Die Bedeutung des Gesetzes im christlichen Glauben
Vielleicht sollte ich immer wieder die Vorbemerkung machen: Wenn Paulus im Römerbrief oder im Galaterbrief so viel vom Gesetz spricht, dann meint er damit nicht, wie manche Christen vielleicht denken, dass man sich seine Religion einfach im Kopf selbst zurechtzimmern kann.
Heute trifft man oft auf Christen, die behaupten, die Gebote seien für sie gar nicht gültig. Da schüttelt man den Kopf, denn das ist natürlich Quatsch. Solche Leute verdrehen die Bibel. Das Ergebnis der Gebote kann immer nur eines sein: dass ich in der Wahrheit bleibe, in der Liebe bin und meinem Nächsten nichts Böses tue. Im Ergebnis kann es nichts anderes sein als das, was das Gesetz befiehlt.
Wogegen Paulus sich wehrt, ist die Vorstellung, dass ich durch das Gesetz selbst mein Heil schaffen kann. Das ist der Punkt: Es geht nicht um ein Ergebnis, sondern darum, dass ich mir mein Heil nicht selbst schaffen kann.
Brauchen wir überhaupt ein Mikrofon? Der Dekan Duncker hier mit seinen hundertundfünf Jahren hat auch ohne Mikrofon gesprochen. Also, ich meine immer: Ah ja, richtig, super. Es tut mir immer leid, wenn manche sagen, ich brülle so, dass ihnen die Ohren wackeln. Das möchte ich nicht. Aber ihr findet es richtig.
Verstehen Sie: Für uns ist das Gesetz in der Bibel ein wichtiger Maßstab. Zum Beispiel: "Du sollst einen Feiertag heiligen." Wenn ein Christ kommt und sagt, ich kann auch sonntags mein Auto putzen, dann liegt er falsch. Da stimmt etwas im Glauben nicht.
Und wenn jemand die Ehe bricht und sagt, Gott sei großzügig, dann ist er kein Christ. Es kann im Ergebnis gar nicht stimmen. Wenn jemand eine Lüge erzählt, kann das nicht in Ordnung sein. Wir müssen da klar sehen. Das Gesetz ist in seiner Redeweise eindeutig.
Paulus geht es aber darum, dass das Gesetz viele Vorschriften enthält, die damals das Leben eines Gläubigen bestimmten. Diese Vorschriften bestimmen heute noch das Leben eines frommen Juden. Es geht um Gebetszeiten, Feste, und um die Schritte, die man am Sabbat gehen darf.
Genau an dieser Stelle hat Jesus eingesetzt. Er hat das Gesetz nicht abgeschafft, sondern darüber hinaus von der Heiligung unseres Lebens gesprochen. Wir sollen durch und durch geheiligt werden.
Das möchte ich einfach vorher noch einmal sagen, damit wir es verstehen. Ist das soweit klar geworden, oder soll ich es noch einmal erklären? Es ist deutlich.
Die Versuchung, zum Gesetz zurückzukehren
Aber zu der Zeit, als ihr Gott noch nicht kanntet, dientet ihr denen, die in Wahrheit keine Götter sind. Nachdem ihr aber Gott erkannt habt, ja vielmehr von Gott erkannt seid, wie wendet ihr euch dann wieder den schwachen und dürftigen Mächten zu, denen ihr von neuem dienen wollt?
Ihr haltet bestimmte Tage ein, Monate, Zeiten und Jahre. Ich fürchte für euch, dass ich vielleicht vergeblich an euch gearbeitet habe. Werdet doch wie ich, denn ich wurde wie ihr, liebe Brüder! Ich bitte euch: Ihr habt mir kein Leid getan. Ihr wisst doch, dass ich euch in Schwachheit des Leibes das Evangelium gepredigt habe beim ersten Mal.
Und obwohl meine leibliche Schwäche euch ein Anstoß war, habt ihr mich nicht verachtet oder vor mir ausgespuckt. Stattdessen habt ihr mich aufgenommen wie einen Engel Gottes, ja wie Christus Jesus. Wo sind nun eure Seligpreisungen geblieben? Denn ich bezeuge euch: Ihr hättet, wenn es möglich gewesen wäre, eure Augen ausgerissen und mir gegeben.
Bin ich denn damit euer Feind geworden, weil ich euch die Wahrheit vorhalte? Es ist nicht recht, wie sie um euch werben. Das sind also die, die die neuen Lehren in die Gemeinde hineintragen. Sektenhäuptlinge, oder wie man das sonst nennen mag.
Sie wollen euch nur von mir abspenstig machen, damit ihr euch um sie werbt. Umworben zu werden ist gut, wenn es im Guten geschieht, und zwar immer, nicht nur in meiner Gegenwart, wenn ich bei euch bin.
Meine lieben Kinder, die ich abermals unter Wehen gebäre, bis Christus in euch Gestalt gewinnt. Ich wollte aber, dass ich jetzt bei euch wäre und mit anderer Stimme zu euch reden könnte, denn ich bin irre an euch.
Das Evangelium als Botschaft für Versager
Wenn gefragt wird, was das Schöne am Evangelium Jesu ist, lässt sich das ganz einfach in meinen Worten zusammenfassen: Versager und Gescheiterte werden von Gott angenommen.
Die meisten Menschen, die sich heute als Christen bezeichnen, sehen das ganz anders. Sie sagen: „Ich bin Christ, das heißt, ich strebe nach dem Guten.“ Das ist jedoch kein Anhaltspunkt bei Jesus. Das Evangelium bleibt eine Botschaft für Menschen, die vor Gott gescheitert sind.
