Einführung: Das Bild vom Weinstock und dem Weinberg
Hier finden wir den Predigttext, und Sie werden es mitbekommen haben: In der Lesung geht es darum, ob der Weinberg Frucht bringt oder nicht.
Was ist ein Weinberg? Ein Weinberg ist die Summe von einzelnen Weinstöcken. Hier lesen wir nun von unserem Herrn Jesus selbst die Erklärung dazu, was dazu führt, dass die einzelnen Weinstöcke und damit auch der Weinberg als Ganzes Frucht bringt. Woher kommt die Energie für die Frucht?
Unser Herr Jesus Christus sagt es so: "Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; jede aber, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. Gleichwie die Rebe nicht von sich aus Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun. Wenn jemand nicht in mir bleibt, so wird er weggeworfen wie die Rebe und verdorrt. Solche sammelt man und wirft sie ins Feuer, und sie brennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch zuteilwerden. Dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und meine Jünger werdet."
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen!
Lasst uns noch einmal beten: Herr, und nun bitten wir dich, heilige du uns in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Amen!
Rückblick auf vergangene Zeiten und geistliche Herausforderungen
Liebe Gemeinde,
der Fall der Mauer, die sich durch Deutschland zog, also die deutsche Wiedervereinigung, lag damals noch keine zwanzig Jahre zurück. Ich hatte in der Nähe der früheren Bundeshauptstadt zu tun, und am Abend gönnten meine Frau und ich uns einen Besuch im alten Bonn.
Wir gingen an der berühmten Uferpromenade am Rhein spazieren, vorbei an den früheren Regierungsgebäuden der alten Bundesrepublik. Diese reihten sich gewissermaßen aneinander: die Villa Hammerschmidt, Amtssitz des Bundespräsidenten, früher das Palais Schaumburg, Amtssitz des Kanzlers, dann das Kanzleramt, der Bundestag – zu dem Zeitpunkt schon das berühmte Wasserwerk –, das Abgeordnetenhaus, der berühmte Lange Eugen. All das erinnerte knapp zwanzig Jahre nach dem Mauerfall noch an die alte Macht und an die alte Bedeutung.
Es erinnerte an die politischen und gesellschaftlichen Dramen, die sich hier zugetragen hatten, an die Schlachten, die hier geschlagen worden waren, teilweise in Parlamentsdebatten. Hier hatte einmal das Herz Deutschlands geschlagen. Jetzt wirkte es seltsam leblos, verschlafen, verlassen – fast gespenstisch.
Wir sagten, während wir da durchgingen – es war auch noch Abend und etwas trübe: Es ist wie ein Gang durch eine untergegangene Epoche. So haben wir das empfunden. Wie ein Gang durch eine untergegangene Epoche. Die Villen und die Parks sind noch da, aber es ist höchstens noch eine tote Pracht. Das Leben ist weitergezogen.
Dieses Gefühl, dieser Schauder, überkommt manche Menschen im Hinblick auf ihr eigenes Leben, wenn sie zurückblicken. Auch im Hinblick auf ihr Glaubensleben, auf ihren Einsatz für Jesus, ihre Nachfolge oder auch in Erinnerung an alte Zeiten, die sie vielleicht mit einer früheren Gemeinde verbinden oder mit einem alten Glaubenswerk – zum Beispiel Kreling zu Zeiten, als Pastor Kemmer noch lebte.
Da war pulsierendes Leben, Drama, Kämpfe mit Siegen und Niederlagen. In diesen geistlichen Kämpfen ist der Glaube gewachsen und wurde bewährt. Inzwischen wirkt im Rückblick vieles so seltsam leblos, verlassen, als sei das Leben weitergezogen.
Das pulsierende Leben der Gemeinde im Bild des Weinstocks
Und jetzt vergleichen wir unseren Predigttext mit der Beschreibung, die Jesus von unserer Existenz als Christen und vom lebendigen Gemeindeleben gibt. Jesus sagt: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen. Aber jede Rebe, die Frucht bringt, wird er reinigen, damit sie mehr Frucht bringt. Bleibt in mir, und ich bleibe in euch.“
In Vers 5 heißt es weiter: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“
Und noch einmal in Vers 8: „Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und meine Jünger werdet.“ Das bedeutet, dass ihr, die ihr meine Jünger seid, immer mehr darin wachst, als meine Jünger zu leben und zu dienen.
Dieses pulsierende Leben der Gemeinde Jesu, das Johannes 15 beschreibt, ist unübersehbar. Es ist eine solche Herausforderung für die Umwelt und die Zeitgenossen, dass die Welt um uns herum, die Gott ablehnt, nicht gleichgültig bleiben kann gegenüber dem lebendigen Gemeindeleben. Das provoziert die Umwelt, selbst wenn wir dieser Welt nur Gutes tun wollen.
Deshalb spricht Jesus ab Johannes 15, Vers 18 vom Hass der Welt: „Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat. Wärt ihr von der Welt, so würde die Welt das Ihre lieben. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt.“
Drei Bilder für die Gemeinde und die Spannung im Weinstock
Das pulsierende Leben der Gemeinde Jesu als Provokation
Heute begegnen wir in Johannes 15, in unserem dritten Zeltgottesdienst, einem dritten Bild, mit dem das Gotteswort seine Gemeinde beschreibt. Wie bereits in der Begrüßung erwähnt, hoffen wir, dass diese Zeltgottesdienste bald zu ihrem Ende kommen werden. In dieser Woche haben wir mit juristischer Unterstützung Widerspruch eingelegt. Die gründliche Arbeit mit den Juristen hat noch einmal bestätigt, dass unser Anliegen mehr als berechtigt ist.
Heute also das dritte Bild der Gemeinde: Gemeinde als Haus der lebendigen Steine, bei dem jeder dabei sein muss. Gemeinde als menschlicher Körper – das sahen wir letzten Sonntag in Römer 12, mit unzähligen einzelnen Gliedern und Organen, die sich gegenseitig helfen und ergänzen. Und heute nun das dritte Bild: Gemeinde als Weinstock mit lebendigen Reben, die vor prallen Früchten nur so strotzen.
Von den Steinen sprach Petrus, vom Leib und den Gliedern Paulus, und jetzt haben wir es mit Worten unseres Herrn selbst zu tun. So beginnt es: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner.“
Doch schauen Sie genau hin: Es ist keine naive Malerei, kein idyllisches Bild, das der Herr uns hier vor Augen malt. Dieser Weinstock trägt in sich selbst eine schmerzliche Spannung. Schon auf den ersten Blick finden wir in diesem Bild Licht und Schatten, Wachstum und Verfall.
