Ja, ich freue mich immer wieder, hier zu sein, und mit euch diese etwas wilde Reihe zu machen. Wie soll ich sagen, auch heute wird es wieder ein bisschen ungewöhnlich, weil ein Thema kommt, bei dem ich sagen muss: Hm, ich wüsste nicht, dass ich das schon mal so gepredigt habe. Das sind einfach Themen, bei denen man anfängt und denkt: Hm, spannend. Man kann das vielleicht auch von einer anderen Seite betrachten und müsste mal von dieser Seite predigen.
Ich fange mal so an: Jesaja Kapitel 5, Verse 1 bis 4. Jesaja 5,1-4 ist ein Lied. Ich lese es mal vor:
"Singen will ich von meinem Freund, dem Lied meines Liebsten von seinem Weinberg. Einen Weinberg hatte mein Freund auf einem fetten Hügel. Er grub ihn um, säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben. Er baute einen Turm in seine Mitte und hieb auch eine Kelterkufe darin aus. Dann hoffte er, dass er Trauben brachte, doch er brachte schlechte Beeren."
Und nun richtet doch, Bewohner von Jerusalem und Männer von Juda, zwischen mir und meinem Weinberg.
"Was war an meinem Weinberg noch zu tun, und ich hätte es nicht an ihm getan? Warum habe ich erwartet, dass er Trauben bringe, und er brachte schlechte Beeren?"
Ganz einfach: Das ist Poesie, ein Lied. Der Weinberg ist in Wirklichkeit gar kein Weinberg, sondern ein Bild für das Volk Israel. Der Freund, der hier spricht, ist Gott selbst. Gott hofft auf eine reiche Ernte, aber er bekommt schlechte Beeren.
Wenn man weiterliest, merkt man, worum es geht. Der letzte Vers, Vers 4, klingt fast ein bisschen frustriert. Hört euch das noch mal an:
"Was war an meinem Weinberg noch zu tun, und ich hätte es nicht an ihm getan? Warum habe ich erwartet, dass er Trauben bringe, und er brachte schlechte Beeren?"
Gott steht da und sagt: Entschuldigung, was soll ich bitteschön noch tun mit euch?
Jetzt die Übertragung der Beeren. Was hat sich Gott eigentlich gewünscht? Wie gesagt, man muss nur ein kleines Stück weiterlesen, wenige Verse, bis Vers sieben. Dort kommt dann die Auflösung.
Da heißt es: „Denn der Weinberg des Herrn der Heerscharen ist das Haus Israel, und die Männer von Juda sind die Pflanzung seiner Lust. Er wartete auf Rechtsspruch, und siehe da, Rechtsbruch; auf Gerechtigkeit, und siehe da, Geschrei über Schlechtigkeit.“
Was Gott hier bei seinem Volk sucht, ist Recht und Gerechtigkeit. Heute reden wir also über das Reich Gottes, und unsere Unterüberschrift lautet Gerechtigkeit.
Man kann ganz allgemein sagen: Gott erwartet von seinen Leuten – also von denen, die sein Volk sind – Gerechtigkeit. Das ist die Frucht, die sich Gott im Alten Testament wünscht. Und genau so ist es auch im Neuen Testament. Nichts hat sich daran geändert. Gott will Gerechtigkeit im Leben seiner Gläubigen sehen.
Israel hatte, wie wir gerade gelesen haben, tatsächlich jede Chance, Gott zufriedenzustellen. Aber sie haben die Chancen, die sie hatten, einfach nicht genutzt. Sie hatten, wenn man so will, das Gesetz und sie hatten die Propheten.
Wenn ihr euch die Propheten anschaut und überlegt, was die gemeinsame Botschaft aller Propheten ist, kann man wirklich alle Propheten unter eine Überschrift stellen. Sie sagen fast immer dasselbe: „Ihr Lieben, wo ist meine Frucht, wo ist Gerechtigkeit in eurem Leben?“
Das ist das, worauf die Propheten immer und immer wieder eingehen. Deshalb findet man im Alten Testament auch immer wieder das Paar Recht und Gerechtigkeit.
