Einführung: Der Psalm 23 als Lebensanker
Wir haben heute am Sonntag den Psalm 23, den Psalm vom guten Hirten, ausgesucht, weil ich meine, er gehört zu den Kernstellen unseres Lebens. Wahrscheinlich gibt es viele unter uns, die ihn auswendig können. Es wäre doch schön, wenn wir ihn einfach einmal miteinander sprechen würden.
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führt mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang. Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Ach Herr, segne jetzt dieses Wort, damit wir es neu verstehen und hören. Amen.
Die Suche nach Gott in der modernen Welt
In unserer modernen Gesellschaft ist das immer wieder ein Thema, über das man in der Zeitung liest und in gescheiten Vorträgen hört: Wo kann man eigentlich Gott finden?
Dabei hört man oft sehr tiefgründige Gedanken und nimmt zur Kenntnis, was die großen Denker und Gelehrten unserer Zeit zu diesem wichtigen Thema sagen. Außerdem mischen sich die Theologen mit ein in diesen großen Chor derer, die alle mitreden. Sie betonen, dass es in unserer Zeit besonders schwierig sei, überhaupt über Gott zu sprechen. Es sei sehr schwer, von Gott etwas Gewisses zu wissen.
Besonders nach den leidvollen Erfahrungen dieses Jahrhunderts und den vielen schweren Erlebnissen sprechen einige sogar von einer Gottesfinsternis. Man sagt, es habe sich ein Schatten auf Gott gelegt, und wir könnten nichts sehen außer Dunkelheit. Deshalb bleiben die Antworten, die wir hier geben wollen, sehr ungewiss.
Wir kennen das ja von der Sonnenfinsternis, wenn ein Schatten das Licht der Sonne schluckt und es nicht mehr durchdringen kann. Könnte es nicht auch so sein, dass etwas dazwischensteht, das wir nicht überwinden können? Das wäre der Grund. Wir würden ja gerne zu Gott kommen, ihm dienen und mit ihm leben, aber Gott ist für uns verborgen.
Die überraschende Kraft des Psalms 23 im Leben der Menschen
Zu Ende ging das zwanzigste Jahrhundert mit einer großen Frage, einem Rätsel, etwas Ungewissem für die meisten Menschen. Vielleicht haben Sie ja auch erst in den letzten Tagen Gespräche darüber geführt.
Nun geschieht etwas ganz Merkwürdiges. Sie können eine andere Erfahrung machen: Nehmen Sie den 23. Psalm und gehen Sie zu Menschen, die in den letzten Jahren vielleicht gar keine Verbindung zu Gott hatten. Sagen Sie ihnen, dass Sie ihnen diesen Psalm vorlesen möchten. Dann erleben Sie plötzlich, wie der Psalm wirkt, und Menschen sagen: „Danke, ich weiß, dass Gott mein guter Hirte ist.“
Wie kann das sein? Auf der einen Seite gibt es diese Fragen, und auf der anderen Seite dieses fröhliche Bekennen: „Ja, ich weiß, mein Herr.“ Probieren Sie es nur aus! Wenn ich mit verzweifelten Menschen rede oder mit solchen, bei denen man kaum noch etwas sagen kann – etwa in ganz schweren Krankheitsnöten –, greife ich besonders gern zu diesem 23. Psalm.
Am Freitag auf dem Pragfriedhof wurde ein treues Gottesdienstmitglied von uns beerdigt. Viele Jahre lang gehörte er zu unseren Gottesdiensten, bis er ins Altenheim zog. Jeden Sonntag saß er in der zweiten oder dritten Reihe. Wir waren zu zweit bei der Bestattung: die Altenheimleiterin, ein entfernter Verwandter und ich. Dann habe ich diesen Psalm gelesen.
Dabei dachte ich: Wir sind doch reich. Es ist doch nicht wichtig, wie viele Leute unserem Sarg folgen oder wie viele Grenzen da niedergelegt werden. Wir sind doch reich, wenn der Herr mein Hirte ist. Die Frage ist, ob das über Ihrem Leben steht.
Es steht ja nicht da, dass das bei allen Menschen so ist. Das müssen Sie selbst klären: Ob das auf Sie zutrifft, dass der Herr Ihr Hirte ist.
