Einstimmung und Einführung in das Thema Angst
Wir wollen still werden. Vater, nun sind wir mit all dem, was uns umtreibt, hier. Es sind Gedanken, aber auch viele Ängste, die uns bewegen. Deshalb möchten wir Dich bitten, dass Du uns Klärung schenkst und uns selbst Dein Wort öffnest. Wir bitten Dich deshalb um Deinen Heiligen Geist. Amen.
Jeder von uns kennt die Szene aus der Schulzeit noch. Der Lehrer lässt einen Text lesen, und einer nach dem anderen kommt in der Reihenfolge der Sitzordnung dran. Selbst ist man bei diesem System noch lange nicht dran. Deshalb gehen die Gedanken in völlig andere Richtungen. Mit dem Bleistift malt man Strichmännchen auf den Rand oder faltet sogar eine Schwalbe mit der letzten Seite des Rechenheftes.
Dem Lehrer fällt diese Unaufmerksamkeit auf, und plötzlich stellt er eine Frage. Weil man nicht voll da ist, merkt man es gar nicht. Der Nachbar stupst einen an und sagt: „Du bist gemeint.“ Diese Frage des Lehrers holt einen zurück in die Wirklichkeit.
Sehen Sie, daran musste ich denken. Jeder sitzt an seinem Platz, und jeder denkt vor allem an seine Welt, die ihn gerade umgibt und auch beschwert. Man malt sich eine Zukunft aus, die geradezu fantastisch ist und so gar nie eintreten kann. Am liebsten würde man frei davonfliegen wie eine Schwalbe.
Und dann mittendrin fragt dieser Gott. Normalerweise fragen wir ihn, wenn wir gerade in Sorge sind: „Gott, warum? Gott, wieso? Gott, wozu?“ Und Gott soll reden, Gott soll Antwort geben, er soll nicht schweigen. Aber eigentlich ist es total anders. Nicht zuerst wir fragen Gott, sondern Gott fragt uns.
Nachdem wir in den letzten eineinhalb Jahren die Offenbarung gelesen haben, wollen wir jetzt für ein paar Bibelstunden wenigstens Gottes Fragen an uns hören, die wir im Neuen Testament finden. Gottes Fragen an uns – so heißt diese Reihe. Und die erste Frage dieses Abends lautet: Warum habt ihr Angst? Warum seid ihr so furchtsam?
Die biblische Ausgangssituation: Sturm auf dem See
Diese Frage findet sich in Matthäus 8, in der Geschichte, die Sie alle kennen. Ich möchte sie jetzt vorlesen: Matthäus 8,23-27.
Jesus stieg in das Boot, und seine Jünger folgten ihm. Plötzlich erhob sich ein gewaltiger Sturm auf dem See, so dass das Boot von den Wellen zugedeckt wurde. Jesus aber schlief.
Die Jünger traten zu ihm, weckten ihn auf und riefen: „Herr, hilf, wir kommen um!“ Da sagte er zu ihnen: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“ Dann stand er auf, bedrohte den Wind und das Meer, und es wurde ganz still.
Lassen Sie uns noch einmal zwei Verse singen, in denen dieses Thema aufgegriffen wird. Im Gottesdienst kommen wir selten zu diesen Liedern – Nummer 567, die Verse 6 und 7.
Nun möchte ich mit Ihnen über drei Punkte sprechen: Erstens über die Ursache der Angst, zweitens über die Überwindung der Angst und drittens über den Segen der Angst.
Ursachen der Angst: Eine Diagnose
Also zuerst zur Ursache der Angst, man könnte auch sagen zur Diagnose, die wir zuerst stellen müssen. Woher kommt es, dass wir so viel Angst haben? Warum sind wir so furchtsame Kadetten? Warum zittern wir immer wieder? Warum?
Wenn wir Ursachenforschung zum Thema Angst betreiben, würden uns ganz bestimmt vier Dinge genannt werden.