Denn noch eng beieinander in diesem Weinstock finden sich zwei verschiedene Arten von Reben, die der Weingärtner zwar noch beieinanderlässt, aber nicht auf Dauer beieinanderlassen kann. Johannes 15,2: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen, und jede Rebe, die Frucht bringt, wird er reinigen, damit sie mehr Frucht bringt.“
Welche Spannung!
Die historische Situation und die Bedeutung des Weinstocks
Der Zusammenhang macht deutlich, wen Jesus mit den beiden gegensätzlichen Rebensorten meint. Johannes beschreibt hier den Mittelteil der Abschiedsreden Jesu vor seiner Kreuzigung. Diese Reden beginnen in Kapitel 13 und enden in Kapitel 17.
Am Abend vor der Kreuzigung werden diese Worte gesprochen. Wir wissen, dass zu dem Zeitpunkt, als Jesus diese Worte spricht, nur wenige Stunden, wenn überhaupt, vergangen sind, seit Judas Iskariot endgültig als Verräter entlarvt wurde. Judas war der Gegenspieler mitten im innersten Kreis der Jünger. Das sehen wir in Kapitel 13, Vers 21: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten.“ Zu diesem Zeitpunkt sitzen sie noch zusammen.
In Kapitel 13, Vers 30 heißt es dann: „Als er Judas den Bissen gegeben hatte, ging dieser sogleich hinaus in die Nacht.“ Das beschreibt die Situation. Judas ist also nicht mehr dabei, als Jesus mit den übrigen Jüngern das Abendmahl feiert. Einige Zeit später, vielleicht wenige Stunden danach, verlassen auch die anderen den Obersaal.
Jetzt ziehen sie gemeinsam durch das inzwischen dunkle Jerusalem zum Garten Gethsemane. Dort wird Judas seinen Verrat vollenden und Jesus endgültig ausliefern. Wir können uns das innere Aufgewühltsein der Jünger vorstellen: Tausend Fragen über ihren vermeintlichen Mitstreiter Judas, von dem sie niemals geahnt hätten, dass er auf der Gegenseite stand. Sie hätten nie vermutet, dass er nicht mit ihnen unterwegs war, um dasselbe Ziel zu erreichen. Er war ja die ganze Zeit dabei gewesen.
In dieser Situation, das müssen wir verstehen, redet Jesus weiter mit den Jüngern auf dem Weg zum Garten Gethsemane. Mitten hinein stellt der Herr dieses Bild, diese Metapher, dieses scharf konturierte Bild vom Weinstock mit den zwei Arten von Reben. Damit nimmt Jesus zugleich eine Situation vorweg, die seine Gemeinde durch alle Epochen hindurch begleiten wird.
Das Bild, das der Herr hier wählt, wirkt auf den unvorbereiteten Betrachter zunächst wie ein harmloser Naturvergleich: der Weinstock und die Reben. Doch dieses Bild steckt vom ersten Satz an voller Spannung und Konfrontation. Schon im ersten Satz sagt Jesus: „Ich bin der wahre Weinstock.“ Haben Sie das gelesen? Das heißt, es muss noch einen anderen Weinstock geben, der im Unterschied zu Jesus nicht der wahre Weinstock ist, aber von vielen dennoch dafür gehalten wird. Trotzdem ist er ein falscher Weinstock.
Nun fragen wir uns zunächst: Wenn Jesus sagt, „Ich bin der wahre Weinstock“, wo ist dann der falsche Weinstock? Die Antwort ist schnell gefunden. Das haben wir eben in der Lesung im Alten Testament gehört. Der Weinberg und auch der Weinstock waren das klassische Bild für das Volk Israel. Dieser Weinberg hatte seinen Besitzer und den, der ihn so liebevoll gepflegt hatte, verraten.
Das Bild des Weinstocks im Alten Testament und die Diagnose Jesu
Jesaja 5, aber das steht auch noch an anderen Stellen, zum Beispiel in Psalm 80, Vers 9. Dort heißt es: Du hast einen Weinstock aus Ägypten geholt, hast die Völker vertrieben und ihn eingepflanzt, Psalm 80, Vers 9.
Und dann Psalm 80, Vers 14: Es haben ihn zerwühlt die wilden Säue, und die Tiere des Felsens haben ihn abgeweidet.
Auch in Jeremia 2 finden wir ähnliche Aussagen. Jeremia 2, Vers 20 sagt: Von jeher hast du dein Joch zerbrochen und deine Bande zerrissen. Das sagt Gott über Israel, das sich aus den Linien herausreißen will, in denen Gott es leiten möchte.
Dann sagt Gott zu seinem Volk: Ich hatte dich gepflanzt als einen edlen Weinstock, Jeremia 2, als einen edlen Weinstock, ein ganz echtes Gewächs. Wie bist du mir denn geworden zu einem schlechten, wilden Weinstock?
Das war die Not. Der Weinstock hatte sich selbst verdorben. Weil er sich vom lebendigen, heiligen Gott abgewandt hatte, konnte er auch denen, die sich auf ihn verließen, kein Leben mehr spenden.
Hier sehen wir die bittere Diagnose, die Jesus seinem geliebten Judentum stellt: Ihr seid der Weinberg, aber ihr habt euch von dem lebendigen Gott abgewandt, der euch so liebt, der sich so um euch müht und der euch so viel schenkt.
Die Pharisäer und das Volk glaubten, wenn wir dazugehören, wenn wir Israeliten sind, wenn wir Teile dieses alten Bundes sind, wenn wir fromme Juden sind, dann ist damit auch unser Verhältnis zu dem allmächtigen Gott in Ordnung. Das haben sie geglaubt.
Dagegen stellt Jesus klar: Nein, ich bin der wahre Weinstock, nur ich bin der wahre Weinstock. Täuscht euch nicht, nur durch mich kommt ihr in eine echte Verbindung zu Gott.
Jesu göttlicher Anspruch und die persönliche Nähe zu den Menschen
Und schauen Sie, so anstößig wie Jesu Diagnose zum Zustand Israels war, so anstößig war auch sein persönlicher Anspruch, den er als Rettung anbot, wenn er sagt: Ich bin der wahre Weinstock.
Darin steckt ganz deutlich – und das haben die meisten jüdischen Zuhörer verstanden – diese göttliche Selbstoffenbarung. Sie leitet sich her aus 2. Mose 3,14, wo Gott damals dem Mose im brennenden Dornbusch erschienen war und gesagt hatte: Wenn die Leute wissen wollen, wer dich gesandt hat, dann sage: Ich bin der, der ich bin. Ich bin der, der dich gesandt hat. Ich bin Gott, ich bin ewig.
Jesus nimmt das auf und macht damit seinen eigenen Anspruch deutlich: Sohn dieses heiligen Gottes zu sein und zugleich selbst Gott zu sein. „Ich bin der wahre Weinstock“ – das haben die Zuhörer verstanden.
