Einführung: Die Bedeutung des Gebets und Gottes Führung
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen!
In der griechischen Mythologie gibt es die Erzählung von der Göttin Aurora. Ihr widerfuhr etwas höchst Problematisches: Sie verliebte sich in einen sterblichen Menschen, einen jungen Mann namens Thitonus. Zeus, der König der Götter, gewährte ihr nach der Sage einen Wunsch frei.
Worauf bat Aurora? Sie bat Zeus darum, dass Thitonus ewig leben möge. Zeus erfüllte ihr diesen Wunsch wortwörtlich. Doch das Ganze hatte einen Haken: Aurora hatte vergessen, darum zu bitten, dass Thitonus auch ewig jung bleiben solle. So wurde er alt und schrumpelig und war am Ende für Aurora nur noch eine Last.
Dieser Fall zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn man wortwörtlich bekommt, worum man bittet.
Wie viel besser haben wir es da als Christen! Wir dürfen und sollen unser Herz immer wieder ungefiltert vor Gott ausschütten. Dennoch trägt Gott selbst die letzte Verantwortung für die Erhöhung unserer Gebete. Er hat versprochen, unsere Bitten durch den Heiligen Geist so zu lenken, dass das, was am Ende daraus entsteht, wirklich zu unserem Besten dient. Gott gibt nur, was gut für uns ist.
Deshalb dürfen wir dem allmächtigen Gott unsere Bitten ganz unbeschwert vortragen. Wir dürfen zu Gott ungefiltert reden, wie Kinder mit ihrem Vater. Paulus sagt in Philipper 4,6: "Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten im Gebet mit Flehen und Danksagung vor Gott kundwerden."
Das ist ein großes Privileg. Ohne Schere im Kopf dürfen wir bieten. Alles dürfen wir unserem Vater im Himmel sagen. Spergen hat einmal gesagt: Wir können zu Gott mit allem kommen, was uns bewegt, sei es ein verstauchter Finger oder ein verlorener Schlüssel. Für einen Vater ist nichts klein, was sein Kind bewegt.
Das ist das eine. Zugleich sollen wir aber auch lernen, ganz gezielt zu beten. Das sagt uns die Bibel sehr deutlich. Einerseits dürfen wir unser Herz ausschütten, andererseits sollen wir von den Betern der Bibel lernen, gezielt zu beten. Das ist die andere Seite.
Heute Morgen in unserer Predigt soll es um diese zweite Form des Gebets gehen. Wir wollen das gezielte Gebet studieren. Das ist unser Thema heute: gezieltes Gebet.
Und wie könnten wir das besser tun, als bei den Betern der Bibel in die Schule zu gehen? Der Predigttext, die Fortsetzung unserer Predigtreihe, liegt Ihnen in Form von drei Versen auf Ihrem Gottesdienstzettel vor.
Paulus als Vorbild: Gebet für die Gemeinden
Dieser Predigttext bietet uns die große Gelegenheit, dem Apostel Paulus beim Beten zuzuhören. Wir können ihm gewissermaßen über die Schulter schauen, wie er betet. Hier schreibt er ein Gebet auf, das er für die Gemeinden in Asien gebetet hat. Es ist sein eigenes Gebet für diese Gemeinden, an die sich dieser Brief richtet.
Es ist, wie Sie sehen werden, ein ganz bewegendes Gebet. In der Bibel gibt es viele verschiedene Gebete von Paulus. Er betet für sich selbst, für bestimmte Situationen und Aufgaben und auch für Nichtchristen. Aber hier betet er ganz gezielt für die Gemeinden – ein gezieltes Gebet für Gemeinden.
Das ist der vollständige Titel heute Morgen, und das hat für uns einen doppelten Effekt, einen doppelten Nutzen. Zum einen können wir lernen, wie wir selbst für unsere Mitchristen beten sollen, wie wir für unsere Gemeinde beten sollen – hier zum Beispiel für unsere bekennende evangelische Gemeinde Hannover, für die Mitchristen in unserem Hauskreis, für andere Christen, die wir kennen, etwa auch für die bekennende Gemeinde Osnabrück, von der heute Besuch da ist. So können und sollen auch wir für andere Gemeinden und unsere eigene Gemeinde beten.
Das ist das eine, was wir aus diesem Text lernen können. Zum anderen haben wir noch einen zweiten Nutzen daraus: Wir erkennen, was wir brauchen, also was für uns selbst und für unser geistliches Leben wichtig ist. Wofür wir zu unseren Gunsten beten sollen und andere bitten können, dass sie sich auch in dieser Hinsicht an Gott wenden.
Wenn Paulus schon dafür betet, dann muss die Sache wirklich wichtig sein.
Paulus’ beständiges Gebet für die Gemeinden
Zunächst ist es interessant, dass Paulus überhaupt so viel für die Gemeinden betet. Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen, wenn Sie die Episteln von Paulus lesen? So sagt er auch hier in Vers 16: „Ich höre nicht auf, für euch zu danken und gedenke euer in meinem Gebet.“
„Ich höre nicht auf“, sagt er. Er betet immer wieder, ununterbrochen. Er hört nicht auf, für sie zu danken und sie im Gebet zu bedenken.
Der Grund dafür ist klar: Paulus hatte die Gemeinden in Kleinasien wahrscheinlich etwa vier Jahre nicht mehr gesehen. Trotzdem hielt er innerlich immer den Draht zu ihnen.
Das ist so ein Pulsschlag, den man an den Paulusbriefen spürt. Er hatte immer den inneren Kontakt zu seinen Leuten, der nie ganz abgerissen ist. Paulus konnte diese Verantwortung für die Gemeinden nie abschütteln.
Oft nahm Paulus große persönliche Risiken auf sich, auch für Leib und Leben, um die Gemeinden zu besuchen. Sein Herz brannte für diese Gemeinden, und das zeigte sich auch in seinem Gebet.
Da ist er wirklich vorbildlich für uns. So soll auch unser Herz brennen, sowohl für unsere eigene Gemeinde als auch für die Gemeinde Jesu Christi insgesamt. Es sollte uns ein Anliegen sein, wie es ihr und den Einzelnen darin geht.
Die Verantwortung im Gebet übernehmen
Die Aufgabe des Gebets hat er nicht einfach anderen überlassen. Obwohl er ein vielbeschäftigter Mann war, hätte er sagen können: „Ich muss schreiben, ich muss predigen und ich muss reisen. Das Beten können die Senioren in den Gemeinden übernehmen.“
Das hätte er sagen können, hat er aber nicht. Er sagte: „Ich höre nicht auf, das treibt mich um. Es gehört zu meinen ständigen Beschäftigungen, für euch zu beten.“
Von anderen Aposteln haben wir Ähnliches erfahren. Paulus wusste, wie gefährdet die Gemeinden waren. Er wusste, dass sie durch falsche Lehren gefährdet waren. Er wusste, dass sie durch theologische Irrtümer bedroht waren. Ebenso war ihnen äußerer Druck oft durch Verfolgung ausgesetzt.
Paulus wusste auch, dass die Gemeinden durch inneren Streit gefährdet waren: durch persönliche Eitelkeiten, Neid, Eifersucht, Kleinmut und beleidigte Leberwürste. Er wusste genau, was dort los war.
Und er wusste, dass gezieltes Gebet lebensnotwendig für die Gemeinde Jesu Christi ist.
Aufbau des Gebets: Dank und Fürbitte
Und die spannende Frage ist jetzt: Was hat er gebetet? Worauf hat sein Gebet gezielt?
In diesem ersten Teil, den wir uns heute Morgen anschauen, finden wir zwei Themen, für die Paulus gebetet hat. Es sind zwei Themen: Er hat Dank an Gott gerichtet und Fürbitte geleistet. Damit haben wir schon unsere beiden Punkte.
In Vers 16 heißt es: „Ich höre nicht auf, für euch zu danken und gedenke euer in meinem Gebet.“ Man könnte auch sagen: „Ich gedenke euer in meiner Fürbitte.“ Das ist der Schlüsselvers.
In Vers 15 sagt Paulus, wofür er dankt, und in Vers 17 schreibt er, worum er bittet. Der Text hat also einen ganz einfachen Aufbau: In Vers 16 sagt er „Ich danke und ich bitte“, Vers 15 macht deutlich, wofür er dankt, und Vers 17 zeigt, worum er bittet.
Der größte Grund zum Danken: Glaube und Liebe
Unser erster Punkt heute Morgen ist der Dank. Was war der größte Grund zum Danken für Paulus? Der größte Grund zum Dank? Es fällt auf, dass Paulus mit Dank beginnt. Er beginnt mit Dank.
Darum, sagt er, darum auch ich: Nachdem ich gehört habe von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, für euch zu danken. Wenn jemand mit „darum“ anfängt, fragen wir natürlich zurück: Warum? Was heißt „darum“ am Anfang dieses Textes?
Wenn Sie den Epheserbrief schon ein wenig kennen, werden Sie sehen: Aha, das ist wieder so eine der typischen logischen Verknüpfungen, mit denen Paulus dieses Buch gewissermaßen zusammenstrickt wie einen Teppich. Er macht immer deutlich, wie ein Scharnier ins andere greift. Und das „darum“ bezieht sich natürlich auf die vier Verse davor.
Nun liegt der ganze Urlaub dazwischen, aber vielleicht wissen Sie trotzdem noch, was in diesen Versen davor stand. Paulus hat dort den Reichtum der Christen beschrieben. Wie sehr hat Gott uns beschenkt mit einem unaussprechlichen Reichtum! Er hat euch erwählt, erlöst und vergeben. Er hat euch die Augen geöffnet für eure eigene Situation und für die Situation dieser Welt. Er hat gesagt, dass er in der Zukunft wiederkommen und alles gut machen wird. Er hat euch versiegelt mit dem Heiligen Geist. Er hat euch so reichhaltig ausgestattet, so schreibt Paulus in den Versen davor.
Das haben wir ausführlich miteinander studiert. Und jetzt fasst Paulus das alles zusammen und sagt: „Darum“, weil das so ist, weil Gott so gnädig ist, weil Gott diesen Reichtum seinen Kindern schenkt und weil ihr dazugehören dürft, „darum kann ich nicht anders, als für euch zu danken.“ Verstehen Sie, das ist der Zusammenhang.