Und damit wir die beiden Begriffe richtig verstehen: Sie haben sowohl eine rechtliche als auch eine ethische Natur. Es geht einerseits um das, was vor Gericht Recht ist. Aber bei Recht und Gerechtigkeit geht es nie nur darum, was einen Richter betrifft. Ich bin immer selbst auch gefragt. Das heißt, es gibt immer diese moralische Komponente. Recht und Gerechtigkeit meint mich.
Ich habe euch drei Verse mitgebracht, damit ihr diesen Zusammenhang seht. Wenn ihr sie lest, denkt nicht einfach, das Gehör sei nur für den Richter – es gilt auch für mich.
In Ezechiel heißt es zum Beispiel in Ezechiel 18,21: „Wenn aber der Gottlose umkehrt von all seinen Sünden, die er getan hat, und alle meine Ordnungen bewahrt und Recht und Gerechtigkeit übt.“ Das gilt jetzt für jeden Gottlosen. Und was ist die Verheißung, wenn er Recht und Gerechtigkeit übt? Hier im Text steht: „Leben soll er und nicht sterben.“
Oder in den Sprüchen heißt es in Kapitel 21, Vers 3: „Gerechtigkeit und Recht üben ist dem Herrn lieber als Schlachtopfer.“ Auch hier merken wir wieder, dass der Einzelne sich überlegen muss, was Gott wichtig ist. Gott sagt ihm: „Gerecht und Recht üben, das ist mir wirklich wichtig.“
Im Psalm 119 heißt es dann im Vers 121: „Ich habe Recht und Gerechtigkeit geübt.“ Da stellt sich jemand hin und sagt: „Hey, ich habe das gemacht. Und weil ich es gemacht habe, bitte ich Gott, stell dich jetzt auf meine Seite.“ Es geht dann weiter mit: „Überlass mich nicht meinen Unterdrückern.“
Frage: Wie übt man Recht und Gerechtigkeit?
Das ist eigentlich gar nicht so kompliziert. Und das ist auch schon die Quintessenz dieser Predigt: Man gibt jedem das, was er verdient. Darum geht es.
Wenn du also sagst, du möchtest Recht und Gerechtigkeit üben, dann gib jedem das, was er verdient. Das heißt: Ich beschütze die Schwachen, ich versorge die Armen, ich kümmere mich um die Hilflosen, ich halte die Gebote Gottes und ich bestrafe die Bösen.
Wenn das so ein bisschen in deinem Kopf ist, dann ist das Recht und Gerechtigkeit. Und dann ist klar: Wenn ich das so formuliere, dann fängt das Konzept von Recht und Gerechtigkeit tatsächlich in einem Gerichtssaal an – wo sonst?
Es beginnt damit, dass der Angeklagte so lange unschuldig ist, bis man seine Schuld bewiesen hat. Oder dass eine Anklage schon im Alten Testament nur auf zweier oder dreier Zeugen hin Bestand hatte.
Ich finde es übrigens total super, dass im Alten Testament eine Falschaussage ganz streng bestraft wurde. Wusstest du, dass im Alten Testament, wenn du ein Lügenzeuge warst – also wenn du etwas Falsches ausgesagt hast und das herauskam – man dich mit der Strafe bestraft hätte, die der Angeklagte bekommen hätte, wenn man auf deine Falschaussage gehört hätte? Irre, oder?
Das heißt: Die Leute, die falsche Aussagen gegen Jesus gemacht haben, und es am Ende dazu kam, dass Jesus gekreuzigt wurde, die hätten eigentlich alle gekreuzigt werden müssen.
