Einführung: Die neue Zeit und ihr Charakter
Alter Glaube in neuer Zeit ist das Thema. Die Frage ist, was die neue Zeit kennzeichnet.
Lassen Sie mich das an der Geschichte der Weltausstellungen deutlich machen. Da ich ständig über solche Themen nachdenke, liegt mir das besonders am Herzen. Ich hoffe, Sie werden bald auch mehr über Weltausstellungen nachdenken.
Die Geschichte der Weltausstellungen verdeutlicht einiges. Die erste Weltausstellung fand 1851 in London im Crystal Palace statt. Als Prinz Albert diese Ausstellung eröffnete, sprach er davon, dass unser Glaube die Menschheit vereinen und den Weltfrieden schaffen würde. Dabei dachte er nicht an den christlichen Glauben, sondern an den Glauben an den Fortschritt durch Wissenschaft und Technik. Dieser Glaube sollte die Menschheit einen und den Weltfrieden ermöglichen.
Seitdem sind die Weltausstellungen über fast 150 Jahre hinweg die großen Feste des modernen Menschen gewesen. Dort hat er seine Fortschritte gefeiert und sich selbst als Baumeister der Welt gesehen.
Die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover ist die erste, die ein anderes Klima widerspiegelt. Es liegt ein Ton von Besorgnis in der Luft. Das Thema der Ausstellung lautete „Mensch, Natur, Technik“. Dieses Thema signalisiert Besorgnis, wenn nicht sogar eine offene Krise.
Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt haben uns unermessliche Hilfe und Erleichterung gebracht. Verkehrstechnik und Kommunikationstechnik brauche ich nicht näher zu erläutern, denn davon leben wir alle. Das ist sehr, sehr wichtig.
Allerdings nehmen wir immer mehr die unbeabsichtigten negativen Nebenwirkungen wahr, die uns zu schaffen machen. Deshalb ist plötzlich das Thema aufgetaucht, dass Fortschritt in der Technik nicht allein das Ziel sein kann. Es stellt sich die Frage, wie sich dieser Fortschritt zu den Menschen und zur Natur verhält.
Herausforderungen der Postmoderne für den Glauben
Diese Thematik, die um die Jahrtausendwende aufkommt, fordert uns Christen heraus, den Klartext der biblischen Botschaft im Kontext der drängenden Fragen zu vermitteln. Wenn wir das tun, müssen wir uns ein zweites Kennzeichen unserer Zeit vor Augen führen.
Unsere Zeit wird als die Postmoderne bezeichnet. Man klebt ja oft solche Labels darauf, und man kann darüber streiten, ob das sinnvoll ist oder nicht. Über dieses Thema ließen sich wiederum Bücher schreiben, was das Verlagswesen ankurbelt und die Bibliotheken füllt. Aber gehen wir darauf ein.
Postmoderne ist die Bezeichnung für unsere heutige Epoche. Was bedeutet das? Die Moderne war seit der philosophischen Aufklärung dadurch geprägt, dass man die Wahrheit nicht mehr als von oben verordnet, allen verbindlich vorgegeben und allgemein gültig verstand. Um die Wahrheit wurde gestritten, aber dieser Streit geschah unter der Voraussetzung, dass es grundsätzlich eine allgemeingültige Wahrheit geben müsse. Es lohnte sich also, um die Wahrheitsfrage zu streiten.
Wie ist die Wahrheitsfrage in der Postmoderne? Der Unterschied zwischen Moderne und Postmoderne liegt in vielerlei Hinsicht, aber das ist wohl der Kern: In der Postmoderne gibt es nicht mehr diesen gemeinsamen Horizont der Fragestellung, dass es sich lohnt, die Wahrheitsfrage zu stellen, dass es eine Antwort geben müsse und dass es sich deshalb lohnt, darum zu streiten und zu kämpfen, wer sie hat und wer sie erkennt.
Die Individualisierung und Pluralisierung unserer Gesellschaft hat dazu geführt, dass nur noch private und subjektive Wahrheiten anerkannt werden, die nebeneinander gültig sind. Wer eine für alle absolut gültige Wahrheit verkündet, gilt als Fundamentalist und wird sofort verdächtigt, seinen intoleranten Standpunkt womöglich auch mit Gewalt anderen aufzwingen zu wollen.