Genau das war Paulus wichtig, das klar herauszustellen. Ich merke jetzt, dass wir das völlig vergessen haben. Als ich den Galaterbrief durchgegangen bin, habe ich mich gefragt, ob wir in den letzten Jahren überhaupt richtig betont haben, dass die Freude des Evangeliums immer wieder darin liegt, dass ich von dieser Wahrheit lebe: Ich scheitere vor Gott vielfach, aber seine Gnade trägt mich.
Die Galater sind jedoch wieder zurückgefallen und sagten, wir müssen doch wieder manches Gesetz aus dem jüdischen Erbe übernehmen. Das könne auch im Christenleben sehr hilfreich sein. Dagegen wehrt sich Paulus. Ich habe das oft in den Abenden betont: Es bleibt eine große Versuchung für ernsthafte Bibelleser und für Menschen, die Gott wirklich dienen wollen, das Glaubensleben durch Vorschriften einzuengen. Sie meinen, damit könnten sie einen Zaun aufrichten und Leute leichter bei Gott halten.
Paulus sagt jedoch: Nein, ihr verratet das Evangelium. Das Evangelium, und zwar das Evangelium des Sünderseligmachers, ist das Entscheidende. Er erklärt nun, dass es ein ganz schrecklicher Holzweg ist.
Ein Holzweg, das kennen Sie aus Wäldern: Man spaziert und merkt plötzlich, dass man im Dickicht landet, weil der Weg nur zur Holzabfuhr gedacht war. Dort kommt man aber nicht ans Ziel.
Die Gefangenschaft in Gesetz und Angst
Die lieben Schleicher sind am Tag der Deutschen Einheit aus den Donautälern mitgewandert. Sie sind auf allen Vieren bergauf gekrochen und über Bergrücken gerutscht. Dabei wurden sie manchmal vom Wanderführer auf einen Holzweg geführt und kamen nicht richtig heraus.
Paulus sagt dazu: Wenn man mit dem Gesetz lebt – damals, zu seiner Zeit –, war das so. In Vers 8 heißt es: „Als ihr Gott noch nicht kanntet, dientet ihr denen, die in Wahrheit keine Götter sind.“ Wie war das? Bevor sie Jesus erkannt hatten, waren sie in die großen Vorschriften eingespannt und dienten Gott auf diese Weise.
Ich habe heute extra ein Buch mitgebracht, das ein Missionar geschrieben hat. Es ist das Standardwerk schlechthin über das Heidentum, die Lebenskräfte des Evangeliums. Dieses Buch bekommt man nur noch zu sehr hohen Preisen im Antiquariat, und inzwischen gibt es nur noch einen teuren Nachdruck. Darin finden sich interessante Beilagen aus der Jahrhundertwende: eine Waschanleitung für bunt gefärbte Baumwollstoffe und ein Freischein von 1908. Dieser Bewilligungsschein erlaubte die Benutzung eines Zeiss-Fernrohrs für drei Minuten zum Preis von zwanzig Rappen am 8. September 1908. So ein schönes altes Buch in der Hand!
Das Buch enthält große Erkenntnisse mit vielen Beispielen. Wie ist es bei den Heiden, bei den Weltvölkern in Indien, Papua-Neuguinea oder Afrika, wenn diese Menschen von Jesus noch nichts wissen? Darf ich Ihnen etwas daraus vorlesen, damit man es sieht?
Von der Goldküste berichtet Missionar Mischoch, wie ein Schwarzer ihm sagt: „Die Götzen und Fetische, die wir anbeten, töten uns geradezu. Wenn jemand am Sterben ist und die Verwandten den Fetischpriester nach der Ursache fragen, sagt dieser, der Kranke habe den Fetisch beleidigt und müsse deshalb sterben. So sehen wir, dass wir nicht die Götter des Lebens und des Todes anbeten.“
Die Heidenvölker im Animismus und Geisterglauben haben große Furcht vor dem, was sie tun. Paulus sagt, hinter dem jüdischen Gesetz steht letztlich auch Todesangst: Man könnte beim Gebet den Riemen falsch herum legen und damit sein Heil verlieren oder am Sabbat einen Schritt zu viel machen. Das ist Todesangst, eingebunden in die Mächte der Angst.
In Indien erzählt Missionar Hoch von der Geistesverehrung. Missina fragte: „Warum seid ihr nicht im Heidentum geblieben?“ Die Antwort lautete: „Wir konnten die immer unerträglicher werdenden Plagen der Buden nicht mehr aushalten. Das müssen Geister sein, während doch die Christen von denselben nicht gequält werden und sich vor ihnen nicht fürchten.“ Es ist also das Verlangen, von der Herrschaft und Plage der bösen Geister, von der Knechtschaft der Furcht erlöst zu werden, in der sie als Budenverehrer gefangen waren.
Ähnlich berichtet Missionar Rössler von den Shambhala: „Wir Missionare machen alle die Erfahrung, dass unsere heidnischen Zuhörer nie schärfer aufmerken, als wenn von der Erlösung von der Furcht die Rede ist.“
Ein Missionar namens Jellinghaus erzählt, dass ein Afrikaner, ein Zauberer, ihm sagte: „Mit allen Christen war er fest überzeugt, dass die bösen Geister denen, die Jesu Namen anrufen, nichts mehr anhaben können, sondern dem Gebet weichen.“
Das geht also unheimlich weiter, Stück für Stück verlieren die bösen Geister ihre Macht. Es ist merkwürdig, wie wenig Heiden in christlicher Umgebung auf ihre Zeremonien und Gebete vertrauen. Sie erleben Befreiung, und das fasziniert sie. Deshalb kommen sie zum Glauben. Heiden verlangen interessante Beispiele. Der Missionar müsse zuerst weggehen, sonst könnten sie die alten Dinge nicht mehr tun. Sie spüren die Gegenwart dieses Mannes und sagen, die ganzen Mächte seien gefangen.
