Herr Präsident! Das Thema heute Nachmittag lautet: Wie werde ich mit meiner Vergangenheit fertig?
Ich möchte heute Nachmittag und heute Abend etwas zum Thema Vergebung sagen. Zunächst geht es darum, wie wir selbst Vergebung erhalten. Das müsste eigentlich jeder Christ wissen, sonst wäre er kein Christ.
Bevor wir uns damit beschäftigen, wie wir anderen vergeben, müssen wir wirklich verstehen, wie wir selbst Vergebung bekommen haben. Deshalb möchte ich zunächst darauf eingehen: Wie werde ich mit meiner Vergangenheit fertig? Kann ich noch einmal von vorne beginnen?
Die Last der Vergangenheit und der Wunsch nach Neubeginn
Vielleicht fragt sich der eine oder andere oder hat es selbst schon einmal bemerkt: Es gibt Christen, die sich bekehren und einen rasanten Start hinlegen. Sie pflegen ihren Glauben, als hätte es nichts anderes gegeben.
Andere hingegen dümpeln eher dahin, wie ein Flugzeug, das auf der Landebahn bleibt und nicht abhebt. Man fragt sich oft: Woher kommt das?
Gerade in der gefährdeten Höfenarbeit stellen wir uns die Frage, warum einige Menschen ihre Vergangenheit wirklich abschneiden können, während andere immer mit dem Rucksack ihrer Vergangenheit herumlaufen.
Vielleicht trägst auch du so einen Rucksack mit dir. Jeder hat verschiedene Dinge, die ihn belasten. Manchmal hat man den Eindruck, man könnte seine Vergangenheit einfach abschütteln. Oder bleibt das immer an einem kleben?
Wie bekomme ich selbst Vergebung für meine Vergangenheit? Und was ist, wenn ich an anderen schuldig geworden bin und die Schuld nicht wieder gutmachen kann?
Ich habe schon gestern gesagt, als ich etwas über die Gefährdetenhilfen-Arbeit berichtete: Wir erleben immer wieder, dass Menschen wirklich frei werden. Ich hoffe, ihr seid alle wirklich frei geworden – frei von eurer Vergangenheit, frei von eurer Schuld.
Aber oft ist das nicht so, und ihr kennt das ja auch: Du schaust morgens in den Spiegel und denkst, wo ist die Freude geblieben? Nicht nur die Falten im Gesicht werden mehr, wenn man älter wird, sondern manchmal fragt man sich auch: Wo ist das Eigentliche, das Gefühl von damals, als ich zum Glauben kam? Und heute? Naja, wie geht es dir? Jo, so lala.
Ich frage dann immer nach der Rubrik: Zwei bis drei, drei bis vier, oder lebst du bei vier bis fünf? Wo steht dein geistliches Thermometer?
Zeugnisse von Befreiung aus der Vergangenheit
Ich möchte von einigen Menschen berichten, die frei geworden sind.
Da ist Katja. Sie kam aus einem völlig kaputten Elternhaus: Ihr Vater war Alkoholiker, ihre Mutter Prostituierte, ihr älterer Bruder heroinabhängig. Sie selbst lebte in einer lesbischen Beziehung, wohnte in einem katholischen Heim. Man könnte sich fragen: Was wird aus so einem Menschen? Was wird aus all den Menschen, die eine kaputte Vergangenheit hatten? Können solche Menschen wirklich von vorne anfangen?
Wenn du heute Katja siehst, hat sie fünf Kinder und arbeitet gemeinsam mit ihrem Mann in der Gefährdetenhilfe im Sauerland. Sie strahlt. Und wenn du sie fragst: "Katja, warum strahlst du?" Dann antwortet sie: "Warum sollte ich nicht strahlen? Ich habe keine Vergangenheit mehr, ich habe nur noch eine herrliche Zukunft."
Was ist da passiert?