Wir begegnen also einer widersprüchlichen Situation, die die Gegenwart bereits bestimmt und die vor uns liegende Zeit prägen wird. Einerseits treffen wir auf offene Menschen, die mit erstaunlicher Ehrlichkeit elementare Fragen stellen. Andererseits begegnen wir einem Klima der Verschlossenheit gegenüber dem absoluten Angebot und Anspruch des Evangeliums von Jesus Christus.
Diese scheinbare oder tatsächliche Widersprüchlichkeit von Offenheit und Verschlossenheit bestimmt die Situation. Wie begegnen wir ihr?
Die Beziehungsfrage als Kernproblem der Gegenwart
Der erste Zugang, den ich versuchen möchte, ist die Beziehungsfrage, die ich als Kernfrage sehe. Ich glaube, es gab noch nie in der Geschichte ein so starkes gemeinsames Bewusstsein wie heute, dass Beziehungen das Wesen des Menschen ausmachen.
Weil die lebenswichtigen Beziehungen nicht gelingen, durchleben Menschen heute schmerzhafte Krisen. Und gerade weil sie diese Krisen durchleben, erkennen sie, dass diese Beziehungen eigentlich grundlegend und lebenswichtig sind.
Beziehungen konstituieren unser Leben in vier Dimensionen, und in allen vier Dimensionen erleben wir heute dramatische Krisen.
Die erste Dimension ist die Identitätskrise. Sie dreht sich um die Frage: Wer bin ich eigentlich? Die Identitätskrise macht deutlich, dass der Mensch notwendigerweise eine Beziehung zu sich selbst hat. Wir sind damit alle vertraut. Ich werde das nicht weiter vertiefen, aber ob ich mich annehmen kann oder mich ablehne und wie ich zu mir stehe, ist grundentscheidend für unser Leben. Es geht also um die Beziehung zu uns selbst.
Die zweite Beziehungsebene ist die Beziehung zu anderen Menschen. In unserem Zeitalter des Individualismus sind diese Beziehungen nicht mehr durch feste Sozialbezüge automatisch vorgegeben. Jeder Einzelne muss sie neu gewinnen und neu gestalten. Man läuft nicht mehr auf Gleisen automatisch in bestimmten Strukturen.
Die Sehnsucht nach gelingenden Vertrauens- und Liebesbeziehungen ist heute so groß wie nie zuvor. Das ist kein Widerspruch zum herrschenden Individualismus, sondern seine konsequente logische Kehrseite. Weil wir in einer Zeit des Individualismus leben, ist die Sehnsucht nach gelingenden Vertrauensbeziehungen so groß.
In Zeiten, in denen Sozialkontrolle und vorgegebene Strukturen unser Leben bestimmten, brauchte ich die Sehnsucht nach Gemeinschaft nicht zu äußern, weil ich sie in einer Form der Geborgenheit selbstverständlich erfuhr. Insofern erleben wir in zunehmender Individualisierung eine verstärkte Steigerung der Sehnsucht nach gelingenden Vertrauensbeziehungen – und natürlich auch die Erfahrung, dass diese Beziehungen nicht gelingen. Daraus entsteht die Krise dieser Vertrauensbeziehungen.
Die dritte Dimension betrifft die ökologische Krise. Seit Anfang der siebziger Jahre ist ein breites Bewusstsein für ökologische Probleme gewachsen. Der Raubbau an den natürlichen Ressourcen ist zum Überlebensproblem geworden. Die ökologische Krise löste eine Suche nach alternativen Umgangsformen mit der Natur aus.
Wir leben also in Beziehungen zu mir selbst, zu anderen Menschen und zur Natur – entweder gelingend oder misslingend.
Es besteht heute ein breiter Konsens, wie selten zuvor in der Geschichte, darüber, dass die Gestaltung dieser drei Beziehungen über das Gelingen des Lebens entscheidet.
Es herrscht auch Übereinstimmung in einer vierten Erkenntnis: Diese Beziehungen zu mir selbst, zu anderen Menschen und zur Natur stehen in unauflöslicher Wechselbeziehung, also in Interdependenz, zueinander.
Probleme auf einer Beziehungsebene, etwa der zu mir selbst – zum Beispiel, wenn ich mich selbst nicht leiden kann – wirken sich auf die anderen Beziehungsebenen aus. Ich fange an zu trinken, weil der Umgang mit den Materialien schwierig wird, und entsprechend wird mein Verhältnis zu anderen Menschen beeinflusst.
Diese Wechselwirkung ist interdependent und wechselseitig.
