Lassen wir einen Augenblick Stille einkehren. Vater, am Abend dieses Tages warten wir erneut auf ein Wort von dir. Du weißt, wie es jedem von uns zumute ist. Du kennst auch unsere dunklen Horizonte.
Du weißt, dass vieles in unserer Welt und in unserem Leben dunkel verhangen ist. Herr, zeige uns deine Horizonte und schenke uns den weiten Blickwinkel deiner Hoffnung. Amen.
Einführung in das Thema der Hoffnung
Nachdem wir das letzte Mal über das Weltgericht gesprochen haben, steht heute das neue Jerusalem im Mittelpunkt. Die Verse 1 bis 8 lauten:
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.
Dann sah ich die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen. Sie war bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.
Ich hörte eine große Stimme vom Thron her, die sprach: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein. Und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.“
Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein. Denn das Erste ist vergangen.
Der auf dem Thron saß, sprach: „Siehe, ich mache alles neu.“ Und er sprach: „Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss.“
Er sprach zu mir: „Es ist geschehen. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“
„Wer überwindet, der wird alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.“
Die Feigen aber, die Ungläubigen, die Frevler, die Mörder, die Unzüchtigen, die Zauberer, die Götzendiener und alle Lügner – deren Teil wird im Pfuhl sein, der mit Feuer und Schwefel brennt. Das ist der zweite Tod.
Amen.
Vorbereitung und persönliche Anmerkungen zur Predigt
Lassen Sie mich jetzt zu Beginn noch einmal die Akustik prüfen.
Nachdem ich vor 14 Tagen gesprochen hatte, kam jemand zu mir und sagte, ihm dröhnten jetzt noch die Ohren. Es sei furchtbar gewesen – und das am Schluss einer Bibelstunde. Entschuldigung, Sie müssen es vorher sagen.
Ist das so ungefähr verständlich?
Ja, und Sie sind auch nicht zu leise und nicht zu laut.
Vorhin sagte mir hier ein lieber Bekannter, er sei heute Abend so müde, dass er immer wieder einen Schrei hinausschreien müsste, um durchzukommen.
Ich werde es versuchen.
Texte der Hoffnungslosigkeit und das menschliche Ringen
Liebe Freunde,
Texte der Hoffnungslosigkeit. Ich habe zu Hause eine ganze Mappe angelegt und sie bei der Vorbereitung noch einmal durchgeblättert. Einer der Texte der Hoffnungslosigkeit hat mich immer besonders betroffen gemacht. Einige von Ihnen kennen ihn vielleicht auch, denn er wurde schon verfilmt und im Fernsehen gezeigt: die Geschichte von dem alten Mann und dem Meer.
Der alte Mann ist ein armer Fischer. Jeden Morgen knotet er seinen Kahn los, treibt das Boot mit harten Schlägen hinaus und wirft seine Angelhaken in die Fluten. Doch nach langen Stunden kommt er müde zurück – nur mit einem kleinen Eimer voller Fische, die ihm kaum das Auskommen sichern.
So setzt dieser Mann seine ganze Hoffnung auf den nächsten Tag. Wieder das gleiche Spiel: hinausfahren, fischen, zurückkommen – und wieder kaum Fische gefangen. Dieses zermürbende Pendeln zwischen Erwartung und Enttäuschung hat ihn mürbe gemacht.
Dann, eines Tages, gelingt ihm ein Fang wie noch nie. Doch auf dem Weg zurück kommen die Haie. Sie greifen den riesigen Fisch an, den er hinter sich herschleift. Er kämpft, schlägt, sticht und rudert, doch die Raubtiere fressen den Fisch bis auf die weißen Knochen. Als er schließlich sein Boot im Hafen anlegt, hat er nur noch das Skelett an der Leine.
Das Fazit lautet: Leben heißt Hoffnung begraben.
Ich müsste mich sehr täuschen, wenn an diesem kalten Abend nicht auch einige hier wären, die dieses Gefühl gut kennen. Die auf das große Glück im Leben warten. Jeden Morgen knotet man seinen Lebenskahn los, sucht nach Ehre, Glück und Liebe. Doch die Tage bringen nichts.
