Einführung und persönliche Vorstellung
Damit wir uns gemeinsam Gedanken über die Bedeutung der Bibel machen können – sowohl für unser persönliches Leben als auch, und besonders, für unser gemeinschaftliches Leben – möchte ich mich kurz vorstellen.
Einige sind heute hier, die gestern nicht anwesend waren. Deshalb will ich in knappen Zügen etwas zu meiner Person sagen. Ich heiße Benedikt Peters und wohne in der Schweiz, in Arbon am Bodensee. Ich bin verheiratet, und wir haben vier Kinder im Alter zwischen sechs und acht Jahren.
Ich bin kein Theologe und auch kein Pastor. Von Beruf und Neigung her bin ich Philologe. Ich habe Griechische und Hebräische Sprache und Literatur studiert und mich außerdem ein wenig mit moderner Linguistik beschäftigt.
Zurzeit arbeite ich als Bibellehrer, allerdings nicht als Angestellter einer Kirchgemeinde. Wie gesagt, ich bin kein Pastor. Ich reise viel und freue mich, wenn sich Gelegenheiten ergeben und ich offene Türen finde, um das Wort Gottes weiterzugeben, das uns in der Bibel von Gott her gesagt ist.
Thema und Zielsetzung der Predigt
Nun, wir haben uns heute Abend dem Thema „Gesellschaft ohne Bibel – die abendländische Kultur“ gewidmet.
Damit wir das verstehen können, stellt sich die Frage: Was bedeutet es, dass sich die abendländische Kultur, also Deutschland, die Schweiz, wo ich wohne, im Großen und Ganzen Europa und auch Nordamerika, immer mehr von der biblischen Botschaft abwendet?
Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst darüber klar werden, welche Bedeutung die Bibel für das Werden Europas hatte. Die Bedeutung der Bibel für die Kultur und Geschichte Europas ist nicht zu leugnen. Ohne dieses Buch hier wäre Europa nie geworden, was es war, und wäre auch heute nicht das, was es ist.
Ob Europa heute gut ist oder nicht, möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Die Zusammenhänge sind vielschichtig. Deshalb muss ich vorweg sagen: Ich bin nicht hier, um die Rolle und Bedeutung der Kirche zu beleuchten, sondern die Rolle und Bedeutung des Evangeliums für Europa.
Ich kann natürlich nur Anstöße geben. Viele Fragen werden durch das, was ich sage, bei einigen wahrscheinlich erst aufgeworfen. Das Problem ist vielschichtig und komplex. Deshalb darf niemand von mir erwarten, dass ich alle Antworten habe. Das wäre auch vermessen, wenn ich glauben würde, ich hätte sie.
Die anstößige Botschaft des Evangeliums von Anfang an
Ich möchte zunächst zeigen, dass die Botschaft des Evangeliums von Anfang an als anstößig empfunden wurde. Schon in den Tagen der Apostel, also im ersten Jahrhundert, gab es dieselben Gründe, die den Menschen das Evangelium anstößig erscheinen ließen. Diese Gründe sind auch heute noch dieselben, die Menschen das Evangelium ablehnen lassen. Die Botschaft der Apostel, der Jünger Jesu Christi, schien den Menschen damals eine völlig unmögliche Sache zu sein.
Trotzdem setzte sich dieses Evangelium durch. Im Folgenden möchte ich in knappen Zügen erläutern, was das Evangelium bedeutete und welche Auswirkungen es hatte. Dort, wo die Botschaft des Evangeliums Menschen in großem Ausmaß ergriff, wurde auch die Gesellschaft, in der sie lebten, vom Evangelium beeinflusst.
Ich werde also einige Worte zur Reformation und ihren Folgen sagen. Anschließend möchte ich ein Beispiel geben, wie eine Nation, eine mehr oder weniger geschlossene Gesellschaft, durch die Botschaft der Bibel innerhalb einer Generation sehr deutlich verändert wurde. Dabei handelt es sich um England im achtzehnten Jahrhundert.
Zum Schluss möchte ich einige Gedanken zum Abendland heute äußern – jener Gesellschaft, jener Kultur, die wir bald als eine Gesellschaft ohne Bibel bezeichnen müssen.
Die Anfänge des Evangeliums in Europa und seine Wirkung
Pfarrer Wilhelm Busch war Pfarrer in Essen. Er sagte einmal in einer Predigt, die Sternstunde Europas habe geschlagen, als der Apostel Paulus von Gott gewiesen wurde, sich von Asien kommend nach Europa zu wenden, nach Griechenland. Mit ihm kam in den fünfziger Jahren des ersten Jahrhunderts das Evangelium nach Europa.
Innerhalb einer Generation war das römische Reich durchsetzt von Gruppen von Menschen, die diese Botschaft angenommen hatten. Christliche Gemeinden waren entstanden, die schon in die Tausende gingen, und das innerhalb der ersten Generation nach Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi.
Dabei war das Erstaunlichste, dass diese Botschaft, die Botschaft der Apostel, in jeder Beziehung ein Ärgernis war. Diese Botschaft widersprach dem natürlichen, sittlichen Urteil, dem natürlichen Denken und der Interpretation der Welt, in der die Menschen leben, diametral. Das galt nicht erst heute, sondern schon in den Tagen der Apostel.
Wir bekommen in Apostelgeschichte 17 einen schönen Eindruck davon, wie anstößig diese Botschaft war. Ich nenne nur einige Punkte, ohne sie weiter zu erläutern. Und solche, die heute Abend hier sitzen und dem Christentum ablehnend gegenüberstehen, stoßen sich genau an diesen Punkten.
Erstens: der Glaube an einen jenseitigen Gott, der unabhängig von uns ist und auf den wir keinen Einfluss haben, sondern der alles regt.
Zweitens: der Glaube an einen Schöpfer und an die Schöpfung, dass also die Welt erschaffen ist durch diesen jenseitigen Gott. Dabei gehen beim modernen Menschen die Alarmlichter an – und das war auch schon in den Tagen der Apostel so. „Ach was, die Welt ist doch schon immer gewesen!“ Die Bibel, die Apostel verkündigten einen Schöpfer, der wahrhaftig aus dem Nichts war und der aus dem Nichts alles schuf.
Die Apostel verkündigten die radikale, hoffnungslose Verderbtheit des Menschen. Sie hatten die Stirn, weil Gott ihnen die Stirn hart gemacht hatte, gegen Opposition und Widerstand zu sagen: Der Mensch ist von Geburt an böse, nichts Gutes wohnt in ihm. Das sagten sie aber nicht von den anderen und zeigten mit dem Finger auf sie, sondern sie sagten, wie der Apostel Paulus: „Ich weiß, dass in mir nichts Gutes wohnt, nicht Gutes.“ Also die totale Verderbtheit des Menschen.
Sie sagten, dass der Mensch nur eine Hoffnung hat, und das ist die, dass Gott ihn rettet und dass er bei Gott alles tun muss. Der Mensch ist unfähig, sich zu verbessern oder etwas zu seiner Verbesserung oder Errettung beizutragen. Also Errettung allein durch die Gnade.
Sie lehrten, dass die Botschaft, die sie verkündigten – die Botschaft der Propheten des Alten Testaments, die Botschaft Jesu Christi, die Botschaft, die sie von Gott empfangen hatten, das, was wir zusammenfassend das Evangelium nennen können – die alleinige und ausschließliche Wahrheit sei über das Dilemma des Menschen und über den Weg der Errettung des Menschen. Die Ausschließlichkeit der Botschaft.
Was ferner Anstoß erregte, war die Tatsache, dass sie verkündeten, weil sie das glaubten, dass in Jesus Christus Gott, der ewige, unumschränkte Gott, Mensch geworden sei. Das Menschwerden Gottes in Christus, die leibliche Auferstehung, dass er starb – das glauben wir alle – aber dass er auferstand, und zwar nicht nur in den Köpfen der Jünger.
So gewissermaßen als ein „Aufsteller“ in ihren Köpfen – diesen Ausdruck verwendet man in Deutschland. In der Schweiz sagt man, wenn einem etwas Freude macht und wieder Mut gibt, dann sei das ein „Aufsteller“. Zum Beispiel: Ein gutes Frühstück kann man als totalen Aufsteller bezeichnen.
Aber die Auferstehung des Herrn war nicht ein Aufsteller in den Köpfen der Jünger, dass sie sich einredeten: „Es wird alles wieder gut, wunderbar, ja, unser Herr lebt, er lebt doch wieder, obwohl er tot ist, aber er lebt!“ Und sie haben sich das so lange eingeredet, bis sie es selber glaubten.
Nein, die leibliche Auferstehung: Er auferstand, man konnte ihn anfassen. Er hat seinen Jüngern sogar gesagt: „Fasst mich an und seht, ob ein Geist einen Leib hat, Knochen hat.“ Leiblich auferstanden.
