Einleitung und persönliche Erfahrungen mit Gott
Psalm 32 in den ausgelegten Bibeln, Seite 525, Psalm 32
Wir hatten gestern Abend einen eindrücklichen Abendgottesdienst. Dabei wurde deutlich, wie es ist, wenn Christen viel Mut gewinnen, über persönliche Dinge ihres Lebens zu sprechen. Das hilft, weil diese Offenheit sofort auf unser eigenes Leben überspringt.
Das ist auch bei den Psalmen sehr hilfreich. Wir haben die ganze Predigtreihe überschrieben mit „Persönliche Erfahrungen mit Gott“. Heute geht es um „Weggewischte Schuld“.
Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist, wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Trug ist.
Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen. Denn deine Hand lag Tag und Nacht schwer auf mir, sodass mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird.
Darum bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verhehlte ich nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen.
So ein Willensentschluss: Jetzt will ich es, jetzt will ich es nicht länger im Dunkeln lassen. Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde. Deshalb werden alle Heiligen zu dir beten zur Zeit der Angst.
Darum, wenn große Wasserfluten kommen, werden sie nicht an sie gelangen. Du bist mein Schirm, du wirst mich vor Angst behüten, sodass ich errettet gar fröhlich rühmen kann.
Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten. Seid nicht wie Rosse und Maultiere – ich bin biologisch immer ein bisschen schwach –, aber ich würde sagen: Seid nicht wie Esel statt Maultiere, die ohne Verstand sind, denen man Zaum und Gebiss anlegen muss, sonst kommen sie nicht zu dir.
Der Gottlose hat viel Plage, wer aber auf den Herrn hofft, den wird die Güte umfangen.
Freut euch des Herrn und seid fröhlich, ihr Gerechten, und jauchzt, alle ihr Frommen!
Herr, führe uns dahin, dass wir auch so fröhlich werden heute! Amen!
Die moderne Sicht auf Schuld und Vergebung
Liebe Schwestern und Brüder,
zu den modernen Errungenschaften unserer Zeit gehören auch die großen religiösen Durchbrüche, über die viel gesprochen wird und die so sehr gefeiert werden. Zu einem dieser neuen religiösen Gefühle unserer Zeit gehört die Aussage vieler Menschen, dass wir nicht mehr im finsteren Mittelalter leben.
Landauf, landab – in der Presse, in der öffentlichen Meinung und im Fernsehen – wird das deutlich. Man wird zur Tat gerufen und das alte Thema von der Sünde und der Schuld wird nicht mehr angesprochen.
Der moderne Mensch packt doch die Aufgaben der Zukunft an, gestaltet die Welt und schafft das Übel ab. Von Schuld zu sprechen, nur darüber zu reden, gilt als höchst gefährlich und unheimlich.
Durch die christlichen Worte, die von Schuld sprechen, haben manche Menschen bereits eine gefährliche Entwicklung durchgemacht und einen psychischen Knacks bekommen.
Hören Sie sich einmal um: Viele wurden schon in ihrer Kindheit durch ihren frommen Großvater gehemmt, der ihnen das Gewissen weckte. In der Therapie wird dann oft der Rat gegeben: Machen Sie sich bitte frei von allen Fesseln, verwirklichen Sie sich selbst und vergessen Sie ja – von Schuld wird schon gar nicht mehr gesprochen. Vergessen Sie die Gefühle, die Sie bedrängen. Sie brauchen das beim besten Willen nicht zu haben. Wir leben in einer neuen Zeit und setzen uns neue Maßstäbe und neue Lebensordnungen.
Ich denke, dass sogar manche von Ihnen, die jetzt hier im Gottesdienst sind, von diesen Fragen bedrängt werden. Es sind ja viele, die auf Sie einreden und sagen: Bist du dir auch bewusst? Mit einer Entscheidung für Jesus hast du dich vielleicht in etwas hineinreißen lassen, was ja so in der Christenheit gar nicht mehr gelebt wird. Mach dich frei von diesem überholten Pietismus und lebe ein aufgeschlossenes, weltzugewandtes Christentum. Leg die Eierschalen des Mittelalters ab, der Finsternis, und lebe heute neu. Schuld.
