Einführung in die Situation des Paulus und die Einordnung der Briefe
Wir hatten den Ersten Timotheusbrief abgeschlossen und wollten uns heute dem Zweiten Timotheusbrief widmen.
Viele Christen sagen, dass man, auch wenn die Situation zwischendurch schwierig ist und Menschen sich problematisch entwickeln, einfach nur lang genug vertrauen und dem Herrn treu bleiben muss. Dann wird alles gut, weil der Herr alles im Griff hat und es gut macht. Sorgen seien daher überflüssig oder im schlechtesten Fall sogar Sünde.
Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob Paulus dem zugestimmt hätte. Er hat sich viele Sorgen gemacht, und die Situationen, in denen er sich befand, waren oft alles andere als ermutigend. Er hatte, glaube ich, auch nicht immer das Gefühl, dass alles gut ausgeht. Wir werden das heute sehen und den Brief vielleicht etwas differenzierter betrachten.
Wie gesagt, wir haben den Ersten Timotheusbrief angeschaut. Dort schreibt Paulus zu Beginn an Timotheus, dass er ihn in Ephesus zurückgelassen hat. Ob Paulus selbst direkt in Ephesus war oder nur in der Nähe vorbeigekommen ist und Timotheus sozusagen in der Gegend zurückgelassen hat, muss man nicht genau festlegen. Was man aber sieht, ist, dass Paulus zu dieser Zeit unterwegs war.
Das ist eigentlich erstaunlich, denn die vier Jahre zuvor war er im Gefängnis: zuerst zwei Jahre in Caesarea, dann eine große Schiffsfahrt mit Schiffbruch nach Rom und anschließend zwei Jahre in Rom. Die Apostelgeschichte endet an dieser Stelle.
Wenn wir den Titusbrief und den Ersten Timotheusbrief lesen, merken wir, dass Paulus nicht mehr im Gefängnis ist. Offensichtlich haben sich seine Hoffnungen erfüllt, dass er freigelassen wurde.
Schauen wir uns nun den Zweiten Timotheusbrief an. Wenn man sich Einteilungen von Paulusbriefen anschaut, gibt es oft die Kategorie der Gefängnisbriefe. Dazu zählen meist der Epheserbrief, der Kolosserbrief, der Philipperbrief und manchmal auch der Philemonbrief. Diese Briefe werden häufig als private Briefe eingeordnet.
Dann gibt es die sogenannten Pastoralbriefe: den Titusbrief, den Ersten Timotheusbrief und den Zweiten Timotheusbrief. Diese Briefe sind ausdrücklich an Verantwortliche von Gemeinden gerichtet.
Wenn man genauer hinsieht, ist der Zweite Timotheusbrief jedoch auch ein Gefängnisbrief. Diese Einteilung ist also nicht ganz vollständig. Der Zweite Timotheusbrief wurde ganz offensichtlich aus dem Gefängnis geschrieben.
Das bedeutet, dass zwischen dem Ersten und dem Zweiten Timotheusbrief Paulus wieder verhaftet wurde, diesmal erneut in einem Gefängnis in Rom.
Wenn man die Gefängnisbriefe miteinander vergleicht, zum Beispiel vor allem den Philipperbrief und den Zweiten Timotheusbrief, fällt auf, dass die Stimmung und die Erwartung in diesen Briefen sehr unterschiedlich sind.
Unterschiedliche Gefängnisaufenthalte und ihre Auswirkungen auf Paulus
Also noch einmal ganz kurz zurück zu Apostelgeschichte Kapitel 28, dort, wo die Apostelgeschichte endet. Paulus befindet sich zu dieser Zeit noch in seiner ersten Gefangenschaft in Rom. Ich lese einmal Apostelgeschichte 28, Vers 30: „Er aber blieb zwei ganze Jahre in seinem eigenen gemieteten Haus und nahm alle auf, die zu ihm kamen, und predigte das Reich Gottes und lehrte mit aller Freimütigkeit die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen, ungehindert.“
Das ist das Charakteristikum dieser ersten Gefangenschaft. Es ist eine interessante Gefangenschaft. Paulus ist zwar gefangen und darf nicht weg, aber in der Praxis bedeutet das eigentlich, dass er nicht in einem Gefängnis sitzt, sondern unter Hausarrest steht. Er mietet sich ein eigenes Haus, kann offenbar so viele Besucher empfangen, wie er möchte, und predigt von dort aus. Offensichtlich kommen auch relativ viele Leute zusammen.
Paulus predigt das Wort Gottes in Rom, und die Apostelgeschichte endet im Griechischen mit dem Wort „ungehindert“. Ich weiß nicht, wie das in eurer Übersetzung ist, aber im Griechischen ist das der Schluss. Das ist der Charakter dieser zwei Jahre in Rom. Paulus hat sehr darunter gelitten, dass er nicht reisen durfte. Er hat so viele Probleme in den Gemeinden gesehen, dass er sicherlich an der einen oder anderen Stelle gerne persönlich vor Ort gewesen wäre.
Abgesehen davon war sein Dienst trotz Gefangenschaft ungehindert. Das charakterisiert diese erste Gefangenschaft. Wenn wir nun im Philipperbrief nachsehen, der wahrscheinlich der letzte Brief ist, der aus dieser Gefangenschaft überliefert wurde, wirkt es zumindest ein bisschen so. Wir schauen mal in Philipper Kapitel 1. Ich lese ab Vers 23:
„Ich werde aber von beidem bedrängt, indem ich Lust habe, abzuscheiden und bei Christus zu sein, was weit besser ist. Das Bleiben im Fleisch aber ist nötiger um eurer Willen, und in dieser Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen bleiben werde zu eurer Förderung und Freude im Glauben.“
Paulus ist also fest überzeugt, dass diese ganzen Verhandlungen in Rom nicht damit enden, dass er verurteilt wird und entweder für den Rest seines Lebens im Gefängnis bleiben muss oder sogar hingerichtet wird. Vielmehr ist er sehr überzeugt, dass es notwendig ist, dass er freigelassen wird und demnächst wieder bei ihnen sein kann.