Ferner sprachen sie vom kommenden Gericht, dass Gott einen Tag bestimmt hat, an dem er alle und alles richten wird. Und sie redeten – und das erregte vielleicht den lautesten Widerspruch, der schon damals da war und heute noch besteht – sie redeten davon, dass ein ewiger, gerechter, heiliger Gott den sündigen, schuldigen Menschen mit ewiger Verdammnis strafen wird.
Das war ihre Botschaft. Das ist die Botschaft der Apostel, die Botschaft, die in ihrer Zeit innerhalb einer Generation das ganze römische Reich durchdrungen hat.
Die damalige und heutige Ablehnung des Evangeliums
Nun, die gleichen Punkte, die heute Widerspruch gegen das Evangelium erregen, führten schon im ersten Jahrhundert zu genau dem gleichen Widerstand.
Ich zitiere hier aus einem Buch eines Engländers namens David Gooding. Er hat ein sehr lesenswertes Buch über die Apostelgeschichte geschrieben. Darin beleuchtet er den Hintergrund und stellt Folgendes zur Apostelgeschichte 17 fest:
Die Menschen, an die sich Paulus in Athen wandte, glaubten, dass die Welt aus Atomen aufgebaut sei. Außerdem vertraten sie eine Theorie der Evolution. Sie glaubten an die Existenz von Göttern, doch sie waren überzeugt, dass diese Götter niemals in das Weltgeschehen eingegriffen hätten und auch in Zukunft nicht eingreifen würden.
Das ist hochmodern. Die meisten Menschen heute glauben ebenfalls an Evolution und an einen Gott, der irgendwo in einem fernen Winkel sitzt und überhaupt keinen Einfluss nimmt. Ein ferner Gott, dem es aber nicht einfallen soll, in das eigene Leben oder in die Geschicke dieser Welt einzugreifen oder die Welt zu lenken. Ein solcher Gott mag wohl sein, ein lieber Vater im Himmel, den man sich so vorstellt.
So dachten also auch die Griechen. Ihre wissenschaftliche Theorie lehrte sie, dass sowohl der menschliche Leib als auch die menschliche Seele aus Atomen bestehen. Beim Tod zerfallen die Atome der Seele ebenso wie die des Körpers. Die Seele zerfällt unmittelbar, der Körper später. Nichts überlebt außer den einzelnen Atomen.
Aus wissenschaftlichen Gründen lehnten sie daher die Möglichkeit der Auferstehung ab. Paulus predigte ihnen trotzdem die Auferstehung Christi.
Die meisten gewöhnlichen Griechen glaubten an ein Weiterleben der Seele nach dem Tod. Das hatten ihnen Platon, wenn nicht schon Homer, gelehrt. Aber niemand von ihnen glaubte an die Auferstehung des Leibes. Ihr großer klassischer Dichter Aischylos hatte gesagt, dass es so etwas einfach nicht gebe.
Als Paulus ihnen daher die leibliche Auferstehung Christi verkündete, lachten sie ihn aus.
In populärer Form waren Vorstellungen wie Seelenwanderung, Fegefeuer und Reinkarnation aus dem Hinduismus durch die Pythagoräer und Platon in die griechische Religion eingedrungen.
Das nur, damit uns klar wird, dass es einfach nicht stimmt, wenn Leute sagen: „Vor zweitausend Jahren konnte man noch an Wunder und an das Menschwerden Gottes, Jungfrauengeburt, leibliche Auferstehung und kommendes Gericht glauben, aber der moderne Mensch will so etwas nicht mehr glauben.“
Solche Meinungen zeugen einfach von Unkenntnis der historischen Tatsachen.
Die Botschaft der Apostel war von Anfang an eine anstößige Botschaft.
Die Durchsetzung des Evangeliums und seine Folgen im Römischen Reich
Nun setzte sie sich durch, weil es eben keine menschliche Philosophie ist. Es handelt sich nicht um eine von Menschen zusammengestellte und ausgedachte Heilslehre, sondern das Evangelium ist die Wahrheit Gottes. Deshalb besitzt es die Kraft der Wahrheit Gottes und schafft es tatsächlich, Menschen, die voller Trotz und Widerspruch sind, gegen das Evangelium zu überwinden. So beugen sie sich dieser Wahrheit und nehmen den Glauben an.
Die Botschaft, die auf solche Weise dem natürlichen Empfinden anstößig ist, kann sich auf Dauer nicht halten. Zunächst kam es zwar zu einem scheinbaren totalen Sieg des Evangeliums im Römischen Reich. Im vierten Jahrhundert wurde das Christentum zur erlaubten Religion, zur Religio licita, und später sogar zur Staatsreligion. Doch damit war eigentlich bereits der Keim zur im Mittelalter fortschreitenden Degenerierung der christlichen Botschaft und der christlichen Lebensweise gelegt.
In der Folge degenerierte die Christenheit so stark, dass im Mittelalter die Korruptheit der kirchlichen Führer offenkundig war. Man brauchte dies gar nicht zu beweisen, denn es war in aller Munde. Die Christenheit versank in tiefen Aberglauben.
Die Degenerierung durch die Staatsreligion und der Keim der Reformation
Nun, was meine ich mit diesem Keim der Degeneration? Das Christentum wurde zur Staatsreligion und damit zur Religion der Mächtigen. Es wurde zu einem in dieser Welt bedeutenden politischen Faktor. Doch zu diesem Zweck hat Gott das Evangelium nicht gesandt.
Das Evangelium ist die Kraft Gottes, Menschen zu Gott zu führen, sie zu retten und neu zu machen. Menschen, die neu geworden sind, werden als Folge dessen in der Welt, in der sie leben, ein Licht sein. Durch ihren Glauben und ihr Leben werden sie zum Segen für ihre Umwelt. Dies gilt allerdings nur so lange, wie sie von dem Gott, der im Evangelium verkündigt wird, abhängig bleiben.
Das bedeutet meistens, dass man in den Augen der Mächtigen und der maßgeblichen Personen in dieser Welt nicht viel zählt. Die Botschaft des Evangeliums geriet immer mehr in Vergessenheit. Dennoch gab es hier und da Einzelne, die sich auf die biblische Botschaft besannen.
Wir erfahren von den Waldensern, die die Bibel lasen. Wir hören von John Wycliffe in England, der die Bibel las und übersetzte. Ebenso von Johannes Hus, der die Botschaft der Bibel direkt aus der Schrift entnahm, die Kraft des Evangeliums an sich erfuhr und weitergeben konnte.
Allerdings wurden diese Menschen stets von der herrschenden Kirche bekämpft, unterdrückt, verfolgt und verbrannt.
Die Reformation als Erneuerung der biblischen Botschaft
Sorgte auch dafür, dass sich das Evangelium im sechzehnten Jahrhundert noch einmal mit großer Kraft über den größten Teil Europas ausbreitete – ich meine die Reformation.
Die Reformatoren verkündeten die Botschaft, die die Apostel gelehrt hatten, wieder mit Überzeugung. Sie selbst waren von Gott überzeugt worden. Sie lehrten von der Unumschränktheit Gottes: dass er der Ewige ist, der Schöpfer, der Retter und der Richter.
Gleichzeitig lehrten sie, was die Bibel über die totale Verderbtheit des Menschen sagt. Der Mensch ist so sehr gefallen, dass er ein Knecht der Sünde ist, unfähig zum Guten. Er hat den Drang in sich und kann diesem Drang nicht widerstehen, Böses zu tun. Dabei versteht die Bibel unter Bösem nicht erst, wenn der Ehemann seine Frau an den Haaren durch die Wohnung schleift oder wenn die Ehefrau ihrem Mann Gift in den Kaffee tut.
Böses bedeutet nach der Bibel vielmehr, dass der Mensch Herr seiner selbst sein will und sein ganzes Leben auf sich auslegt, alles für sich tut. Auch äußerlich vordergründig sehr Freundliches und Nettes kann nach Gottes Urteil Böses sein, wenn man nur freundlich und nett ist, um daraus einen Vorteil für sich zu ziehen, zu seinem Nutzen lebt. Das ist die Sündhaftigkeit des Menschen, aus der er nicht herauskommt.
So stellt die Bibel den Menschen dar – und das haben die Reformatoren in äußerster Klarheit dargestellt. Man lese einmal Luther, was er über den gefallenen Menschen in einer seiner berühmtesten Schriften zum unfreien Willen schreibt. Dort zeigt er sehr schön, wie die Bibel den Menschen darstellt: als einen Gefangenen seines Ich, der alles nur für sich macht, zu seinem Nutzen, zu seinem Vorteil, zu seiner Ehre – ein kleiner König in seinem Reich.
Die Verderbtheit des Menschen also. Aus diesen Wahrheiten zogen die Reformatoren den einzig richtigen Schluss: Wenn Gott wirklich Gott ist und der Mensch so gefallen ist, dann gibt es nur eines, das dem Menschen helfen und ihn retten kann. Keine Rituale, keine Religion, keine Philosophie, keine guten Leistungen, keine Beichten, keine Ablässe – nichts.