Die Realität von Schuld im heutigen Jahrhundert
Schuld gibt es nicht mehr. Der moderne Mensch leidet nicht mehr unter seiner Schuld, und er fragt nicht mehr, wo er Vergebung bekommen kann. Hör dich doch um, das ist nur bei dir so. Du bist religiös geschädigt.
Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass heute in unserer Welt über Schuld solche Gedanken herrschen – Gedanken, die dominieren. Wenn ich heute über Schuld und Vergebung predigen will, kann das für manche in unserer Mitte eine harte Zumutung sein.
Wen bedrückt denn Schuld? „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sagen viele. „Ich stehe vor meinem Gewissen sauber da.“
Darum möchte ich Ihnen zuerst etwas Wichtiges sagen: Schuld ist doch die große Last auch der Menschen unseres Jahrhunderts, eine große Last, die auf den Menschen liegt. Schuld – sprechen wir eigentlich wirklich nicht davon? Oder ist gerade unser Jahrhundert voll davon, von Schuld zu reden? Von den Vernichtungskriegen, in denen 50 Millionen Menschen starben? Von der unheilvollen Nazi-Vergangenheit, die uns Tag für Tag vorgehalten wird?
Ja, was ist jetzt eigentlich los? Das haben wir doch gerade so gehört. Und dann reden Sie ja dauernd von Schuld. Kein Fernsehabend vergeht, ohne dass von Schuld gesprochen wird, von Faschismus, von den Hungernden der Welt. Doch immer in dieser merkwürdigen Umkehrung.
Da wollen wir Acht geben, dass man etwas hat, auf das man die Schuld werfen kann. Da sind die Schuldigen, die Täter. Wenn heute unsere jungen Leute durch die Straßen ziehen, ist das nicht böse, wenn sie für Gerechtigkeit demonstrieren. Aber ist nicht eine Verschiebung geschehen? Man prangert Schuld an, man hat die Mächte gefunden, die Strömungen, die Schuldigen. „Da ist es, da klagt sie an, da macht sie fertig.“
Meine Schuld? Fragen Sie junge Menschen nach ihrer Schuld: „Meine Väter haben mich falsch erzogen, meine Mutter, mein Elternhaus. Ich habe mich frei gemacht. Gott sei Dank kann ich mit achtzehn weg.“ Meine Schuld? Nein, wo denn? Schulderkenntnis fehlt – persönliche Schulderkenntnis.
Die biblische Perspektive auf Schuld und Selbsttäuschung
Wenn wir die Bibel aufschlagen, können wir solche Zeiterscheinungen erkennen und merken, dass es sich nicht um ein modernes Phänomen handelt, sondern um das altmodischste, das es gibt. Da war doch einer ganz am Anfang, kein Heuchler. Und als Gott ihn auf seine Schuld anspricht, reagiert er wie ein moderner Mensch heute und sagt: „Ich? Was geht mich das an? Ich bin von meinem Gewissen rein, habe mir nichts vorzuwerfen, ich stehe gerade da.“
Und jedes Kind denkt: Was ist da bloß los, dass ein Mensch so falsch leben kann? Lügt er einfach oder glaubt er vielleicht selbst daran? Das ist so schwer zu beantworten wie bei Menschen heute, auch bei uns. Dieses Reden: „Ich kann nichts dafür, ich bin doch gar nicht schuld“, obwohl jeder Außenstehende sieht, dass niemand anderes schuld ist als der eine Mensch selbst. Nur er selbst sieht es nicht.
