Der Predigttext steht in Jeremia 33,1-9.
Einführung in die Botschaft Gottes an Jeremia
Das Wort des Herrn geschah zu Jeremia zum zweiten Mal, als er noch im Wachtturm gefangen war.
So spricht der Herr, der alles macht, schafft und ausrichtet: Herr ist sein Name. Rufe mich an, so will ich dir antworten und dir große und unfassbare Dinge kundtun, von denen du nichts weißt.
Denn so spricht der Herr, der Gott Israels, von den Häusern dieser Stadt und von den Häusern der Könige Judas, die abgebrochen wurden, um Bollwerke zu machen zur Abwehr im Kampf gegen die Chaldäer. Diese Bollwerke sollen mit den Leichnamen der Menschen gefüllt werden, die ich in meinem Zorn und Grimm erschlagen habe, als ich mein Angesicht vor dieser Stadt verbarg wegen all ihrer Bosheit.
Siehe, ich will sie heilen und gesund machen und ihnen dauernden Frieden gewähren. Ich will das Geschick Judas und das Geschick Israels wenden. Ich will sie bauen wie am Anfang und sie reinigen von aller Missetat, womit sie wieder gegen mich gesündigt haben. Ich will ihnen vergeben alle Missetaten, womit sie wiederum gegen mich gesündigt und gefrevelt haben.
Das soll mein Ruhm, meine Wonne, mein Preis und meine Ehre sein unter allen Völkern auf Erden. Wenn sie all das Gute hören, das ich Jerusalem tue, werden sie sich verwundern und entsetzen über all das Gute und über all das Heil, das ich der Stadt geben will.
Herr, auch so musst du uns von Grund auf erneuern. Fange bitte bei uns an. Amen.
Das Bild des leidenden Jeremia und die Zerbrochenheit des Volkes
Wer nach Amsterdam kommt und das Rijksmuseum besucht, weiß, dass die meisten Besucher das Ziel haben, das eindrucksvolle Bild "Nachtwache" von Rembrandt anzusehen. Schade ist nur, dass daneben ein ganz wichtiges Bild nicht richtig beachtet wird.
Ich habe mir damals nach dem Besuch eine Reproduktion für mein Zimmer gekauft. Es ist nur ein schlichter Druck, aber dieses Bild wurde für mein Leben sehr bedeutsam – ebenfalls von Rembrandt. Darauf sitzt ein bärtiger Mann und starrt mit einem ganz eindrucksvollen Blick auf den Boden vor sich. Dort sieht man nur ganz schwach die Konturen von Häusern. Auf dem Boden liegen ein ganz wirres Bild, eigentlich goldene Gefäße.
Das verstehen nur Bibelkenner: Es ist Jeremia, das Bild eines Menschen, der an seiner Kirche leidet. Ich habe dieses Bild mitgenommen und meinem Freund Fritz Grünzwey geschenkt. Es spricht zu Menschen, die am Volk Gottes verzweifeln und wissen, dass es in unseren Tagen genauso ist wie zu allen Zeiten zuvor. Das Volk Gottes zerbricht und wird zerschlagen.
Diese Goldgefäße, die dort am Boden liegen, erinnern an den Ausspruch Jeremias aus den Klageliedern: „Wie ist das Gold so ganz dunkel geworden!“ Mit Gold meint er einst das Leuchten des Glaubens Israels. Er klagt: „Wie ist das Gold so ganz dunkel und das feine Gold so hässlich geworden! Und wie liegen die Edelsteine an allen Straßenecken verstreut, die edlen Kinder Zions dem Gold gleichgeachtet. Wie sind sie den irdenen Töpfen gleich, die ein Töpfer macht.“
Jeremia hat gelitten, weil die Gläubigen seiner Zeit nicht mehr Gott folgten und gehorchten. Sie pflegten wohl noch einen Gottesdienst, doch dienten sie Gott darin nicht mehr.