So zieht sich das durch das ganze Neue Testament hindurch. Auch im Johannesevangelium finden wir das immer wieder. Zum Beispiel in Johannes 5: Dort heißt es in Vers 17: Jesus aber antwortet: „Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag, und ich wirke auch.“ Darum trachteten die Juden noch mehr danach, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch sagte, Gott sei sein Vater, und sich selbst gottgleich machte.
Oder in Johannes 8, Vers 58: Jesus sprach zu ihnen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich.“ Das ist ein klarer Hinweis auf seine göttliche Ewigkeit.
Zwei Kapitel weiter, in Johannes 10, Vers 30, sagt Jesus: „Ich und der Vater sind eins.“ Und eben hier, in Johannes 15, sagt er: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner.“
Umso erstaunlicher ist, dass sich Jesus mit dieser Hoheitsaussage nicht von uns distanziert, sondern unsere Nähe sucht. Jesus sagt nicht: „Ich bin Gott, und deswegen seid ihr erst mal ganz schön weit weg von mir.“ Stattdessen sucht er unsere Nähe. Er bietet uns eine persönliche Verbindung zu sich selbst an – eine Verbindung, die so eng ist wie die Verbindung zwischen einem Weinstock und seinen Reben, die in ihm stecken.
„Ihr braucht“, sagt Jesus, „diese Verbindung zu mir.“ Und das ist das Oberthema für diese Predigt: Gemeinde Jesu Christi, vereinzelt oder verbunden.
Sind wir richtig verbunden? So wie der einzelne Stein nicht für sich allein bleiben kann, sondern in die Mauer hineingehört; so wie der rechte Fuß nicht irgendwo einsam in der Gegend herumliegen kann, sondern an das Ende des rechten Beines gehört – so bleibt eine einzelne Rebe für sich sinnlos und vertrocknet, wenn sie nicht engstens mit dem Weinstock verbunden ist.
Die echte Verbindung zu Jesus als Grundlage des Lebens
In den nächsten Versen stellt der Herr Jesus zwei Arten von Verbindungen einander gegenüber: eine echte Verbindung und eine eingebildete Verbindung. Diese beiden Verbindungen werden in diesem Text miteinander verglichen.
Wir beginnen mit der echten Verbindung. Beide Verbindungen existieren unter dem Dach der Gemeinde, doch zunächst betrachten wir die echte Verbindung, die in den Versen 3 bis 5 beschrieben wird.
Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Ihr seid gereinigt worden dadurch, dass ihr mein Evangelium gehört habt, Buße getan habt und aus der Kraft dieses Wortes jetzt lebt. Ihr seid eng mit mir verbunden durch mein Wort, das euch auch weiterhin begleiten wird.
Weiter heißt es in Vers 4: Bleibt in mir und ich in euch, wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst heraus, wenn sie nicht am Weinstock bleibt. Sie haben das Bild vor Augen. So auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Das ist die echte Verbindung. Um bei Jesus zu bleiben, muss ich erst einmal zu Jesus gekommen sein, ganz klar. Das hat der Herr in Johannes 10, Vers 9 deutlich gesagt: Ich bin die Tür, ich bin die Tür zu den Schafen, ich bin die Tür zum ewigen Leben, ich bin die Tür zur Gemeinde.
In Johannes 10, Vers 27 sagt er weiter: Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir. Wir sind Schafe Jesu Christi, weil wir seine Stimme in seinem Wort hören, ihn kennen und ihm folgen.
In Matthäus 11, Vers 28 hat der Herr Jesus dieses Kommen auch sehr zugespitzt formuliert: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Frieden geben. Kommt her zu mir, lasst euch eure Sünden vergeben, kommt her und lasst euch euer vergängliches, dem Tod geweihtes Leben füllen.
Ein Christ ist ein Mensch mit einer persönlichen Beziehung zu Jesus. Ein Christ lebt wie die Rebe am Weinstock. Weil es diese persönliche Beziehung ist, macht Jesus in Vers 1 auch klar, womit wir es in seiner Person zu tun bekommen: mit Gott. Jesus ist Gott.
Wie wichtig das ist, wurde schon vorher im Johannes-Evangelium immer wieder deutlich, weil genau das das Skandalon war – genau das wurde von den jüdischen Führern abgelehnt. So hat Jesus in Johannes 8 schon gesagt (Johannes 8, Vers 23): Ihr seid von unten her, ich bin von oben her, ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. Darum habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden, wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin.
Wer nicht glaubt, dass Jesus Gott ist, der wird in der Hölle enden – das heißt ganz klar: Wer nicht glaubt, dass Jesus Gott ist, wird auf ewig verloren gehen. Das war das Hauptproblem der meisten Juden zu jener Zeit und vieler unserer Zeitgenossen ebenfalls.
Du kannst keine persönliche Beziehung zu Jesus haben, wenn du nicht glaubst, dass er Gott ist. Das sagt Johannes 8 sehr deutlich. Aber sobald du auch nur ansatzweise begreifst, wer Jesus ist, wird dir klar, dass du eigentlich gar keine persönliche Beziehung zu Jesus haben könntest, weil es einfach nicht passt.
Wie will ich eine persönliche Beziehung zu Gott haben? Denken Sie daran, wie das Petrus zum ersten Mal aufging, Lukas 5, als er diesen großen Fischzug getan hatte und ihm ganz klar war, dass er das allein Jesus verdankt – allein seiner Macht, allein seiner Autorität.
Als Jesus dann vor ihm steht, erwartet man, dass Petrus sagt: Herr, danke, super, lass uns weitermachen. Nein, was sagt Petrus da? Lukas 5: Er sagt: Herr, geh von mir weg, denn ich bin ein sündiger Mensch. Das heißt, im Moment, wo er erkennt, wer Jesus ist, begreift er, dass er nicht zu ihm passt: Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch.
Schauen Sie, wenn uns klar wird, wer uns in Jesus gegenübersteht, umso mehr staunen wir, dass Jesus trotzdem diese Beziehung herstellen will. Jesus will trotz dieses Grabens, der uns von ihm trennt – unsere Schuld, unser Ego, unseren Unglauben, unsere Selbstgebundenheit und Selbstverliebtheit, die Gott nicht Gott sein lassen wollen – diesen Graben überbrücken.
Er räumt das weg, indem er uns unsere Sünde vergibt und uns freispricht – trotz all unserer Zerbrechlichkeit.
Darum hatte Jesus sich in Kapitel 10 nicht nur mit der Tür verglichen, durch die man eintreten muss, sondern auch mit dem Hirten, der sein Leben für die Schafe gibt: Ich bin der gute Hirte, der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
Denn er wird am Kreuz schon wenige Stunden nach diesem Gespräch in Johannes 15 die Strafe auf sich nehmen, die uns in die Hölle geworfen hätte. Er trägt das stellvertretend für uns.