Das erste: Die Angst kommt von der Natur eines Menschen. Er hat eine ängstliche Natur, von Kindheit an. Ganz anders als sein Bruder, der die Gefahren suchte und mitten ins Leben ging. Doch dieser war immer ängstlich und zitternd. Man wusste eigentlich nicht, warum. Er konnte schon gar nicht in den Kindergarten gebracht werden. Und mit der Schule war es außerordentlich schwierig. Die Mutter musste die ersten vier Wochen hinten im Klassenzimmer sitzen und noch weitere fünf Monate diesen Jungen in die Schule begleiten. All diese Ängste haben ihn eigentlich nie wieder verlassen, wenn er einen neuen Schritt wagte. Woher kommt die Angst? Von der Natur. Ich habe eben eine ängstliche Natur.
Das zweite: Es könnte sein, dass die Angst von der Vergangenheit kommt. Dieser Mensch hat ein Trauma, heute nennt man das Angstsyndrom. Vor Jahren hatte er nämlich einen gefährlichen Autounfall. Er wurde aus dem Auto geschleudert und überlebte zwar, aber dieses Erlebnis prägte ihn. Psychologen sagen, es sei geradezu in sein Unterbewusstsein, in sein Es abgerutscht und bestimme seither sein Denken, Wollen und Fühlen. Immer denkt er an Zusammenstöße, an Schleuderstrecken, an gefährliche Situationen. Das kommt eben von seiner Vergangenheit. Da ist nicht viel zu machen.
Das dritte: Die Angst könnte von seiner Krankheit kommen. Er hatte eine schwere Krankheit, nämlich Krebs, und wurde sofort operiert. Weil die Ärzte sich nicht sicher waren, ob sie alle Geschwüre und Metastasen erwischt hatten, kam noch eine schwere Chemotherapie hinzu, bei der er alle Haare verlor. Doch dann wurde er noch einmal untersucht, und der Arzt entließ ihn als geheilt. Wie neu geboren ging er wieder ins Leben zurück. Aber seither ist es in ihm wie eine Zeitbombe: Bin ich wirklich geheilt? Könnte es morgen nicht wieder ausbrechen? Bin ich tatsächlich gesund? Diese Fragen bringen Angst. Seine Krankheit ist schuld an der Angst.
Das vierte: Die Angst könnte von seiner Lebenssituation kommen. Er lebt in einer schwierigen Lage. Manche erleben eine Midlife-Crisis, mitten im Leben. Die Sinnlosigkeit springt einen an. Man ist zu alt, um noch etwas anderes zu machen, einen Berufszweig, der einen mehr erfüllen könnte als das, was man tut. Es gibt so viele Unzufriedene unter uns, die mit ihrem Beruf unzufrieden sind. Man ist zu alt, um einen anderen Beruf zu ergreifen, und zu jung, um schon alles hinzuwerfen und als Frührentner das Leben zu genießen. So greift die Sinnlosigkeit immer mehr um sich – und eben auch die Angst.
Die Lebenssituation ist also schwierig. Meine Freunde, an diesen Ursachen der Angst könnte in der Tat etwas dran und etwas Richtiges sein.
Das Bild der Angst in der Bibel und die Situation der Menschen
Mir ist jenes Bild aus dem ersten Buch Mose, Kapitel 42, wieder eingefallen. Dort wird von den Söhnen Jakobs erzählt. Sie litten unter einer schrecklichen Hungersnot und wurden nach Ägypten geschickt, zu ihrem Bruder. Sie wussten jedoch nicht, dass er dort lebte.
Als sie in Ägypten ankamen, wurden sie plötzlich als Kundschafter festgenommen und für drei Tage in Haft gehalten. In diesen schrecklichen drei Tagen wussten sie nicht, was noch auf sie zukommen würde. Doch sie hatten Zeit, ihre Vergangenheit zu überdenken – man könnte sagen, sie hatten Zeit, sie aufzuarbeiten.
Plötzlich stand vor ihren Augen jenes Bild aus der Vergangenheit: Wie sie ihren jungen Bruder Joseph, den Angeber mit dem roten Gewand, packten und aus Wut in ein Loch warfen. An dieser Stelle heißt es: „Wir sahen die Angst seiner Seele.“ Joseph war im Loch, die Brüder standen oben, und sie sahen die Angst seiner Seele.