Das kommt an verschiedenen Stellen zum Ausdruck, besonders im Philipperbrief. Noch eine Stelle, die auch eine Parallele zu 2. Timotheus hat. Dort steht in Kapitel 2, Vers 17:
„Aber wenn ich auch als Trankopfer über das Opfer und den Dienst eures Glaubens gesprengt werde, so freue ich mich und freue mich mit euch allen.“
Das Trankopfer, als Trankopfer „gesprengt“ zu werden, ist eigentlich ein Bild für das Sterben. Im Alten Testament, wenn Opfer gebracht wurden, legte man Teile eines Tieres auf den Brandopferaltar. Darüber musste immer noch ein Trankopfer gegossen werden. Das war eine gewisse Menge Wein, vielleicht ein Viertel Hinen Wein. Vielleicht habt ihr mal nachgeschaut, was ein Hinen ist, ich habe es wieder vergessen, aber egal.
Das Trankopfer gab dem Ganzen noch einmal einen anderen Geruch. Ansonsten ist es völlig verschwunden. Wenn man zum Beispiel über einem Braten ein Gläschen Wein gießt, sieht man es hinterher nicht mehr, es verdampft einfach. Paulus sagt: Wenn mein Leben so vergeht, wenn ich vergessen werde, wenn mein Name in der Geschichte verloren geht, wenn es einfach weg ist – aber ihr im Glauben vorangeht, weitergeht und Frucht bringt –, dann reicht mir das völlig. Dann freue ich mich mit euch. Mein Name muss nicht groß werden, ich kann verschwinden wie so ein Trankopfer, vergessen werden von allen. Hauptsache, es geht weiter. Hauptsache, es geht weiter bei euch und natürlich auch in anderen Gemeinden.
Das ist es, was er hier mit diesem Bild ausdrückt. Im Alten Testament gibt es natürlich noch andere Formen von Trankopfern. Zum Beispiel goss David Wasser aus, das seine Männer aus dem Brunnen von Bethlehem geholt hatten, weil er in einem unbedachten Moment gesagt hatte, das wäre es, was er sich jetzt wünscht. Er sagte, die Männer seien fast umgebracht worden, weil sie sich heimlich Wasser geholt hatten. Das könne er nicht trinken, das müsse er für Gott ausgießen. Das Wasser wurde auf dem Boden ausgeschüttet und verdampfte sofort im Orient. Das ist das Bild, das Paulus hier gebraucht.
Okay, das nur, weil es auch eine Parallele gab. Die Stimmung in der ersten Gefangenschaft, in diesen Gefängnisbriefen, ist: Ja, ich bin angebunden, aber ich kann eigentlich ungehindert wirken und lehren. Das wird demnächst vorbei sein. Paulus ist sehr überzeugt, dass er euch demnächst wieder besuchen kann. Das drückt er an verschiedenen Stellen aus. Ich habe jetzt nicht alle Stellen mit euch gelesen, vor allem im Philipperbrief.
Die zweite Gefangenschaft und die veränderte Stimmung
Schauen wir uns kurz die Stimmung im zweiten Timotheusbrief an. In dieser zweiten Gefangenschaft befindet sich Paulus offensichtlich nicht mehr in einem eigenen gemieteten Haus. Er spricht oft von Ketten – das tat er zwar auch schon in der ersten Gefangenschaft, doch hier scheint die Situation noch ernster zu sein.
Paulus erwähnt, dass er bereits Besuch empfangen konnte, zum Beispiel ist Lukas noch bei ihm. Allerdings musste jemand, der ihn besuchen wollte, ihn erst suchen und finden. Es war also offensichtlich nicht mehr so wie bei der ersten Gefangenschaft, wo man einfach wusste, dass Paulus in einem gemieteten Haus wohnte. Vielmehr handelte es sich offenbar um eine Zelle in einem Gefängnis, was die Lage deutlich unangenehmer machte.
Lesen wir nun 2. Timotheus 4,6: „Denn ich werde schon als Trankopfer gesprengt.“ Direkt im Anschluss ergänzt Paulus: „Die Zeit meines Ablegens ist gekommen.“ Hier zeigt sich, dass Paulus keine Hoffnung mehr hat, aus diesem Gefängnis freigesprochen zu werden. Er ist fest davon überzeugt, dass er vielleicht noch ein paar Monate in Haft verbringen wird, doch am Ende verurteilt und getötet wird.
Die Kirchengeschichte bestätigt, dass der zweite Timotheusbrief vermutlich der letzte Brief ist, den Paulus verfasste. Zu diesem Zeitpunkt lebte er offensichtlich noch. Die Überlieferung ist, zumindest grob betrachtet, einigermaßen glaubwürdig: Paulus wurde als römischer Bürger verurteilt und außerhalb von Rom durch Enthauptung hingerichtet.
Paulus rechnet also fest damit. Er sagt: „Ich werde als Trankopfer gesprengt.“ Nun geht es nicht mehr darum, vielleicht vergessen zu werden, sondern darum, dass er tatsächlich sterben wird. Sein Leben wird enden.
Der zweite Teil des Verses lautet: „Die Zeit meines Ablegens ist gekommen.“ Hier verwendet Paulus ein interessantes Bild. Das griechische Wort, das er benutzt, wurde damals hauptsächlich genutzt, wenn ein Schiff ablegte. Man sprach auch davon, ein Lager abzubrechen, wenn Soldaten ein Nachtlager aufgelöst und sich auf den Weg gemacht haben. Am häufigsten aber wurde es für Schiffe verwendet, die den Hafen verlassen, indem das Tau gelöst wurde, das sie an der Mole hielt, und das Schiff Fahrt aufnahm.
Dieses Bild benutzt Paulus hier: Sein Leben auf dieser Erde geht zu Ende. Er tritt eine Reise an, legt ab von dieser Welt, und das geschieht bald. Es ist nicht mehr lange hin. Darum geht es in diesem Vers.
Hinweise auf Paulus’ Reise und Verhaftung
Okay, wie ist die Situation hier? Ich möchte mit euch hauptsächlich ein paar Verse aus Kapitel 4 lesen, um einige Hinweise darauf zu bekommen, wie es Paulus damals ging und was zu dieser Zeit passiert ist.
