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In öffentlicher Verantwortung

27.04.19801. Petrus 2,11-17

Einleitung: Die Herausforderung der Gegenwart

Dann schlagen wir auf unseren Predigttext 1. Petrus 2,11-17 auf. Liebe Brüder, die Schwestern dürfen sich mit eingeschlossen fühlen, ich ermahne euch als Fremdlinge in dieser Welt: Haltet euch frei von Eigensucht und Begierde, die gegen die Seele streiten. Führt ein rechtschaffenes Leben mitten unter den Heiden, damit sie, die euch als Übeltäter verleumden, eure guten Werke sehen und Gott preisen, wenn er alles ans Licht bringt.

Fügt euch jeder menschlichen Ordnung um des Herrn Willen: dem Kaiser, weil er am höchsten steht, und den Statthaltern, weil sie von ihm beauftragt sind, die Übeltäter zu bestrafen und die Rechtschaffenen zu belohnen. Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr mit guten Taten den unwissenden und törichten Menschen das Maul stopft. Seid als Freie nicht solche, die die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit machen, sondern als Menschen, die Knechte Gottes sind.

Ehrt alle Menschen, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehrt den Kaiser!

Herr, hilf uns, das Wort richtig zu verstehen!

Das waren aufregende Stunden der Weltpolitik auch in der vergangenen Woche. Man weiß ja überhaupt nicht, wohin das noch führen soll. Wenn man nur ein Jahr zurückdenkt, hat wohl keiner von uns geahnt, in welche gefährlichen Spannungszustände das Jahr 1980 uns hineinführen würde. Das wusste man nicht.

Und man kann auch jetzt nicht ausmalen, was noch alles geschehen kann. Man kann seine Befürchtungen ausdrücken, man kann darüber reden. Über diesen neuen Schrecken sind alte Spannungszustände unserer Welt ganz in den Hintergrund getreten. Über Konflikte in Asien, Afrika oder Südamerika, die gestern die Schlagzeilen beherrschten, spricht heute kaum noch jemand.

Man fragt sich: Wohin läuft das alles?

Die biblische Perspektive auf die Gegenwart

Wir Christen betrachten das, was wir gegenwärtig erleben, mit einer besonders wachen Beobachtungsgabe. Wir haben den Eindruck, dass all dies auf Gottes Weltenuhr einen Sinn hat. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, als stünde der kleine Zeiger der Uhr Gottes schon kurz vor der Zwölf, während nur der große Zeiger noch seine Umdrehung macht.

Mir geht es nicht darum, die genaue Stunde zu berechnen, in der wir leben. Ebenso wenig möchte ich die Tage der Wiederkunft des Herrn bestimmen. Aber Jesus hat uns einmal darauf hingewiesen, dass wir beim Bibellesen darauf achten sollen, wer es liest und dass wir aufmerksam bleiben. So wie wir merken, wenn die Knospen ausschlagen, dass der Frühling nahe ist, sollen wir erkennen, wenn Gottes Weltzeit zu Ende geht.

Dabei fällt mir auf, dass in der Bibel, insbesondere in der biblischen Prophetie, sehr viel vom Orient die Rede ist – jenem Gebiet, das in unseren Tagen wieder Schlagzeilen macht. Unsere Vorfahren, die ihre Bibel sehr genau studiert haben, wiesen immer wieder darauf hin: Das Ende kehrt sich zum Anfang. Sie betonten, dass dort, wo einst – ich sage das nun ganz schlicht, in der Weise des Zurkenntnisnehmens dessen, was andere erkannt haben – die Wiege des Menschenaufstands gegen Gott stand, am Ende die Macht des Antichristen versammelt sein wird.

Vielleicht bahnt sich dies in unseren Tagen an? Wir haben die Freiheit, es Gott zu überlassen, wie er seine Geschichte fügt. Aber es ist kein Zufall, dass im Orient zwei Schwerpunkte der biblischen Prophetie liegen: Jerusalem, die Stadt des Königtums Gottes, die Stadt, in der Gott seine Verheißungen gebunden hat, die Stadt des Gottesreiches; und in diesem Orient lebt auch immer wieder der geheimnisvolle Name Babel – ein Ort, an dem Menschen sich gegen Gott empört haben und die Macht für sich beanspruchten.

