Einführung in das Wort Gottes und die Bedeutung von Jesu Aussage
Ich möchte wieder mit einem Abschnitt aus dem Wort Gottes beginnen. Ich lese aus dem Johannesevangelium, Kapitel 14.
Euer Herz erschrecke nicht; glaubt an Gott und glaubt an mich. Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn dies nicht so wäre, hätte ich es euch nicht gesagt. Ich gehe hin, um euch eine Stätte zu bereiten.
Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin. Wohin ich aber gehe, wisst ihr, und ihr kennt den Weg.
Thomas spricht zu ihm: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg kennen?“ Jesus aber spricht zu ihm: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.
Wenn ihr mich erkannt hättet, so hättet ihr auch meinen Vater erkannt. Und von nun an erkennt ihr ihn und habt ihn gesehen.“ (Johannes 14,1-7)
Die ehrliche Frage des Thomas als Spiegel moderner Zweifel
Ich habe bewusst den Zusammenhang dieses bekannten Wortes aus Johannes 14, Vers 6 gelesen, wo Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
Im Zusammenhang taucht hier wieder einmal Thomas auf, der uns ja im Zusammenhang mit der Auferstehung Jesu als der ungläubige Thomas in Erinnerung ist. Dabei muss ich sagen, dass ich diesen Thomas an dieser Stelle, wie auch bei der Auferstehung, eigentlich als einen typisch postmodernen Menschen sehe. Oder ich könnte auch sagen: als einen ganz ehrlichen Menschen.
Jesus erzählt von der ewigen Herrlichkeit. Er sagt, dass er zum Vater gehen wird, um uns Wohnungen zuzubereiten, und dass er dann zurückkommt, um uns beziehungsweise die Jünger zu holen, die ihm da zuhören. Dann fragt er seine Jünger: „Ihr wisst doch, wohin ich gehe, ihr wisst doch, wie das läuft?“
Wenn ich jetzt zu einem der Jünger gehört hätte, hätte ich wahrscheinlich auch erst einmal versucht, eifrig zu nicken. Denn das wäre ja peinlich. Der Meister erzählt etwas, geht davon aus, dass alle es wissen, und erwartet Zustimmung. Thomas ist der einzige, der hier relativ ehrlich seine Zweifel äußert. Er sagt: „Nein, ich weiß nicht genau, wohin du gehst.“
Für den Thomas bin ich eigentlich doppelt dankbar. Erstens bin ich dankbar dafür, dass wir bei Jesus keine falsche Zustimmung heucheln müssen, sondern dass ehrliche Fragen zugelassen sind. Jesus weist Thomas nicht einfach zurecht und sagt: „Also Thomas, du bist jetzt der Allerletzte, ich suche mir einen besseren Jünger.“ Das macht er gerade nicht.
Sondern es ist erlaubt, Fragen bei Jesus zu stellen. Darüber hinaus bin ich dem Thomas auch dankbar, weil ja die Antwort von Jesus eine der schönsten Stellen des Neuen Testaments ist. Hätte Thomas nicht gefragt, hätte Jesus ja keine Antwort geben müssen. Gut, das ist etwas Spekulation, wir wissen ja nicht, was er sonst gesagt hätte, aber die Antwort hier ist als direkte Reaktion formuliert.
Allerdings ist es eine Antwort, die uns so herausfordert. Denn die Antwort lautet: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.“ Diese Antwort bezieht sich auf die vorherige Erklärung: „Ich gehe zum Vater und ich werde euch auch mit zum Vater nehmen.“ Hier ist also nicht irgendein Weg gemeint, sondern der Weg zum Vater, der vorher ganz genau von Jesus benannt wird.
Die Herausforderung und Einzigartigkeit von Jesu Wahrheitsanspruch
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben – das ist das Thema von heute Nachmittag. Wenn wir diese Aussage einmal auf uns wirken lassen, als ob wir sie zum ersten Mal lesen würden, müsste sie uns reichlich ungewöhnlich vorkommen. Denn wie kann eine Person sagen: „Ich bin die Wahrheit“ oder „Ich bin das Leben“?
Bis heute haben Biologen, Mediziner und Philosophen Schwierigkeiten, überhaupt zu definieren, was Leben eigentlich ist oder was Wahrheit wirklich bedeutet. Erst wenn man anfängt, danach zu suchen, merkt man, dass es gar nicht so einfach ist, zu definieren, was Wahrheit ist – auch losgelöst von der Bibel.
Hier merken wir: Die Antwort, die uns gegeben wird, ist erst einmal ganz ungewöhnlich. Es wird nicht einfach ein Satz formuliert und gesagt: „Dieser Satz ist die Wahrheit“ oder „Dieses Buch ist die Wahrheit“. Stattdessen wird gesagt: Diese Person ist das Leben, diese Person ist der Weg und diese Person ist die Wahrheit. Das heißt, wenn wir zu Gott kommen und mit Gott leben wollen – so wird es hier wohl ausgedrückt –, dann ist das nur möglich, wenn wir eine ganz enge Bindung an Jesus Christus haben.
Es ist nicht möglich, wenn wir nur einen Katechismus auswendig lernen und überall die richtigen Antworten parat haben. Ich habe Theologie studiert, muss aber auch zugeben: Auch das Theologiestudium rettet nicht. Auch das Theologiestudium beschäftigt sich mit Wahrheit, ist aber nicht die Wahrheit selbst. Es ist eine Bemühung, mit dem Kopf ein bisschen mehr von der Wahrheit zu verstehen, zu begreifen und dem nachzuleben. Aber es ist nicht die Wahrheit.
