Hausverwalter auf Zeit

Konrad Eißler
0:00:00
0:17:38

Wenn das Wesen dieser Welt vergeht, dürfen wir uns nicht als Hausbewohner oder Hausbe­setzer aufspielen, sondern müssen Hausverwalter bleiben, die der Schöpfer damals bei der Schöpfung eingesetzt hat. “Bauet und bewahret”, will sagen: Haltet das Haus in Ordnung. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Stellen Sie sich ein Haus vor, liebe Gemeinde, ein großes Haus, vielleicht so groß wie der Hannibal im Asemwald, in dem viel Leute wohnen. Es ist gleichzeitig ein schönes Haus, vielleicht so schön wie das neue Schloss drüben auf dem Schlossplatz, das immer wieder bewundert wird. Und es ist selbstredend ein solides Haus, vielleicht so solide wie die Alte Kanzlei von nebenan, mit viel Kunst und Können einstens erbaut. Stellen Sie sich ein solch großes, schönes und solides Haus vor, aber es ist ein altes Haus, sehr alt sogar, einfach uralt. Es kracht im Gebälk. Viele Träger sind morsch. Der Wurm ist drin. Aus diesem Grund will der Hausbesitzer nicht mehr weiter investieren. Er hat keine Lust mehr, auch nur eine müde Mark in den Bau zu stecken. Das Haus ist abbruchreif. Deshalb erhalten alle Bewohner den knappen Bescheid: Das Haus wird abgerissen. Sie bekommen die Mitteilung schriftlich: Die Tage sind gezählt. Auch wenn noch kein Datum genannt ist, an der Tatsache ist nicht zu rütteln: Das Ende steht bevor. Nun bilden sich zwei Bürgerinitiativen. Die eine nennt sich Aktion Immergrün und wendet sich gegen alle Schwarzmalerei. Der Bescheid ist ein Fetzen Papier. Die Mitteilung ist reine Makulatur. Die Kündigung gehört in die grüne Tonne. Gäste kommen. Grillfeste werden gefeiert. High life auf allen Etagen. Das ist die Initiative, die sich als Besitzer vorkommt. Die andere nennt sich Aktion Sonnenblume und kämpft gegen alle Schatt­en: Der Bescheid ist eine Frechheit. Die Mitteilung ist reine Provokation. Die Kündigung ist Kampfansage an friedliche Mieter. Farbtöpfe stehen herum. Transparente werden gepinselt. Widerstandsparolen leuchten von den Fassaden. Das ist die Initiative, die sich als Besetzer aufspielen. Aber beide Reaktionen der Bewohner können die Aktion des Besitzers nicht stoppen. Das Haus steht auf der Abbruchliste. Das Gebäude ist nicht zu retten. Das Ende kommt.

Liebe Gemeinde, das ist ein Bild, mit dem wir diesen schwierigen Text verstehen können. Stellen Sie sich die Welt vor, eine große Welt, in der viele Leute wohnen, eine schöne Welt, die immer wieder bewundert wird, ein solide Welt, mit viel Kunst und Können erschaffen. Aber es ist eine alte Welt, sehr alt sogar, einfach uralt. An allen Ecken und Enden kracht es. Nicht nur die Träger sind morsch. Der Wurm ist drin. Aus diesem Grund will der Schöpfer nicht mehr weiter investieren. Alle Zeitgenossen bekommen den knappen Bescheid: Das Wesen dieser Welt vergeht. Sie bekommen die Mitteilung schriftlich: Die Tage sind gezählt. Auch wenn noch kein Datum genannt ist, an der Tatsache ist nicht zu rütteln: Das Ende steht bevor. Nun können wir Aktion Immergrün spielen, den Bibeltext als Fetzen Papier ansehen und das Leben als ein nicht endendes Fest ausschöpfen. Oder wir können mit der Aktion Sonnenblume kämpfen, endlich Flagge zeigen und auf Wände sprühen: Gott ist tot. Aber alle noch so heftige Reaktionen können die beschlossene Aktion des Schöpfers nicht stoppen. Die Welt steht auf der Abbruchliste. Das Wesen dieser Welt vergeht. Das Ende kommt.