Dieses Bild scheint mir ein Sinnbild für viele Menschen zu sein. Sie sind in ein Loch gefallen, in ein Loch gestoßen worden oder vielleicht sogar selbst hineingesprungen. Und wir stehen da und sehen die Angst ihrer Seelen. Das ist unsere Situation. Wir sehen die Angst ihrer Seelen und oft auch die Angst unserer eigenen Seelen.
Liebe Freunde, seit das Tor zum Paradies ins Schloss gefallen ist und seit dort der Cherub als Wächter mit der blanken, wieder blitzenden Waffe davorsteht und den Eingang schützt, müssen wir außerhalb des Paradieses leben. Seitdem folgt uns die Angst wie ein Schatten. Außerhalb des Paradieses herrscht die Angst, und wir leben vor dem Tor.
Angst als Begleiter der Nachfolge Jesu
Aber, liebe Freunde, jetzt noch einmal etwas ganz anderes, und viele Stockwerke tiefer im Text gegraben.
In Johannes heißt es nicht: „In der Welt hat man Angst“, so wie wir es eben beschrieben haben. Sondern in Johannes sagt Jesus: „In der Welt habt ihr Angst.“ Und er sagt es nicht zu irgendwelchen Menschen, die ihres Weges gehen, sondern zu denen, die ihm nachgefolgt sind.
„In der Welt habt ihr Angst“, sagt er zu seinen Jüngern, zu denen, die alles aufgegeben haben. „In der Welt habt ihr Angst“, und genau so ist es hier.
Diese Frage wird nicht auf der Königsstraße gestellt, nicht an diejenigen, die zu der Demo gehen und entsetzlich Angst haben, was uns der Krieg noch bringen wird. Diese Frage wird heute Abend hier in der Schlosskirche gestellt, an diejenigen, die sich aufgemacht haben.
„Warum habt ihr Angst?“, so wie Jesus damals die Jünger gefragt hat: „Warum habt ihr Angst?“ Diejenigen, die ihre Taufe damals nicht nur als eine Art Schluckimpfung empfingen, sondern wissen, dass die Taufe die Aufnahme in seine Gemeinde bedeutet.
Warum habt ihr Angst, die ihr die Konfirmation erlebt habt und sie als einen wichtigen Schritt auf dem Weg in die richtige Richtung gesehen habt? Warum habt ihr Angst, die ihr immer wieder zuhause die Hände faltet und die Bibel aufschlagt?
Warum habt denn ihr Angst? Ihr, die ihr sonntags zum Gottesdienst geht, die ihr euch nicht nehmen lasst, an solch einem unwirtlichen Abend doch einmal eine große Strecke zu Fuß zurückzulegen, um hier in der Schlosskirche miteinander zu singen und zu beten.
Warum habt denn ihr Angst? Ihr seid gemeint!
Warum haben Christen Angst? Drei Gründe
Liebe Freunde, warum haben Christen Angst? Wer diesen Text liest, wird jetzt drei Gründe dafür nennen können.
A. Jesus steigt in ein Boot. Er hätte doch den Berg hinaufsteigen können, so wie damals bei der Verklärung, als die Jünger ihn sahen und sagten: „Hier, lass uns eine Hütte bauen. Hier ist ein Grund, der steht. Hier ist eine Übersicht über die Welt, hier sieht man bis zum Himmel. Hier wäre der Platz für ein Haus, für ein Eigenheim, für einen Bungalow, für ein Apartment mit dir hier.“ Warum steigt er nicht wieder auf einen Berg? Oder warum steigt er nicht hinunter an den Jordan, so wie damals, als er hinuntergestiegen ist bei der Taufe und der Himmel aufgerissen wurde und eine Stimme herabkam, die sagte: „Dies ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören“? Dies ist mein lieber Sohn, und alle Nebel waren zerrissen. Sie wussten: Das ist er, das ist er.
So wäre es doch, wenn wir mit ihm an einen Ort hinuntersteigen könnten, wo wir in all den gefährlichen Stimmen dieser Tage diese Stimme wieder hören könnten: „Das ist er und kein anderer.“ Es ist nicht Allah, es ist nicht Mohammed, es ist nicht Buddha, es ist kein Guru. Das ist mein lieber Sohn, und wir hätten wieder einen festen, gründenden Boten.