Sie kennen sicherlich dieses zermürbende Pendeln zwischen Erwartung und Enttäuschung. Vielleicht gelingt einem jüngeren Menschen eines Tages der große Wurf: Er angelt sich ein Mädchen, einen wahren Fang, ein Prachtstier, einen Goldfisch an der Leine. Damit scheint er für den Rest seines Lebens ausgesorgt zu haben – ein Fang wie noch nie.
Doch dann kommen die Haie. Kaum ist man im Ehehafen angekommen, sieht man nur noch den Rest seines Glücks – ein Skelett der Hoffnung, ein Schatten des einstigen Glücks. Wenn ich daran denke, dass jede zweite Ehe, die hier an diesem Altar in Stuttgart geschlossen wird, wieder geschieden wird, dann wissen wir etwas von jener Wirklichkeit, von diesen Texten der Hoffnungslosigkeit.
Deshalb sagt schon der Prediger im Alten Testament: „Meine Augen sehen nur das Dunkel, meine Augen sehen nur das Haschen nach Wind.“ Oder Euripides: „Meine Augen sehen nur das Dunkel aller Wege.“ Viele sagen: „Ich sehe kein Licht, ich habe keine Hoffnung.“
Aktuelle Beispiele von Hoffnungslosigkeit in der Welt
Heute Nachmittag hat mich Herr Präsident Neukamm vom Diakonischen Werk aus einem anderen Grund angerufen. Er berichtete, die Lage in Russland sei hoffnungslos. Gestern war er im Außenministerium in Bonn, wo er mit Herrn Teltschik sprach. Herr Teltschik ist heute nach Moskau geflogen, um über die Hilfen in Höhe von 280 Millionen Euro zu sprechen, die für die Hungerhilfe vorgesehen sind.
Der Bürgermeister von Leningrad habe gesagt, dass die Situation dort so schlimm sei wie im Zweiten Weltkrieg. Bis heute Nachmittag wisse man nicht, wo es überhaupt Landeplätze gäbe, um die Hilfsgüter hinzubringen. Es fehle an jeglicher Logistik, um die Hilfen zu verteilen. Außerdem gebe es vor Ort keine Organisationen, die eine solche Aufgabe übernehmen könnten.
Herr Neukamm bat dringend darum, diese Situation in entsprechenden Kreisen bekannt zu machen. Es solle nicht der Eindruck entstehen, dass die Hilfen auf Konten nicht ankämen oder dass die Lage nicht ernst sei. Vielmehr solle man weiterhin den bewährten Organisationen helfen und nicht einfach zugunsten anderer Konten darauf verzichten. Er verwies darauf, dass man Verbindungen nach Litauen habe und zu bestimmten Kirchenkreisen der orthodoxen Kirche. Besonders nannte er „Brot für die Welt“, „Hilfe für Brüder“ und „Licht im Osten“ und betonte, dass diese nicht vergessen werden dürften.
Man kann die Hoffnungslosigkeit in Russland oder am Golf förmlich spüren, wie sich die Wolken immer schwerer und dichter zusammenziehen. Diese bedrückende Stimmung liegt nicht nur über den Landschaften, sondern auch mitten in unserem Frieden. Es gibt so viel Hoffnungslosigkeit in Familien und im eigenen Leben.
Vor etwa zwei Stunden besuchte ich eine 90-jährige Frau. Sie sagte mir, sie sehe überhaupt nicht mehr hinaus. Sie sehe überhaupt nicht mehr hinaus.
Übergang zu den Texten der Hoffnung
Liebe Freunde, ich bin deshalb so dankbar, dass wir jetzt eine andere Mappe aufschlagen können. Nicht die Texte der Hoffnungslosigkeit, sondern die Bibel mit den Texten der Hoffnung.
Einer der strahlendsten Hoffnungstexte ist Offenbarung 21. Hier ist ein Mensch, der nicht Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit sieht, sondern etwas ganz anderes. Er sah – und „ich sah“ steht hier zum wievielten Mal – eine Hoffnung.
So spricht er von einer Hoffnung, die unser Auge sieht, von einer Hoffnung, die unser Ohr hört, von einer Hoffnung, die unsere Hand schreibt, und von einer Hoffnung, die unseren Hunger stillt.
Gehen Sie mit mir jetzt, wenn Sie die Kraft haben, diese vier Schritte noch durch diesen Text zu gehen.
