Der Hahn
Nach den vielen Fragen, die Ihr blendend beantwortet habt, liebe Konfirmanden, nun noch eine hopfenleichte Frage an Euch alle: Warum grüßt ein Hahn vom Dächlein unseres Glockenturms? Warum bildet ein Hahn die Spitze unseres Rundturmes? Warum ein Hahn auf dem Kirchturm? Wenn es wenigstens ein Adler wäre, der König der Lüfte. Wie der seine Schwingen ausbreitet, wie der seine Flugbahn zieht, wie der in die Höhe steigt, einfach fantastisch. Ein Adler würde uns gut anstehen, aber warum ein Hahn auf dem Kirchturm? Wenn es wenigstens ein Löwe wäre, der König der Wildbahn. Wie der seine Mähne schüttelt, wie der seine Tatzen hebt, wie der seine Feinde schlägt, einfach majestätisch. Ein Löwe würde uns gut anstehen, aber warum ein Hahn auf dem Kirchturm? Wenn es wenigstens ein Elefant wäre, der König der Prärie. Wie der seinen Rüssel schwingt, wie der seine Zähne reckt, wie der seinen Weg bahnt, einfach absolutistisch. Ein Elefant würde uns gut anstehen, aber warum ein Hahn, ausgerechnet ein Hahn, der König des Hühnerhofs: Wie der seinen Schnabel aufreißt, wie dem der Kamm schwillt, wie der in die Pfanne gehauen wird, ein Brathahn, ein Krähhahn, ein Gockelhahn, einfach tierisch. Warum ein Hahn auf dem Kirchturm? Liebe Freunde, das ist nicht tierisch, das ist biblisch. Er will, uns etwas sagen. Er will uns eine Geschichte erzählen. Er will uns eine Predigt halten, und zwar in drei Teilen.
1. Sei kein Streithahn, so wie Petrus im Garten. Dieser junge Mann wurde auch einmal konfirmiert. Natürlich war das kein so nobler Festtag wie der Eure, sondern ein ganz normaler Werktag. Die Konfirmationskirche war ein Bootsschuppen. Der Konfirmationsanzug bestand aus einem Fischerschurz. Das Konfirmationsessen roch nach Brathering. Und der Konfirmationsspruch hieß: "Folge mir nach". Aber den hat der Konfirmand ganz ernst genommen. Petrus sagte nicht: "Herr, ich muss zuerst das Feuer ausmachen, dann muss ich das Boot anmachen, dann ich muss ich das Familienband losmachen und dann muss ich mich langsam auf den Weg machen." Dieser junge Mann sagte: "Ich will mich bei dir festmachen." Das hat er kapiert, um was es an solch einem Tag geht. Konfirmation heißt auf deutsch festmachen. Ob Bootschuppen oder Stiftskirche, ob Fischerschurz oder Hosenanzug, ob Brathering oder Kalbsteak ist völlig egal, weil es nur auf den Konfirmationsspruch ankommt, und der ist derselbe geblieben: Petrus, Reinhard, Claus, Irmtraud, Andrea, folge mir nach. Sag doch nicht: "Herr, ich muss zuerst die Schule fertigmachen, dann muss ich eine Freundin anmachen, dann muss ich eine Fete losmachen, und dann muss ich mich langsam auf den Weg machen." Sag doch heute: "Ich will mich bei dir festmachen." Das ist Konfirmation. Dann ist Jesus dein Berater, der dir guten Rat gibt. Dann ist Jesus dein Begleiter, der dir den Weg durchs Leben zeigt. Dann ist Jesus dein Beschützer, der dich im Leben immer schützt, und den du nicht zu schützen brauchst. Genau das meinte Petrus im Garten Gethsemane. Als dort mitten in der Nacht das römisch-jüdische Sondereinsatzkommando anrückte, um Jesus zu schnappen, da schnappte dem Petrus das Schwert im Schaft auf. Mit puderrotem Gesicht hat er sich den Erstbesten geschnappt, ihm die Ohren langgezogen und ihn mit gezieltem Schlag einohrig gemacht. Aber Jesus pfiff diesen schnellen Haudegen zurück: "Steck dein Schwert weg! Hau nicht mehr zu! Sei kein Streithahn!" Wir müssen Jesus nicht beschützen, er beschützt uns. Wir müssen Jesus nicht verteidigen, er verteidigt uns. Wir müssen Jesus nicht retten, er rettet uns. Das ist das Große. Streithähne braucht er nicht.