Dann erklärt der Missionar, was Bekehrung bei all diesen Leuten bedeutet und warum sie überhaupt zum Glauben kommen. Früher waren sie alle in Geisterreligionen gefangen. Das Gefühl der Freiheit und des Erlöstseins durchdringt die jungen Heidenchristen. Dessen Frische und Stärke können wir uns kaum vorstellen. Die Befreiung wird nicht nur geglaubt, sie wird erlebt und ist verbunden mit einer starken, herzlichen Freude.
Er erzählt weiter, wie groß das ist und wie es das ganze Leben durchdringt. Plötzlich sind da viele Leute, die sagen: „Wir waren ganz verschuldet an die bösen Geister, wir konnten gar nicht mehr frei sein. Aber seitdem wir Jesus erlebt und gehört haben, wie wir frei sind, können wir nicht mehr in die alten Gebundenheiten zurück.“
Das Erstaunliche ist, wie plötzlich Freude kommt und sich die ganze Verhaltensweise dieser Menschen ändert. Das ist nichts anderes als das, was Paulus sagt. Das war bei Warnig immer so toll, dass er es aus dem Evangelium begründete. Das war auch das Großartige in der Mission, und wir können es heute noch genauso erleben.
Das ist die alte Form des Heidentums: Man versucht mit Zwängen und Gebundenheiten, Menschen zum Licht zu führen. Das ist ein Irrtum, der sich hartnäckig hält, als ob Religionen einem Menschen an irgendeiner Stelle Leben und Freiheit geben könnten. Das stimmt aber nicht!
Der Hinduismus kennt überhaupt keine Gotteserkenntnis. Im Hinduismus gibt es 300 Millionen Götter, die nichts vom lebendigen Gott wissen. Der Buddhismus hat gar kein Gottesbild, sondern nur ein letztes Ziel, das er anstrebt. Deshalb hat es keinen Wert, den Mächten zu vertrauen, die uns in Angst und Druck gefangen halten.
Das darf es im Christenleben nicht mehr geben. Wir müssen aufpassen, dass wir selbst nicht in dieser Weise leben und andere auf diese Art in Druck setzen.
Die Erfahrung der Erlösung durch Gottes Gnade
Was ist dann passiert, Vers 9, nachdem ihr aber Gott erkannt habt? Wo haben sie Gott entdeckt? Es gibt nur einen Punkt, an dem man Gottes Liebe entdecken kann: Als er mir meine Sünde vergeben hat. Man kann das nur existenziell und persönlich erleben. Für mich hat er sein Leben gelassen.
Das ist bei diesen Menschen auf einmal das Merkwürdige. Die Warnung sagt, was jeder Missionar erlebt: Man kann es am besten nur machen, wenn jemand biblische Geschichten erzählt. Und irgendwo begreift ein Mensch plötzlich: Das ist ja für mich passiert. Wenn Jesus für mich den Fluch getragen hat und diese Mächte alle gesühnt hat, dann kann ich ja heute heraustreten aus diesen gottlosen Bindungen.
Ihr habt Gott erkannt – ja, in dem Augenblick, in dem Gott euch erkannt hat, in dem Gott euch nahekam, euch suchte und euch den Frieden gegeben hat. Da seid ihr plötzlich durchgebrochen. Die Freude des Erlösteins ist so groß, dass man sie mit überhaupt nichts vergleichen kann.
Aber es führt heute Abend so weit, dass wir keinen Missionsabend machen wollen. Früher gab es da nur etwa bei den Hindu-Leuten die dumpfe Resignation, die Mutlosigkeit. Ich habe das in einem meiner Büchlein beschrieben: von Borneo, da hinten, wo ein Stamm namens Longbavan lebte. Dort gab es nur noch Trunksucht, und der ganze Stamm war im Absterben.
Horst, wie er es bei den Indianern erlebt hat: Kein Lebenserfüllung mehr, obwohl freie Sexualität herrscht. Das würden eigentlich die Völkerkundler sagen: Das ist ja ganz toll, sie leben das modernste Leben. Doch man sieht, das ist stumpf. Sie wollen die Kinder nicht mehr erziehen, sie lassen die Kinder verkommen.
Dann kommt das Evangelium, und auf einmal kommt Freude ins Leben. Da wird ein Acker wieder bestellt, die Familie wächst, Nächstenliebe entsteht. Auf einmal gibt es wieder Zukunftsdenken und Verantwortungsbewusstsein. Und das ist nicht, weil man ein Gesetz predigt. Das, was einen Menschen allein umwandelt, ist die Erfahrung der Liebe Jesu im Herzen.
Wenn Sie das für Ihr Zeugnis wieder merken, brauchen Sie doch mit Menschen gar nicht Wahrheiten zu debattieren. Menschen müssen irgendwo die Liebe Jesu am Kreuz verstehen. Wenn ich ihnen nur sage: „Aber Jesus hat dich lieb und er vergisst dich nicht“, und wenn das ein Mensch begriffen hat, dann wandelt sich das Leben.
