Vor wenigen Tagen hörte ich, wie sich einige rüstige Rentner unterhielten. Einer von ihnen sagte zu seinen Kumpels: „Jetzt bin ich endlich fertig mit der Arbeit. Mit der Rente habe ich das gut hingekriegt. Vor dem Ruhestand war genug Geld da. Jetzt wollten wir eigentlich reisen. Ich müsste eigentlich schon in Kroatien sein. Und dann bekommt meine Frau Krebs. Und jetzt sitze ich hier im kalten Deutschland. Ich habe alle Voraussetzungen geschaffen, und nichts geht für mich auf.“
Er hatte so schöne Zukunftspläne gemacht, und doch war plötzlich alles verbaut. Jeder von uns hat Zukunftspläne, manchmal auch Zukunftsängste. Wir wüssten gern, was auf uns zukommt. Das heißt aber auch, dass wir manchmal lieber nicht genau wissen möchten, was auf uns zukommt.
Dietrich Bonhoeffer hat vom Segen der Verborgenheit gesprochen. Er meinte, es sei gut, dass wir manches nicht wissen, nicht so genau wissen.
Der lebendige Gott gibt uns zu all diesen Fragen und Ängsten zwei Antworten. Er sagt uns einmal: „Du, deine persönliche Zukunft ist in meinen Händen.“
Der Apostel Paulus hat das in Römer 8,28 geschrieben: „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“
Darin ist die ganze Zukunft eingeschlossen. Diejenigen, die Gott lieben und an Jesus Christus, seinen Sohn, glauben, denen müssen alle Dinge zum Besten dienen. Das ist die persönliche Sicherheit, die Gott uns gibt.
Gottes Offenbarung der Zukunft – Sinn und Zweck
Aber manchmal öffnet Gott uns auch ein kleines Fenster in die Zukunft. Dabei bereitet er uns ganz gezielt auf bestimmte Dinge und Entwicklungen vor, die in dieser Welt im großen Maßstab passieren werden.
So ist es auch in dem Text, der in unserer Predigtreihe zum Propheten Daniel zurzeit behandelt wird: Daniel 9. Wir haben letztes Mal schon mit diesen Versen begonnen und wollen das heute abschließen.
Gleich zu Beginn wollen wir die Frage stellen: Warum macht Gott das? Warum gibt Gott sich die Mühe, uns über die Zukunft zu informieren? Warum müssen wir das wissen, und warum sollen wir uns damit auseinandersetzen? Etwas modisch formuliert könnte man auch fragen: Wo ist da die Relevanz?
Wenn das Thema lauten würde: Gottes Plan für Ehe und Familie, oder Gottes Plan für die Kindererziehung, oder Gottes Plan für ein erfülltes Seniorendasein, dann würde jeder die Relevanz sofort einsehen und sagen: Ja, das ist wichtig. Aber Gottes Plan für die Zukunft der Welt? Zumal wenn es sich, wie in Daniel 9, wie wir gesehen haben, vor allem um die Zukunft des Volkes Israel handelt?
Warum soll ein Christ, der im September 2007 in Deutschland lebt, sich damit auseinandersetzen? Das ist doch die Frage. Warum sollen wir uns damit beschäftigen, was Gott mit der Welt und mit Israel im großen Maßstab plant?
Denn davon wird ja abhängen, ob sie jetzt etwas von dieser Predigt erwarten oder ob sie nur sehen, wie sie diese 35 Minuten mit Anstand überstehen.
Bei Daniel 9 sind wir in der glücklichen Lage, dass der Herr Jesus Christus selbst uns einen Schlüssel in die Hand gibt, wie wir darauf reagieren sollen. In Matthäus 24, Vers 15 zitiert Jesus aus unserem Kapitel Daniel 9. Dort sagt Jesus:
„Wenn ihr sehen werdet, dass das Gräuelbild der Verwüstung – wir kommen noch darauf, was das ist – an der heiligen Stätte, nämlich im Tempel, steht, wovon gesagt ist durch den Propheten Daniel“ – da zitiert Jesus aus unserem Predigttext – „wer das liest, der merke auf. Dann fliehe auf die Berge, wer in Judäa ist usw.“
Jesus sagt also, es geht um ein Ereignis, das noch in der Zukunft liegt. Es hat zu tun mit dem Tempel in Jerusalem, mit der heiligen Stätte. Wer dann dort ist, der soll auf die Berge von Judäa fliehen. Das ist also geographisch in Jerusalem anzusiedeln.
Und dann fügt Jesus etwas für uns hinzu, die wir das lesen. Er sagt: „Wer das liest, der merke auf.“ Also auch wir sollen das nicht einfach überlesen, sondern aufmerksam und hellwach zur Kenntnis nehmen, was dort steht – sagt Jesus selbst.
Daniel und die drei Fenster in die Zukunft
Wir werden in diesen Versen sehen, dass Gott uns durch den Greisen Daniel ein weites Fenster in die Zukunft öffnet. Daniel ist zu diesem Zeitpunkt, wie wir gesehen haben, etwa fünfundachtzig Jahre alt. Im Jahr 538 vor Christus erhält er diese Prophetie. Er ist getrieben von der bangen Frage, was die Zukunft bringt, wie es mit seinem Volk Israel weitergehen wird und wie es mit seiner Familie weitergeht.
Aus seinen Sorgen macht er ein Gebet: „Herr, was kommt?“ Und Gott antwortet ihm auf eine atemberaubende Weise, wie er es zuvor noch keinem Menschen getan hat. Gott offenbart Daniel Dinge, die er niemals zuvor einem anderen so mitgeteilt hat. Die Antwort Gottes beginnt mit einer Liebeserklärung, die wir beim letzten Mal gesehen haben. In Vers 23 sagt Gott zu Daniel: „Du bist von Gott geliebt, du bist ein viel Geliebter“ – das lässt sich wörtlich übersetzen.
