Die Bibel als Fundament des christlichen Glaubens
Die Bibel ist die wichtigste Grundlage des christlichen Glaubens, also das, woran Christen glauben – ganz gleich, ob sie katholisch, evangelisch, anglikanisch, baptistisch oder einer anderen Konfession angehören. Die eigentliche Basis des christlichen Glaubens ist die Bibel.
Warum ist das so? Weil Gott sich in der Bibel den Menschen offenbart. Dort finden wir die Berichte über Jesus Christus. Jesus Christus ist der Namensgeber des christlichen Glaubens. Er ist derjenige, der uns weitergegeben hat, wie Gott ist. Wenn wir in der Bibel lesen, erkennen wir den Selbstanspruch der Bibel: Sie berichtet uns, was Gott über uns denkt, was Gott über sich selbst sagt und wie wir zu Gott kommen können.
Daher ist es eine sehr wichtige Frage, wie wir die Bibel einordnen. Betrachten wir die Bibel als vertrauenswürdig oder als ein problematisches Buch?
Heute, besonders in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern, ist es fast Mode geworden – oder zumindest sehr weit verbreitet – zu sagen, die Bibel sei voller Widersprüche. Diese Entwicklung hat sich in den letzten zweihundert Jahren herausgebildet. Viele Menschen behaupten das, obwohl sie selbst nie in der Bibel gelesen haben.
Sie können gerne einen Test machen: Gehen Sie irgendwo in Rostock auf die Straße und fragen Sie die Leute, ob die Bibel Widersprüche enthält oder nicht. Viele werden mit den Achseln zucken. Einige werden Ihnen sagen, dass die Bibel voller Widersprüche sei. Wenn Sie dann fragen, wie häufig diese Menschen in der Bibel lesen, werden Sie feststellen, dass dies selten der Fall ist.
Ursachen für die Skepsis gegenüber der Bibel
Woher kommt das? Das hat verschiedene Ursachen.
Auf der einen Seite gibt es in den letzten 50 Jahren eine starke Welle der Säkularisierung. So nennt man eine Bewegung, die sich von christlicher Prägung entfernen will. Denn das, was ganz offensichtlich ist – egal, ob man Christ ist oder nicht –, ist, dass Europa, und hier insbesondere Deutschland, über mehr als tausend Jahre vom christlichen Glauben geprägt wurde.
Wenn wir genauer hinschauen, dann ist sehr viel von unserer Umgebung vom christlichen Glauben geprägt worden. Angefangen beispielsweise bei unserer Rechtsprechung. Ganz gleich, ob wir gläubige Christen sind oder nicht: Unsere Rechtsprechung ist stark vom christlichen Glauben beeinflusst. Ein Beispiel dafür ist die Auffassung, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien.
Man kann sagen, dafür müsse man doch nicht Christ sein. Prinzipiell ist das richtig, um das zu erkennen. Fakt ist jedoch, dass in den meisten außereuropäischen Kulturen und auch in Europa, bevor das Christentum hierher kam, die Menschen fest davon überzeugt waren, dass Menschen nicht gleich seien – auch nicht vor dem Gesetz.
Schauen Sie in die Gesetzbücher der alten Germanen: Dort galt ein Leibeigener weniger als ein Freier – das war völlig klar. Wenn jemand einen Leibeigenen erschlug, gab es eine viel geringere Strafe als bei einem Freien. In den altgermanischen Gesetzbüchern war es außerdem so, dass das Erschlagen eines Mannes härter bestraft wurde als das einer Frau. Und wenn ein Alter erschlagen wurde, gab es eine geringere Strafe als bei einem Jungen. Dort waren also nicht alle Menschen vor dem Gesetz gleich.
Durch die christliche Prägung hat sich das geändert. Und das gilt nicht nur für die Rechtsprechung. Auch die Kunst ist stark vom christlichen Glauben geprägt, unsere Architektur ebenso, und viele weitere Bereiche unseres Lebens.
Das heißt: Die Bibel mit ihrem Inhalt, der christliche Glaube insgesamt, hat die Gesellschaft und Kultur, in der wir leben, maßgeblich geprägt. In den letzten Jahrzehnten gab es jedoch eine Abkehr davon. Viele Menschen sagten, sie wollen das nicht mehr. Sie empfinden die christliche Prägung als altmodisch oder als einschränkend. Sie wünschen sich mehr Freiheit.
Dann musste man aber auch eine Stellungnahme zur Bibel als Grundlage finden. Dabei begann man immer stärker, die Bibel als unzureichendes Buch darzustellen – als ein Buch voller Widersprüche, dem man gar nicht glauben könne.
Umgang mit Vorwürfen von Widersprüchen in der Bibel
Fakt ist, dass die meisten Menschen, die solche Aussagen treffen, sich mit der Bibel relativ wenig auskennen. Im Internet können sie problemlos ganze Listen mit vermeintlichen biblischen Widersprüchen finden. Diese Listen werden dann in den sozialen Medien weiterverbreitet.
Die wenigsten lesen sich jedoch die Bibelstellen genau durch. Sie freuen sich einfach und sagen: „Siehst du, hier habe ich doch ein Argument!“ Sie haben diese Listen oft von atheistischen Homepages heruntergeladen und behaupten dann, die Bibel sei schlecht. Anschließend fordern sie eine Antwort darauf.
Ich habe mehrfach versucht, Menschen Antworten zu geben. Schon beim ersten oder zweiten Punkt von manchmal über neunzig scheinbaren Widersprüchen hören die Leute jedoch auf. Einfach weil sie es gar nicht so genau wissen wollen. Es interessiert sie nicht wirklich, sondern sie sind zufrieden mit der Aussage: „Die Bibel ist voller Widersprüche.“ Damit müssen sie sich nicht weiter mit ihr auseinandersetzen.
Das gibt es tatsächlich. Zwischenzeitlich gibt es sogar Theologen, was eigentlich ein Witz zu sein scheint, die genau diese These von den vielen Widersprüchen in der Bibel übernommen haben. Es gibt Theologen, manchmal Pfarrer, manchmal Professoren, die ebenfalls sagen: „Ja, die Bibel ist voller Widersprüche.“ Und das, weil sie selbst nicht glauben.
Ich hatte einen Professor an der Universität, der sagte, er sei ein atheistisch gesinnter Christ gewesen. Da fragt man sich: Wie passt das zusammen? Die Bibel schreibt von vorne bis hinten davon, dass es einen Gott gibt. Das ist ja der Hauptinhalt der Bibel. Wie kann man dann, wenn man Professor für Theologie ist, Atheist sein?