Die Hoffnung, die unser Auge sieht
Erstens eine Hoffnung, die unser Auge sieht. Johannes sagt: „Ich sah.“ Aber was sah er denn? Wenn wir uns zum Schluss dieses Buchs noch einmal vergegenwärtigen, was er eigentlich mit seinen leiblichen Augen gesehen hat, dann war es ja eigentlich etwas ganz anderes.
Er saß wegen Gehorsamsverweigerung gegenüber dem Kaiserkult auf einer Sporadeninsel, auf einer Gefangeneninsel – nennen wir sie eine Toteninsel. Denn Entlassungspapiere wurden dort nicht ausgestellt, sondern nur Totenscheine. Wohin blickte er? Auf Totenfelder, Grablegen, Bestattungsorte. Johannes sah eben das in seiner Welt, was wir auch sehen.
Unser grüner Stern ist ja nichts anderes als eine Toteninsel, die niemandem einen ewigen Aufenthalt gewährt. Totenscheine, denen nur die Daten fehlen, haben wir alle in der Brieftasche. Deshalb gibt es Friedhöfe, und deshalb sind wir umringt von solchen Bestattungsorten.
Aber Johannes sieht noch etwas anderes, und deshalb müssen wir diesen Horizont mitsehen. Er sieht einmal einen neuen Himmel, er sieht eine neue Erde und er sieht ein neues Jerusalem. Das ist es, was unser Auge auch sehen kann und sehen sollte.
Wovor ich heute Abend den Stich setzen möchte, ist, dass wir in unserer Hoffnungslosigkeit eben auch dies sehen: einen neuen Himmel. Nicht den gestirnten Himmel über uns, den wir heute Abend in diesen kalten Nächten so großartig erkennen können. Wenn die Bibel vom Himmel spricht, dann meint sie mehr ein ganzes Dach, das über uns herunterkommt, unter dem wir leben können.
Wenn die Bibel vom Himmel spricht, dann meint sie eher eine Behausung, in der es sich leben lässt, in der man überleben kann. Und dieser Raum, der vom alten Himmel umspannt wird, ist verwüstet worden, sagt die Offenbarung, von den Spuren satanischer Rebellion.
Diesen alten Himmel, diese alte Behausung zu renovieren, geht nicht. So wie wenn Sie ein altes Haus kaufen und mit dem Renovieren beginnen – oft reicht es nicht, einfach mit ein paar Malerarbeiten das Dunkel zu übertünchen. Oft merkt man in solchen alten Häusern: Der Schwamm ist drin, der Schwamm ist drin, und das Haus muss abgerissen und neu aufgebaut werden.
In unserer alten Behausung ist der Schwamm drin, jener Pilz, der alles zerstört. Deshalb wird dieser alte Himmel, diese alte Behausung nicht von Gott neu angemalt oder renoviert, sondern total saniert, ganz neu gemacht. Der Zersetzer, der Zerstörer, wird endgültig entfernt. Johannes sieht schon einen neuen Himmel.
Und wer an diesem alten Himmel, an seiner alten Behausung, zu der unser Körper wieder gehört, leidet, dem wird gesagt: Das ist nicht das Letzte. Ein neuer Himmel wird geschaffen und eine neue Erde.
In der letzten Woche flossen ins Katzenbachtal hier drüben ein paar hundert Liter Schweröl, und 70 Feuerwehrleute hatten drei Tage zu tun, um eine Umweltkatastrophe abzuwenden. Unser Boden ist verseucht von teuflischer Schwerlast, die den Bach der Welt hinuntergegangen ist.
Diese Erde wird nicht gereinigt, sondern richtig entsorgt, abgetragen und erneuert durch göttlichen Humus. So sieht Gottes Entsorgungsaktion aus: Er schafft das Alte weg und bringt Neues hervor. Deshalb gibt es hier eine neue Erde – eine neue, total gereinigte Erde.
Und das neue Jerusalem: neuer Himmel, neue Erde, neues Jerusalem. Das alte Jerusalem kennen wir alle. Das alte Jerusalem, jene Stadt, die immer Gottes Stätte hätte sein sollen, es aber nie gewesen ist. Deshalb hat der Prophet darüber geweint, weil sie ihrer Bestimmung immer untreu gewesen ist.
