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In der Inflation der Worte horchen wir auf, wenn einer nicht vom übermittelnden, drahtlosen, flimmernden Wort schwärmt, sondern auf das biblische Wort schwört. Von dem sagt der Apostel Petrus, dass es ein wahres, ein wertes und ein wichtiges Wort sei. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Worte haben wir, immer mehr Worte, eine ganze Flut von Worten, liebe Gemeinde. Der Schöpfer hat uns einen Mund und eine Zunge und eine Stimme gegeben. Wir müssen nicht brüllen wie ein Löwe oder bellen wie ein Hund oder zwitschern wie ein Vogel, sondern können reden wie ein Mensch. Seit Adam haben wir das gesprochene Wort. Dann entwickelten findige Ägypter heilige Bildzeichen. Mit Griffel und Meißel gruben sie diese Hieroglyphen in Platten und Stein ein. Andere Völkerstämme ahmten Schriftsysteme nach. Seit Pharao haben wir das geschriebene Wort. Dann arbeitete der Mainzer Joh­annes Gutenberg an der Verwirklichung seiner Idee. Das Problem des Buchdrucks beschäftigte ihn Tag und Nacht. Im Jahr 1455 konnte er seine erste lateinische Bibel vorlegen, ein prächtiges Meisterstück. Seit Gutenberg haben wir das gedruckte Wort. Dann gelang es, die menschliche Sprache elektrisch zu übertragen. Die Fernsprechtechnik setzte mit großem Aufschwung ein. Telefonleitungen wurden gezogen und Telefongeräte wurden installiert. Seit Edison haben wir das übermittelte Wort. Dann wurde eine drahtlose Telegraphie eingeführt. Elektromagnetische Schwingungen trugen das Wort von Antenne zu Antenne. Über Detektorenempfänger, dann Volksempfänger, dann UKW-Empfänger, dann Stereoempfänger hörte man die neusten Nachrichten vom fernsten Kontinent. Seit Marconi haben wir das drahtlose Wort. Dann brach der Siegeszug der neuen Medien über uns herein. Audio und Video sind in und werden morgen noch viel inner sein. Mit Videoplatte und Videotext, mit Textautomaten und Breitbandkabel, mit Btx und EDV sind wir überschüttet. Seit jüngster Zeit haben wir das flimmernde Wort. Wirklich eine ganze Flut von Worten, die uns ins Haus schwemmt.

Aber sind wir damit auch immer reicher, beglückter, zufriedener geworden? Haben wir damit auch immer mehr Freude und Kraft und Zuversicht gewonnen? Glauben wir damit die Zukunft zu meistern? Wir leiden doch an den gemeinen und verlogenen Worten, die uns vermehrt zu Ohren kommen. Wir leiden doch an den schrecklichen und aufregenden Worten, die uns unter die Augen kommen. Wir leiden doch an den leeren und sinnlosen Worten, die uns mengenweise frei Haus geliefert werden. Die Inflation der Wörter macht Not.

Weil dem so ist, deshalb horchen wir auf, wenn einer nicht vom übermittelnden, drahtlosen, flimmernden Wort schwärmt, sondern auf das biblische Wort schwört: Mose, Josua, Richter, Könige, Jesaja, Jeremia, Matthäus, Markus, Lukas, Johannes.

Wir haben das prophetische Wort. Hier hat einer seine Hand nicht am Telefon. Hier hat einer seine Ohren nicht unter dem Kopfhörer. Hier hat einer seine Augen nicht auf dem Bildschirm. Hier hat einer seine Hand, sein Ohr, sein Auge und sein Herz bei Gottes Wort. Petrus will mit diesem Wort leben, so wie es der russische Dichter Mereschkowski gesagt hat: “Täglich habe ich die Bibel gelesen und ich werde sie lesen, solange meine Augen sehen können und wo immer es Licht ist. Sei es im Schein der Sonne oder im Schein des Herdes, am hellen Tag oder in finsterer Nacht, im Glück oder im Unglück. Was habe ich auf Erden vollbracht? Ich las die Bibel.”

Wir haben das prophetische Wort, mit dem wir leben können. Petrus will mit diesem Wort sterben, so wie es Martin Luther auf seinem Sterbebett geschrieben hat: “Du, lege nicht Hand an diese göttliche Aeneis, sondern verehre gebeugt ihre Fußstapfen. Wir sind Bettler, das ist wahr.”

Wir haben das prophetische Wort, mit dem wir sterben können. Petrus will mit diesem Wort auferstehen, so wie es ein Physiker unserer Tage formuliert hat: ““Wir existieren nur in der biblischen Hoffnung, dass dies nicht alles ins Nichts fährt, sondern einem neuen Morgen entgegen.”