Jetzt ist der Weg frei: Wenn wir zu Jesus kommen und sagen, Herr, lass das für mich gelten, dann vergibt er uns unsere Schuld. Er holt uns rein in diese unvorstellbar große Beziehung zwischen ihm als Gott in Person und uns Sündern.
Von dort ist klar: Er gibt sein Leben für die Schafe, er holt uns. Von dort führt auch eine Brücke zurück zu unserem Kapitel 15, Vers 13, wo Jesus sagt, dass sich darin die wahre Liebe zeigt.
Johannes 15, Vers 13: Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Er hat sein Leben gelassen für uns, und dadurch wurden wir Christen.
Daraus folgt auch, dass diese Beziehung zwischen Jesus und dir keine symmetrische Beziehung ist, keine Beziehung auf Augenhöhe. Jesus sagt in Johannes 15, Vers 16: Deswegen habe ich euch erwählt. Es ist von Jesus ausgegangen, dass er dich gezogen hat. Er hat es möglich gemacht, dass du zu ihm kommen konntest.
Es ist keine symmetrische Beziehung auf gleicher Augenhöhe, aber es ist trotzdem eine echte Beziehung. Es ist keine Einbahnstraße. Diese Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit, das sagt Jesus sehr deutlich in Vers 4, wenn er sagt: Bleibt in mir und ich in euch. Das ist gegenseitig.
Oder in Johannes 15, Vers 5: Wer in mir bleibt und ich in ihm. Keine Symmetrie, aber echte Beteiligung, echte Wechselseitigkeit, echte Mutualität.
Die Verse 14 und 15 in unserem Kapitel bekräftigen das noch einmal. Es ist fast zu schön, um wahr zu sein, wenn Jesus hier sagt:
Johannes 15, Vers 14: Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Hier bezeichnet Jesus uns als seine Freunde. Ich sage nicht, dass ihr Knechte seid, denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid. Denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Haben Sie schon einmal darüber gestaunt, dass Jesus Sie als seinen Freund bezeichnet? Im Alten Testament war das nur von Abraham gesagt worden, zum Beispiel in 2. Chronik 20,7, dass Abraham Freund Gottes war.
Jetzt sagt er das zu seinen Jüngern, im Hinblick auf seine Gemeinde: Du darfst ein Freund von Jesus sein.
Sie müssen wissen, das war damals ein besonderer Titel. Freunde des Königs – bei den römischen Herrschern und teilweise auch Königen im Mittleren Osten hatte dieser Titel eine ganz wertvolle Bedeutung.
Die Freunde des Königs hatten jederzeit Zugang zum König, auch in seine Privatgemächer. Sie gehörten zu denen, mit denen er sich aufs Engste beriet, etwa bevor er mit Generälen und anderen Staatsmännern sprach.
Die Freunde des Königs standen in einer echten, persönlichen, vertrauensvollen Beziehung zu ihm. Sie waren gewissermaßen der innere Kreis um ihn herum.
Wenn Jesus uns nun als seine Freunde bezeichnet, macht er damit deutlich: Ihr habt einen unmittelbaren Zugang zu mir. Staune darüber und hör nie auf, darüber zu staunen, dass du direkt zu Jesus beten kannst.
Welch ein Freund ist unser Jesus, oh, wie hoch ist er erhöht! Er hat uns mit Gott versöhnt und vertritt uns im Gebet. Wir können immer zu ihm kommen.
Schauen Sie sich dieses Lied noch einmal an: Welch ein Freund ist unser Jesus. Das hat seinen Grund hier in Johannes 15.
Freund bedeutet nicht nur persönlichen Zugang, sondern auch, dass Jesus sagt: Ihr seid nicht mehr Knechte, die nicht wissen, was ihr Herr tut, sondern ich habe es euch gesagt. Ich erkläre euch die Welt.
Ich lasse euch durch mein Wort, durch den Heiligen Geist, immer mehr hineinblicken in meinen Plan mit dieser Welt.
Weil ihr meinen Heiligen Geist habt, habt ihr auch ganz andere Voraussetzungen, dieses Wort zu verstehen und gewissermaßen Insiderwissen von Jesus zu bekommen.
Je mehr ihr so mit Jesus lebt und ihn liebgewinnt, umso mehr werdet ihr ihm auch gehorchen wollen.
Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. Das heißt, dass wir Jesus gehorchen und ihm dienen.
Es geht also um eine echte Beziehung. Johannes macht hier deutlich: Du bist kein Statist, der ängstlich verharrt, bloß nichts falsch machen will, damit nichts kaputt geht.
Du hast eine echte Verantwortung. Du darfst wirklich etwas beitragen zu dieser Beziehung mit Jesus – unglaublich!
Johannes 15 zeigt auch konkret, worin diese Verantwortung besteht.
Jesus sagt in Vers 7: Wenn meine Worte in euch bleiben – das heißt, wir leben diese Beziehung zu Jesus, wenn wir auf seine Worte hören.
Deswegen studieren wir seine Worte in der Bibelstunde, im Gottesdienst, aber auch hoffentlich zu Hause.
Wenn meine Worte in euch bleiben, dass wir auf Jesus hören.
Und schauen Sie, wie es dann weitergeht in Vers 7: Werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.
Das heißt, wir reden auch zu Jesus. Je mehr seine Worte uns prägen, unser Denken und unsere Wünsche, umso mehr werden auch unsere Gebete von seinem Willen geprägt sein.
Wir denken immer mehr in seinen Linien. Sein Wort prägt uns, unsere Gebete werden immer mehr von seinem Wort und seinem Willen geprägt.
Darauf liegt eine besondere Verheißungswahrscheinlichkeit, dass es wirklich uns auch gegeben wird.
Also: Auf Jesus hören, mit Jesus reden.
In Vers 9 geht es noch weiter: Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich auch euch. Bleibt in meiner Liebe, wenn ihr meine Gebote haltet; so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
Sehr konkret: Auf Jesus hören, seine Worte in sich bewahren, mit Jesus reden, wenn ihr bittet, was ihr wollt, und euer Wille ist geprägt von seinem Wort. Schließlich für Jesus etwas tun: Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe.
Das ist Leben mit Jesus. Darin lebt auch diese Verbindung – sozusagen, was unsere Seite betrifft.
Noch einmal ganz wichtig: Dieses Tun ist keine Leistung, mit der ich mir den Himmel verdienen kann.
Himmelsbürger bin ich dadurch, dass Jesus mich angenommen und mir meine Sünden vergeben hat.
Aber dieses Leben mit und für Jesus hat seine Motivation – worin? In der Liebe zu ihm.
Vers 9: Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich auch euch. Bleibt in meiner Liebe, wenn ihr meine Gebote haltet; so bleibt ihr in meiner Liebe.