Er sagte: „Atheist, das ist gut.“ Gerade heute habe ich einen Artikel gelesen, in dem ebenfalls ein Theologieprofessor erklärte, dass die Auffassung, Jesus sei der Sohn Gottes, vollkommen verrückt sei. Das könne man als Theologieprofessor gar nicht glauben, obwohl dies der Hauptinhalt des Neuen Testaments ist.
Wir würden sagen: Diese Leute sind zwar Theologieprofessoren, aber keine Christen. Das heißt, sie tragen diesen Titel, weil sie eine bestimmte akademische Arbeit geschrieben haben, aber sie sind keine Christen. Denn den Hauptinhalt des christlichen Glaubens teilen sie nicht.
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Bibel
Und die Frage, die sich uns natürlich zu Recht stellt, ist: Ist das richtig? Ist die Bibel voller Widersprüche oder nicht glaubwürdig?
Wir müssen uns diese Frage stellen, denn wenn es wirklich gute Argumente dafür gibt, dass die Bibel nicht glaubwürdig ist oder voller Widersprüche steckt, dann ist es um den christlichen Glauben schlecht bestellt. Dann müssten wir sagen: Ja, sollten wir ihn vielleicht wirklich fallen lassen? Sollen wir sagen: Gut, das war zwar in der Vergangenheit wichtig, aber für die Gegenwart brauchen wir das nicht mehr? Das war für gestern gut, aber nicht mehr für heute und auch nicht für morgen?
Wenn ich mit Menschen darüber spreche – und das kommt häufig vor – sagen sie mir oft, die Bibel sei voller Widersprüche. Manchmal sind diese Gespräche sehr direkt, manchmal am Schreibtisch, manchmal am Telefon oder im Internet. In solchen Fällen frage ich die Leute häufig zuerst, welche Widersprüche sie genau meinen.
Das mache ich aus dem einfachen Grund, dass ich dann gezielt antworten kann. Wenn jemand Probleme mit bestimmten Stellen oder Aussagen aus der Bibel hat, versuche ich, direkt darauf einzugehen. Vielleicht ist das Problem dann geklärt.
Meine häufigste Erfahrung bei dieser Rückfrage ist jedoch, dass meine Gesprächspartner keine konkreten Antworten geben. Ich frage: Welche Widersprüche meinst du? Und die Antwort ist oft: Naja, also alles.
Dann bitte ich sie, ein paar Beispiele zu nennen: Wo genau liegt dein Problem? Warum meinst du, der Bibel nicht glauben zu können? Und meistens kommt dann nichts.
Widerspruch zwischen Bibel und Wissenschaft?
Das, was einige sagen, ist folgendes: Sie behaupten, die Bibel stehe im Widerspruch zur Wissenschaft. Dabei kann „Widerspruch“ zweierlei bedeuten. Zum einen den Widerspruch zwischen einzelnen Aussagen innerhalb der Bibel. Zum anderen den Widerspruch zwischen der Bibel und Aussagen außerhalb der Bibel.
Es wird also gesagt, die Bibel sei nicht nur innerlich widersprüchlich, sondern widerspreche beispielsweise auch unserer heutigen wissenschaftlichen Erkenntnis. Die gegenwärtige Wissenschaft wird dabei als Maßstab genommen, an dem die Wahrheit festgemacht wird. Und weil die Bibel nicht mit diesem Maßstab übereinstimmt, wird sie als falsch angesehen.
Zunächst habe ich mit diesem Argument grundsätzlich Schwierigkeiten. Das Problem liegt darin, dass hier eine zeitlich begrenzte Aussage der Wissenschaft als absoluter Maßstab für die Wahrheit von etwas anderem gesetzt wird. Die wichtige Frage, die wir uns stellen müssten, lautet: Zu welcher Zeit besitzt die Wissenschaft die absolute Wahrheit, an der wir alles messen müssen?
Ist es die Wissenschaft von vor hundert Jahren oder die von heute? Die meisten würden natürlich sagen: heute, weil wir heute an der Spitze der Wissenschaft stehen. Aber dann müsste man die Frage stellen: Wie ist das mit der Wissenschaft in hundert Jahren? Manche meinen, es werde sich nichts ändern.
Dem würde ich entgegnen: Wenn wir in hundert Jahren nicht mehr wissen als heute, warum sollten wir dann Milliarden in die Forschung investieren und Hochschulen unterhalten? Das wäre sinnlos.
Wenn wir aber davon ausgehen, dass die Menschen in hundert Jahren viel klüger sein werden als heute, dann ist das, was wir heute als Wahrheit ansehen, in hundert Jahren überholt und falsch. Warum sollte ich also das, was dann überholt und falsch ist, heute als Maßstab nehmen, um zu beurteilen, dass die Bibel falsch ist?
Vielleicht wissen die Wissenschaftler in hundert Jahren, dass viele Aussagen der Bibel doch stimmen. Wenn ich also eine klare Aussage über die Bibel mache und behaupte, sie sei falsch oder widersprüchlich, müsste ich zunächst eine sichere Grundlage für diese Behauptung haben.
Wenn aber meine Argumentationsgrundlage – also der aktuelle Stand der Wissenschaft – selbst unsicher ist, zumindest in absoluter Hinsicht, dann ist sie keine wirklich angemessene Grundlage, um die Bibel zu bewerten.
Das ist mein grundsätzliches Problem mit dieser Argumentation.
Wissenschaft und Bibel: Missverständnisse und Klarstellungen
Aber ich habe auch noch ein ganz anderes Problem damit, weil nämlich die meisten Menschen nicht genau unterscheiden, was sie überhaupt unter Wissenschaft verstehen. Gerne frage ich dann zurück: Welche genaue wissenschaftliche Aussage meinst du denn, die der Bibel widerspricht?
Viele Leute, heute insbesondere Atheistenvereinigungen, vertreten die Überzeugung, die Bibel sei gegen die Wissenschaft. Manchmal wird dann Galileo Galilei zitiert, und es heißt, er habe gegen die Bibel gekämpft. Schließlich habe er sich durchgesetzt, und die Wissenschaft sei zum Zug gekommen. Was die Leute dabei vergessen, ist, dass Galileo Galilei lebenslang gläubiger Katholik war. Er hat nie gegen Gott gekämpft, war immer Mitglied der Kirche und wollte weder Gott abschaffen noch die Bibel widerlegen.
Hier werden also manchmal Mythen aufgebaut, die historisch vollkommen falsch sind. Warum? Weil man gern so einen Mythos, so einen Kampf inszenieren möchte. Dabei vergisst man, dass fast alle deutschen Hochschulen von der Kirche gegründet wurden. Fast alle Professoren bis ins 17. und 18. Jahrhundert waren gleichzeitig Mitglieder der Kirche. Also merkt man, dass die Sache nicht so einfach zuzuordnen ist.