Wir steigen ein in Kapitel 4, Vers 13. Dort steht: „Den Mantel, den ich in Troas bei Kapus zurückließ, bringe mit, wenn du kommst, und die Bücher, besonders die Pergamente.“
Das ist ein kleiner Hinweis auf die Geschichte. Offensichtlich war Paulus unterwegs im Raum der Ägäis. Troas kennt ihr ja aus der Apostelgeschichte. Es ist der Ort, von dem er ursprünglich gerufen wurde, zum ersten Mal nach Europa zu kommen. Von dort aus setzte er über nach Philippi, wo er diesen mazedonischen Mann gesehen hat.
Offensichtlich war Paulus wieder in Troas bei einem Herrn Kapus, einem Bruder, den vermutlich auch Timotheus kannte. Vermutlich war es Sommer, also kann es sein, dass es Frühling oder Frühsommer war. Paulus wollte verschiedene Besuche machen. Wir wissen nicht genau, was er alles in dieser Region vorhatte. Die eine Seite ist die türkische Westküste, die andere Seite die griechische Küste. Es ist unklar, ob er zu dieser Zeit auf beiden Seiten war.
Auf jeden Fall hat Paulus beschlossen, dass er zu viel Gepäck dabei hat. Für die Zeit, in der er reisen wollte, brauchte er seinen Mantel nicht, weil es gerade warm wurde. Auch seine Bücher und Pergamente wollte er nicht mit sich herumtragen. Darum hat er alles bei Kapus deponiert und hatte vor, es irgendwann wieder abzuholen.
Was dann passiert sein muss, ist, dass Paulus auf dieser Reise tatsächlich verhaftet wurde. Ohne noch einmal nach Troas zurückkehren zu können, wurde er nach Rom abtransportiert. Wie genau das passiert ist, wissen wir nicht. Ob es von Rom aus einen Befehl gab, ihn erneut zu verhaften, oder ob die örtlichen Behörden ihn verhafteten und beschlossen, nicht selbst über ihn zu Gericht zu sitzen, sondern ihn nach Rom zu bringen für ein neues Gerichtsverfahren, wissen wir nicht. Dazu gibt es keine Überlieferung, schon gar keine inspirierten Überlieferungen.
Also war Paulus unterwegs und wurde offensichtlich unterwegs verhaftet. Das sieht man auch später noch einmal. In Kapitel 4, Vers 20 steht: „Erastus blieb in Korinth, Trophimus aber habe ich in Milet krank zurückgelassen.“
Was davon noch zu seiner freiwilligen Reise gehörte und was schon zum Gefangenentransport zählte, ist unklar. Ob er zum Beispiel freiwillig noch in Milet war, das relativ nah bei Troas liegt, und ob Korinth schon auf dem Gefangenentransport lag, wissen wir nicht.
Aber auf jeden Fall hat Paulus offensichtlich diese beiden Städte in diesem Zusammenhang berührt.
Die Bitte an Timotheus und die schwierigen Umstände
Okay, er ist jetzt in Rom. Er sagt zu Timotheus: Timotheus, bitte komm zu mir. Brich deinen Dienst in Ephesus ab. Ich habe jemanden anders hingeschickt, der ein Stück weit deine Aufgaben übernehmen kann. Ich hätte dich total gerne noch einmal hier. Ich würde dich total gerne noch einmal persönlich sehen, weil ich glaube, es ist nicht mehr viel Zeit.
Und jetzt sagt Timotheus letzten Endes in Kapitel vier, Vers einundzwanzig: Befleißige dich, vor dem Winter zu kommen.
Das kann zwei Bedeutungen haben. Die eine Bedeutung ist, dass er nicht glaubt, dass es noch so lange dauert, bis er noch lebt oder dass die Verhandlungen sich noch so lange hinziehen. Wenn du es nicht schaffst, vor dem Winter zu kommen und dann vielleicht durch den Winter noch aufgehalten wirst in deiner Reise und erst im Frühjahr kommst, dann kann es zu spät sein, dass wir uns noch einmal sehen auf dieser Erde.
Aber es kann natürlich auch sein, dass er sich nach seinem Mantel gesehnt hat. Vermutlich wurde es langsam Herbst, und es kann ein Hinweis darauf sein, dass seine Zelle nicht so gemütlich war. Er hatte wahrscheinlich den Eindruck, er wird bald seinen Mantel brauchen, spätestens wenn es Winter wird.
Vermutlich war diese Zelle kühl, vermutlich war sie feuchtkühl und wahrscheinlich auch langweilig. Er konnte wahrscheinlich bei weitem nicht so viel Besuch haben wie in seinem eigenen gemieteten Haus. Die Besucher wurden reguliert. Ich meine, wie jetzt in der Krise. Leute, die im Altenheim sitzen und vielleicht nur eine Stunde am Tag oder in manchen Altenheimen eine Stunde in der Woche Besuch bekommen dürfen, erleben das meistens auch so. In so einem richtigen Gefängnis ist Besuch ebenfalls reglementiert.
Paulus sagt, ich langweile mich, ich brauche meine Bücher. Wenn ich schon mit niemandem reden kann, muss ich studieren. Bring meinen Mantel mit, es wird langsam kalt. Und bring meine Bücher mit, es wird langweilig.
Es war kein angenehmer Gefängnisaufenthalt. Aber vielleicht sind das nur Äußerlichkeiten.
Feindschaft und Verlassenheit in der Gefangenschaft
Er sagt zu Timotheus: Jetzt kommen wir noch einmal zurück zu Kapitel 4, Vers 13. Dort waren wir gerade beim Mantel und bei den Büchern. In Vers 14 sagt er: „Alexander, der Schmied, hat mir viel Böses erwiesen. Der Herr wird ihm vergelten nach seinen Werken. Vor ihm hüte auch du dich, denn er hat unseren Worten sehr widerstanden.“
Wir wissen nicht genau, wo Alexander, der Schmied, war. Es gibt zwar einen Alexander in Ephesus, aber es steht nichts darüber, ob dieser Schmied war oder ob es sich wirklich um dieselbe Person handelt. Damals war der Vorname Alexander durch Alexander den Großen so verbreitet, dass es viele Alexanders gab. Deshalb ist es eigentlich unmöglich, allein anhand des Namens festzustellen, ob es dieselbe Person ist, wenn der Name mehrfach vorkommt.