Das müssen wir uns immer wieder vorsagen, damit wir das nicht miteinander verwechseln. Denn das ist in der Kirchengeschichte häufiger passiert. Die Wahrheit ist eine Person, das Leben ist eine Person, und der Weg ist ebenfalls eine Person.
Wir können keinen Weg beschreiben, indem wir sagen: „Wenn du das tust und das tust und jenes tust, dann klappt das alles.“ Stattdessen musst du dich auf Jesus Christus einlassen, dich mit ihm identifizieren, ein Stück weit eins mit ihm werden und auf ihn schauen. Das meint dieser Vers hier wohl.
Es geht eben nicht um eine abstrakte Wahrheit. Wahrheit ist in der Bibel personalisiert. Ich wüsste nicht, dass irgendein Philosoph das jemals so geäußert hätte. Über Wahrheit wird viel spekuliert, es wird untersucht, was der Gegensatz von Wahrheit und Lüge ist. Aber Wahrheit personalisiert – das ist etwas ganz Typisches Christliches, das uns auch von allen anderen Religionen unterscheidet.
Ich glaube, dass gerade in diesem Vers sehr viel Antwort auf das Wahrheitsproblem der Postmoderne liegt.
Die Entwicklung des Wahrheitsverständnisses von Mittelalter bis Postmoderne
Ich muss da vielleicht etwas ausholen. Wahrheit spielt im Leben der Menschen schon immer eine ganz wichtige Rolle. Das ist sehr klar: Keiner von uns will belogen werden. Wir alle möchten gerne die Wahrheit hören und uns darauf einstellen.
Allerdings wurde Wahrheit unterschiedlich definiert. In der Zeit des Mittelalters beispielsweise galt der Inhalt der Bibel als absolute, unumstößliche Wahrheit. Die Theologie wurde als Königin der Wissenschaften bezeichnet. Fast alle deutschen Universitäten begannen ursprünglich als theologische Fakultäten, und erst später kamen alle anderen Fakultäten hinzu. Heute wird die Theologie an vielen Universitäten sogar aus dem Lehrplan gestrichen. Aber ursprünglich war sie die Grundlage der Wissenschaften, und das noch bis weit in die Neuzeit hinein. Im Mittelalter war der Maßstab der Wahrheit die Aussage der Bibel.
Wenn ein Forscher eine neue Theorie aufstellte, sollte sie überprüft werden, ob sie im Widerspruch zu biblischen Aussagen stand. Den Menschen damals war auch klar, dass die Bibel nicht über alles Auskunft gibt. Wenn also ein neues mathematisches Gesetz entdeckt wurde oder astronomische Himmelsbewegungen erforscht wurden, erhob normalerweise niemand im Namen der Bibel Einspruch.
Wurden jedoch wissenschaftliche Erkenntnisse festgestellt, die eindeutig im Widerspruch zum Wort Gottes standen, sagte man: Diese müssen falsch sein. Denn es war klar, dass Gott uns die Wahrheit gesagt hat. Er ist zuverlässig, also muss das auch stimmen.
In der beginnenden Neuzeit, mit dem Höhepunkt der Aufklärung, änderte sich diese Sichtweise. Zu diesem Zeitpunkt galt nämlich nur noch das als wahr, was der Mensch als wahr erkennt. Man musste nachdenken, und wenn man gut und neutral genug nachdachte, konnte man die Wahrheit erfassen.
Die Wahrheit war jetzt nicht mehr eine Mitteilung von Gott, sondern sie existiert unabhängig. Man war fest davon überzeugt, dass es Wahrheit gibt, aber diese Wahrheit musste errungen und erforscht werden – durch Wissenschaft, Philosophie und Nachdenken.
Aufklärer wie Immanuel Kant meinten, dass alle Menschen, die guten Willens sind und sich wirklich bemühen, wenn sie nachdenken, zum selben Ergebnis kommen werden. Dieses Ergebnis ist dann die Wahrheit – die Wahrheit über die Welt, die Wahrheit über die Ethik, die Wahrheit über den Glauben. Sie ist dem Nachdenken des Menschen zugänglich.
So weit die Aufklärung. Die Aufklärung ist ja die Grundlage der Moderne und eigentlich auch der Erfolg der Wissenschaften. Denn die Wissenschaften gehen genau von diesem Gedanken aus: Wenn wir nur objektiv und ausreichend forschen, dann werden wir die Wahrheit herausbekommen. Die Wahrheit ist eindeutig, und wir können sie beschreiben. Dafür brauchen wir nicht mehr das Wort Gottes.
Viele Menschen, die in der Moderne verwurzelt sind, schenken deshalb der Wissenschaft eine außerordentlich hohe Glaubwürdigkeit. Sie gehen davon aus: Wenn Wissenschaftler etwas festgestellt haben, dann ist das unumstößlich wahr. Und das ist der Maßstab.
Ja, selbst in der sogenannten wissenschaftlichen Theologie an den Universitäten sollen rationale und archäologische Überlegungen weit über der Bibel stehen. Sagt eine archäologische Ausgrabung, dass Jericho zur Zeit der Anwanderung Israels gar nicht besiedelt war, dann gilt das. Dann muss die Bibel falsch sein. So arbeitet die bibelkritische Theologie.
Weil wir uns nicht vorstellen können, dass eine Jungfrau ein Kind bekommen hat, und weil Mediziner sagen, dass das nicht möglich ist, muss die Bibel falsch sein. Denn die Wissenschaft ist wahr.