Dann frage ich die Leute gerne: Welche wissenschaftliche Aussage meinst du denn genau? Sag mir doch zum Beispiel, was in der Bibel der Geographie widerspricht. Sind in der Bibel Städtenamen falsch, Ortsnamen falsch, Berge falsch, Täler falsch? Oder wird da von Meeren gesprochen, die es gar nicht gibt?
Häufig ist die Antwort: Nein, eigentlich nicht. Dann müssen wir also sagen, die Bibel widerspricht nicht der Geographie. Als nächstes frage ich: Wie widerspricht die Bibel der Germanistik? Auch hier: Eigentlich nicht. Die Rechtschreibregeln werden in der Bibel auch beachtet, also widerspricht sie auch nicht der Germanistik.
Widerspricht die Bibel der Mathematik? Nein, auch nicht. Widerspricht die Bibel der Physik? Auch nicht. Und dann fragt man weiter: Was denn genau? Am Ende kommt meistens heraus: Na ja, die Bibel widerspricht der Evolutionstheorie.
Da sage ich: Ja gut, da gibt es einen gewissen Widerspruch. Aber die Evolutionstheorie ist nicht die Wissenschaft selbst, sondern eine Theorie innerhalb der Biologie. Eine Theorie, die noch relativ jung ist, sich stark entwickelt und in der immer wieder verschiedene Perspektiven und Thesen vertreten werden. Hier gibt es also einen gewissen Widerspruch, das kann man sagen. Aber das ist kein Widerspruch, der die Bibel in aller Tiefe trifft, würde ich sagen. Erst einmal, weil das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, was richtig und was falsch ist.
Diese Auffassung, die Bibel widerspreche der Wissenschaft, ist so nicht zulässig. Sie stimmt auch nicht, weil die meisten Aussagen der verschiedenen Wissenschaften den biblischen Aussagen gar nicht widersprechen. Sogar in vielen Wissenschaften bauen sie auf Aussagen der Bibel auf, weil diese sehr alte Dokumente sind.
Zum Beispiel, wenn wir etwas über die Geschichte des Alten Orients wissen wollen, dann ist die Bibel eine der wertvollsten Quellen, die wir haben. Denn es gibt gar nicht so viele Schriftstücke aus dieser Zeit. Wenn wir uns Gedanken über die Geographie des Alten Orients machen wollen – wo Städte waren, wo Länder lagen, welche Völker und Regierungen es gab – dann ist die Bibel ebenfalls eine sehr wertvolle und wichtige Quelle. Sie berichtet über Könige, Herrscher, Kriegszüge, Völker und Städte.
Hier ist die Bibel sogar eine Stütze der Wissenschaft, statt ihr generell zu widersprechen. Diese Auffassung halte ich für prinzipiell schwierig, so würde ich es sagen, weil kein genereller Widerspruch besteht.
Innere Widersprüche in der Bibel: Zahlen und Berichte
Ja, es gibt die Auffassung, dass die Bibel Widersprüche in sich selbst enthält. Das ist natürlich problematisch. Wenn ein Buch innerlich Widersprüche aufweist, stellt sich die Frage: Was sollen wir dann glauben? Es gibt verschiedene Aussagen, die sich widersprechen.
Auch hier frage ich gerne zurück, um konkret auf einen Punkt eingehen zu können: Welche Widersprüche sind denn genau gemeint? Es gibt tatsächlich einige Stellen, die uns widersprüchlich erscheinen und in gewisser Weise auch sind. Zum Beispiel finden wir im Alten Testament Berichte über bestimmte Schlachten, also Auseinandersetzungen, bei denen unterschiedliche Angaben zur Anzahl der Soldaten gemacht werden.
Das fällt jedoch nur aufmerksamen Bibellesern auf. Wer die Bibel nicht intensiv studiert, bemerkt das meist gar nicht, da es nur an wenigen Stellen vorkommt. So steht zum Beispiel an einer Stelle: „Und dann kämpften 28 Soldaten“, und an einer anderen Stelle heißt es: „Und dann kämpften 30.“ Solche Unterschiede gibt es gelegentlich.
Für mich stellt sich dann die Frage: Ist das ein wirklicher Widerspruch oder gibt es andere Erklärungen? Wir sollten mit der Bibel nicht strenger ins Gericht gehen als mit anderer Literatur, die wir heute haben. Viele abweichende Zahlenangaben in der Bibel lassen sich erklären, wenn wir genauer hinschauen. Manchmal ist eine Angabe eine genaue Zahl, die andere eine gerundete Zahl.
Rundungen sind keine Lügen oder Fehler. Wenn man so streng wäre, dass jede Rundung ein Fehler oder eine Lüge ist, dürfte man wahrscheinlich keine Zeitungsberichte mehr lesen. Dort steht zum Beispiel: In Berlin gab es eine Demonstration mit 5000 Teilnehmern. Das ist keine exakte Zahl. Es könnten 5001, 5010 oder 5050 gewesen sein. Niemand hat genau gezählt, es ist eine Schätzung. Das heißt aber nicht, dass es gelogen ist.
Im Alltag nehmen wir es oft nicht genau, weil uns die gerundete Zahl wichtiger ist als die exakte. Die Bibel macht das genauso. Sie gibt manchmal gerundete Zahlen an, weil es nicht darum geht, bei der Speisung der Fünftausend genau zu zählen. Es wird einfach gesagt, dass es eine große Menge war, ungefähr 5000 Menschen. Das entspricht genau dem, was wir heute in Zeitungen oder Geschichtsbüchern lesen.
Auch in Geschichtsbüchern wird oft nur geschätzt, zum Beispiel bei den Opfern des Zweiten Weltkriegs. Die genauen Zahlen kennt niemand, daher werden Schätzungen angegeben. Das gilt in vielen Bereichen, auch in Mathematik und Physik. Dort wird ebenfalls gerundet – manchmal bis zur fünften Nachkommastelle. Warum sollte das nicht genau sein? Wir akzeptieren das.
Rundung ist kein Irrtum und kein Widerspruch. Es ist ganz normal und wird in vielen Bereichen praktiziert. Es kommt nicht immer auf jede Nachkommastelle oder jede einzelne Person an, sondern es wird gerundet. Das finden wir auch in der Bibel.
Manchmal müssen wir genau hinschauen. Dasselbe Ereignis wird beschrieben, aber unterschiedliche Details werden genannt. So habe ich Stellen gefunden, bei denen behauptet wird, es gebe einen Widerspruch. An einer Stelle steht zum Beispiel eine bestimmte Anzahl Soldaten, an einer anderen werden nur Wagenlenker genannt. Das heißt, einmal wird die Gesamtheit der Soldaten genannt, an anderer Stelle nur eine bestimmte Gruppe des Militärs.