Die Schwierigkeit der Gotteserkenntnis und die Bedeutung der Beziehung
Aber jetzt möchte ich doch noch die Frage beantworten, warum so viele Menschen auf ihrer Suche nach Gott keine Antwort finden. Es liegt daran, dass der Weg zu Gott durch unsere abstrakten Gedankengebilde versperrt ist. So, als ob wir Gott als sterbliche Menschen in den Griff bekommen könnten. So ist es eben nicht. Deshalb enden so viele Denkversuche verzweifelt, ohne Antwort und ohne Lösung.
David macht etwas völlig anderes, wenn er diesen Psalm singt. Er bringt Gott in sein Leben. Und ich möchte Ihnen das heute in diesem Gottesdienst sagen: Wenn Sie den lebendigen Gott mit Ihrem Leben in Beziehung setzen, dann bekommen Sie Gewissheit – auf andere Weise niemals.
Sie können grübeln, forschen, denken und diskutieren, aber Sie müssen es in eine Beziehung bringen – mit Ihrem Leben, mit dem, was Sie tun und entscheiden, mit dem, was sich bei Ihnen gestern, heute und morgen ereignet, mit dem, was Sie bedrückt und beschwert.
Nehmen Sie das und sagen: Der Herr, der Gott, der alles bestimmt, ist der, der mein Leben führt und dem ich alles überlasse. Dann können Sie das so fröhlich singen.
Ich finde, das wäre heute ganz nötig: dass die Christen wieder laut und überall weitersagen: „Der Herr ist mein Hirte.“ Da horchen Leute auf, die die Stirn nicht mehr glatt kriegen, und fragen: „Wie, sind die gewiss im Glauben?“ Wir sagen: „Ja, natürlich!“
Wir sind nicht bloß gewiss, sondern wir machen täglich eine Fülle von Entdeckungen mit unserem Gott. Unser Leben ist eine Schatzkammer, in der wir Gott immer wieder begegnen – im täglichen Leben, in Abläufen.
„Der Herr ist mein Hirte“ ist ein wunderbares Bekenntnis vor den Menschen, das aufhorchen lässt.
Die Bedeutung des Psalms in der Wüste des Lebens
Jetzt habe ich meiner Gewohnheit folgend drei Dinge unterstrichen. Dabei ist in diesem Psalm viel mehr enthalten. Man könnte sogar eine ganze Predigtreihe darüber halten. Zuerst möchte ich sagen, wo dieser Psalm am besten klingt.
Dreimal sind darin drei ganz wichtige Sätze enthalten. Das erste: In der Wüste – in der Wüste würden Sie den Psalm sicher missverstehen, wenn Sie ihn mit dem schönsten Wiesengrund verbinden. Obwohl das immer ein ehrliches Bild ist: saftig grüne Wiesen und ein sprudelnder Bergbach, in dem das Wasser über die Felsen springt – so klares, frisches Wasser.
Dieses Bild ist uns immer vor Augen gestanden durch diese schöne Beschreibung. Man lagert sich an den saftig grünen Wiesen – sehen Sie das wirklich so? Aber wir hatten neulich den ganzen Durchgang durch das Leben Davids, und dann wird uns klar, dass es nie ein Leben im schönsten Wiesengrund war. Es war vielmehr das Leben eines jungen Mannes, dessen Leben schon ganz früh aus der Bahn geworfen wurde.
David ging es schlimm, ihm wurde übel zugesetzt, ihm wurde Unrecht getan. Und das musste er einfach schlucken. Dann musste er fliehen. Er war ein junger Naturbursche, der sich zurückgezogen fühlte in seine Heimatstadt Bethlehem, auf die Hirtenfelder, wo er gerne Dienst tat. Doch das Leben schleuderte ihn hinaus in die sengend heiße Wüste.
Dort kletterte er über Geröll und steile Abhänge. Die Temperaturen waren hoch, und es gab nichts mehr zu trinken. Das ging Jahr um Jahr, Monat um Monat, ohne Aussicht auf ein Ende. Das Leben war so verwirrt – wenn Sie sich das Leben Davids ansehen, der diesen Psalm gedichtet hat.