Der größte Grund zum Danken – und es ist auch auffällig, dass der Dank hier bei Paulus am Anfang steht. Er hält sich an das, was er mal im Philipperbrief Kapitel 4, Vers 6 geschrieben hat. Dort sagt er: „Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden.“
Wenn Sie die Gebete des Paulus beachten, werden Sie fast immer sehen, dass Dank dabei ist, egal wie notvoll die Situation ist, wie groß die Schwierigkeiten, denen er sich gegenüber sieht. Der Dank darf nicht fehlen. Das ist die Grundhaltung des Paulus. Und so ist es auch hier kein Zufall, dass am Anfang der Dank steht – der größte Grund zum Danken.
Charles Haddon Spurgeon, der große Prediger, hat versucht, sich diese Haltung des Paulus ebenfalls zu eigen zu machen. Er hat versucht, Gott immer zu danken, nicht aus formalistischen Gründen, sondern weil er davon überzeugt war, dass es richtig ist, weil er ein dankbares Herz hatte. Er hat gedankt, auch natürlich bei Kollekten. Selbst wenn die Kollekten kleiner waren.
Einmal hat eine Gemeinde versucht, Spurgeon auf die Probe zu stellen. Sie sagten: „Na ja, er dankt immer, mal sehen, ob er heute auch dankt.“ Es war eine recht kleine Versammlung. Spurgeon ließ den Hut durch die Reihen wandern, und er kam leer zurück. Die Leute grinsten sich an und sagten: „Na, der Charles Haddon Spurgeon, wird er wohl auch diesmal danken?“ Spurgeon neigte sein Haupt, betete und sagte: „Allmächtiger Gott, ich danke dir von Herzen, dass diese Bande mir wenigstens meinen Hut zurückgegeben hat.“ Immer ein Grund zum Danken.
Paulus macht das hier ganz ernst. Es ist sein inneres Herzensanliegen, den Dank an den Anfang zu stellen. Und ich muss sagen, Paulus hat es in diesem Fall viel leichter als Spurgeon bei jener seltsamen Kollekte. Es sind zwei Dinge, die ihn besonders freuen und für die er Gott besonders dankt. Lassen Sie uns hinsehen, welche beiden Dinge das sind.
„Darum auch ich, nachdem ich gehört habe von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus und von eurer Liebe zu allen Heiligen.“ Das sind die beiden Dinge, für die er dankt. Das sind die beiden Kennzeichen, die den Christen beschreiben. Damit ist gleichzeitig ein Test für jede Gemeinde gegeben – ein Test, den wir uns selbst unterziehen können: Ist das so bei uns?
Ich habe gehört von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus und von eurer Liebe zu allen Heiligen. Die Reihenfolge ist, wie bei allen Paulusbriefen, nicht zufällig. Am Anfang steht der Glaube an den Herrn Jesus Christus. Das ist die Kurzfassung dessen, was den Christen zum Christen macht.
Und das wurde Paulus berichtet. Er hatte seine Kontakte zu den Gemeinden immer gewahrt, und es wurde ihm berichtet: Jawohl, sie stehen noch im Glauben. Sie haben ihren Glauben nicht verwässern lassen, sie haben ihren Glauben nicht verändert. Und es sind neue Leute dazugekommen, die haben auch den Glauben an den Herrn Jesus Christus angenommen.
Ich frage Sie: Gibt es eine größere Freude für einen Christen, als wenn er hört, dass jemand zum Glauben gefunden hat? Und dass jemand im Glauben geblieben und im Glauben stark geworden ist? Wenn wir das hören von Menschen, die wir kennen, wenn wir das lesen in Berichten aus dem Missionsfeld, da ist einer zum Glauben gekommen.
Oder wenn wir von Menschen hören, bei denen wir den Eindruck hatten, sie seien ganz schön wackelig, ob sie standhaft bleiben oder nicht, und wenn wir dann erfahren, sie stehen fest im Glauben, sie haben sich bewährt, auch gegen Widerstände durchgehalten, sie haben unter schlimmsten äußeren Bedingungen durchgehalten – dann können wir doch auch nicht anders, als Gott zu danken und zu sagen: Herr, das ist großartig, dass du so deine Kinder bewahrst.
Interessant ist, dass Paulus in diesen Dank gleich auch eine Definition einbaut, was denn nun ein Christ inhaltlich glaubt. Er sagt nicht: Ich danke dafür, dass ihr gläubige Leute seid. Er sagt auch nicht nur: Ich danke für euren Glauben an Gott. Auch das macht einen Menschen ja noch nicht zum Christen, dass er irgendwie an einen Gott glaubt. Es gibt ja so viele verschiedene Vorstellungen von Gott.
Wofür dankt Paulus? „Ich habe gehört von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus.“ Das ist christlicher Glaube, Jesusglaube! Es gibt Leute, die können in höchsten Tönen von Jesus reden, die können sagen: Jesus zeigt uns, wie sehr Gott die Menschen liebt, oder Jesus zeigt uns, dass Gott auch im Leid die Menschen nicht allein lässt. Aber das ist noch kein Jesusglaube.
Jesusglaube ist nicht nur die Hochachtung vor einem Jesus, der uns bestimmte Dinge zeigt und vormacht. Glaube an Jesus ist Glaube an ihn als Person. Diesen Glauben beschreibt Paulus hier: „Ich habe gehört von eurem Glauben an Jesus, an Jesus selbst, an Jesus Christus.“ Er ist der einzige Erlöser.
Paulus definiert diesen Glauben noch enger. Er sagt noch mehr: „Ich habe gehört von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus.“ Also Christen glauben nicht nur an das, was Jesus getan hat, sondern sie glauben auch daran, wer Jesus ist, an seine Person und daran, dass er der Kyrios ist, der Herr.
Das klingt für uns so harmlos, weil wir uns an diese Formulierung gewöhnt haben. Aber wir müssen wissen, was Kyrios wirklich bedeutet. Im Alten Testament, also in der hebräischen Bibel, ist der besonders heilige Name für Gott, der Eigenname, mit dem Gott sich selbst seinem Volk vorstellt – den die Juden teilweise gar nicht auszusprechen wagten – Yahweh.
Etwa zweihundert Jahre vor Christus wurde eine griechische Übersetzung der hebräischen Bibel abgeschlossen, weil viele Juden in der Diaspora kein Hebräisch mehr lesen konnten. Diese griechische Übersetzung nennt man Septuaginta.
Und jetzt raten Sie mal, wie Yahweh in der hebräischen Bibel in der griechischen Bibel, in der Septuaginta, übersetzt wird: mit Kyrios. Kyrios = Yahweh. Und das meint das Neue Testament, wenn es von „dem Kyrios“ spricht: Das ist der gleiche wie Yahweh. Kyrios ist Yahweh.
„Ich habe gehört von eurem Glauben an den Yahweh, Jesus Christus, an den Gott Jesus Christus.“ Er selbst ist Gott. Und das war das Urbekenntnis der neutestamentlichen Gemeinde: Christos Kyrios – Jesus Christus ist der Herr, er ist Gott.
Diesen Glauben meint Paulus hier. Und dafür dankt er. Ihr habt das erkannt, ihr habt das anerkannt, dass Jesus Christus Gott ist. Alles, was weniger ist, ist nicht mehr christlicher Glaube.
Wer Jesus nur als Vorbild oder als göttlichen Gesandten betrachtet, glaubt nicht so, wie das Neue Testament sagt, dass Christen glauben. Jesus ist Gottes eigener Sohn. In Jesus ist Gott selbst in diese Welt hineingekommen. Nur der ist ein Christ, der das glaubt.
Jesus von Nazareth ist der ewige Sohn Gottes, der vor Gründung der Welt schon da war und der dann zu unserer Rettung auf die Erde gekommen ist. Weil es diesen Glauben, diesen qualifizierten Glauben, in Ephesus gab, dankt Paulus unaufhörlich. Darum ist er so froh, weil sie echt an Jesus als Kyrios glauben.
Dann kommt noch etwas hinzu: Kyrios, Herr, da steckt auch noch etwas anderes drin, was zum Jesusglauben gehört, nämlich dass er wirklich der Herr meines Lebens ist, der Kyrios meines Lebens. Dass ich von Jesus eben nicht nur dankbar hinnehme, dass er für meine Schuld gestorben ist und mich darüber freue, sondern ansonsten meinen Lebensweg alleine nach meinem eigenen Gutdünken weiterbestimme.
Glaube an Jesus, den Kyrios, bedeutet: Er ist mein Herr, er ist mein König, er weist mir den Weg, er ist meine letzte Instanz, ihm gehört mein Leben. Solchen Glauben gab es in Ephesus an Jesus den Herrn, und darum freut sich Paulus.
Jesus hat mal gesagt in Lukas 15, dass, wenn ein Mensch zu solchem Glauben findet, sich sogar die Engel im Himmel darüber freuen, dass im Himmel Jubel ist, wenn ein Mensch zum Glauben an den lebendigen Gott findet.
Paulus stimmt in diesen Jubel gewissermaßen ein. Er sagt: Ich danke Gott, ich freue mich, bei euch gibt es diesen echten Glauben. Jesus Christus ist der Kyrios, er ist der Gott, er ist Yahweh. Er ist euer König und euer Herr, und euer Leben gehört ihm.
Das ist gezieltes Gebet. Lassen Sie uns das dem Paulus nachmachen. Wenn sich in unserer Umgebung Menschen bekehren, wenn wir in Missionsbriefen davon lesen, dass Menschen Christen geworden sind, und auch wenn wir merken, wie Menschen um uns herum im Glauben wachsen, fest werden, anfangen, Christus zu bezeugen, treu zum Gottesdienst kommen – dann danken wir Gott dafür. Das kann uns doch nicht kalt lassen. Das ist ein großer Grund, uns zu freuen und Gott dafür zu loben.
Das ist das Erste, was wir von Paulus lernen können: Wir danken für die Leute in unserem Hauskreis, danken auch für unsere bekannte evangelische Gemeinde hier in Hannover, dass Gott uns diesen Glauben schenkt. Für Paulus ist das der allergrößte Grund zum Danken.
