Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart. Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zugleich zum theologischen Denken anregen.
Heute steht das praktische Christsein im Mittelpunkt.
Mein Name ist Thomas Powileit, und ich begrüße heute Katharina, die diesen Podcast gemeinsam mit mir gestaltet.
Hallo Katharina, schön, dass du da bist.
Hallo Thomas, ich freue mich ebenfalls, hier sein zu können.
Ja, als Christen in Deutschland müssen wir nicht jeden Tag darüber nachdenken, woher wir etwas zu essen bekommen oder wie es uns ergehen wird, wenn wir ernsthaft krank werden. Wir müssen auch nicht unter primitiven Verhältnissen leben; äußerlich geht es uns wirklich gut.
Deshalb bedauern wir manchmal Christen in Ländern, die viele Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten, die wir haben, nicht kennen. Was wir jedoch oft nicht so sehr im Blick haben, ist, dass wir von Christen in ärmeren Ländern eine Menge lernen können.
Darüber wollen wir mit dir, Katharina, sprechen, weil du schon länger in einem ärmeren Land arbeitest und viele Christen kennst, denen es äußerlich nicht so gut geht. Katharina, erzähl uns doch mal: In welchem Land arbeitest du und wie sieht dort die wirtschaftliche Situation aus?
Genau, ich bin seit etwa dreieinhalb Jahren in Nicaragua. Allgemein kann man sagen, dass Nicaragua das zweitärmste Land Lateinamerikas ist. Das bedeutet ganz praktisch, dass 80 Prozent der Bevölkerung wirklich arbeitslos sind. Das ist eine ganze Menge.
Ja, genau. Die meisten suchen sich dann eben noch informelle Arbeit, aber trotzdem ist das ein großes Problem.
Was heißt informelle Arbeit?
Das bedeutet, dass sie einfach selbstständig auf die Straße gehen und versuchen, Essen zu verkaufen oder ihre Dienstleistungen anzubieten, wie zum Beispiel Schuhreparatur, Autoreparatur oder Bonbonverkauf in den Bussen. So versuchen sie, das notwendige Geld für den Tag zu verdienen.
Und warum bist du nach Nicaragua gegangen?
Also, tatsächlich wollte ich eigentlich schon immer ins Ausland gehen. Es fing bei den Missionargeschichten als Kind an. Mich hat es immer fasziniert, in so einem Land zu sein, und ich dachte immer, ich will mir das mal anschauen.
Ich bin jetzt gerade mit Coworkers draußen mit einem einheimischen Partner, Nueva Imagen de la Mujer – das neue Bild der Frau. Das ist eine christliche Organisation mit einer nicaraguanischen Leitung.
Und du bist wie lange schon in Nicaragua?
Dreieinhalb Jahre bin ich jetzt dort, genau.
Also das heißt, wenn du dreieinhalb Jahre da bist, dann bekommt man ja ein gutes Bild von den Menschen vor Ort. Und du bist ja beruflich dort, hast du eben gesagt, du hast vor allem mit einer armen Bevölkerungsschicht zu tun. Wie zeigt sich denn diese Armut im Alltag? Wie können wir uns das vorstellen?
Wir reden ja von ärmeren Leuten. Wie sieht deren Alltag, deren Leben aus?
Genau, das heißt also erst mal, dass man meistens oft morgens noch nicht weiß, was man zum Abendessen essen wird. Also das Geld ist noch nicht auf dem Tisch. Oft leben die Menschen in einfachen Holz- oder Blechhütten. Es ist ganz normal, dass eine Familie in einem Haus wohnt – von der Oma bis zum Urenkelkind – und oft auch in einem Zimmer.
Sie kennen das Wort Freizeit nicht so. Es wird einfach gearbeitet, gegessen und geschlafen. Reisen ist dann etwas total Utopisches. Es gibt auch wirklich viele, die waren noch nicht mal in der dreißig Kilometer entfernten Stadt oder so.