Oder wenn eine Stadt gekauft wird, wird an einer Stelle nur die Stadt erwähnt, an einer anderen das ganze Land. Dann wundert man sich, dass das Land plus Stadt teurer ist als nur die Stadt allein. Das ist aber klar.
Wenn ich den Kontext lese und das Umfeld betrachte, wird es deutlicher. Beide Aussagen sind korrekt, aber sie beschreiben unterschiedliche Details. Es ist nicht immer genau dasselbe, was beschrieben wird.
Unterschiedliche Evangelienberichte als Ergänzungen
Wer heute am Religionsunterricht teilnimmt, dem wird eine weitere Art von Widerspruch vorgestellt. Manche Abweichungen entstehen durch Rundungen, andere durch unterschiedliche Details, die in den Geschichten erwähnt werden.
Es gibt auch andere Unterschiede, zum Beispiel in den Berichten des Neuen Testaments über das Leben Jesu. Im Neuen Testament gibt es vier Berichte über das Leben Jesu: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Immer wieder wird gesagt, diese Berichte widersprächen einander. Das stimmt in gewissem Maße.
Es werden ähnliche Ereignisse beschrieben, was auch klar ist, denn alle vier Autoren wollen das Leben Jesu aufschreiben. Es würde uns wundern, wenn die Berichte nicht übereinstimmen würden oder bestimmte Dinge gar nicht vorkämen. Zum Beispiel wird in allen Berichten erwähnt, dass Jesus gestorben ist, und in allen wird berichtet, dass er auferstanden ist.
Wenn wir aber genau hinschauen, etwa am Ostermorgen, also am Auferstehungsmorgen, werden unterschiedliche Gruppen genannt, die zum Grab Jesu gehen und feststellen, dass er auferstanden ist. Mal ist Petrus dabei, mal nicht. Mal ist eine Frau dabei, mal zwei Frauen, und so weiter.
Dann wird schnell gesagt: Siehst du, der Bibel kann man nicht vertrauen. Selbst bei einfachen Dingen, wie der Anzahl der Leute am Ostermorgen am Grab, widerspricht sie sich. Fachsprachlich nennt man das in der Theologie den sogenannten synoptischen Vergleich. Dabei vergleicht man die synoptischen Evangelien – das sind die ersten drei Evangelien, die viele Ähnlichkeiten haben – und stellt fest, dass es widersprüchliche Aussagen gibt.
Das gilt auch für andere Berichte über das Leben Jesu. Allerdings wird hier oft ein wichtiger Punkt vergessen. Und zwar der wichtigste Punkt: Wir müssen uns die Frage stellen, warum es überhaupt vier verschiedene Berichte gibt.
Wenn in vier Berichten genau dasselbe stehen würde, wozu bräuchten wir dann vier? Könnten wir nicht sagen, einer reicht doch? Das ist der entscheidende Punkt: Wir müssen uns fragen, warum es vier Berichte statt nur einem gibt.
Die Antwort ist relativ einfach: Keiner dieser Berichte beschreibt alles. Die Berichte ergänzen sich. Wenn man eine Ergänzung schreibt, wiederholt man nicht nur, was der andere schon gesagt hat, sondern berichtet andere Aspekte desselben Ereignisses.
Genau das passiert hier. Am Ostermorgen war nicht nur eine Gruppe am Grab, sondern vielleicht fünf oder zehn. Das sollte uns nicht wundern.
Stellen Sie sich vor, eines der spektakulärsten Ereignisse, die Sie sich vorstellen können, passiert. Und zwar nicht etwas aus der Ferne, sondern etwas ganz Persönliches. Nehmen wir an, Sie haben einen Lebenspartner, den Sie wirklich lieben, und dieser Lebenspartner ist gestorben.
Dann kommt Ihre Nachbarin zu Ihnen und sagt: „Ich war am Grab, er ist nicht mehr da.“ Wie würden Sie reagieren? Wahrscheinlich nicht einfach sagen: „Okay, ist er nicht mehr da“, und dann weiter frühstücken oder fernsehen.
Im Normalfall würden Sie sagen: „Das kann nicht sein, ich muss selbst hingehen und nachsehen.“ Jetzt sind Sie mit der Nachbarin am Grab. Wenn Sie merken, dass das Grab leer ist, würden Sie vielleicht noch einmal hingehen und die Polizei rufen: „Kommt mal mit, seht euch das an.“
Damit wäre schon der dritte Besuch am Grab – die Polizei. Vielleicht würden Sie noch Ihre Freunde holen und sagen: „Schaut euch das an, was hier passiert.“
Das ist doch die Realität, oder? Wenn die Jünger berichten, Jesus sei nicht mehr im Grab, lehnen sie sich nicht zurück und lassen den Tag einfach weiterlaufen. Sie gehen wieder hin, dann gehen noch andere Gruppen hin, noch mehr Freunde kommen dazu.
Genau das berichten die Evangelien. Sie weichen voneinander ab, weil sie verschiedene Ereignisse als Ergänzung beschreiben, die am Ostermorgen stattgefunden haben.
Fehlinterpretationen und ergänzende Berichte
Manchmal liegt es daran, dass gerade Kritiker der Bibel Widersprüche konstruieren, die im Text eigentlich gar nicht vorhanden sind.
So gibt es beispielsweise einen Bericht, in dem Jesus in Jericho einen Blinden heilt, und einen anderen Bericht, in dem Jesus vor Jericho zwei Blinde heilt. Kritiker sagen dann: „Seht ihr, Widersprüche!“ Doch das stimmt nicht. Einmal wird in der Stadt geheilt, einmal vor der Stadt. Einmal wird ein Blinder geheilt, einmal zwei.
Man könnte fragen: Was ist die wahrscheinlichste Lösung für dieses scheinbare Problem? Die wahrscheinlichste Lösung ist, dass drei Blinde geheilt wurden – einer in der Stadt und zwei vor der Stadt. Wo liegt hier das Problem? Es gab damals viele Blinde, und Jesus hat viele Menschen geheilt. Wenn also gesagt wird, der eine wurde in der Stadt geheilt, die anderen zwei vor der Stadt, dann ist das doch kein Widerspruch. Vielmehr wird hier angegeben, dass es sich um zwei verschiedene Ereignisse handelt: Das eine findet in der Stadt statt, das andere vor der Stadt.
Warum kommt dann jemand und behauptet, es sei dasselbe Ereignis? Das ist doch gar nicht naheliegend.