Jeremias Klage und die Notwendigkeit der Erneuerung
Sie kennen doch all die eindrucksvollen Worte, in denen Jeremia sagt: „Jeder Storch weiß, wo sein Nest ist, ihr aber kennt euer Vaterhaus nicht mehr.“ Er sagt auch: „Ihr grabt euch Brunnen und wollt Wasser schöpfen; ihr seid eine Generation, die nach Gott verlangt, und ihr sagt: Wir finden Gott nicht. Doch ihr grabt an der falschen Stelle, und da bekommt ihr kein Wasser. Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich löchrige Brunnen, aus denen kein Wasser fließt.“
Als Jeremia in den Tempel trat, sagte er: „Es ist kein Friede.“ Er warnte: „Täuscht euch nicht, die Bauten werden vergehen.“ Daraufhin riefen die Priester: „Fasst ihn, das ist ein Unruhestifter, der Wirbel im Volk macht.“ Jeremia musste das ertragen. Manchmal war er ganz niedergeschlagen, weil er dachte, das Volk könne die Botschaft gar nicht begreifen. Er klagte Gott sein Leid: „Warum bin ich überhaupt geboren, dass ich diese Unheilsbotschaft sagen muss?“
Wenn wir heute Reformationsfest feiern, wollen wir uns daran erinnern, dass jede Erneuerung zuerst mit dem Erkennen der Schäden zusammenhängt. Sind wir heute wirklich die Generation, in der keine Schäden im Volk Gottes mehr sichtbar sind? Wir sollten offen darüber sprechen.
Ich weiß, wie leicht heute gesagt wird: „Was tust du hier? Du bringst Unruhe. Du hast einfach keinen Glauben. Du müsstest mehr Gottvertrauen haben, dann würde dich nicht so sehr belasten, was im Volk Gottes krank ist.“ Doch Jeremia sagt: Die Schäden müssen ans Licht kommen, denn vorher kann keine Heilung stattfinden.
Viele sagen zu mir: „Ach, reg dich doch nicht auf, das war in der Kirchengeschichte immer ein Auf und Ab, Wellental und Wellenberg.“ Aber warum wurde es im Wellenberg wieder besser? Wie kam man aus dem Tal heraus? Durch Buße und Umkehr. Wer das nicht sieht, muss diese harten Gerichtsworte verstehen.
Wir wollen heute nicht Gericht sprechen über die Welt um uns herum, obwohl wir viel dazu zu sagen hätten. Das Gericht Gottes beginnt am Hause Gottes, und das erleben wir in unseren Tagen. Große und ehrwürdige Kirchen stehen leer, weil die Stimme Gottes zum Schweigen gebracht wird.
Das macht mir Unruhe vor einer Predigt. Wie soll ich predigen können? Woran liegt es? Wie schaffen wir es, dass Kirche erneuert wird und Reformation wieder geschieht?
Die Geschichte der Erneuerung und der Ruf zur Umkehr
Die Reformation begann damals bei Luther, weil es einen Menschen gab, der den Schäden der Kirche seiner Zeit nicht gleichgültig gegenüberstand. Alle anderen sagten: „Damit muss man sich abfinden, das ist eben jetzt unser Jahrhundert.“ Und die Leute sagten: „Was habe ich schon für einen Einfluss?“
Dann war es ein einfacher Mönch in Wittenberg, der darunter litt, dass er nicht mehr schlafen und ruhen konnte. Er wusste, dass Gott erneuern und seine Gemeinde reinigen will. Es ist nicht wahr, dass Verwirrung und Zerstörung in der Gemeinde bleiben können.
Sie könnten jetzt alle Reformationsbewegungen durch die Kirchengeschichte verfolgen – von den alten Hussiten über Wycliffe in England bis zu den großen Erneuerungs- und Erweckungsbewegungen der Kirche. Plötzlich brach ein Missionsgeist aus, und viele, auch in unserem württembergischen Land, zogen aus und sagten: „Wir verkaufen Äcker, nur um das Werk Gottes in der Mission zu unterstützen.“
Die besten Menschen gaben ihre Berufe auf, um Kranke in der Diakonie zu pflegen. Das waren Bewegungen der Erneuerung unseres Herrn.
Ich möchte nur an einen noch erinnern: Philipp Jakob Spener. Die Erneuerung begann damals mit einer Vorrede, die er zum Erbauungsbuch „Ernst wahres Christentum“ schrieb. Dort fängt er an mit den Worten: „Ach, dass ich Tränen genug hätte, um den Schaden meines Volkes zu beweinen.“
Das ist richtig: Wenn wir die Schäden unserer Zeit am Leib Christi, an der Gemeinde Gottes erkennen, wenn uns das Not macht, wenn wir darunter leiden und seufzen, dann geht es auch auf Erneuerung zu.