Kein Wunder, dass in einer solchen Situation der Begriff Ganzheitlichkeit zu einem Schlüsselwort wird. Man spürt, wie hier alles miteinander zusammenhängt.
Oft wurde versucht, die Probleme nur auf einer Ebene zu lösen, doch man merkt: Es geht nicht. Alles schlägt sich aufeinander durch.
Die Gottesbeziehung als entscheidende Dimension
Der kritische Punkt im Dialog mit den Zeitgenossen ist der fünfte Punkt: die Frage nach der vierten Beziehung, nämlich der Gottesbeziehung.
Ist die Gottesbeziehung eine eigenständige Beziehung, die allen anderen Beziehungen grundlegend vorausgeht? Oder ist die Gottesbeziehung nur eine Projektion oder Illusion? Wenn Letzteres zutrifft, also wenn sie nur eine Einbildung der Menschen ist – sei es der Einzelnen oder der menschlichen Gemeinschaft –, dann ist die Gottesbeziehung natürlich nicht eigenständig. In diesem Fall ist sie auch nicht grundlegend, sondern lediglich ein Teil der Beziehung, die der Mensch zu sich selbst und zu anderen Menschen hat.
Dieses Beziehungsgeflecht entscheidet jedoch über unser Leben. Menschen spüren dies heute in einer Weise, wie es wahrscheinlich noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit bewusst war. Das liegt daran, dass diese Zusammenhänge in den Krisen unserer Zeit so schmerzhaft erfahren werden. Philosophisch sind diese Zusammenhänge zwar schon früher gedacht worden, doch heute werden sie in einer bisher nie dagewesenen Breite wahrgenommen.
Das Aufregende für mich ist, dass dieses Beziehungsproblem als Kernproblem unserer Welt das zentrale Thema der Bibel von der ersten bis zur letzten Seite ist. Alles, was in der Bibel berichtet wird, sind Beziehungsaussagen.
Die Erschaffung der Welt konstituiert eine Beziehung zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung. Die Erschaffung der Menschen begründet die Beziehung des Menschen zu Gott, zur Natur – also zur Mitschöpfung – und zu den anderen Menschen.
Der Sündenfall ist ein Beziehungsgeschehen, nämlich das Zerbrechen und die Beeinträchtigung der Beziehung zu Gott und in der Folge der Beziehungen zu Mitmenschen und zur Natur.
Die Geschichte der Bibel ist eine Geschichte der Bundesschlüsse, also der Beziehungen: der Noah-Bund, der Abraham-Bund, der Sinai-Bund, der David-Bund und der Neue Bund in Jesus Christus.
Die Auferstehung der Toten ist ein Beziehungsgeschehen des schöpferischen Wortes Gottes an den Toten hin zum Leben. Das Weltgericht ist ein Beziehungsgeschehen, bei dem Verantwortung vergeben wird. Die Schöpfung des neuen Himmels und der neuen Erde ist ebenfalls ein Beziehungsgeschehen.
Im wörtlichsten Sinne hat die Bibel von der ersten bis zur letzten Seite nur ein einziges Thema: Beziehungsgeschehen.
Der zentrale Begriff der Lösung, die Gott in der Bibel anbietet, heißt Schalom – Friede, also versöhnte Beziehung. Friede ist ein Beziehungsbegriff, im Gegensatz zu Streit, Krieg und zerbrochener Beziehung. Es geht dabei weniger um eine Stimmung, sondern um geheilte, versöhnte Beziehung.
Im Zentrum dieser Beziehungsgeschichte steht der gekreuzigte und auferstandene Jesus als der Mittler zwischen Gott und Mensch, der Versöhner des Kosmos, wie es im Kolosser 1 beschrieben wird.
Die Relevanz der biblischen Botschaft für die Gegenwart
Wenn wir also vom zentralen Anliegen der Bibel sprechen, behandeln wir zugleich die brennend aktuellen Themen unserer Zeit. Wir sind unmittelbar an den Überlebensfragen dran, die heute den Menschen so bewusst sind wie kaum einer Generation zuvor.
Wir können unserer heutigen Welt als Christen keinen größeren Gefallen tun, als ganz treu bei unserer Kernkompetenz, bei der Kernbotschaft von der Versöhnung der Welt durch Jesus Christus, zu bleiben oder endlich wieder dahin zurückzukehren. Das ist die erste Perspektive, die ich sehe, wenn ich die alte Botschaft des Evangeliums in Beziehung setze zu dem, was in der Moderne auf uns zukommt. Die Beziehungsfrage ist die Schneise, der Kernzugang.
