Die Realität zerbrochener Beziehungen und die Grenzen menschlicher Versöhnung
Martin Scheuermann hat bereits angedeutet, dass wir möglicherweise den Mund zu voll genommen haben. Das Beispiel mit dem Glas zeigt deutlich, dass nicht alles, was zerbrochen ist, auch wieder geheilt werden kann. Das muss man nicht extra demonstrieren. Wenn ein Glas in tausend Stücke zerbrochen ist, hilft kein Kleber mehr. Es bleibt nur noch, es zu entsorgen.
Ich würde mich auch etwas komisch fühlen, wenn ich nicht gleich zu Beginn sagen würde, dass ich leider viele Situationen erlebt habe, in denen es nicht gelungen ist, Zerbrochenes wieder zu heilen. Das liegt oft ganz einfach an der Regel, dass zur Versöhnung mindestens zwei Personen gehören.
Selbst bei den schwierigsten und zerbrochensten Verhältnissen kann man nicht versöhnen, wenn nicht beide Seiten bereit sind, sich auf eine Versöhnung einzulassen. Es ist tragisch, wenn von einer Seite eine große Sehnsucht besteht, die Beziehung wieder heil zu machen, während die andere Seite jede Bemühung darum verweigert. Was kann man in so einer Situation tun?
Es soll hier nicht der falsche Eindruck entstehen, als wären wir die theologischen Alleskleber, die immer alles hingekriegt hätten. Das stimmt überhaupt nicht. Solche Erfahrungen gehören zu den bittersten und sind echte Ohnmachtserfahrungen.
Die ambivalente Rolle Jesu in Bezug auf Frieden und Zwietracht
Ich muss unser heutiges Thema auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt etwas problematisieren. Was zerbrochen ist, kann heil werden. Versöhnung ist ja kein Geheimnis. Die Themen, die wir uns gestellt haben – diese Lebensthemen – beziehen wir immer auf die Person Jesu Christi. Wir fragen, was er in dieser Sache anzubieten hat und ob das irgendeine Bedeutung hat, ob von dort irgendetwas zu gewinnen ist.
Wenn man sich fragt, ob Jesus eigentlich ein Experte in Sachen Versöhnung ist, dann sagt natürlich jeder sofort: „Natürlich, was denn sonst?“ Es kann doch gar nicht anders sein. Es steht ja auch ausdrücklich da: Er hat gesagt, meinen Frieden gebe ich euch, erlasse ich euch. Darauf will ich gleich noch einmal eingehen.
Aber das ist auch nicht die ganze Wahrheit. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, dass die Bibel voller Widersprüche ist. Das veranlasst viele dazu, sie überhaupt nicht zu lesen, weil sie sowieso nicht damit klarkommen, da so viel Widersprüchliches darin steht.
In diesem Fall gibt es jedenfalls sehr starke Widersprüche. Jesus sagt zum Beispiel im Lukasevangelium Kapitel 12: „Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden. Was wollte ich lieber, als dass es schon brennte! Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage euch: Nein, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden fünf in einem Haus uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter – das ist ein Normalfall – und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.“
Das ist ein Klischee, das so gar nicht stimmt. In unserer Familie ist das ganz eindeutig nicht so gelaufen. Da haben wir uns immer sehr darüber gefreut. Aber es gibt natürlich auch solche Beispiele.
Also hier hat Jesus gesagt, so schroff geht es nun gar nicht mehr. Was ist denn nun? Ist er für Versöhnung und Frieden zuständig oder ist er der Kriegstreiber? Hier sagt der Glaubende ja nicht: „Ich wäre gekommen, Frieden zu bringen“, sondern Zwietracht. Beides steht da.
Die doppelte Wahrheit über Jesus und die Herausforderung der Nachfolge
Es lässt sich natürlich erklären, und beides gehört zur ganzen Wahrheit der Beschäftigung mit Jesus. Beide Wirklichkeiten werden wir zu hundert Prozent erfahren, wenn wir uns auf Christus einlassen.
Relativ schnell lässt sich hier der Zusammenhang erklären: In dem Moment, in dem sich ein Mensch anderen gegenüber so verhält, als wäre er Gott, das heißt, wenn er die Rolle Gottes übernehmen will und bestimmen möchte, was gut und böse ist und wonach sich die anderen zu richten haben, gilt der Grundsatz: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Das wird keineswegs verschwiegen, und es wäre wirklich schlecht beraten, wenn man das verschweigen würde. Es wäre ein unfaires Angebot, zu behaupten, dass ein Mensch, der sich auf die Nachfolge Jesu Christi einlässt, nicht immer wieder in seinem Leben an solche Konfliktpunkte kommt.
Von Anfang an war das in der Geschichte der christlichen Gemeinde so. Den ersten großen Konflikt können Sie in Apostelgeschichte 4 und 5 nachlesen. Dort wird berichtet, wie sich die Situation zuspitzt auf den Satz: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Damals war es ein Konflikt mit der Regierung, die verboten hatte, in der Öffentlichkeit das Evangelium zu verkünden.
Aber es ist noch viel schmerzlicher, wenn dieser Konflikt, diese Konkurrenzsituation – wer ist Gott? – im Kreis der engsten Familie oder unter Freunden passiert. Wenn diese sagen: „Tu das!“, oder wenn man etwas tut, was ihnen gefällt, aber das eigene Gewissen spürt, dass Gott einen anderen Weg führt und Gottes Gebot eindeutig anders lautet.
Dann steht man vor einer Gewissensentscheidung. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn zwischen Menschen, die sich lieben – Freund und Freundin, Mann und Frau – plötzlich solche Konflikte auftreten. Wenn einer vom anderen etwas erwartet, das völlig im Gegensatz zu dem steht, was Gottes Wille ist und was Gott in seinen klaren Geboten gesagt hat.