Sondern nur eines kann den Menschen retten: Gottes Gnade, Gottes Hand. Darum lehrten die Reformatoren allein die Schrift, denn hier redet Gott. Er ist der Unumschränkte. Auf ihn, auf seinen Willen kommt es an, nicht auf das, was wir denken. Allein durch die Gnade – sola gratia. Der Mensch ist unfähig zum Guten und muss alles Gott, seinem Heilshandeln, überlassen. Er kann sich nichts bei Gott verdienen.
Drittens: solafide – allein durch Glauben, einzig durch Vertrauen auf diesen Gott.
Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Reformation
Diese Botschaft hat eine enorme Durchschlagskraft und hat Deutschland, die Niederlande, ganz Nordeuropa sowie fast die gesamte englischsprachige Welt innerhalb weniger Jahrzehnte völlig verändert. Diese Wahrheiten veränderten die Menschen. Daraus ergab sich eine Folge: eine Auswirkung des Evangeliums auf die Gesellschaften, in denen sie lebten.
Ich möchte nun einige Punkte aufzeigen, die Historiker beobachtet haben. Sie stellten fest, wie die Länder der Reformation durch die Reformation verändert wurden. Der deutsche Soziologe und Wirtschaftshistoriker Max Weber, der von 1864 bis 1920 lebte, verfasste die klassische wissenschaftliche Untersuchung zum Zusammenhang zwischen dem reformatorischen Glauben, der reformatorischen Glaubenslehre und dem wirtschaftlichen Aufschwung, der in allen Ländern der Reformation einsetzte.
Man muss das richtig verstehen: Man darf nicht denken, das Evangelium sei dazu da, uns reich zu machen. Überhaupt nicht. Das Evangelium will etwas ganz anderes. Dennoch ist es eine sekundäre Folge des Evangeliums, die man überall beobachten kann.
Max Weber schreibt in seiner Schrift, die den Titel „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ trägt, unter anderem Folgendes: „Es hat wohl nie eine intensivere Form religiöser Schätzung des sittlichen Handelns gegeben als die, welche der Calvinismus in seinen Anhängern erzeugte. Und das ist wirklich sprichwörtlich der sittliche Ernst, die sittliche rigorose Strenge jener Gemeinschaften, welche die Lehren Calvins – das sind nichts anderes als die biblischen Lehren über die Gnade und die Errettung durch die Gnade – annahmen.“
Der französische Staatsdenker Montesquieu, der als Franzose wohl formal irgendwie Katholik war, aber ganz sicher kein überzeugter Christ, eher ein Freidenker, schreibt über die Engländer Folgendes: Die protestantischen Engländer hätten es in drei wichtigen Dingen von allen Völkern der Erde am weitesten gebracht – in der Frömmigkeit, im Handeln und in der Freiheit. Damit meinte er das puritanische England.
Wer hätte das gedacht? Meistens denkt man, dass dort, wo das Evangelium Menschen erfassender greift, sie dann irgendwie zu Knechten werden. Tatsächlich hat das Evangelium als Folge – nicht als zentrales Anliegen, aber als Folge – eben diese Frucht gezeitigt. In den Ländern der Reformation setzte bürgerliche Freiheit ein, sozialer Ausgleich, ein ansteigendes Bildungsniveau, die Emanzipation der Frau und wirtschaftliche Wohlfahrt. Das ist eine einfache Beobachtung, die Historiker machten. Auch Montesquieu sah das.
Dies ist einfach der sittliche Einfluss. Es sind sekundäre Auswirkungen des Evangeliums, aber ich betone: Das ist nicht das zentrale Anliegen des Evangeliums. Das Evangelium ist die Kraft Gottes zur Errettung eines jeden, der glaubt. Es führt die Seele des Menschen zu Gott – das ist in erster Linie das Ziel.
Das Evangelium fördert dort, wo es das Denken und Urteilen der Menschen zu prägen beginnt, auch die politischen Freiheiten. Damit sage ich aber nicht, dass Demokratie eine biblische Forderung sei. Das ist sie nämlich nicht. Wer die Bibel liest, findet keine gesellschaftstheoretischen Entwürfe, die die Demokratie fordern würden. Doch das Evangelium schafft Voraussetzungen, die der Demokratie förderlich sind.
Das stellte ein anderer Franzose fest, einer der meist beachteten, obwohl inzwischen etwas in Vergessenheit geratenen Schriftsteller und Gesellschaftskritiker: Alexis de Tocqueville. Er bereiste wenige Jahrzehnte nach der Gründung der Vereinigten Staaten ein Land, das plötzlich in aller Munde war. Man hatte so etwas noch nie gesehen: einen Staat mit einer Freiheitlichkeit, von der man im absolutistischen Frankreich nie hätte zu träumen wagen und von der man auch im nachrevolutionären Frankreich keinen Schimmer hatte.
Die französische Revolution brachte so große Freiheiten auch nicht, sondern vor allem viel Blut und Terror. Alexis de Tocqueville war in Amerika, und es ist bekannt, dass die nordamerikanischen Kolonien ihre Entstehung besonders den glaubensstrengen Protestanten, den englischen Puritanern, verdankten. Diese Puritaner brachen aus England aus und gründeten in Amerika die Kolonien.
Die Neuenglischen Kolonien waren alle puritanisch geprägt und von Puritanern gegründet. Im 17. und 18. Jahrhundert kam eine religiöse Erweckung hinzu, die man „The Great Awakening“ nennt – das große Erwachen. Diese Erweckung machte die entschieden protestantische Ethik und den protestantischen Glauben erneut zur formenden, sittlichen Kraft des Gemeinwesens.
Tocqueville bereiste das nun unabhängige Amerika und war erstaunt über die Freiheitlichkeit dieser Gesellschaft und über die Demokratie. In seinem Buch „Demokratie in Amerika“, das 1831 erschien, schreibt er: „Ich habe kein Land gesehen, in welchem das Christentum dem Verstand eindeutigere, einfachere und allgemein vertretenere Ansichten präsentiert. Indem es alle demokratischen Tendenzen respektierte, welche nicht absolut gegen das Christentum gerichtet waren, wurde es zu einem Verbündeten des Geistes individueller Unabhängigkeit.“
Er stellte also fest, dass das Christentum das Denken der Amerikaner auf eine Weise veränderte, wie er es bisher nirgendwo gesehen hatte. Es war förderlich für das Aufkommen der demokratischen Verfassung.
Es sage nun wirklich niemand, Demokratie sei eine biblische Einrichtung. Das ist sie nicht. Aber man kann sagen: Dort, wo biblische Sittlichkeit eine Mehrheit der Menschen dominiert, ist Demokratie erst richtig möglich.
Ich nenne noch ein Beispiel: Als zweites Musterland der Demokratie gilt die Schweiz. Ob das stimmt oder nicht, weiß ich nicht, da ich Ausländer bin und mich deshalb etwas distanziert zu diesem Land zeigen darf, in dem ich gern wohne und lebe. Man nennt die Schweiz die direkteste Demokratie, die es gibt, die einzige wirklich direkte Demokratie usw.
Diese Entwicklung geht zurück auf die Bundesverfassung der Schweiz. Die Schweiz ist natürlich, das weiß jeder, der Kirchengeschichte kennt, eines der Länder der Reformation par excellence. Zwei Zentren der Reformation waren in der Schweiz: Zürich und Genf. Diese beiden Zentren, besonders Genf, haben auch die ganze Welt beeinflusst.
Bei der Gründung der modernen Eidgenossenschaft und später, also nach 1848, kann man in Schweizer Geschichtsbüchern nachlesen, fühlten sich die Schweizer Katholiken als eine ins Abseits gedrängte Minderheit. Sie waren danach völlig im Abseits.
Man muss auch sagen, dass nur das eindeutig protestantische Denken, das die Schweiz dominierte, die Schweiz zur demokratischen Schweiz machte. Wäre die Schweiz katholisch oder mehrheitlich katholisch gewesen, hätte katholisches Denken und sittliches Urteil dominiert. Dann wäre die Schweiz nie zur modernen Schweiz geworden.
So viel zum Zusammenhang zwischen Evangelium und politischer Würdigkeit sowie Freiheitlichkeit. Ebenso besteht ein Zusammenhang zwischen dem Evangelium und wirtschaftlichem Wohlstand.
Der Berufsethos und die Arbeitsethik der Reformation
Ich zitiere jetzt noch einmal den erwähnten Max Weber aus seiner grundlegenden Studie zum Zusammenhang zwischen reformatorischer Ethik und wirtschaftlichem Aufschwung.
Das erste dürfte allen gemein bekannt sein. Ich kann mich daran aus der Gymnasialzeit erinnern, hatte damals allerdings eine ziemliche Wut auf Luther. Ich dachte: Ja, dem verdanken wir es, dass wir immer so fleißig sein müssen.