Ein Zweites möchte ich hier noch sagen: Ich möchte im Augenblick über die Bedeutung der Natur für die Gottesfrage nachdenken, weil ich glaube, dass uns das in der Zukunft in der Auseinandersetzung und im Gespräch mit unserer Zeit weiter beschäftigen muss.
Wenn die Beziehungsprobleme, wie ich gesagt habe, so brennend sind, warum wird dann die christliche Antwort in unserer Zeit nicht bereitwilliger angenommen? Man könnte jedoch denken: Wenn das so zueinander passt, wenn das Schmerzbewusstsein und das Problembewusstsein so stark sind und die Antwort der Bibel so treffend ist, warum wird dann Nachfrage und Angebot nicht besser zueinander gebracht?
Eine Antwort habe ich schon gegeben: Der Anspruch absoluter Gültigkeit der Botschaft des Evangeliums schmeckt den Zeitgenossen nicht. Das passt nicht in den postmodernen Kontext. Da liegt ein Problem in diesem Dialog.
Aber es gibt noch einen anderen Grund. Die Menschen heute stellen ja nicht nur Fragen, sondern sie formulieren auch Antworten. Eine Antwort argumentiert folgendermaßen: Der Mensch hat in Selbstherrlichkeit Rohbau an der Erde, in der Natur getrieben. Er betrachtet die Erde selbstherrlich als sein Materiallager, das er ausschlachten kann, wie er will.
Das Problem liegt also in der Arroganz des Menschen und der daraus folgenden Geringschätzung der Natur. Wie können wir eine Lösung des Problems finden? Indem wir die Geschichte umgewichten, die Natur aufwerten, sie vergöttlichen. Das geschieht in der Hoffnung, dass die Ehrfurcht, die man dann der Natur, etwa der Muttergöttin Erde, entgegenbringt, dazu führt, dass die Menschen schonender mit der Natur umgehen.
Die Logik ist stimmig: Sie soll nicht einfach nur als Materiallager verbraucht werden, sondern als Gottheit verehrt, um ihr in Ehrfurcht schonender zu begegnen. So soll der Mensch vom Thron seiner Arroganz heruntergenommen und in die Schöpfung integriert werden, statt weiterhin von seiner Vorrangstellung zu sprechen.
Das ist der Grund, warum heute pantheistische Weltanschauungen und Naturreligionen bevorzugt werden. Sie versprechen, diesen Zugang zu erleichtern und damit die Chancen des Überlebens zu vergrößern.
Aus biblischer Sicht ist das jedoch eine Form des Götzendienstes. Die Bibel hat ja unappetitliche Ausdrücke dafür: Die eine Form des Götzendienstes ist die Vergötzung des Menschen, der sich selbst für Gott hält. Nun wird diese Form des Götzendienstes durch eine andere ersetzt, nämlich die Vergötzung der Natur.
Paulus schreibt im Römerbrief Kapitel 1: "Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit dem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere. Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrtem Sinn, sodass sie tun, was nicht recht ist."
Die Gottesfrage ist also so oder so unsere Schicksalsfrage in unserer Zeit. Gott hat sich in Jesus Christus geoffenbart. Dadurch beantwortet er nicht nur unser Suchen und Fragen, sondern stellt auch unsere eigenmächtigen, selbstgewählten Antworten in Frage.
Die Herausforderung der Kundenorientierung und die Botschaft des Evangeliums
Wir kommen in dieser Botschaft nun in eine Zeit der postmodernen Kundenorientierung. Natürlich, der Kunde ist König. Was bedeutet das für diese Fragestellung? Er bewertet alles nach dem Nutzen, den es für ihn hat. Auch Gott wird so beurteilt: Was nützt er mir? Wir stellen die Frage, Gott muss die Antwort bieten. Wir setzen den Rahmen, Gott muss hineinpassen.
Religion soll trösten und bestätigen. Der selbstherrliche Mensch erträgt keine Kritik. Religion nach der feuerwachen Projektionstheorie oder der freudschen Illusionstheorie passt sich diesen Erfordernissen stromlinienförmig an und hat deshalb heute einen riesigen Markt. Sie ist aber auch überflüssig, weil sie das Elend der Menschen nicht heilt, sondern nur verschleiert. Sie ist, wie Karl Marx zutreffend diagnostiziert hat, Opiumreligion. Sie betäubt, und Drogen sind in unserer Gesellschaft offensichtlich für viele das letzte Mittel, das sie finden.