Wenn ich einen Menschen liebe, dann schreit mein ganzes Herz danach, in Harmonie mit ihm zu leben und das zu tun, was ihm gefällt. Das ist der Ausdruck der Liebe. Ich möchte ihm wirklich Freude machen. Deshalb ist es wahnsinnig schwer, in solchen Konfliktsituationen Gott den Vorrang zu geben.
In nicht wenigen Situationen sagen Menschen lieber Christus ab, als dass sie einen Konflikt mit einem ihnen nahestehenden Menschen suchen oder riskieren. Auf diese Möglichkeit macht Jesus aufmerksam, weil das eine gefährliche Entwicklung in jedem Leben ist.
Deshalb sagt er das auf so eine schroffe Weise, dass man sich ärgert und es mühevoll sortieren muss, um alles zusammenzubekommen, weil es so missverständlich ist. An anderer Stelle hat er es noch viel schroffer gesagt: „Wer nicht Vater und Mutter hasst und sogar sein eigenes Leben, kann nicht mein Jünger sein.“ Das ist noch viel schlimmer und noch unvereinbarer mit dem Gebot der Liebe.
Es sind diese provozierenden Redeweisen von Jesus, mit denen er uns auf die wunden Punkte hinweist – auf die kritischen Entwicklungen –, damit wir wach werden und sagen: Achtung, Achtung! Es ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Es ist nie ein fauler Friede, kein Friede um jeden Preis, bei dem ich alles verrate, Gott verrate und den Weg des Lebens verrate, nur um mit Menschen gut auszukommen.
Das muss man mit diesem Blick sehen.
Die zentrale Bedeutung der Versöhnung als Gottes Hauptwerk
Jetzt kommt der zweite Punkt, der heute wichtiger ist. Trotzdem gilt uneingeschränkt: Das Hauptwerk von Jesus ist Versöhnung.
Paulus fasst die ganze Gottesgeschichte in einem sehr komprimierten und starken Satz im 2. Korintherbrief zusammen: Gott war in Christus. Das ist die dramatische Geschichte, dass Gott selbst Mensch wird im Messias, der Jesus heißt. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst.
Mit „Welt“ ist im Griechischen sogar „Kosmos“ gemeint, was deutlich macht, dass es hier nicht nur um einzelne Menschen geht, sondern um etwas Kosmisches, Weltumfassendes und Grundlegendes. Das ist das Hauptwerk Gottes: Beziehungen heilen. Das ist heute unglaublich aktuell.
Wahrscheinlich gibt es nichts, was den Menschen heute bewusster ist. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Botschaft der Bibel heute von den Menschen besser verstanden und schneller begriffen werden kann als von jeder Generation zuvor. Ich empfinde deshalb eine unglaubliche Offenheit in unserer Zeit, ein unmittelbares Verstehen dessen, was die Bibel anzubieten hat.
Warum ist das so? Das Kernproblem der Menschen heute – das, was wir am wichtigsten und schmerzlichsten spüren, das, wovon wir alle wissen, dass es über das Gelingen unseres Lebens entscheidet – ist unmittelbar deckungsgleich mit der Kernbotschaft der Bibel.
Das Bewusstsein dafür ist bei fast allen Menschen vorhanden, aufgrund schmerzhafter Erfahrungen und sehnsuchtsvoller Einstellungen: Alles hängt davon ab, ob unsere Beziehungen gelingen. Die Beziehungsfrage ist zur Kernfrage des Lebens geworden.
Habe ich eine gesunde Beziehung zu mir selbst? Kann ich mich annehmen, oder werde ich krank, weil ich mich innerlich ablehne? Gelingen meine Beziehungen zu den Menschen, mit denen ich lebe?
In unserer Zeit der Vereinzelung, des Individualismus und der Freiheit des Einzelnen wächst die Sehnsucht nach gelingenden Beziehungen immer stärker. Das ist ganz natürlich. In früheren Zeiten, in denen man in stabile soziale Gefüge eingebunden war, hat man nicht über Beziehungen nachgedacht. Man hatte sie einfach – sie waren selbstverständlich.
Doch heute, in einer Zeit totaler Freiheit des Einzelnen, erleben wir diese Freiheit als Plus und Minus. Wir genießen sie, aber wir spüren auch die Belastung, dass jeder auf sich selbst gestellt ist. Junge Menschen empfinden das, wenn sie mit zwölf oder vierzehn Jahren Entscheidungen treffen müssen, die früher kein 25-Jähriger treffen musste. Ältere Menschen spüren es, wenn sie merken, dass sie nicht mehr eingebunden sind in tragende soziale Großfamilienstrukturen.
Die Freiheit des Einzelnen wird zur Belastung und Überforderung. Je mehr wir spüren, dass wir unser Leben ganz allein leben müssen, desto größer wird unsere Sehnsucht nach gelingenden Vertrauens- und Liebesbeziehungen.
Und je größer diese Sehnsucht wird, desto schmerzhafter leiden wir darunter, wenn sie nicht gelingen. Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden.
Das spüren wir seit 25 Jahren auf eine ganz drastische Weise. Vor 25 Jahren hat man noch gesagt, dass Umweltschutz und Ökologie Themen von ein paar „grünen Spinnern“ sind. Heute ist jeder davon betroffen. Die Frage, was man noch essen und trinken kann, beschäftigt uns alle.
Das bedeutet: Das Nummer-eins-Thema jeder Politik ist heute die Frage der Beziehung – zur Natur, zum Fleisch, das wir essen, zum Wasser, das wir trinken, zu elementaren Dingen.
Noch nie hat eine Generation so drastisch gespürt, dass das Misslingen oder das Gelingen von Beziehungen entscheidend ist – für das Gelingen aller Beziehungen.
Die Herausforderung der Versöhnung angesichts von Recht und Schuld
Wie kann man Beziehungen heil machen? Das ist Versöhnung. Beziehungen, die zerbrochen sind, wieder heil zu machen – das ist Versöhnung. Von der ersten bis zur letzten Seite hat die Bibel kein anderes Thema, als dass Gott Beziehung sein will.