Also sagt Weber Folgendes: Nun ist unverkennbar, dass schon in dem deutschen Wort „Beruf“ ebenso wie in vielleicht noch deutlicherer Weise in dem englischen „Calling“ eine religiöse Vorstellung mitschwingt, nämlich die einer von Gott gestellten Aufgabe. Im Deutschen sagt man ja für Beruf „Beruf“, weil man weiß, man ist dazu berufen. So dachten auch die Reformatoren und lehrten es: Gott hat dich dazu gerufen zu arbeiten, das ist eine Berufung. Arbeit ist Gott gewollt, Arbeit ist ehrenwert, und darum sollst du deine Arbeit so tun, als ob es Gottesdienst wäre – mit Fleiß, mit Pünktlichkeit, mit Zuverlässigkeit und mit Pflichtbewusstsein.
Nun, ich war Luther furchtbar gram, ich fand ihn entsetzlich. Jetzt bin ich ihm eher dankbar dafür, dass er das so klar sah und lehrte.
Verfolgen wir nun – ich zitiere wieder Max Weber – das Wort geschichtlich durch die Kultursprachen hindurch, so zeigt sich zunächst, dass die lateinisch-katholischen Völker für das, was wir Beruf nennen, einen Ausdruck ähnlicher Färbung ebenso wenig kennen wie das klassische Altertum. Dieses Wort existiert jedoch bei allen protestantischen Völkern. Ein kleines Detail, aber ein sehr sprechendes Detail, das uns zeigt, dass das Evangelium den Menschen ganz einfach gesagt fleißig macht.
Nun, ich weiß, wie das bei mir war. Bevor ich Christ wurde, fand ich es lobenswert, faul zu sein. Das war mein Stolz und mein Ehrgeiz. Ich wollte der Faulste und Schlaffste in meinem ganzen Freundeskreis sein. Das war mein Ehrgeiz.
Dann bin ich zum Glauben gekommen, und das hat sich schlagartig geändert. Ich habe von Anfang an Gewohnheiten angenommen, die ich heute noch habe. Zum Beispiel halte ich es morgens im Bett nicht lange aus. Ich bin wach und stehe auf. Ich fühle mich zutiefst unglücklich und unwohl, wenn ich im Bett liegen bleibe. Ich freue mich darauf, aufzustehen, Zeit zu haben – zuerst für das Wort Gottes, für die Bibel, für das Gebet und danach zu arbeiten.
Hätte ich nie für möglich gehalten, Arbeit als von Gott gewollte Aufgabe zu sehen, Pflichterfüllung als christlichen Dienst am höchsten und am nächsten. Arbeit als den besseren Gottesdienst im Vergleich zur frommen Kurzweil bettelnder und schmarotzender Mönche – all das kennen wir von Luther.
Er wusste sich sehr derb auszudrücken. Er nannte die Dominikaner, also die Bettelmönche, deren Orden er angehörte, zuerst „die rechten Filzläuse in der Schöpfung Gottes“ und stellte demgegenüber die Arbeit. Dabei berief er sich auf die Apostel, die selbst arbeiteten. Wir haben gestern einige Verse daraus zitiert.
Paulus sagte: „Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, um niemandem beschwerlich zu fallen.“ Die Apostel lehrten: Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. Sie lehrten, zu arbeiten, um niemandem zur Last zu fallen, sondern um zu arbeiten, damit man anderen mitzuteilen hat.
Dieses Arbeitsethos, das die Reformation wieder hervorholte, hatten die Apostel schon gelebt. Es war allerdings jahrhundertelang durch eine degenerierte Christenheit in Vergessenheit geraten, in der man dachte, möglichst beschaulich zu leben sei möglich. Fromm leben, meditieren und Augen verdrehen galt als das Nonplusultra des Christen.
So sieht es das Evangelium nicht.
Ich zitiere noch einmal Max Weber: „Die Arbeit ist darüber hinaus und vor allem von Gott vorgeschriebener Zweck des Lebens.“ Selbst Zinzendorf sagt gelegentlich: Man arbeitet nicht allein, um zu leben, sondern man lebt um der Arbeit willen. Und wenn man nichts mehr zu arbeiten hat, so leidet man oder entschläft.
Der paulinische Satz „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ gilt bedingungslos und für jedermann. Die Arbeitsunlust ist ein Symptom fehlenden Gnadenstandes.
Also so weit zu diesem Punkt.
Dann: Evangelium und soziales Engagement.
Evangelium und soziales Engagement: Die methodistische Erweckung
Eine der größten geistlichen Bewegungen seit der Reformation – einige sagen sogar, es sei die größte Erweckung seit den Tagen der Apostel gewesen. Wie wollen wir das beurteilen? Eindeutig war es eine gewaltige Bewegung, die durch das Evangelium ausgelöst wurde und nahezu die gesamte englischsprachige Welt erfasste. Diese Bewegung wird als die sogenannte methodistische Erweckung des achtzehnten Jahrhunderts bezeichnet.
Die Erweckung wurde getragen von Männern wie George Whitefield, der allen voran stand, und auch John Wesley. Beide waren ordinierte Pfarrer der Church of England, der anglikanischen Kirche. Die beiden Träger dieser ungeheuren religiösen und sozialen Bewegung waren George Whitefield und John Wesley. Whitefield war der Bannbrecher und vielleicht der Wichtigere der beiden.
George Whitefield predigte das Evangelium so, wie es die Reformatoren getan hatten, dessen war er sich auch bewusst. Ich zitiere hier einmal George Whitefield aus einem Brief, den er an seinen Weggefährten und Mitarbeiter John Wesley schrieb:
„Die Lehre unserer Erwählung und freien Rechtfertigung in Christus Jesus wird mir täglich eindringlicher aufs Herz gelegt. Sie füllt meine Seele mit heiligem Feuer und gewährt mir große Freimütigkeit und Gewissheit in Gott, meinem Retter. Ich hoffe, dass wir Feuer fangen voneinander und dass wir in heiligem Eifer darin wetteifern, wer unter uns den Menschen am tiefsten erniedrigt und den Herrn am höchsten erhöht. Nichts als die Lehren der Reformation vermögen das zu bewirken. Ich weiß, dass Christus alles in allem ist, der Mensch aber nichts. Der Mensch hat den freien Willen, in die Hölle zu fahren, nicht aber, in den Himmel zu kommen, solange Gott nicht in ihm wirkt, dass er das will und wirke, was Gott gefällt. Oh, wie herrlich ist die Lehre der Erwählung und des endgültigen Ausharrens der Heiligen! Ich bin davon überzeugt, dass der Mensch, solange er diese wichtigen Wahrheiten nicht glaubt und spürt, nicht von sich selbst frei werden kann. Wenn er aber von diesen Wahrheiten überzeugt und von deren Anwendung auf sein Herz überführt worden ist, dann wandelt er wahrhaft im Glauben. Liebe, nicht Furcht, trennt ihn zum Gehorsam.“
Hier begegnen wir einem Paradox – und das ist in der Tat das christliche Paradox. Es ist einige Male angeklungen, ich sage es jetzt noch einmal: Die Reformatoren waren, wie auch die Apostel, davon überzeugt, dass der Mensch völlig unfähig zum Guten ist. Eine Errettung liegt völlig an Gottes Werk, an Gottes Wirken, an Gottes Gnade, an Gottes Erwählen.
Sollte eine solche Ansicht denn nicht zur völligen Passivität verleiten? Gestern Abend hörten wir ja einiges davon, dass die islamische Lehre vom Kismet wahrlich eine dämonische Fessel ist, die Millionen von Menschen in dumpfer Resignation dahinvegetieren lässt. Nun, was ist der Unterschied?
Wir sehen an Paulus dasselbe, was uns das Leben der Reformatoren und aller großen Verkündiger ihrer Botschaft auszeichnet: die restlose Überzeugung, dass alles an Gottes Gnade liegt und dass in uns keine Qualitäten sind, die uns vor Gott empfehlen. Das bindet uns so völlig an Gott und lässt uns von ihm und seinem Willen so überführt und getrieben werden, dass wir es als das höchste Vorrecht und die größte Freude ansehen, unser Leben zu verzehren im Dienst zur Ehre Gottes und zum Wohl der Mitmenschen.
„Nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir war.“ Das Bewusstsein der Gnade machte Paulus zu einem unermüdlichen Arbeiter. Von Luther und auch von Calvin bezeugen Freunde wie Feinde, dass sie angesichts ihrer unfassbaren Arbeitsleistung einfach sprachlos dastehen.
Das ist wirklich ein scheinbares Paradox: Alles liegt an Gottes Gnade, ich bin unfähig zum Guten. Wenn ich das begriffen habe und mich darum diesem Gott hingebe, dann wird seine Liebe und auch seine Kraft mich drängen, für ihn zu arbeiten – aus Dankbarkeit, aus Freude an ihm und dann auch aus Liebe zu dem Mitmenschen.
Zum Beispiel George Whitefield: In den 25 Jahren seines öffentlichen Dienstes – er starb als 50-Jähriger – hielt er nach vorsichtiger Schätzung mindestens 40.000 Predigten. Über tausend Predigten in einem Jahr, drei, vier, fünf pro Tag. Er reiste kreuz und quer durch England, war über zehnmal in Schottland, siebenmal in Nordamerika und überquerte den Ozean dreizehnmal. Damals war eine Ozeanüberquerung nicht wie heute.