Das ist unser Thema heute: Gott kann alles neu machen.
Gottes Umgang mit Schäden und die Notwendigkeit der Offenheit
Erster Punkt: Gott sprengt die Hoffnungslosigkeit.
Es gibt viele, die sich nicht darüber beschweren, die nicht darunter leiden. Sie sagen: „Ach, lasst uns ein Programm entwickeln, und dann werden wir wieder eine moderne Kirche für unser zwanzigstes Jahrhundert sein. Wir machen ein paar Aktionen, und dann wird alles wieder gut.“
Sie reden nie von den Schäden, die beseitigt werden müssen.
Daran wollen wir uns erinnern: Schon bei Jeremia war das so. Schäden will man nicht bereinigen. Gott legt aber den Finger auf diese Schäden. Darum kam es gar nicht mehr zur Lösung. Jeremia sah keinen Ausweg mehr.
Ich möchte Sie auch noch einmal daran erinnern, dass Jesus mit der Welt sehr geduldig war. Selbst mit den Finanzmaklern seiner Zeit, die üble Gewinne erwirtschafteten, zeigte er Barmherzigkeit. Auch mit den Zöllnern übte er Nachsicht, ebenso mit den sechs enthemmten Dirnen. Jesus hat sie in Geduld und Liebe getragen.
Aber unnachgiebig hart war Jesus mit den Schäden der Frommen. Er nannte die Pharisäer und Schriftgelehrten die „blinden Leiter“.
Mich beschwert es oft, dass in unserer Kirche das schon unter ein Strafgericht fällt, wenn man sagt, man darf Schäden nicht aufdecken. Das wird als Unruhe stiften bezeichnet.
Wenn wir auch Wahlen zum Kirchengemeinderat haben, möchte ich mich hier gerne einmischen und sagen: Wählen Sie nur Leute, die den Mut haben, uns alle und auch den Pfarrer fortwährend darauf anzusprechen: Stehst du noch in einer ungehemmten Verbindung zum Herrn? Bist du nicht schon längst abgeirrt? Hast du noch das Wort, das wir brauchen?
Sonst lohnt sich ja alles nicht mehr, was wir hier machen. Die Jugendmitarbeiter stehen im besten Sinn des Wortes in Verantwortung. Sie werden kontrolliert und beaufsichtigt, wie ein Hirte seine Schafe beaufsichtigt.
Wir brauchen heute gerade deshalb Menschen, die Verantwortung übernehmen und sagen: Damit Gott in unserer Zeit erneuern kann, wollen wir Schäden sehen. Wir wollen nicht sagen: Redet nicht darüber, weil dort Wunden liegen.
Wir brauchen das.
Paulus’ Abschied und die Warnung vor innerer Verführung
Als Paulus sich auf seiner letzten Missionsreise verabschiedete, ließ er auf dem Weg nach Jerusalem die Ältesten von Ephesus an den Hafen von Milet kommen. Dort stand Paulus vor ihnen, und Tränen liefen ihm über das Gesicht. Man muss wissen: Paulus war keine Memme. Er war ein Mann, den man in Philippi auspeitschen und mit Stockhieben binden konnte. Trotzdem hat er damals nicht geweint – jetzt aber schon.
Er wies die Ältesten, das heißt die Kirchengemeinderäte, darauf hin, dass gräuliche Wölfe kommen würden. Das Schlimmste daran sei, dass diese Wölfe aus der Mitte der Gemeinde herauskämen. Die größte Gefahr für die Gemeinde sei nicht die Christenverfolgung von außen durch Atheisten, sondern die Verführung von innen – durch Trägheit, Schläfrigkeit und Lauheit der Christen.
Was ist in den letzten Jahrzehnten durch eine überhebliche Bibelkritik am Glauben zerstört worden? Man kann verfolgen, wie in der Gemeinde Jesu Verführungen durch Schwärmerei und ein überspanntes Glaubensleben aufkamen, das nicht nüchtern in den wirklichen Bewährungen blieb. Es gab die Ohnmacht vieler, die eigentlich klären wollten, aber nicht klären konnten.