Nicht alle Kinder gehen zur Schule. Die Bildung im Land ist sehr schlecht, und so Allgemeinwissen gibt es eigentlich auch nicht wirklich. Also viele denken wirklich, es gibt eine Brücke zum Beispiel nach Europa rüber oder so. Also kein Schiff, kein Flugzeug, sondern eine Brücke.
Genau, oder sie wissen vielleicht nicht mal, wo Europa liegt.
Okay, über diese Brücke ist die Katharina gelaufen, mehrere Tage, und dann war sie da.
Genau, ja.
Die Situation der Menschen im Land ist schwierig, doch es gibt natürlich auch Christen dort. Wie kann man sich ihre Lage vorstellen? Geht es ihnen äußerlich besser? Oft lässt sich das nicht so sagen. Zwar segnet Gott auch in bestimmten Situationen, aber wirtschaftlich geht es vielen nicht wirklich besser.
Wir beobachten jedoch gerade in den Gemeinden einen wachsenden Zulauf zu den Gottesdiensten. Dieser Trend hat sich vor allem durch die Corona-Pandemie noch verstärkt.
Das bedeutet, durch die Corona-Situation kommen mehr Menschen in die Gemeinde?
Ja. Man kann sich vorstellen, dass das Land in den vergangenen Jahren viele Krisen durchstehen musste – soziale, politische und wirtschaftliche. Corona kam dann noch oben drauf. Dadurch spüren die Menschen, dass sie an ihre Grenzen kommen und keine Alternativen mehr sehen. Es entsteht ein regelrechter Hunger nach Gott, weil ihnen wirklich nichts anderes mehr bleibt.
Von welchen Alternativen ist die Rede?
Von den Selbstversuchen, sich irgendwie selbst hochzuarbeiten. Diese Möglichkeiten sind Stück für Stück weggebrochen. Viele haben ihre Arbeit verloren oder mussten in den letzten zwei Jahren den Tod von Familienangehörigen verkraften.
Wenn man über die Christen in Nicaragua nachdenkt – du kommst ja aus Deutschland und kennst hier die Situation – was fällt dir besonders an den Christen in Nicaragua auf? Ist das sehr ähnlich wie hier in Deutschland?
Mir ist von Anfang an aufgefallen, dass die Leute dort eine ausgeprägte Gottesfurcht haben. Diese herrscht allgemein im Land, das heißt, nicht nur bekehrte Christen zeigen diese Gottesfurcht. Bei den Christen ist es dann tatsächlich ein wirklicher Hunger nach Gott und eine Sehnsucht, ihn besser kennenzulernen. Das war etwas, das mir von Anfang an aufgefallen ist.
Kannst du das konkret beschreiben? Was bedeutet „Hunger nach Gott“? Woran fällt es dir auf?
Mir fällt das dadurch auf, dass sie häufig tatsächlich in die Gemeinde kommen. Außerdem haben sie längere Gebetszeiten und reden auf der Straße über Jesus. Sie erzählen praktisch, was Jesus in ihrem Leben tut. Sie nehmen ihn so in ihren Alltag mit hinein. Das heißt, ihr Herz ist voll von ihm, und deswegen spricht ihr Mund auch davon. Man hat den Eindruck, dass da kaum etwas anderes herauskommt – nur Jesus. Man merkt, dass sie wirklich diesen Hunger nach Gott haben. Das wirkt sehr authentisch.
Es ist ja auch so, dass der Glaube an Jesus in verschiedenen Kulturen unterschiedlich gelebt wird. Was denkst du, könnten wir hier in Deutschland von ihnen lernen? Was könnten wir von den Geschwistern aus Nicaragua übernehmen?
Da würde ich tatsächlich beim gleichen Punkt bleiben: bei diesem Hunger. Ich denke nicht, dass dieser Hunger dort automatisch entsteht. Vielleicht haben sie es in manchen Dingen einfacher, weil sie weniger Alternativen haben als wir, und trotzdem suchen sie Gott. Sie fangen an, die Bibel zu lesen, gehen öfter in den Gottesdienst, beten. Manche haben sogar Regeln für sich selbst, wie morgens früher aufzustehen oder regelmäßig Fastentage einzulegen, um sich bewusst diesen Hunger nach Gott zu bewahren. Sie machen sich bewusst, dass dieser Hunger nicht automatisch kommt.