Roland kam bei einem der ersten Einsätze mit dem mobilen Treffpunkt zu den offenen Abenden in unserer Stadt. Ich war damals Hausmeister und bekam dadurch alles mit. Wir hatten gerade ein junges Mädchen in unsere Familie aufgenommen, das durch ihre roten Haare auffiel. Roland baggerte sie richtig an. Ich bin auf ihn zugegangen und habe gesagt: "Junge, lass den Finger von dem Mädchen!"
Er fragte: "Hey, Satte, ist die dir?" Ich antwortete: "Das geht dich einen feuchten Kehricht an. Aber wenn du das Mädchen anpackst, kriegst du es mit mir zu tun. Dann gehen wir zusammen aufs Pflaster." Zum Glück hat er das nicht ernst genommen, sonst hätte er wahrscheinlich schlecht ausgesehen. Er sagte: "Okay."
Am Ende der Woche kam er zu mir und sagte: "Ey Macke, ich will mich bekehren." Ich ging mit ihm in den Jugendraum und sagte: "Du hast diese Woche gehört, wie das geht. Sag, wann willst du dich bekehren?" Er antwortete: "Jetzt." Wir gingen auf die Knie, und er gab sein Leben dem Herrn Jesus.
Roland war ein ganz wilder Typ, anders als die anderen, aber ein echter Western-Typ: Lederjacke mit Fransen, Klips im Ohr, Agraffen unter den Schuhen, dazu Lederhut – sah echt cool aus. Er fragte: "Wie geht es jetzt weiter? Ich muss hier raus. Ich muss weg von meinen Freunden."
Damals hatten wir noch keine Gefährdetenhilfe. Also brachte ich ihn nach Hückeswagen zur Gefährdetenhilfe Scheideweg. Wir saßen bei Friedel Pfeiffer im Wohnzimmer, und Friedel fragte: "Wer bist du?" Roland zuckte mit den Schultern und antwortete: "Du weißt nicht, wer du bist. Was kannst du? Kannst du Fußball spielen? Kannst du singen?" Dann stimmte er das Lied "Hänschen klein" an.
Ihr könnt euch vorstellen, wie der Western-Typ im Wohnzimmer stand und anfing zu singen: "Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein, Stock und Hut steht ihm gut, es gab rohe Gemüt, aber Mama weint zu sehr, hat ja jetzt kein Hänschen mehr. Da besinnt sich das Kind, läuft nach Hause geschwind: 'Sieh, Mama, ich bin da.'" Bis dahin war Roland gekommen.
Da sagte Friedel: "Bist du das?" Zum ersten Mal begriff ich den Inhalt des Liedes. Er fragte: "Ist deine Mutter stolz auf dich? Was muss sich in deinem Leben verändern, damit deine Mutter stolz auf dich ist?" Könnt ihr euch dieses Gespräch vorstellen? Das war Seelsorge. War das komisch? Friedel fragte: "Willst du es wirklich?" Roland antwortete: "Ja."
Friedel sagte: "Dann geh raus, zieh den großen Mülleimer ins Wohnzimmer. Pack deine Lederjacke, deinen Hut, deine Stiefel da rein. Danach kannst du in der Kleiderkammer etwas anderes holen." Roland sah aus, als wollte er sagen: "Gib mir all deine Brieftaschen her." Man muss wissen: Solche Jungs haben meist kein Geld in der Brieftasche. Aber die Brieftasche ist ihr Heiligtum, da sind alle Kontakte drin.
Friedel sagte: "Räum alles aus, was dich an dein altes Leben erinnert – Mülleimer." Roland fing an. Fertig? "Hm, gib mal her." Friedel machte Hausputz. Roland blieb dort.
Roland hatte zwischendurch noch zwei Rückfälle. Heute ist er verheiratet, hat drei Kinder und arbeitet zusammen mit einem anderen Ehepaar in der Gefährdetenhilfe in der Eifel.
Vor ein paar Jahren war ich in einer Gemeinde zu Gast. Nach der Stunde kam ein junger Mann auf mich zu und sagte: "Ich möchte mich vorstellen, ich bin dein Enkel." Ich fragte: "Wie das?" Er sagte: "Weißt du, Roland ist bei dir zum Glauben gekommen, ich bin durch Roland zum Glauben gekommen. Also bin ich dein Enkel, oder?" Solche Enkel habe ich gerne, muss ich sagen.