Dann sendet Gott durch seinen Boten Gabriel Daniel die Antwort auf seine Frage über die Zukunft. Was er ihm gibt, ist nicht nur ein Blick durchs Schlüsselloch, sondern viel mehr: eine Weitwinkelperspektive in die Zukunft. Gott öffnet dem Propheten drei Fenster zur Zukunft. Das ist auch unser Predigtthema heute Morgen: drei Fenster zur Zukunft.
Wir lesen jetzt noch einmal die Verse 24 bis 27. Den Predigttext finden Sie auf dem weißen Blatt:
„Siebzig Wochen, siebzig Verhängnisse, sind angeordnet über dein Volk und über deine heilige Stadt. Dann wird dem Frevel ein Ende gemacht, die Sünde abgetan, die Schuld gesühnt, und es wird ewige Gerechtigkeit gebracht. Gesicht und Weissagung werden erfüllt, und das Allerheiligste wird gesalbt werden.
So wisse nun und gib Acht: Vom Erlass des Befehls zur Wiederherstellung und zum Aufbau Jerusalems bis zu einem Gesalbten, einem Fürsten, sind es sieben Wochen. Danach werden 62 Wochen lang Plätze und Gräben wieder aufgebaut, wie in kummervoller Zeit.
Nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter – man kann es mit Messias übersetzen – ausgerottet werden und nicht mehr sein. Das Volk eines Fürsten wird kommen und die Stadt und das Heiligtum zerstören.
Doch dann kommt das Ende durch eine Flut. Bis zum Ende wird Krieg herrschen und Verwüstung, die längst beschlossen ist. Er wird mit den Vielen einen festen Bund schließen, eine Woche lang. In der Mitte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer abschaffen. Im Heiligtum wird ein Gräuelbild stehen, das Verwüstung anrichtet, bis das Verderben, das beschlossen ist, sich über die Verwüstung beziehungsweise über den Verwüster ergießt.“
Die Verheißung einer guten Zukunft trotz Herausforderungen
Ein großer Text: „Alles wird gut“ – das könnte man als Motto über Vers 24 stellen. Gottes Antwort dreht sich hier zunächst, wie wir sehen, um die Zukunft des Volkes Israel. Er sagt: „Alles wird gut“ über dein Volk und über deine heilige Stadt, über Jerusalem.
Über 70 Wochen sind verhängt, und wenn diese Zeit abgelaufen ist, wird folgendes Ergebnis stehen. Das sehen Sie im Vers 24: Dem Frevel wird ein Ende gemacht, die Sünde wird abgetan, die Schuld wird gesühnt, es wird ewige Gerechtigkeit gebracht, Weissagung und Gesicht werden endgültig erfüllt, und das Allerheiligste wird gesagt werden.
So sieht die Zukunft aus, Daniel. Wir haben beim letzten Mal gesehen, was das im Einzelnen bedeutet. Gott sagt, das Problem der Sünde wird vollkommen gelöst sein. Die Schuld wird gesühnt sein, die Macht der Sünde wird gebrochen sein. Und nicht nur das: An die Stelle der Schuld wird echte Gerechtigkeit treten.
Im Rahmen dieses Siebzig-Jahre-Wochen-Planes wird neues Leben nach dem Willen Gottes am Ende stehen. Das beginnt immer mit der Bekehrung des Einzelnen im Leben der Gläubigen. Aber Gott sagt hier umfassender: Er richtet sein Reich der ewigen Gerechtigkeit auf, wie es hier heißt – eine herrliche Zukunftsvision.
Es werden Gesicht und Weissagung erfüllt. Gottes Ankündigung über die Zukunft wird umfassend erfüllt werden – über die Zukunft Israels, über die Zukunft der Gemeinde Jesu Christi und über die Zukunft der Welt. Was für ein Panorama breitet Gott da vor den staunenden Augen und Ohren Daniels aus!
Daniel, wenn du nach der Zukunft deines Volkes Israel fragst, dann wisse: Alles wird gut. Das Problem der Schuld wird radikal gelöst. Sie wird gesühnt, sie wird entmachtet. Alle Verheißungen werden umfassend erfüllt, auch das, was zum Beispiel in Jesaja 2 steht: Sie werden die Schwerter zu Pflugscharen schmieden, das Kind wird am Loch der Natter spielen können, und es werden sich nicht einmal die Tiere mehr befeinden. Das wird kommen.
Daniel hat das zum ersten Mal für Israel gehört, für sein Volk Israel. Aber wir wissen vom Neuen Testament her, dass auch wir Heiden davon berührt und gesegnet werden. Das ist die Zukunftsperspektive.
Der Zeitplan Gottes für die Zukunft Israels
Allerdings ist bis dahin noch ein weiter Weg zurückzulegen. Das sagt Gott dem Daniel jetzt auch. Dafür gibt er Daniel für diesen langen Weg gewissermaßen einen Zeitplan an die Hand. Das macht die Sache jetzt besonders spannend.
Im Vers 24 steht: „Bis das kommt, sind siebzig Wochen verhängt“, also angeordnet über dein Volk. So kann man das übersetzen. Wir haben beim letzten Mal gesehen, dass die 70 Wochen keine normalen Wochen sind. Was hier gemeint ist, sind 70 Jahrwochen, das heißt Einheiten von jeweils 70 Jahren.
Ich habe Ihnen das kurz noch einmal auf Ihrem grünen Zettel festgehalten: Eine Jahrwoche sind 70 Jahre. 70 Jahrwochen sind also 70 mal 7 Jahre, das sind 490 Jahre. Ganz einfach. Die Frage ist nun, was in diesen 490 Jahren passieren wird. Das ist die spannende Frage.
Gott teilt diese Zeit in drei Abschnitte ein, und jeder Vers bietet uns einen Zeitabschnitt: Vers 25, Vers 26 und Vers 27. Drei Fenster öffnet Gott dem Daniel in die Zukunft. Das erste Fenster hatten wir beim letzten Mal schon kurz betrachtet, deshalb können wir es jetzt schnell machen.