Wir leben heute in einer Zeit, in der man traurig sein kann, in der es schwer wird, besonders dort, wo einem etwas auf der Seele liegt. Ich weiß, dass es auch vielen von Ihnen so geht, weil wir selbst wissen, dass unser eigenes Glaubensleben genauso von den Krankheiten und Schäden unserer Zeit berührt ist.
Gottes Verheißung der Erneuerung und Hoffnung
Und dann, auf einmal, in dieser Hoffnungslosigkeit, wenn man denkt, es ist eigentlich alles aus, kommt die Stimme Gottes. So spricht der Herr, der alles macht, schafft und ausrichtet. Ein Freudenwort: Es gibt Erneuerung der Gemeinde Gottes, es gibt einen neuen Anfang, neues Leben, weil Gott noch einmal seine Gemeinde erneuert. Er macht alles, er schafft alles, er richtet alles aus.
Ich wollte das heute eigentlich nicht nur im Blick auf unsere Kirche und das Reformationsfest auslegen. Viele von Ihnen leben bedrückt. Wir haben ja heute die letzte Predigtreihe „Mehr vom Leben haben“. Da lebt man mit den schweren Lasten, die man mit sich herumschleppt. Und auf einmal kommt es zum Hören des Wortes Gottes. Dann redet der Herr in die Stille, und man weiß: Er macht alles neu – mein Leben. Er hat Pläne für mich, und er bringt das zum Ende.
Wie wunderbar ist das, wenn plötzlich ein Mensch wieder Hoffnung schöpfen kann, mehr vom Leben haben darf, weil das Wort Gottes uns Räume öffnet, in die wir gehen können. Keine Traurigkeit ist so groß, keine Last, die man trägt, so schwer, dass der Herr nicht jetzt ungeahnte Wege öffnen könnte.
Jeremia lag im Wachthof, eingesperrt. Man hatte ihn einfach gegriffen, weil man diese Stimme mundtot machen wollte. Und dann sagt der Herr zu Jeremia: Lass doch den Kopf nicht sinken, die Pläne Gottes sind doch nicht zu Ende. Die Erneuerung der Gemeinde fängt immer damit an, dass Gott wieder zu Menschen redet.
Und wenn die Verwirrung der Theologie weitergeht und wenn ein Versagen der verfassten Kirchen um uns herum geschieht, dann wird der Herr reden, der alles macht, schafft und ausrichtet. Er wird seine Gemeinde bauen. Dann werden Menschen sich wieder um das Wort versammeln – in ihren Wohnstuben – und es auslegen, wie es in der Kirchengeschichte oft der Fall war. Denn der Herr lässt seine Gemeinde nicht los.
„Rufe mich an“, sagt er, „rufe mich an, bete mehr, dann will ich dir ungeahnte Dinge mitteilen.“ Wir dürfen uns freuen, wie der Herr noch einmal Neues schenkt und Neues anfangt in unseren Zeiten.
Die Geschichte der Kirche als Zeugnis von Erneuerung trotz Schuld
Ich wollte mit Ihnen nun noch einmal den Verlauf der Kirchengeschichte durchgehen. Wenn man die ganze Zeitspanne betrachtet, so wie es die Atheisten manchmal tun, erscheint die Geschichte der Christen als eine Geschichte des Schmutzes. Sie sprechen von Kreuzzügen und Mordreden. Was soll man dazu heute sagen?
Man erhält die Antwort, dass es immer wieder das Wunder gibt, dass dort, wo der Teufel mitten in der Kirche seinen Thron errichtet hat, der Herr mit einer Erneuerung der Gemeinde beginnt. Eine wunderbare Erneuerung. Dann hat sich wieder eine biblische Gemeinde versammelt, und es gab Menschen, die plötzlich diesem Wort gehorsam wurden. Sie zogen hinaus in einer treuen Nachfolge.
Ich las kürzlich wieder davon. Unsere Konfirmanten stören uns da oben ein wenig. „Die zwei, seid doch bitte schnell ruhig, damit wir die Predigt noch hören können“, sagt man. In diesen Tagen las ich in einer Missionsgeschichte von einem Mann, dem in der Zeit der Nachreformation die Missionsaufgabe auf die Nerven fiel. Er wurde in seiner Zeit gerufen, die Missionsaufgabe zu entdecken.
Die orthodoxen Prediger, die nur ihre Gedankensysteme im Kopf hatten, erklärten ihn für verrückt und drängten ihn schließlich aus der Kirche hinaus. Daraufhin fuhr er nach Südamerika und starb dort als einsamer Missionar.
Was bedeutet das, wenn der Herr Menschen ruft? Die Saat, die viel später aufging, zeigt, wie der Herr immer wieder anfängt – mit neuen Menschen, die erneut in seine Nachfolge gerufen werden. So geschieht eine Erneuerung der Gemeinde.
Die Notwendigkeit der Umkehr und Vergebung
Ein zweiter Punkt, der mir jetzt wichtig ist, betrifft die unheilvollen Folgen dieser Entartung im kirchlichen Leben – auch heute noch unsere Schäden. Ich höre immer wieder, dass wir Christen sagen: Die Zeit ist schuld, der Materialismus ist schuld, wir sind schuld, weil wir das Wort Gottes nicht so gepredigt haben und weil wir keine Zeugen Gottes in unseren Tagen sind.
Dann führt uns die Reformation zur Umkehr. Man leidet, wie damals Jeremia, an den Folgen und weiß, wo die Schuld liegt. Das hat Auswirkungen. Gott muss die Schuld heimsuchen. Er spricht vom zerstörten Jerusalem, von den Leichnamen, die dort liegen. Doch er sagt auch, dass Gott heilen will.
Für mich ist es heute so wichtig, dass wir alle die Vergebung Jesu annehmen. Wir haben sie bitter nötig, damit er uns gebrauchen kann für die Neuaufbrüche, die er heute wirken will. Er deckt meine Schuld zu, vergibt und heilt.
Ich bin so froh, dass an dem Reformationsvortrag am Montag so klar gesagt wurde: Die Kirche lebt von der Verkündigung des Kreuzes Jesu. Das ist unser Grund, warum wir wirken können.
Wir können nicht leuchten als Gemeinde von Ludwig Hofager, wenn wir nur auf uns selbst schauen. Ich treffe immer wieder Christen, die sagen: Ich möchte durch meinen Lebenswandel leuchten. „Ach, was sind das für strahlende Christen!“ Doch ich kann den Mund nicht aufreißen, denn meine Schuld schreit gegen den Himmel. Aber ich lebe von der Vergebung Jesu, und diese will ich den Menschen verkündigen.
Wir wollen an die Arbeit gehen und wissen, dass der Herr uns heute offene Türen gibt, weil er es verheißen hat: „Siehe, ich will heilen, ich will gesund machen, ich will Ihnen dauernden Frieden gewähren. Ich will das Geschick meines Volkes wenden. Ich will Sie bauen wie am Anfang. Ich will Sie reinigen von aller Missetat, womit Sie wieder gegen mich gesündigt haben. Ich will Ihnen vergeben alle Missetaten, womit Sie gegen mich gesündigt und gefräßig gewesen sind.“
Darum liegt heute keine Zeit vor uns, in der wir sagen sollten, es sei eine Zeit der geringen Dinge. Lasst uns für den Herrn arbeiten. Er will Neues tun. Wo Menschen seinem Ruf folgen und sich reinigen lassen, werden Neuaufbrüche großen Ausmaßes geschehen.
Erneuerung trotz Widerständen und die Kraft der Vergebung
Vor Jahren sagte der Generalsekretär des Weltkirchenrats: Mission ist out, Mission ist vorbei. Doch wer die Missionswerke verfolgt, die wir unterstützen, sieht die Wirkungen unseres Herrn gerade heute. Andere behaupten ebenfalls, Mission sei vorbei.
Wir haben selbst erlebt, wie an dem Ort, an dem wir im Zentrum unserer Stadt missioniert haben, Türen sich öffnen. Nicht, weil wir es könnten, sondern weil der Herr unerklärlicherweise nicht unsere Schuld heimsucht, sondern sie vergibt. Dann fängt er ganz neu an, in seiner Vergebung, indem er heilt, zurechtbringt und gesund macht.
Ich möchte noch einmal an das alte Kirchlein erinnern, das unten an der Ecke stand und am 6. November 1932 eingeweiht wurde. Am gleichen Tag fand im Furtbachhaus eine große Versammlung der deutschen Christen statt, bei der christlicher Glaube mit Nazi-Ideologie vermischt wurde. Für die neu entstandene Gemeinde Ludwig Hofacker war das eine schwere Not.