Damit hängt ein zweites, weiteres zusammen. Er dankt für euren Glauben an den Herrn Jesus Christus, und was hängt da noch dran? „Ich habe gehört von eurer Liebe zu allen Heiligen.“ Also: Glaube an Jesus Christus führt zur Liebe zu allen Heiligen.
Damit sind nicht die Heiligen gemeint, die die römisch-katholische Kirche verehrt, sondern im Epheserbrief sind die Heiligen die Mitchristen. Und das folgt aus dem Glauben an den Herrn Jesus Christus: die Liebe zu allen Heiligen, die Verbundenheit mit denen, die Jesus Christus ebenfalls folgen.
Das kann mich als Christ nicht kaltlassen. Ich führe als Christ keine isolierte Existenz. Hauptsache, ich habe meinen Jesus, und was um mich herum sonst noch passiert, ist mir relativ schnurzpiepegal? Nein, Paulus sagt: Bei euch ist beides da. Bei euch ist dieser echte Glaube, der an Jesus, den Herrn, den Kyrios, und daraus folgt auch bei euch die Liebe zu euren Mitchristen.
Deswegen sind wir als Christengemeinde etwas anderes als ein Sportverein oder eine Partei oder eine Clique, wo man durch ein paar gemeinsame Interessen verbunden ist. Nein, wir sind ganz anders miteinander verbunden. Wir befinden uns in einer neuen Familie.
Man sagt ja immer: Blut ist dicker als Wasser. Familiäre Bande sind viel enger und inniger als alles andere. Aber hier müsste man sagen: Jesus Christus verbindet noch stärker als Blut. Es ist eine ganz andere Qualität, die die Christen in der Gemeinde miteinander verbindet, als uns Gemeinden als menschliche Familien verbinden.
Wenn dann innerhalb einer menschlichen Familie auch noch die Verbindung durch Jesus Christus gegeben ist, dann ist das etwas ganz Besonderes.
Jetzt könnte man zurückfragen und sagen: Aber lieber Paulus, bist du nicht etwas naiv? Du betest hier und dankst für die Liebe zu allen Heiligen, und du weißt doch genau, was für einen Zoff ihr habt. Du kennst doch ihre Streitereien, dir ist das doch nicht unbekannt. Du kennst doch die ganzen Probleme, die die christliche Gemeinde schon in den ersten Jahrhunderten dort betreffen. Wie kannst du dann so naiv beten: die Liebe zu allen Heiligen? Das ist Romantik, Paulus, das ist Schönrederei, aber das entspricht doch nicht der Wirklichkeit.
Das ist ein Missverständnis, wenn wir Paulus so hinterfragen. Warum? Weil es Paulus nicht darum geht, dass immer Friede, Freude, Eierkuchen herrscht in der Gemeinde. Das sagt er hier nicht. Paulus sagt nicht: Liebe Leute, ich habe gehört, dass bei euch immer Harmonie herrscht, dass ihr zu jedem Gemeindeglied immer lieb und freundlich seid, dass ihr euch nie streitet und nie üble Nachrede praktiziert. Das freut mich, Amen.
Das schreibt Paulus nicht. Sondern: Ich habe gehört von eurer Liebe zu allen Heiligen. Und wissen Sie, Liebe ist mehr als Sympathie. Liebe ist etwas anderes als Harmonie. Liebe ist eine viel tiefere Verbundenheit, die es auch einmal ertragen kann, dass es keine Harmonie gibt. Und die auch dann noch nicht abbricht, wenn mal Streit und Unruhe da sind.
Liebe ist die Bereitschaft, dem anderen zu geben, was er braucht. Liebe ist das Wissen darum, dass wir zusammengehören. Deswegen müssen wir auch versuchen, uns immer wieder zu versöhnen, wenn wir uns menschlich aneinander reiben.
Liebe bedeutet, dass ich bereit bin, dem anderen auch unangenehme Dinge zu sagen, wenn ich meine, dass es wichtig für ihn ist, und dabei selbst riskieren, dass mir seine Sympathien mal für einige Zeit nur etwas beschränkt entgegenschlagen.
Liebe ist die Bereitschaft, für den anderen zu beten und innerlich an ihm festzuhalten, auch wenn sich unsere Wege mal trennen. Darf ich das noch einmal sagen? Liebe ist die Bereitschaft, auch innerlich an dem anderen festzuhalten, wenn sich unsere Wege mal trennen.
So wie sich bei Paulus die Wege für einige Zeit von Barnabas getrennt haben – das können Sie nachlesen in Apostelgeschichte 15 – weil sie Streit hatten über eine Personalfrage. Es ging darum, ob man Johannes Markus zur nächsten Missionsreise mitnehmen soll oder nicht.
Paulus sagte, er habe sich nicht bewährt, er sei von der Fahne gegangen, als es hart wurde. Den nehmen wir nicht mit zur nächsten Reise. Barnabas war mit Johannes Markus verwandt und sagte, den nehmen wir mit. Paulus sagte, nein, das ist nicht zu verantworten. Barnabas sagte, ich mache es trotzdem.
Dann steht in Apostelgeschichte 15: „Und sie kamen hart aneinander.“ Können wir uns das vorstellen? Das Ende vom Lied war, dass Paulus in die eine Richtung ging, sich einen neuen Kompagnon nahm, und Barnabas in die andere mit Johannes Markus.
Das änderte nichts daran, dass sie zur Familie Gottes gehörten – alle miteinander. Und das Schöne ist, dass viele Jahre später in einem sehr späten Brief Paulus dann die Notiz vermerkt: „Bitte schick mir Johannes Markus, denn er ist mir sehr nützlich zum Dienst.“ Da hat es also Jahre später wieder Versöhnung gegeben. Gott hat dafür gesorgt, dass es auch noch im Neuen Testament dokumentiert wurde, weil Paulus das in diesem späten Brief geschrieben hat.
Also: Die Liebe zu allen Heiligen ist keine ungetrübte Harmoniesauce, die immer über allem schwebt, sondern sie bedeutet, aneinander festzuhalten, auch unter schwierigen Bedingungen und in schweren Situationen.
Deshalb sagt Paulus: Dafür danke ich Gott, das ist in eurer Gemeinde vorhanden: Glaube an den Herrn Jesus Christus und Liebe zu allen Heiligen.
Christen gehören in einer Weise zusammen wie niemand sonst, weil wir wissen, dass wir die Ewigkeit miteinander verbringen werden. Bedenken Sie das: Wir gehen auf dasselbe große Ziel zu.
Wenn mir einer mal auf den Wecker geht oder ich ihm, müssen wir doch wissen: Wir werden die Ewigkeit bei Jesus gemeinsam verbringen. Dann werden wir uns nicht mehr auf den Wecker gehen.
Bis dahin sollen wir versuchen, füreinander zu beten. Christen gehören zusammen.
Philip Henry, ein begabter junger Christ, dessen Sohn Matthew Henry später ein bekannter, liebevoller Theologe wurde im 19. Jahrhundert, hatte sich in eine junge Lady verliebt. Diese gehörte einer wesentlich nobleren Gesellschaftsschicht an als er selbst, aber sie war auch Christin geworden. Die beiden passten gut zusammen von Charakter und Begabungen.
Die junge Lady sah nur in ihrem Standesunterschied ein Heiratshindernis. Ihre Eltern hatten aber eine ganz andere Meinung. In einer Diskussion darüber sagten sie höhnisch: „Dieser Philip Henry, wo kommt der denn überhaupt her?“
Die junge Frau antwortete freundlich und bestimmt: „Ich weiß nicht, wo er herkommt. Aber ich weiß, wo er hingeht.“ Damit wollte sie sagen: Ich weiß, welches Ziel sein Leben hat, ich weiß, woraufhin er ausgerichtet ist, was seinen Charakter, sein Wesen, seine ganze Ausrichtung bestimmt. Das weiß ich, was er will, und darum weiß ich, wer er ist. Darum kann ich es wagen, ihn zu heiraten.
Das ist die geheimnisvolle Gemeinsamkeit der Christen. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Lagern, aber sie glauben an den einen Herrn Jesus, und dadurch gehören wir zu der einen Familie der Heiligen Gottes.
Diese Familie hat einen sehr noblen Stammsitz, ein Zuhause, in dem wir alle einmal eintreffen werden – den Himmel.
Wer an den Herrn Jesus Christus glaubt, ist auf geheimnisvolle Weise mit den Mitchristen verbunden. „Eure Liebe zu allen Heiligen“, sagt Paulus. Darum kann es einen Christen nicht kaltlassen, was einen anderen Christen betrifft.
Ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Eine Frage bewegt uns doch jeden Menschen gegenüber besonders, egal wo wir ihn treffen. Sobald wir uns etwas länger mit einer Person auseinandersetzen, bewegt uns diese Frage besonders: Ist der Christ? Ist sie Christ?
Das ist die Kardinalfrage, die uns jedem Menschen gegenüber besonders umtreibt. Das heißt nicht, dass wir die anderen verachten oder links liegen lassen oder deswegen weniger sympathisch finden. Aber es interessiert uns brennend, das zu wissen: Ist der Christ oder nicht? Und es ist uns ein Anliegen, dass jeder Christ wird.
Wir freuen uns riesig, wenn wir bei jemandem plötzlich entdecken: Mensch, der ist Christ. So ging es uns vor einigen Jahren, als wir in Bulgarien im Urlaub waren. Dort war eine nette Reiseleiterin.
Wir hatten nicht viel miteinander zu tun, wollten ihr zum Abschied noch eine christliche Schrift schenken, erreichten sie aber nicht mehr. Wir konnten es nur mit einem kleinen Brief und Gruß für sie hinterlegen.
Wenige Tage später bekamen wir ein Fax aus Bulgarien. Darin schrieb diese Sonja Mileba: „Liebe Familie Nestvogel, vielen Dank für Ihren netten Brief und die Broschüre. Ich freue mich sehr, dass wir einen gemeinsamen Vater haben. Ich bin in einer christlichen Familie aufgewachsen, war aber lange Zeit weg von Gott. Erst seit ein paar Jahren habe ich den Weg zu Jesus wiedergefunden.