Die Botschaft vom sich offenbarenden Gott, dem Schöpfer und Herrn der Welt, ist von Anfang an religionskritisch. Gerade weil Gott in seiner Offenbarung auf die Grundfragen des Menschen rettend antwortet. Wir befinden uns auf dem Marktplatz der Welt, wie Paulus auf dem Marktplatz und der Agora von Athen. Im Supermarkt des Gleichgültigen bringt Paulus die Botschaft mit letzter Gültigkeit.
Gott ruft alle Menschen durch Jesus zur Umkehr und bietet Glauben an. Die Reaktion war damals dreifach, so wie sie heute dreifach ist: Die einen spotten über den Unsinn, die anderen zeigen Interesse und verschieben eine intensivere Beschäftigung mit diesem Angebot unverbindlich auf später, die Dritten glauben an Jesus und folgen ihm nach. Nachzulesen in Apostelgeschichte 17.
Hoffnung in einer schwierigen Zeit
Unsere Zeit stellt eine weitere drängende Frage: Gibt es begründete Hoffnung auf eine bessere Zukunft?
In den Siebzigerjahren schrieb Erhard Eppler in einem seiner Bücher: „Wo Hoffnung rar wird, breitet sich Gewalt aus.“ Dreißig Jahre später ist die Hoffnungslosigkeit – und damit das Gewaltproblem – zu einem gesellschaftlichen Zentralproblem geworden. Wer erfolgreich sein will, setzt Optimismus dagegen. Die Kraft des positiven Denkens ist zum Rezept für Heilung und Erfolg geworden. Entsprechende Literatur verkauft sich gut. Natürlich kann niemand die großen Probleme, die uns zu schaffen machen, einfach leugnen. Aber man findet, dass der Mensch im Kern gut sei und die Welt deshalb alle positiven Möglichkeiten in sich trage. Man muss nur verstehen, wie man die positiven Kräfte freisetzt und wirksam macht. Die Ingenieure, die in der Lage sind, die kosmischen Energieströme zu erschließen und zu kanalisieren, sind die gesuchten Lehrer und Heiler unserer Zeit.
Was kann als Alternative dagegen gesetzt werden? Bleibt nur der Pessimismus als die andere Option? Nach dem alten Schlager „Die Welt ist kaputt, wo bleibt denn da die Müllabfuhr?“ bleibt die Alternative die illusionslose Hoffnung, die die Bibel anbietet – illusionslose Hoffnung.
Illusionslos deshalb, weil der Schaden des Menschen und der Welt in der Bibel radikal diagnostiziert wird. Die Grundbeziehung zu Gott ist zerstört. Der Schaden ist nicht nur peripher, sondern er betrifft den Kern. Der Mensch ist unfähig, dieses Problem selbst zu lösen. Gott allein schafft durch Jesus die Heilung der Grundbeziehung.
Trotz dieser radikalen Kritik am Menschen wird er in der Bibel nicht missachtet oder verachtet. Im Gegenteil: Gott hält in Liebe an seinem rebellischen, verlorenen Geschöpf fest. Der Mensch ist Gott das größte Opfer wert. Damit ist auch der mieseste Menschentyp noch vom Strahlenkranz der suchenden und liebenden, rettenden Liebe Gottes umgeben. Er bleibt Ebenbild Gottes, auch wenn er entstellt ist.
Gott will, dass allen Menschen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Wir dürfen jeden Menschen und die ganze Welt voll Hoffnung ansehen, weil Gott sie in Gericht und Gnade nicht aufgegeben hat. Mehr noch: Gott hat die Versöhnung durch das Sterben und die Auferweckung Jesu Christi geschaffen. Die Auferweckung Jesu ist der grundsätzliche Durchbruch durch die Todesmauer.
Jesus hat deshalb gesagt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Das heißt, alles, was wir nach seinem Wort tun, trägt den Akzent der Ewigkeit. Mit den Worten von Jesus haben wir in aller Vergänglichkeit und Wandelbarkeit den roten Faden, der uns garantiert in Gottes ewige, unzerstörbare Zukunft führt.
Begründet mit der Auferweckung Jesu Christi kann Paulus deshalb ermutigend am Ende des fünfzehnten Kapitels des ersten Korintherbriefes schreiben: „Darum seid fest, unerschütterlich, nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn“ (1. Korinther 15,58).