Deswegen fühlen wir uns an das Wort Gottes gebunden, weil wir Jesus lieben.
Deshalb können wir nicht einfach machen, was wir wollen – weder in unserem Privatleben noch in der Art und Weise, wie wir in unseren Diensten in der Gemeinde agieren.
Weil wir Jesus lieben, können wir nicht einfach sagen: Na ja, wir überlegen jetzt mal, was das Geschickteste ist unter menschlich-pragmatischen Bedingungen.
Weil wir Jesus lieben und Jesus uns sagt, was er von uns will, machen wir das, was wir machen, für ihn, um seines Willens.
Jesus sagt in Johannes 14, Vers 23: Wer mich liebt, wird mein Wort halten.
Ein Kapitel davor sagt er genau dasselbe.
Alles Gute, was mein Leben hervorbringt, sagt Jesus, alles an meiner Existenz, was meinen Schöpfer wirklich ehrt (siehe Vers 8), verdankt sich letztlich dieser echten Verbindung mit Jesus.
Deshalb bezeichnet der Herr das nicht als Leistung, nicht als Werk, schon gar nicht als Verdienst, sondern – wie Sie gelesen haben – als Frucht.
Nicht Leistung, nicht Werk, nicht Dienst, sondern Frucht.
So ein Leben, Kapitel 15, Vers 5, ehrt Gott: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.
Darin wird mein Vater verherrlicht, Gott geehrt, Gott groß gemacht.
Dass ihr viel Frucht bringt und immer mehr meine Jünger werdet.
Versteht ihr? Es hängt alles an der Verbindung zu Jesus.
Deshalb steht am Ende von Vers 5: Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Nein, ohne mich könnt ihr nur wenig tun? Nein, ohne mich könnt ihr höchstens ein bisschen tun? Nein, ohne mich könnt ihr nichts tun.
Das steht da wirklich.
Das heißt, ohne Jesus sind wir wie eine Rebe, die irgendwo vereinzelt in der Gegend herumliegt.
Seien Sie sicher: Aus so einer Rebe, die irgendwo vereinzelt herumliegt, kommen niemals Weintrauben heraus.
Aber können Menschen, die ohne Jesus leben, nicht auch Gutes tun?
Können Menschen, die ohne Jesus leben, nicht auch Kranke pflegen, Kinder aufnehmen, Leben retten, Brunnen in der Dürre bauen?
Ja, können sie. Klar, weil sie Gottes Geschöpfe sind, können sie auch Gutes tun.
Aber sie können niemals Frucht bringen.
Das ist der Unterschied.
Sie können niemals Gott damit ehren, sie können niemals zu Gott ihre Liebe dadurch ausdrücken, sie können niemals Ewigkeitsbeständiges hervorbringen.
Sie können Gutes tun, aber sie können keine Frucht bringen.
Deswegen beten wir oft auch vor Veranstaltungen in der Gemeinde und vor Diensten: Herr, schenke, dass etwas geschieht, was in der Ewigkeit wiedergefunden wird – das ist Frucht.
Unsere Großeltern haben ein Lied gesungen, das heute keiner mehr kennt, das zum Inhalt hatte:
Alles wird vergehen, was du nicht aus Liebe getan hast,
Eines besteht, nimmer vergeht, nimmer vergeht,
Was du für Jesus getan hast.
Du wirst die Welt und ihr Tagwerk verlassen,
Niemals vergeht, was aus Liebe geschehen,
Und damit ist gemeint: Die Liebe zu Jesus.
Du hast für Gott und die Wahrheit strebend wacker gekämpft gegen Sünde und Wahn.
Du wirst vergessen, doch bleibend und lebend reifend,
Zur Frucht, was du liebend getan für Jesus.
Das ist Frucht.
Das müssen wir knallhart sagen, weil die Bibel sagt – und Luther hat das sehr genau herausgearbeitet, etwa in seiner Schrift von den guten Werken:
Ohne die Verbindung zu Jesus sind auch unsere besten Taten letztlich Sünde, weil sie Gott die Ehre verweigern.
Ohne Verbindung zu Jesus sind auch unsere bestgemeinten Taten letztlich Sünde, weil sie Gott die Ehre verweigern.
Gott kann damit trotzdem etwas Gutes tun.
Wenn einer aus Humanität oder um sich großen Namen zu machen, Kranken hilft, kann Gott das trotzdem gebrauchen.
Aber vor Gott bleibt es letztlich Sünde.
Deshalb schreibt Paulus in Römer 14, Vers 23: Alles, was ohne Glauben geschieht (auch das Beste), ist Sünde.
Deshalb hatte Luther Recht, als er 1520 in seinem bewussten Aufsatz von den guten Werken schrieb:
Darum sind ohne den Glauben alle Werke tot, sie glänzen und mögen heißen, so gut sie mögen.
Es mag noch so strahlend aussehen, es mag noch so human gemeint sein – es ist letztlich tot, es ist nicht Frucht.
Darum hängt alles, was in unserem Leben geschieht, an dieser echten persönlichen Verbindung zu Jesus.
Nur durch ihn wird es Frucht.
Vielleicht rutscht mancher jetzt schon unruhig auf der Kante seines Stuhls und fragt: Aber wo bleibt jetzt die Gemeinde?
Jesus hat die doch im Plural angesprochen: der Weinstock, die Reben – das ist doch ein Gemeindebild.
Ja, klar, sonst würden wir das ja hier in dieser Reihe nicht aufnehmen.
Aber wie ist das? Hier ging es doch die ganze Zeit nur um das persönliche Verhältnis zwischen Jesus und jeder einzelnen Rebe.
In der Tat kommt die Gemeinde erst ab Vers 12 zur Sprache, in Johannes 15, Vers 12: Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
Das heißt, das ist eine Folge der Liebe jedes Einzelnen zu Jesus, dass er sich dann auch den anderen zuwendet.
Oder um bei diesem Bild von Jesus zu bleiben: Stellen Sie sich vor, warum sind die Reben so nah beieinander?
Weil sie alle an diesem Weinstock hängen, nur dadurch.
Das heißt, wir lieben die Gemeinde um Jesu willen.
Wenn wir sagen, wir lieben die Gemeinde, dann lieben wir sie um Jesu willen.
Sonst werden wir die Gemeinde dauerhaft nicht lieben können, weil wir uns viel zu sehr übereinander ärgern.
Weil wir uns aneinander die Zähne ausbeißen, weil wir einander enttäuschen, weil wir Menschen sind.
Wenn unsere Liebe zur Gemeinde von der Sympathie zu den Menschen abhängt, werden wir die Gemeinde nicht beständig lieben.
Wissen Sie, was das Problem ist? Viele Predigten fangen erst hier in Vers 12 an: Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt.
Da geht es erst los.
Aber das hängt völlig in der Luft. Das funktioniert nicht.