Dann merken Sie plötzlich: Dieser Psalm gehört in die großen Wüstenzeiten unseres Lebens. Zeiten, in denen wir sagen: Ich kann nicht mehr weiter, ich bin erschöpft. Am Anfang ging es noch, ich hatte noch Kraft und Initiative. Aber jetzt geht es einfach nicht mehr weiter.
Wo ist Gott? Wo ist Gott? Jetzt hören Sie den Chor der Fragenden, die sagen: Wo ist Gott in all dem Leiden eines mühseligen Lebens? Wo kann man ihn finden? David schaut all diese Fragen fröhlich an und sagt: Ich finde ihn da hinter dem Geröllhaufen, da finde ich ihn.
Wenn ich den trockenen Wadi, das Trockental, entlanggehe, da geht er mir voraus. Er hat seine Rastplätze mitten in der Wüste. Der Herr ist da. Er sagt nie, dass sich etwas anderes gelöst hat, sondern dass er genug ist. Der Herr ist da, an ihn kann ich mich halten.
Jetzt müssen Sie wieder wissen: Das Entscheidende an Trost, Ermutigung und Freude ist, dass ich mit ihm reden kann. Ich kann erleben, wie er mich jetzt führt und leitet. Er lässt mich einmal ruhen an einem Rastplatz mitten in der Wüste und reicht mir wunderbarerweise einen Trank.
Ich hoffe, dass schon das Singen der schönen Osterlieder und des Lobliedes in unserem Gottesdienst für Sie so eine Erquickung war, dass Sie sagen: Ich kann wieder weiterlaufen. Aber das hält nicht lange. Dann kommt ein neuer Trank und eine neue Stärkung von unserem Herrn dazu.
Im Rückblick sagte David für sein ganzes wirres Leben, das eigentlich aussieht wie ein komischer Zickzackkurs: Es ist ein gerader Weg, die richtige Straße, obwohl es über Stock und Stein ging. Er sagt: Es war wunderbar, wenn ich zurückschaue. Mein Herr hat mir über jede einzelne Schwierigkeit hinweggeholfen, die sich mir in den Weg stellte.
Ich bin so fröhlich gegangen: Der Herr ist mein Hirte.
Die Bedeutung der Autorität Gottes in der heutigen Zeit
In unserer modernen Zeit muss man hinzufügen, dass hier gesagt wird, das Schönste am Glauben sei die Bindung an die Autorität des Herrn. Die Autorität liebt man heute kaum noch, denn das ist ja das Kennzeichen unserer Zeit. Wahrscheinlich haben sich die Menschen noch nie so sehr selbst in den Mittelpunkt gerückt wie heute.
Das ist übrigens der Grund, warum man Gott nicht mehr sehen kann. Wo man selbst das Höchste ist und mit seinem kritischen Urteil alles in Zweifel zieht, wie sollte man da Gott finden können – von dem wir doch alles erst haben: unsere Lebenskraft, unsere Denkkraft und auch unsere beschränkte Zeit?
„Der Herr ist mein Hirte“ – das ist das jubelnde Bekenntnis. Ich bin doch nicht selbst der Chef, mein Chef ist der lebendige Gott! Und ich überlasse ihm ganz gern die Entscheidung. Ich weiß gar nicht, was morgen kommt. „Herr, lass es geschehen!“ Aber so schön ist es, dass er nicht nur in diesem kühlen und kalten Begriff „Schiff“ von Gott redet, wie wir es vielleicht in einer modernen, schroffen Weise tun könnten.
Er sieht viel mehr von der ganzen Art Gottes. Und er sagt doch: Ich sehe auch in der grausam heißen, durstigen Wüste das Hirtenangesicht Gottes. Sehen Sie das in den Wüstenzeiten: Der gute Hirte geht mir voran.
Darum gehört für mich der Sonntag Misericordias Domini zu den herrlichen Festtagen. Eigentlich müsste man ihn einreihen, wenn uns da das Bild so groß wird. Ob wir es in Kindertagen gesehen haben mit den alten Bildern von Rudolf Schäfer, wie der Hirte das verlorene Schaf aus der Dornhecke löst, so sorgfältig den Dorn herauszieht und dann das Schaf auf seinen Armen trägt und sagt: „Ich kenne dich!“
Das ist die Lebensgeschichte von mir. Und du musst mich so durchtragen bis durch meine letzte Todesstunde hindurch, bis ich einmal bei dir bin in der Ewigkeit. Das ist das Große, was mich so fröhlich macht.