Egal ob es in Ephesus war, wahrscheinlich eher nicht, oder ob es in Troas war, wo Timotheus hin musste, oder ob es in Rom war, wo Paulus ankommen sollte, oder an einer anderen Station, von der Paulus wusste, dass er wahrscheinlich dorthin reisen würde: Paulus sagt, Timotheus solle sich vor ihm in Acht nehmen. Alexander hat Paulus viel Böses getan.
Ob Alexander direkt an Paulus’ Verhaftung beteiligt war, etwa durch Denunziation, oder ob er hinterher böses Blut gemacht hat, als Paulus schon gefangen war, und dadurch Menschen, die ihn transportieren oder für den Gefängnisaufenthalt verantwortlich waren, gegen Paulus aufgebracht hat, wissen wir nicht. Aber Paulus sagt klar: Er hat mir viel Böses getan.
Da ist jemand, der sich wirklich gegen Paulus gestellt hat und dafür gesorgt hat, dass seine Umstände schlimm wurden und ihn belasteten. Paulus warnt: Pass auf vor ihm, habe kein Vertrauen zu ihm, denn er wird dich hintergehen. Vielleicht reicht es schon, wenn Alexander weiß, wann und wo du bist, um einen Plan gegen dich auszuführen. Paulus sagt: Nimm dich vor ihm in Acht. Sorge dafür, dass er nicht zu viele Informationen über deine Reise bekommt.
Paulus merkte, dass er Feinde hat, die ganz persönlich gegen ihn agierten. Das war wahrscheinlich nichts Neues für ihn, denn solche Erfahrungen hatte er schon länger gemacht.
Dann kommt Vers 16. Hier offenbart sich etwas, das Paulus wirklich wehgetan hat: „Bei meiner ersten Verhandlung stand mir niemand bei, sondern alle verließen mich. Es werde ihnen nicht zugerechnet.“ Das klingt bitter.
Paulus war im Gefängnis, und das war kein leichter Ort. Er hatte seine erste Verhandlung, und wahrscheinlich war nicht jeder zugelassen. Wenn er sagt, alle verließen ihn, und Lukas vorher erwähnt wird, der noch bei ihm war, kann man sich nicht vorstellen, dass Lukas ihn verlassen hat. Wahrscheinlich war Lukas einer derjenigen, die im Gerichtssaal nicht zugelassen waren.
Paulus ist überzeugt, dass einige seiner Freunde, vielleicht sogar einige der Geschwister in Rom, die Möglichkeit gehabt hätten, im Gerichtssaal zu sein und ihm den Rücken zu stärken. Doch keiner war da, und keiner hat den Mund aufgemacht. Paulus sagt: Alle haben mich verlassen. Alle haben mich in dieser Situation allein gelassen.
Das ist bitter, oder? Wenn einem das passiert. Paulus hat sein Leben in Menschen investiert. Sein Leben ist ein Leben, das in Menschen investiert ist. Er hat so viel durchgemacht. Wenn man den zweiten Korintherbrief liest, sieht man, was er alles wegen Menschen erlitten hat, um sie mit dem Evangelium zu erreichen.
Im zweiten Timotheusbrief schreibt er in Kapitel 2: „Darum erdulde ich alles um der Auserwählten willen. Ich nehme das alles auf mich wegen Menschen, die ich zu Gott bringen kann, die ich einmal im Himmel sehen will.“
Wenn Paulus dann gefangen ist, eine Gerichtsverhandlung ansteht und der eine oder andere von seinen vielleicht noch nicht gläubigen Bekannten oder auch von den Geschwistern eine Position in der Gesellschaft hat, die es ihnen ermöglicht hätte, im Gerichtssaal zugelassen zu werden, muss Paulus sagen: Alle haben mich verlassen. Keiner hatte den Mut, sich zu mir zu stellen.
Das ist bitter, gerade wenn man so viel investiert hat. Jesus hat einmal gesagt: „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ Paulus hat seinen Schatz unter anderem dadurch aufgebaut, dass er in Menschen investiert hat, und dort war sein Herz.
Wenn in so einer Situation dann so wenig zurückkommt, ist das natürlich verletzend. Paulus sagt zwar, es werde ihnen nicht zugerechnet. Natürlich gab es Argumente, aber ich glaube, es hat trotzdem wehgetan.
In Kapitel 4, Vers 17 heißt es: „Der Herr stand mir bei und stärkte mich.“ Das hat Paulus wirklich gespürt: Der Herr war da, damit durch ihn die Predigt vollbracht würde und alle, die aus den Nationen hören wollten.
Er hatte in diesem Gerichtssaal die Möglichkeit, noch einmal etwas vom Evangelium zu sagen. Dann folgt ein interessanter Satz: „Ich bin gerettet worden aus dem Rachen des Löwen.“ Das kann bildlich gemeint sein. Die Bedrohung war wie ein Löwe – die Gefahr, dass er in diesem Augenblick schon zum Tod verurteilt wird, war für ihn wie die Bedrohung durch einen Löwen.
Es kann aber auch wörtlich gemeint sein. Vielleicht stand wirklich im Raum, dass er in die Arena kommen sollte. Das war zur damaligen Zeit nicht ausgeschlossen. Vielleicht war das wirklich ein Vorschlag der Staatsanwaltschaft, dass er zum Tod in der Arena durch Löwen verurteilt wird. Das ist möglich.
Diese Perspektiven standen ihm vor Augen, und er ist dankbar, dass der Herr ihn gerettet hat. Aber mit so einer Aussicht zu leben, mit so einer Aussicht in eine Verhandlung zu gehen – das ist schon krass.
Abwendung in Asien und das Beispiel Onosiphorus
Gehen wir noch einmal ein Stück zurück, Kapitel 1 von 2. Timotheus. Dort gibt es einen Vers, der etwas schwierig einzuordnen ist. Ich lese ihn euch erst einmal vor, Kapitel 1, Vers 15:
„Du weißt, dass alle, die in Asien sind, sich von mir abgewandt haben, unter denen Phygelus und Hermogenes sind.“
Die Frage ist: Was bedeutet das? Wer sind „alle, die in Asien sind“? Asien ist hier nicht der Kontinent Asien, das wisst ihr als Bibelstudenten. Asien war damals eine römische Provinz, die ungefähr dem Gebiet der heutigen Westtürkei entspricht. Die Hauptstadt von Asien war Ephesus, genau dort, wo Paulus gerade diesen Brief hinschreibt, und wo Timotheus war.