Genauso ist es heute auch, wenn man beispielsweise von einem Ereignis liest – nehmen wir das Erdbeben, das vor kurzem in Asien stattfand. Man wird feststellen, dass nicht jede Zeitung genau dasselbe berichtet. Das ist vollkommen klar, sonst wäre es ja langweilig: Man müsste nur eine Zeitung lesen und wüsste alles.
Man vergleicht, weil der eine Journalist sehr genau beschreibt, wie die Hilfsmaßnahmen ablaufen, ein anderer beschreibt, wie das Erdbeben entstanden ist. Ein weiterer schildert, wie die Menschen vor Angst aus ihren Häusern gerannt sind, und wieder ein anderer berichtet, wie ein Tempel eingestürzt ist.
Hier ist klar: Jeder Journalist will noch etwas Zusätzliches als Information geben und nicht nur abschreiben, was die anderen tun. Manchmal macht man das zwar auch, wenn man keine Zeit hat, aber meistens gibt es Ergänzungen.
Das bedeutet nicht, dass der eine Recht und der andere Unrecht hat. Vielmehr handelt es sich in den meisten Fällen um Ergänzungen.
Genau deshalb haben wir vier Berichte über das Leben Jesu. Sie ergänzen sich, weil sie nicht dasselbe mit denselben Worten beschreiben wollen, sondern ähnliche Phasen aus dem Leben Jesu aufgreifen.
Es ist klar, dass wir das Leben Jesu beschreiben wollen. Die Berichte ergänzen sich daher, und deshalb gibt es auch Abweichungen.
Abschreibfehler und Überlieferung
Hier erkennen wir, dass es in der Bibel nicht direkt Widersprüche gibt, sondern eher Ergänzungen. Es gibt jedoch einige Stellen, an denen man von einem gewissen Widerspruch sprechen könnte. Solche Fälle treten relativ selten auf, beispielsweise bei Zahlenangaben. Manchmal steht an einer Stelle, dass es tausend Leute waren, während an einer anderen Stelle zehntausend genannt werden.
An diesen Stellen gehe ich tatsächlich davon aus, dass im Laufe der Überlieferung der Bibel über Jahrtausende hinweg Abschreibfehler passiert sind. Das kann vorkommen. Vielleicht war ein Mönch, der die Bibel abgeschrieben hat, müde und hat versehentlich eine Null weggelassen oder hinzugefügt. Solche Fehler können passieren.
Ich glaube nicht, dass die Bibel heute in jedem Punkt widerspruchsfrei ist, so wie sie geschrieben ist. Vielmehr gilt das für die ursprünglichen Texte, wie sie von den Autoren verfasst wurden. Denn das ist klar: Wenn ich heute die Bibel abschreibe, kann ich Fehler machen. Das bedeutet nicht, dass die Bibel an sich fehlerhaft ist, sondern es sagt nur etwas über den gegenwärtigen Zustand der Abschriften aus.
Diese Veränderungen, ob es nun zehntausend oder tausend waren, sind zwar interessant, verändern aber den grundlegenden geistlichen Inhalt der Bibel überhaupt nicht.
Theologische Widersprüche und das Wesen Gottes
Manche Menschen sagen, die Bibel stehe im Widerspruch zu sich selbst bei bestimmten theologischen Aussagen. Besonders Muslime greifen das gerne auf, auch in Videos im Internet. Sie sagen beispielsweise: Die Bibel sagt doch, es gibt einen Gott, und dann sagt sie, es gibt drei Götter – also Vater, Sohn und Heiliger Geist. Das sei doch ein Widerspruch. Die Bibel widerspreche sich. Auf den ersten Blick sieht das theologisch tatsächlich so aus.
Allerdings würde ich es eher so betrachten: Die Bibel will uns einen schwierigen Sachverhalt erklären, den wir hier auf der Erde so nicht kennen und deshalb nicht fassen können. Das heißt, die Bibel will uns sagen, dass Gott einer ist. Gleichzeitig bedeutet „eins“ aber nicht genau dasselbe, wie wir es als „eins“ verstehen. Man könnte sagen, Gott hat drei Aspekte oder drei Wesensformen – oder wie man es sonst ausdrücken möchte.
Gott ist eben nicht so, wie wir Menschen sind. Deshalb kann es sein, dass er in drei verschiedenen Formen auftritt, hier auf der Erde. Wir sehen ihn so, wir begreifen ihn so. Manche Theologen vergleichen das mit einem Glas voll Wasser. Wenn ich dieses Glas Wasser stark erhitze, habe ich in der Wohnung eine Dampfwolke. Das ist aber dasselbe Wasser, nur in einer anderen Form. Oder ich stelle es in die Kühltruhe. Dann wird es hart und kann alleine stehen, ohne Glas. Im flüssigen Zustand geht das nicht. So merken wir, dass es dasselbe Wasser ist. Nichts verändert sich, nur die Temperatur.
Manche Theologen benutzen dieses Beispiel und sagen: Ja, genauso ist es auch mit Gott. Wir sehen ihn, und er begegnet uns manchmal als Vater, manchmal als Sohn, manchmal als Heiliger Geist. Die Bibel sagt nicht, es gibt drei Götter. Ganz deutlich wird in der Bibel gesagt, dass es nur einen Gott gibt. Aber Gott begegnet uns in drei verschiedenen Formen – so müssten wir es vielleicht am ehesten sagen.
Gott ist von seinem Wesen her anders, als wir es fassen können. Deshalb wird uns das mit etwas beschrieben, das wir nicht genau mit irdischen Zusammenhängen vergleichen können. Mir ist da auch ein Beispiel aus der Physik sehr plausibel. Möglicherweise haben Sie das schon einmal gelesen oder gehört. In der Physik gibt es Schwierigkeiten, bestimmte Dinge zu beschreiben – zum Beispiel das Licht.
Warum? Es gibt verschiedene Modelle, um Wirklichkeit zu beschreiben. Und zwar sage ich, das sind Modelle. Ein Modell ist zum Beispiel, dass man sagt: Es gibt Wellen. Wellen kennen wir vom Meer her, aber es gibt auch elektromagnetische Wellen. Diese verhalten sich ähnlich, sind aber eigentlich keine Materie, sondern Energie in einem bestimmten Zustand. Materie ist normalerweise etwas anderes.
Für das Licht gibt es zwei verschiedene Modelle. Anhand bestimmter Versuche kann man zeigen, dass Licht eine Materie ist – also ein Photon, eine kleine Teilchen-Substanz. Weil es sich manchmal so verhält. In anderen Versuchen verhält sich Licht wie eine elektromagnetische Welle. Eigentlich passt das nicht genau zusammen, aber beide scheinen Realität zu sein.