So eindeutig spricht die Bibel nicht nur an dieser Stelle. Johannes sagt: Die Welt vergeht mit ihrer Lust. Petrus sagt: Das Ende aller Dinge ist herbeigekommen. Jesus selbst sagt: Himmel und Erde werden vergehen. Viele haben es seither bestätigt, neuerdings der eines biblischen Fundamentalismus gewiss unverdächtigen Robert Havemann, wenn er von den biologischen und chemischen Prozessen schrieb, dass sie wie im schnellen Vorlauf eines Bandgerätes abliefen. Wenn aber das Wesen dieser Welt vergeht, dann dürfen wir uns nicht als Hausbewohner oder Hausbe­setzer aufspielen, sondern müssen Hausverwalter bleiben, die der Schöpfer damals bei der Schöpfung eingesetzt hat und die er heute immer noch an diesem Arbeitsplatz sehen will. “Bauet und bewahret”, will sagen: Haltet das Haus in Ordnung. Also um Hausverwalter geht es, und zwar mit einem Dienstauftrag, einem Zeitauftrag und einem Sonderauftrag.

1. Der Hausverwalter hat einen Dienstauftrag

In dem steht aber nicht, dass er für die Räumung zuständig wäre. Folglich muss er nicht in schlimmer Panikmache durchs ganze Haus rennen und an jedem schwarzen Brett ein schwefelgelbes Plakat anheften: Achtung Weltuntergang! Er muss nicht Katastrophenalarm geben und Notausgänge aufschließen, Nottreppen herunterlassen und die Notbeleucht­ung anknipsen. Er muss also nicht den Fluchthelfer spielen. Sein Dienstauftrag macht ihn zum Lebenshelfer. Nach dem Licht soll er sehen, dass es überall brennt. Nach dem Wasser soll er sehen, dass es überall läuft. Nach der Heizung soll er sehen, dass es überall warm wird. In den Wohnräumen soll gelebt, in den Arbeitsräumen soll geschafft und in den Geschäftsräumen soll gekauft werden. Ein Haus voller Leben, das soll der Hausverwalter wollen, weil sein Herr eine Welt voller Leben will. Wir sollen doch nicht Panik machen, so wie sie früher im Schwabenland in panischer Furcht vor dem Weltende nach Russland oder Amerika geflohen sind, um dort zu überleben. Wir sollen doch nicht Katastrophenalarm geben, so wie sie heute in der Westschweiz und Kanada bei den Sonnentemplern in katastrophaler Beurteilung des Weltenlaufs ein entsetzliches Blutbad angerichtet haben. Gott braucht keine Helfer zur Flucht aus der Welt, sondern Helfer zum Leben mitten in der Welt. Wohnräume soll es geben, in denen nicht nur zwei zur Probe zusammenziehen, als ob man Ehe ausprobieren können wie ein Auto, sondern in denen es zwei miteinander wagen auf Gedeih und Verderb, also Platz für Familien und Kinder, die sich aneinander freuen. Wohnräume sind gewollt. Arbeitsräume soll es geben, in denen nicht nur getrödelt und gegammelt wird, weil ja der Stress die Wurzel allen Übels sei, sondern in denen angepackt und geschafft wird, also Platz für Hand- und Kopfarbeiter, die für ihre Arbeitsstelle dankbar sind. Arbeitsräume sind gewollt. Und Geschäftsräume soll es geben, in denen Besitz nicht als Eierschal­en bürgerlichen Denkens in Misskredit gebracht wird, sondern in denen ehrliches Wirtschaftsleben möglich ist, also Platz für Kaufleute und Handelsleute, die jederzeit ihre Bilanzen offenlegen können. Geschäftsräume sind gewollt. So wird es dem Hausverwalter nicht langweilig. Er hat alle Hände voll zu tun, um die Dinge am Laufen zu halten. Sein Dienstauftrag füllt ihn aus. Nun aber hat er ein Zweites hinzu:

2. Der Hausverwalter hat einen Zeitauftrag

Er ist nicht für alle Ewigkeit angestellt. Sein Dienstauftrag ist zeitlich begrenzt. Einmal ist Schluss. Ein Lehrer muss gehen, wenn er 65 ist. Ein Pfarrer soll gehen, wenn er 62 ist. Eine Angestellte darf gehen, wenn sie 60 ist. Und ein Hausverwalter geht, wenn sein Herr ihn abruft. Er hat viele Uhren im Haus, Wanduhren und Tischuhren und Armbanduhren, die ihm die Zeit angeben. Er aber weiß um eine ganz andere Uhr, die ihm die Stunde schlägt. Wenn er jetzt in die Wohnräume hineinhört, ist ihm klar, dass die Ehespannungen und Familienkonflikten ihre begrenzte Zeit haben. Wenn er jetzt in die Arbeitsräume hineinblickt, wird ihm deutlich, dass die Berufslast und Hackordnung nicht ewig drücken wird. Wenn er jetzt in die Geschäftsräume hineingeht, ist es offenkundig, dass nicht immer Geld die Welt regieren wird. Das Haus ist ein Interim. Der Auftrag ist bemessen. Alles Ding währt seine Zeit.