Doch er steigt nicht hinunter, er steigt nicht hinauf, er steigt nicht über Stock und Stein in ganz Galiläa. Er steigt in ein Boot. Und weil seine Leute im Gleichschritt mit ihm sind, im gleichen Schritt und Tritt, betreten auch sie dieses Boot beziehungsweise müssen es betreten. Deshalb haben wir nur schwankende Dielen unter uns, deshalb haben wir Angst. Jesu Boot.
B. Jesu Boot. Es gab viele Boote auf diesem See. Jahrelang fuhren und fahren sie dort über das Wasser. Nur ein Bruchteil dieser Boote kam und kommt in einen solchen Sturm. Wenn ein solcher Sturm alltäglich gewesen wäre, dann wäre ganz bestimmt ein Schild am Ufer gestanden: „Schifffahrt verboten“. Aber das waren ganz große Ausnahmen, dass dort der Wind so geblasen hat.
Normalerweise hätten sie annehmen können und müssen – so wie wir auch annehmen müssen: In Jesu Boot sind wir sicher, in Jesu Boot sind wir auf richtigem Kurs, in Jesu Boot segeln wir immer im Wind und nicht in der Flaute, in Jesu Boot kommen wir ganz bestimmt am anderen Ufer an. So ist es doch.
Wenn wir in sein Boot, in sein Gemeindeboot, in sein Kirchenschiff steigen, dann nehmen wir an: Hier sind wir geborgen. Hier sind wir auf richtigem Kurs. Hier landen wir nicht in Unwettern, hier kommen wir sicher an. Aber die Realität ist eine andere.
Als Paulus auf Missionsreise ging und dieses Boot bestieg, da heißt es, da erhob sich ein Sturm der Juden und Heiden gegen ihn. In Lystra bezog er Prügel, in Philippi saß er im Gefängnis, in Athen begegnete ihm beißender Spott. Und Luther sagte: So geht es, kommt Christus ins Boot oder kommen wir in Christi Boot, wird es nicht lange still bleiben. Es wird Wetter und Ungestüm geben.
Wer bewusst sein Leben diesem Herrn übergibt, wer bewusst den Jesus-Schritt in sein Boot nimmt, bei dem wird es Wetter und Ungestüm geben. Keiner kommt um diese Erfahrung herum, wenn er den Schritt wagt. Gegen wen wird ihm ins Gesicht blasen? Und Wasser wird ihm bis zum Halse steigen, liebe Freunde!
Sturmzeiten sind kein Zeichen für Jesu Abwesenheit, sondern Signale seiner besonderen Nähe. Ich würde das gerne jedem ins Stammbuch schreiben: Sturmzeiten des Lebens und Sturmzeiten in der Welt sind kein Zeichen von Gottes Abwesenheit, sondern Signale seiner besonderen Nähe.
Je größer unsere Ängste werden und je stärker jenes Kriegsgeschrei durch die Welt klingt, desto näher könnten wir bei dem Herrn sein. Erst Windstärke zehn macht klar, in welchem Boot wir sitzen. Erst Windstärke zehn macht klar, in welchem Boot wir sitzen: Jesu.
C. Jesus schläft. Der Sturm bläst die Segelfetzen, der Kahn droht zu kippen – und Jesus schläft. Wenn er doch mitgekämpft hätte, wenn er Schulter an Schulter bei uns gestanden hätte, wenn er uns wenigstens ein gutes, tröstendes, aufmunterndes Wort gesagt hätte. Aber er war ja weg. Er hörte nichts, er schlief den Schlaf des Gerechten.
Das ist nämlich die Angst: Wir könnten alleine kämpfen. Während Jesus selig schlummert, hört er uns nicht, sieht er uns nicht, hilft er uns nicht. Und ich frage Sie: Ist das nicht Ihre geheime Angst? Wenn Ihr Lebensboot so schwankt, wenn bei Ihnen die Wasser bis zum Halse steigen, wenn Sie geschüttelt sind vor Ängsten – ist das nicht Ihre Angst? Jesus sieht Sie nicht, Jesus hört Sie nicht, Jesus schläft.