Jetzt würden wir nicht sagen, deshalb gibt es Licht nicht. Sondern wir sagen: Natürlich gibt es Licht. Nur wir wissen vielleicht noch nicht hundertprozentig, was Licht eigentlich ist. Deshalb, wenn wir Bilder oder Modelle dafür benutzen, müssen wir feststellen: Es ist das eine, es ist das andere, aber es ist vielleicht doch nicht genau das eine und doch nicht genau das andere. Sondern es ist irgendetwas dazwischen oder vielleicht noch etwas ganz anderes.
Das ist nicht genau dasselbe wie bei Gott. Ich will nur sagen: Auch wissenschaftliches Denken und allgemeine Vorstellungen unseres Alltags fassen eine Sache nie ganz genau. Weil uns vielleicht die Worte fehlen, die Begriffe fehlen, die richtigen Modelle fehlen. Und wir sind noch dabei, diese zu entwickeln. Das gibt es immer wieder. Vielleicht hat man in ein paar Jahren oder Jahrzehnten ein neues Modell, das genauer fasst, was es eigentlich ist.
Bei Gott, den wir nicht sehen können und nicht im Labor untersuchen können, ist das klar. Wir können von Gott nur Anhaltspunkte haben. Diese Anhaltspunkte entsprechen nicht immer genau dem, was wir hier auf der Erde wahrnehmen und womit wir umgehen. Aber das muss sogar so sein, weil Gott anders ist. Er ist kein Mensch, sondern eben Gott.
Allein wenn wir uns vorstellen, die Bibel beschreibt Gott als allmächtig. Das ist für uns unvorstellbar. Es gibt auf der Erde nichts, was allmächtig ist. Allmächtig heißt einfach, dass wir der Macht Gottes keine Grenzen setzen können. Das ist keine positive Aussage, sondern eher eine Aussage darüber, was wir nicht sagen können. Dadurch drücken wir aus, dass er ganz anders ist im Vergleich zu uns.
Insofern sind diese Aussagen keine Widersprüche. Sie versuchen vielmehr, mit verschiedenen Aussagen annähernd für uns verständlich zu machen, wer Gott eigentlich ist.
Ethische Widersprüche und Maßstäbe der Gerechtigkeit
Ich habe diese Woche schon einmal einen Vergleich angestellt, der eine ähnliche Herausforderung beschreibt. Stellen wir uns vor, wir wollen einem Menschen ein technisches Gerät erklären, der so etwas noch nie gesehen hat. Zum Beispiel jemand, der auf dem Niveau eines Steinzeitmenschen irgendwo im Amazonas-Urwald aufgewachsen ist.
Angenommen, diese Person ist mit dem Flugzeug gereist. Wenn man ihn fragt, wie er hierhergekommen ist, würde er vielleicht fragen: „Sind Sie mit dem Kanu geflogen?“ Wenn man dann erklärt, dass es kein Kanu war, sondern ein Flugzeug, stellt sich die Frage, wie man das verständlich machen kann.
Jemand, der noch nie ein Flugzeug gesehen oder benutzt hat und keine Ahnung von Aerodynamik hat, wird das schwer verstehen. Man könnte sagen: „Ich bin in einem eisernen Vogel geflogen.“ Aber Eisen gibt es in der Steinzeit noch nicht. Also sagt man vielleicht: „Ich bin in einem steinernen Vogel geflogen.“ Das versteht er erst einmal.
Doch in Wirklichkeit trifft das die Sache nicht wirklich. Schnell wird klar, dass das ein Widerspruch ist. Stein kann ja gar nicht fliegen. Er könnte das vielleicht selbst ausprobieren, indem er einen Stein wirft, und feststellen, dass das nicht funktioniert. Dann denkt er weiter: Ein Vogel ist auch kein Stein. Ein Vogel frisst, pickt irgendwo oder fliegt weg. Das tut der „steinere Vogel“ aber nicht. Das ist ein Widerspruch.
Dieser Widerspruch entsteht nicht, weil das Flugzeug nicht existiert, sondern weil uns die richtigen Begriffe und Worte fehlen, wenn wir keinen Zugang zu dem Thema haben.
Ähnlich ist es manchmal mit dem Thema Gott. Auch hier gibt es Widersprüche, die heute oft genannt werden. Zum Beispiel wird behauptet, die Bibel sei widersprüchlich – und zwar widersprüchlich zu dem, was wir gerecht finden. Es wird gesagt: „In der Bibel gibt es Aussagen, die meinem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen.“ Zum Beispiel: „Warum kommen nicht alle Menschen zu Gott? Ich fände es gerecht, wenn alle zu Gott kommen.“ Nach diesem Gerechtigkeitsempfinden ist die Bibel also widersprüchlich.
Doch hier haben wir dasselbe Problem wie bei der Wissenschaftsfrage. Wichtig ist zu klären: Welcher Maßstab gilt? Woher weiß ich, dass mein Maßstab richtig ist? Nur weil ich ihn heute vertrete oder weil eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ihn teilt? Das müsste erst belegt werden.
Wir werden schnell feststellen, dass die Frage, was gerecht oder ungerecht ist, in Deutschland ständigen Veränderungen unterliegt. Manche Dinge, die vor hundert Jahren als gerecht galten, werden heute als ungerecht empfunden – und umgekehrt.
Beispielsweise in der Rechtsprechung: Wenn man vor hundert Jahren gefragt hätte, ob Abtreibung gut oder schlecht ist, hätten alle gesagt, Abtreibung ist absolut schlecht und unmoralisch, weil dabei ein unschuldiges Leben getötet wird. Heute sieht das in Deutschland anders aus. Wahrscheinlich gibt es kaum noch ernsthafte Gerechtigkeitsprobleme mit der Frage der Abtreibung.
Was gilt also jetzt? Woher wissen wir, dass unsere heutige Meinung gültig ist und nicht die von vor hundert Jahren? Oder wer kann garantieren, dass die deutsche Rechtsprechung in hundert Jahren nicht wieder sagt, Abtreibung sei ein schweres Verbrechen?
Wenn ich also sage, die Bibel widerspricht meiner heutigen Auffassung, stimmt das an manchen Stellen. Aber die entscheidende Frage ist: Welcher Maßstab gilt? Mein persönlicher Geschmack, meine Meinung oder die Umfragen von heute? Und was ist, wenn sich die Umfragen in einigen Jahren wieder ändern? Dann wäre die Bibel wieder richtig.
Das zeigt, dass es schwierig ist, eine eindeutige Aussage zu treffen.
