wie es hier steht.
Ich finde das eine ganz interessante Anregung. Er sagt allerdings auch: Macht das nicht mit einem Text, den ihr irgendwo in der Gemeinde dann zu predigen oder eine Andacht zu halten habt. Sondern macht es mit einem Text, der nur für euch da ist.
Jetzt möchte ich etwas weiter ausholen. Ich habe darüber nachgedacht, welche anderen Tools oder Alternativen wir neben der Achtsamkeit anbieten können. Es tut mir sehr weh, dass wir als Christen so in die Defensive geraten sind. Obwohl wir einen großen Schatz an spirituellen Werkzeugen haben – ich nenne sie jetzt mal neutral „spirituelle Tools“ – warum bringen wir das nicht mehr unter die Leute? Warum gehen wir nicht mehr in die Offensive?
In den einschlägigen Büchern und Zeitschriften über Psychologie und Psychotherapie stoße ich immer wieder darauf, dass empfohlen wird: Wenn Sie Entspannung suchen, dann gehen Sie in einen liturgischen Gottesdienst. Nicht in einen freikirchlichen Gottesdienst, dem ich mich zugewandt fühle, sondern in einen mit immer demselben Ablauf. Nicht immer dasselbe im Inhalt, aber der Ablauf ist verlässlich. Ich muss mich nicht konzentrieren, ich weiß, was der nächste Schritt ist. Das ist überhaupt nicht anstrengend, sondern für mich sogar entspannend.
Wenn ich in einen freien Gottesdienst gehe, muss ich immer in Habachtstellung sein, obwohl ich dort nur die Predigt zu halten habe. Wenn ich hingegen in einen landeskirchlichen Gottesdienst gehe und sogar noch die Liturgie mitmache, die ich fast auswendig kenne, dann ist das total entspannend.
Ich habe mir überlegt, wie unsere Gottesdienste vielleicht anders gestaltet werden könnten – oder zumindest der eine oder andere Gottesdienst. Ich verlange gar nicht, dass wir das bei allen machen, aber wir sollten dieses Angebot mal machen. Ich habe es „liturgische Gottesdienste“ genannt, wobei ich nichts Starres oder Lebensfernes meine.
Ich glaube, Gottesdienste sollten keine Informations- oder Berichtsveranstaltungen sein. Ich würde alles eliminieren, was irgendwie Missionsberichte oder Berichte von vorne beinhaltet – das tut mir oft weh. Ebenso alle Informationen dieser Art und das Geplänkel am Anfang der Gottesdienste. Nein, bewusst Stille, keine Kommunikation! Die Leute sollen kommen können, ohne angesprochen zu werden, zur Ruhe kommen und sich nicht schon wieder anstrengen müssen, zu erklären, woher sie kommen, dass sie keiner Gemeinde angehören oder dass sie das erste Mal da sind. Nein, sie sollen einfach da sein.
Ich glaube, die Grundelemente eines solchen Gottesdienstes sind Gebete – sowohl freie als auch vorformulierte. Es ist manchmal nicht unbedingt für Theologen ein Vergnügen, freie Gebete zu hören. Ich habe mir vorgenommen, kein Gebet zu korrigieren, außer bei Studenten im Predigtunterricht. Aber es ist schon manchmal etwas gewöhnungsbedürftig. Ich glaube, uns würden vorformulierte Gebete manchmal guttun.
Dann eine Schriftlesung: einfach das langsame Verlesen des Wortes Gottes, ohne dass wir irgendeinen Kommentar hinzufügen. Das ist übrigens in der Landeskirche so üblich. Dort wird die Schriftlesung gemacht, ohne dass etwas dazu gesagt wird. Wenn die Predigt im Neuen Testament verwurzelt ist, dann ist die Schriftlesung im Alten Testament – und umgekehrt.
Nach der Schriftlesung sollten Zeiten der Stille folgen, in denen einfach nichts passiert. Ich würde sogar sagen: In dieser Zeit der Stille sollten die Leute nicht aufs Handy schauen. Ich sehe das natürlich immer wieder von vorne.