Das betrifft junge Menschen ganz genauso. Wir hatten das ja in der letzten Bibelstunde so deutlich, dass es eine Herzenswandlung sein muss, wenn man an Pestalozzi und seine Erziehung denkt, die er gelehrt hat. Es sind so simple Wahrheiten. Aber wir Prediger haben oft das Problem, dass wir vielleicht meinen: Ich sollte letzten Sonntag zu meiner Frau gesagt haben, man sollte nur über einen Punkt predigen, nicht über drei – eine Kerbe.
Und wenn Menschen das verstehen, was Jesus für sie tut, dann wird die Ehe neu, die Erziehung wird neu, die Nachbarschaft wird geheilt. Finanz- und Berufsprobleme lösen sich durch diese innere Wandlung, weil der Geist Gottes in unser Leben einziehen kann.
In unserer ganzen Arbeit geht es immer um diesen Punkt vor uns selbst: dass wir Gott erkennen und Gott uns erkennt. Und wo das geschieht, ist etwas neu geworden.
Darum meine ich natürlich immer, wir sollten mehr evangelisieren. Das ist sicher das Einzige. An dieser Stelle ist der große Knoten, der sperrt, und da kommen die Menschen immer weiter. Ihr seid doch von Gott erkannt.
Ich sehe es auch als sehr schlimm an, wenn Menschen immer wieder meinen, über die am Kreuz Jesu erlebte Gnade hinaus irgendetwas führen zu müssen. Es führt zu nichts. Sie werden bis zu ihrer Sterbestunde nie weiterkommen als zu dem Punkt, an dem sie sagen: „So könnte ich es als einen Lieblingsversprechen nehmen: Ach, mein Jesus, wenn ich dich nicht hätte und wenn dein Blut nicht für die Sünder redete oder mir als Erbarmen widerfahren wäre.“
Es bleibt doch unsere Lebenserfahrung. Ich habe heute Abend überschrieben: Die mutmachende Nachricht für Versager – das Evangelium. Wir haben aus dem Christentum einen Verein für Besserverdiente oder Moralisch-Gehobene gemacht. Wir sind besser als die anderen, wir sind ja nicht so schlecht wie die, die sonntags nicht in die Kirche gehen.
Und das ist so schwer, weil das eigentlich den Zugang für die anderen versperrt. Das sind wir doch gar nicht. Der Heiland leuchtet doch jeden Tag aus, welch eine schreckliche Grube unser eigenes Herz ist und unser Sinn. Vor dem gekreuzigten Jesus kann man sich immer nur neu der Heiligung Jesu überlassen.
Ihr seid von Gott erkannt und habt ihn erkannt. Deshalb ist das, was diese Heiden erleben, für uns ganz genau dasselbe: Diese Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes und seines Wunders, dass er uns annimmt, ist für uns wichtig und bleibt es.
Die Gefahr der Rückkehr zu alten Bindungen
Jetzt sagt er: Warum wendet ihr euch wieder diesen schwachen und dürftigen Mächten zu?
Ich habe oft über dieses Thema gerne Bibelwochen gehalten. Es war immer interessant, dass es meist erregte Aussprachen gab. Dann kamen treue Christen und sagten: Aber es ist doch wieder wichtig, unseren jungen Leuten in der Jugendarbeit ganz hart das Gesetz zu predigen.
Ich habe dann immer nur gesagt: Ich glaube nicht, dass ihr Erfolg habt. Das Gesetz erreicht nichts. Der Bundjan mit seiner Pilgereise hat ein schönes Bild geprägt, das lasse ich gelten. Er kommt in das Haus des Auslegers – dort sind ja viele biblische Wahrheiten festgehalten. Er sieht, wie eine Magd den Speicher kehrt, die Bühne. Dabei entsteht viel Staub.
Der Ausleger sagt dann: Nimm doch ein bisschen Wasser und fege damit, dann wirbelt der Staub nicht mehr so auf. Und er meinte: So muss man es machen. Wenn man über die Gesetzesordnung spricht, etwa über das Gebot „Du sollst nicht töten“ oder die Wahrheit und was das heute in der Ehe bedeutet, dann gehört viel Gnade dazu – das Erbarmen Jesu –, damit es nicht staubt.
Vor Jahren war es in Stuttgart sehr beliebt, Reihenpredigten über die zehn Gebote zu halten. Ich habe es nie gewagt, das bis heute zu tun. Oft werde ich gefragt, wenn wir Reihenpredigten machen – ich predige gerne über die Bergpredigt –, wie ich das mit den Geboten handhabe. Ich habe immer die Angst, dass es eine Gesetzespredigt wird, die im Grunde erdrückt, sodass die Zuhörer das Heil nicht mehr finden. Dabei kommt die herrliche Einladung Jesu, der den Schuldigen Vergebung anbietet, zu kurz.
Jetzt werden Sie mir vielleicht Vorschläge machen, wie man es doch machen kann. Aber Sie verstehen doch meine Sorge, weil das einfach oft zu kräftig wird, zu stark. Man sagt dann immer nur: Du musst! Dabei sollte man doch auch immer sagen: Schau, was Christus für dich getan hat! So wie es die Heiden erlebt haben, die kamen – die Dayaks, die oft noch die Köpfe von dreißig Erschlagenen an ihrem Gürtel trugen. Sie erlebten die Gnade Jesu und ergriffen von diesem Augenblick an das neue Leben. So, wie Jesus seine Jünger rief, ist das das Wunder der Gnade, das wirkt und mächtig ist.