Wenn ich jedoch davon ausgehe, dass die ethischen Aussagen der Bibel von Gott stammen, ändert sich die Situation grundlegend. Dann müssten wir sagen: Ja, es gibt einen Widerspruch, aber ich stehe im Widerspruch zum Maßstab Gottes. Dann bin ich falsch, nicht Gott.
Wir merken, dass die Meinungen auseinandergehen. Aber die Frage bleibt: Wer hat den richtigen Maßstab? Wer hat den absoluten und gültigen Maßstab?
Wenn es Gott wirklich gibt, dann hat er wahrscheinlich den Maßstab, nicht der Zeitgeschmack der Epoche, in der ich lebe.
So gibt es manchmal unterschiedliche ethische Auffassungen zwischen der Bibel und unserer heutigen Zeit.
Widerspruch zwischen Bibel und persönlichem Lebenskonzept
Manchmal ist es so, dass nach einem Gespräch mit Menschen über all diese Themen am Ende herauskommt, dass die Bibel im Widerspruch zu ihrem Lebenskonzept steht. Einige sagen dann auch: Die Wissenschaft spricht eigentlich nicht grundsätzlich gegen die Bibel, und die Widersprüche innerhalb der Bibel sind auch nicht so relevant. Aber die Bibel entspricht einfach nicht meinem Lebenskonzept. Mein Lebenskonzept ist, dass es kein Leben nach dem Tod gibt. Ich will in erster Linie mein Leben optimieren, um hier möglichst viel Glück und Spaß zu haben. Und da sagt die Bibel, das sei nicht in Ordnung – das ärgert mich. Die Bibel steht im Widerspruch zu meinem Lebenskonzept.
Dieser Widerspruch existiert tatsächlich häufig. Oft widersprechen die Aussagen der Bibel unserem Lebenskonzept. Manche versuchen dann, die Bibel so lange umzudeuten, bis sie zum eigenen Lebenskonzept passt. Das gibt es auch, bringt aber meist nicht viel.
Ich glaube, es ist wichtig, diesen Widerspruch wirklich zu erkennen. Ja, in vielen Fällen widersprechen die Aussagen der Bibel unserem Lebenskonzept. Die entscheidende Frage ist: Ist deshalb die Bibel falsch? Oder muss ich anfangen, mein eigenes Lebenskonzept zu hinterfragen und zu überdenken?
Denn es gibt solche Widersprüche auch in anderen Bereichen. Ein Widerspruch an sich sagt nicht, wer Recht hat und wer falsch ist. Man muss einen Weg finden, das zu überprüfen. Man muss sich damit auseinandersetzen und zumindest ernsthaft erwägen, dass vielleicht nicht ich Recht habe, sondern vielleicht die Bibel.
Wenn ich mich für einen guten Menschen halte und in der Bibel lese, dass es keinen gibt, der gerecht ist – auch nicht einen einzigen – dann ist das ein Widerspruch. Ich denke, ich bin gut, die Bibel sagt aber: Nein, du bist nicht gut, zumindest nicht so gut, dass du ohne Schuld bist. Dann müssten wir sagen: Vielleicht hat die Bibel Recht.
Oder wenn ich meine, eigentlich seien alle Menschen gut – was heute in vielen pädagogischen Vorlesungen vertreten wird, ähnlich wie Jean-Jacques Rousseau sagte: „Der Mensch ist von Natur aus gut, nur die böse Gesellschaft macht ihn schlecht“ –, und ich vertrete diese Auffassung, dann lese ich in der Bibel: „Der Mensch ist böse von Jugend auf.“ Das ist ein Widerspruch. Aber wer hat Recht?
Hat die Bibel mit ihrer Feststellung Recht, dass im Menschen eine Anlage und Tendenz ist, Dinge zu tun, die falsch sind, obwohl er weiß, dass sie falsch sind? Oder stimmt Rousseau und sagt: „Eigentlich ist der Mensch gut, und wenn man ihn neutral aufzieht, würde er immer das Richtige tun“?
Das ist eine Frage, zu der wir eine Antwort finden müssen. Wir können nicht von vornherein sagen, der eine hat Recht und der andere Unrecht, nur weil es mir besser passt oder meinem Lebenskonzept eher entspricht. Möglicherweise muss ich mein Lebenskonzept infrage stellen.
Wenn die Bibel wirklich eine Mitteilung Gottes ist, wäre ich gut beraten, sie als Grundlage für meine Lebensentscheidung zu nehmen und nicht den Zeitgeist, der mir besser passt. Denn oft wollen wir eine Wahrheit lieber hören, wenn sie angenehmer für unser Leben ist.
Natürlich will niemand gern hören: „Du hast etwas falsch gemacht.“ Jeder möchte lieber hören: „Du bist gut.“ Wenn Sie zum Beispiel eine Ehekrise haben, dann haben Sie vielleicht schon erlebt, dass man oft denkt, der andere trägt die Hauptschuld.
Sie können das mal ausprobieren: Wenn eine Frau Ihnen erzählt, wie schlimm der Mann war, und Sie fragen: „Hast du nicht auch etwas falsch gemacht?“, dann ist die Reaktion meist: „Du verstehst mich nicht“, und das Gespräch endet. Warum? Weil das keiner wirklich hören will. Niemand will hören: „Du bist schuld, du hast etwas falsch gemacht.“ Die meisten wollen hören, dass der andere böse ist.
Das passiert auch im Internet bei Jugendlichen. Eine Freundschaft beginnt gut, dann gibt es Streit, und hinterher kommt es bei Facebook oder WhatsApp zu großen Auseinandersetzungen. Alle Freundinnen der einen Seite sagen: „Das ist ein böser Kerl, ganz gemein“, und alle Freunde der anderen Seite sagen dasselbe – aber gegeneinander gibt es großen Streit. Das löst keine Probleme und zeigt nicht die Realität, sondern nur die Loyalitäten.
Wenn jemand aus der Freundschaft ausbricht, wird er oft von der Freundschaftsliste gestrichen. Das hilft uns aber nicht weiter. Nur weil uns jemand loyal ist und sagt, was wir hören wollen, hilft es uns nicht.
Manche meinen, die Bibel steht im Widerspruch zu ihrem Lebenskonzept. Sie möchten, dass jemand ihr Lebenskonzept bestätigt und sagt: „Du bist richtig, alles, was du tust, ist gut.“ Aber genau diesen Gefallen tut uns die Bibel oder Gott in der Bibel nicht.
Hier würde ich dafür werben, den Widerspruch anzunehmen. Lassen Sie sich durch Gott in der Bibel auch Dinge sagen, die vielleicht nicht dem entsprechen, was Sie gerne hören wollen oder was Sie für richtig halten, nur weil es Ihrem Empfinden entspricht.