Er verzehrte sein Leben für andere, weil er davon so überzeugt war, dass Gottes Gnade uns rettet und alles an seinem Erbarmen liegt, nicht an unseren Qualitäten. So lehrt das Evangelium die Gnade Gottes und das ewige Leben.
Eine solche Gesinnung pflanzt sich natürlich fort. Wo Menschen so denken, prägt dieses Denken und Sinnen auch eine Gesellschaft. Und wenn nur äußerlich die Wahrheiten des Evangeliums gelehrt werden, auch wenn sie nicht von Herzen wirklich verstanden werden, hat das Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen.
England im 18. Jahrhundert: Vom moralischen Verfall zur Erweckung
Jetzt möchte ich als Beispiel zeigen, wie die Botschaft der Männer Whitfield und Wesley innerhalb einer Generation ihr Land verändert hat – England vor und nach Whitfield und Wesley.
England war gegen Ende des siebzehnten und im ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts in eine totale sittliche Gleichgültigkeit, ja man muss sagen Gottlosigkeit, versunken. Das hing damit zusammen, dass sich plötzlich der König gegen die Männer der Reformation und ihre Nachfahren, die Puritaner, wandte. Sie versuchten, die ganze Kirche zur einheitlichen Gleichschaltung der Krone zu unterstellen. Jeder, der das nicht tat, wurde aus seinem Predigtdienst entlassen.
1662 wurden nahezu 2000 Verkündiger des Evangeliums, Prediger in den anglikanischen Kirchen, von heute auf morgen auf die Straße gestellt. Man hatte also die Bibelgläubigen aus der Church of England vertrieben – Männer, die den Glauben der Reformatoren persönlich kannten und darum diesen Glauben auch lehrten. Entsprechend versank und degenerierte die Kirche Englands innerhalb weniger Jahrzehnte, sodass sie Anfang des achtzehnten Jahrhunderts folgendes Bild bot.
Ein Zeitgenosse, ein gewisser Alfred Plummer, schreibt darüber: Das Kollektiv der Pastorenschaft besteht aus Männern, deren Leben und Beschäftigung in sonderbarster Beziehung zu ihrem Beruf stehen. Höflinge, Politiker, Anwälte, Händler, Wucherer, Tändler, Musiker – Werkzeuge der Mächtigen und sogar Gefährten von Schurken und Gottlosen. Das Kirchenvolk ist entsprechend das unwissendste, das sich in irgendeinem protestantischen, wenn nicht überhaupt christlichen Volk auf der Erde befindet.
Ein harmloser Deismus hatte den Glauben an den Gott der Bibel verdrängt. Der Deismus sagt, ja, es gibt schon einen Gott, der die Evolution als Werkzeug verwendet haben mag und so die Welt in Gang gesetzt hat. Auch ist er der erste Verursacher. Aber dieser Gott hat sich in einen Winkel zurückgezogen und lässt uns schön brav in Ruhe.
Das ist der Deismus, und solcher Glaube hat natürlich keinerlei Kraft auf das Gewissen des Menschen – das ist klar.
Dieser gleiche Alfred Plummer beschreibt eine sehr sprechende Szene, die zeigt, wie viel das Christentum in England in den ersten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts galt. Queen Caroline war lange bei schlechter Gesundheit gewesen und lag im November 1736 im Sterben. Nun erleben wir folgende sehr schmerzliche, aber charakteristische Szene:
Das Volk wundert sich, dass niemand mit der Königin Gebete gelesen hat. Um diesem Bunkern ein Ende zu setzen, schlug der Premierminister Robert Walpole der Prinzessin Emilie vor, den Erzbischof Potter ans Sterbelager zu bestellen. Die Prinzessin zögerte, worauf Walpole weiterfuhr: Wiewohl etwa ein Dutzend Personen zugegen waren, sagte er: „Gnädige Frau, wir spielen am besten diese Farce. Der Erzbischof wird seinen Part gut machen. Sie können ihm auftragen, sich so kurz zu fassen wie irgend möglich. Es wird der Königin weder schaden noch nützen, aber es wird alle guten und weisen Narren zufriedenstellen, die uns Atheisten nennen werden, wenn wir uns nicht als so große Narren gebärden, wie sie es sind.“
So urteilten und dachten die Mächtigen. Das Christentum wurde behandelt, als sei es reine Fiktion, die nichts dienen könne, als der öffentlichen Belustigung und Verhöhnung preisgegeben zu werden. Zustände, die wir auch heute bei uns vorfinden.
England wurde innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer total versoffenen Nation. Die Nation war total dem Dschinn verfallen. Um 1700 war jedes sechste Haus in London ein Schnapsladen. Ein Londoner Beamter fragte sich damals: Was soll aus dem Kind werden, das im Dschinnsuff gezeugt wurde und im Mutterleib sowie an der Mutterbrust einer dem Dschinn verfallenen Mutter herangewachsen ist?
Ein gewisser Bischof Benson klagte zur gleichen Zeit: „Diese verfluchten Schnepse werden, wenn man weiterhin so viel trinkt, dieses Volk vernichten.“ Dschinn hat das englische Volk so werden lassen, wie es zuvor nie gewesen ist – grausam und unmenschlich.
Der berühmte und im achtzehnten Jahrhundert gefeierte britische Dramatiker Henry Fielding urteilte: „Sollte das Trinken dieses Giftes in den nächsten zwanzig Jahren im gleichen Ausmaß weitergehen, dann werden nur noch wenige Normale zurückbleiben, um das Gift noch zu trinken.“
Tierquälerei begann wieder überhandzunehmen, nachdem die Puritaner ein Verbot gegen tierquälerische Spiele durchgesetzt hatten. Eine herzlose Aristokratie lebte im übermäßigen Prunk. Große Teile der Bevölkerung verelendeten, die Kriminalität wuchs, Gefängnisse waren überfüllt. Obszönitäten auf offener Bühne erinnerten auch heute noch an damals. Die Bühne nannte John Wesley „that sink of corruption“ – diesen Abfluss oder diese Sickergrube der Verderbtheit und des Sklavenhandels.
In diesen Jahren wurde England zur führenden Sklavenhandelsnation der Welt, dennoch darauf zurückzukommen.
Die Erweckung durch Whitefield und Wesley und ihre gesellschaftlichen Folgen
Und dann begann Gott im Gewissen dieser Nation zu reden, und zwar durch George Whitefield und John Wesley. Die Tätigkeit Whitefields, diesseits und jenseits des Ozeans, erzielte außergewöhnliche Ergebnisse. Er war in Nordamerika mit Benjamin Franklin befreundet, einem der markantesten Amerikaner jener Zeit und Mitverfasser der Unabhängigkeitserklärung von 1776.
Benjamin Franklin kannte Whitefield sehr gut, hat jedoch leider nie dessen Ruf zur Bekehrung ernst genommen, wie er selbst sagte. Franklin beschreibt die Veränderung seiner Heimatstadt Philadelphia, nachdem Whitefield dort gewirkt hatte: „Mr. Whitefield kam zu uns. Die Menschenmengen aus allen nur erdenklichen Benennungen, die seine Predigten hörten, waren enorm. Für mich war es ein Gegenstand interessanter Spekulation, den außerordentlichen Einfluss seiner Redekunst auf die Zuhörer zu beobachten. Es war wunderbar, die baldigen Veränderungen im Benehmen unserer Mitbürger zu sehen. Zuvor waren sie gegenüber diesen Dingen gedankenlos oder gleichgültig gewesen. Es schien, als ob die ganze Welt religiös werden wollte, dergestalt, dass man abends nicht mehr durch die Stadt spazieren konnte, ohne in jeder Straße in mehreren Familien den Gesang von Psalmen zu hören.“
Solche Veränderungen waren überall die Auswirkungen, wo Whitefield, Wesley und ihre Mitarbeiter das Evangelium verkündeten. Unzählige Menschen wurden durch die Kraft des Evangeliums wiedergeboren. Dies hatte auch Folgen für das gesellschaftliche Leben.
Viele britische Historiker haben dies dargestellt. In der britischen Geschichtsschreibung ist es ein Gemeinplatz: Man spricht von England before and after Wesley. Die Nation wurde von der Trunksucht befreit. Das erinnert mich als Nordländer an das, was die Erweckung im neunzehnten Jahrhundert in Schweden bewirkte. Dort war die gesamte Bauernschaft total im Schnaps verfallen. Dann kam diese Erweckung durch Schweden, und das Land wurde von dieser furchtbaren Geißel befreit.
Das ist auch der Grund, warum die Schweden bis heute ein sehr gespanntes Verhältnis zum Alkohol haben. Man kann nicht einfach in jedem Laden eine Flasche Wein oder Schnaps kaufen; die Abgabe wird stark kontrolliert. Wenn man auf Parkbänken Betrunkene sieht, bedeutet das nicht, dass es in Schweden viele Säufer gibt. Vielmehr können sie sich nie so einfach betrinken wie in einer Kneipe, wie es hier der Fall ist. Darum sitzen sie auf Parkbänken, und deshalb sieht man sie dort.