Der Gesang sollte auf Vielfalt achten. Dann die Psalmlesung im Wechsel – das ist sehr wohltuend, einen Psalm im Wechsel zu lesen. Außerdem sollten wir ab und zu ein Bekenntnis sprechen. Egal welches, aber eine Gemeinde, die gemeinsam ihre Grundlagen bekennt, wächst zusammen.
Wir sollten auch verschiedene Körperhaltungen zulassen und praktizieren. Zum Beispiel könnte man bei der Schriftlesung aufstehen, wenn das Wort Gottes verlesen wird, oder beim Gebet. Auch beim Gesang kann man stehen. Das hat eine entlastende Wirkung, besonders wenn man in einem anderthalbstündigen Gottesdienst sitzt. Das ist manchmal eine Herausforderung.
Ich würde auch überlegen, ob man nicht die Möglichkeit des knienden Gebets anbietet. Das hat eine sehr alte Tradition und bewirkt etwas, wenn man kniet und sich vor Gott in einer anderen Weise demütigt.
Bei diesen Gottesdiensten sollten wir darauf achten, dass es eine hochwertige musikalische Begleitung gibt. Die Menschen, die Musik machen, sollten eine musikalische Ausbildung haben. Gegebenenfalls sollten wir das anbieten oder fördern. Für musikalische Menschen ist es oft schwierig, wenn sie gut gemeinte, aber gewöhnungsbedürftige Musik hören müssen.
Die Räumlichkeiten sollten andächtig gestaltet sein. Ich komme in viele Gemeinden, und manchmal ist das ein ziemliches Durcheinander: Flyer liegen herum, alte Blumen und Blumentöpfe werden dort gelagert, weil die Leute zu Hause keinen Platz mehr haben. So kann man nicht sagen: Nein, ein Raum sollte eine gewisse Atmosphäre haben. Wenn ich „sakral“ sage, meine ich nicht hochkirchlich, sondern eine einladende, andächtige Atmosphäre.
Ebenso glaube ich, dass es einen Raum der Stille geben muss, in den sich Menschen zurückziehen können. Dieser Raum sollte keine Abstellkammer oder ein Möbellager sein, sondern ausschließlich als Raum der Stille für Gebet, Andacht und einfaches Verweilen eingerichtet sein. Dafür muss man vielleicht manches entrümpeln. Dort kann man aussagekräftige Kunst, Bilder und Skulpturen aufstellen.
Das Beeindruckendste, was ich je gesehen habe, ist im ZEW. Ich glaube, das ZEW hat immer ein großes Herz für solche Dinge. Dort hängt ein uraltes Kreuz an der Wand, aus Holz. Ich habe gefragt, was das für Holz sei. Man sagte mir, es sei im Großbrot gefunden worden und etwa zweitausend Jahre alt. Daraus wurde ein Kreuz gezimmert, das zur Zeit Jesu gewachsen ist. Das hat mich sehr beeindruckt.
Christliche Alternativen.
Wir sollten eine Kultur des Beichtens wieder einführen. Auch während der Woche sollte es ganz einfach möglich sein, zu einem Bruder oder einer Schwester zu gehen und Beichte zu tun – zum Beispiel im Hauskreis. Es sollte vielleicht auch Menschen geben, von denen man weiß: Zu denen kann ich nach Hause kommen und ganz unkompliziert meine Schuld bekennen. Diese Menschen halten hundertprozentig dicht, sind nur eine Verbindungslinie zu Gott. Gleichzeitig sprechen sie mir die Vergebung zu, und ich gehe erlöst von dannen.
Freizeiten sollten ohne Unterhaltungsprogramm gestaltet werden. Es ist wichtig, Freizeiten anzubieten, ohne zu meinen, dass wir ständig Wanderungen, Ausflüge, Spieleabende oder Albernheiten machen müssten. Einfach mal gar nichts tun – abgesehen natürlich vom Essen, das man ja sonst nicht überlebt. Dabei könnten auch stille Essenszeiten eingeführt werden, in denen man bewusst entscheidet, nicht zu reden. Oder man liest während des Essens aus der Bibel, wie es eine uralte Tradition ist. So nehmen wir leibliche Speise und zugleich geistliche Speise zu uns. Das hat eine ganz besondere Wirkung.