Ist es Zufall, dass heute aus diesem Orient im Islam die Stimme der antichristlichen Macht an unser Ohr dringt? Eine Macht, die den Gesalbten Gottes bekämpft und sein Recht bestreitet?

Hoffnung und Zeichen in schwierigen Zeiten

Ich habe in den letzten Tagen noch einmal die Ansprache von Prälat Karl Hardenstein gelesen, die er vor dreißig Jahren auf dieser Kanzel zur Einweihung unserer Kirche gehalten hat. Das Thema lautete: „Woher nehmen wir Christen die Hoffnung angesichts der Nöte unserer Zeit?“

Er sprach davon, welche Nöte wir in unserer Zeit durchleben müssen. Dabei betonte er, dass es nicht nur Nöte seien, weil das Christentum abgelehnt wird. Wer die Neuzeit aufmerksam beobachte, werde erkennen, dass antichristliche Mächte am Werk sind.

In unserer Generation, so sagte Hardenstein, gehe es nicht mehr darum, dass ein Volk Schwierigkeiten mit dem Glauben hat. Noch nie in der zweitausendjährigen Geschichte habe sich der Mensch so sehr vom Anspruch Gottes freigemacht und versucht, alles selbst zu verwirklichen, was Gott ihm zugesprochen hat.

Dabei sei ein Kampf um Macht entbrannt, ohne jede Ehrfurcht vor Gott. In diesem unheimlichen Kampf werde es zu einer Zuspitzung der großen weltgeschichtlichen Konflikte kommen.

Doch Hardenstein nannte zwei Zeichen, an denen Christen Hoffnung schöpfen können: Christus steht vor der Tür, sein Reich kommt, und wir dürfen uns auf seine Wiederkunft freuen.

Das erste Zeichen ist die Weltmission, die ihrem Ende entgegengeht. Es gebe nur noch drei Länder, in denen das Evangelium nicht verbreitet sei: Saudi-Arabien, Tibet und Afghanistan.

Wir denken heute Morgen besonders an Schwester Martha Brauner, die in Kabul, Afghanistan, mit ihrem Fahrrad zu ihrer Gottesdienststätte fährt. Sie berichtete, dass der Andrang der Afghanen zu ihrem Gottesdienst seit der Besetzung Afghanistans unverhältnismäßig groß sei.

Hängt das alles nicht doch zusammen mit Gottes Weltplan? Das zweite Zeichen, das Hardenstein erwähnte, war Israel. Etwa anderthalb Jahre nach der Gründung des Staates Israel sei dies ein deutliches Zeichen. Israel steht wieder im Orient, und um dieses Land dreht sich Gottes Weltgeschichte und Weltenplan.

Hardenstein schloss damals seinen Vortrag mit den Worten: „Wir als Christen haben allen Grund, auf die geheimnisvollen Wege Gottes mit Israel zu achten.“

Die weltgeschichtliche Lage unserer Tage müsse uns nicht länger grenzenlose Angst machen. Wir wissen, dass Gott auch in den Schrecken der Menschen einen Plan hat. In der Aufruhrbewegung gegen ihn wird Gott sein Heil zum Ziel bringen.

Die Verantwortung der Christen in der Welt

Und das beschäftigt uns heute eben doch im Zusammenhang mit der Frage, wie wir als Christen in dieser Welt stehen, wie wir unseren Platz wahrnehmen und wie wir auch unsere öffentliche Verantwortung richtig zum Ausdruck bringen.