Ich habe doch keinen Mut mehr, dass ich mein Leben bewältige. Schaffen Sie das noch? Wissen Sie, ob Sie all den Versuchungen standhalten? Haben Sie da so selbstverständlich Zuversicht, dass Sie all die Herausforderungen meistern? Ich doch nicht!
„Der Herr ist mein Hirte“, an den habe ich mich gebunden. Ich verstehe nicht, wie es Christen geben kann, die sagen, sie wüssten nicht, ob man sich entscheiden müsste. Natürlich müssen sie sich entscheiden! Wie soll denn Jesus das Kommando in ihrem Leben haben, wenn sie nicht einen ganz klaren Schnitt machen und sagen: Ich möchte nicht mehr selbst das Steuer bei mir haben, ich will hören auf die Hirtenstimme und ich will mich von ihm in allen Dingen leiten lassen?
Und das ist so groß, wie die Christen durch die Jahrhunderte hindurch gerade das Hirtenbild in den Wüstenzeiten bewahrt haben. In der Gegenreformation in Polen haben sie das hineingestickt in die Wilnaer Altardecke, obwohl sie dort noch kein Recht mehr zu leben hatten.
Gehen Sie mal durch die römischen Katakomben und bleiben Sie stehen. Die Leute, die um ihr Leben rannten! Und da freuen sie sich da unten in den Steinbruchhöhlen, dass der gute Hirte vorangeht.
Und das gilt auch bei Ihnen, wenn die Krankheit bei Ihnen furchtbar zuschlägt und keiner mehr weiterweiß, wenn Sie alleingelassen sind, wenn Ihnen Unrecht widerfährt: „Der Herr ist mein Hirte.“
Wollen Sie das auf Ihrer Rechnung leben oder sagen Sie: Herr, ich gebe es jetzt in Deine Hand? Mein Leben gehört dir, und du musst mein Leben führen. Ich kenne dich doch, Jesus, du bist der gute Hirte.
Das Tal der Todesschatten als Bild für Lebenskrisen
Unser erster Punkt ist die Wüste, und der zweite kommt jetzt vom Tal der Todesschatten. So kann man es übersetzen, was bei uns in der unvergleichlichen Luthersprache vom finsteren Tal so eindrücklich ist.
Was ist gemeint mit dem Tal der Todesschatten? Bald täglich hören wir irgendwo im Bekanntenkreis eine schlimme Nachricht, ganz unerwartet. Da ist jemand krank, da hat sich etwas Furchtbares zugetragen. In unserer Zeit wirkt das immer so erschütternd, wenn man plötzlich seinem eigenen Sterben in die Augen sehen muss.
Wir hatten das verschiedentlich in den letzten Sonntagen immer wieder berührt: die Verdrängung des Todes, wie sich der moderne Mensch daran vorbeimogelt. Nicht der medizinische Tod ist das Schlimmste, sondern dass ich durch eine Schlucht geführt werde – so will ich es mal übersetzen – eine Schlucht im Todesschatten. Und da gehe ich hindurch und spüre schon: Mein Leben zerrinnt. Was habe ich eigentlich? Ich habe gearbeitet wie ein Wilder. Was bleibt denn übrig?
Mein Leben wird gewogen, gewogen und zu leicht befunden. Der Tod ist ja immer wieder dieses Mahnen Gottes: Was bringst du einmal mit fürs ewige Gericht? Sie können den Tod in einem ganz anderen Verständnis haben, darüber haben wir am Ostersonntag viel gesprochen. Aber sie betrügen sich um diese Wahrheit, die sie selbst in ihrem Leben erfahren können.
Davon wird heute kaum mehr gesprochen. Das ist das Schwere am Sterben. Und auch die Zurückbleibenden spüren das, trotz aller Worte, die wir machen, die lieb und gut gemeint sind. Da ist etwas von uns gegangen, und das Schlimme ist doch, dass unser Leben vergänglich ist, Staub und Asche. Die Todesschatten fallen weit in unser Leben hinein.
Darum sind auch die Krankheitszeiten vor dem Tod so schwer durchzustehen. Kein einziger sitzt hier unter uns, der sich nicht wünscht, dass bei ihm in null Komma nichts hinübergeht in die neue Welt. Weil wir dieses bewusste Hindurchschreiten durchs Tal der Todesschatten nicht aushalten.