Das habe ich bisher dort gelernt, und ich glaube, das können wir alle von diesen Menschen dort lernen. Das heißt, sie suchen Gott aktiv immer wieder. Sie merken, dass dieser Hunger – man könnte sagen, in Deutschland „Appetit kommt beim Essen“ – wächst, wenn sie Gott wirklich als ihre Mitte haben. Dadurch bekommen sie noch mehr Sehnsucht, ihn kennenzulernen und in ihr Leben mit einzubeziehen.
Ich denke, wir haben hier in Deutschland eine größere Herausforderung, weil wir so viel anderes „Fastfood“ vor der Nase haben – auch gute Dinge. Deshalb müssen wir wirklich aufpassen und sagen: „Okay, ich möchte Hunger nach Gott haben.“
Denn ich habe dort gesehen, was passiert, wenn der Hunger nach Gott wächst: Dann wächst auch die Liebe, und die Erlebnisse mit Gott nehmen zu. Dann wächst der Friede, und die Beziehung zu Jesus wird immer intimer.
Du hast gesagt, dass die Liebe wächst, auch durch den Hunger nach Gott. Hast du ein Beispiel, bei dem du sagst, dass dich etwas bei anderen beeindruckt hat? Ein Beispiel, wo du wirklich Gottes Liebe im Alltag siehst?
Ja, ich glaube, ich habe das noch nicht erwähnt. Speziell meine Arbeit ist mit Aussteigerinnen aus der Prostitution. Diese Frauen gehören natürlich zur ärmsten Bevölkerungsgruppe. Wenn eine Frau zu Jesus findet und praktisch eine Beziehung mit ihm beginnt, fällt mir auf, dass sie sehr schnell zu ihren Kolleginnen gehen möchte, um ihnen von Jesus zu erzählen.
Sie möchte auch das, was sie vielleicht hat, mit ihnen teilen. Obwohl sie immer noch sehr wenig besitzt, möchte sie es ihnen geben. Außerdem möchte sie auf der Straße von Jesus berichten. Für mich ist das ein sehr großes Beispiel für Liebe.
Ein weiteres Beispiel ist, wenn sie jemandem vergeben kann, der sie in der Kindheit missbraucht hat. Das ist für mich ebenfalls ein sehr praktisches Beispiel für gelebte Liebe.
Die Christen in Nicaragua haben natürlich nicht so viele Sicherheiten wie wir, die wir das logischerweise gewohnt sind.
Hast du Beobachtungen gemacht, wie sich das Fehlen eines sozial abgesicherten Systems auf ihren Glauben auswirkt? Sie leben oft von der Hand in den Mund, Tag für Tag.
Ja, ja, ja, total. Genau, sie sind dadurch abhängiger von Gott und beten mehr. Tatsächlich bitten sie Gott morgens, bevor sie das Haus verlassen, darum, den Tag zu segnen und das Brot auf den Tisch zu bringen.
Ich habe auch von Gebeten gehört, in denen sie Gott sagen, dass sie jetzt Hunger haben und nichts mehr besitzen. Danach stehen sie vom Gebet auf, und manchmal bringt die Nachbarin einen Teller Suppe vorbei.
Oder bei den Arztgeschichten: Die guten Ärzte sind oft Privatärzte, die sich die Ärmsten nicht leisten können. Auch Medikamente sind für sie oft unbezahlbar. Deshalb müssen sie beten, dass Gott ihr Heiler wird.
Bei den Kindern in der Schule können viele Mütter selbst nicht lesen. Sie bitten Gott daher, ihren Kindern Intelligenz oder Weisheit für die Entscheidungen des täglichen Lebens zu schenken. Denn sie haben keine Bücher, in denen sie nachlesen könnten.