Alle diese Predigten, die erst in Vers 12 anfangen und mit diesem Imperativ der Liebe auftreten, müssen saft- und kraftlos bleiben.
Warum? Weil sie Liebe nicht als Frucht beschreiben, die aus der Verbindung zu Jesus erwächst, sondern weil sie Liebe als ethische Leistung christlicher Charaktermenschen beschreiben.
Diese Liebe wird erbracht aus Selbstdisziplin und moralischer Anstrengung.
So beschreiben sie die Liebe: Das sind so christliche Gutmenschen, die sich anstrengen, sich zusammenreißen und sich ein Vorbild an Jesus nehmen. Da müsste es doch irgendwie klappen.
Nein, es klappt nicht, wissen wir doch. Es muss scheitern.
Wissen Sie, was am Ende bleibt? Dieses menschliche Gutmenschentum.
Und jetzt reißen wir uns zusammen und lieben einander.
Am Ende bleibt Fassade, dass man sich vielleicht anlächelt, weil man sich nicht traut, die Wahrheit zu sagen.
Am Ende bleibt Heuchelei und Scheitern.
Wenn du dein Verhältnis zur Gemeinde an deinem Verhältnis zu Menschen festmachst – sei es an deinen Freunden, die du nett findest in der Gemeinde, oder sei es an denen, an denen du dich besonders reibst – wirst du auf Dauer weder die Gemeinde lieben können noch dich deines Dienstes und deiner Nachfolge wirklich freuen können.
Darum lasst uns lieber gleich an der richtigen Stelle ansetzen.
Es hängt alles an der echten Verbindung zu Jesus.
Nur der Weinstock hat die Kraft und den Saft, um aus uns zerbrechlichen Reben saftige Trauben hervorzubringen.
Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Nur der wahre Weingärtner, nun Gott, kann diesen Prozess gestalten.
Gott macht es nach seinen Prinzipien, die er uns in seinem Wort sagt.
Nur die Liebe zu Jesus macht für uns ein Herzensanliegen daraus, seine Gebote zu halten.
Das steht hier: Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
Nur die Liebe zu Jesus.
Was geschieht dann, wenn wir aus Liebe zu Jesus seine Gebote halten wollen?
Das steht in Vers 11: Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
Das heißt, wenn wir aus Liebe zu Jesus die Gebote halten, gibt Jesus uns eine Freude ins Herz.
Das ist Vers 11, die kein Mensch uns geben kann, aber auch kein Mensch uns nehmen kann.
Diese Freude triumphiert über alle Umstände.
Wenn diese Liebe zu Jesus, die uns dazu bringt, seine Gebote zu halten (Vers 10), uns diese Freude ins Herz gibt (Vers 11), dann kommt Vers 12:
Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt.
Versteht ihr?
Dann sind wir ganz anders gerüstet, den Kampf mit unserem Ego aufzunehmen und dem Bruder in Liebe zu begegnen.
Wenn du den Kampf mit deinem Ego nicht aufnimmst, wirst du deinen Bruder und deine Schwester nie wirklich lieben können.
Wenn du bei Vers 12 beginnst, hast du schon verloren.
Deshalb werden wir in einigen Minuten miteinander singen:
Bei dir, Jesu, will ich bleiben,
Stets in deinem Dienste stehen,
Nichts soll mich von dir vertreiben,
Will auf deinen Wegen gehen.
Du bist meines Lebens Leben,
Meiner Seele Trieb und Kraft,
Wie der Weinstock seinen Reben zuströmt
Kraft und Lebenssaft.
Es kommt nur von Jesus.
Das war der erste Punkt, und der war wesentlich länger als der zweite.
Halten Sie es bitte fest: Ohne Jesus gibt es keine Frucht, ohne Jesus gibt es auch keine Freude im Dienst.
Ohne Jesus gibt es nur Mühe, Krampf und Verdruss.
Darum hängt alles an der echten Verbindung zu ihm.
Die eingebildete Verbindung und die Gefahr des Scheinglaubens
Neben der echten Verbindung stellt der Herr Jesus auch die eingebildete Verbindung dar. Jesus weist darauf hin, dass unter dem Dach der Gemeinde manchmal beides ganz nah beieinanderliegt und von außen kaum unterschieden werden kann. Denn unter denen, die offiziell zu seinen Jüngern gehören, gibt es zwei verschiedene Rebsorten.
In Vers 2 heißt es: „An jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen, und an jede Rebe, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringt.“ Diese letzte Rebe, die Frucht bringt, nimmt er dann in Vers 5 wieder auf: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Die erste Rebe, die keine Frucht bringt, wird in Vers 6 beschrieben: „Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer.“ Dieses Bild steht für die ewige Verdammnis.
Diese beiden Rebsorten unterscheiden sich also deutlich: Die Reben aus Vers 5 bringen Frucht, weil sie eine echte Verbindung zu Jesus haben. Die Reben aus Vers 6 hingegen bringen keine Frucht, weil sie nur eine eingebildete Verbindung zu Jesus besitzen. Jesus beschreibt diese eingebildete Verbindung folgendermaßen: Wir müssen bedenken, dass er hier ein Bild vor Augen hat. Er malt uns vor Augen: „Eine jede Rebe, die keine Frucht bringt.“ Er sagt, es gibt Reben an mir, die überhaupt keine Frucht bringen. Jesus meint nicht, dass diese Reben einmal lebendig waren und dann aufgehört haben, Frucht zu bringen. Nein, er beschreibt einfach den Zustand. Diese Rebe ist irgendwie mit dem Weinstock verbunden, aber nicht so, dass es fruchtet.
Die Verbindung zwischen Weinstock und Rebe ist nicht intakt. Es besteht keine lebendige, keine wechselseitige Beziehung zwischen Weinstock und Rebe, wie wir das vorhin beschrieben haben. Darum bringt diese Rebe dauerhaft keine Frucht (Vers 2), bleibt nicht am Weinstock (Vers 6a) und wird am Ende ins Feuer geworfen (Vers 6b), was das Bild für das Gericht Gottes ist.
Das war das Judasproblem, das Jesus hier seinen Jüngern klären muss. Man kann offensichtlich in einer Weise irgendwie mit Jesus verbunden bleiben, ohne echt mit ihm verbunden zu sein, ohne ihm wirklich als Herrn und König nachzufolgen. Aber diese unechte, diese nur eingebildete Verbindung hält nicht, sie bleibt nicht. Warum bleibt sie nicht? Weil sie nicht echt ist, sondern nur eingebildet. Das ist das Problem.