Darum wollen wir uns nicht wieder diesen schwachen und dürftigen Mächten zuwenden.
Es ist interessant, dass Paulus von den heidnischen Religionsvorschriften genauso spricht wie von den jüdischen. Dabei gab es doch einen Unterschied. Den wischt er einfach beiseite und sagt, das jüdische Gesetz sei in dieser Hinsicht nicht besser. Er meint damit das ganze Zeremonialgesetz, ob man Paarhufer essen darf oder nicht, und andere Vorschriften. Auch Petrus sagte einmal, er habe noch nie etwas Unreines gegessen. Paulus sagt: Komm, du brauchst diese Vorschriften nicht mehr einzuhalten.
Das ist der Grund, warum wir Christen nicht mehr darauf achten. Und in Vers 10 geht es um bestimmte Tage, Monate, Zeiten und Jahre.
Paulus als schwacher, aber glaubwürdiger Zeuge
Und jetzt kommt der dritte Punkt: Paulus sagt, ich war doch bei euch in ganzer Schwachheit. Was war denn das? Krank? Liebe Schwestern und Brüder, wir sollten Paulus immer richtig sehen. Er sagt, er war so froh, ein Demonstrationsobjekt vor euch zu sein. Er kam nicht wie der große Supermann, der das fromme Leben darbietet.
Es muss, als Paulus in der Gemeinde gewesen war, ein ganz erschütterndes Schauspiel gewesen sein: ein zerbrochener und kranker Mensch, der von äußerlicher Wucht nichts mitbringt, um imponierende Gestalt zu zeigen. Wir müssen es ja immer wieder sagen von der Hofacker Kirche, warum uns das so wichtig ist. Warum hat Gott gerade durch Hofacker so gewirkt, in der kurzen Zeit seines Lebens? Weil er krank war.
Am Sonntag hat sich ein junger Mann verabschiedet. Ich weiß gar nicht, wie er heißt, er geht nach Freiburg zum Studium. Er hat gesagt, es sei ihm zum Wichtigsten geworden, dass Oftmann auch vom Leiden gesprochen hätte – ein sportlicher junger Mann von 22 Jahren. Wir freuen uns, wenn Leute das verstehen, weil es um die Kraft Gottes geht, die sich in meiner Schwachheit vollendet.
Liebe Schwestern und Brüder, keiner von uns steht über dem Scheiterhaufenkreuz. Wir bleiben alle unten auf dieser Stufe und leben täglich vom Wunder der Vergebung Jesu. Dass Gott in unserem Leben hier und da Frucht wirken lässt, das ist sein Geheimnis. Aber nie haben wir es verdient, und nie ist es unser Ruhm – nie! Denn wir wissen immer: Das Wunder der Gnade ist es, was in uns wirkt.
Deshalb sagt Paulus: Es war doch toll, habt ihr das nicht gemerkt? Ich war doch als ein Zeuge bei euch. Viele von Ihnen waren nicht dabei in Friolz, als wir über das Thema des Vorbildes gesprochen haben. Wir wollen den Menschen Vorbilder sein, indem wir sagen: In meinem Leben geht es immer drunter und drüber, und ich erfahre die Gnade.
Sie meinen immer, wenn ich Sie auf der Kanzel bitte, Sie sollten ein Zeugnis geben, Sie müssten etwas vom Superchristentum erzählen. Nein! Erzählen Sie doch, als in Ihrem Leben alles kaputtging und als Sie sich an Gott versündigt haben. Ich glaube, das Zeugnis würde den meisten Menschen helfen: dass einer von einer Krisenehe erzählt oder wie es mit den Kindern kaputt war und wie er dann die Gnade Jesu erlebt hat.
O Gnade Gottes wunderbar! Amazing Grace! Und dazu gehört oft auch das körperliche Leiden. Ich habe in Schwachheit des Leibes das Evangelium gepredigt beim ersten Mal, und diese äußere Schwachheit gehört zu mir. Darum geniere ich mich auch nie, wenn in einer Gemeinde sehr viele Mängel zum Vorschein treten. Das hindert unseren Glauben nicht.
Es hat Gott gefallen, trotz aller menschlichen Schwächen Frucht wirken zu lassen – und oft auch in Augenblicken, in denen man gar nicht mehr damit gerechnet hat. Das ist ein Geheimnis. Gott hat sich Prediger geholt, die gar nichts vom Imponierenden der Welt an sich hatten, und hat so gewirkt.
Deshalb ist es so wichtig, dass ich alles auf dieses Wunder Jesus setze. Dann bleibt das ganze Leben dabei. Und ich habe immer den Eindruck: Ist es unter uns noch klar, dass Gott so arbeiten will? Warum hat er uns in seinen Dienst gerufen? Nicht weil wir besser sind als andere, sondern weil wir sehr der Gnade bedürftig sind. Weil Jesus gedacht hat: An diesem gefallenen Menschen kann ich am schönsten meine Gnade demonstrieren.
Wenn wir meinen, es gehe ohne Gnade, gibt es furchtbare Zusammenbrüche. Manchmal können Sie selbst Leute erleben, die sagen: Wir brauchen die Gnade nicht mehr. Das ist ja oft auch bei der Kirchenherrlichkeit so, dass man sich in alle Gewänder kleidet und die Kirche macht und alles zeigt. Am Ende ist es ein lächerliches Schauspiel vor der Welt.
Das, was unser Leben groß macht, ist die Gnade.