Das ist nicht meine Überzeugung, sondern die Überzeugung der Menschen der Moderne, geprägt von der Wissenschaft. Die Wissenschaft ist die Wahrheit, und die Wahrheit kann man intellektuell erfassen, formulieren, in Büchern aufschreiben und weitergeben.
Die Kritik der Postmoderne an der Wissenschaft und der Wahrheit
Und diese Idee der Wahrheit geriet in den 60er und 70er Jahren langsam in Verruf. Die meisten von uns haben das damals noch nicht bemerkt, denn diese Entwicklungen spielten sich vor allem an den Universitäten ab.
In Kanada und auch in Frankreich äußerten sich immer mehr Denker kritisch gegenüber der Aufklärung und der Moderne. Einer der ersten war François Lyotard, ein französischer Forscher, der auch in Kanada gearbeitet hat. Später kamen Michel Foucault, Jean Baudrillard, Jacques Derrida und andere bedeutende Wissenschaftler hinzu. All diese Denker wirkten vor allem in den 60er, 70er und 80er Jahren.
Sie veröffentlichten zahlreiche Schriften, in denen sie eine immer größere Anzahl von Studenten und Wissenschaftlern überzeugten, dass die Wissenschaft nicht die Wahrheit produzieren kann, wie sie es vorgibt. Wenn wir heute die Werke dieser Autoren lesen, müssen wir zu einem großen Teil zustimmen: Sie haben Recht. Der Anspruch der Wissenschaft, absolute Wahrheiten zu liefern, wurde nicht eingelöst.
Wissenschaft kann keine letzte Wahrheit formulieren. Der Wissenschaftstheoretiker Sir Karl Popper hat dies formuliert, indem er sagte, Wissenschaft könne immer nur falsifizieren, nie verifizieren. Das bedeutet auf Deutsch: Ein Wissenschaftler kann zwar beweisen, dass etwas falsch ist, indem er Widersprüche aufdeckt. Er kann aber nie wirklich beweisen, dass etwas wahr ist. Denn es ist immer möglich, dass zukünftige Erkenntnisse die bisherige Erkenntnis wieder in Frage stellen.
Würde man ein für alle Mal Wahrheit erkennen, dann müsste es in diesen Bereichen der Wissenschaft keinen Fortschritt und keine weitere Forschung mehr geben. Denn weitere Forschung setzt immer voraus, dass noch nicht alles bekannt ist oder dass bestehende Erkenntnisse überprüft werden müssen und sich möglicherweise als falsch herausstellen.
In der Wissenschaftsgeschichte der letzten Jahrzehnte sehen wir genau das: Viele Dinge, die einst als hundertprozentig sicher galten, wurden durch wissenschaftlichen Fortschritt überholt. Wissenschaftler können uns in vielen Fragen keine abschließende Antwort geben. Und die Antworten, die sie geben, sind oft unbefriedigend, weil sie unser Leben nicht wirklich weiterbringen.
Das heißt: Wer heute noch blind auf die Wissenschaft vertraut, ist eigentlich von gestern. Er hat auf Sand gebaut, um einen biblischen Begriff zu verwenden. Die Wissenschaft ist gut, aber sie kann uns kein hundertprozentig sicheres Wissen und auch keine hundertprozentig sichere Wahrheit vermitteln.
Beispiele für die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis
Beispiele dafür
Noch bis in die 1990er Jahre ging man davon aus, dass Magengeschwüre vor allem auf psychische Belastungen, genetische Veranlagung und ähnliche Faktoren zurückzuführen sind. Ein australischer Arzt stellte jedoch auf einem Ärztekongress in den USA seine Forschungsergebnisse vor, nach denen viele Magengeschwüre durch eine Bakterieninfektion mit Helicobacter verursacht werden.
Die meisten Ärzte lachten ihn damals aus, denn das galt als unmöglich. Man argumentierte, dass die starken Säuren im Magen Bakterien abtöten würden, sodass diese keine Geschwüre hervorrufen könnten. Es dauerte dann fünf bis sieben Jahre, bis sich die Forschungen dieses australischen Arztes bestätigten. Nach und nach mussten aufgrund der neuen Erkenntnisse alte Wahrheiten über Bord geworfen werden. Heute werden Magengeschwüre ganz anders behandelt als noch vor 20 Jahren.
Hier wird deutlich, dass eine Sache, die einst als unumstößliche Wahrheit galt, plötzlich verworfen wurde, weil man neue Erkenntnisse gewonnen hat. Viele Dinge, die früher als wahr galten, haben sich später als falsch herausgestellt.
Ähnlich verhielt es sich mit den bahnbrechenden Überlegungen von Albert Einstein zur Relativität der Zeit. Bis zu Einsteins Lebzeiten nahm man fest an, dass die Zeit eine feste, unbeeinflussbare Größe sei. Die Zeit läuft einfach, und wir können sie messen.
Albert Einstein stellte in seiner Relativitätstheorie die Behauptung auf, dass auch Zeit relativ ist. Sie hängt davon ab, mit welcher Geschwindigkeit sich der Beobachter bewegt. Die meisten Menschen konnten sich das mit der klassischen Physik nicht vorstellen, da es allem widersprach, was man bisher wusste.
Deshalb wurde Einstein von vielen ausgelacht. Hoch dekorierte Wissenschaftler erklärten, dass das unmöglich sei. Sie behaupteten, bewiesen zu haben, dass die Zeit kontinuierlich und unbeeinflussbar sei. Erst im Verlauf von etwa zwanzig Jahren und mit einer neuen Generation von Physikern wurde nachgewiesen, dass Einsteins Behauptung richtig ist.