Warum hat eigentlich dieser Mensch das von sich weggeschoben und gesagt: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“? Warum? Er braucht irgendwo ein Stück Lebenssicherheit. Er kann ja mit seiner Schuld nicht leben, er kann sich gar nicht dazu stellen, denn in dem Augenblick, in dem er seine Schuld bekennt, kann er nicht mehr weiterleben. Das, was geschehen ist, ist so furchtbar. Darum ist der Betrug, den er beginnt, diese Lüge letztlich nur der Versuch, überhaupt sein Leben zu retten.
Und da werden wir von der Bibel bei diesem Punkt getroffen, der so aktuell ist: Wir brauchen unsere Lebenssicherheit. Ich kann doch meinen Mitmenschen nicht zugeben, was ich schuld habe. Wenn nur die jetzt neben mir in der Kirchenbank wüssten, was in meinem Leben alles drin war, was nur Gott weiß, ich würde schamrot hinauslaufen. Wenn sie wüssten, mein Leben – würden alle schamrot weglaufen.
Meine Selbstsicherheit gebietet es, vielleicht ist es sogar gerade die Tücke, dass wir versuchen, mit all dem, was wir reden und arbeiten, uns so ein Stück Sicherheit zu nehmen und uns langsam aber sicher einen guten Ruf anzulegen und zu sagen: „Wir sind doch ganz nette Leute.“ Dann empfinden wir das, was Gott uns immer wieder sagt, als die große Störung. Warum rührt Gott immer wieder an den wunden Punkt?
Wir sind doch froh, dass wir gerade meinen, über manche Entgleisung unseres Charakters hinwegzukommen. Und dann gestehen wir ganz freimütig zu, dass wir Fehler haben – sicher, kein Mensch ist fehlerlos, es passieren uns ja so kleine Dinge immer mal wieder. Aber Schuld vor Gott, als deren Quittung der Tod am Ende kommt, die leugnen wir. Und da fliehen wir davor und akzeptieren sie nicht.
Da spricht dieser Mann aus einer persönlichen Erfahrung, dieser Beter, und sagt: „Ich habe es ja auch vertuschen wollen, ich habe leben wollen wie kein anderer.“ Ich sage es noch einmal: Man kann sogar subjektiv ehrlich sagen, „Ich habe keine Schuld.“ Ich glaube, dass die meisten Menschen heute überzeugt sind, dass sie ehrlich sind, wenn sie dies sagen.
Aber er sagt, das verlagerte sich bei mir dann in den Körper. Und er deckt hier auf, wie unser Körper und unser Leben zusammenhängen – Geist, Seele und Leib – und dass Dinge, die wir sogar in einem ganz verkrampften Akt verdrängen, sich plötzlich auf den Leib schlagen. So haben viele Erkrankungen unseres Körpers ihre Ursache darin, dass wir in einer großen Lüge vor Gott leben. „Ich bin doch recht, ich habe mir nichts vorzuwerfen, ich stehe vor meinem Gewissen sauber da.“
Und das Ganze hat sich längst verschoben, da ich es wollte verschweigen: „Verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Heulen.“ Da wird uns von der Bibel in prophetischer Weise gezeigt, wie unser Jahrhundert unsagbar unter Schuld leidet und nicht einmal weiß, wie es sie loswerden kann.
Und wenn Sie es nicht der Bibel glauben, dann fragen Sie doch die Ärzte. Sie sagen: Die meisten Krankheiten, die wir in unseren Sprechzimmern behandeln müssen, können wir gar nicht mit der Chemie behandeln. Da müssen wir sprechen mit den Menschen. Das ist eine Verlagerung, weil wir doch spüren, dass das falsch ist, was wir leben.
Die Eltern, die vor ihren Kindern diesen sicheren Eindruck machen, der längst doch in Frage gestellt ist und die immer noch festhalten wollen, dass alles korrekt war. Und die jungen Leute, die sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen und merken, dass sie selbst in der Ungerechtigkeit leben, die sie auf die Bergpredigt berufen und sie gar nicht leben wollen und können.