Es reicht vom Wiederaufbau Jerusalems bis zum Messias. Das ist das erste Fenster, das Gott in Vers 25 öffnet: „So wisse nun und gib acht! Vom Erlass des Befehls zur Wiederherstellung und zum Aufbau Jerusalems bis ein Gesalbter, ein Fürst, kommt, sind es sieben Wochen, und 62 Wochen lang wird es dann wieder aufgebaut sein, mit Plätzen und Gräben, wie wohl in kummervoller Zeit.“
Diese Ereignisse umfassen einen Zeitraum von 483 Jahren, wie Sie auch auf diesem grünen Zettel sehen. Erst die sieben Jahrwochen, das sind 49 Jahre, dann die 62 Jahrwochen dazu, das sind 434 Jahre. Nach 483 Jahren kommen wir auch ohne Taschenrechner noch hin.
Diese Zeit beginnt mit dem Erlass zur Wiederherstellung Jerusalems und endet mit dem Kommen eines Fürsten, eines Königs, eines Messias, nämlich Jesus.
Nun haben Historiker überlegt, welcher Erlass hier gemeint sein könnte. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, doch der wahrscheinlichste ist der Erlass des Artaxerxes zum Bau der Stadtmauern Jerusalems um 444 v. Chr. Dieser Erlass wird wahrscheinlich hier gemeint sein, wie in Nehemia 2 beschrieben.
In den ersten sieben Jahrwochen, also den ersten 49 Jahren, werden die Stadtmauern aufgebaut, der Tempel wird wieder errichtet – so ist es dann auch durch Serubbabel geschehen. Auch in den nächsten 62 Jahrwochen, also den anschließenden 434 Jahren, wird Israel Bestand haben.
Wir sahen das mit Plätzen und Gräben. Es wird also eine städtische, eine urbane Infrastruktur geben, wenn Sie so wollen, aber in kummervoller Zeit. So ist es ja auch gekommen: Trotz der Rückkehr ins eigene Land gab es kummervolle Zeiten – Besatzung durch die Babylonier, dann die Perser, die Griechen, eine kurze Phase der Selbständigkeit unter den Makkabäern und schließlich nach einigen Zwischenszenarien die Römerherrschaft.
Als die 69 Jahrwochen enden, also nach 483 Jahren, kommt ein Gesalbter, ein Messias, ein König – Jesus Christus. Sie wissen, dass er als König in Jerusalem eingezogen ist. Wir haben das beim letzten Mal berechnet: 483 Jahre sind nach dem jüdischen Kalender insgesamt 173 Tage. Wenn diese Zeit mit dem Erlass des Artaxerxes am 30. März 444 v. Chr. beginnt, dürfte diese Phase nach dem jüdischen Kalender um das Jahr 33 nach Christus enden, möglicherweise Ende März.
Das wäre ein wahrscheinlicher Termin für den triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel. Einige Ausleger setzen einen früheren Erlass an und kommen dadurch auf einen etwas früheren Einzug in Jerusalem, möglicherweise mit Beginn des öffentlichen Dienstes Jesu.
Es kommt jedoch nicht so genau darauf an, was der Anfang und was das Ende ist. Wichtig ist, dass es etwa 444 v. Chr. beginnt, dann diese Zeitspanne verläuft und schließlich der Fürst, der Gesalbte, in Jerusalem einzieht.
Als Daniel das erfährt, weiß er noch nicht, wann dieser Erlass kommen wird. Artaxerxes gab ihn erst etwa hundert Jahre nach Daniels Tod heraus. Daniel hat das also mit großem Abstand vorhergesagt.
Seit dem Erlass des Artaxerxes, also seit 444 v. Chr., konnte man gewissermaßen ausrechnen, wann Gottes Messias kommen würde. Man wusste nicht, ob die Geburt gemeint war, der Beginn des öffentlichen Dienstes oder der Einzug in Jerusalem, aber man konnte den Zeitrahmen berechnen. Aufgrund dieser Notiz von Daniel.
Das ist der erste Zeitabschnitt, das erste Fenster, das Gott Daniel eröffnet: vom Wiederaufbau Jerusalems bis zum Kommen des Messias. Sehen Sie auf dieser Skizze den ersten großen durchgezogenen Strich.
Das zweite Fenster: Von der Kreuzigung bis heute
Vers 26 öffnet das zweite Fenster in die Zukunft und beschreibt den zweiten Zeitabschnitt. Dieses zweite Fenster beginnt mit der Kreuzigung und dauert bis heute an – von der Kreuzigung bis heute, Vers 26.
Nach den 62 Wochen, also nach den sieben plus 62 Wochen, das heißt nach 483 Jahren, wird ein Gesalbter ausgerottet werden. „Und nicht mehr sein“, schreibt Daniel im Jahr 538 v. Chr. Das Volk eines Fürsten, also eines anderen Fürsten, wird kommen und die Stadt sowie das Heiligtum zerstören. Doch dann kommt das Ende durch eine Flut, und bis zum Ende wird es Krieg und Verwüstung geben, die längst beschlossen sind.
Das ist aufregend, wenn man genauer hinschaut. Dort steht, ein Gesalbter wird ausgerottet werden. Diese Ankündigung muss Daniel total überrascht haben. Denn wenn von einem Fürsten oder König die Rede ist, erwartet man, dass er machtvoll kommt. Aber genau das Gegenteil geschieht. Er wird nicht machtvoll das Ruder an sich reißen, sondern zunächst ausgerottet, gequält, bekämpft und schließlich getötet werden – dieser Fürst, der da kommt.