Das mag uns heute vielleicht seltsam vorkommen. Vielleicht habt ihr schon von Berechnungen gehört, wonach ein Astronaut, der mit Lichtgeschwindigkeit ins All fliegt und nach 20 Jahren zurückkehrt, für ihn selbst nur 20 Jahre vergangen sind, während auf der Erde 100 Jahre vergangen sind. Wie kann das sein? Läuft die Zeit nicht überall gleich?
Physiker konnten inzwischen durch Experimente nachweisen, dass die Zeit tatsächlich vom Zustand des Beobachters und von dessen Geschwindigkeit abhängt. Für unser Alltagsleben spielt das jedoch kaum eine Rolle. Wenn ihr also jünger bleiben wollt, indem ihr um die Erde reist, bringt das so wenig, dass euch wahrscheinlich eher der Stress schadet als das kleine bisschen, das ihr dadurch gewinnt.
In den 1970er Jahren wurden Versuche unternommen, bei denen Flugzeuge mit Atomuhren um die Erde kreisten. Dabei stellte man fest, dass es tatsächlich minimale Abweichungen in der Zeitmessung gibt. Damit wurde bewiesen: Albert Einstein hatte Recht.
Ich möchte hier nicht Albert Einstein feiern, sondern nur an einem zweiten Beispiel zeigen, dass Wissenschaft keine hundertprozentig festen Ergebnisse liefern kann. Wissenschaft kann uns nicht die absolute Wahrheit geben, besonders nicht bei den Dingen, die in unserem Leben von Bedeutung sind.
In den 1970er und 1980er Jahren entstanden zum Beispiel Überlegungen zur Chaostheorie. Diese besagt, dass in der Natur nicht Ordnung, sondern vielmehr Chaos herrscht. Es wurde Kritik an den Methoden der Wissenschaft laut, denn diese gibt vor, genaue Ergebnisse zu liefern, tut dies aber nicht wirklich.
In der Schule lernt man, wie ein Baum funktioniert, wo die Blätter sind und was sie tun. Doch kein Wissenschaftler hat alle Bäume untersucht, nicht einmal alle Blätter an einem Baum. Die Wissenschaft reduziert, vereinfacht und verallgemeinert dann ihre Erkenntnisse für die ganze Welt. Im Grunde genommen stimmt das aber nicht.
Das führt häufig dazu, dass aufgrund wissenschaftlicher Ergebnisse sehr einseitige Entscheidungen getroffen werden, die ganze Ökosysteme zerstören können. Solche Überlegungen gab es immer wieder.
Man spricht auch vom sogenannten Schmetterlingseffekt. Dabei wird behauptet, dass ein Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonas-Regenwald in Europa einen Sturm auslösen kann. Das ist nicht nur eine Metapher, sondern wörtlich gemeint.
Die Meteorologie, die Wissenschaft vom Wetter, ist bisher sehr begrenzt, weil so viele Faktoren einfließen, dass keine wirklich genaue Vorhersage möglich ist. Kleinste Veränderungen können riesige Auswirkungen auf das Wetter und die Natur haben.
Ilya Prigogine, Nobelpreisträger für Chemie, forschte an sogenannten dissipativen Strukturen und stellte fest, dass viele chemische Verbindungen in der Natur nicht berechenbar sind. Man kann nur Wahrscheinlichkeitsaussagen darüber treffen, wie sie sich entwickeln.
Generell trifft die gegenwärtige Naturwissenschaft meist nur Wahrscheinlichkeitsaussagen, nie absolute. Wenn ich euch zum Beispiel frage, wie lang die Meeresküste Paraguays ist, ist die Sache einfach – es gibt kein Meer in Paraguay.
Wenn ich euch aber frage, wie lang die Meeresküste Deutschlands ist, wird es komplizierter. Deutschland hat eine Ostsee- und eine Nordseeküste. Niemand kann die genaue Länge wissenschaftlich genau angeben.
Vielleicht denkt ihr, das sei einfach, man könne es bei Wikipedia nachschlagen. Dort stehen aber sehr ungenaue Angaben. Das liegt daran, dass die Länge der Küste vom Maßstab abhängt.
Nimmt man eine Karte mit kleinem Maßstab, misst man eine bestimmte Länge. Vergrößert man den Maßstab, wird die Küste länger. Und wenn man mit dem Mikroskop die Küste untersucht, also die Zwischenräume zwischen einzelnen Sandkörnern betrachtet, tendiert die Länge der Küste Deutschlands gegen unendlich.
Die einzig wissenschaftlich korrekte Antwort wäre also: Die Küste Deutschlands tendiert gegen unendlich. Alle anderen Angaben sind ungenau. Man kann nicht einfach überall dort, wo Wasser entlangläuft, aufhören zu messen, denn das ist die Küste.
Einige von euch werden wahrscheinlich sagen, dass sie es gar nicht so genau wissen wollen. Dann merkt man: Es gibt keine absolute Wahrheit, sondern nur Annäherungen und grobe Schätzungen. Tausend Kilometer grob gerechnet sind etwas ganz anderes als unendlich.
Das ist Wissenschaft – und zwar in allen Bereichen. Besonders Menschen, die intensiv in der Wissenschaft arbeiten, wissen, wie eng die Aussagen begrenzt sind, die wir treffen können.
Das ist es, was uns die Postmoderne vor Augen geführt hat.