Die Gnade als Grundlage des Glaubenslebens
Jetzt möchte ich gern mit Ihnen das gesamte Alte Testament durchgehen. Auf jeder Seite des Alten Testaments steht etwas Wichtiges. Dort wird zum Beispiel auch über Abraham gesprochen. Was war Abraham? Nichts weiter als ein Mann, den Gott aus Ur herausgeholt hat.
Was war mit Jakob? Er sagt: „Herr, ich bin zu gering angesichts aller Barmherzigkeit und Treue, die du an mir getan hast.“ Beim David sieht man, wie seine Frau am Fenster lacht und ihn verspottet. Sie nennt ihn „Sohn Hampelmann“, weil er draußen auf der Straße herumhüpft. Doch David antwortet: „Ich will noch geringer werden, ich will noch geringer werden. Du kannst mich auslachen, aber der Herr steht für mich ein.“
David fällt später in Sünde und Schande, doch der Herr trägt ihn und vergibt ihm seine Schuld. So groß ist der Sänger David.
Wenn Sie Jesaja betrachten, speziell Kapitel 30, 31 und 32, sehen Sie die Zerstörung Jerusalems. Der Herr sagt: „Ich will es nur mal in Jerusalem deutlich machen.“ Dort zeigt er, dass er Jerusalem wiederherstellen wird, weil seine Gnade über dem ganzen Volk Israel bleibt. Von der Herrlichkeit Israels ist zwar nichts mehr übrig, Jerusalem ist ein Spott und wird von den Völkern verlacht. Aber der Herr nimmt sich Jerusalem an und wird es wieder zu Ehren bringen. Der Herr macht es.
Deshalb ist auch die Gemeinde Jesu nie verloren. Und wenn alle noch so sagen, „das ist aus, jetzt ist nichts mehr“, dann ist der Herr doch ein Gott, der seiner Gemeinde das Wort wieder schenkt, damit sie Frucht bringen, wachsen und ein Licht sein kann in der finsteren Nacht.
Wir sollten uns unserer Schwachheit nicht schämen. Wenn Zeugnisse gegeben werden, sollte man darauf achten, dass es keine angeberischen Zeugnisse sind. Es gibt viele Zeugnisse, die mit Sünde angeben, und das ist immer schlecht. Es gibt theatralische Zeugnisse, in denen jemand erzählt, was er alles durchgemacht hat – Hurerei, Nachtlokale und Ähnliches. Doch besser ist es, den Mund zu halten und nicht alles preiszugeben.
Das wahre Zeugnis ist, wenn sich jemand beugt und man spürt, dass dieser Mensch ganz unten sein will und nicht größer sein möchte als andere. Das ist das Gesetz der Gemeinde Jesu. Wenn das fehlt, trifft der Vers elf zu: „Ich habe vergeblich an euch gearbeitet.“
Wenn die Gnade verloren ist, habe ich Ihnen immer wieder gesagt: Das Büchlein „Ganz aus Gnaden“ von Spörtchen ist sicher das größte Werk seiner ganzen Wirksamkeit. Ich nehme es immer wieder gern in die Hand. Ich glaube, es ist hier vielfach unter uns verbreitet. Man kann es immer und immer wieder lesen, denn es bleibt bis zum Lebensende der Inhalt unseres Glaubens.
Ohne Verdienst werde ich gerecht, und ich kann mich niemals rühmen. Wenn Sie stolz sind und sagen, „das habe ich im Leben geschafft“, dann warten Sie nur ab, wie der Herr es Ihnen zwischen den Fingern zerbrechen lässt – da bleibt nichts übrig. Niemand kann sich vor Gott rühmen.
Wenn wir in der Ewigkeit sind, können wir nur das Lamm anbeten, das Opfer, das Jesus für uns gebracht hat, indem er sein Leben dahingegeben hat. Anderes gibt es nicht. Das war Paulus wichtig. Wenn er das verliert, dann hat er umsonst an euch gearbeitet. Ihr habt in großer Schwachheit unter euch gearbeitet.
Paulus ruft zum Nachahmen seiner Haltung auf
Das Leiden als Vorbild – Vers zwölf: "Werdet doch wie ich." Was meint Paulus damit, wenn er sagt: „Werdet doch wie ich“? Soll das heißen, jetzt sollt ihr auch so große Apostel werden wie ich? War Paulus denn ein großer Apostel? Er war ein ganz kleiner Wanderprediger, ohne Heimat und ohne Anerkennung. Er wurde gesteinigt, geschlagen, überfallen – ein Wanderprediger des ärmsten Zuschnitts.
Paulus sagt: „Werdet doch wie ich“ – aber er meint damit jemanden, der von der Gnade gepackt ist und sein ganzes Leben nur noch von der Gnade Jesu reden will. Er sagt: „Ich weiß, dass in mir nichts Gutes wohnt.“ Sagen Sie das auch so freimütig? „Ich weiß, dass in mir nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen, das schaffe ich nicht.“ Doch der Geist Gottes gibt Zeugnis meinem Geist, dass ich Gottes Kind bin. Das finden wir auch im Römerbrief wieder. Und das ist das Herz des Evangeliums – Leiden als Vorbild.
Paulus erwähnt es an einer anderen Stelle, ebenso wie einen Schiffsuntergang. Denken wir an die Ostseefähre, an einen Schiffsuntergang, das Größte in seinem Leben, wo er schon am Leben verzagt war. Doch dann hat Gott ihn gelehrt, auf den Gott zu vertrauen, der Tote lebendig macht. Gott ist der, der auch in ausweglosen Situationen mit seiner gescheiterten Gemeinde noch einmal etwas bewirken kann (2. Korinther 1,9).