Die Gemeinde Jesu hat ihren Platz in der Welt. Das ist mein erster Punkt: Christen haben eine Verantwortung für die Welt. Ich kann das Leben der Gemeinde und das Geschehen in der Welt draußen gar nicht trennen. Die Christen sind ja hineingestreut in die Welt, und wir verfolgen das Geschehen auch in unseren Tagen mit wachen Augen. Uns interessiert, was in Asien passiert oder in Afrika. Uns interessiert, was in den Hauptstädten der Welt gedacht wird, und die Christen können nicht daran vorübergehen.

Das wäre leicht, wenn wir uns einigeln oder in Mauern einschließen könnten und sagen: „Lasst die da draußen nur machen.“ Aber wir Christen haben eine Verantwortung. Was in den Parlamenten beschlossen wird, was unsere Regierungen für Gesetze machen, was der Lebensstil unserer Jugend heute ist, was in unserem Rathaus geschieht, was in den Elternbeiräten gemacht und beschlossen wird, was in den Lehrerbildungsanstalten und Seminaren gelehrt wird – das interessiert uns als Christen. Wir haben eine Verantwortung.

Doch es hat immer wieder eine Verwechslung gegeben bei Christen, wenn wir die Geschichte ansehen. Christen haben ihren Auftrag in der Welt immer wieder missverstanden, als ob sie als Christen die Welt beherrschen müssten. Wir denken voll Traurigkeit an die unguten Entwicklungen, bei denen Christen sich als die geheimen Räte fühlten und Kaiser und Reich bevormundeten. Da sind wir froh, dass uns Petrus hier in diesem Schriftabschnitt so klar gesagt hat, dass Christen eigentlich gar nie irregehen könnten. Nicht, dass wir alle unter unsere Vormundschaft nehmen, sondern dass wir als Christen zuerst einmal selber einen rechtschaffenen Wandel führen sollen. Führt ein rechtschaffenes Leben mitten unter den Heiden!

Heute wird viel vom politischen Auftrag der Kirche gesprochen, und das scheint mir sehr fatal zu sein. Von der Schrift her kann man einen politischen Auftrag an sich gar nie begründen. Und dann muss man fragen, was politischer Auftrag überhaupt heißt. Politik heißt die Lenkung eines Staatswesens. Ich freue mich, dass einige auch aus unserer Mitte den Auftrag haben, an verantwortlicher Stelle zu wirken und auch im Staat ein Amt innezuhaben. Das ist für einen Menschen etwas Großes, wenn ihm ein Platz eingeräumt wird.

Aber es ist völlig unmöglich zu sagen, dass die Kirche als solche einen politischen Auftrag hätte. Einen öffentlichen Auftrag – ja, das ist etwas anderes. Einen öffentlichen Auftrag hat jeder Christ. Sein Leben spielt sich nicht im Verborgenen ab. Nicht jeder ist in den Gemeinderat berufen, nicht jeder ist dazu auserwählt, politische Ratschläge zu geben. Dazu braucht man Begabung, Können und Fachwissen. Das ist nur für einzelne ein Ruf.

Wir müssen unterscheiden zwischen politischem und öffentlichem Auftrag. Jeder Christ steht in der Öffentlichkeit und trägt Verantwortung für ein Stück dieser Welt. Ob das als Mutter ist, die in ihrem Bereich wirkt, ob das in der Nachbarschaft ist, ob das unter Freunden und Bekannten geschieht – mein Leben spielt sich nie im Untergrund ab, sondern im Öffentlichen. Und da macht uns die Bibel großen Mut: Lebt euer Leben rechtschaffen mitten unter den Heiden!

Jetzt werden natürlich manche denken: Willst du jetzt den gesamten öffentlichen Auftrag der Christen auf den rein privaten Bereich des Lebens zurückspielen? Ganz gewiss nicht. Ich darf noch einmal sagen: Es ist Gnade von Gott, wenn sie offene Türen zum Wirken haben. Ich wünsche ihnen, dass sie als rechtschaffene Menschen für Gerechtigkeit und Wahrheit wirken können.