Es gibt Größeres, als das erfassen zu können: Über den kleinen Puzzlestück unseres Alltags das Bruchstückhafte zu leben und zu sagen: „Not in vain“ – nicht vergeblich – in dem Herrn. Das ist die Hoffnung, die Arme und Beine macht. Sie befähigt zu den nötigen kleinen Schritten auf dem Weg zum großen Ziel. Sie hilft, die dicken Bretter zu bohren. Sie gibt die Elastizität, um Belastungen abzufedern.
Man muss die Welt also nicht schönreden, um Hoffnung haben zu können. Man muss die Hässlichkeiten nicht schön schminken, um sich für die Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse einzusetzen. Man muss die Hindernisse nicht kleinträumen, um die eigenen Kräfte als ausreichend zu empfinden.
Wir dürfen aus der Nüchternheit des Kreuzes und der Dynamik der Auferstehung leben und arbeiten. Und wir dürfen unsere Zeitgenossen einladen, sich dieser Hoffnungsquelle anzuschließen.
Einladung zur Zukunft mit Hoffnung
Darum sagen wir: Willkommen in der Zukunft! Mit diesem Motto gehen wir auf die Weltausstellung und werden dort den Jugendpavillon, den Pavillon der Hoffnung, präsentieren. Er ist in der Gestalt eines Fisches gestaltet, der an Jona erinnert und an das Geheimzeichen der Fische – ein Symbol für Lebendigkeit und Freiheit. Welcome to the future!
Nach der Maßgabe des Petrus erwarten wir dort Tausende von jungen Leuten als Zeugen für diese Hoffnung: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.“ Darum sagen wir: Welcome to the future – willkommen in der Zukunft, die Gott uns eröffnet.
Wir müssen mit der Botschaft von Jesus Christus in die Öffentlichkeit gehen, weil Jesus nicht eine subjektive Meinung oder ein privates Maskottchen ist, sondern der Herr der Welt. Andererseits lässt sich das Evangelium in der postmodernen Glaubwürdigkeitskultur nur über persönliche Beziehungen vermitteln. Das entspricht nicht nur der postmodernen Gesellschaft, sondern auch dem Evangelium, das die Liebe Gottes dem einzelnen Menschen anbietet.
Die Zeiten sind vorbei, in denen der christliche Glaube von Institutionen sozusagen amtlich verordnet werden konnte. Die Herausforderungen der neuen Zeit treffen uns nicht unvorbereitet. Die rettende Botschaft des Evangeliums wurde von Anfang an ganzheitlich kommuniziert – durch den Klartext des Wortes von Jesus Christus im Kontext gelebter Beziehung.
Paulus beschreibt seinen Dienst so: „Wir waren bereit, euch nicht allein am Evangelium Gottes teilzugeben, sondern auch an unserem Leben, denn wir hatten euch liebgewonnen.“ Wir haben eine begründete Hoffnung und das rettende Angebot des Evangeliums für unsere Welt. Darum können wir nicht schweigen, darum dürfen wir nicht schweigen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Gespräch und Reflexion über die Aktualität der Bibel
Herr Präsident, sehr herzlichen Dank, Herr Farzani, für die vielen Impulse und Eindrücke. Ich denke, es werden gleich noch einige Fragen kommen. Manchmal ist es aber auch ganz gut, erst einmal etwas sacken zu lassen. Bei Musik gelingt das noch besser.
Ich weiß zwar nicht, wie viele Muskeln man dabei bewegt, aber wenn man es im Stehen tut, geht es noch ein bisschen besser. Herr Nitsch, Sie werden uns sagen, welches Lied es ist. Sie können auch ans Mikrofon gehen, dann können wir Sie besser hören.
In der Postmoderne stellt sich, weil etwas geschaffen wird, im Angesicht der personifizierten Wahrheit die Frage: Was ist Wahrheit? Ist das ein Zyklus, oder ist das jetzt doch neu? Oder war es vielleicht doch schon da? Das war eine Frage aus der Antike an die Neuzeit.
Wollen Sie gleich antworten? Wie Sie möchten.
Ich finde es besonders spannend, dass die Zeit des Neuen Testamentes im Römischen Reich sehr viele Ähnlichkeiten mit dem ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert aufweist. Was heute das New Age ist, war damals die Gnosis. Im Römischen Reich herrschte in Bezug auf Religionen und Lebenshilfeangebote eine ganz ähnliche, vielleicht sogar noch größere Bandbreite als im westeuropäischen Raum der Moderne.