Jeremia sagte in diesem schönen Bild, er habe nicht genug Tränenwasser im Kopf, um über Jerusalem zu weinen. Jesus stand am Rande dieser Stadt und weinte. Sie wissen, in Jerusalem steht bis zum heutigen Tag eine Klagemauer. Das ist das alte Jerusalem.
Wie wir in anderen Kapiteln gesehen haben, ist Jerusalem ein Begriff und Ausdruck für die Gemeinde Jesu Christi. Wenn also die Offenbarung jetzt noch einmal von Jerusalem spricht, dann meint sie die Gemeinde, die Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen.
Diese Gemeinschaft soll neu werden. In diesen Tagen sitzen unsere Synodalen zusammen und beraten über den Bischofsbericht – sicherlich immer mit dem berechtigten Hintergedanken und dem grundlegenden Wunsch, diese unsere Kirche besser zu machen, zumindest möglichst neu.
Denn wir alle empfinden: So kann es in unserer Kirche eigentlich nicht weitergehen. Je mehr jemand in diese Kirche hineinschaut, auch in unsere Gemeinschaften, auch in unsere Freikirchen, desto mehr spürt er etwas von jenem alten Jerusalem, von jener Zerrissenheit und Verworrenheit, von verschiedensten Zielen.
Oft ist es kaum noch ein Name, der uns verbindet. Und oft genug leide ich an dieser Kirche. Wenn Sie auch an der Kirche leiden und wenn Sie auch an Ihrer Gemeinschaft, in der Sie stehen, immer wieder unter Druck geraten, dann stehe ich neben Ihnen – denn ich weiß: So kann es nicht weitergehen.
Deshalb gibt es heute Modelle für die Kirche und Gemeinschaft von morgen, Konzeptionen, Entwürfe und Visionen. Aber hier heißt es: Die neue Gemeinde kommt nicht von Konzeptionen, sie kommt nicht vom Osten, nicht vom Westen, nicht vom Norden oder Süden, auch nicht von unten herauf.
Die neue Gemeinde kommt von oben herab. Das heißt: Gott selbst wird eine neue Gemeinde schaffen.
Ich habe Ihnen einmal erzählt, wie damals, als die Stiftskirche so verschandelt war von RAF-Fahnen und Fernsehern, sofort da war und diese fürchterlichen Parolen auf den Fahnenfetzen, die vom Stiftskirchturm flatterten. Als diese aufgenommen wurden, sagte mir ein Mann: „Wie schlimm doch eine Kirche verschandelt werden kann.“
Ich antwortete ihm: „Das stimmt schon. Und ich glaube auch immer: Wenn Kirchtürme als Fahnenmasten benutzt werden, egal für welche Fahnen und Ideologien, dann ist immer Gefahr in Verzug.“
Aber die Gemeinde Jesu wird nicht durch Fahnen, Fetzen und Parolen verschandelt, sondern immer nur durch das Wort, das in ihr verkündigt wird.
Liebe Freunde, solange immer wieder gesagt werden kann, auch von sogenannten kompetenten Stellen, dass zum Beispiel das Wort Gottes wohl in der Bibel enthalten sei, aber dass die Bibel längst nicht Gottes Wort sei – das ist Verständnis von Kirche!
Und wenn es nicht mehr klar ist, dass Jesus leibhaftig auferstanden ist, wenn nicht mehr klar behauptet werden kann, dass er nur im Geist unter uns sei, dann ist das eine Verschandelung der Kirche.
Wenn wir davon reden, dass wir alle nicht vor einem letzten Gericht erscheinen müssen, sondern geradewegs in den Himmel kommen, dann ist das eine Verschandelung der Kirche.
Und, liebe Freunde, an der Kirche, an der Gemeinschaft, an der wir leiden und die unter Druck steht: Wenn wir so sind, dann hören wir: „Siehe, ich mache alles neu.“ Ein neues Jerusalem.
Doch es lohnt sich, dabei zu bleiben, weil es neu wird. Und das ist die Hoffnung, die unser Auge sehen kann.