Aber all die, die im politischen Geschäft tätig sind, wissen, dass es auch so eine Dämonie des Bösen gibt in aller öffentlichen Wirksamkeit. Und die unter Ihnen, die wach die Geschichte des Dritten Reiches miterlebt haben, werden gar nicht mehr den Mut aufbringen, das den jungen Leuten zu sagen. Die jungen Leute glauben es gar nicht. Sie fragen: Warum habt ihr euch damals nicht gewehrt? Weil wir machtlos waren! Wir konnten nichts tun, und wenn wir geschrien hätten, wäre es verhaltensgefährdend gewesen.

Das Furchtbare ist ja, dass man, wie in unseren Tagen, den Krieg nicht aufhalten kann, wenn er kommt. Man kann auch das Unrecht nicht aufhalten, wo es geschieht, und man kann den Hunger nicht wehren. Das ist so wichtig: Wo habe ich überhaupt Raum zum Wirken?

Damals, als die ersten Christen im Römerreich unter Verfolgungsdruck gerieten, hat die Bibel Christen nie davon abhalten wollen, an öffentlicher Verantwortung mitzuwirken. Wohl dem, der in unserer Stadt Einfluss nehmen kann! Benutzt den Einfluss, den ihr irgendwo bekommt. Wir sind dankbar, dass uns die Demokratie Möglichkeiten der Einflussnahme bietet. Aber wir wollen wissen, dass es vielen Menschen oft verwehrt war. Wenn sie an Grenzen ihres Einflusses stießen, dann nehmen sie dieses Wort des Petrus ernst.

Wenn sie einen rechtschaffenen Wandel führen, ihr Leben vor Gott leben, in Gerechtigkeit und in Frieden, dann hat das eine ganz große und weite Ausstrahlung. Und genau das wird heute oft übersehen. Wir meinen immer nur die Worte gelten viel, wenn wir uns für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, wenn wir Parolen auf Fahnen schreiben.

Damals hat Petrus diesen ersten Christen dies ans Herz gelegt: Lebt den Frieden und lebt die Gerechtigkeit Gottes in Treue! Und diese schlichten Christen, die im Verborgenen lebten, ohne Einfluss, haben das ganze römische Imperium geprägt.

Wenn heute die Gemeinde Jesu – das ist das eigentliche Wunder auch im zwanzigsten Jahrhundert und in der Weltgeschichte – ihr Leben vor Gott rechtschaffen leben würde, dann wäre das ein Licht auf dem Berge, ein Zeichen für die Völker. Wenn heute die wenigen Christen, die in Stuttgart aus Überzeugung leben, an ihrem Platz ihre Kinder erziehen, ihre eheliche Treue leben oder Liebe unter Mitmenschen verwirklichen, dann wäre das für unsere Stadt ein enorm öffentliches Zeichen.

Das wäre vielleicht kein politisches Wirken, aber ein enorm öffentliches Zeichen, das gesetzt würde. Das ist die Verantwortung der Christen: Lebt euer Leben rechtschaffen mitten unter den Heiden!

Petrus spricht sie an als Fremdlinge in dieser Welt: „Ich ermahne euch als Fremdlinge und Gäste.“ Das hat keinen Grund darin, dass diese Christen nicht ganz mit beiden Füßen in ihrem Leben stünden. Da habe ich eigentlich bei niemandem von uns Sorge, dass wir nicht mit beiden Füßen in der Welt drinstehen. Ich denke, sie sorgen sich sehr viel um die Belange ihres Lebens.

Aber da macht Petrus den Christen deutlich: Ihr seid doch nur eine ganz kurze Station eures Lebens. Ich erinnere mich an die Bitte eines jungen Mannes, dem ich vor drei Jahren getraut habe, wo die Ärzte keine Hoffnung gaben: „Was ist unser Leben?“ Ich bin erschrocken nach Hause gefahren. Es ist doch nur eine ganz kurze Zeit, die wir haben.

Und da verlieren wir uns doch bitte nicht in die irdischen Sorgen. Was ist da unser Geld, das sowieso schon verfällt? Was ist da das, was wir bauen an äußeren Ordnungen? Wir sind doch Gäste! Das entbindet uns nicht von der Verantwortung vor der Welt. Wir haben eine Verantwortung an der Welt. Aber das Wichtigste ist, dass wir auf die Ewigkeit Gottes zuleben.