Ich habe viele Menschen kennengelernt, die ganz bodenständig sind, weil sie Gott um diese einfachen Dinge gebeten haben. Sie wurden erhört und sind wirklich zufrieden.
Das ist natürlich super, was du sagst. Ich bitte Gott darum und erlebe es auch.
Ich meine, du bist dort natürlich als jemand aus dem Westen, von dem man vermutet, dass sie vielleicht auch noch Geldreserven hat oder so etwas in der Richtung. Erlebst du, dass du auch immer wieder gefragt wirst oder dass man sagt, vielleicht wirkt Gott eher durch Katharina?
Ja, natürlich schon, genau. Also ich bin dort einfach die Reiche, damit muss ich leben. Sie würden es nie direkt sagen, manchmal denke ich, es ist eher indirekt. Da muss ich mich dann immer fragen, ob jetzt durch meine Hand die Antwort des Gebets praktisch kommt. Aber das ist natürlich schon der Fall, ja.
Ja, aber es ist nicht selbstverständlich, dass sie sagen: Wir gehen zuerst zu Katharina. Sondern wirklich so, dass sie Gott bitten, dass er ihnen hilft, und dann auch erwarten, dass er ihnen durch andere Leute hilft, nicht nur durch Katharina.
Ja, Gott sei Dank. Und es läuft. Das ist dann auch wieder durch die Kultur bedingt. Sie sind eben eine sehr indirekte Kultur. Vielleicht wird man mal etwas durch die Blume angesprochen, aber ich werde nicht direkt gefragt. Und das finde ich dann gut. Ich glaube, sie lassen es auch in Gottes Händen.
Wenn wir jetzt jemanden aus Nicaragua hier vor dem Mikrofon hätten und ihn ins Gespräch einladen könnten, was denkst du, würde er uns Deutschen wohl sagen? Rein hypothetisch.
Zunächst würde er sich wahrscheinlich überschwänglich bedanken – dafür, dass er hier sein darf und die Möglichkeit hat, hier zu sprechen. Dann würde er wohl auch zuerst sagen, was er von der deutschen Kultur oder von den deutschen Christen lernen kann.
Das habe ich schon öfter gehört: Sie sagen, sie arbeiten gerne mit Deutschen zusammen, weil diese so zuverlässig und ehrlich sind. Außerdem seien sie materiell großzügig. Das sei in ihrer Kultur oft nicht der Fall, weil man dort meist davon ausgeht, dass einem geholfen wird.
Was würde er uns mitgeben? Er würde wahrscheinlich sein Lebenszeugnis erzählen, was Gott in seinem Leben getan hat, und betonen, dass es keinen anderen Weg als Jesus gibt. Außerdem würde er uns wahrscheinlich raten, uns nicht zu sehr zu verkopfen, sondern uns an die Grundwahrheiten der Bibel zu halten.
Ich glaube, das wäre seine Botschaft an uns.
Das ist ja sehr motivierend. Ich habe gedacht, wir können diesen Podcast sehr gut mit einem Mann beschließen, dem es auch relativ schlecht ging zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Paul Gerhard. Er hat, so wie du es berichtet hast, auch seine Zufriedenheit in Gott gefunden.
Paul Gerhard hat viele Lieder gedichtet. Eines dieser Lieder heißt: „Gib dich zufrieden und sei stille, in dem Gott deines Lebens. In ihm ruht alle Freude in Fülle. Ohne ihn mühst du dich vergebens. Er ist dein Quell und deine Sonne, scheint täglich hell zu deiner Wonne, gib dich zufrieden.“
Ich glaube, das war seine Botschaft. Das entnehme ich auch dem, was du gerade gesagt hast.
Ja, absolut. Schön, dass du da warst. Das war er wieder, der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart.
Wir hoffen, ihr konntet durch diesen Podcast einiges von den Christen in Nicaragua lernen, das euch auch in eurer persönlichen Beziehung zu Jesus weiterbringt.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns bitte unter podcast@efa-stuttgart.de.
Wir wünschen euch Gottes Segen und vor allem seine Zufriedenheit.