Die Konsequenzen der Postmoderne für Wahrheit und Wissen
Postmoderne Denker ziehen daraus die Konsequenz, dass wir die Wahrheit der Bibel über Bord geworfen haben. Diese Wahrheit wollen sie auch nicht zurückholen. Die Ansprüche der Wissenschaft haben sich als falsch herausgestellt. Wissenschaft kann immer nur begrenztes und vorläufiges Wissen schaffen. Keiner von uns weiß, ob das, was heute gilt, morgen noch gültig sein wird.
Die Konsequenz daraus lautet: Es gibt gar kein festes Wissen. Es gibt höchstens Wissensansprüche. Ich kann jetzt einen Wissensanspruch erheben und versuchen, ihn zu begründen. Aber dieser Anspruch gilt nicht für dich und auch nicht für übermorgen. Dann ist es nur noch eine Vermutung.
So sind wir heute in der Postmoderne angekommen. Ein postmoderner Denker wendet sich nicht mehr an die Wissenschaft, um eine Lösung zu suchen. Zumal er in der Praxis weiß, dass viele Wissenschaftler die Antworten geben, die derjenige haben will, der sie beauftragt hat. Zumindest in Deutschland ist das so.
Gibt es ein Gutachten, muss man immer fragen: Wer hat das Gutachten in Auftrag gegeben? Wird ein Gutachten zur Luftreinheit von der deutschen Automobilindustrie in Auftrag gegeben, was wird das Ergebnis sein? Die Luft ist perfekt. Wird es von Greenpeace in Auftrag gegeben, kann man sicher sein, dass dort steht, die Luftqualität sei schlecht. Denn die einen wollen gern Spendengelder, die anderen wollen ihre Autos verkaufen. Beides wollen sie mit einer wissenschaftlichen Studie belegen.
Das ist die Realität, in der wir leben. Wissenschaft kann uns helfen, aber sie ist sehr begrenzt. Wenn wir genauer nachfragen, merken wir, wie löchrig und oberflächlich viele dieser Aussagen sind. Das zeigt uns die Postmoderne.
Die Konsequenz daraus ist natürlich: Wenn es keine feste Wahrheit mehr gibt, was sollen wir dann noch tun? Wie trifft man noch Entscheidungen? Die Postmoderne gibt darauf keine Antwort.
Deshalb geht es in postmodernen Diskussionen nicht mehr um scheinbare Fakten, weil man sagt, diese gibt es nicht mehr – da ist alles möglich. Wird über ein neues Flughafenprojekt diskutiert, sagen die einen, wir brauchen es aus ökonomischen Gründen. Andere sagen, wir brauchen es verkehrstechnisch. Die Ökologen wiederum sagen, das ist problematisch, weil dort ein paar Frösche leben, die alle verschwinden würden. Das geht nicht.
Das ist aber alles noch nicht postmodern, denn darüber kann man noch diskutieren. Der Postmoderne sagt dann: „Ich fühle mich dabei unwohl.“ Vielleicht denkt man jetzt, was soll das denn für eine Relevanz haben? Wenn man in der Postmoderne lebt, ist das genauso relevant wie das andere Argument.
Wenn sich jemand unwohl fühlt, gilt das genauso viel wie das Argument, dass das Projekt so und so viele Arbeitsplätze bringt. Genau das ist postmodern: Es gibt keine feste Wahrheit. Was der eine als Wahrheit empfindet, ist genauso viel wert wie das, was der andere als Wahrheit empfindet.
Manche sagen, die Postmoderne sei lediglich eine Krisenerscheinung der Moderne, eine Übergangsphase. Wir wissen gar nicht genau, was am Ende daraus entsteht. Auf jeden Fall werden immer mehr Menschen, besonders junge Menschen, bei Wahrheitsansprüchen sehr skeptisch und zurückhaltend.
Wenn man sagt, diese Religion sei wahr oder diese Aussage sei wahr oder du musst das so tun, reagieren sie skeptisch. Das ist zum Teil auch berechtigt, denn früher wurden oft sehr schnell Wahrheitsansprüche erhoben, die später korrigiert werden mussten. Deshalb dürfen wir die Postmoderne nicht nur negativ sehen.
Wahrheit als erfahrbare Größe in der Postmoderne
Was uns die Postmoderne ebenfalls zeigt, ist, dass Wahrheit, wenn sie nur in irgendwelchen Leersätzen formuliert ist, eben auch nicht befriedigt und nicht ausreicht.
Postmoderne Menschen setzen deshalb mehr auf erfahrbare Wahrheit. Sie sagen: Diese Erfahrung, die ich gemacht habe, hatte einen gewissen Grad an Objektivität. Ich habe etwas gespürt oder gemerkt, dass es funktioniert. Wenn ich jetzt bete und tatsächlich etwas passiert, beeindruckt das einen postmodernen Menschen viel mehr, weil er es erlebt hat, als eine abstrakte Wahrheit, die man ihm erklären kann.
Die Postmoderne legt also mehr Wert auf Anwendbarkeit und Erfahrbarkeit. Natürlich würden alle von uns, die modern geprägt sind, sofort Einspruch erheben – ich zumindest. Wir würden sagen: Es kommt nicht nur darauf an, dass etwas funktioniert, sondern auch darauf, warum es funktioniert und welche Nebenwirkungen es hat. Denn manchmal hat man einen positiven Effekt, aber langfristig sehr viele negative Nebenwirkungen.