Im Winter helfe ich in der Sonntagsschule hier in unserer bulgarischen Gemeinde, betreue die kleinen Kinder. Auch meine beiden Söhne kommen mit. Nur mein Mann bleibt etwas abseits, aber ich habe die Hoffnung, dass er auch noch seinen Erlöser findet.“
Was meinen Sie, wie wir uns über dieses Fax gefreut haben? Da stellten wir fest: Dieser Mensch, den wir sowieso für sehr nett hielten, ist Christ, gehört zu unserer Familie.
Das ist bei Paulus der große Grund, warum er Gott dankt und sagt: „Nachdem ich gehört habe von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus und von eurer Liebe zu allen Heiligen.“
Das ist der erste Punkt: Gezieltes Gebet heißt, der größte Grund zum Danken ist, dass Menschen zum Glauben an Jesus Christus finden.
Jetzt der zweite Punkt, den müssen wir aus Zeitgründen etwas kürzer behandeln: die Fürbitte, das zentrale Ziel der Fürbitte.
Worum bittet Paulus für diese Gemeinde? Wir werden nächsten Sonntag noch die Fortsetzung sehen. Er bittet um einiges für sie, aber diese erste Bitte, die er ganz an den Anfang seiner Fürbitten stellt, wollen wir uns noch kurz ansehen. Dann haben wir unsere Aufgabe für heute geschafft.
Was wäre denkbar? Es wäre denkbar, dass Paulus sagt: „So, wo ihr nun dazugehört, bitte ich für euch, dass der lebendige Gott euch viel Mut und Engagement schenkt, damit ihr fleißig missionieren könnt, damit ihr euch immer besser untereinander versteht, damit ihr als Gemeinde fröhlich zusammenwachst und ein überzeugendes Zeugnis nach außen hin darstellt.“
Das sind alles wichtige Dinge. Dafür hat er an anderen Stellen auch gebetet. Aber hier ist das zentrale Ziel der Fürbitte nicht das.
Es ist interessant, passen Sie mal auf, wofür Paulus jetzt betet: „Ich gedenke euer in meinem Gebet“, Vers 17, „dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn selbst zu erkennen.“
Das ist erstaunlich. Das ist das zentrale Ziel der Fürbitte für die Gemeinde: dass sie Gott besser kennenlernen.
Nach allem, was Paulus in den Versen vorher geschrieben hat, sind sie Christen, sie kennen Gott, sie beten zu dem wahren Gott, sie haben schon etliche Erkenntnis bekommen.
Da könnte Paulus doch jetzt dafür beten, dass sie das umsetzen in der Praxis, dass sie glaubwürdig miteinander umgehen und so weiter. Das sind auch wichtige Dinge.
Aber obwohl sie Christen sind, betet Paulus zunächst einmal zentral für das Eine: dass sie den lebendigen Gott selbst besser kennen.
Dass der Vater der Herrlichkeit euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn selbst zu erkennen.
Darin steckt ein ganz praktischer, ein eminent wichtiger Hinweis für jeden von uns, der Jesus Christus nachfolgt.
Auch wenn wir zu Jesus gehören, auch wenn wir Gottes Kinder sind, vielleicht schon seit vielen Jahren, auch wenn wir gerettet sind – es ist für uns von großer Wichtigkeit, dass wir Gott selbst immer besser kennenlernen.
Das ist uns oft kein Anliegen. Wir haben alle möglichen Anliegen, wie wir als Christen wachsen können, dass wir Fehler abstellen und Sünden vermeiden. Das ist alles wichtig.
Aber Paulus macht deutlich: Leute, trotz eures schon andauernden Christseins kommt es darauf an, dass ihr Gott selbst immer besser kennenlernt.
Das kann man mit einem menschlichen Beispiel leicht nachvollziehen: mit dem Beispiel der Ehe.
Ich sage das den Leuten im Traugespräch immer wieder: Es ist wichtig, dass sie sich Zeit füreinander nehmen, wirklich versuchen, den anderen immer mehr kennenzulernen, sich ein Leben lang um den anderen mühen.
Viele Eheprobleme kommen daher, dass die Leute denken: Ja, wir lieben uns doch, wir kennen uns doch, das reicht jetzt, und jetzt läuft die Ehe von allein.
Aber es ist so wichtig, dass wir uns immer wieder die Mühe machen, den anderen ein Leben lang zu entdecken.
Das ist eine große Herausforderung, auch für die Ehen von Christen. Wir dürfen nicht bequem werden, dass sich alles so einspielt und man sagt: Ja, man kennt sich ja.
Aber es ist so wichtig, dass das Interesse an dem anderen nicht erlischt, ihn besser und tiefer kennenzulernen.
Das ist nur ein schwaches Beispiel für unser Verhältnis zu Gott.
Natürlich durchschaut Gott uns völlig, erkennt uns in- und auswendig. Aber es ist für uns wichtig, dass wir Gott besser und besser kennenlernen.
Es gibt so viel zu entdecken: Gott ist unendlich groß, unendlich mächtig, unendlich reich.
Deshalb nennt Paulus ihn hier auch in Vers 17 den „Vater der Herrlichkeit“. Das ist ein auffälliger Ausdruck, den er für Gott gebraucht. Ganz selten kommt er vor.
Der Vater der Herrlichkeit – da drückt Paulus die ganze Wucht, Fülle, Majestät und den Reichtum aus, der in Gott als Person liegt.
Und Paulus sagt: Den sollt ihr besser kennenlernen.
Das ist erstaunlich, dass Gott sich uns so zu erkennen geben will.
Beim weltlichen Chef ist es ganz anders. Ein weltlicher Chef hält normalerweise Abstand.
Dem Vorstandsvorsitzenden von Daimler liegt nicht so sehr daran, dass seine Mitarbeiter ihn persönlich besser kennenlernen.
Ein weltlicher Chef reicht es, wenn er guten Kontakt zu seinen wichtigsten Mitarbeitern hat, zur rechten Zeit Lob ausspricht, vernünftige Kommunikation herrscht, Aufgaben effektiv aufeinander abgestimmt werden.
Privat macht jeder sein eigenes Ding, das ist in Ordnung.
Aber wie anders ist Gott! Der Herr der Herren will, dass wir ihn persönlich besser kennenlernen.
Daran sieht man, wie wichtig Gott diese persönliche Verbindung zu uns ist.
Aus diesem Kennenlernen Gottes wächst Freude – Freude an Gott und Freude über Gott.
Aus dieser Freude über Gott wächst Lob Gottes.
Was ist Lob anderes, als dass wir darüber reden, was uns froh macht? Dass wir sagen: Mensch, das ist wunderbar, das ist großartig.
Je mehr wir Gott kennenlernen, desto mehr freuen wir uns über Gott, und desto mehr loben wir Gott.
Beobachten Sie das an der Sprache der Psalmen, wie sie immer wieder dazu einladen, sich an Gott zu freuen.
Zum Beispiel Psalm 37, Vers 4: „Freut euch in dem Herrn, freut euch in Gott.“
Oder Psalm 42, Vers 2, mit diesem Bild: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele Gott zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.“
Das soll unsere Haltung werden: Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Gott.
Nicht nur zu wissen: Ja, Gott ist da, er hat Jesus geschickt, er hat unser Leben in Ordnung gebracht, das ist schön, und das sagen wir weiter.
Sondern wirklich Sehnsucht nach Gott als Person, ihn besser kennenzulernen.
Das ist keine Gefühlsaufwallung, sondern eine Grundhaltung unseres Lebens.
Oder Psalm 63, Vers 1, ein Psalm Davids, als er in der Wüste war:
„Gott, du bist mein Gott, den ich suche; meine Seele dürstet nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir.“
Verstehen Sie: In der Wüste, wo er Durst nach Wasser hat, wird ihm klar, es gibt einen viel größeren Durst, der sein Leben prägt: „Meine Seele dürstet nach dir.“
Diese Haltung erbittet Paulus für die Christen in Kleinasien und für uns: dass Gott uns gebe, dass wir ihn selbst besser erkennen, Hunger und Durst nach ihm bekommen.
Wir denken auch an Hiob 42, Vers 5, wo Hiob sagt: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich gesehen, Gott.“
Hiob kannte Gott vorher, er war ein gläubiger, aufrechter Nachfolger des lebendigen Gottes. Dann wurde er durch einen schwierigen Leidensprozess geführt, Gott erzieht ihn.
Am Ende hat er nicht eine Vision Gottes, so dass er sagen kann: „Mein Auge hat dich gesehen“ – eine besondere Erscheinung der Herrlichkeit Gottes –, sondern er hat Gott persönlich besser kennengelernt.
Er hat viel besser verstanden: Gott ist der Allmächtige, ich habe demütig vor ihm zu sein, aber ich kann mich auch auf ihn verlassen.
Er hat Gott durch diese leidvolle Zeit besser und besser kennengelernt und drückt das in diesem Bild aus: „Ich hatte von dir bisher nur vom Hörensagen vernommen, aber jetzt hat mein Auge dich gesehen.“
Dahin will Paulus die Christen in Ephesus bringen. Dafür bittet er, dass das an ihnen geschieht und an uns, dass wir uns nicht mit einer oberflächlichen Erkenntnis Gottes des Vaters und seines Sohnes zufriedengeben.
Dass wir die Eigenschaften und Attribute Gottes kennen, das reicht nicht. Sondern dass es uns wirklich darum geht, vor ihm zu stehen im Gebet.
Nicht um mystische Erfahrungen oder Gefühlsausbrüche zu erleben, sondern dem lebendigen Gott immer tiefer zu begegnen.
Das Letzte, was ich heute noch sagen will: Paulus betet nicht nur für das Ziel, sondern auch für das Mittel.
Das Mittel ist: „Ich bitte, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn selbst zu erkennen.“
Das erbittet Paulus auch für Sie und mich heute Morgen. Darum wollen wir auch füreinander immer wieder bitten, dass der lebendige Gott uns den Geist der Weisheit und den Geist der Offenbarung gibt.