Auch der Alkoholkonsum ist in den nordischen Staaten nur ein Bruchteil dessen, was er in Mittel- und Südeuropa ist, gemessen am Pro-Kopf-Konsum. Die Befreiung von der Trunksucht ist also wiederholt durch die Kraft des Evangeliums geschehen.
Ein weiteres Beispiel ist die Gründung von Schulen für breite, ungebildete Schichten. Whitefield selbst gründete dort, wo er zum ersten Mal begann, ausgestoßenen Schichten der Gesellschaft das Evangelium zu verkündigen, eine Schule. Nachdem er das Evangelium gepredigt hatte, sorgte er dafür, dass die Menschen Bildung erhielten.
Dieses Beispiel wurde nachgeahmt: Griffith Jones, ein Mitarbeiter Whitefields, bildete in seiner walisischen Heimat Schullehrer aus und gründete Wanderschulen für Kinder und Erwachsene. Zwischen 1731 und 1761 entstanden so fast vier Schulen, und 158 Schüler wurden ausgebildet – alles Folgen der Verkündigung und Annahme der Botschaft des Evangeliums.
Auch Waisenhäuser wurden eröffnet. Whitefield gründete bereits bei seinem zweiten Aufenthalt in Amerika, in der Kolonie Georgia, ein Haus für elternlose Kinder. Man denkt dabei an Hermann August Franke, von dem ich sogar ein Bild an einer Schautafel habe. Er gründete fünfzig Jahre früher das erste Waisenhaus Europas und richtete ebenfalls eine Schule für jedermann ein.
Eine weitere Folge dieser geistlichen Erweckung in England war die Abschaffung der Sklaverei. Sowohl Whitefield als auch Wesley wandten sich öffentlich gegen die Praxis der Sklaverei. Einer, der durch diese geistliche Bewegung zum Glauben kam, war William Wilberforce. Er wurde Christ und schrieb 1787 in sein Tagebuch – er war persönlich mit John Wesley befreundet und stand später auch mit ihm im Briefverkehr: „Der allmächtige Gott hat mir zwei Ziele gesetzt: die Abschaffung der Sklaverei und die Besserung der Sitten in England.“
Zwanzig Jahre des Kampfes waren nötig, um das Parlament zur Abschaffung des Sklavenhandels zu überreden. England vor Wesley war die größte Sklavenhalternation, England nach Wesley war führend im Kampf um die weltweite Abschaffung der Sklaverei.
Dies sind einige Beispiele dafür, was die Botschaft der Bibel auf eine Gesellschaft bewirken kann.
Die geistige Verdüsterung Europas seit der Aufklärung
Und nun komme ich zum letzten Punkt: der Verdüsterung Europas. Damit meine ich unsere Zeit. Gleichzeitig mit der Reformation wurde die Saat gelegt für die heutige Verfinsterung.
Zur gleichen Zeit wie die Reformation entstand eine andere geistige, intellektuelle und kulturelle Bewegung: die Renaissance, die Aufklärung und der Rationalismus. Die Renaissance bedeutet Wiedergeburt – aber wessen Wiedergeburt? Oft hört man, es sei die Wiedergeburt der antiken Künste. So verstanden die Menschen der Renaissance es jedoch nicht.
Pico della Mirandola, einer der bekanntesten Denker und Vertreter der Renaissance aus Italien, sagte sehr klar: Die Renaissance ist nichts anderes als die Wiedergeburt des Menschen zur Mitte der von ihm gestalteten Welt. Das ist das, was unter Renaissance verstanden wird: der Mensch, der sich bewusst in die Mitte seiner Welt stellt.
Daraus ergibt sich auch der Rationalismus, der den menschlichen Geist über das Wort Gottes als Quelle letzter und höchster Erkenntnis stellt. Der menschliche Geist ist also in der Lage, sich selbst, Gott und die Welt zu erklären. Materialismus bedeutet, dass am Anfang nicht Gott oder das Wort Gottes steht, sondern die Materie. Alles ist aus Materie entstanden.
Wir halten das für eine moderne Philosophie, doch sie ist sehr alt. Die alten Ägypter glaubten bereits, am Anfang sei eine Ursuppe gewesen. Diese Ursuppe, das Urmeer, enthielt das Urei, aus dem alles Leben entstanden sei. Das ist hochmodern – genau so reden heute Menschen, die sich von der biblischen Botschaft abgewandt haben. So begann man zu denken in der Zeit der Aufklärung.
Tatsache ist: Der Beginn der heutigen totalen Verfinsterung Europas ist genau dieser Punkt. Es ist wahrlich Finsternis zu nennen, wenn man den Menschen und sein Denken über Gott und sein Wort stellt.
Inzwischen ist es so, dass dieser schöne biblische Satz „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang“ über Jahrhunderte das Motto von Wissenschaftlern, Dichtern und Denkern im christlichen Europa war. Heute jedoch wagt kein Forscher – weder Naturwissenschaftler noch Geisteswissenschaftler – und auch kein Politiker es im Ernst, Gott als den Urheber der Welt, als Quelle wahrer und höchster Erkenntnis und als letzten Richter darzustellen. Das würde als lächerlich gelten.
Wir haben in den Jahrhunderten seit der Reformation vieles aufgenommen, doch gleichzeitig die Botschaft der Reformation verdrängt. Eine der verhängnisvollsten Botschaften ist sicher die des Darwinismus gewesen, die Gott verdrängt und letztlich den Menschen an die Stelle Gottes setzt. Dann ist nämlich der Mensch das Höchste, das auf der Erde herumläuft. Die Krone aller Entwicklung ist der Mensch, der sich selbst zum Gott macht und sagt: Die Naturwissenschaft lehrt uns das so.
Aus dem Darwinismus ergibt sich fast zwangsläufig der Sozialdarwinismus. Hitler war ein typischer Sozialdarwinist. Er übertrug Darwins biologische Lehre auf die Gesellschaft. Andere taten das ebenfalls, und Hitler griff diese Ideen auf. Er glaubte, dass in der Gesellschaft der Rücksichtslose, der Stärkste, der Schlauste und Gewitzteste sich durchsetzt. Wenn er sich durchsetzt, habe er das Recht dazu, der Stärkere zu sein.
Stalin war bekanntlich Schüler eines Priesterseminars. Dann las er ein Buch mit dem Titel „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“, geschrieben von Charles Darwin. Er las das Buch, entschloss sich, revolutionär zu werden und wurde ein „Bombenwerfer“. Am Ende war er der Stärkste – über hundert Millionen Menschen fielen seinem Regime zum Opfer.
Die Verdüsterung Europas hängt damit zusammen, dass die Wahrheit der Bibel, die Grundwahrheiten des Evangeliums und die Wahrheiten der Reformation über Bord geworfen wurden.
Ich muss erneut von einem Paradox sprechen. Vorhin hatten wir ein christliches Paradox, jetzt ein antichristliches. Die Nachfahren der Reformatoren, der Puritaner, der Pietisten und der Erwecker – in der dritten, vierten oder fünften Generation – mögen heute gerne von der kulturstiftenden Kraft des Christentums sprechen. Das erkennt man auch. Die Früchte biblischen Denkens und Urteilens, wie zum Beispiel Pflichtbewusstsein, Rationalität (nicht Rationalismus), praktische Solidarität und daraus erwachsende materielle Wohlfahrt – diese Dinge wollen wir alle.
Aber die Botschaft, die göttlichen Wahrheiten, die die Kraft und den Ursprung all dessen darstellen, wollen wir nicht. Wir wollen nicht umdenken. Denen, denen wir all das verdanken, wollen wir nicht. Der Glaube an Gott und an den Gott der Bibel und die gläubige Unterordnung unter diesen Gott werden mit Entschiedenheit, mit Abscheu und mit Zorn abgelehnt.
Darum habe ich, wenn das so weitergeht, für Europa keine Hoffnung. Ich sage das ganz ehrlich.
Gestern habe ich einiges über Indien und Pakistan gesagt. Einige dachten, ich wolle diese Länder und ihre Menschen schlechtmachen. Nein, ich liebe Indien wirklich, und ich habe in Pakistan sehr gute Freunde. Ich sage das immer wieder und wiederhole es auch hier: In vielem ist Europa antichristlicher als viele nichtchristliche Länder geworden.
Ich nenne einige Punkte: Die Apostel predigen einen Schöpfer, die Reformatoren predigen einen Schöpfer, die Bibel und das Evangelium predigen einen Schöpfer. Heute wird die Schöpfung nicht nur stillschweigend in Frage gestellt, sondern offen geleugnet. In Schulbüchern wird das systematisch gelehrt.
Von klein auf wird Kindern in der Schule beigebracht, dass es keine Schöpfung gibt. So etwas gibt es nur im sogenannten christlichen Abendland. Die meisten Muslime – ich habe muslimische Freunde – und die meisten Hindus – ich habe auch hinduistische Freunde – schütteln den Kopf und fragen: Wie kann man so degeneriert sein?