Diese Gemeinde war von der Leonhardtskirche unten abgespalten. Einer der Pfarrer der Leonhardtskirche war ein großer Vertreter dieses völkischen Glaubensgutes. Viele Christen hier oben hingen dieser neuen Lehre an. Doch hier oben versammelte sich eine Gemeinde, die wusste: Es gibt kein anderes Heil, es gibt auch kein Heil Hitler.
Ich las gestern Abend in Berichten, wie Konfirmanten, die der Pfarrer bereits gelitten hatte, „Heil Hitler“ riefen. Diese Gemeinde sammelte sich und entschied, geschlossene Zusammenkünfte abzuhalten, um in dieser Zeit den klaren Weg der Nachfolge Jesu zu erhalten und zu erkennen – inmitten der grässlichen Verwirrung.
Dann schlichen sich junge Leute mit gefälschten Papieren ein. Die damaligen Gemeindemitglieder erinnern sich noch daran. Diese Personen wurden ausgeschlossen. Daraufhin wurden Tränengasbomben geworfen, und die Kirche musste damals geräumt werden.
Das war eine Zeit ungeheurer Verwirrung – schon damals in der Ideologie. Zeitgedanken drohten das Evangelium zu verdecken. Doch der Herr deckte unheilvolle Wirkungen und Schuld zu und begann neu für seine Gemeinde.
Wer das 1945 begriff, als diese Kirche wieder eröffnet wurde, verstand: Der Herr heimsucht nicht, sondern vergibt und kommt in neuer Vergebung zurück. Er will, dass wir im Frieden leben und unter seiner Vergebung neu beginnen – im Dienst für ihn.
Die Demonstration des Glaubens als Zeugnis der Erneuerung
Noch ein letztes Mal wagt er mit uns eine Demonstration. Das ist der letzte Punkt.
Wir kennen Demonstrationen unserer Tage: Junge Leute gehen mit roten Fahnen durch die Straßen. Manche meinen, wir müssten jetzt auch nur mit gelben, grünen, braunen oder sonstigen Fahnen auf unsere Weise demonstrieren. Das ist jedoch nicht möglich, und es ist auch nicht unsere Aufgabe – gerade als Christen in unserer Zeit.
Unser Herr liebt andere Demonstrationen. Er will uns gebrauchen, um der Welt deutlich zu machen, wie er seine Gemeinde erneuert. Dabei sollten wir uns nicht scheuen, immer wieder offen die Schäden der Kirche und der Gemeinde zuzugeben. Das ist kein Glanz, sondern eine Geschichte, die schwer beschmutzt ist – nicht durch das Schicksal, sondern durch uns Christen selbst.
Wir treten den Namen unseres Herrn in den Dreck. Doch der Herr ist so groß, dass er dennoch Gemeinde baut – dennoch.
Wissen Sie, das ist der Grund, warum ich dieser Volkskirche treu bleibe. Ich kann mich aus dieser Geschichte nicht loslösen. Wenn ich das als Irrweg ansehe – und das sage ich ganz offen –, als ob wir uns in irgendeine reine Gemeinschaft flüchten könnten, dann täusche ich mich. Auch dort findet die Beschmutzung durch Menschen statt.
Der große Pietistenführer Hahn, der Leiter der Hahn'schen Gemeinschaften, hat gesagt: Wer eine neue Kirche baut, der fügt Babel nur ein neues Gässlein hinzu – Babel, die untergehende Welt.
Gerade deshalb ist es für uns wichtig, zu erkennen, dass wir in einer Tradition und in einer Kirche leben, an der wir leiden und an der wir fast zerbrechen. Diese Kirche macht uns not. Aber in dieser Kirche und in dieser Tradition schenkt uns der Herr durch sein Wunder unverdient neue Aufbrüche.
Darum wollen wir hier stehen. Er sagt: Das soll mir mein Ruhm sein, damit will ich protzen. Denken Sie daran: Mit diesen Christen will ich protzen – mit diesen befleckten und schmutzigen Menschen. Das soll mein Ruhm sein, meine Wonne. Darüber freut sich Gott. Das ist sein Preis, sein Stolz, seine Ehre – das sind seine Orden, die er trägt.