Aber beim Tal der Todesschatten ist nicht nur an unsere Krankheiten und die Erwartung des Todes gedacht, sondern das ganze Leben ist ein Leben in den Todesschatten. Warum sollen wir vielmehr nicht auch die Nöte mittragen, wie das beginnt? Wenn ein Kind geboren wird und welche Lasten und Mühsal dadurch gelitten werden, wie das ein Kampf ist, ein Ringen und wie man da allein steht.
Dieser Weg durch die Todesschatten wird so furchtbar. Das Tal der Todesschatten kann so schlimm werden, dass einer sagt: Ich halte das gar nicht mehr aus. Dass in unserer Zeit die psychischen Zusammenbrüche sich häufen, wen überrascht das denn bei diesen vielfachen Beanspruchungen? Aber noch viel schlimmer: Wir haben ja gar keinen Halt mehr.
Wer sich nur an sich selber hält, der hat ja nichts. Dass da irgendwo seine eigene Psyche oder sein Körper diesen Stress nicht durchhält, ist ja gar kein Wunder. Wie soll er das auch halten können?
David hat ein anderes Rezept: „Ich fürchte kein Unglück, du bist da.“ Auch wenn das einer bloß in seinem Prüfungsstress praktiziert und weiß: Ich fürchte kein Unglück, du bist da. Und wenn das einer voller Sorgen realisiert und sagt: Im Tal der Todesschatten, das gehört zur Mitte des Lebenskampfs, du bist bei mir.
Und merken Sie wieder: Er redet doch nicht über Gott als über irgendein abstraktes Wesen, so wie es die Philosophen und die Theologen manchmal tun. Gott als die Tiefe des Daseins, im So-Sein, als der Urgrund meiner Existenz oder was sie sagen können. Nein, du! Er ist mit Gott per Du! Und da spricht er mit ihm.
Wenn Sie nicht diese persönliche Beziehung mit Gott haben, sind Sie allein und haben niemanden, keinen Trost. „Du bist bei mir, und ich fürchte kein Unglück.“
Die Realität des Lebens und die Zusage Gottes
In diesen Tagen sind die Zeitungen wieder voll mit schlimmen Nachrichten von der Weinpanscherei. Das ist wirklich eine schlimme Sache, was da so einige tun. Man kann sich dadurch sogar den Tod holen. Die Empörung ist groß, und die Leute fragen: Was soll man denn noch machen? Da hat man ja Angst vor allem.
Jetzt möchte ich einen Satz sagen, wenn Sie mich richtig verstehen. Ich möchte die Weinpanschereien nicht verniedlichen – das sind schlimme Dinge. Aber mit allem, was Sie in diesem Leben einnehmen, holen Sie sich den Tod, selbst wenn Sie nur Reformkörner essen. Sehen Sie, Sie holen sich überall den Tod. Nein, manches ist gefährlicher als anderes.
Das Schlimme ist, dass wir dieses Leben meistern und doch genau wissen: Mit allem, was wir tun, wird unser Leben abgenutzt und schwächer. So holen wir uns Krankheit, werden müde und matt. Wir sind doch solche im Todesschatten.
Aber das ist meine Freude, die mir Zuversicht schenkt: Der Herr ist bei mir. Darum würde ich auch sagen, wir können gar nicht leben und sagen: Mensch, was ist da wieder drin? Welche Kriegsgefahr kommt auf uns zu? Was liegt vor uns? Du kannst nur jeden Tag vor dir nehmen und sagen: Du bist bei mir.
Ich habe Ihnen ja oft erzählt, wie wir das in den Bombenkellern erlebt haben, wenn die Mutter das mit uns gebetet hat. Als der ganze Schutzraum voller Staub und Dreck war und man meinte, das Haus sei zusammengebrochen, da bist du da. Das hält doch in all den Stunden, die kommen mögen, in denen ich nicht mehr aus und ein weiß.