Noch etwas Interessantes finden wir hier: Das Wort „ausgerottet werden“ beschreibt die Strafe für einen Kriminellen. Man kann es sogar etwas freier übersetzen mit „er wird mit der Todesstrafe belegt werden“. Und genau so ist es mit Jesus gekommen. Er starb den Tod eines Kriminellen – das ist eine ganz präzise Vorhersage seines Weges. Er wurde hingerichtet wie ein Krimineller, nämlich durch die schlimmste damals mögliche Form der Todesstrafe: die Kreuzigung. Diese hatten die Römer während der Punischen Kriege von den Karthagern übernommen und in ihrem Rechtssystem praktiziert.
So ist es hier durch Daniel vorhergesagt: hingerichtet wie ein Krimineller. Doch nicht nur der Gesalbte selbst wird schlimmes Leid erfahren, sondern auch sein Volk Israel wird erneut in schwere Bedrängnis kommen. Das steht im zweiten Satz von Vers 26: „Das Volk eines Fürsten wird kommen und die Stadt und das Heiligtum zerstören.“
Dann ist davon die Rede, dass sie überflutet werden. Das Wort, das hier im Alten Testament steht, ist ein Bild dafür, von einem militärischen Heer überrannt zu werden – man wird überflutet von der Wucht der anrückenden Truppen. Genau so ist es geschehen.
Wir wissen sehr genau, was Daniel hier beschreibt. Das hat sich zum ersten Mal im römisch-jüdischen Krieg von 66 bis 73 nach Christus ereignet. Das wird hier von Daniel beschrieben. Da kommt ein Volk, nämlich die Römer. Der Fürst, der da kommt, ist Vespasian. Vespasian war zunächst der römische General, der die Heere gegen Jerusalem führte.
66 nach Christus begann der jüdische Krieg. Während dieses Feldzugs starb in Rom Kaiser Nero durch Selbstmord. Vespasian wurde Neros Nachfolger, kehrte von Jerusalem nach Rom zurück und übergab das Kommando für die restliche Mission seinem Sohn Titus.
Vespasian ist also der Fürst, der als General den Angriff gegen Israel startet, später zum Fürsten anstelle Neros wird. So wird Israel durch einen Fürsten und dessen Sohn Titus besiegt. Titus unterwirft die jüdische Armee und zerstört den Tempel im Jahr 70 nach Christus. Auch Frauen und Kinder in Jerusalem leiden schrecklich.
Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus beschreibt in seinem Werk „Die Geschichte des jüdischen Krieges“ ausführlich, wie grausam die Römer die Juden ermordeten, ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder.
Jesus hat diese Zerstörung beschrieben in Lukas 21. Dort sagt er: „Wenn ihr aber sehen werdet, dass Jerusalem von einem Heer belagert wird“ (Lukas 21,20), dann erkennt, dass seine Verwüstung nahe ist. Es heißt weiter: „Und sie werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen weggeführt werden unter alle Völker, und Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis die Zeiten der Heiden erfüllt sind.“
Auch nach dieser Zerstörung des jüdischen Tempels im Jahr 70 nach Christus wird es keine Ruhe geben. Daniel sagt: Bis zum Ende wird es Krieg geben. Es wird immer wieder bedrängte Zeiten geben, bis die Zeit der Heiden vorbei ist. So ist es gekommen. Die Juden wurden in alle Welt zerstreut, verfolgt und vertrieben durch die Geschichte hindurch.
Selbst seit 1948, seit der Neugründung des Staates Israel, kommt das Land nicht zur Ruhe. Das hören wir fast täglich in den Nachrichten.
Das ist das zweite Zeitfenster, das Gott uns hier zeigt – von der Kreuzigung bis heute. Dieses Zeitfenster dauert noch an. Es ist gewissermaßen die gestrichelte Linie auf Ihrer Skizze.
Auch hier nennt Gott uns eine Zeitangabe, wann alles passiert: Vers 26, nach den 62 Wochen, also nach den sieben plus zweiundsechzig Wochen, das heißt nach 483 Jahren. Doch bitte sehen Sie genau hin: Es steht nicht, dass es in der siebzigsten Woche passiert.
Sondern es geschieht nach den 69 Wochen. Manche Ausleger folgern daraus, dass nach den 69 Wochen die 70. Woche folgen müsse, also die letzten sieben Jahre. Das kann aber gar nicht sein. Die Ereignisse von Vers 26 passen nicht in einen Zeitraum von sieben Jahren.
Schon die Kreuzigung des Messias und die Zerstörung Jerusalems beziehungsweise des Tempels liegen etwa 37 Jahre auseinander. Das, was in Vers 26 steht, passt also nicht in einen Zeitraum von sieben Jahren.
Daniel behauptet das auch nicht. Er sagt nicht, dass in der siebzigsten Woche der Messias getötet wird und der Tempel siebzig Jahre später zerstört wird. Er sagt, nach den neunundsechzig Jahrwochen wird das geschehen: Der Messias wird getötet, der Tempel zerstört – wir wissen, etwa siebzig Jahre später – und dann folgt die lange Leidensgeschichte Israels.
Halten Sie fest: Offensichtlich liegt zwischen der neunundsechzigsten und der siebzigsten Jahrwoche ein größerer zeitlicher Abstand, eine Lücke. Das ist unsere gestrichelte Linie auf der grünen Skizze.
Die spannende Frage lautet nun: Wie groß ist dieser Abstand zwischen der 69. und dem Beginn der 70. Jahrwoche? Und was geschieht in diesen letzten 70 Jahren? Was soll da geschehen?
Denn erst, wenn diese gesamte Zeitspanne beendet ist, wird all das Herrliche eintreten, wovon Vers 24 redet: Die Sünde besiegt, das Reich der ewigen Gerechtigkeit herbeigeführt.
Das wollen wir jetzt zum Schluss dieser Predigt klären.