Damit ist nicht einfach gemeint, dass Gott uns den Heiligen Geist gibt – den haben wir ja als Christen. Die Leute, denen Paulus schrieb, hatten den Heiligen Geist. Er hat ja erst in Vers 13 gesagt: „Ihr seid versiegelt mit dem Heiligen Geist.“
Jetzt geht es um eine Haltung, die der Heilige Geist in unserem Leben wirken soll.
Dafür betet Paulus, dass Gott euch gebe den Geist, also die Haltung der Weisheit und der Offenbarung, das heißt, dass ihr Gott, dass ihr seinem Wort mit der Haltung begegnet, die dieser Offenbarung angemessen ist.
Wenn Sie einen englischen Text verstehen wollen, brauchen Sie gewissermaßen den Geist des Englischen, sonst können Sie den Text nicht verstehen. Sie müssen die Vokabeln kennen und die Grammatik wenigstens grob.
So bittet Paulus, dass wir immer mehr bekommen den Geist der Weisheit und der Offenbarung, das heißt, dass unsere Haltung zur Bibel, unser Verständnis der Bibel immer mehr wächst.
Dass wir das immer besser kapieren, dass auch unsere innere Haltung – die Demut, die Bereitschaft, darauf zu hören, die Bereitschaft, es dann auch zu tun, was wir erkannt haben, die Bereitschaft, uns Zeit dafür zu nehmen, die Bereitschaft, etwas von Gott zu erwarten – wächst in unserem Leben.
Dann wird es dazu führen, dass wir Schritt für Schritt auf Dauer immer mehr diese Haltung der Weisheit und der Offenbarung, also diese Grundhaltung, die der Offenbarung Gottes gemäß ist, in unserem Leben lernen.
Das führt dazu, dass wir sein Wort mit mehr Liebe und Hingabe studieren, und dadurch werden wir Gott immer mehr kennenlernen.
So wird das Ziel erreicht, für das Paulus betet, und dann wird unsere Freude an Gott wachsen.
Das wiederum führt dazu, dass wir Gott immer mehr loben.
Deshalb steht das hier am Anfang. Das ist das zentrale Ziel der Fürbitte des Paulus.
Ich lese es zum Schluss noch einmal: „Dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn selbst zu erkennen.“
Deswegen ist diese tiefe persönliche Erkenntnis gemeint. Da steht nicht nur „Gnosis“ im Griechischen, sondern „Epignosis“. Es geht um ein echtes, persönliches Erkennen des lebendigen Gottes.
Ich komme zum Schluss.
Wir fragen so oft: Wofür sollen und dürfen wir beten? Wie können wir in unserem Gebet lernen, Gottes Willen noch besser zu erkennen?
Paulus hat uns heute Morgen zwei wichtige Themen gezeigt, die wir schon heute oder morgen früh in unserer stillen Zeit anwenden können.
Er hat gesagt: Das ist der größte Grund zum Danken: „Ich habe gehört von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus und von eurer Liebe zu allen Heiligen.“
Lasst uns dafür danken, dass der lebendige Gott Menschen zu seinen Kindern macht, Menschen zum Glauben ruft, dass er uns als seine Kinder, als seine Heiligen, mit einer besonderen Liebe miteinander verbindet.
Lasst uns froh darüber sein. Lasst uns das nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass der lebendige Gott uns diese Gemeinde schenkt.
Und lasst uns das nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass wir auf der ganzen Welt immer wieder auf Menschen treffen, die ihn lieben, die ihn ehren, mit ihm reden, auf ihn hören, sich von ihm gebrauchen lassen.
Wo sie stehen, überall hat Gott seine Leute, so sagt es Manfred Siebald in einem Lied.
Darüber lasst uns froh sein und ihm dafür danken. Das ist das Erste.
Das Zweite: Wir wollen für vieles füreinander beten.
Dass dem Kranken wieder Gesundheit geschenkt wird, dass der Arbeitslose eine Stelle findet, dass der Mutlose wieder frischen Mut bekommt und mit mehr Freude an seine Arbeit geht.
Dass die Schüler in der nächsten Woche wieder losgehen, als Schüler klarkommen, mit ihren Aufgaben fertig werden und sich als Christen bewähren können.
Wir wollen für die Missionare beten, die wir kennen, dass der Herr ihnen Mut und Kraft gibt für ihren Dienst.
Das ist alles wichtig.
Es gibt ein zentrales Ziel der Fürbitte, das Paulus uns hier gezeigt hat, und das wollen wir nicht aus dem Blick verlieren.
Wir wollen füreinander beten, dass der lebendige Gott es uns schenken mag, dass wir ihn besser erkennen, dass er in unserem Leben diesen Geist der Weisheit und der Offenbarung wachsen lässt.
Dass wir ihn mehr verstehen, ihn ehren und von ganzem Herzen lieben.
Kein anderes Gebet wird unsere Gemeinde so sehr verändern wie dieses Gebet um die Erkenntnis Gottes.
Darum würden wir jetzt gleich zum Abendmahl miteinander gehen. Dann werden wir auch diesen beiden Themen wieder begegnen.
Lasst uns dankbar sein, dass Jesus uns in diese Gemeinschaft hineinstellt. Diese Gemeinschaft wird an seinem Tisch so besonders deutlich.
Wir gehören zusammen, weil wir zu ihm gehören.
Wir dürfen füreinander danken, dass wir diesem Opfer, das er auf Golgatha ein für alle Mal für uns gebracht hat, trauen dürfen.
Dass wir durch diese Versöhnung, die Christus bewirkt hat, erlöst worden sind, der Hölle entrissen und zu Kindern Gottes gemacht.
Lasst uns dafür danken, wenn wir so gemeinsam dieses Geschenk feiern.
Im recht verstandenen Sinne Gott dafür danken, wenn wir gemeinsam zum Mahl gehen.
Und dann auch das andere: Lasst uns füreinander beten, dass wir Gott immer besser kennenlernen.
Auch im Mahl gibt er sich uns zu erkennen.
Er zeigt uns das Antlitz seines Sohnes Jesus Christus, der für uns gestorben ist, um unsere abgrundtiefe Sünde zu bedecken.
Er zeigt uns seine Heiligkeit und seine Liebe und lädt uns ein, dessen im Mahl zu gedenken und ihn dafür zu loben und zu ehren.
So lasst uns füreinander danken und füreinander bitten zur Ehre unseres großen Gottes. Amen.
Die Bedeutung des Glaubens an Jesus Christus
Interessant ist, dass Paulus in seinem Dank gleich eine Definition einbaut, was ein Christ inhaltlich glaubt. Er sagt nicht einfach: „Ich danke dafür, dass ihr gläubige Leute seid.“ Auch nicht nur: „Ich danke für euren Glauben an Gott.“ Denn allein an einen Gott zu glauben, macht einen Menschen noch nicht zum Christen. Es gibt viele verschiedene Vorstellungen von Gott.
Wofür dankt Paulus also? Er sagt: „Ich habe gehört von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus.“ Das ist christlicher Glaube – Jesusglaube!
Es gibt Menschen, die können in höchsten Tönen von Jesus sprechen. Sie sagen, Jesus zeigt uns, wie sehr Gott die Menschen liebt, oder Jesus zeigt uns, dass Gott im Leid die Menschen nicht allein lässt. Aber das ist noch kein Jesusglaube. Jesusglaube bedeutet nicht nur Hochachtung vor einem Jesus, der uns bestimmte Dinge zeigt und vormacht.
Glaube an Jesus ist Glaube an ihn als Person. Diesen Glauben beschreibt Paulus hier: „Ich habe gehört von eurem Glauben an Jesus, an Jesus selbst, an Jesus Christus.“ Er ist der einzige Erlöser.
Paulus definiert diesen Glauben noch enger. Er sagt: „Ich habe gehört von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus.“ Christen glauben also nicht nur an das, was Jesus getan hat, sondern auch daran, wer Jesus ist – an seine Person und daran, dass er der Kyrios ist, der Herr.
Das klingt für uns heute harmlos, weil wir an diese Formulierung gewöhnt sind. Aber wir müssen wissen, was Kyrios wirklich bedeutet. Im Alten Testament, also in der hebräischen Bibel, ist der besonders heilige Name für Gott der Eigenname, mit dem Gott sich seinem Volk vorstellt. Die Juden wagten es oft nicht, diesen Namen auszusprechen. Dieser Name ist Yahweh.
Etwa zweihundert Jahre vor Christus wurde eine griechische Übersetzung der hebräischen Bibel abgeschlossen, weil viele Juden in der Diaspora kein Hebräisch mehr lesen konnten. Diese griechische Übersetzung nennt man Septuaginta.
Nun raten Sie mal, wie Yahweh in der hebräischen Bibel in der griechischen Bibel, der Septuaginta, übersetzt wird: mit Kyrios. Kyrios ist also Yahweh.
Das meint das Neue Testament, wenn es von dem Kyrios spricht. Das ist der gleiche wie Yahweh. Kyrios ist Yahweh.
Paulus sagt also: „Ich habe gehört von eurem Glauben an den Yahweh, Jesus Christus, an den Gott Jesus Christus.“ Er selbst ist Gott. Das war das Urbekenntnis der neutestamentlichen Gemeinde: Christos Kyrios – Jesus Christus ist der Herr, er ist Gott.
Diesen Glauben meint Paulus hier. Dafür dankt er. Ihr habt das erkannt, ihr habt anerkannt, dass Jesus Christus Gott ist. Alles, was weniger ist, ist nicht mehr christlicher Glaube.
Wer Jesus nur als Vorbild oder als göttlichen Gesandten betrachtet, glaubt nicht so, wie das Neue Testament sagt, dass Christen glauben. Jesus ist Gottes eigener Sohn. In Jesus ist Gott selbst in diese Welt gekommen.
Nur der ist Christ, der das glaubt: Jesus von Nazareth ist der ewige Sohn Gottes, der vor Gründung der Welt schon da war und zu unserer Rettung auf die Erde gekommen ist.
Weil es diesen Glauben, diesen qualifizierten Glauben in Ephesus gab, dankt Paulus. Er ist so froh, weil die Menschen dort echt an Jesus als Kyrios glauben.