Die östlichen Religionen und die Mysterienkulte – also vieles war ähnlich wie im New Age, der esoterischen Wiener Esoterik. Insofern waren die Menschen und die führenden Köpfe der damaligen Zeit durchaus in Anführungsstrichen postmodern geprägt.
Wenn man klassisch ist und Paulus in Athen liest oder den Kolosserbrief, dann hat man den Eindruck, dass wir einen absoluten Kommentar zur inneren Problematik der Gegenwart vor uns haben. Das ist so.
Die existenziellen Fragen aller Zeiten gleichen sich. Die Antworten setzen manchmal verschiedene Akzente, nicht wahr?
Ja, ich bin immer gespannt. Ich weiß, ich habe nicht im Mittelalter oder in der Renaissance gelebt und kann nicht sagen, wie die Menschen das empfunden haben. Aber ich finde es eben sehr spannend.
Es ist natürlich auch das Geheimnis der Bibel, dass Gott selbst sie aktualisiert und dass man nichts anderes erlebt.
Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann, der vom atheistischen Monisten zum Christen wurde, hat auch die Frage gestellt, warum er überhaupt zur Bibel steht. Er sagte, sie habe ihm die Augen geöffnet. Das realistische Welt- und Menschenbild, das er darin gefunden habe, habe ihm überhaupt erst ermöglicht, mit dieser Welt zu leben.
Also dieses Geheimnis der Bibel besteht darin, dass sie die Diagnose so entlarvend klarstellt, uns also wirklich die Schuhe auszieht. Zugleich ist sie nicht resigniert oder menschenverachtend, sondern zeigt uns Hoffnungswege und Lösungswege.
Bei der Weltausstellung heißt das Lösungsansätze für das neue Jahrtausend. Ja, das ist es, was die Bibel bietet.
Fragen und Antworten zur Postmoderne und Wahrheit
Gibt es noch weitere Fragen an unseren Referenten? Ja, da hinten. Ich sehe es zwar gerade nicht, ach ja.
Darauf gibt es keine Patentantwort. Dieses Ärgernis kann ich nicht wegnehmen. Logisch kann man es sehr leicht aushebeln, denn die Postmoderne ist ja inkonsequent. Der Satz, dass alles relativ ist, funktioniert ja nicht, weil man ja auch dann diesen Satz, dass alles relativ ist, als relativ ansehen müsste. Das hieße ja, dass nicht alles relativ ist.
Der Satz, dass alles angeblich relativ ist und deshalb es keine allgemeine Wahrheit gibt, gilt also nur so lange, wie man diesen Satz von dieser Regel ausnimmt. Deshalb ist es konsequent, dass diese angeblich so tolerante Zeit total intolerant wird, indem einer anfängt, ihren Grundsatz zu bestreiten. Wenn einer nicht mehr stillschweigend mitspielt bei diesem Spielchen, hört der Spaß auf.
Das wäre wahnsinnig. Warum haben Leute es eigentlich nötig, von einer Sachauseinandersetzung plötzlich in so eine Keulenauseinandersetzung zu gehen und Leute, mit denen sie nicht mehr leicht umgehen können, dann als Ayatollahs zu beschimpfen? Das ist die Hilflosigkeit, weil die Logik am Ende ist. Das ist nicht zu ersparen.
Ich sage nicht, ich sage nicht, es gibt Lebensstilfragen. Also Beziehung leben ist kein Trick, um die Wahrheitsfrage bekömmlicher zu machen. Sie bleibt querliegen. Man kann vielleicht den Zeitgenossen noch deutlich machen, dass sie vielleicht im Kopf, in ihren Gedanken so einen postmodernen Relativismus haben, aber dass der überhaupt nicht zu leben ist.
Denn jeder – also man sagt ja nicht, es ist alles egal, das ist eine klare, durchsichtige Flüssigkeit – und das ist doch alles gleichgültig, ob das nun Quellwasser ist oder ob da E 605 drin ist. Das ist natürlich nicht gleichgültig. Das eine ist tödlich und das andere nicht.
Das heißt, kein Mensch lebt auch nur einen einzigen Tag in seinem Leben mit dieser Philosophie, sondern wir leben immer mit absoluten Entscheidungen und Wahrheiten. Es geht gar nicht anders. Es ist nicht alles gleichgültig, und es ist nicht alles gleichmöglich. Es müssen Entscheidungen getroffen werden. Ohne das kann keiner leben. Der Rest ist Luxus.
