Die Herausforderung, Gottes Wirken in Krieg und Leid zu verstehen
Wir sind in Kapitel 1, in den Versen 15 bis 21. Krieg – das ist alles furchterregend und sehr hoch. Wenn wir glauben, dass Gott Gott ist und alles wirkt, dann ahnen wir etwas von der Größe und Macht Gottes. Gleichzeitig ist es aber auch furchterregend.
Solche Dinge, die da passieren – Kriege, Weltkriege, Zerstörungen – sind hochgradig furchtbar. Es fällt uns schwer, das mit dem in Einklang zu bringen, was wir von Gott wissen: dass er ein gerechter Gott ist und ein Gott der Liebe.
Aber es heißt dann gleich als Nächstes, die Felgen waren voll Augen. Augen stehen für Erkenntnis. Mit den Augen sieht man, und häufig verwendet man „sehen“ als Ausdruck für Erkennen und Verstehen.
Die Felgen voller Augen bedeuten, dass Gott alles sieht und darum auch alles weiß. Er handelt in dieser Welt an einzelnen Menschen, an ganzen Völkern, mit vollem Wissen von allem, was je geschehen ist, was geschieht und was noch geschehen wird. Er überblickt alles gleichzeitig.
Wir hingegen sehen und wissen so wenig. Wir nehmen nur einen ganz kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit wahr, nur gerade das, was uns direkt betrifft. Alles andere, von dem wir hören, ist uns schon so weit weg, dass wir manches nicht richtig verstehen.
Was uns präsentiert wird, ist unseren Sinnen nach auf verschiedene Art und Weise verzerrt – durch unsere eigene Wahrnehmung und durch die Präsentation. Ja, wir wissen so wenig. Wir nehmen nur einen ganz kleinen Schlitz der Wirklichkeit wahr.
Darum ist uns das Allermeiste, was passiert, unerklärlich. Das ist so, als wenn man durch eine Wand schaut, bei der die Bretter nicht ganz aneinanderstehen, sodass kleine Schlitze entstehen. Durch einen Schlitz sieht man draußen, wie sich etwas bewegt, jemand geht vorbei.
Alles, was man sieht, ist durch diesen einen Schlitz sichtbar. Links und rechts sieht man nichts. Es ist dann natürlich sehr schwer, ja unmöglich, das zu erklären, was wir gerade wahrnehmen.
Wüssten wir mehr, wäre uns manches nicht so rätselhaft. Vieles, was geschieht, würden wir dann erkennen als die ganz logische, richtige und gerechte Folge von Dingen, die früher geschehen sind.
Aber weil wir nicht wissen, was früher geschah, ist es uns unerklärlich. Manches, was heute an Katastrophen geschieht, würden wir erklären und verstehen können, wenn wir wüssten, was morgen noch alles geschehen wird.
Doch wir wissen nicht, was morgen alles geschehen wird. Darum ist es uns unerklärlich.
Gottes umfassende Sicht und das Beispiel aus der Geschichte Finnlands
Ich nenne ein Beispiel aus der Weltgeschichte, genauer gesagt aus der Geschichte des Landes, in dem ich geboren bin: Finnland. Finnland war bekanntlich hundert Jahre lang ein russisches Großfürstentum. Es ging im Nordischen Krieg von 1808 an Russland verloren, nachdem es zuvor 600 Jahre lang schwedisch gewesen war. Danach wurde es für hundert Jahre russisch.
Während der Oktoberrevolution sahen die Finnen die Chance, sich vom Zarenreich oder von der entstehenden Sowjetunion zu lösen – je nachdem, wie man es betrachtet. Ein finnischer Offizier im Dienst des Zaren, ein gewisser Carl Gustav Mannerheim, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Durch seine Kenntnisse der russischen Armee und sein militärisches Geschick verstand er es, Finnland innerhalb kurzer Zeit von der entstehenden Sowjetunion abzukoppeln und so die Unabhängigkeit Finnlands zu sichern.
Mannerheim hatte als junger Mann, als er noch ein Gymnasium besuchte, einen Schülerstreich verübt. Das wurde so streng geahndet, dass er von der Schule verwiesen wurde. Damit schien seine Karriere von Anfang an ruiniert, denn in seiner Familie war eine akademische Laufbahn das Normale. Dem jungen Mann blieb nichts anderes übrig, als einen Weg einzuschlagen, der eigentlich nicht zur Familientradition gehörte: die Offizierslaufbahn.