1969 sind wir damals zum Kirchentag gegangen. Waren manche von Ihnen dabei auf dem Killesberg? Wir wollten ein Bekenntnis gegen Bibelkritik und Bibelzweifel bringen, in der damaligen Halle sechs, heute Halle vier. Dort gab es drei Referate zum Streit um Jesus – um die Göttlichkeit des Sohnes Gottes, um dein Kreuz, die Auferstehung und die Wiederkunft Jesu.
Es war furchtbar, wie dieser Mob, dieser Pöbel gepfiffen und geschrien hat, rote Fahnen schwenkte. Der ganze Ungeist, der sich heute in der Kirche breitgemacht hat, meldete sich damals schon zu Wort. 1968 – Revolution. Auf die Bühne stellten sie ein Plakat mit der Aufschrift „Marx lebt“, um zu verhöhnen, dass Jesus lebt. Alles wurde geduldet, und alles war in der Kirche da.
Ich erinnere mich noch, wie ich damals nach Schramberg heimfuhr. Es war eine Stunde, in der Gottes Gnade das Bibelzeugnis von Fritz Grünzweig und anderen treuen Leuten wie Walter Lach so bestätigt hat. In unserer Kirche war nichts mehr vom Ruhm. Wir waren gescheitert – auch mit dem, was wir bezeugen wollten. Wir wollten uns alle nur noch verkriechen. Keiner hatte mehr den Mut, wer damals dabei war.
Doch am Nachmittag wurde es toll. Überall standen Mikrofone, Missionare aus Südafrika waren da. Später hörte man den Namen Peter Beierhaus. Er fragte plötzlich: „Wie ist das, wenn Sie einen jungen Menschen zum Sterben begleiten? Was ist Ihre Antwort, Herr Professor Mitzke?“ Vor allem kam es aus allem heraus: Gott zeigte noch einmal, dass er es nicht durch die Referate und unsere kunstvollen Pläne macht. Gott wirkt durch seine Gnade – aber er wirkt dort, wo man ihm vertraut.
Das muss man lernen: Es ist nie unsere großspurige Art, sondern das Wunder Jesu, der sich zu den Schwachen bekennt. Wenn ich Ihnen das heute Abend mitgeben kann – und deshalb sind Sie ja hergekommen –, dann, weil Sie begreifen müssen, dass Gott aus Ihren schlimmsten Niederlagen den größten Segen machen will.
Dort, wo Sie sagen: „Ich bin gescheitert mit meinen Kindern“, ist Jesus noch lange nicht am Ende, wenn Sie ihm und seiner Gnade vertrauen. Schauen Sie ins Herz Gottes, wo er sich Ihnen zu erkennen gibt. Er sagt: Als ihr euch damals bekehrt habt, habt ihr das so an mir verstanden, dass mein Zeugnis von der Gnade Jesu, die Kraft Gottes, die sich in der Schwachheit vollendet, die habt ihr begriffen.
Vielleicht müssten wir an diesem Thema noch viel weiterkommen, mit vielen Lebensbildern und Beispielen. Wo war das denn in der Kirchengeschichte? Die ganze Reformationsgeschichte war dauernd so, dass im Grunde die Flamme des Evangeliums am Verlöschen war.
Kaiser Karl hatte alle Macht beim Reichstag zu Augsburg 1530. Wir können heute gar nicht erzählen, wie keine Chance mehr für das Evangelium in Deutschland bestand. Doch eine ganz kleine Sache hat Gott gefügt: Philipp von Hessen wurde auf einmal zum Träger des Evangeliums. Ein Mensch voller Sünde, mit schwierigen Ehegeschichten. Gott wirkt durch sündige Menschen. Er nimmt alle seine Werkzeuge.
So ist die ganze Missionsgeschichte, die ganze Reichsgottesgeschichte – aber auch Ihre Lebensgeschichte. Wenn Sie der Gnade Jesu trauen und darauf schauen, werden Sie das erkennen.
Ich denke an die Geschichte Ludwig Hofagers. Wir haben vor Jahren einmal ein Büchlein herausgegeben, das vielleicht noch bei manchen im Bücherschrank steht, von Arno Pagel. Es zeigt, wie viele durch das Leiden gingen – bei Tersteegen, bei Adolf Monod und anderen großen Gotteszeugen.
Nun sagt er: „Ihr hattet damals in der Gemeinde große Liebe, aber dann kamen diese Sektenprediger oder Spalter, die ein neues Evangelium brachten.“ Das muss auf die Leute einen ungeheuren Eindruck gemacht haben. Es hat in den Jahrhunderten immer wieder Christen verführt, zu meinen, man könne einen höheren Stand erreichen als durch die Gnade.
Das, was mir am schwersten fällt: Jedes Wort, das man spricht, ist umsonst. Was habe ich mit Menschen gesprochen, die erzählten, sie hätten schon ein halbes Jahr nicht mehr gesündigt. Das kann doch nicht wahr sein! Ja doch, fromme Leute, mit denen man mal in der Gebetsgemeinschaft saß. Doch sie können nichts machen. Und Paulus fragt: „Bin ich denn euer Feind geworden, dass ich euch an den alten Punkt der Gnade erinnern muss?“
Dort standen wir einmal, und nichts führt darüber hinaus. Merkt ihr nicht, es geht hier nur um das Höherseinwollen, um ein Mehr. Und Sie wissen: Wenn man neben die Allein-aus-Gnade-Lehre, die immer wieder der Mittelpunkt evangelischer Lehre war, irgendetwas dazusetzt, wird es falsch.