Das Alte Testament ist an vielen Stellen brillant, und ich denke oft: Boah, wie schnell würde sich unser Rechtssystem verändern, wenn nur diese eine Regel eingeführt würde. Du bekommst bei einer Falschaussage die Strafe, die der andere bekommen hätte, wenn man dir geglaubt hätte. Dann sage ich lieber nichts.
Wenn so etwas bekannt wird, kann das in meinem Leben sehr heftig werden. Die Regel mit den zwei oder drei Zeugen kennt ihr sicher auch aus dem Neuen Testament. Zum Beispiel dort, wo es um Älteste geht: Man darf keine Anklage gegen Älteste annehmen, außer sie wird durch zwei oder drei Zeugen bestätigt.
Allgemein gilt aber vor allem Matthäus 18, wo Sünde unter Geschwistern behandelt wird. Was soll ich da tun? Zuerst soll ich die Person alleine ansprechen und sagen: „Hey, ich sehe, in deinem Leben ist das und das nicht in Ordnung.“ Wenn die Person dann sagt, sie will nichts davon hören, höre nicht zu oder will es nicht wissen, dann gehe ich mit zwei oder drei weiteren Personen hin.
Dann bekommt die Person quasi Recht und Gerechtigkeit. Hier, Freund, das sind meine Zeugen. Ich lese euch kurz Vers 16 aus Matthäus 18 vor: „Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde.“ Das ist einfach ein Akt der Gerechtigkeit.
Es geht nicht darum, dass jemand hingeht und sagt: „Du machst das falsch“, und ich dann einknicken muss. Nein, es kann gerne noch ein zweiter und ein dritter Zeuge dazu kommen. Aber wenn mir drei Leute sagen, dass ich falsch liege, dann wird es schwierig für mich. Drei Zeugen sind wirklich genug. Ab diesem Punkt fängt für mich als Angeklagten das Problem an, vorher vielleicht noch nicht so stark.
Gerechtigkeit beginnt immer damit, dass ich nicht vorschnell urteile. Ich bin wirklich ein Freund der Sprüche geworden. Dort heißt es an einer Stelle: „Im Recht scheint, wer in einer Streitsache als Erster auftritt.“ Das ist einfach so. Wer zuerst sagt: „So war es“, dem glauben die meisten zunächst. Bis der Nächste kommt und ihn hinterfragt.
Solange jemand noch nicht im Kreuzverhör war und alles noch nicht hinterfragt wurde, sieht das alles gut aus. Es kann wirklich sein, dass man viel zu schnell urteilt.
Und ich hatte gesagt: Gerechtigkeit bedeutet, dass ich jedem gebe, was ihm zusteht. Wenn das stimmt, was setzt das voraus? Es setzt tatsächlich voraus, dass jeder Mensch Rechte hat.
Wenn jemand sagt: „Ich muss dir geben, was dir zusteht“, dann hast du Rechte. Du kannst sagen: „Jürgen, das möchte ich von dir haben.“ Diese Rechte habe ich, weil ich Mensch bin. Das sind nicht Rechte, die mir der Staat gibt, sondern Gott hat sie mir im Moment meiner Zeugung gegeben. In dem Moment, in dem ich entstanden bin – im Leib meiner Mutter, wo Gott entschieden hat, aus Eizelle und Samenzelle einen neuen Menschen zu machen – da bekomme ich Rechte.
Ich bin in der Lage, auf mein Recht zu verzichten. Ich kann sagen: „Ich will das nicht durchsetzen.“ Aber niemand darf mir dieses Recht einfach wegnehmen. Wenn er es tut, wird er an mir schuldig.