Die schlimmste Woche der Welt – das dritte Fenster
Was passiert in der siebzigsten Jahrwoche? Da öffnet Gott uns ein drittes Zeitfenster. Wir haben also gesehen: das erste Fenster reicht vom Wiederaufbau bis zum Messias (Daniel 9,25). Das zweite Zeitfenster erstreckt sich von der Kreuzigung bis heute (Daniel 9,26). Das dritte und letzte Zeitfenster überschreibe ich mit dem Satz: die schlimmste Woche der Welt (Daniel 9,27).
Dort heißt es: „Und er wird mit den Vielen einen festen Bund schließen eine Woche lang. Und in der Mitte der Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer abschaffen, und im Heiligtum wird stehen ein Gräuelbild, das Verwüstung anrichtet. Bis das Verderben, das beschlossen ist, sich über die Verwüstung – man kann auch übersetzen: über den Verwüster selbst – ergiessen wird.“
Die große Frage ist nun: Wer ist hier beschrieben in Daniel 9,27? Wer ist dieses „er“? Wer wird einen Bund schließen, offensichtlich mit dem Volk Israel? Und wer wird diesen Bund nach dreieinhalb Jahren aufkündigen, den Opferdienst im Tempel beseitigen und stattdessen ein Gräuelbild dort installieren? Wer ist der Verwüster, der am Ende von Gott gerichtet und gestoppt wird? Und wann wird das geschehen? Wie sollen wir das einordnen?
Bei schwierigen Stellen in der Bibel – und das ist in der Tat eine der schwierigsten – müssen wir immer fragen: Gibt es eventuell andere Passagen in der Bibel, die diese Passage erklären helfen? Das ist das Prinzip: Die Bibel legt sich durch sich selbst aus.
Wenn wir das hier anwenden, merken wir, dass dieser Abschnitt von sieben Jahren – oder genauer gesagt die zweite Halbzeit von dreieinhalb Jahren – in der Bibel immer wieder vorkommt und offensichtlich immer dasselbe Ereignis beschreibt. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele:
Schon in Daniel 7,25 finden wir eine ähnliche Beschreibung. Dort ist von einer Person die Rede, die den Höchsten lästert (Daniel 7,25), die Heilige des Höchsten vernichtet, Festzeiten und Gesetz ändert. Dann steht da: „Sie werden in seine Hand gegeben werden, eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.“ Wir hatten festgestellt, dass dies dreieinhalb Jahre meint. Daniel 7,25 bringt die erste Beschreibung dessen, den wir später den Antichristen nennen.
Gehen wir nun ans Ende der Bibel, zur Offenbarung 11,2: „Aber der äußere Vorhof des Tempels wird den Heiden ausgeliefert, und die heilige Stadt werden sie zertreten zweiundvierzig Monate lang.“ Auch zweiundvierzig Monate entsprechen dreieinhalb Jahren.
Dann fragen wir: Wer steckt dahinter? Wer verursacht diese Zerstörungshandlungen in diesen zweiundvierzig Monaten, diesen dreieinhalb Jahren? Die Antwort finden wir in Offenbarung 13. Dort ist von einem Tier die Rede, das als Bild für den Antichristen steht. In Offenbarung 13,5 heißt es: „Und es wurde diesem Tier ein Maul gegeben, zu reden große Dinge und Lästerungen, und ihm wurde Macht gegeben, es zu tun, zweiundvierzig Monate lang.“ Wieder diese dreieinhalb Jahre. „Und er tat seinen Mund auf zur Lästerung gegen Gott, zu lästern gegen seinen Namen und gegen sein Haus und gegen die, die im Himmel wohnen.“
Über dieses Tier, diesen Lästerer, diesen Antichristen schreibt Paulus in 2. Thessalonicher 2,3-4: „Lasst euch von niemandem verführen, in keinerlei Weise! Denn es muss der Mensch der Bosheit offenbar werden. Er ist der Widersacher, der sich erhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott.“
Also: In diesen dreieinhalb Jahren ab der Mitte der Woche – man nennt diese Phase auch die große Trübsal – wird der Antichrist das Volk Israel und alle Heiden, die sich seiner Herrschaft widersetzen und sich zu Christus halten, bedrängen und verfolgen.
Damit wissen wir, wer hier in Daniel 9,27 mit dem „er“ gemeint ist: Das ist der Antichrist.
Das passt übrigens auch zu der Aussage in Vers 26. Dort ist schon von dem Führer des Römischen Reiches die Rede, das war Vespasian, der Kaiser des Römischen Reiches. Das römische Reich ist gewissermaßen eine Vorschattung des antichristlichen Reiches. So ist das endzeitliche Reich des Antichristen die Fortsetzung des römischen Reiches. Der Antichrist ist gewissermaßen die Fortsetzung des römischen Fürsten. Darum kann sich Vers 27 auch so gut an Vers 26 anschließen. Vespasian ist gewissermaßen eine Vorschattung des Antichristen.
Das ist jetzt ganz interessant: In den ersten dreieinhalb Jahren wird der Antichrist mit den Israeliten einen Bund schließen. Das werden sie als eine große Erleichterung empfinden, nach der ständigen Bedrängnis. Überlegen Sie mal: Wenn die kommende Weltmacht mit Israel einen Bund schließt, was das bedeutet. Von den Machtverhältnissen her kann man sich das durchaus vorstellen. Es wird als große Erleichterung empfunden werden.
Es ist auch gut denkbar, dass in dieser Zeit noch einmal der Tempel aufgebaut wird und der Opferdienst in Israel wieder eingeführt wird – möglicherweise an der Stelle, wo jetzt die Moschee mit der goldenen Kuppel steht. Man weiß, dass viele Israelis die Pläne für den neuen Tempel schon längst in der Schublade haben. Es ist also durchaus möglich, dass das in diesen ersten dreieinhalb Jahren geschieht. Wir wollen nicht spekulieren, aber es ist eben eine Möglichkeit.