Ihr wisst vielleicht, dass man beispielsweise Kokain Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Europa als Belebungsmittel verschrieben bekam. Tatsächlich belebt es erst einmal, aber auf Dauer macht es abhängig. Das war damals noch nicht vollständig erkannt.
Hier sehen wir, dass nicht nur die momentane Erfahrung ausschlaggebend ist. Wichtig ist auch, was langfristig daraus wird und welche Nebenwirkungen auftreten. Deshalb kann man sich nicht nur auf die kurzfristige Erfahrung verlassen.
Die biblische Perspektive auf Wahrheit im Kontext von Postmoderne und Alltag
Wenn wir angesichts der Situation in der Postmoderne, die generell die Wahrheit infrage stellt, wieder zur Bibel zurückkehren, stellen wir fest, dass die Bibel eine andere Definition von Wahrheit enthält als die moderne Auffassung. In den letzten Jahrzehnten haben wir uns als Christen oft daran gewöhnt, Wahrheit als etwas Festes in Lehrsätzen formuliert zu sehen. Doch das entspricht an vielen Stellen nicht dem, was wir in der Bibel finden.
Bevor ich nun auf die Bibel eingehe, möchte ich einige Überlegungen anstellen, damit deutlich wird, dass Wahrheit auch unabhängig von der Postmoderne nicht einfach zu fassen ist. Allgemein sagen wir ja, dass wahr das Gegenteil von Lüge ist. Wenn wir jedoch genauer hinschauen, erkennen wir viele Übergangsphasen.
Was ist denn jetzt genau wahr? Im Alltag verwenden wir Begriffe und machen Aussagen, ohne dass wir diese als Lüge empfinden, obwohl sie objektiv gesehen nicht wahr sind. Manche Dinge drücken wir auch nicht ehrlich aus, sondern sie gehören einfach zu einer gewissen Konvention. Bestimmte Aussagen sagen wir einfach so, auch wenn sie nicht viel bedeuten.
Ich habe das schon einmal erwähnt: Zum Beispiel der Gruß „Guten Tag“. Man meint damit nicht wirklich, dass jemand einen guten Tag hat, selbst wenn die Person todkrank ist. Oder wir sagen: „Es wird schon wieder besser werden“, obwohl wir wissen, dass die Person wahrscheinlich sterben wird. Oder man schreibt „Mit freundlichen Grüßen“, obwohl man eigentlich denkt: „Hoffentlich sehe ich dich nie wieder.“ Solche Ausdrücke empfinden wir nicht als Lüge, obwohl sie objektiv nicht wahr sind.
Jede Kultur hat solche Ausdrücke, die sie braucht, und sie sind ganz normal. Man empfindet sie nicht als Lüge, obwohl sie objektiv nicht wahr sind.
Schwieriger wird es bei Situationen, in denen wir vielleicht nicht die Unwahrheit sagen, aber einen Teil der Wahrheit verschweigen. Ist das dann Lüge oder Wahrheit? Nehmen wir an, ich hätte hier auf dem Campus vom Seminar mein Portemonnaie verloren. Jemand findet es und sagt dem Rektor: „Ich habe das Portemonnaie gefunden.“ Wenn ich den Rektor frage: „Hast du mein Portemonnaie gesehen?“, und er antwortet: „Nein, habe ich nicht gesehen“, hat er dann die Wahrheit gesagt?
In gewisser Weise ja, denn er hat das Portemonnaie nicht gesehen, sondern nur gehört, wo es liegt. Aber eigentlich merken wir, dass er auch nicht ganz ehrlich ist. Denn er weiß genau, dass ich wissen will, wo mein Portemonnaie geblieben ist. Manche Menschen achten im Alltag sehr genau auf jedes Wort. Wenn du von ihnen etwas wissen willst, sagen sie hinterher: „Das hast du mich ja nicht gefragt.“ Dabei ist die Sache eigentlich klar. Ist das schon Unwahrheit oder Wahrheit?
Oder wie ist es bei der Frage, wie vor tausend Jahren Menschen die Beziehung zwischen Sonne und Erde verstanden hätten? Damals hätte man mit Überzeugung gesagt: „Die Sonne dreht sich um die Erde.“ Hat dieser Mensch gelogen? Das war der damalige Stand der Wissenschaft. Wenn wir sagen, er hat gelogen, müssten wir ja auch viele heutige Wissenschaftler als Lügner bezeichnen, denn in hundert Jahren könnten neue Erkenntnisse vorliegen.
Dieser Mensch hat es jedenfalls nicht bewusst falsch gesagt. Daher gehört zu einer echten Lüge offenbar auch der böse Vorsatz oder die Tatsache, dass jemand es besser hätte wissen können. Nur dann würden wir etwas als Lüge bezeichnen.
In den Augen Gottes, der ewig und überzeitlich ist, wäre das aber auch unwahr. Obwohl wir es nicht als Lüge bezeichnen, denn der Mensch hat nach bestem Wissen und Gewissen gesprochen, auch wenn die Information falsch war.
Manchmal ist es auch bei persönlichen Gefühlen schwierig, Wahrheit zu definieren. Wenn eine junge Frau einen jungen Mann fragt: „Liebst du mich?“, müssen wir erst klären, was sie damit meint. Soll das heißen: Willst du mich heiraten? Findest du mein Kleid schön? Magst du mein Lächeln? Was bedeutet das genau?
Wenn der junge Mann antwortet, stellt sich die Frage: Was will er damit sagen? Will er sie als Frau haben, ihr schmeicheln oder ihr die Wahrheit sagen? Auch im alltäglichen Leben ist das oft schwierig. Man möchte vielleicht etwas sagen, ohne zu lügen, aber es ist auch nicht wirklich die Wahrheit.