„Ich bin Yahweh, dein Gott, ich will zu dir gehören.“ Er hat uns geschaffen, beruft uns und will Beziehung mit uns. Wenn diese Beziehungen zerbrechen, setzt Gott alles daran, sie zu heilen – die Beziehung zu Gott, damit wir uns selbst wieder annehmen können. So können wir miteinander versöhnt werden, richtig mit der Welt umgehen und die Welt wird heil, Schalom.
Das ist das eine, große Hauptthema. Deshalb war Gott in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst.
Heute möchte ich der Frage nachgehen: Warum ist Versöhnung so schwer? Warum ist es so schwer? Einen Grund habe ich vorhin genannt: Zur Versöhnung gehören immer mindestens zwei. Manchmal sind auch mehrere beteiligt, aber mindestens zwei. Wenn einer nicht mitmacht, nicht mitspielt, dann gibt es Probleme.
Hier wird gerade links verhandelt. Könnt ihr das bitte schnell erledigen? Sonst hört mir sowieso keiner zu, Techniker. Verstehen Sie überall alles? Oder ist es zu laut? Wenn Sie akustisch überfordert sind, melden Sie sich bitte. Es gibt genug Leid in der Welt – das müssen Sie nicht freiwillig ertragen. Und wenn Sie nichts verstehen, sagen Sie es bitte vorher. Das ist immer das Peinlichste, wenn der Pfarrer sagt: „Sie haben schön gepredigt, leider habe ich nichts verstanden.“ Dann gehen Sie lieber spazieren, das ist gesünder.
Wo waren wir stehen geblieben? Warum ist Versöhnung so schwer? Ich habe gesagt, weil mehrere beteiligt sind und wenn einer nicht mitspielt, funktioniert es nicht. Aber es gibt noch ein Problem, das wir oft unterschätzen: Versöhnung ist so schwer, weil wir Recht haben. Es geht in diesen Konflikten der Unversöhnlichkeit oft ums Recht.
Schauen Sie sich die ethnischen Konflikte an, die schier unlösbar sind. Ich war vor Kurzem auf dem Balkan, in Bosnien, Herzegowina, Kroatien. Wenn Sie dort durch die Flüchtlingslager gehen, hören Sie die Lebensgeschichten der Menschen: „Da ist mein Haus, da wohnt jetzt jemand anders.“ Das ist total unlösbar. Alle haben Recht. Man sagt doch: Wie komme ich dazu, mein Recht aufzugeben? Es kann keinen Frieden geben ohne Gerechtigkeit.
Auch im Nahen Osten hat jeder Recht. Ich habe lange unter Palästinensern gearbeitet. Natürlich leben sie in dem Land und sagen: „Hier sind wir zu Hause.“ Die Juden sind dort angesiedelt worden und haben auch Recht zu leben. Alle haben Recht. Frieden kann es nur geben, wenn man das Recht anerkennt.
Denken Sie an die ganzen Auseinandersetzungen um Vertreibung in Europa, etwa bei den Sudetendeutschen oder an der Naise-Grenze. Es ging immer nur ums Recht. Jeder hat Heimatrecht. Ich kann doch nicht einfach mein Recht aufgeben – um des Friedens willen. Da ist etwas dran.
Kann ein Friede Bestand haben? Können Verhältnisse wirklich befriedet sein, wenn Recht unterdrückt wird? Wird das nicht auf Dauer wieder hochkommen, explodieren und alles zerstören?
Wenn klar wäre, dass einer Unrecht hat und der andere Recht, dann könnte man ja Schiedsrichter sein. Aber meist ist es so, dass alle Recht haben oder irgendwie Recht haben. „Ich habe auch Recht, das ist mein Recht.“ Ich habe den Eindruck: Wenn ich das aufgebe, verliere ich mich selbst. Ich kann mich doch nicht selbst aufgeben.
Das ist doch keine Versöhnung, wenn ich geknickt werde. Wenn ich das, was mir zusteht, mein Recht, nicht bekomme, verliere ich jede Selbstachtung. Wie soll daraus eine Lösung entstehen? Das macht die Sache so wahnsinnig schwer.
Dann verschanzen wir uns und sagen: „Ich gebe nicht auf, ich habe Recht.“ Das leiten wir natürlich auch aus dem Verhalten des anderen ab, aus dem Schuldigwerden aneinander. Es gibt keinen Ehekonflikt, in dem nur einer schuld ist. Das gibt es nicht. Es sind immer mindestens zwei beteiligt.
Wir sagen dann: „Du warst zuerst.“ Unser eigenes Unrecht wird dadurch entschuldigt, dass wir sagen: „Es ist nur eine Reaktion auf das, was der andere zuerst gemacht hat.“ Das ist aber Quatsch! Mein Unrecht wird nicht dadurch recht, dass ein anderer auch Unrecht getan hat.
Das heißt also: Alle haben Recht. Deshalb ist das Problem unlösbar, und deshalb entstehen Kriege. Kriege werden ums Recht geführt – sei es vermeintliches oder wirkliches Recht. Das ist ganz furchtbar.
Gottes Lösung des Rechtsproblems durch stellvertretende Gerechtigkeit
Und nun ist es hochinteressant: Wer die Frage nach Recht und Gerechtigkeit nicht lösen kann, kann eigentlich keine echte Versöhnung stiften. Ich finde es unglaublich spannend zu sehen, wie Gott genau das Thema von Recht und Gerechtigkeit zum Kernproblem macht – zum zentralen Punkt seiner Lösung des Problems.