Nach dreieinhalb Jahren, bei Halbzeit, entpuppen sich dann die Wohltaten des Antichristen als großes Täuschungsmanöver. Er beseitigt den Tempeldienst, schafft die Schlachtopfer und Speisopfer ab und lässt sich selbst dort verehren. Wie Paulus sagt (2. Thessalonicher 2,4), setzt er sich selbst in den Tempel und stellt dort ein Gräuelbild auf, wie es in Daniel 9 und Matthäus 24 heißt. Dieses Gräuelbild ist möglicherweise ein Bild von sich selbst.
Dieses Gräuelbild stellt er offensichtlich in den Tempel, und er verwüstet alles, was den frommen Juden wert und heilig ist. So sagt Jesus das voraus in Matthäus 24,15. Jesus beruft sich dafür ausdrücklich auf unsere Stelle hier.
Wir wollen uns jetzt nicht von Kleinigkeiten ablenken lassen. Jesus beruft sich ausdrücklich darauf. Es ist wichtig, dass wir das zum Schluss gewissermaßen zusammenbinden: Das Gräuelbild der Verwüstung wird im Tempel stehen.
Ja, so viel Zeit haben wir.
Zusammenfassung und Ausblick auf das Ende
Und nun lassen Sie uns zusammenfassen. Wir haben jetzt ein ziemlich klares Bild davon, wie diese schlimmste Woche der Welt ablaufen wird, die siebzigste Jahrwoche.
Zunächst schließt der Antichrist einen Bund mit Israel. Bei Halbzeit kündigt er diesen Bund auf und setzt alles daran, Israel auszurotten. Doch zum Ende dieser siebzigsten Jahrwoche wird der Antichrist sein Waterloo erleben. Er wird gestoppt und gerichtet werden, und damit endet Daniel 9,27. Schauen Sie hier: Es heißt, dass das so lange geht, bis das Verderben, das beschlossen ist – nämlich bei Gott – sich über den Verwüster und seine Verwüstung ergießt. Er wird von Christus gestoppt werden.
Gott sagt uns hier durch Daniel 9: Das ist beschlossene Sache, das kommt mit Sicherheit. Daniel, du musst dich nicht sorgen, das wird geschehen, es ist beschlossen. Und wir wissen übrigens aus Daniel 2 schon, wie das geschehen wird. Denken Sie an Daniel 2 und das Bild von dem Stein, der das große Standbild zerschmettern wird. Über diesen Stein wird in Daniel 2 gesagt: Er kommt nicht von Menschenhand, sondern von Gott. Der Stein wird die Weltmacht mit einem Schlag zerstören und selbst zu einem großen Reich werden.
Das hat Daniel 2 bereits beschrieben: die Verwüstung über den Verwüster. Auch Jesus selbst hat diese zweite Hälfte der 70. Jahrwoche beschrieben. In Matthäus 24,15 zitiert er Daniel 9,27 und beschreibt die Untaten des Antichristen, der den Gräuel der Verwüstung aufstellt. Dann sagt Jesus, dass es eine große Bedrängnis geben wird (Matthäus 24,21), wie sie vom Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist und auch nicht wieder sein wird – die schlimmste Woche der Welt.
Jesus berichtet weiter von kosmischen Veränderungen, die geschehen werden (Matthäus 24,29): „Sogleich aber nach der Bedrängnis jener Zeit wird die Sonne sich verfinstern, der Mond seinen Schein verlieren, die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.“ Es wird also atmosphärische, kosmische und katastrophische Entwicklungen geben.
Dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen, sagt Jesus – also der Stein aus Daniel 2. Alle Geschlechter auf Erden werden wehklagen und den Menschensohn auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit kommen sehen. Das wird zum Ende der siebzigsten Jahrwoche geschehen.
Das Ende dieser siebzigsten Woche wird von Christus selbst herbeigeführt. Er wird kommen in Macht und Herrlichkeit, die freche Macht des Antichristen zerschmettern und sein herrliches Reich aufrichten. So wird die schlimmste Woche der Welt ein gutes Ende finden.
Alle, auch alle Israeliten, die Jesus Christus als Retter und Messias anrufen, werden von ihm auf ewig gerettet werden. Dann wird alles gut, und es wird erfüllt werden, was Vers 24 in Aussicht stellt.
Es gibt noch vieles Einzelne zu diesem Zusammenhang zu sagen, aber ich beschränke mich jetzt auf das, was Daniel 7 beschreibt. Überlegen Sie mal, was für eine Perspektive Gott Daniel gezeigt hat – den Grundriss, den Sie auf Ihrer Skizze auf dem grünen Zettel vorfinden.
Gott hat uns im Neuen Testament Schritt für Schritt immer mehr Informationen gegeben, die das gesamte Bild immer klarer werden lassen. Jesus selbst hilft uns durch seine Endzeitrede, Daniel 9 noch besser zu verstehen.
Natürlich wissen wir noch längst nicht alles. Wir sollen uns auch nicht einbilden, einen Fahrplan für die Zukunft zu haben oder die Dinge berechnen zu können. Wir dürfen nicht spekulieren und uns nicht überschätzen. Möglicherweise müssen wir uns bei der einen oder anderen Einzelheit noch korrigieren, wenn wir die Bibel besser verstehen.
Aber die großen Linien, die Sie auf dem grünen Zettel vor sich haben, können wir von Daniel her verstehen. Drei Fenster in die Zukunft hat Gott uns mit seinem Wort aufgestoßen:
Das erste Fenster ist Vers 25 – vom Wiederaufbau Jerusalems bis zum Messias. Das zweite Fenster ist Vers 26 – von der Kreuzigung über die Tempelzerstörung im Jahr siebzig bis heute. Das ist die Zeit der Gemeinde, in der wir leben. Diese Zeit wird im Alten Testament so nicht beschrieben, sondern erst im Neuen Testament aufgedeckt.