Lasst uns mal ein Recht anschauen, damit wir eine Idee davon bekommen, wovon ich eigentlich rede. Ich habe das Recht, dass man nicht schlecht über mich redet. Wo nehme ich das her? Vielleicht kommt ihr jetzt nicht darauf, aber es steht in Jakobus 3,9-10. Dort heißt es: „Mit ihr, das ist die Zunge, preisen wir den Herrn und Vater, und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bild Gottes geschaffen worden sind. Aus demselben Mund geht Segen und Fluch hervor. Dies, meine Brüder, sollte nicht so sein.“
Das heißt, hier sind Menschen, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind. Gott selbst sagt – oder wie Jakobus es ausführt – die Folge davon ist, dass man nicht schlecht über sie reden darf. Das heißt, ich habe ein Recht auf einen liebevollen Umgang mit mir, um es ganz einfach zu sagen. Ich bin Geschöpf Gottes, und als Geschöpf Gottes darf ich einfordern, dass Menschen liebevoll mit mir umgehen.
Da denkst du: Wow, das geht weiter. Ihr alle kennt Rechte, die wir haben. Eltern haben das Recht darauf, dass ihre Kinder sie ehren. Ich habe das Recht, mein Leben zu behalten. Deshalb heißt es in der Bibel: Du sollst nicht morden.
Ich habe auch das Recht, nicht bestohlen zu werden, und darauf, dass niemand als Lügenzeuge gegen mich aussagt – und so weiter. Als Neutestamentler können wir sogar noch einen Schritt weitergehen, denn wir kennen Matthäus 7,12.
Das Alte Testament wird oft als apodiktisch beschrieben, also gesetzmäßig. An vielen Stellen wird gesagt: „Du sollst das und das nicht tun“, was Gott definitiv nicht möchte. Im Neuen Testament weist uns der Herr Jesus darauf hin, dass diese Gesetze nur die Spitze des Eisbergs sind.
Eigentlich kann ich all diese Gebote unter Matthäus 7,12 zusammenfassen: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen auch; denn darin besteht das Gesetz und die Propheten.“
Das bedeutet, ich weiß für mich selbst, was ich mir wünsche und wie ich behandelt werden möchte. Dieses Recht hat auch der andere im Umgang mit mir. Wenn ich also möchte, dass Menschen gut mit mir umgehen, dann sollte ich genauso gut mit ihnen umgehen.
Wenn Gerechtigkeit darin besteht, das Recht des Nächsten anzuerkennen – einfach deshalb, weil wir im Bild Gottes geschaffen sind – dann heißt das natürlich auch, dass ich mit entsprechenden Konsequenzen rechnen muss, wenn ich das nicht tue. Dabei geht es wirklich auch um Strafe.
Recht und Gerechtigkeit – die Gerechtigkeit, die Gott in unserem Leben sehen möchte – leitet sich daraus ab, dass der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Recht hängt nicht von den Taten des Menschen ab.
Das, was der andere tut, ist nicht die Grundlage dafür, wie ich mit ihm umgehen soll, sondern das, was er ist: die Tatsache, dass er im Ebenbild Gottes geschaffen wurde.
Wenn Gott von uns Gerechtigkeit in unserem Leben sehen möchte, dann ist derjenige, der Gerechtigkeit liebt, immer der, der seinem Nächsten nichts Böses tut. Das muss so sein.
Das bedeutet: Wenn alle Menschen Gerechtigkeit lieben würden, so wie Gott die Gerechtigkeit liebt, und Gott die Frucht bekäme, die er von seinem Weinberg erwartet, dann gäbe es in dieser Welt nichts Böses. Es würde keinen Mord geben, keinen Diebstahl, keinen Betrug. Es gäbe keine Gewalt, kein schlechtes Gerede, keinen Missbrauch.
Auch sexuelle Belästigung würde es nicht geben, keinen Ehebruch und keinen Menschenraub. All das wäre einfach nicht vorhanden.
Denn es ist völlig klar, dass das, was ich da tue – das Böse – sich immer gegen das Recht des Menschen richtet, dem ich gerade das Böse antue. Er hat das Recht, dieses Böse nicht zu erfahren.
Und zu diesem Thema gibt es einen sehr langen Exkurs. Dieses Thema wird gerade auf eine ganz eigentümliche Weise in Europa diskutiert, und ich möchte darauf eingehen – und zwar unter der großen Überschrift soziale Gerechtigkeit.