Christen sollten ihre Orientierung aus dem kommenden Reich Gottes hernehmen. Darum sollen sie ein rechtschaffenes Leben führen mitten unter den Heiden. Durch unser ganzes Leben soll zum Ausdruck kommen, dass wir nicht an dieser Welt verhaftet sind, sondern dass wir in Besitz und Wohnung, Beruf und Planung, Handel und was wir haben, auf die Ordnung Gottes und sein Königreich hin ausgerichtet sind.

Lasst euch doch nicht umhertreiben und ängstigen von den paar aufregenden Weltereignissen unserer Zeit, sondern lebt euer Leben mitten im Wetter leuchtender Zeit. Das ist der öffentliche Auftrag der Christen.

Der Dienst der Christen in der Welt

Zweitens sollen die Christen in der Welt dienen. Für die ersten Christen war es ein Erlebnis ohnegleichen, als sie zum Glauben kamen. Heutzutage können wir uns kaum vorstellen, wie die ersten Christen die Botschaft vom Königreich Jesu aufgenommen haben. Sie waren so erfüllt von dem Gedanken: Jesus ist der Herr über die ganze Welt. Er nimmt die Menschen an, ganz gleich, welche Hautfarbe sie haben, ob sie reich oder Sklave sind. Bei Jesus gibt es keine Schranken, und Mann und Frau sind gleichgestellt.

Das erzeugte einen enormen Druck in der ersten Gemeinde. Plötzlich sagten sie: „Ja, da wollen wir doch die Welt auf den Kopf stellen!“ Sie wollten die Welt revolutionieren. Sie verstanden, dass sie die neue Ordnung des Gottesreiches darstellen sollten. Diese Vorstellung brach auch bei den Schwärmern durch, die meinten, die Gottesherrschaft könne heute verwirklicht werden. Sie riefen das Reich Gottes mitten in dieser Welt aus.

Doch der Apostel Petrus holte sie zurück und warnte: „Vorsicht, lebt nicht verrückt in Traumbildern.“ Das wahre Gottesreich kommt erst mit der Wiederkunft Jesu. Wir leben noch mitten in dieser Welt, die ganz anders ist, in der das Böse wirkt und Menschen Gewalt haben. Deshalb machte Petrus ihnen die Ordnungen so wichtig.

Das könnte missverstanden werden, als ob Christen die Ordnungen dieser Welt heilig halten. Liebe Freunde, die Ordnungen dieser Welt sind nicht heilig, und auch die Gesetze dieser Welt sind nicht heilig. Wir Christen wollen den bestehenden Zustand der Welt nicht glorifizieren – er wird vergehen. Vieles, was in den Gesetzblättern dieser Welt steht, ebenso wie die Regierungen und ihre Ratschläge, wird vergehen.

Wir als Christen sehen das am besten, weil wir vom kommenden Gottesreich wissen. Dennoch hat Petrus den Christen Mut gemacht: Bleibt in den Ordnungen, fügt euch jeder menschlichen Ordnung um des Herrn Willen, um Gottes Willen. Warum sollten wir uns in irdische Ordnungen hineinbequemen? Warum machen wir nicht bei jeder Revolution mit? Warum lehnen wir uns nicht gegen jede Unterordnung auf?

Wir hatten schon am letzten Sonntag darüber gesprochen, und es ist gut, dass wir heute noch diesen anderen Text dazu haben. Bei Christen in der Bibel hat das Wort „Unterordnen“ einen ganz neuen Klang. Im Griechentum bedeutete das Wort „Hypothasein“ nur jemanden zu zwingen, zu knechten oder zu unterdrücken – ein Joch auf jemanden zu legen. In der Bibel wird es jedoch ganz anders gebraucht. Dort gibt es ein freiwilliges Sich-Unterordnen.