So meldete er sich an der Kadettenschule in Sankt Petersburg an und wurde Offizier in der Armee des Zaren. Während des gesamten Ersten Weltkrieges diente er an verschiedenen Fronten und lernte dabei die russische Armee und das Kriegshandwerk kennen. Wäre er als Jüngling nicht von der Schule verwiesen worden, hätte er wohl nicht die Gunst der Stunde nutzen können. Nur durch sein militärisches Geschick war er in der Lage, Finnland von Russland zu lösen.
So geschehen Katastrophen, die im Moment nur wie Katastrophen erscheinen, weil wir nicht wissen, was später noch alles geschehen wird. Wir wissen so wenig, und deshalb erscheint uns vieles so groß und furchtbar.
Vertrauen auf Gottes allwissende Führung trotz unerklärlicher Umstände
Dem Vertrauen, das auf dem Thron ist, können wir auch inmitten aller unerklärlichen Ereignisse zuversichtlich sein. Joseph wusste ebenfalls nicht, wozu es gut sein sollte, dass er von seinen Brüdern so gehasst wurde, in eine Grube geworfen und verkauft wurde – all diese herzlosen Taten. Als Sklave nach Ägypten kam, konnte er sich das Bittere nicht erklären.
Doch er wusste, wer alles weiß. Das wusste er ganz genau: Mein Gott weiß es. Dieses Wissen genügte ihm.
Selig sind wir, wenn wir uns an dem genügen lassen, was wir wissen – was wir von Gott wissen, was wir von seinen Absichten wissen und was wir von seinem Charakter wissen. Dann müssen wir nicht alles Ergehen in unserem Leben erklären können.
Es heißt in Vers 21: „Von den Rädern war der Geist des lebendigen Wesens in den Rädern.“ Der Geist des lebendigen Wesens ist der Geist Gottes. So können wir sagen, dass Gottes Geist, Gottes Hand und Gottes Gegenwart in allem ist, was passiert, in allen Bewegungen. In den Rädern ist Gott selbst gegenwärtig.
Gottes verborgene Hand im Leid: Ein Vergleich aus dem Buch Hiob
Es gibt einen schönen Vergleich im Buch Hiob, der mir gefällt. Hiob Kapitel 36. Hiob hat in seinem Leben Dinge erfahren, die ihm unerklärlich und unbegreiflich waren. Es war ihm ein Rätsel. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, wie das zusammenpasst: dass Gott gerecht ist, dass Gott ein Gott der Liebe ist und dass er selbst gerecht ist, obwohl es ihm so ergeht.
Er konnte nicht verstehen, warum diese Katastrophe ihn treffen durfte, warum dieser Sturm über ihn kommen durfte und warum diese Blitze ihn treffen durften. Es war für ihn unverständlich.
Elihu redet zu Hiob, nachdem seine Freunde zu ihm gesprochen haben und Hiob hin und her geredet hat, ohne dass sie zu einem Ergebnis gekommen sind. Dann spricht Elihu und sagt unter anderem Folgendes:
Hiob Kapitel 36, Vers 32: „Seine Hände umhüllt er mit dem Blitz, und er entbietet ihn gegen denjenigen, den er treffen soll.“
Gott sendet also den Blitz, und er trifft genau den, den Gott will. Das verstehen wir. Das wusste Hiob auch. Aber dann sagt Elihu noch etwas dazu: „Seine Hände umhüllt er mit dem Blitz.“
Gott umhüllt seine Hände mit dem Blitz. Ich habe das immer irgendwie so gelesen und im Kopf übersetzt, was ganz eigenartig ist, wie wir lesen. Ich habe in meinem Kopf immer gedacht, dass Gottes Hand den Blitz hält, also dass er mit seiner Hand den Blitz umschließt. Aber genau das steht nicht da. Hier steht, er versteckt seine Hand im Blitz.
Der Blitz ist draußen, und die Hand ist drinnen. Man sieht also nur den Blitz, nicht aber die Hand. Er verhüllt seine Hand mit dem Blitz. Das ist die Sache.
So sah Hiob es: Er sah nur den Blitz, der niederkrachte, stand wie gelähmt da und sah nur das Unglück – und nichts anderes. Und Elihu sagt ihm: Siehst du denn nicht Gottes Hand darin? Das ist ja nur die Hülle für Gottes Hand.