Dieser Schlaf ist die Ursache der Angst. Also Schiff, Boot, Schlaf – kurzum: Jesus selbst ist die Ursache unserer Angst. Jesus selbst ist die Ursache unserer Angst.
Die Formen der Angst und ihre biblische Einordnung
Zuerst ist es eine Herzensangst. Diese Männer hatten ja schon viele Stürme überstanden, und eine steife Brise machte ihnen nichts aus. Auch nasse Kleidung störte sie nicht, wenn eine Dusche nach der anderen über ihre Köpfe ging. Das waren sie ja von ihrem Beruf her gewohnt.
Aber jetzt auf einmal machte sich eine Herzensangst breit. Die Frage kam auf, ob es nicht doch schlimmer war, schlimmer ist, als sonst. Nach der Herzensangst folgt ja oft die Lebensangst: Schaffen wir es überhaupt, oder ist jetzt schon mein Leben zu Ende?
Und nach der Herzensangst und Lebensangst kommt immer die Todesangst. Jetzt ist es aus. Nicht nur das Boot ist voll, auch ihr Herz ist ganz voll, randvoll von Sorge. Jetzt ist Schluss mit unserem Leben. Die Winde blasen ihnen ins Ohr: Ihr schafft es nicht, ihr habt es verspielt, ihr habt verloren.
Jesus ist die Ursache der Angst, und deshalb heißt es schon im Psalm 71: „Du lässt mich erfahren viele und große Angst.“ Nicht ihre Krankheit, nicht die Weltlage, nicht ihre ängstliche Natur – du, Herr, lässt mich erfahren große Angst.
Im Psalm 61 heißt es: „Mein Herz ist in Angst.“ Von Propheten, bei solch einer Kette von Angstzeugen, brauchen wir uns und unsere Angst nicht zu schämen. Angst kann, Angst muss kein Zeichen oder Symptom der Sünde sein, sondern ein Zeichen des Glaubens. Das ist ein gefährlicher, aber wahrer Satz: Angst kann Zeichen des Glaubens sein.
Wer nicht in Jesu Boot steigt, erfriert von all dem nichts. Angst kann ein Symptom des Glaubens sein.
Überwindung der Angst: Die Therapie
Aber nun lassen Sie mich vom Zweiten sprechen, von der Überwindung der Angst. Das ist die Therapie, die wahre Therapie.
Wir meinen oft, das Gegenteil der Angst sei der Mut – der Mut dessen, der sich am Riemen reißt und die Herausforderung annimmt. Mutig soll der Mann sein, mutig soll die Frau sein. Manche sagen: Das Gegenteil der Angst ist der Mut. Andere behaupten, das Gegenteil der Angst sei die Dummheit. Wer keine Angst hat, sei dumm. Zum Beispiel: Wer keine Angst vor dem Krieg hat, weiß überhaupt nicht, wie schrecklich ein Krieg sein kann.
Aber Jesus sagt etwas anderes. Das Gegenteil der Angst ist nicht Mut und auch nicht Dummheit. Das Gegenteil der Angst ist der Glaube. Allein im Glauben geschieht die Überwindung der Angst.
Sehen Sie, es hat unendlich viel gebraucht, bis die Zwölf-Jünger so weit waren, bis sie an diesem schlimmen Punkt angelangt waren. Aber jetzt, am Ende dieses Sturmes, sind sie fertig. Es gibt nur noch zwei Möglichkeiten: entweder Hilfe durch Jesus oder Untergang.
Deshalb wecken sie Jesus auf. Sie packen ihn am Kragen, sie schütteln ihn. Im Text heißt es: Sie wecken ihn auf. In diesem Wort steckt Mühe, es kostet Mühe, diesen Mann zu wecken.
Liebe Freunde, bitten und beten ist Arbeit, es kostet Mühe. Es braucht Zeit und Kraft. Ein Stoßseufzer zwischen Tür und Angel wird nichts bewirken. „Ich habe doch gebetet“, höre ich oft. Aber ich frage: Was war das für ein Gebet?