Man fragt sich: Warum haben Christen diese Ordnungen akzeptiert? Warum haben sie sich, obwohl sie zum Glauben gekommen waren, als Sklaven wieder in die Ordnung hineingeordnet? Warum haben sich die Frauen damals wieder daran gehalten, zurückzutreten? Es ist doch merkwürdig, denn Christus gibt ihnen alle Rechte. Es besteht kein Zweifel, dass Christus den Frauen dieselben Rechte gibt wie den Männern. Warum hat Paulus sie dann in der Ordnung der Gemeinde wieder unter die alte Ordnung der damaligen Welt zurückgeholt?

Weil Paulus sagt: Für Christen sind die Ordnungen keine Hindernisse mehr. Vor unseren Augen stehen viele Glaubenszeugen, die in schwierigen äußeren Bedrängnissen den Glauben und den Dienst gelebt haben. Da war zum Beispiel Josef, der jahrelang im Gefängnis war, und Gott hat ihn gesegnet. Man kann die Bibel durchgehen und sehen, wie Menschen an ihrem Platz treu blieben.

Auch von Jesus wird erzählt, dass er sich nicht über seine Familie erhoben hat. Als er zwölf Jahre alt war, war er seinen Eltern untertan. Jesus hat all die äußeren Ordnungen dieser Welt geheiligt. Gott hat ihn gebraucht und weit über seine äußeren Begrenzungen hinaus wirken lassen.

Das ist das Wichtige: Christen können die Ordnungen dieser Welt annehmen und sagen, dass sie nicht das Wichtigste sind. Entscheidend ist, dass ich an meinem Platz für Gott dienen kann. Dann fällt der Blick darauf, dass wir an Menschen dienen.

Es ist ein Trugschluss der heutigen Jugend, dass erst nach dem Sprengen der äußeren Ordnungen Liebe entstehen könne. Darum zerbricht die Jugend die Ordnung der Ehe, weil sie meint, das sei nur ein Zwangsgestänge. Oder sie lehnt sich gegen die Eltern auf, weil sie glaubt, diese hinderten sie in der Liebe, und Erziehung sei ein großes Zwangsgebilde.

Dieser Gedanke ist verbreitet: Die anderen engen mich ein, und ich kann mich nicht frei entwickeln. Doch Petrus zeigt einen anderen Weg. Christen können in den Ordnungen dieser Welt Liebe an Menschen weitergeben. Das ist der Auftrag, der gegeben ist: Lebt eingebunden in diese Ordnungen der Welt, aber benutzt sie, um Menschen zu dienen.

Es war für mich ein großes Erlebnis, das immer wieder mit Christen im Osten durchzusprechen, die unter schwierigen Verhältnissen leben. Vor Jahren sprach ich mit einem Mann in der Tschechoslowakei, der einmal sehr kühn sagte, er sei in einem Staatsamt tätig. Er berichtete: „Bei uns gibt es gar keinen überzeugten Kommunisten mehr.“ Das war nach dem Einmarsch der Truppen unter Dubček. „Da sind alle kuriert. Nur noch wenige machen mit an der Ordnung.“

Als ich ihn fragte, wie er als Nicht-Parteimitglied an dieser Stelle aushalten könne, sagte er: „Den ganzen Tag kommen Menschen zu mir. Was ich hier an Menschen tun kann, das ist wichtig. Ich glaube, kein Pfarrer übt so viel Seelsorge wie ich im Laufe des Tages.“ Wenn wir Augen hätten, könnten wir sehen, wie wir in dieser Welt, dort wo wir stehen, in unserem Betrieb, Menschen dienen können.

Nun stellt sich die Frage: Wo ist der große politische Auftrag der Kirche? Geschieht er in großen Resolutionen oder durch Menschen, die überall dort wirken, wo sie sind? Es ist gut, dass es Christen mit weitem Einfluss gibt. Doch Petrus weist uns darauf hin, dass wir in den Ordnungen dienen sollen, in die wir hineingestellt sind.