Ja, der Geist der lebendigen Wesen war in den Rädern, die Hand Gottes ist im Blitz, Gott ist im Unglück – auch dort ist Gott.
Die Ausdehnung über den lebendigen Wesen: Gottes Regiment über allem
Lesen wir jetzt den nächsten Abschnitt, die Verse 22 bis 25, Hesekiel 1.
Über den Häuptern des lebendigen Wesens war das Gebilde einer Ausdehnung, wie der Anblick eines wundervollen Kristalls, ausgebreitet oben über ihren Häuptern. Unter der Ausdehnung waren ihre Flügel gerade gerichtet, einer gegen den anderen. Jedes von ihnen hatte zwei Flügel, welche ihre Leiber bedeckten.
Und wenn sie gingen, hörte man das Rauschen ihrer Flügel wie das Rauschen großer Wasser, wie die Stimme des Allmächtigen, das Rauschen eines Getümmels, wie das Rauschen eines Heerlagers. Wenn sie stillstanden, ließen sie ihre Flügel sinken.
Und es kam eine Stimme von oberhalb der Ausdehnung, die über ihren Häuptern war. Wenn sie stillstanden, ließen sie ihre Flügel sinken.
Über den Häuptern war eine Ausdehnung – es ist das gleiche Wort wie im Schöpfungsbericht, hebräisch Raqia. Es ist eine Ausdehnung über diesem Thronwagen mit den lebendigen Wesen. Damit wird hier deutlich gemacht, dass es das Regiment des Himmels ist.
Das Hebräische verwendet das gleiche Wort, wie wir im Deutschen auch für den Himmel alles tun. Als die Welt Gottes, das Jenseits, die geistliche Welt, die unseren Sinnen verschlossen ist, heißt es im Hebräischen Himmel, Haschamayim. Auch der atmosphärische Himmel heißt Haschamayim.
Im Schöpfungsbericht wird das schon deutlich: Dieser atmosphärische Himmel heißt Schamayim. Im Alten Testament heißt es an verschiedenen Stellen, zum Beispiel in Psalm 103, dass auch Gott die Welt Gottes, das Jenseits, das uns verschlossen ist, ebenfalls Himmel genannt wird.
Psalm 103, Vers 19: Der Herr hat in den Himmeln seinen Thron festgestellt – das gleiche Wort.
Nicht etwa, weil die Sprache zu arm wäre, um einen Unterschied zu machen. Man kann einfach einen Unterschied machen. Es gibt Sprachen, die machen das sogar, Schwedisch macht das, Englisch macht das auch.
Nein, hier geht es darum, dass wir etwas lernen. Gott lehrt uns auch durch die Schöpfung.
So hat Gott das, was wir mit unseren Augen wahrnehmen, wenn wir hinaufschauen, Himmel genannt. Damit demonstriert er uns etwas: So wie der atmosphärische Himmel immer über uns ist – immer, immer –, wir können machen, was wir wollen, wir können Kopf stehen, wir können um die ganze Erde rennen, wir können uns begraben, wir können machen, was wir wollen, der Himmel ist immer über uns.
Und so ist Gott immer über allem, immer. Nichts geschieht, das nicht ihm unterstellt wäre, gar nichts!
Genauso wie nichts geschieht hier auf der Erde, das nicht unter dem Himmel ist.
Das soll uns hier bewusst gemacht werden: Er sieht über dem Thronwagen die Ausdehnung, die Raqia, den Himmel.
Vom Lärm zum Verstehen: Gottes Stimme inmitten von Chaos und Krieg
Es ist bemerkenswert, wie er das beschreibt. Er bewegt sich gewissermaßen von außen nach innen. So wachsen wir ja in der Erkenntnis. Wir nehmen Dinge wahr, und zunächst ist für uns nur Lärm. Doch dann hören wir besser und klarer. Mit einem Mal merken wir: Nein, das ist nicht nur Lärm, das ist artikuliert, das ist Sprache.
Zunächst hörte er nur Rauschen – Rauschen wie das großer Wasser, einfach ein Eindruck von ungeheurer Gewalt. So ergeht es uns, wenn wir das Geschehen in der Welt, das Geschehen unter den Völkern und den Gang der Weltgeschichte betrachten. Es ist wie ein gewaltiges Rauschen.