Woran macht Jesus das fest? Er sagt, diese Rebe bringt keine Frucht. Damit meint er nicht, dass diese Rebe keine guten Werke vorzuweisen hat oder nicht bereit ist, mitzuarbeiten. Nein, er sagt, von dieser Rebe bleibt nichts, was Gott ehrt – keine Frucht. In Vers 6 beschreibt er es ohne Bild: „Wer nicht in mir bleibt.“ Darauf hat unser Herr immer wieder hingewiesen. Es gibt viele Stellen im Neuen Testament, die das thematisieren. Es gibt einen vermeintlichen Glauben, der kein echter Glaube ist, sondern nur ein Scheinglaube.
Nehmen wir das Beispiel des Gleichnisses vom vierfachen Ackerfeld, das in Matthäus 13, Markus 4 und Lukas 8 dreimal vorkommt. Jesus vergleicht sich dort mit einem Sähmann und sagt, der Same seines Wortes, der ausgestreut wird, fällt auf vier verschiedene Untergründe. Der eine Same fällt auf den Weg, dort wird das Wort gehört und gleich wieder weggewischt, es kommt alles Mögliche dazwischen. Die nächste Kategorie ist der Fels. Dort gibt es eine schnelle Reaktion, eine schnelle Begeisterung, aber keine Wurzel. Die Pflanze ist schnell wieder weg, wie sie gekommen war.
Das dritte Feld ist das Dornenfeld. Dort beschreibt Jesus den Scheinglauben. Da wächst erst etwas, es gibt eine gewisse Form von Bekenntnis und Mitmachen, aber dann wird es erstickt – vom Reichtum, von der Sorge. Jesus beschreibt die Folge dieses Ersticktwerdens mit dem Befund: „Sie bringen keine Frucht.“ Es geht immer um die Frucht.
Das vierte Feld ist das gute Land. Dort heißt es in Lukas 8, Vers 15: „Das sind die, die das Wort hören und in Geduld Frucht bringen.“ Das bedeutet, es wird Frucht entstehen, und sie bleiben – Frucht in Geduld. Das heißt nicht, dass diese Leute nicht sündigen oder keine Probleme haben. Aber sie bringen Frucht in Geduld.
Manchmal ist es von außen gar nicht so leicht, zwischen Frucht und Fake zu unterscheiden. Das macht es so herausfordernd. Deswegen ist Judas ja auch nicht früher aufgeflogen. Nur Jesus hat ihn durchschaut, die Jünger haben nichts gemerkt. Als es dann rauskam mit Judas, haben die Jünger nicht gesagt: „Na ja, wussten wir, der war immer nicht so ganz dabei.“ Nein, sie waren entsetzt und fragten sich: „Kann ich das sein?“ Sie konnten sich das nicht vorstellen. Man sieht es nicht immer von außen.
Am Ende der Bergpredigt beschreibt Jesus dieses dramatische Scheidungsgeschehen so: In Matthäus 7, Vers 22 sagt er: „Es werden viele zu mir sagen an jenem Tag“ – damit meint er den Tag des Gerichts – „Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunder getan?“ Sehr spektakulär sogar.
Was wird Jesus ihnen antworten? „Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter!“ Das heißt: Ich habe nie eine echte Beziehung zu euch gehabt. Ihr habt nie wirklich euer Leben mir anvertraut, nie auf meine Vergebung vertraut.
Davor, in Vers 21, sagt der Herr: „Es werden nicht alle, die zu mir kommen und zu mir sagen: Herr, Herr, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen meines Vaters tun.“ Ihr habt nicht wirklich meinen Willen tun wollen, ihr habt nicht wirklich aus Liebe mir dienen wollen. Ihr habt eure christliche Existenz gepflegt, und das passte ganz gut so in euer Leben. Aber ich habe euch nie gekannt.
Diese Not begleitet die Gemeinde Jesu Christi seit dem ersten Jahrhundert. Es gibt neben Glauben immer auch Scheinglauben, neben Frucht auch Fake, neben der echten Beziehung zu Jesus auch die eingebildete.
Deshalb wird Johannes, der dieses Evangelium aufgeschrieben hat, sich Jahrzehnte später in seinem Brief noch einmal damit auseinandersetzen. In 1. Johannes 2, Vers 19 nimmt er genau diese Situation wieder auf. Wenn man diesen Vers liest, hört man den Schmerz, mit dem Johannes schreibt: „Sie sind von uns ausgegangen“ – also diejenigen, die aufgeflogen sind, wie Judas – „aber sie waren nicht von uns. Denn wenn sie von uns gewesen wären, so wären sie ja bei uns geblieben. Aber es sollte offenbar werden, dass sie nicht alle von uns sind.“
Das ist der Befund. Johannes sagt, sie sind weggegangen, aber nur, weil sie nicht wirklich zu uns gehört hatten. Das meint nicht, dass sie weggegangen sind, weil sie umgezogen sind oder in eine andere Gemeinde gingen. Nein, sie sind weggegangen, weil sie Jesus verlassen haben. Sie haben den Glauben an Jesus abgesagt.
Wir kennen immer wieder prominente Beispiele, wie Frankie Schaefer, den Sohn von Francis Schaefer, dem großen christlichen Kulturkritiker, oder Joshua Harris – Leute, die offiziell den christlichen Glauben verlassen haben, von denen aber alle dachten, sie seien treue Nachfolger gewesen.
Johannes sagt: Durch ihren Weggang haben sie gezeigt, dass sie nie wirklich dazugehört hatten. Es sah so aus, als ob diese Reben mit dem Weinstock verbunden wären, aber sie waren es nicht. Sie brachten keine Frucht. Wenn es anders gewesen wäre, wären sie geblieben. Johannes zieht mit dem Wort „geblieben“ eine Verbindung zu Kapitel 15, wo es von den abgetrennten Reben heißt: „Wer nicht in mir bleibt.“ Es ist dasselbe griechische Grundwort.
Sie wären geblieben, wenn sie wirklich bei Jesus gewesen wären. Die Folge der eingebildeten Verbindung ist die ewige Verdammnis.
Das Wort „bleiben“ kommt in Johannes 15 bis Vers 7 noch weitere sechs Mal vor, und immer im Zusammenhang mit den Reben, die Frucht bringen. Sie bleiben, sie bleiben, sie bleiben. Ab Vers 9 kommt es noch vier Mal vor – dieses Kennzeichen des Bleibens beschreibt immer die echte Verbindung zu Jesus.
Diese echten Reben ermutigt unser Herr: „Bleibt in mir“ (Vers 4) und „ich in euch“. Wie die Rebe keine Frucht bringt aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.
Oder Vers 7: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch geschehen.“
Es ist ganz wichtig, dass man nicht mit dem Missverständnis aus diesem Text herausgeht: Jesus zieht nicht die Möglichkeit in Erwägung, dass jene, die eine echte Verbindung zu ihm haben, irgendwann doch nicht bleiben können. Das ist nicht gesagt.