Das ist doch solch eine Unaufrichtigkeit, die wir immer wieder probieren und an der wir zerbrechen lassen.
Die schwere Last der göttlichen Hand und die menschliche Verzweiflung
Der Mann spricht aus seiner persönlichen Erfahrung: Die Hand Gottes lag schwer auf mir. Kann man das heute auch vom zwanzigsten Jahrhundert sagen? Die Hand Gottes liegt schwer auf den Menschen – genau da. Jeder Mensch hat ein Heimweh nach Gott. Doch gerade deshalb fliehen die meisten Menschen vor Gott. Sie finden oft keinen Zugang mehr, weder zur Gemeinde noch zum Wort der Bibel.
Dieses Empfinden ist ganz wahrhaftig: Gott spricht mich an meiner Schuld an. Und das erträgt man kaum. Es macht mir viel Not, wenn ich daran denke, dass heute im Gottesdienst Menschen sitzen, die vielleicht seit langem zum ersten Mal wieder einen Gottesdienst besuchen. Sie sind innerlich zerrissen. Sie möchten am liebsten aufstehen und hinauslaufen, denn so direkt wurde noch nie über diese Dinge gesprochen.
Sie müssen sagen: Es ist wahr. Doch sie können es kaum aussprechen. Sie können es weder vor ihrer Ehefrau noch vor ihren Freunden eingestehen, weil sie ihr ganzes bisheriges Leben infrage stellen müssen. Bisher haben sie mit ganzer Überzeugung gesagt: „Ich glaube das nicht, ich lehne das ab.“ Und jetzt liegt die Hand Gottes schwer auf mir.
Die Hand Gottes packt uns immer an der Stelle unseres verfehlten Lebens. Denn ich kann doch gar nicht anders leben als auf Gott zu, als auf ihn hin. Alle Dinge des Lebens kommen von Gott und sind von ihm her. Kein Mensch kann das bestreiten, das weiß jeder. Schon aus seiner menschlichen Existenz muss er es wissen.
Aber er kann es nicht leben, weil er in der konkreten Situation sein ganzes Leben umstellen müsste. Er müsste ja aufhören, in so und so vielen Bereichen ungerecht zu sein. Er müsste sich ändern. Und dann liegt die Hand Gottes auf mir.
Ich denke immer wieder daran, wenn ich ins Krankenhaus gehe und mit Kranken bete: Das ist für Menschen unheimlich. Manche werden blass vor Angst. Die Hand Gottes, die sie wiederholt spüren, die sie gar nicht verstehen. „Ich darf doch vor Gott mein Leben befreien lassen“, sagen sie.
Ist nicht all das, was wir heute als moderne Theologie bezeichnen, letztlich nur der Versuch, aus Gott einen frommen Talisman zu machen? Den Gott, der Recht richtet und Schuld sowie Sünde nennt, wollen wir entmythologisieren. Es ist der Versuch, die Bibel harmlos zu machen, damit sie unser Leben nicht mehr trifft.
Dabei will Gott doch unser Leben ändern und heilen. Was wir hier leugnen, was sich jeder nach seinem Gutdünken zurechtlegt, wie er seine Religion baut, das Entscheidende fehlt dabei immer: Dass Gott mich heute aus der Gottferne herausholt.
In dieser modernen Religiosität fehlen die wesentlichsten Punkte. Das können Sie prüfen: Das Gericht fehlt, die Sühne Jesu am Kreuz fehlt und die Auferstehungskraft Jesu fehlt, die uns heute in ein neues Leben treten lässt.
Die Bedeutung der menschlichen Individualität und Gottes Schöpfung
Ich war in den letzten Tagen tief beeindruckt von einem kleinen neuen Buch, das mir in die Hand fiel. Der Göttinger Humanembryologe, Embryoforscher und Professor Dr. Erich Blechschmid hat ein Büchlein über das Geheimnis der menschlichen Individualität geschrieben. Die zentrale Frage lautet: Was ist das Wesen des Menschen?