Genau hier sagen wir normalerweise: „Das verstehe ich nicht. Warum eigentlich?“ Manche fragen: „Warum kommt ihr Christen da so komisch mit so einem Kreuz?“ Und dann wollen sie verstehen, warum es nötig ist, dass da jemand am Kreuz stirbt – so grausam. Was hat das damit zu tun, dass ich Vergebung meiner Schuld bekomme? Kann Gott nicht einfach souverän sagen: „Schwamm drüber, ich vergebe euch einfach alle“? Warum diese schwer verständliche, brutale Vorstellung, dass jemand anderes am Kreuz für mich sterben muss, damit es überhaupt Vergebung gibt?
Wenn wir gründlicher und ehrlicher nachdenken würden, würde jeder begreifen, dass diese Methode auch unter Menschen die schlechteste ist. Manchmal nimmt man die Schuld eines anderen nicht ernst und sagt: „Entschuldige bitte, ist nicht so schlimm.“ Das soll eine Geste der Versöhnungsbereitschaft sein, aber in Wahrheit wird der andere nicht ernst genommen. Man sagt „Schwamm drüber, ist doch nicht so schlimm“, und man vergibt ihm, weil es ja nicht so schlimm ist.
Doch dann wundert man sich, dass es beim nächsten Mal auch nicht so schlimm ist, und beim übernächsten Mal auch nicht. Und plötzlich ist es ein bisschen schlimm, dann ganz schlimm. Schließlich ist das Maß voll, und man kann sich selbst und anderen nicht mehr vergeben. Es ist Feierabend, und nichts geht mehr. Denn all das hat sich angesammelt, angesammelt, angesammelt. Man hat es unter den Teppich gekehrt, und plötzlich ist aus einer Staubschicht eine Betonmauer geworden – ein Grad von Verhärtung und Entfremdung, durch den man nicht mehr durchkommt.
Genau das hat Hanna von erzählt: Verletzungen sind gewachsen, die man sich selbst gar nicht eingestanden hat. Man dachte, man könnte sagen „Schwamm drüber“, aber es geht überhaupt nicht. Wer die Frage nach Recht und Gerechtigkeit nicht lösen kann, kann letzten Endes nicht versöhnt leben. Deshalb ist dieser schwierigste Punkt auch der wichtigste.
In 2. Korinther 5 steht dieser Satz, den ich gelesen habe: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst.“ Jetzt bin ich gespannt: Wie hat er das gemacht? Wie soll sich das auf mich auswirken? Wie kann ich an dieser Versöhnung teilhaben?
Es wird weiter gesagt: „Er rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu, hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt; denn Gott ermahnt durch uns. So bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“
Jetzt kommt es: Wie löst Gott das Rechtsproblem? Warum bietet er die Versöhnung an? Warum bittet er: „Lasst euch versöhnen mit Gott“? Wie begründet er, dass Versöhnung möglich ist?
Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden.
Das ist ein unglaublich starker, komprimierter Satz, den man kaum wagt, auszudrücken. Ich höre ihn selten zitiert, und Christen wagen oft nicht, den Inhalt dieses Satzes auszusprechen, weil er gotteslästerlich klingt.
Paulus sagt im Klartext: Gott hat Jesus, der völlig gerecht ist und ganz auf der Seite der Heiligkeit Gottes steht, zur Sünde gemacht. Jesus ist der Hass in Person, die Lüge in Person, Ehebruch und Habgier in Person. Er hat den, der von keiner Sünde auch nur etwas wusste, zur Sünde gemacht und so behandelt.
Gott behandelt Jesus wie die Sünde. Und Gott hasst die Sünde. Die Heiligkeit Gottes lehnt die Sünde radikal ab. Gott und die Sünde passen nicht zusammen. Er identifiziert Jesus mit der Sünde. Das ist das Schrecklichste, was es gibt. Wenn man Sünde in Person sehen will, muss man Jesus ansehen.
Indem ich das ausspreche, frage ich mich: Darf man das sagen? Ist das nicht Gotteslästerung? Doch hier steht es: „Er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht.“
Dann vollzieht Gott an Jesus ein grauenhaftes Gericht – Gott selbst, nicht ein anderer. Gott, der Richter, geht an die Stelle des Gerichteten. Jesus wird zur Sünde in Person, und diese wird hingerichtet. Sie verdient nur, getötet zu werden. Und das geschieht am Kreuz.
Das Kreuz muss man von verschiedenen Seiten sehen. Es ist ein prophetisches Zeichen. Über der Kreuzigung verdunkelt sich am helllichten Tag der Himmel. Damit erfüllt sich die Prophezeiung vom finsteren Tag des Gerichts, wie die Propheten es angekündigt haben.
Über dem Kreuz vollzieht sich nicht nur die Auswirkung menschlicher Brutalität an dem gerechten Jesus als unschuldigem Opfer – das ist eine Dimension. Von Gott her gesehen geschieht hier das Gericht an dem Einzigheiligen, der sich total mit unserer Sünde identifiziert hat.
Ich habe das verschiedentlich gesagt: Das ist das Wichtigste, was man im Leben begreifen kann. Dieser Vorgang einer völligen Ineinsetzung mit unserem Lebensschicksal ist keinem Menschen möglich. Deshalb kann keiner dem anderen die Sünde abnehmen. Ich kann sie mir selbst nicht abnehmen, Sie können sie mir nicht abnehmen, ich kann sie Ihnen nicht abnehmen, weil ich sie nicht von ihrer Vergangenheit befreien kann.
Ich kann mein Leben nicht ungeschehen machen. Das ist nicht etwas an mir wie eine Jacke, die ich ausziehen kann. Niemand kann in das Leben des Anderen hinein. Das ist die einzige und exklusive Möglichkeit Gottes, des Schöpfers und Richters der Welt.
Deshalb ist die Wer-Frage entscheidend. Wer wissen will, was das Kreuz bedeutet, der muss die einzige Frage stellen, die wirklich hilft: Nicht die Wie-Frage – wer stirbt da wie –, sondern: Wer stirbt da?
Es ist der Schöpfer und Richter der Welt. Er selbst wird zur Sünde gemacht und so behandelt. Deshalb wird er hingerichtet.