Dann mischt man etwas ein, das Stolz nährt und sagt: „Aber ich bin auf dieser Stufe, ich habe das erlangt, was ihr nicht habt.“ Allein Jesu Gnade rettet, sonst nichts. Wer etwas anderes in gleicher Wichtigkeit dazusetzt, macht es falsch und verfälscht das Evangelium.
Das ist schön, dass man sich in der Evangelischen Allianz akzeptiert, auch wenn man verschiedene Taufauffassungen hat. Man sagt: Diese Auffassungen zum Abendmahl und zur Taufe haben für uns keine Heilsbedeutung – obwohl sie für die Baptisten sehr wichtig sind. Aber in der Bruderschaft bist du für mich voll ein Bruder, und wir akzeptieren dich.
Das ist für mich ein Modell der weltweiten Gemeinde Jesu, wo man sich über alle Gruppierungen und Traditionen hinweg darin eint und sagt: Jesu Sterben und Auferstehen für mich – das ist das ganze gültige Wort Gottes. „Das allein rettet mich.“ Wir haben verschiedene Traditionen, die uns wichtig sind und die wir auch behalten wollen. Der eine macht es so, der andere so, aber sie können unsere Brüderschaft in Jesus nicht trennen.
Und da fängt die Sektiererei an, wenn einer seine Sondererkenntnisse in den Rang der Gnade erhebt. Das kann allein nur die Gnade sein.
Damals hat Paulus in solcher Schärfe gegen Fanatiker gekämpft – gegen den Eifer der Fanatiker, die meinten, sie müssten noch etwas Neues bringen. Er sagt: „Ich will euch abermals unter Wehen gebären, bis Christus in euch Gestalt gewinnt.“
Sehen Sie, es geht nicht um ein Mehr, sondern immer nur darum, dass Christus in uns Gestalt gewinnt. Das ist die Heiligung unseres Lebens. Christus soll uns ganz in Besitz nehmen, unser Leben durchwirken.
Dann wird das Leben neu. Auch unser Tun wird neu. Alles wird neu. Bom hat das am schönsten immer ausgedrückt, wenn Sie ihre Bücher wieder zur Hand nehmen. Sie sagt immer wieder – auch in ihren Evangelisationen in der Leonhardtskirche – wie schlimm es ist, wenn Christen sich als Lebensziel setzen: „Ich möchte mein Leben heilig machen.“ Das ist alles kaputt.
Sie sagt: Du kannst nur auf Christus schauen, und dann wird dein Leben neu. Sobald du in deiner eigenen Kraft lebst, wirst du scheitern. Sie haben auch viele Enttäuschungen erlebt und sagen: „Ich bin so oft mutlos und gescheitert.“ Ja, deshalb, weil Sie es so nicht schaffen.
Chance für Versager ist das Evangelium.
Ausblick auf die Freiheit im Glauben
Ich möchte den zweiten Teil, Verse 21 bis 31, jetzt nicht mehr lesen. Ich will nur ein Wort dazu sagen. Paulus vergleicht das auf eine interessante Weise. Wir können das gerne übergehen, aber es ist bemerkenswert, wie Paulus die Bibel liest.
Er sagt, Abraham hatte zwei Söhne: einen von Hagar, der Magd, und einen von Sara. Paulus erklärt, dass es einen Weg gibt, der in die Knechtschaft führt – und Abraham war Jude. Dieser Weg ist nicht der Weg des Evangeliums. Es gibt aber auch einen Weg der Freiheit.
Jetzt freue ich mich auf die nächste Bibelstunde, in der ich von der Freiheit sprechen werde. Das christliche Leben ist von der Freiheit in Jesus geprägt. Paulus ist mutig und fordert uns auf: Lebt doch die Freiheit eures Glaubens aus! Deshalb brauchen wir nicht mehr in die alte Knechtschaft der Sünde zurückzukehren.
Ich denke, heute Abend ist das etwas deutlich geworden, auch wenn es mir im Moment schwerfällt. Sie haben sicher gespürt, wie sehr das Herz berührt wird, wenn man erkennt, wie viel darin steckt.
Es ist nicht möglich, aus diesen Versen zu rekonstruieren, welche Krankheit Paulus hatte. Das wurde immer wieder versucht. Manche meinten, es könnte eine Augenkrankheit gewesen sein, weil Paulus von Augen spricht. Vielleicht waren es auch heftige Schmerzen im Kopf, in den Augenhöhlen.
Paulus sagt: „Ihr habt mich damals so lieb gehabt, wie ich euch Christus gezeigt habe.“ Das ist das Wunderbarste. Auch das habe ich am Freitagabend empfunden: Was uns als Gemeinde verbindet, ist die Freude an Jesus. Das schafft eine herrliche Bruderschaft und Gemeinschaft, die durch nichts ersetzt werden kann.
Es ist schlimm, wenn man diese Gemeinschaft nicht mehr erlebt. Aber das wollen wir erleben. Christus soll Gestalt in uns gewinnen. Jesus will in unserem Leben sichtbar werden. Je schwächer wir sind, desto mehr kann Jesus tun.
Das gilt auch im schwächsten Leib, im angeschlagensten Körper, in der zerstörtesten Moral. Jesus kann Menschen erneuern und völlig neue Existenzen schaffen. Dieses Wunder des Evangeliums wollen wir so lange verkündigen, wie wir nur den Mund aufmachen können. Es muss überall verkündet werden.
Jetzt folgt noch ein Lied.