Versuchen Sie, genauso wie Sie die Bibel hinterfragen, auch Ihre eigenen Konzepte zu hinterfragen. Suchen Sie nach Gründen, die dafür sprechen, dass Sie Recht haben, oder dass die Bibel Recht hat.
Zum Beispiel die Auffassung von „lieben Kindern“: Ich habe Kinder lieb, aber ich habe bisher noch nie ein Kind getroffen, das grundsätzlich nur gut war. Und es gab bisher in der Weltgeschichte kein Kind, das man isoliert von der Gesellschaft gesehen hätte und das ständig nur gut gewesen wäre.
Margaret Mead, eine bekannte Anthropologin, hat in den 1960er und 1970er Jahren Forschungen in Ozeanien gemacht. Sie sagte, sie habe eine Kultur gefunden, in der alle Menschen friedlich leben, ohne Krieg und Streit. Das wurde lange Zeit geglaubt und wird in manchen Büchern bis heute so dargestellt.
Mittlerweile weiß man aber durch intensivere Untersuchungen, dass diese Annahme falsch ist. Margaret Mead hatte in diesem Stamm keine Gewalttätigkeiten beobachtet und aufgezeichnet. Doch inzwischen ist bekannt, dass dieser Stamm seine Gewalt nur zeigt, wenn keine Fremden dabei sind.
Das heißt: Solange Fremde anwesend waren, waren sie friedlich. Sobald die Fremden weg waren, gab es Gewalt untereinander. Das kennen Sie vielleicht auch aus der Familie. Ich war einige Jahre Lehrer an allgemeinbildenden Schulen und habe oft erlebt, dass Eltern vor anderen erzählen, wie lieb und nett ihre Kinder sind. Sobald ich aber weg war, wurde mit den Kindern streng geschimpft.
Man geht meistens anders mit jemandem um, wenn andere dabei sind, als wenn man allein ist. Wenn der Ehestreit noch nicht ganz so schlimm ist, wird man vor anderen vorspielen, dass alles in Ordnung ist und man sich liebt. Ich habe Paare erlebt, die kurz vor der Scheidung standen und dann in der Öffentlichkeit plötzlich einen Kuss gaben, um zu zeigen, wie gut sie sich verstehen. Privat sieht es dann oft ganz anders aus.
Es gibt also bisher kein Volk, das nur friedlich lebt. Diese Beobachtung in der Natur spricht eher für die Deutung der Bibel, auch wenn sie uns unangenehm ist und wir sie nicht gern hören.
Könnte es nicht sein, dass auch diese Aussagen wahr sind? Ich würde Ihnen nicht raten, die Bibel abzulehnen, nur weil sie nicht Ihrem Lebenskonzept entspricht. Seien Sie wenigstens bereit, Ihr Lebenskonzept zu überprüfen und zu sehen, ob es wirklich stichhaltig ist und viele Gründe dafür sprechen. Oder ob Sie es einfach nur gerne so haben. Dann wäre es ein schlechter Grund, die Bibel abzulehnen.
Zusammenfassung und Einladung zum Gespräch
Ich bin heute Abend auf den Vorwurf eingegangen, die Bibel sei voller Widersprüche.
Falls Sie noch konkrete Beispiele kennen, weil Sie sagen: „Ja, aber mein Widerspruch wurde bisher noch gar nicht benannt“, können Sie gerne auf mich zukommen. Ich bin bereit, auch weitere Gespräche darüber zu führen.
Ich habe jetzt einige typische Argumente genannt, die sehr häufig auftauchen:
Die Bibel ist im Gegensatz zu den Wissenschaften – die Bibel enthält unterschiedliche Berichte, zum Beispiel bei Zahlen, die gerundet sind.
Ein weiterer Punkt ist, dass die Bibel Widersprüche aufweist, weil es verschiedene Berichte gibt. Ein Beispiel sind die synoptischen Evangelien, die unterschiedliche Darstellungen bieten. Oft werden solche Unterschiede als Ergänzungen verstanden.
Manchmal wird gesagt, die Bibel sei im Widerspruch, weil sie lehrmäßig dogmatische Widersprüche enthalte, etwa: Gott ist drei, Gott ist eins. Hier handelt es sich jedoch um zwei Seiten, die genauer beschreiben sollen, worum es eigentlich geht.
Ein weiterer Vorwurf lautet, die Bibel widerspreche meinen moralischen und ethischen Vorstellungen. Sie sagt, bestimmte Dinge seien gut, von denen ich aber sage, sie seien falsch. Und sie sagt, bestimmte Dinge seien falsch, obwohl ich sie für gut halte.
Der letzte Punkt betrifft den Widerspruch zur eigenen Lebensführung. Das ist häufig der Fall.
Ich hoffe, dass ich Ihnen an einigen Stellen weiterhelfen konnte, diese Widersprüche in der Bibel oder zu der Bibel besser einzuordnen. Vielleicht vermeiden Sie es dadurch, die Bibel vorschnell abzulehnen und „in den Müll zu werfen“, nur weil Sie bisher nicht genau genug hingeschaut haben, ob es wirklich tiefgreifende Widersprüche und Unstimmigkeiten gibt.
Vielleicht kann die Bibel tatsächlich das Wort Gottes sein, das in Ihr Leben hineinspricht, Dinge verändert und auch aufdeckt. Sie stößt auf Widersprüche, die Sie am Ende aber weiterführen werden.
Gerade darin sehe ich eine besondere Bedeutung der Bibel: Sie gibt uns nicht nur Bestätigung – das tut sie manchmal auch –, sondern sie hält uns einen Spiegel vor das Gesicht. Sie zeigt uns Perspektiven auf, auf die wir alleine kaum kommen würden.
Das ist ja gerade der Zweck, den sie haben soll: Sie führt uns die Perspektive Gottes für unser Leben vor Augen und sagt nicht einfach nur: „Ist ja alles in Ordnung, ist ja alles gut, so wie du das denkst.“
Wie gesagt, hier noch einmal das Angebot: Wenn Sie weitere Fragen haben oder sagen, das war mir zu einfach oder ich habe noch eine Bibelstelle, mit der ich nicht zurechtkomme, dann kommen Sie gerne auf mich zu.
Ich kann Ihnen keine Garantie geben, dass ich auf jede Frage eine Antwort habe. Aber da ich schon seit einigen Jahren in diesem Bereich arbeite und mich intensiv damit auseinandersetze, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich Ihnen zumindest ein paar Tipps geben kann, wie Sie sich weiter damit beschäftigen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wie gesagt, wir können uns gerne noch weiter unterhalten.