Das gibt es in dieser Welt. Wenn Sie durch die Schweiz in den Süden fahren, da ist ja diese schöne vierbeinige Straße jetzt durch die Viamala gebaut. Mich interessiert das immer, und wenn es irgendwie geht, halte ich dort mal kurz an und schaue hinunter. Meine Fantasie bleibt dann stehen wie im Mittelalter, als die Menschen hinüberzogen durch die Schlucht der Viamala.
Es ist ja romantisch und schön, weil die Straße heute oben so schön ist. Damals war das schlimm. Wenn da Geröll herunterrutschte und die Fuhrleute hinüber mussten oder gar Räuber unterwegs waren und aufgelauert haben.
Der Weg, den Christen gehen, ist nicht bloß die Via Mala, die böse Straße, sondern die Via Dolorosa, die Straße der Schmerzen. Das sollten wir als Christen auch sagen: Jesus führt uns denselben Weg.
In Jerusalem kann man herrlich vorbeipilgern und Fotos machen. Das kann man aber im Christenleben nicht, wenn man die echte Via Dolorosa geht. Die in Jerusalem ist die unechte. Die echte werden wir geführt.
Und da sagt Paulus: Wir sind immer darin den Tod gegeben um Jesu Willen. Wir werden immer wieder an diese Grenze geführt. Er hat auch nie versucht, sein Leben zu schonen, selbst wenn Horden von Leuten gegen ihn standen und Steine warfen.
Dann ging er mutig entgegen und sagte: Mit mir geht ein starker Herr. Und dann war er unerschrocken. Im Seesturm sagte er: Leute, habt guten Mut, mit mir ist der Herr. Wie konnte er das so sicher wissen?
So darf man das sagen: Seid unbekümmert, mit mir ist der Herr. Die Sache geht fröhlich weiter, und ich gehe auch den Weg, wo man Schmerzen erleben muss. Denn wir haben an der Todeslinie nicht die Angst, die der moderne Mensch heute hat.
Wir können an der Todeslinie stehen und Osterlieder singen, weil wir wissen: Jesus lebt. Das ist jetzt wichtig, dass wir das so wieder bekennen und fröhlich sagen.
Darum müssen manchmal Christen all das durchleiden und an ihrem eigenen Körper demonstrieren. Sie sagen den Leuten: Leute, das ist alles nicht so schlimm, wie ihr redet. Selbst das Sterben ist es nicht, das uns Angst macht, nicht die Krankheit und nicht das Schwere. Du bist doch da, das tröstet mich.
Die Gegenwart Gottes im Angesicht der Feinde
Aber noch ein Letztes im Angesicht der Feinde: Wir hatten in der Wüste, im Tal der Todesschatten, in der Schlucht der Todesschatten – noch im Angesicht der Feinde.
Da werden Sie sicher und hoffentlich sagen: „Ich habe doch keine Feinde!“ Wenn man mal von den paar Nachbarn absieht, mit denen man ab und zu Wortgefechte hat, und von Kollegen, mit denen es auch Schwierigkeiten gibt. Das soll es ja auch beim Pfarrer geben, dass man Spannungen hat. Also Feinde? Aber Feinde hat man eigentlich nicht.
Da haben Sie Feinde. Da merken wir, dass wir den biblischen Realismus verloren haben. Was sind denn Feinde? Die Bibel spricht von Feinden, aber doch nie von Menschen. Selbst Saul hat David nicht als Feind betrachtet. Sie erinnern sich doch noch, wie liebend er ihn anredete. Selbst dort in der Wüste hat er ihn vergebend angerufen. Christen sollten Menschen nie zum Feind haben.
Aber wir sollten ganz nüchtern und klar wissen, dass ein ganzes Heer unheimlicher, dämonischer Feinde unterwegs ist, um unser Leben von Gott wegzureißen.
Ja, kann man heute noch so reden? Ja, so muss man reden. Wer die Wirklichkeit der Hölle leugnet und den Teufel, der wird in diesem Leben immer nur eine rosarote Seite sehen und dann merken, das stimmt nicht.
Wenn sogar Jesus den Versuchungen des Teufels ausgesetzt war, dann werden Sie doch nicht überrascht sein, dass vielleicht schon heute oder morgen in Ihrem Leben Prüfungen kommen. Dass Sie durch Tiefen gehen, wo Sie sagen: „Ich habe gar keine Freude mehr.“ Dann kommen Sie plötzlich in Verunsicherungen, und da kommen lauter Dinge auf Sie zu.