Wir haben das prophetische Wort, mit dem wir auferstehen können. Und von dem sagt der Apostel dies dreifache, dass es ein wahres, ein wertes und ein wichtiges Wort sei. Dem wollen wir nachdenken.

1. Ein wahres Wort

Ist es das? Immer wieder machen uns historische Zweifel zu schaffen. Vom Rattenfänger von Hameln zum Beispiel wissen wir, dass er ein mittelalterlicher Stadtpfeifer war. Mit Musik, ohne Gift, einfach umweltfreundlich beseitigte er die Rattenplage. Aber war er eine historische Gestalt? Lebte er wirklich um 1280? Oder haben wir es nur mit einer Fabelfigur zu tun? Oder von Till Eulenspiegel wissen wir, dass er ein derber Grobian war. Stets fielen ihm neue Streiche ein. Mit bäuerlichem Mutter­witz unterhielt er seine Umgebung. Aber war er eine historische Gestalt? Lebte er wirklich um 1350? Oder haben wir es nur mit einer Sagenfigur zu tun? Oder von Don Quichotte wissen wir, dass er ein trauriger Ritter war. Seine forschen Unternehmungen waren immer zum Scheitern verurteilt. Überall profilierte er sieh als tragischer Held. Aber war er eine historische Gestalt? Lebte er wirklich um 1450? Oder haben wir es mit einer Gedankenfigur zu tun?

Petrus sagt: Wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt. Wir sind nicht schönen Sagen nachgegangen. Wir sind nicht gescheiten Romanen auf die Spur gekommen. Nein, wir sind auf dem Berg Hermon angekommen, wo wir Augen- und Ohrenzeugen eines einzigartigen Dreier­gipfels wurden. Jesus erschien im Lichtglanz zwischen Mose und Elia und die Stimme Gottes war unüberhörbar: Dies ist mein lieber Sohn. Und wenn sie ihn als Rattenfänger anprangern. Dies ist mein lieber Sohn! Und wenn sie ihn als Eulenspiegel verlachen! Dies ist mein lieber Sohn! Und wenn sie ihn als Don Quichotte verspotten! Dies ist und bleibt mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe. Petrus erhebt gleichsam die Hand zum Schwur: Jesus Christus ist eine historische Gestalt. In Bethlehem ist er zur Welt gekommen. In Nazareth, Kapernaum, Jericho, Bethanien hat er gelebt. In Jerusalem ist er gestorben und aufer­standen. Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit. So wahr mit Gott helfe!

Wollen wir diesen Mann des Meineids bezichtigen? Mit Jesus befinden wir uns auf historischem Boden. So gewiss ein Augustus und Caesar, ein Karl der Große und Napoleon, ein Goethe und Schiller gelebt hat, so gewiss hat dieser Jesus Christus gelebt. Wenn es also heißt: “Sorget nicht!”, dann geht das auf ihn zurück. Wenn wir lesen: “Seid getrost!”, dann kommt das aus seinem Munde. Wenn verkündigt wird, “Fürchtet euch nicht!”, dann steht er dafür gerade. Sein Wort ist ein wahres Wort, das ist das eine, und das andere:

2. Ein wertes Wort

Ist es das? Immer wieder machen uns literarische Zweifel zu schaffen. Selbst wenn wir an einen historischen Jesus glauben, könnte es ja sein, dass sich an dieser geschichtlichen Ge­stalt blühende Fabulierkunst entzündet. Dem Stadtpfeifer zu Hameln zum Beispiel hängten sie eine unglaubliche Entführungsgeschichte an. Dichter wie Goethe und Raabe ergötzten sich daran und machten sich ihren eigenen Reim darauf in Lied und Erzählung. Oder dem derben Till schrieben sie immer lustigere Gaukeleien zu. Erzähler wie Hans Sachs oder Gerhard Hauptmann ließen sich inspirieren und erfanden neue Eulenspiegeleien. Oder dem blauäugigen Don Quichotte sagten sie immer tollere Abenteuer nach. Ein geistvoller Mann wie Cervantes entwickelte daraus seinen ganzen Roman. Haben sie nach diesem literarischen Muster, und das ist die Zweifelsfrage, diesem predigenden Jesus nicht unglaubliche Wundergeschichten angehängt? Haben sie diesem lehrenden Jesus nicht amüsante Wanderlegenden zugeschrieben? Haben sie diesem wandernden Jesus nicht undurchsichtige Lokalmythen nachgesagt? Jesus, der Zündstoff für blühende Fabulierkunst?