Es sollte die Möglichkeit zur Beichte und Seelsorge geben, das würde ich durchaus unterstützen. Natürlich müssen auch Bibelzeiten und Andachtszeiten stattfinden – das ist ja logisch. Daran würde ich keinen Abstrich machen. Außerdem sollte das Abendmahl angeboten und ein Raum oder mehrere Räume der Stille bereitgestellt werden. Diese Räume sollten andächtig gestaltet sein und ansonsten nichts weiter bieten. Wenn die Leute eine Wanderung machen wollen, sollen sie das tun. Wenn sie gar nichts machen wollen, sollen sie das auch dürfen. Ich glaube, viele Menschen wollen nicht ständig unterhalten werden oder Action haben.
Es braucht christliche Alternativen und weitere Ideen. Es gibt eine sehr kathartische, also reinigende Wirkung von Klagepsalmen und Klageliedern. Insgesamt sollten wir in der Gemeinde eine Entkriminalisierung des Klagens vornehmen – der Begriff stammt nicht von mir. Das heißt, dass wieder geklagt werden darf. Die Klage und auch die Anklage sollten dabei an unseren Herrn gerichtet sein, der das erträgt und genau dafür da ist. Schauen Sie einmal, wie viele Klagepsalmen es gibt.
Vielleicht kann man zu Hause einen sogenannten Herrgottwinkel oder sogar eine Hauskapelle einrichten. Ein Herrgottwinkel ist ein kleiner Bereich, in dem man ein Kreuz aufhängt, vielleicht einen Gebetsstuhl hat oder Ähnliches. Bei mir hängt dort auch ein Bild vom gekreuzigten Christus, eine Grafik von Felger, die mir sehr viel bedeutet. In diesem Herrgottwinkel kann man beten und zur Ruhe kommen. Natürlich wäre eine Hauskapelle ideal – das habe ich mir immer gewünscht. Ich habe schon zwei Häuser gebaut, aber nirgends eine Hauskapelle eingebaut. Das schämt mich ein wenig.
Eine Hilfe ist das Prinzip „Ora et Labora“ – beten und arbeiten. Dabei sind einfache Arbeiten hilfreich, bei denen man nicht viel denken muss, wie Gartenarbeit oder Holzspalten. Wir haben zum Beispiel immer noch Holz gesägt. Dabei kann man erstens ins Gespräch kommen und zweitens auch einfach für sich sein, das Holz hacken und vielleicht beten oder beim Staubsaugen beten. Ich finde das sehr angenehm.
Eine Hörbibel beim Autofahren oder Wandern hat für mich einen besonderen Charakter. Manchmal schalte ich dabei auch ab, aber das, was ich mitbekomme und was Gott mir sagen möchte, hinterlässt einen tiefen Eindruck.
Warum feiern wir nicht das Abendmahl in kleinen Gruppen, in der Familie, als Ehepaar, mit Freunden oder im Hauskreis? Dabei muss man etwas vorsichtig sein, denn in der Landeskirche reagieren manche sofort ablehnend, weil das nur der Pfarrer oder von der Kirche besonders Beauftragte dürfen. Aber wer sich davor nicht scheut, so wie ich, der macht es einfach – und man wird keinen Tadel bekommen.
Dann sollte man den Katechismus lesen. Es gibt so tolle Katechismen: Der New City Katechismus ist ganz neu und wurde von Tim Keller herausgegeben. Es gibt den Katechismus von Luther, der etwas sperrig ist, einen sehr interessanten Katechismus von Späner und den Heidelberger Katechismus. Man kann einfach mal die Fragen vorlesen, einer liest die Frage, ein anderer die Antwort, und man wird merken, dass das etwas bewirkt.
Diese Dinge haben alle einen stark kontemplativen Charakter. Ohne Gott sind wir immer ruhelos. Augustinus hat es in seiner Biografie ganz am Anfang gesagt: „Ruhelos ist unser Herz, bis es ruht in dir.“ Es gibt keine echte Ruhe ohne Gott.
Leider erlebe ich viele ruhelose Gemeinden und viele ruhelose Christen. Manchmal frage ich mich, und beginne dabei bei mir selbst: Bin ich vielleicht an manchen Stellen ohne Gott, weil ich so ruhelos bin? Das habe ich schon mehrfach gesagt.
Warum überlassen wir Achtsamkeit und Meditation eigentlich den Buddhisten?