An diesen Beispielen sieht man: Hier liegt kein böser Vorsatz vor, keine Absicht zu täuschen. Trotzdem ist nicht klar, ob hier wirklich Wahrheit vorliegt.
Die biblische Definition von Wahrheit im Alten und Neuen Testament
Wenn ich nun zur Bibel zurückkomme, fällt uns im Alten Testament der Begriff Wahrheit auf, hebräisch Emet. Emet wird häufig auch mit zuverlässig oder bewährt übersetzt – ganz wichtige Begriffe in der Bibel. Hier wird deutlich, dass es im Alten Testament nicht nur darum geht, dass eine Sache abstrakt wahr ist, also irgendwie losgelöst von allem anderen fest formulierbar. Vielmehr geht es darum, dass sie sich bewährt.
Damit kommen wir der Haltung des postmodernen Menschen nahe, der nicht nur irgendeine Wahrheit hören will, sondern sie erleben und nachvollziehen möchte.
Im Neuen Testament begegnet uns der Begriff Aletheia. Er meint stärker, dass eine Sache in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist. Das ist auch ein Begriff, den wir gerne für Wahrheit benutzen: Wahrheit ist Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Dabei stellt sich aber die große Frage: Wer kann die Wirklichkeit genau beschreiben? Auch das ist sehr schwierig.
Übrigens ein kleines Detail: Meistens lügt man ganz häufig, ohne es zu wissen. Zum Beispiel: Jemand trägt ein schönes neues rotes Kleid. Nun frage ich dich: Welche Farbe hat das Kleid? Wahrscheinlich sagst du: Rot. Und jetzt hast du schon gelogen, denn welche Farbe das Kleid hat, kannst du gar nicht wissen.
Physikalisch ist es nämlich so: Wenn du das Licht ausschaltest, ist das Kleid schwarz. Warum? Das Kleid wirkt wie ein physikalischer Filter. Das, was du siehst, ist nur die Reflektion des Sonnenlichtes, nicht die tatsächliche Farbe des Kleides. Korrekt müsstest du also sagen: Die Reflexion deines Kleides wirkt für mich rot. Das wäre nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft wahr.
Wenn du sagst, das Kleid ist rot, lügst du, denn ohne Licht ist das Kleid farblos. Ihr merkt schon, das ist ganz schön kompliziert.
Vielleicht sagst du jetzt: Michael, mach es doch nicht so kompliziert, sag doch einfach die Wahrheit! Ich versuche ja gerade, die Wahrheit zu sagen.
Im Neuen Testament ist Aletheia die Wahrheit, die man formulieren kann, die verständlich ist, die zumindest in einem gewissen Rahmen logisch und nachvollziehbar ist. Aber was wir in der Bibel haben – und da komme ich zurück zum Anfang – ist beides. Das gehört zusammen.
Das heißt: Die Wahrheit, die keinen Widerspruch hat, die keine Lüge ist, die mit der Wirklichkeit übereinstimmt, aber eben auch die Wahrheit, die sich unserem Alltagsleben bewährt und erkennbar ist.
Das ist eine ganz neue Herausforderung für uns. Immer wieder gab es in der kirchlichen Geschichte, auch in der mennonitischen, Phasen, in denen Dogmen wichtiger waren als die lebendige Beziehung zu Jesus Christus. Aus biblischer Sicht müssen wir sagen: Das ist keine Wahrheit mehr.
Vielleicht hast du genau gesagt, was in der Bibel steht, aber es ist keine Wahrheit, denn Wahrheit in der Bibel ist nicht nur das, was mit der Wirklichkeit übereinstimmt, sondern das, was gelebt, praktiziert, umgesetzt und sichtbar wird.
Deshalb ist es auch bei den Ältesten so: Woran wird die Qualifikation der Ältesten gemessen? Nicht nur an ihrem Denken – das ist die Lehrfähigkeit. Alle anderen Eigenschaften haben mit dem Leben des Ältesten zu tun, weil in der Wahrheit oder Wahrhaftigkeit auch Wahrheit steckt.
Die Wahrhaftigkeit des Ältesten zeigt sich darin, wie er lebt, und nicht nur darin, was er lehrt. Das ist, glaube ich, eine große Herausforderung für uns heute und auch für unsere Gemeinden.
Wir dürfen hier nicht nur die postmoderne Relativität von Wahrheit ablehnen, sondern müssen erkennen, dass darin eine wichtige Kritik der Moderne steckt: Wahrheit kann eben nicht nur in leeren Sätzen formuliert werden.
In der evangelischen Kirche gab es die Zeit der lutherischen Orthodoxie, in der galt: Die Wahrheit ist wichtiger als der Glaube. Später im Pietismus war es manchmal umgekehrt: Der Glaube war wichtiger als die Wahrheit.
Beides ist natürlich falsch. Wir brauchen Ausgewogenheit. Wir müssen die Wahrheit im Kopf haben, aber auch im Leben. Daran erinnert uns die Postmoderne neu, und das fordert uns heraus.
Wenn ich nur sage: Du sollst nicht die Ehe brechen, aber es tue, dann bin ich auch unwahr nach biblischer Aussage.
Wir dürfen uns also nicht nur darauf konzentrieren, uns intellektuell gegen Bibelkritik und Angriffe auf den Glauben zu wehren. Wir leben nur in der Wahrheit und haben die Wahrheit nur, wenn wir sie auch tun.