Heute spricht man viel von Trauerarbeit. Ich verstehe nicht viel von diesem Begriff. Ich kenne Trauer und Trost, aber keine Trauerarbeit. Sehr wohl aber kenne ich Gebetsarbeit.
Wenn man müde ist, wenn man erschöpft ist, wenn man nicht mehr kann, wenn einem die Ängste über dem Kopf zusammenschlagen – dann auf die Knie zu gehen, dann zu ringen, dann ihn zu schütteln und zu rufen: „Herr, wir kommen um!“ – das ist Arbeit, das ist Mühe. Selbst wenn man nicht mehr kann, muss man ihn wecken.
Diese Menschen wissen, wen man wecken muss. Es ist nicht genug, wenn wir bei Seelenstürmen nur den Psychiater wecken.
Liebe Freunde, es ist nicht genug. Sicher, es ist nicht schlecht, aber es ist nicht genug, wenn wir bei Seelenstürmen nur den Psychiater wecken. Es ist nicht genug, wenn wir bei Krankheitsstürmen nur den Arzt rufen – es ist gut und richtig, aber nicht genug. Und es ist nicht genug, wenn wir bei Liebesstürmen nur irgendeinen Guru zu Hilfe holen.
Es ist nicht genug. Wir müssen ihn wecken. Wir müssen Jesus wecken. Nicht den Sturm wecken. Nicht das Schlagen der Wellen, nicht das Gnarren der Ruder, nicht das Brechen des Bootes. Nur das SOS seiner Jüngermacht soll ihn wachrufen.
Dieses „Herr hilf!“ wird er nie verschlafen. Das ist eine Verheißung und Zusage, auf die wir uns verlassen können und die wir mitnehmen dürfen. Auf dieses „Herr hilf!“ wird er reagieren. Bei jedem Hilferuf will er sein Versprechen wahrmachen: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten.“ (Psalm 50,15)
Martin Luther hat gesagt: Nur wer gründlich erschrocken ist, wird auch gründlich beten können. Und gründlich meint eben nicht nur ein Stoßgebet. Gründlich meint jenes unergründliche, unablässige Gebet, das unsere Tage begleiten muss.
Hätten wir mehr Beter in unseren Familien, hätten wir mehr Beter in unseren Gemeinden, sähe es anders aus. Nur wer gründlich erschrocken ist, wird auch gründlich beten können.
Jesu Antwort und die Glaubensfrage
Liebe Freunde,
in der Geschichte steht Jesus auf, hebt seine Hände und befiehlt, dass die Wellen wieder flach werden – keineswegs, während der Sturm weitergeht. Man weiß nicht, ob im nächsten Augenblick nicht doch das Boot sinkt oder kentert.
In diesem Moment, während es noch drunter und drüber geht, stellt Jesus eine Frage mitten in der Not: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“ Er verjagt nicht einfach die Wellen, er lässt keinen blauen Himmel aufziehen, sondern fragt mitten in der Not nach dem Glauben.
Merken wir uns: Die Frage nach dem Glauben steht vor der helfenden Tat. Zeigt das nicht, dass Jesus oft zuerst über unseren Glauben sprechen muss, bevor er uns hilft? Dass manchmal die Glaubensfrage wichtiger ist als die Notlage?
Liegt es vielleicht daran, dass scheinbar so viele Gebete lange nicht mit äußerem Eingreifen beantwortet werden? Jesus will, bevor er uns hilft, Auskunft über unseren Glauben. Bevor er die Wellen stillt, will er wissen, wie wir glauben – ob kleingläubig oder mit großem Glauben.
Vom Hauptmann von Kapernaum heißt es, dass er einen großen Glauben hatte. Aber was sind Kleingläubige? Vielleicht ist es wie bei einem Lotteriespieler, dessen Geschichte ich gelesen habe. Er sagte, er spiele Lotterie, aber nehme nur ein Achtel Los, weil man ja nie weiß, ob man gewinnt. So sei der Verlust nicht so groß, wenn es nicht klappt, erklärte er mir.