Aber dann hörte er darin die Stimme des Allmächtigen. Er wiederholte das Gleiche und sagte, es war wie das Rauschen eines Getümmels, wie das Rauschen eines Heerlagers. Davon hatte er ja gerade gehört und war selbst davon betroffen worden – von der Gewalt des Krieges, die ihn ergriffen, verschleppt und mit Gewalt nach Babylon verpflanzt hatte.
Doch dann merkt er auch: Da ist eine Stimme, die redet. Vers 25: Es kam eine Stimme von oberhalb der Ausdehnung. Ja, Herr Segel hört auch in diesen Katastrophen die Stimme Gottes. Es ist Gottes Reden. Wohl uns, wenn wir Gottes Stimme hören.
Und wenn wir Ohren bekommen, dass wir Gottes Stimme hören – auch in den Nöten unseres Lebens, in allem Unwillkommenen und Widerwärtigen unseres Lebens, selbst in Krieg und Verwüstung –, dann werden wir auch seine Stimme hören, wenn sie zu uns ganz leise redet und sagt: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“
Dann werden wir merken, dass es der gleiche, der eine, der große, der allmächtige Gott ist, der unser Erlöser ist. Diese Stimme zu hören, dazu befähigt uns der Geist Gottes. Darum erinnere ich noch einmal daran, dass Ezechiel einleitend sagt: Die Hand des Herrn kam über ihn, der Geist Gottes kam über ihn, öffnete ihm die Augen und die Ohren, sodass er recht sah und recht hörte.
Die Gestalt auf dem Thron: Der Menschensohn als Herrscher und Richter
Dann lesen wir den letzten Abschnitt des Kapitels, die Verse 26 bis 28:
"Oberhalb der Ausdehnung, die über ihren Häuptern war, war die Gestalt eines Thrones, wie das Aussehen eines Saphirsteines. Und auf der Gestalt des Thrones war eine Gestalt, wie das Aussehen eines Menschen oben darauf. Ich sah einen Anblick von glänzendem Metall, wie das Aussehen von Feuer, innerhalb desselben ringsum, von seinen Lenden aufwärts und von seinen Lenden abwärts sah ich wie das Aussehen von Feuer. Ein Glanz war ringsum denselben, wie das Aussehen des Bogens, der am Regentag in der Wolke ist. Also war das Aussehen des Glanzes ringsum. Und das war das Aussehen des Bildes der Herrlichkeit des Herrn. Als ich es sah, fiel ich nieder auf mein Angesicht, und ich hörte die Stimme eines Redenden."
Ja, Hesekiel sieht hier eine Gestalt, die aussieht wie ein Mensch. Er sieht den, den auch Daniel sah. Daniel und Hesekiel waren Zeitgenossen. Hesekiel lebt in dieser Judenkolonie außerhalb der Stadt Babylon, Daniel mitten in der Stadt Babylon und war hoher Beamter des Königs. Beide haben Gesichte von Gott empfangen und beide haben den Menschensohn gesehen.
In Daniel 7,13-14 steht:
"Ich schaute in Gesichten der Nacht, und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn. Und er kam zu dem Alten Tag und wurde vor denselben gebracht. Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völkerschaften und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nie vergehen wird, sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird."
Diesen Menschensohn sieht auch Hesekiel.
Nun, Daniel sieht die Dinge aus einem anderen Blickwinkel. Daniel wird gezeigt, dass die Reiche der Welt kommen und gehen. Sie werden von Gott eingesetzt, Könige werden von Gott eingesetzt und wieder abgesetzt. Aber das alles sind nur Etappen auf dem Weg zum Ziel, dass Gott eines Tages ein Reich einführen wird, das ewig bleibt.
In diesem Reich wird jemand herrschen, wird jemand regieren, der vollkommen so ist, wie Gott ihn haben will: der Menschensohn, der vollkommene Mensch, Christus. Das ist es, was Daniel sieht.
Hesekiel bekommt den gleichen Menschensohn zu sehen. Ihm wirft dieses Gesicht Licht auf seine besondere Lage, in der er war. Er kam aus einer Katastrophe heraus und lebte noch unter den Folgen dieser Katastrophe. Die Zerstörung der Stadt stand bevor, die Heiden zertreten das heilige Land und verschleppen den heiligen Samen.