Nach dem unheilvollen Prozess über den Tod eines Säuglings in einer Münchener Privatklinik erhält dieses Thema eine besondere Aktualität. Im Gerichtssaal sagte jemand, er könne heute klar sagen, dass er der Mutter nicht zur Abtreibung geraten habe. Als ob darin eine Lösung läge oder als ob das Ganze dadurch nur verdeckt worden wäre, was an Tragik geschehen ist.
Ein Mediziner sagte: Jeder Mensch muss heute die Fakten zur Kenntnis nehmen, dass ein menschliches Wesen von der befruchteten Eizelle an ganz Mensch ist. Die biologischen Fakten kann nur verstehen, wer Christ ist. Das ist die Folge seiner Überzeugung, dass die befruchtete Eizelle ganz anders ist als die eines Tieres. Von Anfang an ist der Mensch Gott ebenbildlich geschaffen.
Es ist ungeheuer dramatisch, wenn ein Mediziner einfach von seinen biologischen Fakten ausgeht. Ja, er kann Gott nicht beweisen, aber er führt uns direkt dahin und sagt: Ich kann die ganze Eigenart nur noch von dort verstehen. Es ist keine Evolution, bei der ich irgendwo aufsteige, sondern vom ersten Augenblick meiner Zellexistenz an bin ich Mensch, ganzer Mensch.
Als Christ führt ihn diese Erkenntnis dazu, sagen zu können: Ich kann mein Leben nur von Gott her begreifen. Das ist der Grund, warum ich Ihnen das hier erzähle. Wenn ich schon im Zellkern, im embryonalen Zustand, meine Existenz nur von Gott her leben kann, wie soll ich dann mein Berufsleben, mein Eheleben, meine Urlaubsfreuden oder mein Geld anders verstehen können als von Gott her, auf ihn hin?
Darin liegt die große Schuld und das Versäumnis meines Lebens. Dort liegt die große Verfehlung, dass ich mein Leben selbst lebe, als ob kein „Ich“ lebe, und das Andere von mir wegschiebe. Ich könnte mich um Gott kümmern, wenn es mich wirklich interessiert und wenn ich ihn zur Befriedigung meiner Lust brauche.
Die Befreiung durch das Bekenntnis und die Vergebung Gottes
Schuld – die Last, die heute auf den Menschen liegt. Wie wird man sie los, die Schuld? Verdrängung scheint oft das Rezept zu sein: Man redet nicht mehr davon, man rührt nicht an die Wunde. Doch jemand hat eine andere Erfahrung gemacht. Als er seine Sünde bekannte, da vergabst du mir. Er stellte sich, obwohl wir lange vor diesem Bekenntnis geflohen sind.
Wir haben unsere Schuld entschuldigt, verharmlost und bagatellisiert. Es gibt alle möglichen Täuschungsmanöver, die wir anwenden können. Doch in dem Augenblick, in dem ich mich stelle, vergibt Gott. Mehr ist nicht nötig. Ich kann die Schuld nicht abbüßen, nicht einmal wiedergutmachen. Ich kann nicht einmal für die Zukunft garantieren, dass sie nicht wieder vorkommt. Aber ich will sie vor Gott einfach bekennen.
Es ist sehr wesentlich, dass hier steht: „Da bekannte ich dir meine Sünde“ und nicht „meine Sünden“. Das ist ein Unterschied. Er hat vor Gott nicht nur einzelne Verfehlungen gestanden, sondern seine ganze falsche Grundart seines Lebens. Sünde ist ein ganzes, selbstmächtiges, eigensüchtiges Selbstverwirklichen. Ich lebe für mich, ich frage nicht nach Gott, ich lehne seinen Anspruch ab.