Die biblische Wahrheit ist nicht eine, die man abfragen oder auswendig lernen kann, sondern eine, die man leben muss.
Hier kommen wir wieder zur Aussage Jesu: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.
Das ist natürlich eine Aussage, die den postmodernen Menschen oft ärgert. Er sagt: Das ist höchstens deine Wahrheit, aber wie kannst du den Anspruch erheben, dass das eine Wahrheit für alle ist?
Manche Christen versuchen das nur argumentativ zu erklären und sagen, sie hätten logische Argumente. Ich bin durchaus offen für logische Argumente, aber letztlich müssen wir sagen: Ich vertraue darauf, dass es wahr ist, weil ich Gott als vertrauenswürdig empfinde.
Der Gott, der sich in der Bibel offenbart, ist zuverlässig, wahrhaftig und vertrauenswürdig. Deshalb ist das wahr, was in der Bibel steht.
Es ist nicht wahr, weil ich alles überprüft und bestätigt habe. Wenn das der Fall wäre, müsste ich sagen: Ich kann ja gar nicht alles überprüfen. Dann müsste ich über Gott stehen und die ganze Geschichte nachvollziehen können, was nicht möglich ist.
Ich vertraue der Bibel, weil sie von einem zuverlässigen und glaubwürdigen Gott kommt, der sich im Leben mit den Menschen als zuverlässig und vertrauenswürdig erwiesen hat.
Deshalb halte ich die Aussagen für wahr – selbst diejenigen, die ich nicht beweisen kann oder manchmal nicht verstehe. Denn die Person, die dahintersteht, ist glaubwürdig und vertrauenswürdig.
Das ist nicht nur ein Satz, sondern das ist das, wofür ich mit meinem Leben stehe. Und ihr hoffentlich auch, denn ich bin seit 36 oder 37 Jahren Christ und habe viel mit Gott erfahren.
Es braucht immer wieder eine gegenseitige Korrektur: Die Erfahrung mit Gott und die Korrektur an den Aussagen der Bibel, was Gott dort ganz deutlich gesagt hat. Aber beides gehört fest zusammen.
Ich hoffe, dass ihr das auch in eurem Leben umsetzt: Es gibt nicht nur eine Wahrheit für den Kopf. Manche können alles ganz genau beantworten, aber das wirkt dann irgendwie nicht mehr lebendig.
Auf der anderen Seite solltet ihr auch nicht sagen: Die biblische Wahrheit interessiert mich gar nicht. Ich lebe einfach mal so, und mein Bauch sagt mir schon, was wahr ist, oder ich habe etwas erlebt, und das ist dann der Maßstab.
Wir brauchen beides: Die von Gott geoffenbarte Wahrheit in der Bibel und die sich in unserem Leben bewährte Wahrheit, dort, wo wir diese Aussagen angewandt haben.
Das ist auch für Menschen der Postmoderne glaubwürdig – und für unsere eigenen Kinder und Enkelkinder.
Häufig wirst du merken, dass postmodern geprägte Kinder und Enkelkinder bloßen Worten und Erklärungen kein großes Vertrauen mehr schenken. Sie haben das gehört, aber es ist für sie ohne große Relevanz.
Sie wollen – und ich glaube, sie haben Recht – dass das im Alltag auch sichtbar, bestätigt und erfahrbar ist. Genau das brauchen sie, und daran müssen wir arbeiten.
Wir müssen daran arbeiten, dass wir deutlich die Wahrheit Gottes sagen, aber auch, dass wir die Wahrheit Gottes mit Jesus Christus leben.
Wir dürfen sie nicht an ein System von Dogmen binden, sondern an Jesus Christus. Denn er ist die Wahrheit – nicht die Lehrschriften unserer Kirche.
Die Lehrschriften sind wichtig, weil sie etwas widerspiegeln und versuchen, das in Worte zu fassen. Deshalb sind sie wichtig, aber sie sind nicht das Eigentliche.
Ohne Jesus Christus sind sie tot. Sie müssen zu Jesus Christus hinführen.
Das ist die große Herausforderung für unser Leben: Immer wieder neu. Wir kommen nie ans Ende, sondern müssen jeden Tag neu ausprobieren und darum ringen.
Das gilt besonders für die Menschen, die wir erreichen wollen – unsere Kinder, Enkelkinder oder Menschen, die Jesus Christus nicht kennen.
Wir müssen dem postmodernen Menschen auf beiden Ebenen begegnen: der Ebene des Herzens und der Ebene des Verstandes – und das möglichst gründlich.
Abschluss und Ausblick auf den weiteren Austausch
Ja, an dieser Stelle bin ich jetzt zum Schluss gekommen. Wir haben die Möglichkeit, noch weiter über das Gehörte von heute Morgen zu sprechen.
Ich bitte die Ordner, die Fragen einzusammeln. Bitte hebt die Hand, wenn ihr einen Zettel habt.
Ich habe den Eindruck, dass sehr viel Klarheit über die Wahrheit entstanden ist. Wir wollen das Gespräch nicht unnötig in die Länge ziehen, sondern uns dafür bedanken.
Falls noch Fragen bestehen, steht Michael Kotsch jederzeit sehr offen zur Verfügung, um mit jedem darüber zu sprechen.
Das ist der aktuelle Stand der Dinge.
Gut, dann ziehen wir es nicht weiter in die Länge. Ich bitte darum, die Leinwand herunterzulassen. Anschließend gebe ich noch einige Anweisungen für die Workshops und die Arbeitsvorsorge.