Und deshalb heißt es dann, bestätigt durch die Auferstehung, gültig erklärt: „Es ist vollbracht.“
Deshalb kann die Heilige Schrift sagen: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist Gott treu und gerecht, dass er uns unsere Sünden vergibt und uns reinigt von allem Unrecht.“
Seine Vergebung ist keine Sache seiner gnädigen Laune. Für uns Menschen ist Gnade oft etwas wie unberechenbare Laune. Wenn Amnestie gemacht wird, wird jemand begnadigt, und man weiß nie genau warum. Es ist ins Ermessen gestellt.
So denken wir oft von Gott: Gnade ist Laune, etwas, das man nicht kalkulieren kann.
Nein, die Gnade der Vergebung, die Begnadigung ist keine Laune Gottes. Sie basiert auf Recht. Gott hat das, was beurteilt werden muss – das Unrecht – selbst getragen und konsequent dem Recht Geltung verschafft, im Todesurteil, im Gericht am Kreuz.
Stellvertretend trägt er eine gerechte Strafe, unsere Schuld.
Auf dieser Grundlage – das ist Liebe Gottes – und auf dieser Grundlage der geschehenen Stellvertretung schenkt Gott jetzt Gnade.
Gnade heißt Geschenk. Ich kann sie nicht verdienen, ich habe keinerlei Anrecht darauf. Gnade heißt Geschenk. Ich bekomme die Vergebung der Sünden wegen Jesus.
Aber Gnade heißt nicht Laune. Sie ist nicht unberechenbar. Deshalb gibt es Gewissheit. Es gibt Gewissheit der Vergebung der Sünden, so wahr Christus am Kreuz gestorben ist.
Ich kann meine Gewissheit nicht daraus ableiten, ob ich ehrlich bereut habe. Wenn das der Maßstab wäre, ob ich ehrlich meine Sünden bereut habe, gäbe es nie Gewissheit. Denn ich weiß nie genau, wenn ich mein Herz ehrlich anschaue.
Auf der einen Seite möchte ich Vergebung haben, auf der anderen Seite merke ich: Ich liebe meine Sünde zutiefst. Ich bin mir nicht sicher über mich selbst.
Wer sich darauf verlassen will, dass seine Vergebung gewiss ist, wenn er ehrlich bereut hat, wird nie zur Gewissheit kommen, solange er halbwegs ehrlich mit sich selbst ist.
Das war die große Verzweiflung Martin Luthers: Er konnte nicht zur Ruhe kommen und sagte schließlich: „Ich bin verworfen. Alle anderen scheinen Frieden mit Gott zu bekommen, aber ich nicht. Ich liebe meine Sünde, ich möchte sie loswerden, ich brauche Vergebung. Aber wenn ich ehrlich mit mir bin, dann liebe ich sie doch.“
Deshalb gibt es für ihn keine Vergebung, bis sein Blick auf Christus gerichtet wird, weil Jesus alles getragen hat, weil er konsequent das Urteil getragen hat, das ich verdient habe.
Gott nimmt Sünde nicht leicht. Gott sagt nicht: „Komm, Schwamm drüber, ist schon gut, Junge.“ Er nimmt sie blutig ernst.
Gott ist ein heiliger Gott. Wenn ich nicht wusste, wie schwer meine Sünde wiegt, merke ich im Blick auf das Kreuz, wie blutig ernst Gott das nimmt, wie tödlich Sünde ist und wie schwer sie wiegt.
Darin nimmt Gott uns ernst und gibt uns unsere Würde, indem er uns verantwortlich macht.
Die Gesellschaft der Schuldlosen, wie ein Wissenschaftler einmal unsere Gesellschaft genannt hat, ist eine Gesellschaft, die immer weniger Menschenwürde zulässt.
Wir denken, es täte uns gut, wenn man sagt: „Das bist du nicht gewesen. Du musst verstehen, dass du so einen Mist gebaut hast. Fehler hast du gemacht, das ist natürlich deine Erziehung und deine Geschichte. Kein Wunder.“ So entschuldigen wir und erklären, warum wir getan haben.
Wir sind es im Grunde alle gar nicht gewesen. Wir sind gar nicht zurechnungsfähig. Dabei merken wir gar nicht, dass dieser Vorgang uns die Menschenwürde raubt.
Wir werden behandelt, ja, wir werden gar nicht ernst genommen als verantwortliche Menschen. Wir werden nicht mehr ernst genommen als Menschen, die fähig sind, Antwort zu geben und Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.
Dabei weiß doch jeder, dass einer nur heil werden kann, wenn er anfängt, Verantwortung zu übernehmen.
Das weiß jeder, der mit Alkoholabhängigen arbeitet: Der Heilungsprozess kann erst beginnen, wenn ein Alkoholkranker nicht mehr sagt: „Die anderen waren schuld“, sondern sagt: „Ich habe Verantwortung. Ich bin abhängig. Ich lüge nicht mehr. Ich bin abhängig und trage die Verantwortung dafür.“
Erst wenn er die Verantwortung übernimmt, kann ein Heilungsprozess einsetzen. Wenn das nicht passiert, gibt es keine Lösung.
Das Entschuldigen und Erklären ist ein Teufelskreis. Es kommt uns als Hilfe vor. Wenn man einander sagt: „Das ist nicht so schlimm, du kannst das verstehen, das ist Mitleid“, tun wir uns einen Teufelsdienst.
Wir berauben uns der Chance, ans Kernproblem unseres Lebens zu gehen, verantwortlich zu sein und das Kernproblem unseres Lebens zu lösen.
Das passt uns nicht. Wir mögen den Schmusekurs lieber.
Aber Gott geht beharrlich ans Kernproblem. Er geht in Jesus an die Rechtsfrage.
Es geschieht Recht. Gott geschieht Recht. Seiner Heiligkeit geschieht Recht. Dem Sünder geschieht Recht. Das Urteil über die Sünde wird stellvertretend am Kreuz vollzogen.
Und Vergebung gibt es aufgrund dieses Rechts, das geschehen ist.
Deshalb ist dieses Wort so kostbar. Ich sage es mir immer wieder selbst und sage es anderen. Ich habe es gestern Abend auch gesagt: Wenn wir unsere Sünden bekennen – also wenn ich sage: Ja, ich brauche das –, das ist die einzige Voraussetzung.
Wenn jemand sagt: „Ich brauche keine Vergebung“, ist das auch in Ordnung. Er ist entschuldigt, kann es erklären, aber er kann keine Vergebung bekommen.
Wieso sollte ich begnadigt werden, wenn ich Recht habe? Das gibt es gar nicht.
Die Voraussetzung ist, dass ich sage: „Ich brauche Vergebung der Schuld. Ich habe Unrecht getan. Ich übernehme die Verantwortung.“
In dem Augenblick geschieht mir das Geschenk der Vergebung, weil Gott selbst das Urteil getragen hat.
Und da ist Gott treu und gerecht. Es ist eine Sache seiner Zuverlässigkeit und seiner uns zuwendenden Gerechtigkeit, in der sich das Geschenk der Begnadigung auswirkt.
Das muss man begreifen, um die Konsequenzen besser buchstabieren zu können.
Das ist ein Riesengeschenk, das ich bekomme, wenn ich es nur annehme.
Die praktische Herausforderung der Weitergabe von Vergebung
Jesus sagt: Betet so: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben denen, die an uns schuldig geworden sind.“ Dabei geht es um die Heilung der Beziehung, um die Folgen und Auswirkungen der erfahrenen Versöhnung auf die unversöhnten Beziehungen.
Das Erste, was hier wichtig ist, ist zu spüren: Jesus sagt nicht, „Also hör mal, das, was die anderen getan haben, nimm das mal nicht so krumm, so schlimm ist das auch wieder nicht. Du wirst doch schon vergeben können.“ Nein! Die anderen sind an mir schuldig geworden, sie haben mich verletzt, und das ist ganz, ganz schlimm. Ich tue weder dem anderen noch mir selbst einen Gefallen, wenn ich das verniedliche und verharmlose und sage: „Schon nicht so schlimm gewesen, Schwamm drüber.“ Das ist gelogen. Ich belüge mich und ihn, und ich löse überhaupt kein Problem.
Schuld ist Schuld, und Schuld beim Namen zu nennen, ist nur Wohltat für den Menschen – ehrlich zu sein und die Probleme so hart zu sehen, wie sie wirklich sind. Dann sagt Jesus: Gott hat eure Schuld auch ernst genommen. Er denkt nicht daran, uns wie Hunde zu behandeln, die ja nichts dafür können, dass sie beißen – das sei eben so. Er nimmt uns ernst als Verantwortliche und nimmt unsere Schuld ernst bis zum Sterben von Jesus. So gibt es Vergebung.
Jesus sagt weiter: Wenn du das jetzt annimmst für dich, dann darfst du das ganz gewiss schenken lassen. Empfange es mit der Bereitschaft, es weiterzugeben.
Jetzt kommt der Haken: Leider gibt es viele Menschen, die dieses Geschenk der Vergebung wirklich für sich annehmen und es auch ehrlich meinen. Sie sagen: „Wenn Jesus mir so vergibt, dann will ich auch den anderen vergeben.“ Doch dann verhalten sie sich wie jemand, der ein riesiges Geschenkpaket bekommt, es voller Freude in Empfang nimmt, aber im Raum abstellt, es nie öffnet, auspackt oder nutzt.
Vergebung, die Gott uns schenkt, ist ein riesiges Geschenk. Das kann ich nicht erarbeiten oder verdienen, ich kann es nur geschenkt bekommen. Das macht mich fröhlich, frei und gewiss – wie ein Kind, das geliebt wird. Die Folge davon ist, dass ich anfange, das Paket zu öffnen, Portion für Portion zu verarbeiten, anzuwenden und zu genießen.
Was heißt das ohne Bild? Das heißt, das Weitergeben der Vergebung an andere, die an mir schuldig geworden sind, erfolgt nicht pauschal, automatisch oder einfach so. Es muss wirklich in Einzelportionen bewusst gemacht, namentlich genannt und besprochen werden.
Viele dieser Verletzungen haben wir verdrängt. Hanna hat das vorhin erzählt, wie trickreich das in ihrem eigenen Leben war. Wir schlagen uns oft selbst Schnippchen, merken das oft gar nicht. Nach außen sind wir ganz nett, im Kopf denken wir auch, wir sind positiv. Doch wir merken nicht, wie viel Hass und Ablehnung sich gegen andere in uns anstaut. Wir verdrängen das.
Und jetzt noch fromme Sprüche wie „Ich vergebe ja allen“ helfen überhaupt nicht. Unterm Teppich ist alles da. Deshalb gibt es auch Christen, ganz fromme Leute, die krank sind an ihren unversöhnten Beziehungen, an ihren nicht geheilten Beziehungen zu anderen Menschen, die an ihnen schuldig geworden sind.
Ein besonderes Drama der Verdrängung ist in unserer Gesellschaft die ganze Geschichte des sexuellen Kindesmissbrauchs – in christlichen und nicht-christlichen Familien gleichermaßen, in Sportvereinen genauso wie in christlichen Gemeindegruppen. Ein schauerliches Kapitel von verdrängten Verletzungen und zerstörtem Leben, über das absolutes Schweigen gelegt wird.
Diese tiefen Zerstörungen wirken bis ins Alter hinein. Es gibt keine andere Heilungsmöglichkeit, als dass diese zerstörten Beziehungen namentlich bewusst ausgesprochen und besprochen werden – in der Seelsorge. Aus dem großen Paket der empfangenen Vergebung nehme ich langsam, Schritt für Schritt, Portion für Portion neu in Anspruch. Dann versuche ich, sie weiterzureichen an den Menschen, dem ich vergeben möchte, weil er an mir schuldig geworden ist.
Das geht nicht pauschal, unausgesprochen oder allgemein automatisch. Die empfangene Vergebung ist ein Geschenk – ich kann es nicht erarbeiten. Ich bekomme es geschenkt, mit einem Mal. Alle Arbeit, die dafür nötig war – und es war eine Wahnsinnsarbeit, um Vergebung zu ermöglichen – hat Gott allein getan in Jesus.
„Du hast mir Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten“, heißt es beim Propheten. Gott sagt: „Ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und denke an deine Sünden nicht mehr.“ Es ist eine Wahnsinnsarbeit, aber nicht unsere. Wir können nur als Geschenk empfangen, jetzt auf einmal, kinderleicht, und wir sind frei.
Dann fängt die Arbeit der Versöhnung an. Wir bekommen das Geschenk doch nicht, um es einfach so stehen zu lassen wie ein theologisches Dogma.
Ich bin entsetzt zu sehen, wie Vergebung der Sünden für die meisten Christen eine langweilige theologische Wahrheit ist, mit der sie kaum etwas Wirkliches anfangen können. Sie reißt sie nicht vom Stuhl, sie leben nicht damit. Es ist eine tote Richtigkeit, die schwer zu begreifen ist. Sie ist keine Quelle des Lebens und der Freude.
So steht das nicht ausgepackte Geschenk im Lebensraum, und wir haben nichts davon. Wir leben in unversöhnten Beziehungen. Gemeinden sind gelähmt, nicht weil es an Begabungen fehlt, sondern weil unversöhnte Beziehungen da sind. Es ist das Lähmungsgift unseres Lebens – die nicht geheilten Beziehungen.
Ich verspreche nicht, dass mit Fingerschnipsen plötzlich alles anders wird. Aber ich sage: Was auf einen Schlag anders werden kann, ist, dass Sie von heute an, falls es noch nicht geschehen ist, als Beschenkte leben können. Gewiss, dass Sie ganz und gar angenommen sind bei Gott. Es steht kein Blatt mehr zwischen Ihnen und Gott, fast wegen Jesus. Er ist treu und gerecht und vergibt, wenn Sie um Vergebung bitten.
Nehmen Sie das an! Machen Sie nicht den zweiten Schritt, gehen Sie nicht in einen Prozess der Verarbeitung, bevor Sie das Geschenk angenommen haben. Das wird eine Qual! Das geht nicht!
Wir brauchen diese Kraft! Wir können es nicht aus uns selbst. Es ist unmenschlich und überfordernd, solche Dinge zu verarbeiten. Wir brauchen die Energie der Vergebung, die Wirklichkeit des gekreuzigten und auferstandenen Jesus, die ganze Präsenz des Heiligen Geistes in unserem Leben, der uns die Versöhnung mit Gott zuspricht.
Das ist das Kraftreservoir, aus dem wir schöpfen und arbeiten. Aber verarbeitet werden muss es.
Manche haben Angst davor, sich selbst zu begegnen. Sie haben es erfolgreich verdrängt und wissen nicht mehr bewusst, was alles gewesen ist. Aber sie spüren, dass sie nicht zufrieden sind, dass das Leben voller Bitterkeit ist. Sie wissen, dass sie nicht vertrauen können, dass sie einen anderen Menschen nicht mehr lieben können, dass sie sexuell gestört sind, dass sie ihre Beziehung nicht leben können.
Sie wissen, dass sie Probleme haben, aus denen sie nicht herauskommen. Aber an die Ursachen heranzulassen ist notwendig, sonst gibt es keine Heilung.
Einladung zur Annahme der Vergebung und zum Prozess der Versöhnung
Was ist das für eine Chance? Ich mache deshalb Mut. Es ist sehr, sehr weise, dass wir hier Zeit haben, dass hier Leute sind, die Erfahrung mitbringen, keine anderen Verpflichtungen haben und wirklich Zeit zum Zuhören und für Gespräche mitbringen.
Vielleicht fängt es an, denn viele solcher Dinge klären sich nicht in einem einzigen Gespräch. Sie müssen in einer Begleitung, in der wir einander beistehen, ganz geduldig weiterverarbeitet werden. Dann können wir das Riesenreservoir der Vergebung genießen. Ich lebe von dem Satz: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Das ist das Lebensgeheimnis Nummer eins.
Ich sage noch einmal: Das wissen heute alle – ob unsere Beziehungen gelingen, entscheidet im Wesentlichen darüber, ob unser Leben gelingt. Und ob unsere Beziehungen gelingen, hängt davon ab, ob es wirklich eine Kraft der Vergebung und Versöhnung gibt, die bedeutsam und praktisch wirksam für unser Leben ist.
Wie viel Verhärtung und Verbitterung hat unser Leben schon zerstört! Es ist tröstlich zu wissen, dass diese Kraft der Vergebung nicht nur gilt, wenn jemand frisch anfängt und siebzehn oder achtzehn Jahre alt ist und noch viel zu reparieren hat. Diese Kraft heilt und erneuert auch, wenn jemand sechzig, siebzig oder achtzig Jahre alt geworden ist.
Das kann eine große Befreiung im Leben sein. Denken Sie an eine Frau, die wirklich im Frieden mit Gott und mit sich selbst die Augen schließen konnte. Ihr Sterben war ein Stück Herrlichkeit Gottes, nachdem sie auf dem Sterbebett die Versöhnung mit ihrer Tochter erfahren hatte – wirklich eine Heilung der Beziehung. Ohne diese Versöhnung hätte sie nicht sterben können.
Es war eine Qual, nicht die Krankheit, die schwierig war, sondern unversöhnt zu sterben. Auch unversöhnt zu leben ist eine Qual. Sie verstehen, die Dinge liegen eigentlich völlig auf dem Tisch. Was soll ich noch anderes sagen?
Wozu ich jetzt einlade, ist, dass diejenigen kommen mögen, die sagen: Ich will nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Ich habe begriffen, es gibt viel aufzuräumen, aber ich kann es nicht ohne dieses große Geschenk. Das will ich jetzt neu in Anspruch nehmen. Ich will nicht krampfen, ich will mich beschenken lassen.
Gott hat sich abgemüht für meine Sünde, für meine Schuld. Ich stehe zur Verantwortung meines Lebens und bitte um Vergebung. Das will ich annehmen und sage dir, Herr, ich nehme diese Vergebung an mit der erklärten Bereitschaft: „Vergib mir meine Schuld, wie ich vergebe denen, die an mir schuldig geworden sind.“
Und das beten wir in dem Bewusstsein, dass damit in diesem Augenblick nicht alles abgeschlossen ist. Dieser zweite Teil beginnt vielmehr einen Prozess, den wir ganz sorgfältig und in wechselseitiger Unterstützung und Geduld gehen.
Sie werden vielleicht noch in vieler Hinsicht gar nicht wissen, was da alles noch zu tun ist. Gehen Sie darauf gelassen zu. Sie haben den Mann vom Kreuz, im Kreuz. Da bringt Sie niemand mehr zum Wackeln. Sie dürfen ganz getrost darauf vertrauen, dass es Heilung der zerstörten Beziehung gibt.
Jesus, zu dir darf ich so kommen, wie ich bin. Es ist unglaublich, dass das stimmt. Das singen wir jetzt, und Sie können es mitlesen, es steht heute auch im Blatt. Ich stehe hier vorne, und wenn Sie wissen, dass es Ihnen gilt, dann kommen Sie einfach aus den Reihen nach vorne.
Wir beten miteinander das Gebet, in dem wir ganz schlicht zu Jesus sprechen. Ich werde es Ihnen wieder vorsprechen und Sie bitten, es laut nachzubeten als Ihr persönliches Gebet.
Es ist ein Dank für die Liebe, ein ausdrückliches Bekenntnis: „Ich bekenne dir meine Sünden und bitte dich um Vergebung.“ Nach diesem Satz werden wir stillhalten. In dieser Stille bitte ich Sie, dass Sie namentlich aussprechen, was Ihnen an Schuld bewusst ist.
Das, was Sie bewusst haben, sprechen Sie bitte innerlich zu Gott aus. Das, was Sie nicht wissen, was verdrängt oder vergessen ist, nimmt er mit. Niemand kennt die Keller seines Lebens selbst. Nur er kennt uns, und er nimmt uns mit allem, was wir sind, und vergibt uns.
Wir sind ganz sein Eigentum, das Geschenk gehört uns, und wir sind Kinder Gottes. Nehmen Sie es bitte an, wir brauchen dieses Geschenk, um es dann zu verarbeiten – zur Heilung der Beziehung, zur Versöhnung der Beziehung.
Kommen Sie jetzt! Sie dürfen kommen. Ich muss Ihnen nicht erst beweisen, dass Sie besser werden können. Was Sie besser macht vor sich selbst, haben Sie längst am Kreuz getan.
Und weil Sie das sehen, schaffen Sie mir hier Ihre Hände, und ich kann so zu dir kommen, wie ich bin. Jesus, weil ich dir so richtig begegnen kann, wie ich bin, muss ich vor dir nicht mehr als ehrlich sein. Ich muss nichts vor dir verbergen, denn du kennst mich schon so lange.
Uns ist etwas zu dir gezogen, oder wir laufen nicht mehr vor dir weg. So lege ich Licht und Schatten meines Lebens vor dich hin. Bei dir darf ich nicht leben, wie ich bin. Jesus, bei dir muss ich nicht dem Wort entsprechen, das mich von anderen zerstört.
Du willst aus mir einen Menschen machen, wie es dir gefällt, der an deiner Gegenwart voller Liebe für die Welt lebt. Du hast schon seit langer Zeit nur das Beste für mich im Sinn. Darum muss ich nicht so bleiben, wie ich will.
Jesus hat gesagt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben.“ Das gilt jetzt.
Lassen Sie uns miteinander beten: Jesus, ich danke dir, dass du mich so sehr liebst. Ich habe deine Einladung gehört und öffne dir mein Leben. Ich bekenne dir meine Sünden und bitte dich um Vergebung.
Ich danke dir, dass du am Kreuz für mich gestorben bist und mir alle meine Sünden vergeben hast. Mein Leben soll dir gehören, du bist der Herr, dir will ich folgen. Hilf mir, anderen zu vergeben!
Danke, dass du mich angenommen hast! Amen!
Im Namen Gottes spreche ich dir zu: Dir sind deine Sünden vergeben. Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist Gott treu und gerecht, dass er uns unsere Sünden vergibt und uns von allem Unrecht reinigt.
Das ist gewiss, und damit sollen wir leben – einen Weg voller Freude, Gewissheit und Geborgenheit.
Er ist unser Vater und wird für uns sorgen, egal, was vor uns liegt. Der Friede des Herrn sei mit euch.
Gehen Sie nicht weg, ohne Fragen, die Sie noch bewegen, zu besprechen. Hier sind Gesprächspartner bereit. Wir haben heute Abend, morgen früh und morgen Abend noch einmal die Gelegenheit.
Irgendwie spüren wir in dieser Woche, dass ganz viel in Bewegung kommt. Sagen Sie, wo immer Sie können, auch anderen Bekannten Bescheid, damit sie teilhaben, mit dazu kommen und hören.
Das Angebot Gottes gilt, und wir wollen so gut wir können Menschen deutlich machen, dass sie die Einladung Gottes annehmen können.
Nutzen Sie diese Zeit! Gott sei mit Ihnen. Auf Wiedersehen!