Wenn das geschieht, das ist das, was man Bekehrung nennt – nennen Sie es, wie Sie wollen –, eine Willenshingabe an Gott. Ich will jetzt vor Gott einmal klaren Tisch machen. Ich will die Grundeinstellung meines Lebens ändern. Ich will aussprechen vor Gott, dass ich immer wieder Stücke meines Lebens vor ihm versteckt habe. Hinter diesem Verharmlosen steht ein ganz böses, lügnerisches Manöver.
In dem Augenblick brach die Freude durch. Da vergabst du mir. Und er fängt diesen Psalm ja an mit: „Wohl dem Menschen“ – dem kann man gratulieren, den kann man glücklich preisen, der es geschafft hat. Das sind doch Seligpreisungen, so wie Jesus die Bergpredigt begonnen hat. Das ist der Mann, der da stehen bleibt und sagt: „Herr, ich bekenne dir meine Sünde.“
Jetzt wissen Sie, warum eine Gemeinde immer wieder davon sprechen muss. Es ist Wissen von dem, der neben Ihnen sitzt, und von mir. Wenn wir zu Grabe getragen werden, dann wollen wir das als letztes Wort hören. Es ist nicht viel mehr zu sagen von dem Leben, als dass Gott ein ganz wunderbares Wunder getan hat: Er vergibt täglich alle Sünden. Täglich.
Davon leben auch Christen – Tag für Tag. Sie wollen nie den Anschein erwecken, als ob sie über all das hinaus wären. Stattdessen leben sie von dem großen Wunder, dass Gott durch das Blut Jesu Christi Sünde vollgültig vergibt und auslöscht.
Johannes sagt dann in seinem Brief: „Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsere Sünde bekennen, so ist Gott treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Untugend.“
Ich finde, das ist ein ganz schönes Wort für uns. Wenn man immer wieder fragt: Was wollt ihr eigentlich sein? Wie bezeichnet ihr euch selbst? Dann möchte ich ein bekennender Christ sein – einer, der die Sünde bekennt, der das vor den Mitmenschen sagt und sagt: Ich bin nicht fehlerlos, ich lebe von der Vergebung Jesu.
Aber auch einer, der das Evangelium laut bekennt, in der Evangelisation und in der Mission. Einer, der sich zur Heiligkeit Gottes bekennt und zu seiner Ehre. Das Bekennen ist wichtig: das Aussprechen, das öffentliche Sagen. Ich bin einer, der verfehlt gelebt hat.
Dabei geht es nicht um die Details im Einzelnen, sondern darum, ob wir das bereuen und loslassen wollen.
Die Gefahr der Heuchelei und der richtige Umgang mit Schuld
Ganz am Anfang heißt es: Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Falsch ist. Ein Mensch ohne Falsch – die Gefahr bei frommen Leuten ist ja oft, dass sie heucheln.
Eine Gemeinde wird vor Heuchelei, auch vor der Heuchelei der Pharisäer, nur bewahrt, indem sie täglich ihre Sünden vor Gott bekennt und sich dazu stellt. In dem ist kein Falsch. Dieser Mensch gibt Gott die Ehre und stellt sich zu den Verfehlungen seines Lebens.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es nicht hilfreich ist, sündigen Menschen harte Worte zu gebrauchen, in der Annahme, man könnte sie dadurch zur Erkenntnis ihrer Schuld führen. Heute erleben wir oft, wie junge Menschen ungehemmt und ungebremst in schwerwiegende Verfehlungen hineingeraten, die ihr Leben zerstören. Da möchte man sie manchmal rütteln und schütteln und sagen: „Du machst dein Leben kaputt, bist du wahnsinnig? Wie kannst du das tun?“ Doch sie laufen weiter blind.