Tja, Ute. Ute war ein richtiger Grufti, schwarz von Kopf bis Fuß. Ich lernte sie auf einer Hochzeit kennen. Eine Freundin oder frühere Schulkameradin von ihr heiratete, und ich sollte die Predigt halten. Sie fiel mir sofort auf. Leider fiel ich ihr auch auf. Sie drückte sich weg. Sie tat mir irgendwie leid, weil sie sich bei der Hochzeit nicht richtig frei bewegen konnte. Sie kam mir ständig in die Quere.
Leider schaffte ich es auf dieser Hochzeit nicht, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Zwei Jahre später traf ich sie in der Teestube der Gefährdetenhilfe Scheideweg. Sie kam auf mich zu und sagte: "Kennst du mich noch?" Ich antwortete: "Ja." Sie fragte: "Wie kommst du hierher?" Sie erklärte: "Meine Freundin hat mich nicht in Ruhe gelassen."
Ich hatte damals schon gemerkt, dass sie sich wehrte, weil ich ihr ein Gespräch aufdrücken wollte. Aber sie sagte: "Du hast Gesicht. Der Herr hat mich gefunden."
Sie erzählte: "Früher war ich drogenabhängig und bin auf den Strich gegangen. Aber der Herr hat mir die Ehre als Frau wiedergegeben." Könnt ihr begreifen, was das bedeutet? Der Herr hat ihr die Ehre als Frau zurückgegeben.
Menschen werden frei – frei von ihrer Vergangenheit. Wenn du heute Ute, Roland oder Katja siehst, merkst du nur noch, dass sie aus der Szene kommen, wenn es Sommer ist und sie kurzärmelige Shirts tragen.
Befreiung in biblischer Perspektive
In der Bibel gibt es viele Menschen, die frei geworden sind. Ich bin gespannt, wenn wir im Himmel sind, denn ich werde etliche von ihnen interviewen. Rahab zum Beispiel – auf die gute Frau kommen wir noch zurück. Über Rahab kann man wunderbar reden, Predigten halten. Was für eine Gnade, dass sie im Geschlechtsregister des Herrn Jesus steht.
Aber stellt euch vor: So eine Frau, vielleicht mit Netzstrümpfen und entsprechendem Parfüm, sitzt neben dir in der Gemeinde. Du würdest die Nase rümpfen und den Stuhl ein Stück wegschieben. Rahab wird frei. Maria Magdalena auch. Huch, Okkultismus, Herr Jesus, was für Leute hast du da? Unmöglich, oder? Wir denken oft, der Herr Jesus sei ein Heiland für die Mittelschicht, für gut situierte Menschen, besser noch etwas über der Mittelschicht. Dort kommen auch mehr Spenden rein.
Doch Herr Jesus hat Freunde, einen Freund der Zöllner und Sünder oder die Magd aus Philippi. Das sind alles Menschen, die ich im Himmel interviewen möchte. Wie ist das bei ihnen weitergegangen? Das würde mich wirklich interessieren. Ich freue mich schon auf die Erzählstunden im Himmel, wenn alle berichten, wie sie zum Glauben gekommen sind. Das muss doch herrlich sein, oder? Dafür braucht man eine Ewigkeit.
Oder Saulus, den religiösen Fundamentalisten. Menschen werden frei von ihrer Vergangenheit. Aber wie? Paulus schreibt den Brief an die Korinther. In 1. Korinther 6,9-11 beschreibt er die Geschwister von Korinth. Wenn du den Korintherbrief liest, denkst du: In der Gemeinde möchte ich nicht gewesen sein. Das war ja ein Publikum! Was schreibt Paulus?
"Wisst ihr nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Irrt euch nicht: Weder Unzüchtige, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Pädophile, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Suchtabhängige, noch Lästerer, noch Räuber werden das Reich Gottes erben." Du wirst sagen: Amen.
Und wie geht der Vers weiter? "Und das sind manche von euch gewesen. Aber ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerechtfertigt worden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes."
Ja, klar, ich kenne euch glücklicherweise nicht. Ich kenne nicht eure Vergangenheit. Vielleicht seid ihr alle so brav aufgewachsen wie ich. Aber die Gemeinde des lebendigen Gottes ist eine illustre Gesellschaft von Menschen mit einer unmöglichen Vergangenheit. Menschen in der Gemeinde des lebendigen Gottes haben keine Vergangenheit mehr.
Die biblische Grundlage der Vergebung
Du fragst dich, wie du deine Vergangenheit loswerden kannst? Natürlich, das kennen wir alle auswendig. Wo steht es? In der Sonntagsschule, in der Kinderstunde haben wir es gelernt: 1. Johannes 1,9 können wir auswendig, oder?
Wenn wir, ach lauter, gut, Roland, aber jetzt alle! Also nochmal zusammen: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, dann ist Gott treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.“ Okay, den Vers müssen wir auswendig wissen.
Ist dann wirklich der Rucksack weg? Ich möchte euch das Beispiel von Rahab nochmal bringen. Über Rahab steht einiges in der Bibel. Ich gehe mal davon aus, dass ihr die Geschichte kennt. Diese Frau wohnte in Jericho, in der Stadtmauer, war Prostituierte, und die Kundschafter von Israel versteckten sich bei ihr. Dabei wird deutlich, dass sie glaubt, dass der Gott Israels den Israeliten das Land geben wird.
Wir könnten jetzt viel darüber reden, aber das würde zu lange dauern, und ihr würdet kein Abendessen kriegen. Was imponiert uns an Rahab und was stößt ab? Zunächst einmal noch ein Bibelquiz: Wie heißt der Ehemann von Rahab? Hat keinen. Wieso steht sie dann im Geschlechtsregister von Jesus?
Wer schlägt als erstes Matthäus 1,5 auf? Wer es hat, sagt es. Nein, nicht so schnell gelesen! Salmon, richtig, jawohl! Der Sohnemann war Boas. Also Salmon. Manche nehmen an, dass einer der beiden Kundschafter ihr Ehemann gewesen sein könnte. Kann sein, kann nicht sein, aber man sollte keine Lehre darauf aufbauen.
Boas ist der Sohn. Wo lesen wir etwas von Boas? Im Buch Ruth, ja. Wie wird Boas dort beschrieben? Was sagt Naomi über ihn? „Das ist ein guter Mann.“ So einen wünscht sich jede Mutter als Schwiegersohn.
Überlegt mal: Dort wird eine Szene beschrieben, Erntezeit. Boas übernachtet mit seinen Knechten auf dem Feld, am Rande des Feldes. Sie haben etwas gegessen, es wird Nacht, plötzlich bekommt er kalte Füße. Die Decke wird hochgehoben, und im Mondschein sieht er, dass sich eine Frau darunterlegt. Eine kitzlige Angelegenheit!
Ich wundere mich, dass das noch nicht verfilmt worden ist. Wäre doch der Stoff, oder? Warum ist das bis jetzt nicht verfilmt worden? Boas verhält sich nicht filmreif. Er wird wach und hat keine schlechten Hintergedanken.
Und das ist der Sohn einer Hure. Was heißt das? Das heißt doch, dass Rahab ihren Sohn anständig erzogen hat, oder? Das zeigt mir, dass Rahab mit ihrer Vergangenheit fertig geworden ist.
Die Bibel ist spannend, oder? Man muss manchmal auch zwischen den Zeilen lesen. Merken wir, dass Gott mit dieser Frau gehandelt hat. Ihr Sohn kennt alle Gesetze und verhält sich sauber. Boas hat keine schlechten Gedanken. Das zeigt mir: Gott kann Menschen wirklich verändern.
Die Gerechtigkeit und Liebe Gottes in der Vergebung
Warum kann Gott vergeben? Schaut Gott einfach durch die Finger? Macht er die Augen zu? Ist Gott tolerant? Lässt er fünf gerade sein? Gibt es bei Gott mildernde Umstände? Viele Christen denken das, oder? Oft versuchen wir, wenn wir schuld sind, uns zu entschuldigen. Wir sagen dann: „Weißt du, die Umstände, ich wollte ja eigentlich nicht.“
Bei unserer Gesetzgebung in Deutschland gibt es mildernde Umstände. Aber bei Gott nicht. Schuld ist Schuld. Dafür gibt es bei Gott etwas anderes. Gott ist heilig und gerecht. Er muss Sünde strafen. Das heißt: Du und ich – was haben wir verdient? Den Tod, ewige Verdammnis.
Und wir denken: „Gott, ganz so schlimm bin ich doch nicht, weil dort im Himmel ja auch Fußbänkchen sind.“ So vergibt Gott nicht. Gott ist nicht nur heilig und gerecht, er ist auch Liebe.
Weil wir nicht ohne Sünde sind, muss Gott uns strafen. „Der Lohn der Sünde ist der Tod“, heißt es in Römer 6. Weil Gott uns aber liebt, sandte er seinen Sohn, damit er an unserer Stelle in den Tod ging.
„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ Weil ein anderer starb, kann Gott vergeben.
„Um unserer Übertretungen wegen war er verwundet, um unserer Missetaten wegen geschlagen, die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden.“
Vergebung ist radikal. Vergebung hat Gott seinen Sohn gekostet.
Wisst ihr, wir denken meistens: Ach ja, weil ich so ein treuer Kerl bin, sagt Gott ein Ehrenwort. Ach jo, armer schwarzer Kater, komm, vergiss es. Nein.
Und ich wünschte, wir würden neu begreifen: Jesus musste sterben. Natürlich haben wir das alles im Kopf, oder? Aber können wir noch einmal begreifen, wie es tatsächlich ist?
Das Kreuz als Zeichen der radikalen Vergebung
Wisst ihr, als meine Kinder klein waren – unser Timo war fünf, unser Micha acht – lasen wir bei der Abendandacht die Passionsgeschichte. Unser Fünfjähriger weinte dabei kullernd die Tränen runter. Micha sagte: „Timo, das ist doch schrecklich, was sie mit meinem Jesus gemacht haben.“ Und Micha fügte hinzu: „Ist nicht so schlimm, der steht wieder auf.“ So sind wir. Wir gewöhnen uns daran.
Habt ihr euch schon einmal gefragt, wie es ist, wenn der Herr Jesus am Kreuz hängt? Sechs Stunden hängt er dort. Über drei Stunden steht im Text nichts, nur ein halber Satz. Nach diesen drei Stunden heißt es: „Und Jesus schrie.“ Nirgendwo sonst hat der Herr Jesus jemals geschrien. Er hat mal laut gerufen: „Komm mit her zu mir.“ Aber geschrien hat Jesus nur am Kreuz.
Wir denken oft, das Kreuz mit dem Herrn Jesus daran ist schön. Vergebung ist brutal. Dass Gott mir vergeben kann, hat ihn seinen Sohn gekostet.
Wisst ihr, vor ein paar Jahren waren wir in Ungarn in einem Gefängnis. Damals war Timo natürlich schon etwas größer und mit im Chor dabei. Die Inhaftierten waren alle in meiner Preislage. Ich habe einen nach vorne gerufen und ihn gefragt, ob er Söhne hat. Er sagte: „Jo, zwei.“ Ich fragte weiter: „Sind deine Söhne stolz auf dich?“ Er antwortete: „Nee.“
Ich sagte, ich habe einen meiner Söhne mitgebracht, holte ihn nach vorne und fragte: „Was würdest du sagen, wenn ich dir jetzt folgenden Vorschlag mache: Ich lasse meinen Sohn hier im Gefängnis und du darfst mit raus.“ Könnt ihr euch vorstellen, wie still es da war? Nach einem Moment sagten die ganzen Inhaftierten: „So blöd ist keiner.“
Ich habe zu Timo gesagt: „Du hast Glück gehabt.“ Aber ich habe ihm auch gesagt: „Du bist da so ein blöder Gott gewesen.“ Gott gibt seinen Sohn, damit ich, ein Mistkerl, rauskomme. Das war verrückt, oder? Das ist Vergebung.
Die Bedingung der Vergebung: Sündenbekenntnis
Du kannst fragen: Ja, aber wann vergibt Gott? Den Vers haben wir eben schon gelesen. Wenn wir unsere Sünden bekennen, dann ist Gott treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit.
Ein ganz einfacher Satz: Wenn, dann. Wann vergibt Gott? Wenn du deine Sünden bekennst. Wenn du sie nicht bekennst, tut er es nicht. Du kommst nicht durch den Schleichweg in den Himmel. Gott hat eine ganz einfache Regel: Wenn, dann.
Deshalb sage ihm deine Sünden im Gebet. Er will sie dir vergeben. Man könnte auch fragen: Aber das hat er doch schon im Alten Testament gesagt. Jesaja 55: „Der Gesetzlose verlasse seinen Weg, und der Mann des Frevel seine Gedanken, und er kehre um zu dem Herrn, so wird er sich seiner erbarmen und zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung.“
Drei Bilder der göttlichen Vergebung
Wie vergibt Gott? Gott versucht uns das mit drei Bildern deutlich zu machen.
Das erste Bild findet sich in Micha 7,19. Dort sagt Gott: „Gott wird sich wieder über uns erbarmen, wird unsere Schuld niedertreten, und du wirst alle unsere Sünden in die Tiefe des Meeres werfen.“ Wer weiß, wie tief das Meer an der tiefsten Stelle ist? Um die elf Kilometer, also über elf Kilometer. Wie hoch ist der höchste Berg? Etwa 8,8 Kilometer. Das passt also rein und es ist noch dicke Wasser darüber.
Was will Gott damit sagen? Er tut deine Sünde in die Tiefe des Meeres. Kommt da jemand hin? Was passiert, wenn jemand taucht? Der Wasserdruck ist so stark, dass es kaum möglich ist. Es gab einmal einen Schweizer, Jacques Piccard, der im Jahr 1960 mit dem Tauchboot Triest den Versuch startete. Er kam bis auf über zehntausend Meter Tiefe. Konnte er dort unten aussteigen? Konnte er etwas sehen? Es war stockdüster. Gott sagt also: Ich nehme deine Sünde und lege sie an die tiefste Stelle des Meeres. Was will er damit ausdrücken? Dort kommst du nie mehr dran. Fischen verboten, sozusagen.
Aber unsere Psychotherapeuten sagen immer: „Hm, tauchen wir doch in die Vergangenheit und arbeiten sie auf!“ Und die frommen Psychotherapeuten sagen: „Tauchen Sie mit dem Herrn Jesus runter und arbeiten Sie mit ihm!“ Das klingt schön, steht aber nicht in der Bibel.
Gott sagt: Ich tue deine Sünden an die tiefste Stelle des Meeres, das ist göttliche Endlagerung, besser als ein Atommülllager. Dort kommst du nicht mehr dran. Ende, Schluss. Aber Christen wird eingeredet, sie müssten tauchen. Christliche Luftnot, oder? Wir Menschen sind schon komisch.
Gott gebraucht ein zweites Bild. In Jesaja 38,17 sagt Hiskia: „Alle meine Sünden hast du hinter deinen Rücken geworfen.“ Kennt ihr die Geschichte? Hiskia war krank geworden, der König von Juda. Der Prophet kommt zu ihm und sagt: „Du wirst sterben.“ Hiskia wird traurig, dreht sich zur Wand, beginnt zu beten und Busse zu tun. Der Prophet kommt zurück und sagt: „Gott hat dir deine Sünden vergeben, er gibt dir noch einmal fünfzehn Jahre.“ Damit Hiskia das begreift, hat er einen Wunsch frei: Der Zeiger der Sonnenuhr soll zehn Grad nach vorne oder nach hinten gestellt werden. Was hättest du gesagt? Natürlich rückwärts! Nach vorne geht er sowieso, wenn auch nicht so schnell.
Also dachte Hiskia auch an rückwärts. Jetzt stellt euch vor, was Gott tun musste, damit der Zeiger der Sonnenuhr zehn Grad zurückgeht. Die Erde dreht sich mit ihrer sanften Lufthülle zurück. Gott nimmt die ganze Erde und dreht sie zurück. Und das nur, damit Hiskia begreift: Ich habe deine Sünden hinter meinen Rücken geworfen.
Was müsste Gott tun, um die Sünden von Hiskia wiederzusehen? Er müsste sich umdrehen, oder? Zeig mir einen Vers in der Bibel von einem rückwärts laufenden Gott. Es gibt keinen. Gott schaut nicht zurück. Es gibt Menschen, die rückwärts laufen, um ins Buch der Rekorde zu kommen, aber Gott läuft nicht rückwärts. Er schaut nach vorne.
Nirgendwo in der Bibel steht, dass Gott zurückblickt. Was will er damit sagen, wenn er sagt: „Ich habe deine Sünden hinter meinen Rücken geworfen“? Er schaut sie nie mehr an. Und wenn du sündigst und sagst: „Herr Jesus, schon wieder!“ Dann sagt Jesus: „Was schon wieder? Ist weg!“
Können wir begreifen, wie Gott vergibt? Er wirft sie also hinter seinen Rücken. Jesus sagt sehr deutlich in Lukas 9: „Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist unbrauchbar für das Reich Gottes.“ Ich weiß nicht, wer von euch Landwirt ist. Als Kind war ich auf dem Bauernhof und stolz vorne auf dem Traktor. Was passiert, wenn man beim Pflügen rückwärts guckt? Du bekommst Furchen wie Lämmerschwänze. Unbrauchbar!
Jesus sagt: Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist unbrauchbar für das Reich Gottes. Das merkt man in jeder Gemeinde. Geschwister, die sich zurückdrehen und sich immer mit der Vergangenheit beschäftigen, sind oft nicht brauchbar. Sie sind nur mit sich selbst beschäftigt: „Ich, armer, schwacher Sünder.“ Gott sagt: Schau nach vorne! So wie Katja gesagt hat: „Ich habe keine Vergangenheit mehr, ich habe nur noch eine herrliche Zukunft.“
Und du sagst: „Ja, aber ich fühle das nicht so. Ich habe noch so Grummeln im Bauch.“ Jesus sagt: Schau nach vorne, ich möchte dich gebrauchen.
Gott gebraucht noch ein Bild, und zwar in Jesaja 40,22: „Ich habe deine Übertretungen getilgt wie einen Nebel und wie eine Wolke deine Sünden. Kehre um zu mir, denn ich habe dich erlöst.“ Hast du schon einmal erlebt, wie es ist, wenn der Nebel sich auflöst? Du stehst morgens früh auf dem Berg, erlebst den Sonnenaufgang, im Tal ist Nebel. Die Sonne kommt hoch und leckt den Nebel weg. Aus dem großen Aquarellbild wird ein Ölgemälde.
Gott sagt: So nehme ich deine Sünden weg. Kannst du den Nebel noch einmal fassen? Nein, er ist weg. Einfach weg.
Und wir kleben an der Sünde und an der Vergangenheit. Wir lassen uns einreden: „Du musst deine Vergangenheit aufarbeiten.“ Das steht aber nirgendwo in der Bibel. Nein, deine Vergangenheit kommt unter das Kreuz. Dafür ist Jesus gestorben.
Wenn du sagst: „Ich muss meine Vergangenheit aufarbeiten“, dann sagt Jesus: „Du bist umsonst gestorben.“ Das mache ich selbst. Jesus möchte, dass du deine Sünden ihm bringst, deine ganze Vergangenheit, dein ganzes Leben unter das Kreuz legst. Er sagt: „Okay, dafür bin ich gestorben, und jetzt ist es gut.“
Gottes Versprechen der endgültigen Vergebung
Gott verspricht noch mehr. Das wäre ja schon großartig, wenn er nur diese drei Bilder geben würde. Aber Gott verspricht noch mehr, und das finde ich fantastisch.
In Hebräer 8,12 und Hebräer 10,17 werden zwei Verse aus dem Alten Testament zitiert, nämlich aus Jesaja 43 und Jeremia 31. Dort sagt Gott: „Ihrer Sünden werde ich nie mehr gedenken.“
Eine Anmerkung steht in der Elberfelder Übersetzung: „Unter keinen Umständen.“ Ist Gott vergesslich? Nein, sicherlich nicht. Gott ist allwissend. Er sagt nicht: „Ich will deine Sünden vergessen.“ Sondern: „Ich will nicht mehr gedenken.“
Was ist der Unterschied? Ich merke, ich komme langsam in ein Alter, in dem ich alles, was ich nicht vergessen will, aufschreiben muss. Und das tue ich hier oben, in meinem Gedächtnis. Und wehe, mein Gedächtnis gerät in die Waschmaschine – dann sind die Erinnerungen weg. Das ist Vergesslichkeit. Heute nennt man das freundlich Demenz, was sich nicht so schlimm anhört, aber eigentlich ist es Verkalkung.
Vergessen ist passiv. Da kann ich nichts dafür. Gott sagt nicht: „Ich will deine Sünden vergessen“, sondern: „Ich will nicht mehr gedenken.“ Und das ist ein ganz bewusster Willensakt: „Ich will nicht mehr, ich werde nicht mehr gedenken.“
Aber du wirst fragen: Woher kann ich wissen, dass Gott das wirklich tut? Könnte es nicht sein, dass irgendwann in der Ewigkeit – stellt euch vor, da sitzen wir alle, und Jesus ruft: „Eberhard, komm mal nach vorne! Weißt du noch damals im Dezember 2008 in Kempten, als du da vorne mit so einer Bombe standest?“ Woher kann ich sicher sein, dass Gott das nicht tut?
Sehr gut, und Gott kann nicht lügen. Aber ich bin ein Deutscher und möchte gerne Beweise haben. Liefere mir einen Beweis, dass Gott das nie tut! Ja, du bist bibeltreu, das ist sehr gut. Aber ich brauche noch einen Beweis. Es könnte ja sein, dass er sagt: „Ich habe es vergeben, aber ich kann es dir nicht vergessen.“
Kennt ihr den Ausdruck? Ist euch schon mal aufgefallen, dass Gott im Neuen Testament keine Sünde eines alttestamentlichen Gläubigen erwähnt? Das ist interessant, oder? Du findest im Neuen Testament keine Sünde von Abraham, obwohl er sich nicht gerade galant seiner Frau gegenüber in Ägypten verhalten hat. Du findest keine Sünde von Mose, immerhin ein Totschläger. Du findest keine Sünde von David, der Ehebrecher und Mörder war. Du findest nicht einmal eine Sünde von Lot. Wenn du im Alten Testament liest, kommst du nicht auf den Gedanken, dass er fromm gewesen ist, oder? Aber im Petrusbrief steht, dass er eine gerechte Seele hatte. Ist das nicht erstaunlich?
Das ist der Beweis! Alles, was an Sünden unter das Kreuz von Golgatha gekommen ist, wird uns von Gott nie mehr vorgehalten. Das ist Vergebung, oder? Wisst ihr, Gott hält dir deine Schuld nie mehr vor, die du ihm gebracht hast – nicht mehr, in alle Ewigkeit nicht mehr. Das ist Vergebung.
Die Freude und Freiheit der Vergebung
Nietzsche hat einmal gesagt, wenn die Botschaft der Christen stimmt, müssten die Christen viel erlöster aussehen. Ich glaube, der Mann hatte Recht.
Wir Christen meinen oft, wir müssten pietistisch wirken, mit herunterhängenden Augen und Mundwinkeln. Immer leidend, als sei alles unermesslich traurig. Das soll besonders fromm aussehen, oder?
Dabei haben wir die beste Botschaft, die es gibt: Du kannst frei sein, völlig frei. Du hast nur noch eine herrliche Zukunft. Das ist der erste Teil der Vergebung.
Jetzt machen wir eine Pause zum Abendessen. Danach geht es um die Vergebung untereinander.