Jesus zieht nicht in Erwägung, dass diejenigen, die echt am Weinstock sind, wieder gehen könnten. Das hatte der Herr bereits in Johannes 10 klargestellt. Dort heißt es in Vers 27: „Meine Schafe hören meine Stimme, ich kenne sie, sie folgen mir. Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ Und weiter: „Mein Vater hat sie mir gegeben, und niemand wird sie aus der Hand meines Vaters reißen.“
Diese bleiben garantiert.
In Kapitel 15 bestätigt der Herr das noch einmal in Vers 16: „Ich habe euch erwählt; glaubt doch nicht, dass ich euch wieder loslasse.“
Mit diesem Appell an unsere Treue würdigt der Herr unsere Verantwortung. Er bekräftigt, dass es eine echte persönliche Verbindung zwischen ihm und uns gibt. In dieser Verbindung zieht er uns mit, hält uns fest und lässt in unserem Leben die Frucht einer lebendigen Nachfolge wachsen – obwohl wir Fehler machen, uns manchmal schämen für das, was wir tun, sagen oder denken.
Diese Verbindung treibt uns immer wieder zu unserem Herrn, damit er uns vergibt. So lässt er die Frucht der Nachfolge wachsen. Er macht das so, dass er uns mitnimmt, unser sensibles Gewissen noch sensibler macht, es klar an seinem Wort ausrichtet und in unserem Herzen eine innere Sehnsucht schürt, ihm treu zu bleiben und ihn nicht zu betrüben – ihm, der alles für uns gegeben hat.
Diese Sehnsucht schürt der Herr im Herzen derer, die bei ihm bleiben. Er ermutigt sie mit dem Wort: „Bleibt in mir, und ich halte euch fest.“ Ja, wir werden manchmal müde unterwegs, aber dann bringt der Herr uns wieder in Bewegung mit diesem mutmachenden Aufruf: „Bleibt in mir! Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben.“
Die Hoffnung auf Versöhnung und die Kraft der Beziehung zu Jesus
Johannes wusste, dass unsere menschlichen Biografien nicht immer geradlinig verlaufen. Er hatte auch seinen Kollegen Petrus vor Augen, als er dies schrieb. Sie wissen, Petrus war zwischenzeitlich vom Weg abgekommen, besonders in den Wirren kurz vor der Kreuzigung durch seinen dreifachen Verrat an Jesus. Nach außen konnte es den Anschein haben, als ob auch Petrus den Weg des Judas gehen würde.
Aber dann ging es gut aus. Es ging gut weiter, und Johannes durfte diesen Moment der Versöhnung selbst miterleben. Er beschreibt ihn in Johannes 21. Johannes war gewissermaßen als Augenzeuge dabei, als Jesus seinen Kollegen Petrus wieder zurechtbrachte. Petrus durfte schließlich voller Scham und Erleichterung bekennen: „Herr, ich habe dich lieb, du weißt es doch, ich habe dich lieb, und mein Leben soll dir gehören.“
Das passiert auch heute noch. Wir durften schon erleben, dass Jesus so manchen zum Glauben zurückbrachte, von dem wir schon gefürchtet hatten, er werde möglicherweise nie wieder zurückkommen. Doch der Herr hat ihn zurückgebracht. Verstehen Sie, unser Herr ist lebendig. Darum hat er immer wieder überraschende Wege, um die Seinen aufzusuchen und einzusammeln, damit sie schließlich in ihm bleiben und doch noch echte Frucht bringen, die Jesus ehrt.
Wie jener Familienvater, mit dem ich schließen möchte, den Martin Lloyd Jones in seiner ersten Gemeinde in Südwales kennengelernt hat. Dieser Mann war sehr zurückhaltend gewesen, doch durch Gottes Gnade kam er aus einem völlig zerstörten Leben zum lebendigen Glauben an Jesus. Er erfuhr Vergebung, und sein Leben wurde neu.
Aber einige Zeit später, als Martin Lloyd Jones schon längst als Pastor in London tätig war, rutschte dieser Mann wieder zurück in sein altes Leben. Er wurde ein Abtrünniger, ein sogenannter Backslider. Er verließ seine Frau und seine Kinder und lebte mit einer anderen Frau in London zusammen. Gemeinsam brachten sie ihr letztes Geld durch, und dann verließ ihn diese Frau.
In seiner Scham und Verzweiflung sah der Mann keine Chance, je zu seiner wirklichen Familie zurückzukehren. Er beschloss, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er begab sich auf die Westminster Bridge in London, um sich in die Themse zu stürzen. In dem Augenblick, als er die Brücke erreichte, schlug die Uhr von Big Ben 18:30 Uhr.
Plötzlich zuckte ihn der Gedanke, dass Martin Lloyd Jones gerade seine Kanzel betreten würde, um den Gottesdienst zu beginnen. Es zog ihn richtig dahin, und er sagte sich, er wolle wenigstens noch einmal in dessen Kirche gewesen sein, bevor er mit seinem Leben Schluss macht.
So ging er die sechs Minuten bis zur Westminster Chapel, trat durch die große Tür und stieg die Treppe zu einer der Galerien empor. Als er dort oben ankam, hörte er als erstes die Gebetsworte: „Gott, hab Erbarmen mit dem Abtrünnigen.“ („God have mercy upon the backslider“). Martin Lloyd Jones hatte diese Worte gerade im Eingangsgebet gesprochen. Er konnte nicht wissen, dass dieser Mann anwesend war. Doch diese Worte schlugen in seinem Gewissen ein wie ein Blitz.
Er beugte sich vor seinem Herrn, tat Buße, fand echte Vergebung, und alles wurde wieder gut. Mehr noch: Nach einiger Zeit wurde er Gemeindeältester in einem Vorort von London und diente dort seinem Herrn viele Jahre, bis er schließlich 1971 von diesem Herrn zu sich nach Hause geholt wurde.
„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“, sagt der Herr. „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“
Lieber Jesus Christus, danke, dass du, obwohl du der heilige, ewige Gott bist, uns zerbrechliche Menschen in eine echte, lebendige Beziehung zu dir hineinziehen willst. Danke, dass du gekommen bist und die Tür weit geöffnet hast, damit wir zu dir kommen dürfen.
Herr, danke, dass du im Leben der Deinen echte Frucht wachsen lassen willst. Dass du uns auch durch schwere Zeiten hindurchführst, in denen wir Fehler machen, sündigen und versagen. Du hältst uns fest.
Hilf jedem von uns, dass er ehrlich sein Leben vor dir prüft, Herr, und erkennt, wo er steht. Und dass wir dort, wo du unser Herz anrührst und wir erkennen, dass sich etwas ändern muss, nicht verzweifelt weglaufen, sondern in deine Arme kommen.
Du hast gesagt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Frieden geben.“ Dir sei alle Ehre, du lieber, guter Herr. Amen.