Dabei fällt uns auf, dass Jesus immer nur Liebe zum sündigen Menschen gezeigt hat. Mit den Frommen hat er hart geredet, mit den Pharisäern, aber auch mit den Zöllnern und Dirnen – und das in einer unsagbaren Liebe. Ich wünsche Ihnen das rechte Gespür, dass Sie diese Liebe den Menschen spüren lassen, denn Jesus wusste, dass die Hand Gottes schon schwer auf ihnen liegt.
Das ist eine solche Verzweiflung. Und diejenigen von Ihnen, die mit einem ungläubigen Ehegatten zusammenleben müssen oder ungläubige Kinder in der Familie haben, lieben Sie die Vergebung Jesu! Ach, wenn du es doch wüsstest, wie dich Jesus herausholt aus deinen Verfehlungen, aus deinem ganzen Verkrampftsein – mehr nicht!
Mitleid und Liebe.
Die biblische Seelsorge und die Einladung zur Umkehr
Am Ende des Psalms, im Vers 10, heißt es: „Der Gottlose hat viel Plage.“ Das ist biblische Seelsorge. Das sollten Sie doch wissen. Keiner wird glücklich in der Sünde.
In welcher Verfehlung sind Sie schon glücklich geworden? Glauben Sie, ein Ehebrecher könnte wirklich glücklich sein? Sünde macht Menschen kaputt. Sie zerbrechen daran. Und wenn sie das mit Worten leugnen, gehen sie körperlich zugrunde.
Der Gottlose hat viel Plage. Wer aber auf den Herrn hofft, den umgibt die Güte Gottes.
Laden Sie Menschen ein, eine bewusste Willensentscheidung zu treffen: „Ich will meine Sünde bekennen.“ Diese Vergebung Gottes, die hier geschieht, ist keine billige Gnade, wie man sie so oft nennt. Sie verändert unser Leben von Grund auf.
Denn sie bedeutet die Abkehr von falschen Wegen und den festen Willen, in den Gehorsam gegenüber Gott einzutreten.
Die Sicherheit durch Vergebung und der Schutz Gottes
Noch ein letztes Wort muss ich hier sagen. Das macht sicher und fest. Der Ausgangspunkt war ja, dass wir wohl gespürt haben, dass die heutigen Menschen ein wenig Sicherheit suchen.
Wir behaupten uns manchmal so stark gerade gegen das Reden von der Sünde und beharren darauf: Ich habe mir nichts vorzuwerfen, weil wir Sicherheit suchen. Wir empfinden das Reden der Bibel von Sünde und Schuld als Verunsicherung des Menschen, als Hemmung seiner Entwicklung.
Ich könnte Ihnen jetzt erklären, wie es im Marxismus großartig nachzuweisen ist. Das ist das Thema bei meinen Missionsabenden, die ich immer halte: Warum die Marxisten die christliche Verkündigung nicht zulassen können. Sie sind vom Optimismus des Menschen beseelt. Das regt sie immer auf, dass die Christen so einen Dämpfer bringen und sagen: Aber der Mensch hat Sünde.
Die große Aufforderung der DDR einst an die Bischöfe war, in den Siebzigerjahren, dass das Wort Sünde in der theologischen Literatur nicht mehr vorkommen durfte. Warum bewegt das die Herren Honecker und Co.? Weil der Optimismus des Menschen gebremst wird.
Und bei uns ist es doch nicht anders: Redet doch in der Kirche nicht so viel von der Schuld, sondern redet von den großen politischen Aufgaben, die wir anpacken müssen, und ermutigt die Christen. Aber wir jagen die Leute in ein furchtbares Abenteuer hinein. Sie haben weder die göttliche Kraft empfangen noch den Segen Gottes, indem sie das tun können.
Darum wird hier in diesem Psalm davon erzählt, dass die Vergebung uns Gottes sicher und fest macht. Wer die Vergebung empfangen hat und seine Sünden bekannt hat, der kann jetzt ganz ruhig leben. Deshalb werden alle Heiligen zu dir beten zur Zeit der Angst. Und wieder sind wir bei den Ängsten.