Dann kommt noch etwas hinzu: Kyrios, Herr, beinhaltet auch, dass Jesus wirklich der Herr meines Lebens ist, der Kyrios meines Lebens. Es bedeutet, dass ich Jesus nicht nur dankbar hinnehme, weil er für meine Schuld gestorben ist und mich darüber freue, sondern dass ich meinen Lebensweg nicht alleine nach meinem eigenen Gutdünken weiterbestimme.
Glaube an Jesus als Kyrios bedeutet, dass er mein Herr, mein König ist. Er weist mir den Weg, er ist meine letzte Instanz, ihm gehört mein Leben.
Solchen Glauben gab es in Ephesus an Jesus den Herrn. Darum freut sich Paulus.
Die Herrschaft Jesu als Ausdruck des Glaubens
Jesus hat einmal in Lukas 15 gesagt, dass sich sogar die Engel im Himmel freuen, wenn ein Mensch zum Glauben findet. Im Himmel herrscht Jubel, wenn jemand zum Glauben an den lebendigen Gott kommt.
Paulus stimmt in dieses Jubeln gewissermaßen mit ein. Er sagt: „Ich danke Gott, ich freue mich, weil bei euch echter Glaube vorhanden ist.“ Jesus Christus ist der Kyrios, er ist Gott, Yahweh, euer König und Herr. Euer Leben gehört ihm.
Das ist gezieltes Gebet. Lassen wir uns von Paulus inspirieren und es ihm nachmachen. Wenn Menschen in unserer Umgebung sich bekehren, wenn wir in Missionsbriefen lesen, dass Menschen Christen geworden sind, und wenn wir sehen, wie Menschen um uns herum im Glauben wachsen, fest werden, anfangen, für Christus zu bezeugen und treu zum Gottesdienst kommen, dann sollten wir das wie Paulus tun: Wir danken Gott dafür.
Das kann uns doch nicht kalt lassen. Es ist ein großer Grund zur Freude und zum Lob Gottes.
Das ist das Erste, was wir von Paulus lernen können: Wir danken für die Menschen in unserem Hauskreis und auch für unsere bekannte evangelische Gemeinde hier in Hannover. Wir danken Gott dafür, dass er uns diesen Glauben schenkt.
Die Liebe als Folge des Glaubens
Für Paulus ist das der allergrößte Grund zum Danken. Und damit hängt ein weiterer Dank zusammen. Er dankt für euren Glauben an den Herrn Jesus Christus. Was hängt noch damit zusammen? Er hat gehört von eurer Liebe zu allen Heiligen.
Der Glaube an Jesus Christus führt also zur Liebe zu allen Heiligen. Dabei sind nicht die Heiligen gemeint, die die römisch-katholische Kirche aus der Vergangenheit verehrt. Im Epheserbrief sind die Heiligen die Mitchristen.
Aus dem Glauben an den Herrn Jesus Christus folgt die Liebe zu allen Heiligen, also die Verbundenheit mit denen, die Jesus Christus ebenfalls folgen. Das kann mich als Christ nicht kaltlassen. Ich führe als Christ keine isolierte Existenz. Hauptsache, ich habe meinen Jesus, und was um mich herum sonst noch passiert, ist mir egal – so funktioniert es nicht.
Paulus sagt: Nein, bei euch ist beides da. Bei euch ist dieser echte Glaube, der an Jesus, den Herrn, den Kyrios, und daraus folgt auch die Liebe zu euren Mitchristen. Deshalb sind wir als Christengemeinde etwas anderes als ein Sportverein, eine Partei oder eine Clique, die durch gemeinsame Interessen verbunden sind.
Nein, wir sind ganz anders miteinander verbunden. Wir gehören zu einer neuen Familie. Man sagt ja immer: Blut ist dicker als Wasser. Familiäre Bande sind also viel enger und inniger als alles andere. Aber hier müsste man sagen: Jesus Christus verbindet noch stärker als Blut.
Es ist eine ganz andere Qualität, die Christen in der Gemeinde miteinander verbindet, als es menschliche Familien tun. Und wenn innerhalb einer menschlichen Familie auch noch die Verbindung durch Jesus Christus gegeben ist, dann ist das etwas ganz Besonderes.
Liebe trotz Konflikten und Herausforderungen
Man könnte nun zurückfragen und sagen: Paulus, bist du nicht etwas naiv? Du betest hier und dankst für die Liebe zu allen Heiligen, obwohl du doch genau weißt, was für Streitigkeiten sie haben. Du kennst ihre Konflikte, dir ist das nicht unbekannt. Du weißt um die Probleme, die die christliche Gemeinde schon in den ersten Jahrhunderten betreffen. Wie kannst du dann hier so naiv für die Liebe zu allen Heiligen danken? Das klingt doch nach Romantik, nach Schönrederei, aber entspricht nicht der Wirklichkeit.
Dieses Missverständnis entsteht, wenn man Paulus so hinterfragt. Warum? Weil es Paulus nicht darum geht, dass in der Gemeinde immer Friede, Freude und Sonnenschein herrschen. Das sagt er hier nicht. Paulus schreibt nicht: „Liebe Leute, ich habe gehört, dass bei euch immer Harmonie herrscht, dass ihr zu jedem Gemeindeglied lieb und freundlich seid, dass ihr euch nie streitet und keine üble Nachrede betreibt. Das freut mich, Amen.“ So schreibt Paulus nicht.
Er sagt vielmehr: „Ich habe gehört von eurer Liebe zu allen Heiligen.“ Liebe ist mehr als Sympathie, mehr als Harmonie. Liebe ist eine tiefere Verbundenheit, die auch ertragen kann, wenn keine Harmonie herrscht. Sie bricht nicht ab, wenn Streit und Unruhe da sind. Liebe bedeutet die Bereitschaft, dem anderen zu geben, was er braucht. Liebe bedeutet das Wissen: Wir gehören zusammen. Deshalb müssen wir versuchen, uns immer wieder zu versöhnen, wenn wir uns menschlich aneinander reiben.
Liebe heißt auch, bereit zu sein, dem anderen unangenehme Dinge zu sagen, wenn man meint, dass es wichtig für ihn ist. Dabei riskiert man, dass einem seine Sympathien für eine Zeit lang etwas beschränkt entgegengebracht werden. Liebe ist die Bereitschaft, für den anderen zu beten und innerlich an ihm festzuhalten, auch wenn sich unsere Wege einmal trennen.
Darf ich das noch einmal betonen? Liebe ist die Bereitschaft, auch innerlich an dem anderen festzuhalten, wenn sich unsere Wege trennen. So wie es bei Paulus und Barnabas war, deren Wege sich für eine Zeit trennten. Das können Sie in Apostelgeschichte 15 nachlesen. Sie hatten Streit über eine Personalfrage: Soll man Johannes Markus zur nächsten Missionsreise mitnehmen oder nicht?
Paulus meinte, Johannes Markus habe sich nicht bewährt. Er sei von der Fahne gegangen, als es hart wurde, deshalb solle man ihn nicht mitnehmen. Barnabas war mit Johannes Markus verwandt und wollte ihn mitnehmen. Paulus dagegen sagte: „Nein, das ist nicht zu verantworten.“ Barnabas entgegnete: „Ich mache es trotzdem.“ Daraufhin heißt es in Apostelgeschichte 15, dass sie hart aneinandergerieten. Man kann sich vorstellen, wie schwierig das war.
Am Ende gingen Paulus und Barnabas getrennte Wege. Paulus suchte sich einen neuen Begleiter, Barnabas zog mit Johannes Markus weiter. Das änderte jedoch nichts daran, dass sie alle zur Familie Gottes gehörten. Das Schöne ist, dass viele Jahre später, in einem sehr späten Brief, Paulus die Bitte äußerte: „Bitte schick mir Johannes Markus, denn er ist mir sehr nützlich zum Dienst.“ Es gab also Jahre später eine Versöhnung.
Gott sorgte dafür, dass das auch im Neuen Testament dokumentiert wurde, weil Paulus es in diesem späten Brief festhielt. Die Liebe zu allen Heiligen ist also keine ungetrübte Harmonie, die immer über allem schwebt. Sie bedeutet, aneinander festzuhalten, auch unter schwierigen Bedingungen und in schweren Situationen.
Deshalb sagt Paulus: „Dafür danke ich Gott, dass in eurer Gemeinde Glaube an den Herrn Jesus Christus und Liebe zu allen Heiligen vorhanden ist.“ Christen gehören in einer besonderen Weise zusammen, wie niemand sonst. Wir wissen, dass wir die Ewigkeit miteinander verbringen werden. Bedenken Sie das!
Wir gehen auf dasselbe große Ziel zu. Wenn mir jemand mal auf die Nerven geht oder ich ihm, müssen wir doch wissen: Wir werden die Ewigkeit gemeinsam bei Jesus verbringen. Dann wird es keine gegenseitigen Reibereien mehr geben. Bis dahin sollen wir füreinander beten. Christen gehören zusammen.
Die gemeinsame Ausrichtung der Christen
Philip Henry war ein begabter junger Christ im 19. Jahrhundert. Sein Sohn, Matthew Henry, wurde später ein bekannter, liebevoller Theologe. Philip Henry hatte sich in eine junge Lady verliebt, die einer wesentlich nobleren Gesellschaftsschicht angehörte als er selbst. Doch auch sie war Christin geworden. Charakterlich und in ihren Begabungen passten die beiden gut zusammen. Deshalb sah die junge Lady ihren Standesunterschied nicht als Heiratshindernis an.
Die Eltern der jungen Frau hatten jedoch eine ganz andere Meinung. In einer Diskussion darüber, ob sie Philip Henry heiraten sollte oder nicht, äußerten sie sich höhnisch: „Dieser Philip Henry, wo kommt der denn überhaupt her?“ Die junge Frau antwortete freundlich und bestimmt: „Ich weiß nicht, wo er herkommt. Aber ich weiß, wo er hingeht. Ich weiß, wo er hingeht.“
Damit wollte sie sagen: Sie kenne das Ziel seines Lebens. Sie wisse, worauf sein Leben ausgerichtet sei, was seinen Charakter, sein Wesen und seine ganze Ausrichtung bestimme. Das wisse sie, und deshalb könne sie es wagen, ihn zu heiraten.