Liebe Freunde, wir kommen nicht ganz zu Jesus, weil wir nicht sicher sind, ob er uns wirklich helfen kann. Wir kommen nur mit einem geteilten Herzen zu ihm – mit einem Achtelteil, mit einem Achtelteil unseres Lebens. Wir teilen unser Herz zwischen Jesus und sieben anderen Dingen: unsere Kraft, unseren Verstand, unser Genügen, unser Geld, unsere Zeit und so weiter.
Ein geteiltes Herz nennt Jesus kleingläubig. Wer in einem Winkel seines Herzens denkt, dass Jesus es nicht vermag, ihn aus Angst und Not zu retten, der ist kleingläubig. Deshalb fragt Jesus: „Warum habt ihr Angst, ihr Kleingläubigen? Warum seid ihr so furchtsam?“
Die Überwindung der Angst hängt zutiefst mit der Überwindung des Kleinglaubens zusammen. Noch einmal: Die Überwindung der Angst hängt zutiefst mit der Überwindung unseres Kleinglaubens zusammen. Wir sollen Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt glauben.
Sehen Sie: Erst nachdem diese Frage gestellt wurde und dies geschehen ist, stand Jesus auf und erhob sich. Dieses Erheben hat etwas Majestätisches, so wie es in Psalm 85,8 heißt. Ein tatsächliches Wunder geschieht: Ein Wort von ihm, und das Toben der Elemente ist zu Ende. Die Stille bemächtigt sich der Schöpfung, wenn man dem Schöpfer gegenübertritt.
Noch einmal: Wenn Sie noch kämpfen und Ihr Lebensboot gefährlich zu schaukeln beginnt und nicht aufhört, und wenn Sie meinen, Sie müssten untergehen, dann beten Sie jetzt ganz praktisch nicht darum, dass Gott Sie aus Ihrer Not herausführt. Ringen Sie vielmehr darum, dass Gott Ihnen einen großen Glauben schenkt, der ihm alles, aber auch wirklich alles zutraut.
Herr, hilf und schenk mir einen großen Glauben an dich! Das überwindet die Angst.
Der Segen der Angst und der abschließende Segen
Ein Schlusssatz, praktisch nur zum Segen der Angst, stammt nicht von mir. Er stammt von dem Religionsphilosophen Kirke Goch, der in seinem Buch zum Begriff der Angst Folgendes schrieb:
In den krimischen Märchen wird von einem Jungen erzählt, der auf Abenteuer ausging, um die Angst des Gruselns zu lernen. Wir lassen jenen Abenteurer seines Weges ziehen, ohne zu fragen, ob er etwas fand, was Angst einzuflößen vermag.
Das aber ist ein Abenteuer, das jeder zu bestehen hat: dass er lernt, sich zu ängstigen. Denn sonst geht er zugrunde, dadurch, dass ihm nie Angst war und dadurch, dass er in der Angst versinkt. Wer hingegen gelernt hat, sich recht zu ängstigen, der hat das Höchste gelernt.
Liebe Freunde, was aber ist diese letzte Angst? Und das führt über diesen Text hinaus: Es ist die Angst des Sünders vor dem gerechten, heiligen, zornigen und ewigen Gott. Die Furcht vor der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes wird zum Anfang des Glaubens.
Die Angst vor Gott treibt in die offenen Arme des versöhnten Gottes. Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit großem Glauben Ihre Ängste loswerden. Ich wünsche Ihnen aber gleichzeitig, dass Sie nie die Angst vor dem lebendigen Gott verlieren, denn nur sie treibt in die offenen Arme dieses Gottes. Amen!
Wir wollen beten: Herr Jesus, so sei dir alles hingelegt, so treib du uns in deine Arme. Nur dort sind wir geschützt und geborgen. Wir bringen dir diese Welt, wir bringen dir unsere Gemeinde, die Alten und Kranken, und wir bringen uns selber.
Herr, schenk uns diesen großen, ungeteilten Glauben, der uns die Angst nimmt. Amen.
Gehen Sie mit dem Frieden Gottes nach Hause, den Frieden, den wir jetzt bitten. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Eine gute Nacht und seien Sie Gott befohlen.