Wenn große Wasserfluten kommen, werden sie nicht an sie gelangen. Du bist mein Schirm, sie können sich unter Gott zurückziehen. Ich war am letzten Sonntag traurig. Das passiert immer nach der Predigt, wenn ich etwas vergessen habe. Aber es war ja Zeit zum Aufhören, da habe ich das vergessen: dass man zu Gott sagen muss, der Herr ist mein Licht, mein Heil und hier wieder mein Schirm.
Das kann doch nur der sagen, der von Gott Vergebung empfangen hat, der sich offen zu seinen Verfehlungen stellen kann. Er sagt: Das weiß ich, ich habe viel in meinem Leben falsch gemacht, und ich bin bedrückt und traurig. Oft falle ich vielleicht sogar in eine regelrechte Depression.
Dann holt mich der Herr heraus, indem ich auf ihn blicke. Das Kreuz Jesu ist mir die Bekräftigung, dass er mich nicht loslässt, sondern dass er für mich starb. Die Sünde darf mich nicht hinunterreißen, sondern er erlöst mich und führt mich zum neuen Leben.
Ich will dich, Erretter, gar fröhlich rühmen.
Die Führung Gottes und die Nachfolge im Glauben
Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst. Wie geht es jetzt weiter, damit ich nicht wieder von seinem Weg abirre? Es braucht ein schönes Bild: Gott leitet uns mit den Augen. Sei doch nicht wie die Esel, die man festbinden muss. Sei auch nicht wie ein scheues Pferd, das davon galoppiert. Dann muss man ihm ein Zaumzeug in den Mund legen, hinter die Zähne, damit man es zurückziehen kann.
Wer noch mit Gäulen Umgang hat, weiß, dass es sehr schwierig ist, ein scheues Pferd zu bändigen. Das gelingt nur, indem man ihm ins Zaumzeug fällt und es zurückreißt. Das gibt es auch bei Christen: dieses fanatische Losrennen in der Sünde und auch in der selbstgewählten Frömmigkeit. Sei doch kein Esel, sagte er, sondern lass dich mit den Augen leiten.
Ein Bild dazu: Neulich kam ein Konzert im Fernsehen. Am Sonntag haben Sie es noch gesehen: Händels Wassermusik. Der Dirigent hat am Schluss etwas ganz Nettes gemacht. Er hat nur noch mit den Augen dirigiert. Es war sehr eindrücklich. Kein Finger hat ihn mehr berührt, und er hat das Stück noch einmal spielen lassen, nur indem er seine Musiker mit den Augen ansah.
Leben Sie so im Augenkontakt mit Gott! Sie wissen, im Bild gesprochen: Ich kann Gott ja nicht sehen. Leben Sie so direkt mit seinem Wort, dass Sie Entscheidungen treffen können, die heute von uns gefordert sind – aus der Vergebung heraus.
Dann lähmt uns die Sünde nicht. Es ist nicht wahr, dass sie uns niederdrückt. Im Gegenteil: Man redet ab heute nicht mehr davon. Sie brauchen nicht nachts schweistriefend aufzuwachen und an alte Verfehlungen zu denken, sondern sagen: „Heute habe ich sie ins Meer der Vergebung Gottes geworfen. Ab heute will ich nicht mehr daran denken.“ Vergeben und vergessen, weggetan.
Und das ist meines Lebens Ruhm: Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert bin. Wir brauchen nichts anderes zu sagen. Das ist das Wunder, das in meinem Leben geschehen ist, von dem ich nicht mehr loskomme und das mich so fröhlich macht.
Freut euch des Herrn und seid fröhlich, ihr Gerechten, ihr, die eure Sünde bekannt habt und sie heute dem Herrn hingelegt habt, ihr von Gott Gerechtgemachten! Jauchzt alle, ihr Frommen! Amen!