Die Schöpfungsordnungen werden geleugnet. Zum Beispiel wird geleugnet, dass Eltern Eltern sind und Kinder Kinder. Das will man heute nicht mehr wahrhaben. Die Kinder haben den Eltern zu befehlen, und die Eltern haben sich den Kindern zu fügen. So sieht es heute aus. Wehe den Eltern, die das nicht tun! Sie können von ihren Kindern verstoßen werden. Das ist jetzt ein bisschen überspitzt formuliert, aber in diese Richtung geht es.
Schöpfungsordnungen werden völlig auf den Kopf gestellt. Wenn ich sagte, dass das Evangelium der Frau ihre Würde gibt und dass dort, wo sich das Evangelium ausbreitete, die Frau im guten Sinn emanzipiert wurde, muss man heute sagen, dass auch hier die Ordnung des Schöpfers und der Schöpfung mit Füßen getreten wird.
Man wagt es nicht mehr, das auszusprechen. Dabei lehrt die Bibel es tatsächlich: Gott schuf den Mann als Haupt der Frau – also als Führer, als den, der vorangeht. Das ist Gottes Ordnung, Schöpferordnung, Schöpfungsordnung – zum Wohl des Mannes, zum Wohl der Frau, zur Ehre des Mannes und zur Ehre der Frau so gefügt und geordnet.
Aber auch das wird heute vehement bekämpft.
Die natürliche Liebe ist erstickt. Vielleicht ist das krasseste Beispiel dafür, dass die natürliche Liebe erstickt ist, das Recht, das heute in Europa nicht nur eingefordert, sondern als Recht eingeklagt wird: das Recht, heranwachsende Menschen im Mutterleib zu töten.
Wenn ich das meinen Freunden in Indien sage, dass man hier auf der Straße fordert, dass man das tun darf, sind sie total entsetzt. Sie können das nicht fassen. Ist das möglich?
Wir sind schon so abgestumpft in der Welt, dass wir nicht mehr merken, was für eine Bosheit das ist, wie verdreht wir geworden sind. Das liegt daran, dass wir das Evangelium seit einigen Jahrzehnten systematisch in den Medien, in den Schulen an den Rand gedrängt, verdrängt und ausgelöscht haben.
Der Name des Herrn wird gelästert. Der Name des Gottes der Bibel, der Name des Sohnes Gottes, seiner Person, wird nirgends so gelästert wie in den sogenannten christlichen Völkern.
Was hier für literarische und sogenannte künstlerische Produkte zirkulieren, die die Person des Sohnes Gottes öffentlich verlästern, das hat es nie gegeben. So etwas geschieht in nichtchristlichen Ländern auf keinen Fall.
Das wäre undenkbar: In einem islamischen Land würde niemand öffentlich etwas gegen den Propheten Mohammed sagen. Unmöglich.
Aber in den sogenannten christlichen Ländern wird Jesus Christus dermaßen verlästert.
Ich möchte gar nicht mit Beispielen beginnen, denn ich bringe es gar nicht fertig, sie zu nennen.
Wir sind bald zur antichristlichsten Gesellschaft der Gegenwart geworden.
Zusammenfassung und Schlussgedanken
Ich will zusammenfassen oder abschließen: Ja, die Bibel hat den Menschen gelehrt, entsprechend zu denken, und wir genießen heute die Früchte davon, dass wir einen Sozialstaat haben. Bildung für alle, Befreiung von rassistischen Vorurteilen, bürgerliche Freiheiten und politische Mündigkeit – all das verdanken wir der Botschaft dieses Buches.
Die Bibel hat den Menschen beigebracht, entsprechend zu denken und sich entsprechend zu verhalten. Die Apostel, die Referenten und Erweckungsprediger vergangener Jahrhunderte hatten jedoch ein höheres Ziel, ein großes Lebensziel. Nun zitiere ich ein letztes Mal Max Weber, der erstaunlich klar erkannt hat: Ethische Reformprogramme waren bei keinem der Reformatoren, zu denen wir für unsere Betrachtung auch Männer wie Menno Simons, George Fox und John Wesley zählen, jemals der zentrale Gesichtspunkt.
Sie sind keine Gründer von Gesellschaften für ethische Kultur oder Vertreter humanitär-sozialer Reformprogramme oder Kulturidealen. Der Seele allein – und dies allein – ist der Angelpunkt ihres Lebens und Wirkens. Ihre ethischen Ziele und die praktischen Wirkungen ihrer Lehre sind alle hier verankert und Konsequenzen reihen religiöser Motive.
So ist es der Seelenheil oder genau die Erkenntnis Gottes, den zu kennen und dem zu dienen allein, leben und heilen bedeutet. Das war die Leidenschaft derer, die diese Botschaft begriffen hatten, von ihr ergriffen waren und sie verkündigten. Die sozialen Folgen waren natürlich willkommene, aber nicht primär gesuchte Dinge.
Die Christenheit des zwanzigsten Jahrhunderts will jedoch nur noch die Früchte als zweite oder dritte Generation ernten, genießen und sich von dem abwenden, von dem all das Gute kommt. Und ich muss ehrlich sagen: Mir wird bange, mir wird bange um eine solche Gesellschaft.
Die Bibel sagt auch etwas, und mit diesem Satz will ich schließen. Ich will diesen Satz uns allen vors Gewissen stellen: „Ihr hört euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten. Was irgendein Mensch sät, das wird er auch ernten.“
Wir wollen beten miteinander: Unser Gott und Vater, wir wollen dir Dank sagen und dich rühmen für all deine Güte, die du in deinem Sohn offenbart hast, deine Treue, die du all deinen Geschöpfen erweist. Du bist es, der unser Erstes, der unser Held ist. Du bist es auch, der sozialen Frieden und politischen Frieden immer wieder schenkt. Du bist es, der gibt, was wir zum Leben brauchen.
Wir wollen nicht vergessen, wem wir alles verdanken, und beten, dass wir neu lernen, auf dich, auf dein Wort zu hören und für dich zu leben. Wir danken dir dafür. Amen.
Lied und Ausblick auf Fragen
Jetzt hören wir noch ein Lied, und danach kann jeder, der Fragen hat, mich gerne fragen. Ich stehe dann hier noch zur Verfügung. Was soll schon schiefgehen, habe ich noch gedacht.
Wer war, der wird gewinnen? Doch schnell begriff ich, wie wohl mein Plan war: Ich muss von vorn beginnen. Ein neuer Start, ein neuer Anfang, weil Gott die Chance auf ein neues Leben gibt.
Ein neuer Start, ein neuer Anfang auf meinem Weg hin zum Ziel.
Neuer Start, ein neuer Anfang, weil Gott die Chance auf ein neues Leben gibt.
Ein neuer Start, ein neuer Anfang auf meinem Weg hin zum Ziel.
Halt durch, es wird schon, du schaffst es irgendwie. Sinnlose Phasen – ich weiß, wie er hilft bei Sorgen und Problemen. Ich kann jetzt lernen, zu Fehlern zu stehen und Vergebung anzunehmen.
Ein neuer Start, ein neuer Anfang, weil Gott die Chance auf ein neues Leben gibt.
Ein neuer Start, ein neuer Anfang auf meinem Weg hin zum Ziel.
Ein neuer Start, ein neuer Anfang. Bald hat die Chance auf ein neues Leben begonnen.
Ein neuer Start, ein neuer Anfang auf meinem Weg zum Ziel.
Warnung vor Pessimismus und biblische Mahnung
Ich denke, mein Pessimismus entspricht dem, was in der Bibel steht. Ja, ich befürchte es. Wir haben das Lehrbeispiel für alle Völker der Welt: die Nation Israel. Dieses Volk wurde gesegnet, weil es von Gott selbst in eine Beziehung zu ihm gestellt wurde und von Gott Offenbarungen empfing.
Gott hat diesem Volk angekündigt und gesagt: Wenn ihr all die guten Segnungen, die ich euch gebe, nur still für euch genießt und nicht daran denkt, dann werde ich euch richten und schlagen. Ich lese dazu 5. Mose 8. Diese Worte lassen sich problemlos auf andere Völker übertragen, die aus Gründen, die wir nicht kennen, das Evangelium empfangen haben.
Ich weiß nicht, warum Gottes Sohn wollte, dass das Evangelium nach Europa kam und sich dort besonders ausbreitete. Das liegt an Gottes Gnade, nicht daran, dass Europäer besser wären als Inder oder Chinesen, ganz sicher nicht. Dort, wo das Evangelium bekannt und klar verkündigt wurde, haben sich auch segensreiche Folgen eingestellt, die für jeden greifbar und sichtbar sind.