Und da sieht er auf dem Thron – und er hat es jetzt gut verstanden: All das geht von Gottes Thron aus, von Gott verfügt, von Gott verhängt, von Gott gewirkt. Aber jetzt sieht er auf dem Thron den Menschensohn.
Da versteht er, dass alles, was ihn und sein Volk befallen hat, dazu dienen muss, dass am Ende der Menschensohn regiert. Der Messias Israels wird regieren. Nun,
Die fixe Idee der Propheten: Der kommende Messias als Hoffnung
Man könnte sagen, dass die hebräischen Propheten eine fixe Idee haben. Das darf man ja auch haben. Manchen Dingen sollen wir fixiert sein. Und diese fixe Idee, die alle hebräischen Propheten teilen, ist: Sie sehen durch alle Not und durch alles Unglück hindurch auf den Tag, an dem der Messias kommen und regieren wird.
Das sieht Jesaja, das sieht Jeremia, das sieht Hesekiel, das sieht Daniel, und das sehen auch die kleinen Propheten, von denen viele darauf hingewiesen haben. Das ist die Sache, die sie überwältigt hat, die ihren Glauben genährt hat und die sie mit heiliger Leidenschaft erfüllt hat. Das ist es, was sie getröstet hat, und davon haben alle gesprochen.
Und genau das ist es, was auch uns tröstet, stärkt und freut. Wir wissen, dass egal, was in dieser Welt und in dieser Zeit passiert, alles dazu dienen muss, dass derjenige, der dazu bestimmt ist, über alles zu regieren, nämlich der Menschensohn, zur Herrschaft kommen wird. Alles – auch die ganzen Wirren unserer Tage, auch all das Düstere, das wir deutlich spüren. Wir spüren ja, wie die Düsternis zunimmt, wie die Ratlosigkeit wächst und wie der Zynismus sich ausbreitet.
Wir spüren es, und all das muss dazu dienen, dass der Menschensohn das Reich erhält. Johannes hat ebenfalls den Menschensohn gesehen. Das ist das einleitende Gesicht zum ganzen Buch der Offenbarung. Als allererstes sieht Johannes den Menschensohn.
Wir merken also: Das ist wirklich die fixe Idee, die alle biblischen Propheten beherrscht. Der Menschensohn kommt und regiert. Fast zweieinhalbtausend Jahre später sieht Johannes auf der Insel Patmos ebenfalls den Menschensohn. Und ihm hat das dieselbe tröstliche Wahrheit vermittelt.
Er war ja auch aus einer Katastrophe herausgekommen. Christenverfolgung war ausgebrochen, Christen wurden aus den Häusern geschleppt, getötet und ins Exil verbannt. Johannes war ein alter Mann, etwa neunzig Jahre alt, und wurde auf eine Insel verschleppt. Und dann sieht er den Menschensohn.
Er begreift, dass alles, was geschieht, diesem Ziel zugeordnet ist: Der Menschensohn wird allein regieren. Unser Herr, der Messias der alttestamentlichen Propheten, Jesus Christus, der Sohn Gottes und der Menschensohn.
Der Menschensohn als vollkommener Richter und Retter
Nun lesen wir die alttestamentlichen Propheten aus der Perspektive des Neuen Testaments. Hesekiel drückt sich dabei noch sehr vorsichtig aus. Auffällig ist, wie behutsam er seine Worte wählt. Er sagt: „Ich sah auf dem Thron eine Gestalt wie das Aussehen eines Menschen.“ Er sah es noch nicht so klar wie wir heute. Doch wir können jetzt ganz deutlich sehen und sagen, dass er Jesus sah – Jesus vor seiner Menschwerdung, Jesus von Nazareth. Er ist der Menschensohn, dem Gott alle Gewalt gegeben hat.
Jesus selbst bezeichnet sich sehr häufig, am häufigsten sogar, als der Menschensohn. Wir müssen diesen Titel, den der Herr verwendet, mit dem ganzen Gewicht des Alten Testaments lesen. Damit sagt er immer, dass er derjenige ist, von dem die alttestamentlichen Propheten prophezeiten, dass er einst über alles herrschen soll. Gott hat ihm alles in die Hand gegeben – wirklich alles.