Ausgehend von der Idee, dass in der Vergangenheit ganze Gruppen von Menschen durch die Gesellschaft benachteiligt wurden, wird zunehmend die Vorstellung vertreten, dass Recht etwas ist, das nicht dem Einzelnen zusteht. Stattdessen wird Recht als ein fließender Begriff verstanden, der davon abhängt, zu welcher Gruppe man gehört.
Die dahinterstehende Idee ist, dass ich, weil ich einer benachteiligten Gruppe angehöre, die vielleicht jahrelang unterdrückt wurde – und das kann natürlich tatsächlich der Fall sein –, heute quasi als Ausgleich eine Sonderbehandlung von der Gesellschaft einfordern darf.
Diese Sichtweise geht oft sehr weit. Man kann sich vorstellen, dass sich, wenn sich dieser Gedanke noch mit marxistischen Ideen vermischt, schnell Forderungen nach einer pauschalen Umverteilung von Eigentum auf der Basis der Gruppenzugehörigkeit ergeben.
Da dieses Thema immer mehr an Bedeutung gewinnt, möchte ich dazu einige Gedanken äußern. Wie gesagt, ich habe meines Wissens noch nie darüber gepredigt, aber ich halte es für wichtig, klarzustellen: Die Vorstellung, dass Recht oder Ansprüche abhängig von der Gruppe sind, zu der man gehört, ist ein Gedanke, der der Bibel völlig fremd ist.
Völlig fremd ist dieser Gedanke deshalb, weil mein Recht sich aus der Gruppe ableitet, zu der ich gehöre. Zum Beispiel: Ich bin ein Flüchtling. Oder ich bin sozial unterprivilegiert. Vielleicht gehöre ich zu einer bestimmten Gruppe, bin Frau oder habe sonst eine Eigenschaft, die mir Sonderrechte zuschreibt.
Wenn dieser Gedanke aufkommt, passiert Folgendes: Eine wichtige Idee bleibt auf der Strecke, und zwar die der Eigenverantwortung. Diese Idee dürfen wir als Gläubige, also bibelgläubige Menschen, nicht aufgeben. In der Bibel ist Eigenverantwortung tatsächlich ein absolutes Kernthema.
Die Bibel kennt keine Sonderrechte für Menschen, nur weil sie in eine bestimmte Gruppe hineingeboren wurden. Ich muss das noch einmal betonen: Im Zentrum des biblischen Menschenbildes steht der einzelne Mensch – ich stehe da mit meinem persönlichen Verhalten.
Ich kann mich nicht herausreden und sagen: „Ja, es ging nicht anders, weil ich zu dieser Gruppe gehörte.“ Das kennt die Bibel nicht.
Auf der einen Seite möchte ich, dass wir, wenn wir hier rausgehen, mit einer Leidenschaft für Gerechtigkeit hinausgehen. Warum? Weil Gott sie fordert.
Ich wünsche mir, dass wir als Jünger Jesu verstanden haben, dass Gerechtigkeit das ist, was unser Leben prägen soll. Gott sucht Gerechtigkeit in meinem Leben. Gott möchte, dass ich gerecht lebe – aber bitte in dem Sinn, dass es eine Gerechtigkeit nach dem Standard ist, den Gott mir gibt, und nicht den, den die Gesellschaft mir irgendwie einredet.
Das bedeutet: In einer aus Gottes Sicht gerechten Gesellschaft darf ich die Rechte von niemandem verletzen.
In so einer Gesellschaft trägt tatsächlich jeder Verantwortung für seine Taten und auch ein Stück weit für sein Wohlergehen. Niemand hat ein Recht auf etwas, das er nur dadurch bekommt, dass man es einem anderen auf unrechte Weise wegnimmt. Das gibt es in der Bibel nicht.