Nicht, um die Freiheit als Deckmantel unserer Bosheit zu suchen, damit wir tun und lassen können, was uns gefällt, sondern als Knechte Gottes. Wir sollen die Ordnungen von innen mit neuem Wesen erfüllen.

Ich finde es großartig, wenn im Schulalltag, wo Lehrer und Schüler einander oft nicht leiden können, plötzlich durch Christen ein neuer Geist eintritt. Wenn in Regierungsämtern ein neuer Stil herrscht, weil Christen von der Liebe Jesu durchdrungen sind.

Und wenn sie in ihrem Leben, in den engen Grenzen, in denen sie stehen, etwas vom Dienst für Jesus zum Ausdruck bringen können. Der Dienst der Christen ist Liebe und Zärtlichkeit – ja, genau das, was die jungen Leute heute auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Aber nicht die Lüge, dass nach dem großen Zerbrechen die Zärtlichkeit komme. Das kommt nicht, auch heute nicht. Es kommt nur neue Brutalität. Die Liebe kann nur gelebt werden, so wie die ersten Christen das Römerreich „gesprengt“ haben: durch gelebte Liebe, mitten in der Unterdrückung, entrechtet und ohne öffentlichen Einfluss.

Das ist die wahre Christenkraft in der Öffentlichkeit.

Der geistliche Kampf der Christen

Noch ein drittes: Der Kampf der Christen in der Welt, darüber muss man auch noch reden. Wir haben von der öffentlichen Verantwortung gesprochen, wir haben vom Dienst gesprochen, nur noch vom Kampf, den wir zu führen haben.

Es kann immer wieder der Eindruck entstehen, als ob Christen gegen irgendjemanden kämpfen. Und wenn wir heute auch leiden an politischen Äußerungen von Christen, dann ist es meist so, dass sie gegen jemanden zu Felde ziehen. Sie haben den Feind geortet, und nun schießen sie mit Kanonen auf ihn: Da ist er doch!

Nun prangern sie ihn an. Ich will jetzt gar keine Zitate machen, damit man mich nicht in die eine oder andere Schublade des politischen Kampfes schiebt. Aber das ist ja immer die Note: Da haben wir ihn, das ist er doch, in einer Person. Stoppt den oder jenen, und der nicht, dann die und dann wird mit Personen darauf gezeigt. Und dann wird das Evangelium in diesem Machtkampf benutzt.

Genau dieser Machtkampf ist ja das Böse. Das ist nicht vom Herrn. Das Evangelium wird für eine Parteinahme gebraucht, obwohl doch Gott Herrschaft hat über die Welt. Da wird nichts mehr von der Distanz der Christen sichtbar, die doch Fremdlinge sind.

Wo geht dann der Kampf heute hin? Wofür muss im zwanzigsten Jahrhundert gekämpft werden? Haltet euch frei von Eigensucht und Begierde, die gegen die Seele streiten – das ist das, was im großen Machtkampf der Welt und in den Völkern sich abspielt.

Das kennen wir tagtäglich in unserem eigenen Leben. Und wenn wir das Übel und das Böse in der Welt sehen wollen, dann kennen wir es aus eigener Anschauung. Wenn wir so gut darauf zeigen können in Südafrika, in Chile, in Korea, in Russland und bei Khomeini, dann können wir es bei uns genauso zeigen. Das, was hier geschrieben ist, von dieser Eigensucht und Begierde.

Das selbstsüchtige Wesen daran krankt jede kommunistische Ordnung vom neuen Frieden und von sozialer Gerechtigkeit, weil die Selbstsucht des Menschen das ja zerstört. Und wenn man noch so viel plant und sozialen Frieden aufrichten will und Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammenbringt, an der Selbstsucht der Menschen zerbricht das alles.

Darum haben Christen wieder anzusetzen an der Stelle, wo der Kampf eigentlich beginnen muss: an der Bekehrung unseres eigenen Herzens. Das ist von eminenter Ausstrahlungskraft.