Eine passende Stelle dazu finden wir im Johannesevangelium, Johannes Kapitel 3, Vers 35: „Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben.“ Alles hat er dem Sohn übergeben. Jesus sagt es den Jüngern selbst in Matthäus 28, Verse 18 bis 20: „Alle Gewalt im Himmel und auf der Erde ist mir gegeben.“ Gott hat ihm alle Gewalt gegeben.
Wir kennen ihn, den, der auf dem Thron sitzt. Können wir jetzt noch daran zweifeln, dass irgendetwas, was er verfügt, schädlich, böse oder eine Strafe sein könnte? Wenn wir wirklich glauben, dass er auf dem Thron sitzt, dann verstehen wir, dass alles, was in unserem Leben geschieht oder was er geschehen lässt, gut sein muss. Es muss gut sein.
Jesus hat in seinem Leben bewiesen, dass er unser höchstes Gut sucht. Er hat nicht nur gesucht, sondern alles getan, um es zu ermöglichen. Er hat sein Leben für uns gegeben, er hat für uns gelitten, ist in den Tod gegangen. Er ist derjenige, der auf dem Thron sitzt, und ihn sieht hier Hesekiel.
Hesekiel sieht an ihm Eigenschaften, die zum Menschensohn gehören. Der Menschensohn ist Retter, Herrscher und auch Richter. Das wird hier deutlich, zum Beispiel in Vers 27, wo es heißt: „Sein Anblick war wie das Aussehen von Feuer.“ Der Menschensohn ist auch Richter, aber zugleich Retter.
Dass der Menschensohn Richter ist, zeigt eine Stelle im Johannesevangelium, Johannes Kapitel 5, Verse 26 und 27: „Denn gleich wie der Vater Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, Leben zu haben in sich selbst. Und er hat ihm Gewalt gegeben, Gericht zu halten, weil er des Menschen Sohn ist.“ Der Menschensohn hat die Gewalt, Gericht zu halten, zu richten. Er ist der Gerechte, der Heilige.
Warum wird das so ausgedrückt, dass Gott ihm die Gewalt gegeben hat, zu richten, weil er der Menschensohn ist? Sicherlich hängt das damit zusammen, dass derjenige, der richtet, auch die Macht dazu haben muss. Es nützt nichts, einen Richtspruch auszusprechen, wenn man nicht die Macht hat, ihn auch umzusetzen.
Doch es gibt noch einen tieferen Grund: Der Richter aller Menschen ist selbst ein Mensch. Ein vollkommener Mensch, der als Mensch in dieser Welt gelebt hat, der durch diese Welt hindurchgegangen ist und alles durchlebt hat, was ein Mensch durchleben kann – und dabei sündlos geblieben ist. Er ist der vollkommene Mensch, der einzige vollkommene Mensch.
Vor diesem vollkommenen Menschen müssen alle Menschen erscheinen – alle. Und in der Gegenwart dieses vollkommenen Menschen werden wir erst sehen, wie krumm wir wirklich sind. Gemessen an diesem vollkommenen Menschen erkennen wir, wie verbogen, wie schlecht, wie krumm wir wirklich sind.
Deshalb ist es ihm übergeben, die Menschen zu richten. Wenn er den Rechtsspruch fällt, wird jeder wissen: Es ist absolut gerecht, es ist vollkommen verdient. „Ich bin genau so, wie er es sagt, und habe es genau so verdient, wie er es jetzt über mich verhängt.“ Ja, der Menschensohn ist auch Richter.
Daran sollten wir denken, wenn immer der Titel „Menschensohn“ für Jesus verwendet wird. Das heißt wirklich, dass er vollkommen Mensch ist. Er wuchs im Mutterleib einer Frau heran, einer Jungfrau, wurde geboren und wuchs auf – sündloser Mensch, denn er hatte keinen sündigen Vater. Gleichzeitig war er Gott – wahrer Mensch und wahrer Gott.
Dieser vollkommene Mensch hat alle Gewalt erhalten, wird eines Tages über alles herrschen und ist auch der Richter aller.
Der Regenbogen als Zeichen von Gottes Bund und Gnade
Es muss Hesekiel geholfen haben zu erkennen, wie groß die Sünde seines Volkes war und wie gerecht deshalb die Katastrophe war, die über sie gekommen war.
Dann sieht er den Regenbogen (Vers 28): „Ein Glanz war um den Thron wie das Aussehen des Bogens, der am Regentag in der Wolke ist.“ Das ist das zweite Mal, dass in der Bibel vom Regenbogen gesprochen wird. Zum dritten Mal lesen wir erst wieder im Buch der Offenbarung vom Regenbogen.