Ich meine, sicher hat sich Timotheus nicht von Paulus abgewandt. Wahrscheinlich auch nicht jeder in seinem direkten Umfeld. Aber es gab viele Gemeinden in der Provinz Asien. Alle Gemeinden, die in Offenbarung Kapitel 2 und 3 erwähnt werden, lagen in der Provinz Asien. Selbst die Gemeinden in Kolossä, Hierapolis und Laodizea gehörten noch zu dieser Provinz, nicht nur zur Landschaft Asien. Die Provinz war also größer als die Landschaft Asien.
Wir wissen nicht genau, ob Paulus hier die Gemeinden insgesamt meint. Aber all das, was um Ephesus herum lag, gehörte zu dieser Region, und es gab zu der Zeit schon einige Gemeinden. Paulus sagt: „Alle, die in Asien sind, haben sich von mir abgewandt.“
Es gibt verschiedene Szenarien, wie man sich diesen Satz vorstellen kann. Das, was ich momentan bevorzuge, ist: Paulus wurde wahrscheinlich in Asien verhaftet. Wahrscheinlich ist es ein Ausdruck dafür, dass dort zumindest lokal der Druck von außen schärfer wurde.
Man sieht das auch im gesamten zweiten Timotheusbrief, dass Timotheus nicht mehr nur innergemeindlich unter Druck stand – etwa durch Leute, die im ersten Timotheusbrief falsche Lehren und Betonungen eingeführt haben –, sondern dass der Druck von außen enorm zugenommen hatte. Der politische Druck.
Es kann sein, dass das zu diesem Zeitpunkt kein Reichs-weit gültiger Effekt war, sondern speziell in dieser Gegend. Möglicherweise wurde Paulus verhaftet und nach Rom geschickt zur Verhandlung. Gleichzeitig nahm der Druck auf die Gemeinden zu, besonders auf die Verantwortlichen.
Die wenigsten von euch haben wahrscheinlich schon einmal in einem Land gelebt, in dem Gemeinden oder Christen wirklich unter Druck standen. Ich war in den Achtzigerjahren oft in Rumänien und weiß ein bisschen, wie es den Gemeinden dort damals erging. Der Druck wurde immer über die Verantwortlichen ausgeübt.
Jede Gemeinde, selbst wenn sie eigentlich von einer Ältestenschaft geleitet wurde, musste einen Verantwortlichen benennen, der gegenüber dem Staat verantwortlich war. Wenn es Probleme gab, wurde dieser Verantwortliche von den Behörden vorgeladen, musste Rede und Antwort stehen und bekam Anweisungen. Den Druck sollte er an die Gemeinde weitergeben.
Das ist ein Szenario, das man sich vorstellen kann: Auf die Verantwortlichen der Gemeinden in der Provinz wurde Druck ausgeübt, sich von Paulus zu distanzieren. „Der ist verhaftet, wird gerade untersucht, ob er staatsfeindliche Dinge tut. Wenn ihr zu ihm steht, wird es euch nicht guttun.“
Es kann sein, dass Paulus mit „alle, die in Asien sind“ nicht alle einzelnen Geschwister meint, sondern alle Verantwortlichen der Gemeinden. Alle hätten gesagt: „Ja, Paulus hatte früher Einfluss auf unsere Gemeinde, aber heute sind wir überzeugt, dass das alles etwas zu extrem ist. Nein, heute haben wir eigentlich nicht mehr viel mit ihm zu tun.“
Das sind Aussagen, die man sich vorstellen kann: „Alle, die in Asien sind, haben sich von mir abgewandt.“ Und das wäre ein Szenario, das weh tut. Es waren Gemeinden, die Paulus gegründet hat, die er gelehrt hat, an die er seine Briefe geschrieben hat und wo er Mitarbeiter hingeschickt hat.
Es war nicht die Gemeinde in Philippi oder Thessaloniki, zu denen er vielleicht noch ein engeres Verhältnis hatte. Aber er war drei Jahre in Ephesus und hat offensichtlich aus der ganzen Region Leute in einer Schule des Tyrannus gesammelt und gelehrt. Er hat die Grundlagen für all diese Gemeinden gelegt.
Und jetzt muss er schreiben: In dieser Situation, wo ich verhaftet bin und wo im Raum steht, dass ich staatsfeindlich bin, haben sie sich alle von mir abgewandt. „Du weißt es, Timotheus.“
Das ist heftig. Es ist gefährlich, sich zu Paulus zu stellen, sich seiner Ketten nicht zu schämen. Aber es hätte ihm gut getan.
Es gab eine Ausnahme. Ich möchte nur kurz darauf eingehen, wir machen das wahrscheinlich irgendwann noch ausführlicher. Es ist eine Stelle, die man unterschiedlich auslegen kann.
Ich lese weiter, Kapitel 1, Vers 16:
„Der Herr gebe dem Haus des Onesiphorus Barmherzigkeit, denn er hat mich oft erquickt und sich meiner Ketten nicht geschämt.“
Da war jemand, der anders war. Er kam ebenfalls aus Asien, genauer gesagt aus der Gemeinde in Ephesus.
In Vers 18 heißt es weiter: „Wie vielen er in Ephesus diente, weißt du am besten, Timotheus.“
Onesiphorus war in Rom. Wahrscheinlich ist er nicht extra nach Rom gefahren, um Paulus zu besuchen – das war eine beschwerliche und weite Reise. Aber er war aus irgendeinem Grund in Rom, vielleicht aus geschäftlichen Gründen, keine Ahnung. Und er hat sich der Ketten von Paulus nicht geschämt, hat sich nicht gescheut, zu Paulus zu stehen.
Baudus sagt dazu: „Denn er hat mich oft erquickt und sich meiner Ketten nicht geschämt, sondern als er in Rom war, suchte er mich fleißig.“
Onesiphorus hätte Argumente gehabt zu sagen: „Ich habe gefragt, aber niemand wusste, wo er ist. Ich bin raus, was soll ich mehr tun?“ Aber Baudus sagt, er suchte Paulus fleißig und fand ihn.