Jetzt müssen wir Christen allerdings den Mund halten. Bis hinein in unsere kirchlichen Kreise spielt der Machthunger. Diese Selbstsucht ist ein ganz großes Übel, nimmt einen ganz großen Raum ein und nimmt einen wichtigen Platz ein.

Da packt uns dieses Wort vom öffentlichen Auftrag, den wir Christen haben, an uns selbst und fordert bei uns eine Umkehr. Unser Blick fällt wieder auf das Kreuz Jesu, von dem her wir allein den Auftrag in der Öffentlichkeit wahrnehmen können.

Er ist für sündige Menschen gestorben, damit wir nicht mehr für uns selber leben, damit uns nicht mehr wichtig ist, wie wir unser Glück kriegen.

Wenn von Begierde gesprochen wird, meinen manche, ihnen sei nicht die Lust gegönnt. Sie dürfen sich doch freuen am schönen Frühling, sie dürfen sich doch freuen an der Natur, am schönen Mittagessen, das ihnen nachher serviert wird. Aber sie kennen jene ungezügelte Kraft, die man nicht zurückreißen kann.

Und das ist nicht bloß bei ein paar Menschen, die süchtig sind, sondern wir alle sind ja süchtig, in dieser furchtbaren Weise selbstsüchtig. Dass wir alles niederreißen können, weil wir in diesem kurzen Leben etwas für uns gewinnen wollen.

Davon hat uns doch Christus frei gemacht. Nur wenn im Innersten bei uns das einmal im Glauben an Jesus klar geworden ist, dass wir nicht uns selber leben, da können wir uns im Leben an anderen verströmen.

Und da wird deutlich, was Petrus wollte für den Dienst der Christen in der Welt: dass da ein paar Leute sind – und dazu beruft er sie –, dass sie zurückgehen in ihre Aufgaben hinein und nicht sich selber suchen, sondern sagen: Das sind Menschen, wem kann ich etwas Gutes tun?

Da ist ein römischer Kaiser, der schon die Christen verfolgte – ehrt ihn! Ich will jeden Politiker ehren. Ich will nie mitmachen an diesen Witzleinen, die man über sie macht. Ich habe Respekt vor jedem Menschen, der heute noch Verantwortung trägt in einem Staatsamt.

Ich habe Respekt vor jedem, der sich zur Wahl stellt, und ich schäme mich, nicht dies auszusprechen. Es wäre mir peinlich, wenn einer denken würde, wir würden die eine oder andere Partei vorziehen aus diesen oder jenen eigenen Interessen.

Wir ehren Menschen, auch im politischen Amt. Aber wir lieben die Brüder, wir suchen die Menschen um uns herum und wollen sie etwas spüren lassen von der Liebe Jesu. Das sind so viele Menschen in ihrer Nähe.

Lieben Sie einen Menschen – das fehlt heute. Menschen haben Gemeinschaft, sie leben im Gewühl der Menschen, aber Liebe fehlt. Liebt die Brüder! Ehrt alle Menschen!

Es sind so viele Menschen, die werden gestoßen und getreten, und sie haben keine Anerkennung. Geben Sie das weiter einem anderen Menschen, dass sie sagen: Ich habe Respekt vor dir, ich achte dich, ich erkenne dich an, und das, was du machst, ist gut.

Ehren Sie Menschen, verneigen Sie sich tief! Heute wird der Mensch so entwürdigt, und die Menschen lechzen nach Anerkennung. Da hinein hat uns Christus berufen.

Es wäre schrecklich, wenn in unseren Tagen das Evangelium und die Gemeinde Jesu im Machtkampf gebraucht würden, damit man das Evangelium vorspannt vor irgendeinen Karren und sagt, das müssen die Christen heute tun.

Sondern dazu hat uns Petrus gerufen, im Namen Gottes, dass wir Zeugen Gottes in der Öffentlichkeit sind.

Christen sind in der Öffentlichkeit, aber sie sind Diener Gottes allein, und sie dienen seinem Reich. Darum sind sie berufen, dies auch in dieser Welt, in dieser stürmischen und wild bewegten Welt sichtbar zu machen.

Amen.