Sie werden Enttäuschungen von Menschen erleben.
Ja, was war denn alles bei David los? Er hat ja erleben müssen, wie Saul, den er doch verehrt und geliebt hat, von einer dunklen Macht beherrscht wurde. Das gibt es ja. Und da müssen wir doch in einer Welt leben und dürfen nicht mit Hass antworten.
Darum gefällt mir der Abschnitt aus dem ersten Petrusbrief so: Da, wo wir in dieser Welt die Spuren der Finsternis sehen, da sollen wir nicht zurückschlagen.
In diesen Jahren ist ja eine große Versuchung, dass Christen plötzlich meinen, sie müssten auch mit weltlichen Mitteln zurückschlagen, und das sei doch die Kraft, wenn sie sich auch noch einmischen.
Petrus, du hast eine andere Macht, hat Jesus ihm zugerufen. Und das hat er da gewusst: Ich kann in die Fußstapfen Jesu treten, der litt! Er trug es und überwand es, und ich darf ihm hinterherlaufen. Er hat mir eine Spur hinterlassen. Da ist ein Weg in der Wüste, und ich kann gehen. Da kann ich durch die Schlucht laufen, ich werde nicht abstürzen, weil ich doch seinen Stab höre, mit dem er immer wieder auf den Boden klopft.
Ich habe doch sein Wort, wo er mir ruft. Sonst wüsste ich ja gar nicht, ob er mich noch führt.
Sie müssen immer dem Ohr nachgehen, wo er denn mit seinem Wort ist. Und ich gehe fröhlich meinen Weg, auch in den Schwierigkeiten und Dunkelheiten meines Lebens, weil ich weiß: Er führt mich.
Und da deckt er mir den Tisch übervoll. Ach, ist das schön, wenn man so richtig heiß hungrig essen kann! Und dann schenkt er ein, dass es überfließt.
Das ist nicht wie die kleinen Colafläschchen, wo man trinkt und dann noch den Durst nicht gestillt hat, verstehen Sie? Sondern überfließend schenkt er ein. Dann salbt er das Haupt mit Öl. Ich weiß nicht, ob das zuerst geistlich gemeint ist oder ob das nicht gegen den Sonnenbrand gemeint ist, die ausgedörrte Haut.
Unser Herr kümmert sich doch um die Bedürfnisse meines Leibes im Angesicht meiner Feinde. Ich stehe da gegenüber, selbst was ich noch in meiner Todesstunde leider empfinden muss: dass der Tod Feind ist, der mein Lebenswerk zerstören will, der mich von Gott trennen will.
Und da deckt er mir den Tisch, und dann gibt Gott solche herrlichen Rastplätze.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang. Es ist ein ganz herrlich reiches Leben.
Und gegen die Problematisierung der Gottsuche unserer Tage nützt nur das fröhliche Singen und Reden der Gläubigen, die mit ihrem Leben klargemacht haben: Er ist mein Herr.
Schlussgedanken: Die Auferstehung als Fundament des Glaubens
Ich möchte mit einem Gedanken zum Ostertag schließen. Sicher haben viele von Ihnen die Erfahrung gemacht, dass jemand ganz überrascht zu Ihnen sagt: „Du glaubst also wirklich, dass Jesus aus dem Grab auferstanden ist und lebt?“
Dann antworten Sie fröhlich: „Ja, ja.“ Ohne ihn wäre mir vor diesem Tag und vor der Nacht bang. Ohne ihn wüsste ich nicht, was ich tun soll. Ohne den auferstandenen Jesus, wenn ich nicht wüsste, dass er mir vorangeht, wäre alles umsonst.
Wenn Jesus nicht auferstanden ist, wäre jedes Wort von dieser Kanzel der größte Betrug. Was könnten wir dann trösten? Was könnten wir den Kranken sagen und wofür sollten wir beten? Jede Marke, die in der Kollekte eingesammelt wird, wäre nichts anderes als eine Lumperei, weil der, von dem wir reden, nicht lebt.
Jesus macht alles in Ihrem Leben wahr und real. Sie müssen ihn in Ihr Leben einlassen und ihn zu Ihrem guten Hirten machen. Dann können Sie fröhlich und sicher Ihren Weg gehen. Amen!