Diese Geschichte zeigt die geheimnisvolle Gemeinsamkeit der Christen. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Lagern, doch sie glauben an den einen Herrn Jesus. Dadurch gehören sie zur einen Familie der Heiligen Gottes. Diese Familie hat einen sehr noblen Stammsitz, ein Zuhause, in dem wir alle einmal eintreffen werden: den Himmel.
Wer an den Herrn Jesus Christus glaubt, ist auf geheimnisvolle Weise mit den Mitchristen verbunden. Paulus sagt: „Eure Liebe zu allen Heiligen“ (Epheser 6,24). Darum kann es einen Christen nicht kalt lassen, was einen anderen Christen betrifft.
Die zentrale Frage: Ist jemand Christ?
Und ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Eine Frage bewegt uns doch jedem Menschen gegenüber besonders, den wir treffen. Egal, wo Sie diesen Menschen begegnen, sobald Sie sich etwas länger mit einer Person auseinandersetzen, beschäftigt Sie eine Frage besonders. Und Sie wissen auch, welche Frage das ist.
Es ist nämlich die Frage: Ist der Christ? Ist sie Christ? Das ist doch die Kardinalfrage, die uns jedem Menschen gegenüber besonders umtreibt. Das heißt nicht, dass wir die anderen verachten oder links liegen lassen oder sie deswegen weniger sympathisch finden. Aber es bedeutet, dass es einen einfach brennend interessiert, das zu wissen: Ist der Christ oder nicht? Und dass es uns ein Anliegen ist, im Hinblick auf jeden Menschen, dass er Christ wird.
Wir freuen uns riesig, wenn wir bei jemandem plötzlich entdecken: Mensch, der ist Christ. So ging es uns vor einigen Jahren, als wir in Bulgarien im Urlaub waren. Dort war eine nette Reiseleiterin namens Sonja. Wir hatten nicht viel miteinander zu tun, wollten ihr aber zum Abschied noch eine christliche Schrift schenken. Wir erreichten sie jedoch nicht mehr persönlich und konnten das Geschenk nur mit einem kleinen Brief und Gruß für sie hinterlegen.
Wenige Tage später bekamen wir ein Fax aus Bulgarien. Darin schrieb Sonja Mileba: „Liebe Familie Nestvogel, vielen Dank für Ihren netten Brief und für die Broschüre. Als Bulgarin freue ich mich sehr, dass wir einen gemeinsamen Vater haben.“ Dann fuhr sie fort: „Ich bin in einer christlichen Familie aufgewachsen, war aber lange Zeit weg von Gott. Erst seit ein paar Jahren habe ich den Weg zu Jesus wiedergefunden. Im Winter helfe ich in der Sonntagsschule hier in unserer bulgarischen Gemeinde. Ich betreue die kleinen Kinder, auch meine beiden Söhne kommen mit. Nur mein Mann bleibt jetzt etwas abseits, aber ich habe die Hoffnung, dass er auch noch seinen Erlöser findet.“
Also, was meinen Sie, wie sehr wir uns über dieses Fax gefreut haben? Plötzlich stellten wir fest, dass dieser Mensch, den wir ohnehin schon für sehr nett gehalten hatten, Christ ist und zu unserer Familie gehört.
Und genau das ist hier bei Paulus der große Grund, warum er Gott dankt. Er sagt: „Nachdem ich gehört habe von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus und von eurer Liebe zu allen Heiligen.“
Das ist der erste Punkt: Gezieltes Gebet heißt, den größten Grund zum Danken zu sehen – dass Menschen zum Glauben an Jesus Christus finden.
Die Fürbitte: Das zentrale Ziel des Gebets
Und jetzt zum zweiten Punkt: Aus Zeitgründen müssen wir diesen etwas kürzer behandeln.
Nun folgt die Fürbitte, das zentrale Anliegen dieser Fürbitte. Worum bittet Paulus für diese Gemeinde? Nächsten Sonntag werden wir die Fortsetzung sehen. Er bittet um vieles für sie. Doch diese erste Bitte, die er ganz an den Anfang seiner Fürbitten stellt, wollen wir uns noch kurz ansehen. Dann ist unsere heutige Aufgabe erfüllt.
Was könnte Paulus jetzt bitten? Denkbar wäre, dass er sagt: „Da ihr nun dazugehört, bitte ich für euch, dass der lebendige Gott euch viel Mut und Engagement schenkt. Damit ihr fleißig missionieren könnt, euch immer besser untereinander versteht, als Gemeinde fröhlich zusammenwachst und ein überzeugendes Zeugnis nach außen hin abgebt.“ Das sind alles wichtige Anliegen. Dafür hat er an anderen Stellen auch gebetet. Aber hier ist das zentrale Ziel der Fürbitte nicht das.
Interessant ist, wofür Paulus jetzt betet. Hören Sie genau zu: „Ich gedenke euer in meinem Gebet“ (Vers 17), „dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn selbst zu erkennen.“
Das ist erstaunlich. Das ist das zentrale Ziel der Fürbitte für die Gemeinde: dass sie Gott besser kennenlernen. Und das nach allem, was Paulus in den vorherigen Versen geschrieben hat. Dort steht ja schon, dass sie Christen sind, Gott kennen, zu dem wahren Gott beten und schon etliche Erkenntnis bekommen haben.
Da könnte Paulus doch jetzt dafür beten, dass sie das Gelernte in die Praxis umsetzen, glaubwürdig miteinander umgehen und so weiter. Das sind ja auch alles wichtige Dinge. Aber obwohl sie Christen sind, betet Paulus zunächst einmal zentral für das eine: dass sie den lebendigen Gott selbst besser erkennen. Dass „der Vater der Herrlichkeit euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn selbst zu erkennen.“
Die Bedeutung des besseren Kennenlernens Gottes
Und darin steckt ein ganz praktischer, ein äußerst wichtiger Hinweis für jeden von uns, der Jesus Christus nachfolgt. Auch wenn wir zu Jesus gehören, auch wenn wir Gottes Kinder sind – vielleicht schon seit vielen Jahren – und auch wenn wir gerettet sind, ist es für uns von großer Wichtigkeit, dass wir Gott selbst immer besser kennenlernen.
Oft ist uns das überhaupt kein Anliegen. Wir haben viele andere Anliegen, etwa wie wir als Christen wachsen können, oder dass wir bestimmte Fehler abstellen und bestimmte Sünden nicht mehr begehen. Das ist ja auch alles wichtig. Aber Paulus macht deutlich: Leute, trotz eures schon andauernden Christseins kommt es jetzt darauf an, dass ihr Gott selbst immer besser kennenlernt.
Das kann man mit einem sehr menschlichen Beispiel leicht nachvollziehen, nämlich mit dem Beispiel der Ehe. Ich sage das den Leuten im Traugespräch immer wieder: Es ist wichtig, dass sie sich Zeit füreinander nehmen, dass sie wirklich versuchen, den anderen immer mehr kennenzulernen, und dass sie sich ein Leben lang um den anderen mühen.
Viele Eheprobleme entstehen, weil die Leute denken: „Ja, wir lieben uns doch, wir kennen uns doch, und das reicht jetzt. Jetzt läuft die Ehe von ganz allein.“ Aber es ist so wichtig, dass wir uns immer wieder die Mühe machen, den anderen ein ganzes Leben lang zu entdecken.
Das ist eine große Herausforderung – ich denke, auch für die Ehen von uns Christen –, dass wir nicht bequem werden in unseren Ehen, dass sich nicht alles so einspielt und man sagt: „Ja, man kennt sich ja, natürlich kennt man sich.“ Aber es ist so wichtig, dass das Interesse am anderen nicht erlischt, ihn besser und tiefer kennenzulernen.
Und das ist nur ein schwaches Beispiel für unser Verhältnis zu Gott. Natürlich durchschaut Gott uns völlig, erkennt uns in- und auswendig. Aber es ist für uns wichtig, dass wir Gott immer besser kennenlernen.
Es gibt so viel zu entdecken: Gott ist unendlich groß, unendlich mächtig, unendlich reich. Deshalb nennt Paulus ihn hier in Vers 17 den „Vater der Herrlichkeit“. Das ist ein auffälliger Ausdruck, den er hier für Gott gebraucht. Ganz selten kommt dieser Begriff vor: „der Vater der Herrlichkeit“. Damit drückt Paulus die ganze Wucht, Fülle, Majestät und den Reichtum aus, der in Gott als Person liegt. Und Paulus sagt: Den sollt ihr besser kennenlernen.
Das ist erstaunlich, dass Gott sich uns so zu erkennen geben will. Beim weltlichen Chef ist das ganz anders. Ein weltlicher Chef hält normalerweise Abstand. Dem Vorstandsvorsitzenden von Daimler liegt es nicht besonders daran, dass seine Mitarbeiter ihn persönlich besser kennenlernen. Ein weltlicher Chef ist zufrieden, wenn er einen guten Kontakt zu seinen wichtigsten Mitarbeitern hat, wenn er zur rechten Zeit sein Lob aussprechen kann, wenn er weiß, dass man in vernünftiger Kommunikation steht und die Aufgabenbereiche effektiv aufeinander abstimmt.
Aber das reicht. Privat macht jeder sein eigenes Ding, und das ist ja auch in Ordnung. Aber wie anders ist Gott! Der Herr der Herren will, dass wir ihn persönlich besser kennenlernen. Daran sieht man, wie wichtig Gott diese persönliche Verbindung zu uns ist.
Aus diesem Kennenlernen Gottes wächst dann Freude – Freude an Gott und Freude über Gott. Und aus dieser Freude über Gott wächst dann Lob Gottes. Was ist Lob anderes, als dass wir darüber reden, was uns froh macht? Dass wir sagen: „Mensch, das ist wunderbar, das ist großartig!“ Je mehr wir Gott kennenlernen, desto mehr freuen wir uns über Gott. Und je mehr wir uns über Gott freuen, desto mehr loben wir ihn.