Ich beende meinen Vortrag und möchte Sie auf ein Buch hinweisen, das Sie noch nicht im Buchhandel finden können – zumindest noch nicht. Es ist so brandneu, dass es erst in den nächsten Tagen im Buchhandel erhältlich sein wird. Bereits jetzt ist es als digitale Fassung verfügbar.
Ich habe das Buch zwar noch nicht vollständig gelesen, gebe das aber offen zu. Dennoch habe ich einen intensiven Blick hineingeworfen. Rolf Sohns, unser ehemaliger erster Vorsitzender, der jetzt Pfarrer in Vlein ist und ein begnadeter Seelsorger, hat dieses Buch herausgegeben. Es trägt den Titel „Erholung müder Seelen – Wohltuendes in christlicher Weisheit entdecken“.
In dem Buch geht es um Meditation, die genau auf das Thema unseres Vortrags abgestimmt ist. Vielleicht sollten wir erstens dieses Buch lesen und es auch weitergeben, damit andere entdecken, was der christliche Glaube für eine Erholung für müde Seelen bietet.
Zum Schluss möchte ich noch ein Plädoyer für die Aufnahme christlicher Spiritualität in die Psychotherapie halten. Vielleicht gibt es unter Ihnen Menschen, die psychotherapeutisch oder ärztlich tätig sind. Ich finde, wir sollten in der Psychotherapie biblische Texte einbeziehen – zum Beispiel Psalmen oder Sprüche aus dem Buch Prediger. Dabei sollten es nicht Texte sein, die die Menschen zu einer Entscheidung für Christus drängen. Das halte ich für problematisch. Aber die guten Weisheitstexte der Bibel – warum nehmen wir die nicht auf?
Ich frage mich auch, warum in der Psychotherapie buddhistische Texte verwendet werden, aber keine biblischen. Wir sollten biblische und biographische Geschichten als Anschauungsmaterial in die Psychotherapie einbringen. Ich habe das einmal bei einer Therapeutin erlebt, die eine Geschichte von Nick Vujicic vorgelesen hat – dem Mann ohne Arme und Beine.
Das führte zwar zu Widerstand, weil man an der christlichen Komponente nicht vorbeikam, aber es war sehr wohltuend. Gerade im Hinblick auf Zufriedenheit und den Umgang mit Leid. Natürlich gab es Kritik von Menschen aus dem buddhistischen Umfeld, aber ich fand das sehr mutig.
Darüber hinaus sollte es Angebote von Gebetsmeditationen geben – vorformulierte Gebete, etwa das Vaterunser, als Grundlage für Meditationen. Auch Seelsorgeangebote und die Möglichkeit zur Beichte sollten in solchen Einrichtungen angeboten werden. Ich habe bisher kaum erlebt, dass es Klinikseelsorger gibt. Wieso eigentlich nicht?
Es sollte Kapellen geben – Orte der Stille und Einkehr. Diese können gerne auch von Muslimen genutzt werden. Für mich gibt es keine heiligen Räume, aber Räume, in denen man zur Ruhe kommen kann. Dort könnten Bibeln ausgelegt werden, gerne auch der Koran. Das beeinträchtigt meine Frömmigkeit nicht.
Außerdem sollten wissenschaftliche Untersuchungen zu christlich-spirituellen Methoden in der Psychotherapie durchgeführt werden.
Das war mein Appell an Psychotherapeuten, Seelsorger, Klinikleitungen und alle, die hier unter uns sind.
Ich danke Ihnen sehr, dass Sie diesen Vortrag angehört oder angesehen haben. Dieses Angebot kommt kostenlos vom Bibelstudienkolleg. Wir freuen uns natürlich, wenn Sie uns auch finanziell unterstützen möchten, aber fühlen Sie sich dabei frei. Sie dürfen das tun, wie Sie möchten.
Was Sie gerne tun können, ist, für das Bibelstudienkolleg zu werben, indem Sie andere zu unseren Seminaren einladen. Alle Seminare können von jedermann besucht werden – nicht nur von Bibelschülern. Wir bieten selbstverständlich noch viele weitere Angebote an.
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Ich bedanke mich ganz herzlich und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Auf Wiedersehen!