Das Gestrichelte stellt die Lücke dar, in der wir uns jetzt befinden – von der wir nicht wissen, wie lange sie dauern wird. Schließlich gibt es das dritte Fenster, Vers 27: die schlimmste Woche beziehungsweise die schlimmste halbe Woche der Welt. Dann entfesselt der Antichrist seine letzte große Macht und wird schließlich von Christus gerichtet und zerstört.
Am Ende dieser Woche steht Christus als König und Herr!
Persönliche Konsequenzen aus der Zukunftsvision
Als der Herr Jesus Daniel 9 auslegte – in Matthäus 24, Lukas 21 und Markus 13 – legte er uns noch im selben Kapitel eine persönliche Konsequenz ans Herz. Darauf möchte ich jetzt zum Schluss eingehen.
Wenn Sie zu Hause die letzten Verse von Matthäus 24 lesen, etwa ab Vers 35, dann fällt Ihnen auf, dass dort immer wieder ein wichtiges Stichwort auftaucht, das Jesus an uns richtet: Seid wachsam!
Das ist die persönliche Konsequenz, die Jesus aus diesem Zusammenhang zieht. Nicht nur interessiert sein, sondern wachsam bleiben! Jesus macht deutlich: Bevor ich wiederkomme, wird es bei den meisten Menschen so sein wie bei den Zeitgenossen Noahs. Sie haben die Ankündigungen nicht ernst genommen. Sie lebten so, als würde alles immer so weitergehen, als wäre nur die Gegenwart wichtig. Als die Sintflut kam, waren sie nicht vorbereitet.
Sie dachten, es ändert sich im Prinzip nichts: Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter, wir tun unsere täglichen Dinge, und alles läuft immer so weiter. Jesus sagt: Leute, bedenkt, es geht auf ein Ziel zu. Macht nicht denselben Fehler wie sie!
Dann sagt Jesus in Matthäus 24,42: „Darum wachet, denn ihr wisst nicht, welche Stunde euer Herr wiederkommen wird.“ Ihr kennt nicht das Jahr, ihr könnt nicht weiterrechnen wie von Artaxerxes 444 vor Christus. Ihr wisst nicht, wann es sein wird. Seid bereit!
Und noch einmal in Matthäus 24,44: „Darum seid auch ihr bereit, denn des Menschen Sohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr es nicht meint.“ Er wird die Gemeinde zu einer Stunde abrufen, die ihr nicht erwartet. Er wird zum letzten großen Schlag gegen den Antichristen ausholen, zu einer Stunde, da ihr es nicht meint.
Und wenn du vorher schon abgerufen werden solltest, bevor Jesus wiederkommt, dann musst du erst recht bereit sein. Jesus erinnert dich daran, Daniel 9 erinnert dich daran: Nimm die Zukunft ernst und versinke nicht in der Gegenwart.
Wissen Sie, das ist mir diese Woche wieder so deutlich geworden: Jeder Tag auf dieser Erde könnte unser letzter sein, egal wie gesund oder krank wir uns fühlen. Und wenn dieser Tag kommt, dann ist das nicht das Ende, sondern dann stehen wir vor Christus.
Darum sagt Jesus: Wacht! Verliert das Ziel nicht aus den Augen. Das Ziel deines Lebens ist nicht die nächste größere Anschaffung. Das Ziel deines Lebens ist nicht der nächste Karrieresprung. Das Ziel deines Lebens ist nicht der nächste Kindergeburtstag. Das Ziel deines Lebens ist nicht die nächste Urlaubsreise, die du machst.
Das mag alles schön, gut und fröhlich sein, und dagegen ist auch nichts einzuwenden. Aber das kann nicht das Ziel deines Lebens sein.
Ich denke, diese Gefahr, das Ziel unseres Lebens aus dem Blick zu verlieren, ist der Hauptgrund, warum der Herr uns hier so dringend und ausführlich über die Zukunft informiert.
Jesus macht das nicht, um uns zu unterhalten oder unsere Neugier zu befriedigen. Er macht es auch nicht, um unsere Vorliebe für theologische Spitzfindigkeiten zu bedienen. Das wird in Matthäus 24 deutlich: Jesus will uns nachdrücklich an das Ziel erinnern, damit wir es nicht aus dem Auge verlieren und wachsam bleiben.
Wir sollen uns bewusst jeden Tag neu an Christus klammern. Jesus sagt: Seid wachsam! Das ist die dramatische persönliche Anwendung dieser Verse. Lass dich nicht vom Alltag einschläfern.
Darum weist Jesus uns schließlich auf den Feind der Wachsamkeit hin. Wissen Sie, was der größte Feind der Wachsamkeit ist? Unsere einseitige Konzentration auf das Diesseits.
Das ist der größte Feind der Wachsamkeit: dass wir mit unserem Lebensgefühl, unseren Gedanken, Aktivitäten und Zeitplan so leben, als wäre diese Welt, als wäre das Heute fast alles. So ist unser Lebensgefühl.
Dann kommt das Wort Gottes, die Gemeinde und die Zukunft – das wäre alles noch da und auch ganz beruhigend, aber nicht im Fokus.
Genau das war das Problem bei den Zeitgenossen Noahs. Jesus sagt in Matthäus 24,38: Sie waren wie zu den Zeiten der Sintflut. Sie aßen, tranken, heirateten und ließen sich heiraten, bis der Tag kam, an dem Noah in die Arche ging, und sie achteten es nicht.
Das heißt, sie machten business as usual, lebten ihren normalen Alltag und das, was zum Leben dazugehört – aber nicht mehr. Sie wollten sich davon nicht ablenken lassen.
Manfred Siebald hat dazu vor vielen Jahren ein interessantes Lied geschrieben. Er sagt darin:
„Wir haben es uns gut hier eingerichtet,
der Tisch, das Bett, die Stühle stehen,
der Schrank mit guten Dingen vollgeschichtet,
wir sitzen alles zu besehen,
dann legen wir uns ruhig nieder
und löschen müd vom Tag das Licht
und beten laut: Herr komm doch wieder
und denken leise: jetzt noch nicht.