Beobachten Sie das mal an der Sprache der Psalmen, wie sie immer wieder dazu einladen, sich an Gott zu freuen. Zum Beispiel in Psalm 37, Vers 4: „Freut euch in dem Herrn, freut euch in Gott.“ Oder Psalm 42, Vers 2, da wird eine eindrückliche Sprache verwendet: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele Gott zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.“
Das ist die Haltung, die unsere Haltung werden soll: dass wir Sehnsucht nach der Gemeinschaft mit Gott haben. Dass wir nicht nur sagen: „Ja, ja, Gott ist da, und er hat Jesus geschickt, und er hat jetzt unser Leben in Ordnung gebracht, und das ist schön“, und das dann weitergeben. Sondern wir sollen wirklich Sehnsucht nach Gott als Person haben, ihn besser kennenlernen wollen.
Das ist nicht irgendein Gefühlsaufwall, der hier im Psalm gemeint ist, sondern es geht um eine Grundhaltung unseres Lebens. Oder nehmen Sie Psalm 63, Vers 1, einen Psalm Davids, als er in der Wüste war: „Gott, du bist mein Gott, den ich suche; es dürstet meine Seele nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir.“
Verstehen Sie: In der Wüste, wo er Durst nach Wasser hat, wird ihm klar, dass es noch einen viel größeren Durst gibt, der sein Leben prägt. Seine Seele dürstet nach Gott. Diese Haltung erbittet Paulus für die Christen in Kleinasien und für uns, dass Gott uns gebe, ihn wirklich besser zu erkennen und dass wir Hunger und Durst nach ihm bekommen.
Wir denken dabei wahrscheinlich auch an Hiob 42, Vers 5, wo Hiob sagt: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich gesehen, Gott.“ Hiob kannte Gott vorher. Er war ein gläubiger, aufrechter Nachfolger des lebendigen Gottes. Dann wurde er durch einen schwierigen Leidensprozess geführt, und Gott erzieht ihn.
Am Ende hat Hiob nicht etwa eine Vision Gottes, so dass er sagen kann, er habe eine besondere Erscheinung der Herrlichkeit Gottes gehabt. Nein, er hat Gott persönlich besser kennengelernt. Er hat viel besser verstanden: Gott ist der Allmächtige, und ich muss demütig vor ihm sein. Aber ich kann mich auch auf ihn verlassen.
Er hat Gott durch diese leidvolle Zeit immer besser kennengelernt. Das drückt er in diesem Bild aus und sagt: „Ich hatte von dir bisher nur vom Hörensagen vernommen, aber jetzt hat mein Auge dich gesehen.“
Dahin will Paulus die Christen in Ephesus bringen. Dafür bittet er, dass das an ihnen geschieht und auch an uns. Dass wir uns nicht zufrieden geben mit der doch recht oberflächlichen Erkenntnis Gottes, des Vaters und seines Sohnes, die wir haben. Dass wir zwar die Eigenschaften und Attribute Gottes kennen, aber dass uns das nicht reicht.
Vielmehr soll es uns wirklich darum gehen, vor ihm zu stehen im Gebet – nicht um irgendwelche mystischen Erfahrungen zu machen oder Gefühlsausbrüche zu erleben, sondern um dem lebendigen Gott immer tiefer zu begegnen.
Das Gebet um den Geist der Weisheit und Offenbarung
Darum ist das Letzte, was ich heute noch sagen will: Paulus betet nicht nur für das Ziel, sondern auch für das Mittel. Und das Mittel ist das, worum ich bitte: dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn selbst zu erkennen.
Das erbittet Paulus auch für Sie und für mich heute Morgen. Darum wollen wir auch füreinander immer wieder bitten, dass der lebendige Gott uns den Geist der Weisheit und den Geist der Offenbarung gibt.
Damit ist an dieser Stelle nicht einfach gemeint, dass Gott uns den Heiligen Geist gibt. Den haben wir ja als Christen. Die Leute, denen Paulus schrieb, hatten den Heiligen Geist. Er hat ja erst in Vers 13 gesagt: „Ihr seid versiegelt mit dem Heiligen Geist.“
Jetzt geht es um eine Haltung, die der Heilige Geist in unserem Leben wirken soll. Dafür betet Paulus, dass Gott euch gebe den Geist, also die Haltung der Weisheit und der Offenbarung. Das heißt, dass ihr Gott und seinem Wort mit der Haltung begegnet, die dieser Offenbarung angemessen ist.
Wenn Sie einen englischen Text verstehen wollen, brauchen Sie gewissermaßen den Geist des Englischen. Sonst können Sie den englischen Text nicht verstehen. Sie müssen die Vokabeln kennen und die Grammatik wenigstens in groben Umrissen. Dann verstehen Sie den englischen Text.
So bittet Paulus darum, dass wir immer mehr bekommen den Geist der Weisheit und der Offenbarung. Das heißt, dass unsere Haltung zur Bibel, unser Verständnis der Bibel immer mehr wächst. Dass wir das immer besser kapieren. Auch unsere innere Haltung – die Demut, die Bereitschaft, darauf zu hören, die Bereitschaft, es dann auch zu tun, was wir erkannt haben, die Bereitschaft, uns Zeit dafür zu nehmen, die Bereitschaft, etwas von Gott zu erwarten – soll in unserem Leben wachsen.
Das wird dazu führen, dass wir Schritt für Schritt auf Dauer immer mehr diese Haltung der Weisheit und der Offenbarung, also diese Grundhaltung, die der Offenbarung Gottes gemäß ist, in unserem Leben lernen. Das führt dazu, dass wir sein Wort mit mehr Liebe und Hingabe studieren. Dadurch werden wir Gott immer mehr kennenlernen.
So wird das Ziel erreicht, für das Paulus betet. Dann wird unsere Freude an Gott wachsen. Das wiederum wird dazu führen, dass wir Gott immer mehr loben.
Deshalb steht das hier am Anfang. Deshalb ist das das zentrale Ziel der Fürbitte des Paulus. Ich lese es zum Schluss noch einmal: „Der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn selbst zu erkennen.“
Deswegen ist diese tiefe persönliche Erkenntnis gemeint. Da steht nicht nur „Gnosis“ im Griechischen, sondern „Epignosis“. Es geht also um ein echtes, persönliches Erkennen des lebendigen Gottes.
Schlussgedanken und Anwendung
Ich komme zum Schluss. Wir fragen so oft: Wofür sollen und dürfen wir beten? Wie können wir in unserem Gebet lernen, Gottes Willen noch besser zu erkennen?
Paulus hat uns heute Morgen zwei wichtige Themen gezeigt, die wir schon heute oder morgen früh in unserer stillen Zeit anwenden können.
Er hat gesagt, das ist der größte Grund zum Danken: „Ich habe gehört von eurem Glauben an den Herrn Jesus Christus und von eurer Liebe zu allen Heiligen.“ Lasst uns dafür danken, dass der lebendige Gott Menschen zu seinen Kindern macht, Menschen zum Glauben ruft. Er verbindet uns als seine Kinder, als seine Heiligen, mit einer besonderen Liebe miteinander.
Lasst uns froh darüber sein. Nehmen wir es nicht als selbstverständlich hin, dass der lebendige Gott uns diese Gemeinde schenkt. Und nehmen wir es auch nicht als selbstverständlich hin, dass wir auf der ganzen Welt immer wieder auf Menschen treffen, die ihn lieben, die ihn ehren, mit ihm reden, auf ihn hören und sich von ihm gebrauchen lassen, wo sie stehen.
Überall hat Gott seine Leute, so sagt es Manfred Siebald in einem Lied. Darüber lasst uns froh sein und ihm dafür danken. Das ist das Erste.
Das Zweite ist: Wir wollen für vieles füreinander beten. Dass dem Kranken wieder Gesundheit geschenkt wird, dass der Arbeitslose eine Stelle findet, dass der Mutlose wieder frischen Mut bekommt und mit mehr Freude an seine Arbeit geht. Dass die Schüler, wenn die Schule in der nächsten Woche wieder beginnt, gut klarkommen, ihre Aufgaben schaffen und sich als Christen bewähren können.
Wir wollen auch für die Missionare beten, die wir kennen, dass der Herr ihnen Mut und Kraft für ihren Dienst gibt. Das ist alles wichtig.
Es gibt ein zentrales Ziel der Fürbitte, das Paulus uns hier gezeigt hat, und das wollen wir nicht aus dem Blick verlieren: Wir wollen füreinander beten, dass der lebendige Gott es uns schenken mag, ihn besser zu erkennen. Dass er in unserem Leben diesen Geist der Weisheit und der Offenbarung wachsen lässt, damit wir ihn mehr verstehen, ihn ehren und von ganzem Herzen lieben.
Kein anderes Gebet wird unsere Gemeinde so sehr verändern wie dieses Gebet um die Erkenntnis Gottes.
Darum würden wir jetzt gleich zum Abendmahl miteinander gehen. Dort werden wir auch diesen beiden Themen wieder begegnen.
Lasst uns dankbar dafür sein, dass Jesus uns in diese Gemeinschaft hineinstellt. Diese Gemeinschaft wird an seinem Tisch so besonders deutlich. Wir gehören zusammen, weil wir zu ihm gehören.
Wir dürfen füreinander danken, dass wir diesem Opfer, das er auf Golgatha ein für alle Mal für uns gebracht hat, trauen dürfen. Wir dürfen dankbar sein, dass wir durch diese Versöhnung, die Christus bewirkt hat, erlöst worden sind, der Hölle entrissen und zu Kindern Gottes gemacht.
Lasst uns dafür danken, wenn wir so gemeinsam dieses Geschenk feiern. Im rechtverstandenen Sinne danken wir Gott, wenn wir gemeinsam zum Mahl gehen.
Und dann das andere: Lasst uns füreinander beten, dass wir Gott immer besser kennenlernen. Auch im Mahl gibt er sich uns zu erkennen. Er zeigt uns das Antlitz seines Sohnes Jesus Christus, der für uns gestorben ist, um unsere abgrundtiefe Sünde zu bedecken.
Er zeigt uns seine Heiligkeit und seine Liebe. Er lädt uns ein, auch dessen im Mahl zu gedenken und ihn dafür zu loben und zu ehren.
So lasst uns füreinander danken und füreinander bitten – zur Ehre unseres großen Gottes. Amen.