Und das ist wirklich so. Dieser halbe Satz „und er fand mich“ – da liegt viel drin. Ich glaube, es hat Paulus wirklich etwas bedeutet, dass Onesiphorus ihn gesucht hat, bis er ihn gefunden hat. Dass er irgendwann in die Zelle eingelassen wurde und ihn sehen konnte. Dass er wusste: Da ist jemand, der zu mir hält, der bereit ist zu sagen: Ich bin ein Freund dieses Gefangenen, dieses politischen Gefangenen.
Aber es geht ein bisschen tragisch weiter. Paulus schreibt:
„Der Herr gebe ihm, dass er vonseiten des Herrn Barmherzigkeit finde an jenem Tag.“
„An jenem Tag“ ist oft ein Ausdruck für das zukünftige Gericht Gottes. Viele Ausleger sagen, wahrscheinlich ist Onesiphorus umgekommen. Nun muss der Herr seiner Familie, die ohne ihren Versorger dasteht, Barmherzigkeit geben.
Ich vermute, dass das etwas anders gemeint ist. Das ist meine persönliche Theorie. Ich glaube, dass „an jenem Tag“ hier nicht das zukünftige Gericht meint, sondern dass Onesiphorus ebenfalls verhaftet wurde und eine Verhandlung bevorstand.
Paulus wünscht sich, dass der Herr ihm Barmherzigkeit an diesem Tag schenkt. Seine Familie war wahrscheinlich noch in Ephesus. Es ist nicht klar, ob Onesiphorus freigesprochen wird. Paulus wünscht sich sehr, dass der Herr ihm diese Barmherzigkeit gibt.
Seine Familie war wahrscheinlich finanziell in Not. Hoffentlich haben die Geschwister für sie gesorgt. Sie waren ohne ihren Beschützer, was in der damaligen Zeit nicht einfach war. Außerdem trug die Familie den Makel, dass das Familienoberhaupt im Gefängnis war.
Alle anderen Verantwortlichen in Asien hatten ein Argument, warum sie sich nicht zu Paulus und seinen Ketten stellen sollten. Sie hatten ein Vorbild, was passiert, wenn es einer tut.
Vielleicht ist Onesiphorus tatsächlich umgekommen, vielleicht war er auch einfach im Gefängnis. Aber das war schlimm genug. Sie wussten, was es für ihre Familien bedeuten würde, wenn sie sich zu Paulus stellen und dass sie das gleiche Schicksal erleiden könnten wie Onesiphorus.
Das ist heftig. Ich glaube, es hat Paulus unglaublich viel bedeutet, dass Onesiphorus ihn gesucht hat, bis er ihn fand und irgendwann da war. Gleichzeitig war es ein Schmerz, zu sehen, was das für Folgen hat.
Bei seiner Verhandlung hat sich niemand vor ihn gestellt. Für Onesiphorus, der es gewagt hat, hatte das offensichtlich keine positiven Folgen. Und alle in Asien haben sich von Paulus distanziert.
Wow!
Verlassenheit durch Demas und der Einsatz von Paulus
Noch eine Stelle. Noch einmal zurück zu Kapitel vier, Vers neun: Befleißige dich, bald zu mir zu kommen.
Denn Demas hat mich verlassen, weil er den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen hat und nach Thessalonich gegangen ist. Ich meine, dass noch zwei weitere Personen ebenfalls weggegangen sind. Ich glaube, sie sind einfach in den Dienst gegangen. Es gab immer noch viel zu tun, es war eine große Bewegung. Es war gut, wenn die Mitarbeiter dort blieben, wo sie gebraucht wurden.
Bei Demas war die Situation jedoch anders. Er ging nicht, weil er eine Aufgabe oder einen Auftrag in der Gemeinde in Thessalonich hatte. Demas ging, weil er sagte: Leute, was wir in den letzten Jahren zusammen gemacht haben, war vielleicht doch ein bisschen zu extrem. Vielleicht waren wir zu extrem, vielleicht war Paulus zu extrem.
Paulus sagt, Demas habe den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen. Vielleicht stammte Demas aus Thessalonich, vielleicht ist er einfach zurückgegangen nach Hause und hat gesagt: Es lohnt sich nicht. Ich will noch ein paar Jahre auf dieser Erde leben und für meine Familie da sein oder vielleicht eine Familie gründen. Ich will nicht mehr diesen extremen Weg mitgehen, den Paulus geht oder vielleicht irgendwann einmal gegangen ist.
Man kann ein bisschen Christ sein und leben, ohne es extrem zu sein. Man kann Christ im Alltag sein. Ich glaube, es hat Paulus wehgetan. Nicht, weil er von jedem denselben Lebensstil erwartet hätte, den er selbst geführt hat, aber jemand, der eine ganze Weile mit ihm zusammen war, der sich hinter ihn gestellt hat und jetzt sagt: Nein, das ist nicht mehr mein Weg – das hat Paulus wehgetan.
Paulus’ Lebensbilanz und der Auftrag an Timotheus
Okay, und jetzt? Stell dir vor, du hast dein Leben in diesem Extrem investiert. Du bist gesteinigt worden, wurdest mehrmals mit Stöcken oder Peitschen ausgepeitscht. Du hast dreimal Schiffbruch erlitten. Wir kennen keinen einzigen dieser Schiffbrüche aus eigener Erfahrung. Der einzige, von dem wir wissen, steht in der Apostelgeschichte, und Paulus zählt das alles im 2. Korintherbrief auf.
Du hast dich in Gefahren begeben, durch falsche Brüder und durch Räuber. Wenn man der Geschichtsschreibung glauben darf, waren Räuber die Plage des Altertums. Schon im Schwimmbad musstest du aufpassen, dass nicht plötzlich jemand ein Messer in deinen Rücken hält und sagt: „Gib mir deine Geldbörse!“ Oder das Messer wandert ein paar Zentimeter weiter in deinen Rücken hinein. Auf Wegen und Reisen war es noch schlimmer, manchmal auch in Herbergen.
Paulus sagt, er hat all diese Gefahren auf sich genommen. Er erduldet alles um der Außerwelt willen. Und dann sitzt er hier im Gefängnis. Einer seiner besten Mitarbeiter sagt: „Ich gehe zurück, ich gehe nicht mehr mit.“ Alle, die es hätten tun können, lassen ihn bei seiner Verhandlung im Stich. Gemeinden in der ganzen Provinz wenden sich von ihm ab und sagen: „Uns ist es zu gefährlich, uns mit Paulus zu zeigen.“ Und da stehst du.