Es musste manches lange Jahr verfließen,
bis alles stand und hing und lag,
es ist nicht viel, doch wollen wir es genießen,
freuen uns auf jeden neuen Tag,
das Glück hält unsere Sorgen nieder
und webt die Stunden Licht an Licht,
wir sind gewiss, der Herr kommt wieder
und denken still: doch jetzt noch nicht.
Ist uns der Himmel fremd geworden,
kann uns nur noch die Erde freuen,
soll unser Süden, unser Norden
die Grenze unseres Lebens sein,
vom Himmel singen unsere Lieder,
doch nie vom irdischen Verzicht,
wir singen laut: Herr komm doch wieder
und denken leise: jetzt noch nicht.“
Das ist unser Problem. Und wissen Sie, der größte Feind der Wachsamkeit ist die Gewöhnung an und die Konzentration auf unsere kleine Welt im Diesseits.
Wir sollen das ernst nehmen: Wir sollen unsere Arbeit gern machen, unsere Familie gern lieben und versorgen. Wir sollen uns an den schönen Dingen erfreuen, die Gott uns mit der Schöpfung schenkt, und den Urlaub gern genießen. Das ist eine gute Gabe Gottes.
Gott will uns das nicht madig machen, er schenkt es uns. Aber er sagt: Behaltet das Wichtige als das Wichtige im Blick!
So hat Jesus in seiner Endzeitrede in Lukas 21 noch einmal deutlich gesagt, in Vers 34: „Hütet euch, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit täglichen Sorgen, und dass dieser Tag nicht plötzlich über euch komme wie ein Fallstrick.“
Da ist es wieder, als ob Jesus sagen würde: Lasst euch nicht festkleben in eurem Alltag!
Und dann geht es weiter: „Seid wachsam und betet, dass ihr stark werdet, diesem einen zu entfliehen und zu stehen vor dem Menschensohn.“
Die Frage nach dem persönlichen Lebensziel
Ich möchte Sie fragen: Wie wirst du vor dem Menschensohn stehen?
Diese Woche, als die Nachricht vom Tode des berühmten Tenors Luciano Pavarotti durch die Medien ging, musste ich daran denken: Jetzt steht er vor Christus. Mit 71 Jahren hat er ein Leben in Saus und Braus und Ruhm hinter sich. Eine einmalige Karriere, eine außergewöhnliche Begabung.
Was hätte Pavarotti mit diesem gottgegebenen Talent alles tun können, um seinen Schöpfer zu ehren und das Lob Christi zu singen? Natürlich sehen wir nicht in sein Herz. Wir wissen nicht, was möglicherweise in den letzten Wochen seines Lebens passiert ist. Aber eines wissen wir: Er steht jetzt vor seinem Richter nach kurzen, einundsiebzig prallvollen Jahren.
Und was wird bleiben? Der Herr wird ihn fragen: Was hast du gemacht mit deiner Begabung? Was hast du gemacht mit deinen Möglichkeiten? Und das ist die Frage.
Wie werde ich, wie werden Sie diese Zukunft erleben? Wie werden wir hier abtreten und in Gottes Zukunft eintreten?
Wilhelm Busch hat das einmal so drastisch beschrieben: Während der Nazizeit wurde er plötzlich bei einer geheimen Sitzung von der geheimen Staatspolizei überrascht. Da lagen noch unsere Mappen und viele Papiere auf dem Tisch. Auf einmal sprang die Tür auf, und die Männer der Gestapo kamen herein. Sie sagten: „Alle aufstehen und an die Wand stellen! Alle Mappen und Papiere liegen lassen!“
Wilhelm Busch sagt: Wie gerne hätten wir noch manches versteckt oder geordnet, aber das ging nicht mehr. Und er sagt, er muss an die Wiederkunft Jesu denken. So wird es sein. Wenn er uns ruft, wird es plötzlich sein. Wir werden uns wünschen, wir hätten noch die eine oder andere Sache irgendwie regeln können, das eine oder andere Schriftstück zerreißen, die eine oder andere Sache im Gebet vor Christus gebracht haben, die eine oder andere Priorität anders gestellt.
Aber er wird da sein. Es wird von jetzt auf gleich gehen, und dann werden wir vor ihm stehen – so oder so.
Wie werden Sie hier abtreten? Und wie wirst du in Gottes Zukunft eintreten?
Jesus sagt: Sei bereit! Hab die Zukunft fest im Blick! Sei wachsam! Hab meine Zukunft im Blick!
Deshalb ist diese Trauformel so herrlich, diese alte Trauformel, die den beiden sagt: Ihr sollt einander begleiten auf dem Weg zum Himmel.
Und das möchte ich Sie zum Schluss noch einmal fragen: Welche Rolle spielt Gott heute in deinem alltäglichen Leben? Welche Rolle spielt Gottes Wort in deinem normalen Leben? Welche Rolle spielt Gottes Zukunft, Gottes Gemeinde, Gottes Auftrag, Gottes Wille für dich heute?
Drei Fenster, drei Fenster in die Zukunft hat der Herr dem Daniel geöffnet. Das dritte Fenster liegt auch für uns noch in der Zukunft.
Jesus sagt: Das kommt. Darauf geht die Welt zu. Darum sei wachsam! Lass dich nicht festnageln! Lass dich nicht einlullen in deiner kleinen Welt, als wäre das das Leben.
Sondern geh mit offenen Augen, geh mit tätigem Herzen, geh mit wachem Verstand, mit fleißigen Händen und vor allem mit einem betenden Herzen deinem Herrn entgegen.
Und wie es der Dichter tat, der sagte:
„Zu Wartenden mach uns bereit,
die auf dein Kommen sehen,
an allen Tagen, nicht nur heut,
dass wir die ganze Lebenszeit
dir froh entgegengehen.“
Amen.