Der Regenbogen erscheint erstmals nach der großen Flut im Buch Genesis. Im 1. Mose 9 ist der Regenbogen das Zeichen der Gnade, die Gott den Menschen verheißt.
Nach der Flut sagt Gott in 1. Mose 9 ab Vers 8: „Gott sprach zu Noah und zu seinen Söhnen mit ihm und sagte: ‚Siehe, ich errichte meinen Bund mit euch.‘“ Also sagt Gott: „Ich errichte einen Bund mit euch.“ Es geht ganz von Gott aus.
Der Bund gilt mit jedem lebendigen Wesen, das bei euch ist – an Vögeln, Vieh und allen Tieren der Erde. In Vers 11 heißt es: „Ich errichte meinen Bund mit euch, nicht mehr soll alles Fleisch ausgerottet werden durch die Wasser der Flut, und keine Flut soll mehr sein, die Erde zu verderben.“ Das ist die Verheißung dieses Bundes.
Gott verspricht einfach ganz von sich aus: „Ich verspreche, ich mache diesen Bund mit euch. Es wird keine Flut mehr geben.“ Und dann die Bedingungen des Bundes: Wenn wir weiterlesen, gibt es keine Bedingungen. Gott stellt keine Bedingungen. Er sagt einfach: „Ich errichte diesen Bund, ich mache das so.“
Dann wird auch ein Zeichen dieses Bundes gegeben: „Gott sprach: ‚Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und jeder lebendigen Seele, die bei euch ist, auf ewige Geschlechter hin: Meinen Bogen setze ich in die Wolken, und er soll das Zeichen des Bundes sein zwischen mir und der Erde.‘“
Also macht Gott den Bund, gibt die Verheißungen, setzt das Zeichen – alles tut er. Und es wird geschehen: „Wenn ich Wolken über die Erde führe, so soll der Bogen in den Wolken erscheinen, und ich werde meines Bundes gedenken.“ Gott selbst hält den Bund, er denkt an den Bund.
„Ich werde meines Bundes gedenken, der zwischen mir und euch ist und jedem lebendigen Wesen von allem Fleisch, und nicht mehr sollen die Wasser zu einer Flut werden, alles Fleisch zu verderben. Und der Bogen wird in den Wolken sein, und ich werde ihn ansehen, um zu gedenken des ewigen Bundes zwischen Gott und jedem lebendigen Wesen.“
Das also war dieser Bund, den Gott mit Noah machte, und das Zeichen dieses Bundes. Es war ein Bund, der versprach, dass es nie mehr eine Flut geben würde – ohne Bedingungen. Gott sagte zu Noah nicht: „Ich werde keine Flut mehr über diese Erde bringen, wenn ihr jetzt endlich schlau geworden seid. Ich hoffe, ihr habt jetzt die Lektion kapiert.“ Nein, das sagt Gott nicht.
Es liegt tatsächlich an Gottes Verheißungen allein, dass keine Flut mehr gekommen ist. Das können wir an uns selbst ablesen. Die Menschen haben sich nicht gebessert, die Menschen der nachfolgenden Generationen waren nicht besser als Noah.
So ist also dieser erste Bund, den Gott mit Menschen schließt, zum Vorbild geworden für Gottes Gnadenbund. Später hat Gott mit Abraham einen Bund geschlossen – den Gnadenbund –, auch einen Bund, der weiterreichende Verheißungen hat. Also nicht nur die Verheißung: Es wird keine Flut mehr geben, ich werde diese Schöpfung bewahren, sondern Verheißungen, die viel weiter reichen.
Dann gibt es einen neuen Bund, den Bund, den Gott aufgerichtet hat durch Christus. Ein Bund, der ewige Vergebung, ewige Erlösung, ein ewiges Erbe und ewiges Leben verheißt. Der Prägerbrief legt das sehr ausführlich dar – ein Gnadenbund.
Alle diese Bündnisse haben gemeinsam mit dem Bund von Noah, dass sie ganz einseitig sind. Sie gehen ganz von Gott aus, und er selbst erfüllt sie.