2. Sei kein Wetterhahn, so wie Petrus im Hof. Dieser junge Mann war dem gefangenen Jesus gefolgt. Während alle andern Jünger die Fliege machten und sich seitwärts in die Büsche schlugen, klebte er sich an die Kommissstiefel der Soldaten und folgte ihnen auf dem Fuß. Nichts konnte ihn davon abhalten, mit seinem Herrn und Meister bis auf den Hof des Gerichtspalastes zu gehen. Ich bewundere diesen Jüngermut. Ich kenne viele, die gehen mit Jesus bis zur Taufe, dann ist Schluss. Ich kenne viele, die gehen mit Jesus bis zur Konfirmation, dann ist finit. Ich kenne viele, die gehen mit Jesus bis zur Trauung, dann gehen sie auf Tauchstation. Aber wir müssen mit Jesus weitergehen, bis zum Hof, zum Schulhof, zum Werkshof, zum Bahnhof, zum Schlosshof, ja bis zum Friedhof. Glaube ist keine Geheimsache oder Privatsache, sondern Hofsache. Petrus ging bis zum Gerichtshof, aber dort wurde es heiß. Es wird immer heiß, wenn man mit Jesus geht. Feuer brennt im Hof und im Gewissen. Eine Magd sieht ihn von der Seite an und sagt: "Du bist doch auch ein Amigo dieses Jesus." Und Petrus lügt: "Ich weiß nicht, was du faselst." Dann mustert ihn eine Marketenderin und sagt: "Du zählst doch auch zu den Friends von Jesus." Und Petrus schwört: "Ich kenne den Typ nicht." Dann frotzelt einer von der Wachmannschaft und sagt: "Du schwätzt doch auch galiläisch wie dieser Jesus." Und Petrus flucht: "Herr Gott nochmal, ich habe mit dem nichts am Hut." Und alsbald krähte der Hahn. Und Petrus dachte an das Wort, das Jesus ihm gesagt hatte: "Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen." So sind wir alle miteinander, liebe Freunde. Wenn’s brennt, dann verbrennen wir uns nicht die Zunge. Wenn’s heiß wird, dann bleiben wir ganz cool bei Lüge, Schwur oder Fluch. Wenn sich der Wind dreht, dann hängen wir unser Mäntelchen immer schön in den Wind. Der eine mag von Natur soft sein wie ein Daunenkissen, der andere mag von Natur hart sein wie ein Kieselstein, der dritte mag von Natur lieb sein wie ein Schoßhündchen, aber alle miteinander sind wir von Natur wetterwendisch so wie ein Wetterhahn. Deshalb riskieren wir auf dem Schulhof keine Lippe, aber einmal kräht der Hahn. Deshalb beißen wir uns auf dem Werkshof lieber die Zunge ab, aber einmal kräht der Hahn. Deshalb sind wir auf dem Schlosshof oder Bahnhof am liebsten ganz stumme Hunde, die allenfalls sagen: "Herr Gott nochmal, ich habe mit diesen Frommen nichts am Hut." Aber einmal kräht der Hahn. Wohl dem, der dann weiß, wohin er gehen muss. Petrus ging hinaus und weinte bitterlich, das heißt, Petrus ging aus seiner Schuld hinaus und bat: "Herr, sei mir Sünder gnädig." Es gibt keinen andern Weg, wenn wir am Boden sind. Denkt immer daran, wenn das Pflaster im Hof zu heiß geworden ist: Der Heimweg steht offen. Nie ist es zu spät. Der Wetterhahn muss nicht unser Schicksal sein.
3. Sei ein Turmhahn, so wie Petrus im Tempel. Dieser junge Mann wurde von Jesus nicht gefeuert. In der Regierung werden Lügner wegen Schubladen-Affären aus dem Verkehr gezogen. In der Partei werden Verräter wegen Stasi-Kontakten in die Wüste geschickt. In der Gemeinde Jesu bekommen Lügner und Verräter eine neue Chance. So großzügig und großartig ist unser Dienstherr, dass er mit Wendehälsen und Umfallern weitermacht. Ich stünde nicht hier, wenn dies nicht wahr wäre. Petrus wird in den Tempel geschickt und verkündigt dort am Pfingstmorgen vor Tausenden den neuen Tag, der mit der Auferstehung Jesu angebrochen ist. Der Wetterhahn ist zum Turmhahn geworden. Luther hatte schon recht, wenn er bemerkte: "Christen sind keine Eulen, die die Nacht lieben, sondern Hähne, die den Morgen ansagen." Und seit Jesus ist es in der Welt nicht 5 vor 12, sondern 5 vor 7. Seit Jesus schlägt in der Welt nicht das letzte Stündlein, sondern ein neuer Tag. Seit Jesus wird es in der Welt keine Götterdämmerung, sondern eine Morgendämmerung der neuen Welt geben. Der Morgen ist angesagt und deshalb braucht es Turmhähne, die dies Morgenevangelium hinausschreien: "Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber ist nahe herbeigekommen, an dem auch dem Blinden die Augen dafür aufgehen werden, dass Jesus der Herr aller Herren ist", denn: "Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden." Petrus sucht Nachfolger in diesem Dienst, deshalb sei kein Frosch, sei doch ein Hahn im Dienste Jesu.
Amen