Petrus sagt: Wir sind vom Heiligen Geist getrieben. Wir sind von Gottes Kraft angetrieben. Wir sind von himmlischer Energie umgetrieben. Biblische Schriftsteller griffen deshalb zu Papyrus und Tinte, weil Gott sie zum Diktat bestellte. Er machte sie nicht zu seelenlosen Computern, die Eingegebenes auf Endlospapier ausspucken. Mit Fleiß, Verstand und Ausdauer mussten sie ihre Arbeit tun. Aber das Ergebnis war so, dass nicht menschliche Spekulation, sondern göttliche Proklamation weitervermittelt wurde.

Niemand muss Angst haben, beim Bibellesen irgendwelchen Fabulierern auf den Leim zu kriechen. Propheten sind keine Sagenerzähler. Evangelisten sind keine Märchentanten. Apostel sind keine Romanschriftsteller. Alle biblischen Schreiber haben in der Vollmacht des Heiligen Geistes das weitergegeben, was unser Leben erst wert und wertvoll macht. Ob wir mit der Bibel als Arbeitsbuch nicht wieder mehr umgehen sollten? Oh wir aus der Bibel als Trostbuch nicht wieder mehr Zuspruch ziehen sollten? Ob wir an­hand der Bibel als Gebetbuch nicht wieder mehr Bitte und Fürbitte üben sollten? Einer, der dies getan, hat gesagt: “Ich freue mich über dein Wort wie einer, der große Beute macht.”

Sein Wort ist ein wertes Wort, und das letzte:

3. Ein wichtiges Wort

Ist es das? Immer wieder machen uns intellektuelle Zweifel zu schaffen. Mag es ein wahres Wort von gestern und ein wertes Wort für heute sein, aber ist es dann auch ein wichtiges Wort für morgen? An Fabeln kann ich mich ergötzen. Mit Sagen kann ich mich beschäftigen. Durch Romane kann ich mich anregen lassen. Aber kann ich mit dem allem die nächsten Schritte bewältigen?

Machen wir uns dieses Problem an der gezielten Frage deutlich: Aus welchem Buch möchten Sie vorgelesen bekommen, wenn Sie vor einer schweren Operation stehen? Mit welchen Worten könnte Ihnen geholfen werden, wenn die Chancen 50:50 stehen? Durch welche Gedanken käme tragende Kraft in Ihre krisenhafte Situation? Cervantes Don Quichotte, Goethes Faust, Bölls “Ende einer Dienstfahrt”? Ich urteile nicht, ich frage nur, welch wichtiges Wort uns in dunklen Stunden den noch dunkleren Morgen aufhellen könnte.

Petrus sagt: Wir haben das Licht, das an einem dunklen Ort scheint. Wir haben es so wie die Hirten, denen dieses Licht in einem dunklen Stall aufblitzte. Wir haben es so wie der Hauptmann, dem dieses Licht während der totalen Sonnenfinsternis auf Golgatha aufging. Wir haben es so wie die Wachsoldaten, denen dieses Licht mitten in der Osternacht den Schlaf genommen hat. Jesus Christus ist dieses Licht, das wie ein Morgenstern den neuen Tag ankündigt. Einmal wird die geschundene, blutende, finstere Welt in den gleißenden Schein des neuen Tages gestellt werden. Deshalb sind für den Christen schwere Krisenzeiten, dunkle Krankheitstage, schwarze Sterbestunden nur Übergangserscheinungen bis zum Morgenglanz der Ewigkeit. Das hat Petrus im Auge, wenn er von der Kraft und dem Kommen unseres Herrn Jesus Christus spricht. Sein Wort ist ein wichtiges Wort.

Von Hudson Taylor, dem weitgereisten und hochgebildeten Chinamissionar, wird berichtet, dass er bei einem Besuch an der Universität Tübingen von kritischen Studenten gefragt wurde, wie er denn so schlicht und einfach mit der Bibel umgehen könnte? Darauf habe er geantwortet: “Meine Herren, wenn Sie morgen mit der Bahn heimfahren wollen, dann schlagen Sie das Kursbuch auf. Darin steht Ihr Zug, der zu einer bestimmten Zeit abfährt. Was machen Sie nun? Prüfen Sie nach, ob das einen historischen Kern hat? Fragen Sie nach, ob das literarische Zusätze eines Bahninspektors enthält? Fragen Sie nach, ob das für alle Zeiten so gilt? Gewiss nicht, meine junge Herren. Sie gehen doch zum Bahnhof. Sie finden Ihren Zug. Sie kommen ans Ziel. So mache ich es mit meiner Bibel. Ich nehme ihre Anweisungen und Verheißungen ernst und merke: So geht es. So kann man fahren. So kommt man ans Ziel.”

Hudson Taylor ist mit diesem wahren, werten und wichtigen Bibelwort nicht schlecht gefahren. Ob wir es nicht alle auch wieder Gott beim Wort nehmen sollten?

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]