Das ist das Zeichen, das hier Hesekiel sieht. Er sieht den Regenbogen um den Thron, und das ist das Zeichen dafür. Gott sagt damit Hesekiel: „Ich werde dein Volk nicht verderben.“ Denn er hat es Abraham verheißt, hat Abraham eine Nachkommenschaft und unverlierbare Segnungen verheißt.
Er wird diese Verheißungen nicht brechen. Ja, inmitten des Zorns, inmitten des Gerichts, gedenkt Gott des Erbarmens. Wir sehen ja nur Gericht, Zorn, Unglück und Katastrophe. Aber Gott hat sein Erbarmen nicht vergessen und seine Verheißungen nicht vergessen. Er verfolgt beharrlich seine Absichten des Heils.
Die Herrlichkeit des Herrn als zentrale Botschaft Hesekiels
Dann sagt Hesekiel in Vers 28 zusammenfassend: Von allem, was er sah, war das Aussehen des Bildes die Herrlichkeit des Herrn. Das ist wirklich erstaunlich, dass hier das Wort „Herrlichkeit“ fällt. Die Herrlichkeit des Herrn – neunmal verwendet Hesekiel in seinen Weissagungen diesen Ausdruck „die Herrlichkeit des Herrn“, und achtzehnmal das Wort „Herrlichkeit“.
Hesekiel ist der Prophet, der die Herrlichkeit des Herrn zur Hauptbotschaft, zum Hauptthema hat: die Herrlichkeit des Herrn. Das ist wirklich erstaunlich, wenn wir bedenken, in welchem Zusammenhang und in welchem Kontext Hesekiel das sagt. Er hat Zerstörung erlebt, Verlust des Liebsten erfahren: Verlust seiner Stadt, Verlust seiner Heimat, Verlust des Tempels, Verlust seines Berufs – alles ging verloren.
Und er sieht jetzt, nachdem ihm die Augen geöffnet worden sind, in all dem die Herrlichkeit des Herrn. Die Herrlichkeit Gottes strahlt hierauf.
Was bedeutet die Herrlichkeit des Herrn? Ich frage das immer wieder. Einige haben das vielleicht auch schon gehört, wie ich das gefragt habe: Was ist die Herrlichkeit des Herrn? Am besten umschreibt man das so: Die Herrlichkeit des Herrn ist die Gesamtheit aller seiner Vollkommenheiten. Alle seine Vollkommenheiten – das ist seine Herrlichkeit. Er ist vollkommen in allem, in allem, was er tut, in all seinen Werken, in all seinen Eigenschaften.
Die Herrlichkeit des Herrn ist die Gesamtheit aller seiner Vollkommenheiten: seine vollkommene Macht, seine vollkommene Gerechtigkeit, seine vollkommene Güte, seine vollkommene Wahrheit und Wahrhaftigkeit, seine vollkommene Treue, seine vollkommene Beharrlichkeit, seine vollkommene Geduld, seine vollkommene Gnade, seine vollkommene Liebe. Alles zusammengenommen – das ist die Herrlichkeit des Herrn.
Und in all seinem Handeln zeigen sich die Wesenszüge Gottes. Das sieht Hesekiel, das sieht eben der Prophet. Der Prophet ist der, der sieht, was wir mit unseren natürlichen Fähigkeiten nicht sehen.
Von Natur aus ergeht es uns doch allen so: Es passiert ein Unglück, und dann ist die reflexartige Antwort darauf: Gott ist ein Tyrann, ein böser Gott. Wir sehen dann nur Finsternis. Und das ist es, was man ja deshalb meistens hört, dass Menschen sich über alles beschweren, was in der Welt geschieht. Wenn sie überhaupt von Gott reden, dann sagen sie: Gott ist ein böser Gott, ungerecht, macht alles falsch, ein Tyrann, brutal, grausam.
Ja, so reden wir, weil wir so gefangen sind in der Sünde, so verfinstert. Darum geben wir als die eigentlich Schuldigen an allen Miseren dem die Schuld, der keine Schuld hat.
Der Geist Gottes öffnet dem Propheten die Augen, und so sieht er in allem Handeln Gottes, das sein Volk betroffen hat, die Herrlichkeit Gottes. Also zu dieser Herrlichkeit gehört auch, was Hesekiel gesehen hat, weiß und glaubt: dass der Gott des Gerichts auch der Gott der Errettung ist, der Gott aller Gnade, der Gott aller Treue, der seine Verheißungen nie zurücknimmt.