Die Postmoderne mit dieser Unverbindlichkeitsideologie ist eine typische Philosophie des Luxus. Sobald die Elemente erst das Fressen und dann die Moral kommen, wenn es nichts mehr zu fressen gibt, leistet sich keiner mehr diese Gedankenspielchen.
Um es mal ganz hart zu sagen: Wenn es an die elementaren Lebensfragen geht, muss jeder Wahrheitsfragen entscheiden. Und dann kommt heraus, wer mein Gott ist, wem ich gehorche und was meine letzten Prinzipien sind. Jeder hat sie, und jeder hat sie, wenn er sich nur an der Habgier orientiert.
Darauf müssen wir kommen. Das ist aber nicht auf der Denkebene, sondern auf der Existenzebene. Deshalb ist dann die Beziehungsebene wieder wichtig, weil das die Ebene ist, wo man ehrlich miteinander ist, wo auch wir uns in die Karten schauen lassen.
Das Problem ist ja, dass heute ganz viele ihr Christentum auch nur im Schaufenster der Unverbindlichkeit spüren. Und wenn sie sich in die Karten schauen lassen, merken die anderen, dass auch nicht so viel im Keller ist unter der Theke, wie sie es ins Schaufenster gestellt haben.
Das waren sehr deutliche Worte, vielen Dank.
Sie haben eine Meldung? Ich wiederhole es nochmal, damit es alle hören können: Was heißt, die Bibel ist aktualisiert? Es ist doch so eine alte Schrift. Habe ich das gesagt? Ich sagte, sie ist aktuell. Sie ist aktuell. Das ist wahr.
Aktuell ist eigentlich doch nur das, was heute geschieht. Lange – ich will ja, das ist ja hier ein Führungskräfte- und Unternehmerkongress und so, deshalb langweile ich Sie nicht mit abgestandener Theologie – aber seit 250 Jahren haben die Philosophen und Theologen sich darüber gequält, wie man denn diese alte Geschichte über den garstigen Graben, die alte Botschaft über den garstigen Graben der Geschichte kriegt, wie Lessing das gesagt hat, und dann aktualisiert.
Meine Erkenntnis in der Sache ist: Das geht nicht. Wenn wir es über den Graben der Geschichte aktualisieren müssen, ist alles vorbei. Aus dem alten Hut den neu aufzupolieren, das ist höchstens eine Nostalgiemasche und für Historiker interessant.
Das Geheimnis der Bibel ist, dass Christus auferstanden ist. In Lukas 24 in der Ostergeschichte heißt es, dass Jesus seinen Jüngern, den Verzweifelten, Enttäuschten die Schrift öffnete.
Das Geheimnis der Bibel ist, dass ein Mensch in ein Hotel geht und nach der Bibel greift und sie anfängt zu lesen und plötzlich entdeckt, dass sie zu ihm spricht und zu seinen Lebensfragen. Und das ist, weil Jesus auferstanden ist und lebt und dieses Wort selber aktuell macht, weil er jetzt da ist und jetzt handelt und sagt: Jetzt kannst du zu mir reden.
Das ist unsere Chance, die wir haben. Deshalb brauchen wir überhaupt nicht uns zu verteidigen. Deshalb stehen wir überhaupt nicht mit dem Rücken zur Wand, und ich hasse das Wörtchen „noch“, wenn die Leute sagen: Wie viele Leute kommen noch und was kann man noch mit dem Evangelium?
Jesus kommt von vorne und er wird das letzte Wort der Weltgeschichte sprechen. Wenn all die Großmäuler von heute kein Wort mehr zu sagen haben, wird er das letzte Wort sprechen und alle Knie werden sich vor ihm beugen.
Wir haben nicht einen alten Hut von anno Tobak aufzumöbeln, um ihm den modernen Menschen nochmal schmackhaft zu machen und zu verkaufen, sondern wir weisen darauf hin, dass er der kommende Herr ist. Wer zukunftsorientiert leben will, soll den roten Faden seines Wortes aufnehmen. Er hat das einzige, was bleibt.
Vielen Dank, Herr Barzani.
Schlusswort und Symbol der Hoffnung
Sie haben Ihren Vortrag vorhin mit der Folie „Welcome to the future“ abgeschlossen.
Und wenn ich jetzt hier ein Geschenk hätte, was ich leider nicht habe – ich kann es Ihnen nur symbolisch überreichen –, würde ich Ihnen ein Apfelbäumchen schenken. Sie wissen genau, warum: Luther hat gesagt: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Herzlichen Dank!