In 5. Mose 8 heißt es: „Hüte dich, dass du den Herrn, deinen Gott, nicht vergisst, damit du nicht, wenn du isst und satt wirst, schöne Häuser baust und bewohnst, dein Rind und dein Kleinvieh sich mehren, Silber und Gold sich vermehren und alles, was du hast, wächst, dein Herz sich erhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergisst. Du sollst den Herrn, deinen Gott, gedenken, dass er es ist, der dir Kraft gibt, Vermögen zu schaffen, damit er seinen Bund aufrechterhält, den er deinen Vätern geschworen hat.“
Und weiter steht dort: „Es wird geschehen, wenn du den Herrn, deinen Gott, vergisst und anderen Göttern nachgehst – also dem Gott des Materialismus, dem Gott des Rationalismus, dem Gott der Selbstsucht – und ihnen dienst und dich vor ihnen niederbeugst, dann zeuge ich heute gegen euch, dass ihr gewisslich umkommen werdet.“
Das ist mit Israel geschehen. Es wird auch unser Teil und unser Los sein, wenn es nicht noch einmal zu dem kommt, was im 16. Jahrhundert in Europa geschah – durch die Reformation. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden in verschiedenen Ländern Europas, nacheinander England, Deutschland und alle drei skandinavischen Länder, durch große Erweckungen verändert.
Wenn so etwas nicht geschieht, sehe ich keine Hoffnung für das einst christliche Abendland.
Die Einzigartigkeit der heutigen Situation
Wer mit Menschen spricht, egal wo, und das Thema auf die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse weltweit oder auch hier bei uns lenkt, hört oft den Satz: „Das war schon zu allen Zeiten so.“ Man blickt also mit einer pessimistischen Brille in die Gegend.
Ich habe meine Argumente dazu. Ich würde gerne Ihre Argumente hören, warum die Situation heute doch anders sein soll als beispielsweise vor tausend Jahren.
Ja, darin liegt ein wichtiger und bemerkenswerter Unterschied – anders gesagt als vor hundert Jahren. Im 14. Psalm Vers 1 heißt es: „Der Tor hat in seinem Herzen gesagt, es ist kein Gott.“ Die meisten Menschen leben so, als gäbe es keinen Gott, und das war schon immer so.
Aber es ist ein Unterschied, ob man das nur in seinem Herzen hat oder wenigstens dem Bekenntnis nach weiß, dass es einen Gott gibt und man ihn wenigstens anerkennt.
Heute ist es jedoch so, dass man nicht nur leise sagt, es gibt keinen Gott, sondern dass systematisch gelehrt wird, der Gott der Bibel existiere gar nicht, dass es keinen Schöpfer gebe. Das wird systematisch gelehrt, und das hat es im christlichen Abendland noch nie gegeben. Im Gegenteil: Bis vor relativ kurzer Zeit wurde in Schulen und im Religionsunterricht noch gelehrt, was die Bibel sagt – Schöpfung, Sündenfall, Erlösung durch den Glauben an Jesus Christus.
Heute wird von alledem nichts mehr gelehrt, oft wird sogar das Gegenteil vermittelt. Paulus nennt als Merkmal des endzeitlichen Menschen, dass er selbstverliebt sein wird, dass er sich selbst lieben wird. Nun, das war auch schon immer so, denn der Mensch ist von Natur aus selbstverliebt und egoistisch.
Aber das Neue daran ist, dass heute gesagt wird, das sei richtig: für sich selbst zu leben, sich selbst zu verwirklichen. Das sei der Sinn des Lebens, der höchste Sinn des Lebens – sich selbst zu verwirklichen und auf die eigene Rechnung zu kommen.
Das war noch nicht lange her, da wurde man so erzogen, so gelehrt, so hörte man es in der Kirche und in der Schule: Wir sollen lernen, für andere zu leben, die Pflicht über den Wunsch zu stellen, das Wohl der Gemeinschaft über den eigenen Vorteil zu setzen.
Das wird heute nicht mehr so gelehrt. Im Gegenteil, man sagt: Du musst schauen, dass du zu deinem Recht kommst, du musst dich verwirklichen, du musst dich behaupten. Das wird systematisch gelehrt und verteidigt, wenn ich mich selbst in den Mittelpunkt stelle.
Und dann diese Punkte, die ich nannte: dass man öffentlich Gott, sein Wort und seine Person verlästern kann – das hat es so nie gegeben. Einzelne haben das natürlich für sich getan, aber öffentlich in den Medien und dazu, dass dazu geschwiegen wird, dass einzelne Christen zwar protestieren, aber von amtlicher Seite dazu geschwiegen wird – so etwas hat es noch nie gegeben.
Das sind eindeutige, markante Einbrüche in Ordnungen, die früher wenigstens geachtet wurden. Darum ist es kein einfacher Pessimismus, wenn man sagt, dass wir in einer Zeit leben, in der das christliche Abendland so degeneriert ist wie nie zuvor.
Wer das nicht will, der in dieser Zeit lebt und sich zu Gott halten möchte – was kann er tun unter solchen Umständen?
Er muss persönlich mit seinem Gott und Schöpfer, mit seinem Retter und Richter ins Reine kommen. Das ist das Erste. Psalm 12, Vers 1 sagt zum Beispiel: Was tut der Gerechte, wenn alle Säulen eingerissen sind und die Grundlage nicht mehr da ist? Psalm 11 sagt: Wenn die Grundpfeiler umgerissen werden, was tut dann der Gerechte? Dann wendet er sich an Gott und kommt mit Gott ins Reine.
Wer das getan hat, der hat danach auch etwas, das er seinem Nächsten, seinen Freunden und seiner Familie geben kann. Dann wird er selbst wenigstens ein Einfluss des Guten sein und so ein Stück weit der Degenerierung entgegenwirken können.
Er kann anderen auch die wirkliche, die einzig wahre und wirkliche Hilfe anbieten: Das Evangelium, das uns zu Gott bringt, zum Schöpfer führt, uns an ihn bindet und unsere Seele in ihm verankert.
Die Irrtümer der Entmythologisierung und die Kraft des Evangeliums
Was hat Bultmann gelehrt, dieser Professor? Das so genannte Einstichwort lautet: Entmythologisierung. Er sagte einfach, dass das, was im Neuen Testament steht – etwa die leibliche Auferstehung, die Jungfrauengeburt oder die Wunder, die Jesus getan haben soll – damals für die Menschen zumutbar war. Für die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts sei das jedoch nicht mehr zumutbar.
Wenn man die christliche Botschaft für die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts retten wolle – so war seine gute Absicht –, dann müsse man die Botschaft ihrem Denken, ihren Erwartungen und Vorstellungen anpassen. Also sagte er: Ja, die Jungfrauengeburt ist ein Mythos, das war nicht so. Auch die Auferstehung sei ein Mythos, das passiere nur in den Köpfen der Jünger, es sei nicht wirklich geschehen.
Diese Haltung beruht jedoch auf einem Verkennen, nicht nur der Botschaft selbst, sondern auch der Menschen und der Zeit der Apostel. Auch ihnen war nämlich die Auferstehung höchst anstößig. Sie fanden die Idee lächerlich. Sie lachten darüber, fanden es köstlich, wenn jemand von der Auferstehung erzählte. „Schon was so Dummes gehört?“ – so heißt es ja auch in der Apostelgeschichte 17.
Bultmann hat also völlig falsch begründet, warum man alles Übernatürliche aus dem Evangelium streichen müsse, um es glaubhaft zu machen. Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Wenn wir das aus dem Evangelium entfernen, was das Evangelium zum Evangelium macht, dann bleibt nur eine blasse Fadensuppe übrig.
Was macht das Evangelium zum Evangelium? Dass es Gottes Wort ist und darum Gottes Kraft hat. Wenn es nicht Gottes Botschaft und Gottes Wort ist, dann haben wir überhaupt nichts, womit wir dem Zeitgeist etwas entgegensetzen könnten.
Weil es aber Gottes Wort und Gottes Botschaft ist, hat es auch Gottes Kraft. Es wirkt Dinge, die menschlich unmöglich sind, weil Gott der Gott ist, der über allem steht und das tun kann, was menschlicher Erfahrung widerspricht.
Natürlich gibt es die Jungfrauengeburt nicht einfach so. Aber Gott kann das wirken und hat es auch gewirkt. Natürlich stehen Tote nicht aus eigener Kraft auf, das ist doch ganz klar. Aber Gott ist der Gott, der den Tod überwinden und Tote auferwecken kann. Wenn dieser Gott das nicht könnte, gäbe es keine Hoffnung. Keine Hoffnung.
Ich würde dann nach Hause gehen, mich aufs Bett legen und nicht mehr aufstehen. Ich würde so viele Pillen schlucken, dass ich nicht mehr wach werde, einfach nicht mehr sein. Denn wenn es keinen Gott gibt, ist alles verkauft und verloren.
Aber weil es einen Gott gibt, einen Gott, der alles erschaffen hat, einen Gott der Liebe, der die Sünder sucht und rettet, verkündigen wir das Evangelium so, wie es dieser Gott geoffenbart hat. Viele hier können das bestätigen, denn wir erleben es immer wieder.
Wir reden von diesem Gott, von diesem Evangelium, und dann sehen wir vor unseren Augen das Wunder, wie Menschen von dieser Wahrheit ergriffen und verändert werden. Ohne Abstriche. So verkündigen wir es, und so steht es auch im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert.