Leben inmitten der Angebote des Marktes
Da war es, mitten in den engen Gassen der Via Dolorosa in der Altstadt von Jerusalem. Die Leute drängten sich in den heißen, stickigen, staubigen Gassen. Plötzlich erschien dort ein Wasserverkäufer mit seinem großen, silbern ziselierten, blitzenden Wassergefäß. Laut schreiend rief er: „Mei im Wasser, Wasser, he da, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser!“
Doch er war nur einer von vielen. Da waren die Burschen, die uns ständig nachliefen und Gürtel verkaufen wollten, dazu Postkarten und billige Andenken, Hausierer und Bettler. Mittendrin dieser Wasserverkäufer, der ebenfalls sein Geschäft machen wollte: „Hallo, hier gibt’s Wasser!“
Fragt man sich, ob sich Gott wirklich damit vergleicht, dass er seine Sache so anpreist? Hat er das nötig? „Wollt an, ihr dürstet, kommt her zum Wasser, holt!“ Das klingt ein wenig degradierend für unseren Gott, fast abwertend. Aber unser Gott lässt uns wissen: Doch, ich bin auf den Markt des Lebens gegangen, ganz bewusst mitten hinein ins Leben, wo alle Angebote gemacht werden.
Da, wo ihr durstig seid und gute Laune sucht, da möchte auch ich sein. Da mache ich mein Angebot, wie man wirklich Leben bekommt. Nicht durch Reisen, nicht durch Jugend, nicht durch Gesundheit – kommt her zu mir!
Viele Christen fragen heute, ob man das Evangelium überhaupt ins Fernsehen bringen darf. Sie rümpfen die Nase und finden, das sei doch ein bisschen zu verkäuferisch. Das gehöre doch in stille Kämmerlein.
Mein Bruder ist Pfarrer in Stuttgart und geht mit seinem Team jeden Samstag in die Fußgängerzone der Königstraße. Der Posaunenchor spielt, die Gemeindeglieder verteilen Traktate, und es finden Freiluftveranstaltungen von ein Uhr bis fünf Uhr statt. Den meisten Protest erntet er von Christen: „So kann man das doch nicht machen! Wir sammeln uns in der Kirche oder im Gemeindehaus, aber doch nicht auf der Königstraße. Das sollen die Sektierer machen, die von der Bagwan-Sekte, aber doch nicht wir Christen!“
Doch Gott sagt: Ich gehe auf den Markt des Lebens. Große Christen wie Johann Hinrich Wichern, der Erfinder der Diakonie, haben gesagt: „Unsere Straßenecken müssen wieder Kanzeln werden.“ Wenn die Leute nicht in die Kirche gehen, müssen wir zu den Leuten gehen.
So ist das Programm unseres Gottes: Er geht auf den Markt des Lebens, lädt ein und macht dort sein Angebot. „Wollt an, ihr durstigen, armen Leute, ich habe Leben, ich habe Erquickung für euch!“
Wer auf den Markt des Lebens geht, muss laut schreien, um überhaupt hörbar zu sein.
Die Notwendigkeit der lauten Einladung
Reklamefachleute sagen uns: Wenn für eine Seife, zum Beispiel Luxseife, geworben wird, dann ist es erst nach dem sechsten ganzseitigen Anzeige in einer Zeitschrift oder dem sechsten Werbespot im Fernsehen so weit, dass ein erstes Rädchen im Kopf in Bewegung gerät. Erst wenn man zwölfmal überwältigend groß einen Werbespot gesehen hat, denkt man eventuell an die Möglichkeit: „Das nächste Mal, wenn ich Seife kaufe, kaufe ich Luxseife.“
Wir sind von der Werbung regelrecht kaputtgetrommelt. Wer heute auf dem Markt des Lebens ein Angebot machen will, muss schon laut und sehr deutlich darauf aufmerksam machen. Hat Gott das nötig, dass er so Reklame für seine Sache macht? Auch Gott sagt: Nein! Ich möchte ja kein Geschäft machen. Ihr könnt es bei mir umsonst bekommen. Es ist kein Werbetrick, es ist nichts für mich. Ich möchte für euch etwas tun, ich möchte nichts von euch, auch kein Geschäft mit euch machen. Ich möchte etwas für euch tun. Kommt und nehmt ohne Geld!
Ich sehe euch doch, ihr armen Leute, die ihr mit sauer verdienten Geld für etwas bezahlt, das euch nicht satt macht. Jetzt denke ich an die vielen, die im Lauf meiner Tätigkeit, in meiner Seelsorge, zerbrochen waren. An den Betrieb, den sie aufbauen wollten, an die Ziele im Beruf, die sie sich gesteckt hatten und an denen sie kaputtgegangen sind. An die Erbschaftsgeschichte, bei der sie den Sieg behalten wollten über die anderen – und am Schluss waren sie leer. Nicht wegen des Geldes, sie hatten das Geld bekommen, aber innerlich zerbrochen.
Da waren andere, die zu allen möglichen Meditationskursen gegangen sind. Das war das Leben: „Ich muss zu mir selbst finden.“ Sie hatten viel Geld gezahlt für alle möglichen Kurse und waren leer geblieben. Das betrübt unseren Gott, wenn er in unsere Welt hineinsieht, dass wir uns anstrengen, um es zu etwas zu bringen, an einer Stelle, und dass wir uns etwas versprechen, das uns nicht satt macht.
Wir leben in erstaunlichen Zeiten. Was wir erleben, ist fast befremdlich, wenn man an all das denkt, was in den Siebzigerjahren war. Plötzlich sagen junge Leute: „Wir wollen Meditation haben, wir wollen zu uns selbst kommen, wir wollen unsere Innerlichkeit entdecken.“ Es gibt heute mehr Leute, als wir denken, die merken, dass die sichtbare Welt, die wir haben, nicht alles ist. Dass dahinter sehr viel mehr sein muss.
Aber sie tauchen selten in unseren Kreisen und Gruppen auf. Sie rennen überall hin in merkwürdige Philosophiekurse. Unsere Volkshochschulen sind voll mit Yogakursen von jungen Leuten, die suchen, was sie nicht finden. Sie tragen Geld hin, sie setzen Zeit ein, haben große Erwartungen. Warum zählt ihr denn Geld für etwas, das euch nichts bringt?
Kommt, bei mir ist das Leben. Kommt, nehmt, trinkt!
Das Bild vom Wasser des Lebens
Es ist immer wieder das Bild vom Trinken und Essen. Unser Gott will uns erquicken. Dabei steht nicht nur der Wasserverkäufer von Jerusalem vor meinem Auge, sondern auch der Gottesknecht, der dies erfüllt hat.
Johannes 7 erzählt davon: Am letzten Tag, der am herrlichsten war, stand Jesus auf dem Tempelplatz von Jerusalem und rief: „Wer da dürstet, der komme zu mir und trinke.“ Das ist das alte Angebot Gottes: Er führt mich zum frischen Wasser. Er „erquickt meine Seele, er schenkt mir voll ein, er bereitet vor mir einen Tisch.“ „Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist.“ Es ist nicht nur Wasser und Kantenbrot, sondern Wein und Milch – so heißt es in Jesaja 55. Labt eure Seele am Köstlichen!
Das, was damals dem Volk Israel in der Wüste am köstlichsten gedüngt hat, ist das Land, das da Milch und Honig fließt. Und schaut mal her: Diese Traube, da fließt der Wein. Dieses alte Bild bietet der Prophet Gottes noch einmal an: Ihr könnt Erquickungen haben, die ihr noch nicht kennt, von denen ihr nichts ahnt.
Unser Gott hat etwas bereit, umsonst, gratis, das euch wirklich stärken, erquicken und füllen kann. Was ist gemeint, ohne Bild? „Neiget eure Ohren her zu mir, höret auf mich, so werdet ihr leben“, heißt es in Jesaja 55.
Plötzlich wird das Bild, das uns gelockt hat, hinzuschauen, weggestellt, und dann kommt die Sache: „Hört mir zu, dann bekommt ihr Erquickung.“ Hört doch einmal zu, wie Gott ist, hört zu, was er euch zu geben hat, hört zu, was er bereitgestellt hat – ihr dürft nehmen.
Der ganze Inhalt des Evangeliums ist nicht wie bei den Religionen, die sagen, was wir tun sollen. Und leider ist unser Christentum heute so oft erfüllt von dem, was wir tun sollen – weltweit. Der christliche Glaube ist zuerst eine Sache zum Nehmen, zum Vernehmen, zum hörenden Zurkenntnisnehmen. Wir kennen ja die Bibel alle bloß oberflächlich – zum Annehmen.
Beispiele des Nehmens und Empfangens
Darf ich ein paar Beispiele geben, damit deutlich wird, dass es vom Leben gesprochen wird – mit Gottes Wort Leben.
Da ist die Frau Bilkis Shaik, die Frau des früheren pakistanischen Außenministers. Sie ist eine fromme Pakistani, Mohammedanerin. Ein englischer Missionar hat ihr eines Tages eine Bibel gegeben. Doch sie legte sie beiseite. Das Buch war unter Zeitungen und anderer Bettlektüre auf dem Nachttisch verborgen.
Eines Nachts hatte sie einen Traum: Ein Narrenverkäufer, ein Parfümverkäufer, stellte ihr einige wunderbare Düfte vor. Am Schluss brachte er ein goldenes Gefäß und sagte, es sei eine ganz herrliche, wohlriechende Salbe. Er lüftete für einen Augenblick den Deckel, und der Geruch erfüllte das ganze Zimmer. Der Verkäufer sagte, der Geruch werde einmal die ganze Welt erfüllen. Er stellte das Gefäß auf ihren Nachttisch.
Sie wachte auf und schaute hinüber. Dort, wo sie im Traum das Gefäß gesehen hatte, lag unter den Zeitungen das Buch, das ihr der Missionar gegeben hatte. Sie schlug es auf und las, dass es keinen Allah gibt, keinen fernen heiligen Gott, sondern den Gott, der unser Vater ist.
Sie hat beschrieben, was sie mit diesem Vater erlebt hat, wie sie ihn gefunden hat – in dem Buch. Ich empfehle es Ihnen: Kaufen Sie es für sich und schenken Sie es weiter. Mein Vater – man kann es zur Kenntnis nehmen: Da ist einer, mehr als meine Mutter, als mein Vater gut zu mir ist. Da ist einer, der mich versteht, der mich leiten kann.
Bei Martin Luther, von dem wir im vergangenen Jahr sehr viel gehört haben, war es so, dass er dauernd gefragt hat: Was muss ich tun, damit ich vor Gott bestehen kann? Was muss ich noch tun? Mich kasteien? Was muss ich schaffen, was muss ich studieren?
Dann ist das Wort aus Römer 1 plötzlich aufgegangen: Gott hat Gerechtigkeit in Jesus für dich bereitgestellt. Der Gerechte wird seines Glaubens leben. Nicht was du tust, sondern was du abbuchst von dem reichen Gerechtigkeitskonto Jesu – das ist wichtig.
Jesus hat ein immenses Konto von Gerechtigkeit vor Gott. Du bist ein Sünder, du bleibst ein Sünder, du bist noch kein Engel. Aber du darfst von diesem Konto der Gerechtigkeit Jesu abbuchen, für dich in Anspruch nehmen. Du darfst nehmen.
Nehmend – hört doch hin, was im Wort Gottes angeboten ist: Nahrung.
Der Erweckungsprediger unseres schwäbischen Landes, Ludwig Hofacker, hat als junger Mann immer versucht, einen Weg zu Gott zu finden. Er hat uns Schwaben so gesehen, dass wir dauernd versuchen, mit unserem Schaffen und Sparen doch dorthin zu kommen. Wir sagen: Der liebe Gott wird mir schon einmal die Tür im Himmel aufmachen, wenn ich ein anständiger Mensch komme.
Und er hat es aus dem Wort Gottes erkannt: Der Herr Jesus hat längst die Tür aufgemacht. Heute schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradies. Du darfst nehmen und mit Jesus in die Welt Gottes gehen. Er ist der Weg zum Vater.
Persönliche Erfahrung mit Jesus als Lebensquelle
Als ich am Anfang meines Weges mit Jesus war, da war ich Oberschüler in Stuttgart. Es ist mir immer etwas, das ich dort erlebt habe, zum Bild geworden.
Ich bin gerne zu den Konzerten des Stuttgarter Kammerorchesters unter der Leitung von Karl Münchinger gegangen. Dieses Kammerorchester war ein Team, bei dem, wenn der Dirigent seinem Kontrabassisten, dem langen, hageren Mann, den Einsatz gab, es keines weiteren Handzeichens bedurfte. Ein bloßer Blick mit den Augen reichte aus. So habe ich mir vorgestellt, dass mein Herr Jesus mich leitet.
Immer wieder, wenn ich merke, dass ich ein eierndes Rad in einer Maschine bin, wenn ich mich von Terminen und Aufgaben hetzen lasse, denke ich: Ich bin doch arm dran. Mein Blick ist verstellt zu meinem Herrn Jesus, der mir sagen könnte, was wichtig und was unwichtig ist. Jesus ist ein lebendiger Herr, der mir den Einsatz geben kann.
Wenn alle über mich schimpfen, kann er mir durch sein Wort zuneigen und mir seine Liebe spüren lassen. Man kann von Jesus etwas abholen. Seine Mutter hat uns in der Jugend das Gebet gelernt – meinen vier Brüdern und mir:
„Mein Jesus, schmücke mich mit Weisheit und mit Liebe, mit Keuschheit, mit Geduld, durch deines Geistes Triebe, auch mit der Demut mich vor allem kleide an, so bin ich wohlgeschmückt und köstlich angetan.“
Man darf es sich nehmen, es aufnehmen. „Jetzt gib mir’s doch, ich bin nicht demütig, ich bin nicht geduldig, ich bin oft so dumm. Mein Jesus, schmücke mich mit Weisheit und mit Liebe, mit Geduld, mit Sanftmut!“
Der christliche Glaube ist etwas zum Nehmen. „Nehmet, neiget eure Ohren her, was da drinsteht zwischen den zwei Decken.“ Dort ist alles bereit: die Nahrung, die Gott für uns bereitet hat, das Wort Gottes – Nahrung zum Leben.
Gottes Bund mit den Völkern und die Herrschaft Jesu
Aber es geht über uns hinaus. Das heißt, in diesem großen Abschnitt heißt es: „Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern und Fürsten zum Herrn bestellt.“
Hier klingt eine Seite an, die ganz wichtig ist. Wenn wir jetzt eine Bibelwoche haben, müssen wir auch einen Strang der Bibel kennenlernen, der etwa in Psalm 2 steht. Dort sagen die Völker und die Regierenden dieser Welt: „Wir wollen doch mit Gott nichts mehr zu tun haben. Lasst uns die Seile abwerfen, mit denen wir an Gott angebunden sind.“ Emanzipation – wir wollen wir selbst sein.
Aber der im Himmel sitzt, lacht über sie. Er sagt: „Ich habe meinen Sohn eingesetzt. Du bist mein Sohn!“ Gegen das Toben der Völker hat Gott den Einen eingesetzt, auf den man in Israel gewartet hat, den Sohn Gottes. Er wird einmal die Fäden der Weltgeschichte in den Griff bekommen.
Dem David ist dies durch den Propheten Nathan verheißen worden, 2. Samuel 7. Schlagen Sie es zuhause auf, es ist eines der wichtigsten Kapitel der Bibel. Als David den Tempel bauen wollte, hat Gott gesagt: „Lass das! Ich will dir ein Haus bauen. Ich werde einen deiner Nachkommen erwecken.“ Wichtige Stichworte: „auferwecken“ – der soll mein Sohn sein, und dem will ich die beständigen Gnaden geben. Meine Gnade soll nicht mehr von ihm weichen.
Wenn es überhaupt in dieser Welt Gnade gibt, dann gebe ich sie dem zum Verwalten, den Sohn, den ich erwecken werde. Sehen Sie, es läuft wieder alles auf Jesus hin. Die Apostel haben nach Pfingsten gesagt: „Den hat Gott auferweckt, hat ihn zu seinem Sohn gemacht.“
Und jetzt ist einer da, der die Fäden der Weltgeschichte in der Hand hat und bei dem es Gnaden in unermesslicher Fülle gibt, die wir abrufen können. Wenn wir an ihn denken, brauchen wir keine Sorge mehr haben, wie denn die Weltgeschichte weiterläuft. „Ich habe meinen Sohn eingesetzt.“
Ach, was ist das für ein Trost für uns, die wir manchmal bange sind, wie es in der Weltgeschichte weitergehen soll! Gott hat längst den festgesetzt, der einmal diese Welt in seine Hand bekommen wird. Nicht die Mächte des Abgrunds werden siegen, nicht die zerstörerischen Mächte, nicht der Teufel. Jesus wird der letzte Herr sein: „Ich habe meinen Sohn eingesetzt.“
Er hat einen ewigen Bund mit euch gemacht. „Ich gebe euch die beständigen Gnaden Davids.“ Das ist kein Zukunftsprogramm Gottes, das ist in Jesus in Kraft getreten. Jetzt dürfen wir sagen: „Mein Jesus, schmücke mich mit Weisheit, mit Liebe, mit Keuschheit, mit Geduld. Durch deines Geistes Triebe kleide auch wieder Demut mich an, gib mir, was ich brauche, leite mich mit deinen Augen.“
Was das für eine Erquickung ist!
Die Kraft des Wortes Gottes im Alltag
Neigt eure Ohren her zu mir, hört gut zu! Wenn ihr durstig seid, kommt zum Wasser und nehmt es umsonst! Das Wort Gottes ist eine unglaubliche Erquickung.
Auch wenn wir manchmal keine Lust haben, sollten wir uns zwingen. Es ist wichtig, eine feste Ordnung in dieser Sache zu haben. Wir sind heute oft davon abgekommen, unsere persönliche, stille Zeit einzuhalten – eine feste Zeit, in der wir das Wort Gottes lesen.
Ich garantiere Ihnen: Sie werden es merken. Es ist wie bei einem Wanderer, der, wie man im Schwäbischen sagt, „verlechnet“ und ganz vertrocknet ist. Plötzlich steht er wieder auf und sagt: „Ich habe neue Kraft, neuen Geist, neue Horizonte.“
Ich möchte Ihnen auch danken, zusammen mit allen Pfarrern und Predigern, die uns dies ermöglichen. Heute sind wir freigestellt, wie es im Neukirchener Kalenderzettel steht, um im Wort Gottes zu forschen. Das Wort Gottes ist ein unerforschlicher Reichtum.
Andere Menschen müssen vielleicht Angst haben, wie es wird, wenn sie älter werden. Christen hingegen können sich nur freuen, denn es wird immer nur noch interessanter. Man kann die Bibel niemals vollständig auslesen. Es ist ein solcher Schatz und eine Erquickung, dass man immer nur noch reicher wird.
Selbst wenn man fünfundneunzig Jahre alt ist, wird es immer noch Neues aus Gottes Wort geben, das wir nehmen und trinken können.
Das Wirken von Karl Steinkopf und die Verbreitung des Wortes
Ich möchte heute ein wenig über Doktor Karl Steinkopf erzählen, der in Ludwigsburg geboren wurde. Er war im Seminar zusammen mit einer sogenannten Geniepromotion, unter anderem mit dem jungen Hölderlin, dem späteren Dekan Bahnmayr, der das Lied „Walte, walte, nah und fern“ gedichtet hat, sowie mit Fritz Spittler und vielen anderen bekannten bedeutenden Persönlichkeiten.
Als junger Vikar erhielt Karl Steinkopf den Ruf, nach Basel zu kommen und dort für die Christentumsgesellschaft zu arbeiten. Diese Gesellschaft war damals ein eher armseliger Verein. Ihr Ziel war es, die wenigen Christen, die mit Ernst Christen sein wollten, in Europa ein wenig zu sammeln. Man wollte einen Briefverkehr untereinander pflegen und sich gegenseitig trösten.
In Frankreich war gerade die Revolution gewesen, die die Vernunft zur höchsten Gottheit erklärt hatte. Das Ergebnis war ein Blutbad. Man erlebte, was die Vernunft erreichen kann. Die französischen Revolutionsheere verwüsteten ganz Europa. Die Christen um Basel sagten daraufhin: „Lasst uns zusammenhalten, damit wir uns noch festhalten, mitten im allgemeinen Untergang.“
Dann kam der junge Karl Steinkopf, Doktor der Theologie, nach Basel und sagte: „Leute, wir dürfen uns nicht nur zusammensetzen und die Tür zumachen. In diese gottlose Welt, die nicht mehr weiß, wie es weitergeht, müssen wir das Wort Gottes als Nahrung bringen. Die Menschen verdursten innerlich. Sie gehen in ihrem Menschsein zugrunde.“
In Basel verstanden die Leute nicht recht, was er wollte. Nur einer verstand ihn, der Kaufmann Kissling aus Nürnberg. Kissling war ein hochinteressanter Mann. Wenn Sie einmal Zeit haben, lesen Sie Bücher über ihn. Er war ein Kaufmann, der hauptsächlich in Österreich Geschäfte machte. Immer wenn er mit seinen Wagen zu den Märkten in Österreich fuhr, nahm er Bibeln mit und verteilte sie unter der katholischen Bevölkerung.
Wenn wir heute in Österreich, etwa in Kärnten, in Erweckungsgebiete kommen, geht das auf den Kaufmann Kissling zurück. Er wusste: Selbst wenn ich nur eine Bibel weitergebe, ist das wie Dynamit. Gott kann Leben schaffen, das ist Nahrung. Das hat Karl Steinkopf bei seinem Freund Kissling gelernt.
Als ein Ruf kam, ob er nicht nach London an die Savoy-Kirche gehen wolle, sagte er mit Freude zu. Wenn Sie heute nach London in die Innenstadt kommen, zwischen den Hochhäusern finden Sie noch die alte Savoy-Kapelle. Steinkopf hat nie richtig Englisch gelernt, war aber fünfzig Jahre lang Pfarrer in London.
Es erzählt sich die Geschichte, dass ein englischer Pfarrer einer Nachbargemeinde Steinkopf zur Vertretung eingeladen hat und sagte: „Heute Abend predigt bei uns Herr Doktor Karl Steinkopf. Ihr werdet zwar nicht viel von dem verstehen, was er sagt, aber schon wenn ihr ihn anseht, werdet ihr unaussprechlich gesegnet sein.“ So war es: Er konnte nicht viel Englisch, war aber dennoch ein Motor.
Er stieg sofort in die englische Traktatgesellschaft London ein und sagte seinem Freund Christian Friedrich Spittler, den er aus Schorndorf nachgeholt hatte, nach Basel: „Fang sofort selbst in Basel an.“ Spittler gründete 1801 die Traktatgesellschaft in Basel.
Zwei Jahre später kam in London ein barfüßiges Mädchen namens Mary zur Traktatgesellschaft. Sie war zu Fuß Hunderte von Kilometern aus Wales gekommen und bat in walisischer Sprache um eine Bibel. Es gab zwar Bibeln in schönem Englisch, aber nicht in Walisisch, sodass das Mädchen die Bibel in ihrer Sprache verstehen konnte.
Daraufhin sagte Steinkopf: „Jetzt geht einer sofort an die Arbeit und übersetzt die Bibel ins Walisische.“ Die Leute antworteten: „Wir sind doch für Traktate zuständig, aber nicht für Bibeln.“ Steinkopf erwiderte: „Dann gründen wir eine Bibelgesellschaft!“ Damit begann etwas, das für ganz Europa bahnbrechend wurde.
Die große British and Foreign Bible Society, die heute Bibeln in 400 Sprachen druckt, geht auf Steinkopf zurück. Er hat sie gegründet. Im Jahr 1812 sagte Steinkopf seinem Freund Spittler: „Jetzt gründest du in Basel eine Bibelgesellschaft.“ Zu dieser Zeit standen die Heere Napoleons mitten in Europa.
„Los, jetzt wird eine Bibelgesellschaft geschaffen!“ rief er aus. Im Jahr 1815, im gleichen Jahr, in dem die Basler Mission gegründet wurde, entstand in Stuttgart die Bibelgesellschaft. In Göteborg wurde ebenfalls eine Bibelgesellschaft gegründet, obwohl mitten im Krieg in Russland.
Bis heute weiß man nicht, wie Steinkopf es geschafft hat, mitten durch die Kontinentalsperren zu kommen. Doch er war wendig und hatte nur einen Gedanken: Das Wort Gottes muss unter die Leute. Wenn man ihn fragte, woher das Geld kommen solle – denn es gab keine Kirchensteuer für Bibeln – sagte er: „Gott hat genug Leute bereit, die für einen sinnvollen Zweck Geld geben.“
Er fand überall reiche Menschen, selbst in diesen traurigen Jahren, die dafür Geld gaben, dass das Wort Gottes verbreitet und zur Nahrung wird. Auf die Frage, wie er durch die Sperren gekommen sei, obwohl er kaum Fremdsprachen sprach und nicht einmal richtig Englisch, antwortete er: „Ich bitte immer unseren Herrn mit einer vierfachen Bitte: Gib mir die Einfalt der Taube, die Klugheit der Schlange, die überall durchkommt. Gib mir den Mut des Löwen und die Sanftmut des Lammes.“
Er war jemand, der von Gott genommen hat: „Gib mir, du hast es doch verheißen, Herr Jesus, du hast gesagt: Sei klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Mach mich auch so, in deinem Wort steht es, ich will es ernst nehmen.“
Wenn wir heute in unserem Land erleben, dass wir unseren Konfirmanden Bibeln in die Hand geben können, dass wir Großdrucktestamente für Menschen mit Sehschwäche haben, Blindentestamente, wissenschaftliche Ausgaben und Bibeln nach Russland oder Kroatien schicken können, dann verdanken wir das eigentlich diesem einen Mann. Er hat erlebt und gebrannt für Gottes Wort als Nahrung fürs Leben.
Er war der Mann, der alles, was England nach der Wesley-Erweckung hatte, über seinen Freund Spittler nach Europa brachte. Spittler war der große Vermittler, unser Schorndorfer Stadtschreiber Spittler. Die Basler Mission, das erste Kinderkrankenhaus, der erste Kindergarten – alles englische Einrichtungen, die Steinkopf immer nur an Spittler weitergab. Und Spittler sagte: „Jetzt übersetzen wir es für Europa.“
Fünfzig Einrichtungen der Inneren Mission, das erste Heim für Taubstumme, das erste richtige Heim für Blinde – all das erkannte Steinkopf als Aufgabe und gab es weiter. Gottes Wort ist für die Ärmsten da, für die Jüngsten, für die Ältesten, für Blinde und Taubstumme. Gottes Wort muss Nahrung sein für die Durstigen, für die, die nicht mehr weiterkommen.
„Wohl an, ihr Durstigen, kommt, trinket, nehmt vom Wasser des Lebens umsonst.“
Die Einladung am Ende der Bibel
Und noch einmal richtet sich unser Blick nicht nur auf den Wasserverkäufer in Jerusalem, nicht nur auf den Jesus, der auf dem Tempelplatz steht und sagt: „Wer da dürstet, der komme zu mir und trinke.“
Vielmehr geht unser Blick auf die letzte Seite der Bibel, auf Offenbarung 22. Dort sprechen der Geist und die Braut: „Komm!“ Und wer da dürstet, der spreche: „Komm!“ Wer da dürstet, der komme und nehme vom Wasser des Lebens umsonst!
Unvergesslich für mich ist das Jahr 1975, beim ersten Stuttgarter Gemeindetag. Der große Chor hat bei diesem Sprechspiel immer wieder das eine gesagt: „Komm, komm, wenn du leben willst, wenn du ewig leben willst, wer da dürstet, der komme!“ Und nehme vom Wasser des Lebens umsonst! Amen.