Dass aus einer immer wieder zerstörten Kirche etwas herausbricht, das sollen die anderen sehen. Sie sollen sich verwundern und entsetzen über das Gute und über all das Heil, das ich der Stadt geben will. So wie am Ende im Volk der Juden Gottes Erbarmen übersteht, so steht über der Gemeinde Jesu am Ende nur dieses große Wunder.
Ermutigung zum Vertrauen und zur Mitarbeit in der Erneuerung
Sehen wir heute, wenn uns das Reformationsfest bewegt, auch im Blick auf unser Jubiläum, die Trümmer, die dort unten vom Rasen zugedeckt sind, wo einst eine Kirche stand.
Wir haben die Angst, was aus unserer württembergischen Kirche und unserer deutschen Kirche werden wird. Ob all das nicht manchmal durch falsche Einflüsse oder moderne Ideologien, die junge Menschen beherrschen, weggespült wird.
Wir leiden darunter, wie das heute oft in der Unterweisung und Ausbildung unserer Prediger geschieht. Wir fragen uns: Warum können wir das nicht bewahren?
Dann macht uns der Herr Mut und sagt: Seht auf ihn und kehrt um! Erneuerung beginnt bei euch, indem der Herr euch ganz neu in seine Gemeinschaft aufnimmt, euch reinigt, heiligt und beruft.
So sehe ich meine Aufgabe: Ich will an dem Platz, wo der Herr mich gebraucht, hier an diesem Ort mitarbeiten – im Namen dieses Herrn. Ich möchte seine Wunder erleben und selbst ein Exemplar sein, das zur Verherrlichung Gottes dient. Denn er wirkt Wunder, sogar mit sterblichen Menschen, und kann so viel erreichen.
Darauf wollen wir es wagen. Es ist wohl wagenswert, gründlich dem abzusagen, was aufhält und beschwert. Amen.
Schlussgebet und Segensbitte
Und beten. Herr, du hast uns heute so viel eigene Schuld vor Augen gestellt. Wir sind diejenigen, die deinen Namen in Unehre bringen und Schande machen, weil wir deinen Namen Christus tragen. Doch das passt so schlecht zu unserem Wesen und zu unserem Verhalten. Viele Menschen lästern deinen Namen nicht, weil sie dich kennen, sondern weil sie uns kennen.
Herr, wir wollen heute umkehren und bitten, dass du uns ganz reinigst – auch als Gemeinde. Wir bitten dich, dass du nicht Schuld heimsuchst, sondern in Vergebung ganz neu mit uns anfängst. Ja, auch in diesen Zeiten wollen wir von dir gebraucht werden, damit du neue Gemeinden bauen kannst, Erweckungen schenkst und Aufbrüche gibst – auch von großem Ausmaß.
Wir wollen dich bitten für unseren Dienst an jungen und alten Menschen. Wir bitten, dass unsere Konfirmanden mehr von deiner Größe und von deiner Macht erkennen können. Du musst zu ihnen reden. Auch für Ehepaare und Schwermütige wollen wir dich bitten.
Für die Ungläubigen in unserer Stadt bitten wir dich: Rede du mit ihnen, wecke sie auf und gib uns Weisheit, wie wir ihnen nahekommen können. Besonders denken wir an die Studenten unserer Zeit, von denen so viele von Ideologien verführt oder beeindruckt sind. Schärfe ihr Gewissen durch dein Wort, damit sie zum Glauben kommen.
Herr, erneuere du deine Gemeinde weltweit. Wir bitten dich für alle, die in der Ausbildung sind – für das Predigeramt, das Diakonenamt, den Religionsunterricht, für Diakonie und Mission. Sei du allein der Lehrmeister, der unterweist und führt. Lass es nicht nur bei einem Kopfwissen bleiben, sondern präge und heilige das ganze Leben.
Herr, wir sind so froh, dass du auch in unseren Tagen Erneuerung schenkst – nicht durch Papierreformen, sondern durch deinen Geist, der Menschen von Grund auf erneuert. Wir wollen uns dir anbefehlen, damit du dieses Werk bei uns treibst.
Lasst uns gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Nun wollen wir um den Segen unseres Herrn bitten:
Herr, segne uns und behüte uns.
Herr, lass dein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig.
Herr, hebe dein Angesicht auf uns und gib uns deinen Frieden.