Jetzt versetze dich in diese Situation. Du schreibst deinen Brief an deine Kinder oder an dein einziges Kind, an deinen Sohn. Du musst ihnen vielleicht das Letzte sagen, was du ihnen sagen wirst, falls du nicht rechtzeitig zurückkommst oder sie nicht mehr lebend antriffst. Du musst ihnen sagen, wie sie leben sollen.
Was hättest du Timotheus geschrieben? Paulus hatte keine leiblichen Kinder. Ich glaube, Timotheus war derjenige, der ihm am nächsten stand. Wenn wir die Einleitungen zu den beiden Timotheusbriefen lesen, 1. Timotheus 1,2: „Timotheus, meinem echten Kind im Glauben.“ Timotheus war für ihn wie ein Sohn.
Im Philipperbrief schreibt Paulus einmal: „Ich habe keinen, der so gleichgesinnt ist wie Timotheus, der so mit mir die Anliegen teilt, der so mit mir die Bereitschaft zum Einsatz teilt. Ich habe keinen wie Timotheus.“ Und hier sagt er: „Timotheus, meinem echten Kind im Glauben.“
Vielleicht ist Timotheus tatsächlich durch Paulus direkt oder indirekt gläubig geworden. Aber ich glaube nicht, dass Paulus das hier meint. Ich denke, er will sagen: Ich habe ihn geprägt im Glauben. Ich habe ihn beeinflusst. Ob er durch ihn wirklich gläubig geworden ist oder nicht, spielt keine große Rolle. Paulus war der, der ihn geprägt hat. Bei jedem Schritt, den Timotheus gegangen ist, war Paulus dabei. Er ist sein echtes Kind im Glauben.
Timotheus war jemand, der Paulus wirklich am Herzen lag. Im 2. Timotheusbrief, Kapitel 1, Vers 2, formuliert Paulus das ganz ähnlich, wenn auch etwas anders: „Timotheus, meinem geliebten Kind.“ So beginnt er diesen Brief.
Was würdest du deinem geliebten Kind in dieser Situation schreiben? Timotheus, du hast schon viel investiert, ich habe noch viel mehr investiert. Schau dir an, wie sie mit mir umgehen. Schau dir an, wie sich alle von mir abwenden.
Timotheus, das hat sich nicht gelohnt. Demas kann ich dir nur empfehlen: Mach es wie er. Geh zurück nach Lystra oder nach Derbe zu deiner Familie. Such dir eine nette gläubige Frau, engagier dich in der Gemeinde so weit, dass du irgendwie noch halbwegs mit deinem Gewissen übereinstimmst. Freu dich an deiner Frau und deinen Kindern.
Demas ist der Einsatz, den wir die Jahre gebracht haben. Schau dir an, was rauskommt. Schau dir an, was an Menschen übrig bleibt. Demas meint: Es lohnt sich nicht. Ich wünsche mir für meinen Sohn etwas anderes. Ich wünsche mir, dass du glücklich wirst.
Ja, ich hätte es geschrieben. Ich wäre so frustriert gewesen, dass ich das geschrieben hätte, garantiert. Aber Paulus hat es nicht geschrieben.
Der Auftrag und die Ermutigung an Timotheus
2. Timotheus Kapitel 1 enthält Stellen, die wir noch ausführlicher betrachten werden. Aber ganz kurz: Was schreibt Paulus an Timotheus?
In 2. Timotheus 1,8 heißt es: „Timotheus, schäme dich nun nicht des Zeugnisses unseres Herrn noch meiner, seines Gefangenen, sondern leide Trübsal mit dem Evangelium.“ Timotheus, es gibt Trübsale, und es sind nicht nur äußere Leiden. Manchmal ist es auch Enttäuschung. Aber schäme dich nicht für das Evangelium und auch nicht für mich, selbst wenn ich jetzt im Gefängnis bin.
Viele Menschen, auch Gläubige, tun das. „Schämen“ bedeutet hier nicht unbedingt das, was wir im Deutschen mit „Schämen“ verbinden. Im Griechischen steckt mehr dahinter: Es bedeutet nicht nur, dass einem etwas peinlich ist und man rot wird, wenn man darauf angesprochen wird. Es bedeutet auch, dass man sich zurückzieht. Wenn wir uns schämen, ziehen wir uns oft zurück und sprechen nicht mehr über bestimmte Dinge.
Hier geht es nicht darum, dass Timotheus sich peinlich fühlen soll. Vielmehr soll er sich nicht zurückziehen. Er soll zum Evangelium stehen und zu Paulus halten. Das wünscht Paulus sich, egal was es bedeutet. Timotheus ist ihm nicht egal. Es geht nicht darum, ihn zu verheizen, sondern um wichtige Dinge: Beziehungen und das Evangelium.
Timotheus, sei bereit, Trübsal zu leiden, egal wie es gerade aussieht. Paulus ist überzeugt, dass es sich lohnt.
In Kapitel 2, Vers 3 heißt es: „Nimm teil an den Trübsalen als ein guter Kriegsmann Christi Jesu.“ Timotheus, du bist Soldat Jesu. Du hast dich als Soldat anwerben und verpflichten lassen, und das bedeutet: Trübsal annehmen. Paulus wünscht sich, dass Timotheus den Weg weitergeht.
Im Kapitel 4, dem letzten großen Appell, zeigt sich, worauf der Brief hinausläuft. In Vers 1 sagt Paulus: „Ich bezeuge ernstlich vor Gott und Christus Jesus, der da richtet die Lebenden und die Toten, und bei seiner Erscheinung und seinem Reich.“ Timotheus, wir stehen jetzt zusammen vor Gott.
In dem Moment, in dem du das liest, stehen wir zusammen vor Gott – ich, der es geschrieben hat, und du, der es liest. Du stehst nicht nur vor mir, der ich weit weg bin und von dem du nur einen Brief hast, sondern wir stehen gemeinsam vor Gott. Mach dir das bewusst. Wir stehen vor Christus Jesus, der richten wird die Lebenden und die Toten, auf den es wirklich ankommt, der das letzte Wort hat. Er wird erscheinen und sein Reich aufbauen.