Unsere Uhren sind nur Sekundenzeiger auf Gottes großem Zifferblatt. Seine Zeiger laufen auf die letzte Stunde zu. “Zwölf, das ist das Ziel der Zeit, Mensch, bedenk’ die Ewigkeit.” Wenn wir jetzt in unsere Wohnräume zurückkehren, soll es uns klar sein, dass Probleme mit unseren schwierigen Ehen, Konflikte mit großwerdenden Kindern, Sorgen mit kranken Angehörigen ihre begrenzte Zeit haben. Wenn wir jetzt in unsere Arbeitsräume zurückkehren, soll es uns deutlich werden, dass die Akkordarbeit und der Konkurrenzkampf und die Terminnöte nicht ewig drücken werden. Wenn wir jetzt in unsere Geschäftsräume zurückkehren, soll es offenkundig sein, dass die Jagd nach Geld und Gut nicht der Sinn des Lebens ist. Es wird nicht ewig gejagt. Es wird nicht ewig geschuftet. Es wird ewig gelitten. Seit Jesus gesagt: “Himmel und Erde werden vergehen”, und Paulus es zusammengefasst: “Die Zeit ist kurz”, hat alles eine andere Perspektive. Warum leben wir immer so alternativ: entweder wohnen oder ausziehen, entweder arbeiten oder faulenzen, entweder verdienen oder verschenken? Der Apostel sagt: Wohnen, als wohnte man nicht. Arbeiten, als arbeitete man nicht. Verdienen, als verdiente man nicht. Die Welt ist ein Interim. Gottes Uhr geht nicht dauernd im Kreis. Der Hausverwalter hat nur einen Zeitauftrag.

3. Der Hausverwalter hat einen Sonderauftrag

Manchmal mag ihn dennoch die Angst beschleichen. Wenn er an die Zukunft denkt, kommen ihm schwere Gedanken. Wie wird’s denn werden, ohne Job? Wie wird’s denn werden, ohne Bleibe? Wie wird’s denn werden, ohne ein Dach überm Kopf?

“Manchmal trete ich vor die Tür”, schreibt ein moderner Lyriker, “atme aus und ein, reibe die Augen, halte Ausschau, ob Hoffnung ist. Ich beobachte die Luft, stelle die Färbung des Windes fest, bestimme den Stand der Sonne über meinem Haus, prüfe die Verlässlichkeit der Straße. Wo soll ich es ablesen? Die Freundlichkeit der Passanten ist veränderlich, auch die Zeitungsfrau bringt keine Gewissheit. Oder sollte es am eigenen Herzschlag liegen, am Kalziumgehalt meiner kleinen Philosophie? Manchmal trete ich vor die Tür, um zu sehen, ob Hoffnung ist und greife blind in den Morgen.”

Unser Hausverwalter steht anders vor der Tür, ganz anders. Er greift nicht blind, sondern sieht klar in den Morgen. Und dann sieht er in der Frühdämmerung der Ewigkeit wohl schemenhaft, aber doch in seinen Konturen überdeut­lich ein noch viel größeres Haus, in dem alle Menschen Platz haben, ein noch viel schöneres Haus, das mit Edelsteinen gebaut ist, ein noch viel solideres Haus, mit göttlicher Kunst für seine Leute geschaffen, einfach ein neues, brandneues Haus. Darin gibt es keine Türen und Trennwände mehr. Alle Wohn-, Arbeits- und Geschäftsräume sind zugunsten eines einzigen Saales aufgehoben, in dem nicht mehr gelitten, sondern mit dem Herrn gefeiert wird. Ein einziger Jubelton übertönt Klagelieder und Trauergesänge: “Selig sind, die zum Hochzeitsmahl des Lammes berufen sind.” Der Hausverwalter gehört dazu, denn sein Sonderauftrag lautet: “Zieh um. Nimm Wohnung bei mir. Werde Bürger der neuen Welt.” Darauf ist der Verwalter gespannt. Gott will keine Obdachlosen, die auf der Straße logieren. Darauf ist der Verwalter ausgerichtet. Gott will keine Zigeuner, die am am Rande des Universums kampier­en. Darauf zielt sein ganzes Sehnen: Dieser Gott will Heimat für immer. Deshalb hat er Jesus als Quartiermacher vorausgeschickt. “Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.”

Liebe Freunde, ich verstehe den Hausverwalter. Manchmal trete ich auf vor die Tür. “O wär ich da, o stünd’ ich schon, ach süßer Gott, vor deinem Thron und trüge meine Palmen.” So atme ich den Sauerstoff der Ewigkeit, damit wir hinter der Tür nicht die Luft ausgeht.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]