Die Hoffnung, die unser Ohr hört
Und das Zweite ist die Hoffnung, die unser Ohr hört – unser Ohr hört. Ich hörte etwas. Was hörte denn Johannes? Sicherlich hörte er im Barackenlager das Leiden der vielen Leidensgenossen, die dort geschlagen wurden. Er hörte die Stöhnenden unter den Peitschenhieben, er hörte die Alteleier der Hoffnungslosigkeit.
Aber Johannes hört noch etwas ganz anderes. Und das sollen wir auch hören – selbst dann, wenn wir Hörgeräte tragen oder fast oder überhaupt taub sind. Auch Taube werden es hören, siehe, siehe! So ähnlich wie an Weihnachten: Siehe, ich verkündige euch große Freude. Hier heißt es: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen, siehe die Hütte Gottes bei den Menschen, wörtlich das Zelt Gottes bei den Menschen.
Wissen Sie und erinnern Sie sich daran: Gott war am Anfang bei seinem Volk im Bundeszelt. Dieses Bundeszelt wurde in der Wüste wieder aufgeschlagen und am Morgen wieder abgebaut, auf Kamele verpackt, und dann zogen sie weiter. Am Abend wurde das Bundeszelt wieder aufgeschlagen, und dort wurde die Bundeslade verwahrt. Gott war im Bundeszelt.
Später war Gott im Tempel bei seinem Volk in Jerusalem. Aber im Jahr siebzig nach Christus wurde dieser Tempel zerstört. Christus war dann im Fleisch unter uns – Jesus Christus geboren, von Mensch zu Mensch unter seinen Leuten. Das war die dritte Erscheinungsform.
Dann ist Jesus in den Himmel gefahren, und seither wissen wir, dass er im Geist unter uns ist. Das ist seine vierte Erscheinungsform: Er will im Geist unter uns sein. Ob im Zelt, im Tempel oder im Geist – immer wieder sehnen die Glaubenden sich danach, dass er nicht von Angesicht zu Angesicht zu sehen ist.
Sehen Sie, es bleibt doch immer dabei, dass man Heimweh hat. Es ist wie bei einem liebsten Menschen: Man kann im Denken bei ihm sein, man kann beim Telefonieren bei ihm sein, man kann ihm Weihnachtspäckchen packen – all das ersetzt aber nicht die persönliche Begegnung.
Unser Glaube, unsere Hoffnung zielt auf die Wiedervereinigung mit unserem Gott. Wenn die Wiedervereinigung eines Volkes schon solche Freude und Jubel auslösen kann, wie wir es im vergangenen Jahr erlebt haben, wie viel mehr wird dann die Wiedervereinigung aller Wiedervereinigungen Freude bringen! So sagt dieser Text: Siehe, da ist die Hütte Gottes bei den Menschen – Jesus bei uns und wir bei ihm.
Die Wiedervereinigung aller Wiedervereinigungen ist angesagt, Freunde, und alles andere ist Lüge! Schöpfer und Geschöpf kommen wieder zusammen – nicht hinter der dicken Mauer eines Tempels, nicht auf dem Sockel eines Denkmals, nicht unter der Grabplatte eines Unvergesslichen, sondern in der Hütte, im Zelt, ganz nahe bei uns!
Ich habe in der vergangenen Woche einen Mann aus Bonn getroffen. Ich fragte ihn, wo er denn wohne. Er sagte: „Ach, Sie kennen ja Bonn doch nicht.“ Ich konnte ihm nur sagen: „Der Genscher wohnt gleich nebenan.“ Da wusste ich Bescheid, wo er wohnte.
Sehen Sie, ich denke, so wird es sein: Gott wohnt gleich nebenan, Gott wohnt gleich bei mir. Wir zusammen – diese neue Gemeinde, auf die sich Christen freuen. Und dann wird Folgendes nicht mehr zu hören sein: das Weinen, weil alle Tränen getrocknet sind. Denn der Tod ist ja nicht mehr. Die Menschen legen sich nicht mehr zum Sterben, Särge werden nicht mehr geschreinert, Friedhöfe werden aufgelassen.
Das Leid der Leidtragenden verstummt, das Geschrei der Entrechteten verstummt, und der Schmerz – das uralte Zeichen dieser Erde – verstummt. Denn das Erste ist vergangen, und das Zweite ist wahr geworden: Siehe, ich mache alles neu.
Bis dahin haben wir es eben mit dem Ersten zu tun. Wir leiden noch, wir trauern noch, wir sterben noch. Denn es gilt: Wir leben im Glauben und noch nicht im Schauen.
Wenn heute behauptet wird, wer glaubt, ist nicht krank, und wer krank ist, glaubt nicht recht, dann sagt derjenige nichts Biblisches. Das ist völlig unbiblisches Denken. Denn wer so spricht, will ausbrechen aus seinem heilsgeschichtlichen Ort, an den Gott ihn mit den anderen Glaubenden gestellt hat. In diesem Aeon hat Gott uns unseren Platz angewiesen.
Sehen Sie, die Israeliten in der Wüste waren immer darauf bedacht, ihren Ort der Wüste zu verlassen. Sie wollten auf eigene Gefahr und auf eigene Rechnung das Land Kanaan erreichen. Sie wollten die Wüste hinter sich lassen, so wie wir auch unsere Wüsten hinter uns lassen wollen.
Aber, Freunde, das ist das Wesen der Schwärmerei: dort sein zu wollen, wo Gott uns noch nicht haben will. Passen wir heute auf! Das Wesen der Schwärmerei ist es, dort sein zu wollen, wo Gott uns heute noch nicht haben will.
Gerne würde ich dort leben, wo das Zweite ist. Gerne würde ich dort leben, wo Gott alles in allem ist. Gerne würde ich dort leben, wo es kein Leid und keine Tränen mehr gibt. Gerne würde ich dort leben, wo es keine Friedhöfe mehr gibt.
Aber noch lebe ich im Ersten. Noch lebe ich im Ersten, und Leid, Tränen, Krankheit und Tod sind unsere Begleiter. Aus all dem werde ich nach vorne gezogen durch jenes Wort: Siehe, ich mache alles neu. Es bleibt nicht dabei, dann wird es neu.
Und ich werde hoffentlich durchhalten bis zu diesem Tag.
Die Hoffnung, die unsere Hand schreibt
Drittens eine Hoffnung, die unsere Hand schreibt. Ich schrieb – was schrieb er? Der Gefangene schrieb. Er schrieb Karten, er schrieb Briefe. Schrieb er irgendwelche Memoiren dort auf seiner spärlichen Insel? Er schrieb nicht die alten Worte, er schrieb die neuen Buchstaben A und O.
Ich bin das A und das O, die ersten und letzten Buchstaben im Alphabet, Christus, der Erste und Letzte im Alphabet der Welt. Er umfasst unsere große Welt und er umfasst meine kleine Welt. Vor ihm und nach ihm kommt nichts mehr.
So wie in festgelegter Ordnung ein Buchstabe nach dem anderen folgt, so gewiss folgt in unserem Leben alles, wie es Gott geordnet hat. Glauben Sie nicht, dass es in Ihrem Leben drunter und drüber geht. Glauben Sie nicht, dass alles durcheinandergekommen sei. Glauben Sie nicht, dass es Gott in Ihrem Leben nicht recht gemacht habe.
Wenn er A und O ist, dann stimmt auch das Alphabet Ihres Lebens, und es kommt so, wie er es geordnet hat. Nach dem A das B, dann das C und am Schluss das Z. Gott hat A bis O in Ihrem Leben richtig geordnet, und auf ihn, diesen A und O, zielen alle Verheißungen.
Wir marschieren nicht in Nacht und Nebel hinein, sondern wandern der anbrechenden Morgenröte entgegen. Sicher, es ist ein Kreuz, wenn Landstriche verstrahlt und Flussläufe vergiftet und Lufträume vergast werden. Es ist ein Kreuz, und es ist ein Elend, wenn Kriege toben, Krankheiten grassieren und dem Krebs kein Einhalt zu gebieten ist.
Es ist ein Elend, aber um dieser Hoffnung willen gilt: Kreuz und Elend – das nimmt ein Ende. Nach Meeresbrausen und Windesausen leuchtet das erwünschte Gesicht der Sonne. Das ist die Hoffnung, die wir mit unserer Hand schreiben können.
Die Hoffnung, die unseren Durst stillt
Und das Letzte ist eine Hoffnung, die unseren Durst stillt. Hesekiel 47 berichtet davon, dass einmal ein wunderbarer Segenstrom an der Tür des Tempels aufbrechen und in das lechzende Land hineinfließen wird. Dort wird dann jeder Durst gestillt sein.
Außerbiblische Quellen erzählen, dass es am Laubhüttenfest eine besondere sakrale Handlung gab. Das heißt, der Priester ging mit einem goldenen Krug hinunter zur Siloah-Welle, schöpfte dort Wasser und lief hinauf zum Tor, das der Prophet gemeint hatte. Dort standen die Leute und warteten. Dann schüttete der Priester dieses Wasser aus. Die Verheißung war, dass dieses Wasser anschwellen und zu einem großen Strom werden würde, der das ganze Land benetzt.
Die Menschen schauten und warteten – vielleicht heute, vielleicht in diesem Jahr. Doch jedes Mal versickerte das Wasser wieder im heißen Boden. Die bittere Enttäuschung ging durch die Reihen: „Noch nicht, noch nicht.“ Dann zogen sie enttäuscht davon.
Liebe Freunde, manchmal sagen auch wir so: „Noch nicht.“ Enttäuscht gehen wir unseren Weg weiter. Aber eines Tages wird es nicht mehr „noch nicht“ heißen, sondern: „Jetzt!“ Jetzt ist der Tag des Heils, jetzt fließt der große Strom, jetzt ist die Erde überschwemmt vom Wasser des Lebens. Dann wird es keinen Durst mehr geben, keinen Durst, der nicht gelöscht wird.
Dieses Wort steht achtmal in der Offenbarung, siebenmal in den sieben Sendschreiben und einmal hier am Schluss: Überwindet! Haltet durch, seht bis zum Ende durch! Denn dann werden wir nicht zu den Verleugnern, Ungläubigen, Frevlern, Totschlägern oder Götzendienern zählen. Sondern zu denen, die er einladen wird, an seinen Tisch zu kommen. Alles ist bereit.
Schlussbild und Segenswunsch
Zum Schluss ein Bild: Unvergesslich war damals jene Reise in den Sudan nach Khartum, jener Stadt wie aus Tausendundeiner Nacht, am Zusammenfluss von weißem und blauem Nil.
Ein junger Mann an der deutschen Botschaft führte uns durch diese für mich märchenhafte Stadt. Ich sagte zu ihm, nachdem er uns die ganze Stadt gezeigt hatte: „Sie haben doch einen großartigen Job hier, einen großartigen Job. Sie können den Leuten hier helfen, Programme entwickeln und sie erleben etwas von dieser Welt.“
Dann blieb er stehen und sagte: „Doch, Sie haben Recht, ich bin gerne hier. Aber nur, weil ich nächstes Jahr wieder nach Hause kann. Immer hier wäre schrecklich. Immer hier wäre es schrecklich.“
Verstehen Sie, wir können es in dieser Welt aushalten. Wir können morgen wieder an unsere Arbeit gehen, fröhlich unsere Sachen anpacken und mit unseren Krankheiten weiterleben. Doch das gelingt uns nur, weil wir wissen, dass es nach Hause geht, dass wir in diese Heimat kommen. Immer hier wäre schrecklich.
Die Spannung zwischen „jetzt schon“ und „noch nicht“ ist die Energie, die unser Leben weitertreibt bis zum letzten Tag. Gott schenke es uns! Amen!
Und jetzt lassen Sie uns singen, Lied 567, die Verse 1 bis 4.
Wir wollen still werden. Vater, dort, wo die Köpfe hängen gelassen werden, da hebe du sie und zeige durch dein Wort, wo das Ziel ist. Es soll so nicht bleiben, und es wird so nicht bleiben. Du hast den Weg gebahnt und den Ort der Endgültigkeit festgemacht.
Herr, schenke es uns, dass wir durch den Tag des letzten Gerichts hindurch diesen Ort erreichen. Dass wir Mut fassen für unsere Arbeit, Kraft tanken für unsere Müdigkeit und Trost bekommen in all unseren Anfechtungen. Begleite jeden hinein in diese Nacht und lass uns miteinander auf dem Weg bleiben bis zum großen Tag. Amen.
Nun wünsche ich Ihnen eine gute Nacht. Seien Sie Gott befohlen. Und auf Wiedersehen!