Mit dieser Ernsthaftigkeit, vor diesen Zeugen, vor Gott und Christus Jesus, gibt Paulus Timotheus einen Auftrag: „Predige das Wort, halte darauf zu gelegener und ungelegener Zeit, überführe, weise ernstlich zurecht, ermahne mit aller Langmut und Lehre.“
Das bleibt der Auftrag: Predige das Wort und halte daran fest – zu gelegener und ungelegener Zeit. Manchmal denken wir, wir müssen das Evangelium auch dann verkünden, wenn es gerade nicht passt. Aber es geht nicht darum, ob es für den anderen passt. Wir sollten Gelegenheiten wählen, bei denen der andere offen ist.
Vielleicht hast du gerade Angst, dich zu outen. Vielleicht ist es für dich gerade keine gelegene Zeit – eine Zeit, in der das mit zu viel Risiko verbunden ist. Doch Timotheus, predige das Wort zu gelegener und ungelegener Zeit. Vielleicht hast du nicht mehr viele Gelegenheiten.
Paulus schreibt weiter, dass es eine Zeit geben wird, in der sich Lehrer aufhäufen und Lehren verbreiten, die ihnen in den Ohren kitzeln. Es wird nicht mehr viele offene Ohren geben. Timotheus, zieh dich nicht zurück, nur weil die Zeiten für dich persönlich schwierig sind. Tu es jetzt!
In Vers 5 heißt es: „Sei du aber nüchtern in allem, leide Trübsal, tu das Werk eines Evangelisten, vollführe deinen Dienst!“ Leide Trübsal und bleibe aktiv mit dem Evangelium. Tu deinen Dienst! Für Timotheus bedeutete das nicht nur Evangelisation, sondern auch viel Dienst in der Gemeinde.
Das Leiden und die Frustration gehören dazu – und trotzdem soll er es tun. Warum? Paulus schreibt weiter: „Denn ich werde schon als Trankopfer ausgeschenkt, und die Zeit meines Ablegens ist gekommen. Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt.“
Fortan liegt ihm bereit die Krone der Gerechtigkeit, die der Herr, der gerechte Richter, ihm an jenem Tag geben wird – nicht nur ihm, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieben.
Timotheus, das bedeutet, auf dieser Erde zu leiden, viel zu investieren, wenig zurückzubekommen, oft enttäuscht zu werden, auch durch Menschen. Aber es gibt eine Krone der Gerechtigkeit, die allen zuteilwird, die seine Erscheinung lieben.
In Kapitel 4, Vers 18 schreibt Paulus: „Der Herr wird mich retten von jedem bösen Werk und bewahren für sein himmlisches Reich, dem die Herrlichkeit sei von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Paulus hatte diese Perspektive. Er wusste, dass sich das Leiden lohnt, weil das Gefängnis und der Scharfrichter, der ihn töten wird, nicht das letzte Wort haben.
In Kapitel 1, Vers 12 sagt Paulus: „Aus diesem Grund leide ich dies auch, aber ich schäme mich nicht, ich ziehe mich nicht zurück, denn ich weiß, wem ich geglaubt habe, und bin überzeugt, dass er mächtig ist, das anvertraute Gut zu bewahren.“
Paulus war überzeugt, dass jemand fähig ist, das, was er begonnen hatte, zu bewahren und weiterzuführen – auch wenn er selbst bald nichts mehr beitragen konnte. Wenn Paulus diese Überzeugung nicht gehabt hätte und wenn nicht Timotheus und Menschen wie er weitergegangen wären, was wäre aus dem Evangelium geworden?
Jesus selbst ist der Mächtige, der das anvertraute Gut bewahrt. Paulus musste es ihm anvertrauen, weil er selbst bald nichts mehr tun konnte. Doch er war überzeugt, dass Jesus es bewahren wird.
Noch einmal, in Kapitel 2, Vers 10 heißt es: „Deswegen erdulde ich alles um der Auserwählten willen, damit auch sie die Errettung erlangen, die in Jesus Christus ist, mit ewiger Herrlichkeit.“
Das war Paulus’ Perspektive: in Menschen zu investieren, nicht nur damit sie nicht verloren gehen, sondern damit sie die ewige Herrlichkeit erlangen.
Er sagt zu Timotheus: Egal, was es kostet, es lohnt sich. Es geht um viel. Timotheus, du wirst den Staffelstab übernehmen müssen. Wahrscheinlich wirst du künftig nicht nur Verantwortung für die Gemeinde in Ephesus tragen, sondern vielleicht zusammen mit anderen für die ganze Bewegung, die Gott durch uns ins Leben gerufen hat.
Viele haben bisher auf Paulus geschaut, bald werden sie auf dich schauen. Timotheus, schäme dich nicht, zieh dich nicht zurück. Ergreife den Staffelstab. Übernimm die Verantwortung.
Abschließende Gedanken zur Botschaft von 2. Timotheus
Wenn man auf den Herrn vertraut, geht nicht immer alles gut aus. Paulus hätte gesagt: Das ist gelogen. Es gibt so viele Geschichten von einzelnen Menschen und Gemeinden, die auf dieser Erde nicht gut ausgehen.
Wenn dir jemand erzählt hätte, dass du gläubig geworden bist, oder als er dich für den Glauben gewinnen wollte, dann hätte er dich angelogen. Auf dieser Erde geht nicht alles gut aus. Aber es gibt trotzdem eine Zukunft.
Es gibt eine Zukunft für sein Reich, das damals auf der Kippe stand. Es gibt eine Zukunft für uns, für die es sich lohnt zu investieren. Es gibt eine Zukunft für viele Menschen, in die wir investieren, und für viele von ihnen hoffentlich eine herrliche Zukunft.
Timotheus, es lohnt sich. Es sieht gerade nicht so aus, aber ich bin überzeugt: Es lohnt sich. Das ist die Botschaft von 2. Timotheus.
Jetzt habt ihr eigentlich fast die ganze Botschaft von 2. Timotheus schon gehört. Ich meine, wir werden sie hoffentlich noch einmal ein bisschen im Detail anschauen. Aber das ist die Botschaft von 2. Timotheus und die Botschaft für heute. Amen.