Oder um es deutlicher zu sagen: Nur weil jemand in einem Haus lebt und ich in einer Mietwohnung, ist das ungleich, aber nicht ungerecht. Versteht ihr den Unterschied? Ungleichheit ist nicht zwingend Ungerechtigkeit – natürlich vorausgesetzt, dass der Hauseigentümer das Geld ehrlich verdient hat, ohne Betrug oder Ähnliches.
Wenn jemand also fleißig gearbeitet hat und sich sein Häuschen aufgebaut hat, dann kann ich nicht sagen: „Oh, das ist aber ungerecht, dass Johnny in einem Häuschen wohnt und ich in meiner Mietwohnung.“ Das finde ich doof. Nein, das ist nicht ungerecht, das ist ungleich. Aber es ist nicht ungerecht.
Wenn jemand Risiken eingeht und beispielsweise eine Firma besitzt, dann ist es nicht ungerecht, dass er mehr verdient als seine Angestellten. Es wird erst ungerecht, wenn er seine Angestellten betrügt – logisch. Wenn aber ein Arbeitsvertrag ausgehandelt wird und du sagst: „Ja, zu diesen Konditionen will ich arbeiten“, und der Arbeitgeber sagt: „Okay, dann unterschreiben wir beide“, dann ist es nicht ungerecht, dass der Chef ein Mehrfaches von dem verdient, was die Angestellten verdienen.
Das ist ungleich, aber nicht ungerecht, solange du fair entlohnt wirst und mit deinem Gehalt einverstanden bist. Logisch.
Ich habe Anfang dreißig meinen Job aufgegeben und jahrelang die alten Autos der Geschwister gefahren. Ich weiß nicht, ob ihr euch daran erinnert. Ich habe bestimmt drei oder vier Wagen über die letzten fünfzig bis achtzigtausend Kilometer begleitet.
Die Geschwister waren an dem Punkt, an dem sie sagten: „Hey, wir kaufen uns etwas Neues. Und Jürgen, wollt ihr unseren Alten haben?“ Wir haben immer ja gesagt, logisch, warum auch nicht? Wir hatten ja keines. Also sind wir immer diese alten Autos gefahren.
Jetzt kann man schon sagen: Ist das nicht ein komisches Gefühl? Da kommt jemand mit seinem Neuwagen vorgefahren, gibt dir die alten Schlüssel und die Papiere, lässt dich den Kaufvertrag unterschreiben, und du hast die alte Krücke, während er mit dem Neuwagen davonfährt. Ganz ehrlich, ich habe nie jemanden beneidet. Denn ich habe gerade ein Auto bekommen. Das ist das Auto, das Gott mir in diesem Moment geschenkt hat.
Das ist das, worüber ich sage: „Hey, ich bin beschenkt.“ Warum sollte ich neidisch sein auf jemanden, der ein tolles Auto hat? Ich habe doch sein altes. Sie machen das so, du auch noch.
Ich weiß nicht, ob ihr einmal alte Autos gefahren seid, also aufgefahren. Sie haben dann immer so ihre Macken, das ist ganz lustig. Wichtig dabei ist nur: Wir dürfen nicht vergessen, dass Ungleichheit nicht zwingend Ungerechtigkeit ist.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir wirklich begreifen: Die eigentliche Problematik in unserem Leben ist nicht die Ungleichheit. Das wirkliche Problem besteht darin, dass wir neidisch werden.
Neid ist Sünde. In 2. Mose 20,17 heißt es: „Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren.“ Damit ist nicht nur das Haus im heutigen Sinne gemeint, sondern die ganze Familie. Das Gebot wird weiter ausgeführt: Du sollst nicht die Frau deines Nächsten begehren, noch seinen Knecht, noch seine Magd, weder sein Rind noch seinen Esel oder irgendetwas, was deinem Nächsten gehört.
Der Punkt ist: Wir sollen nicht neidisch sein. Das zeigt auch, dass wir immer in einer Gesellschaft leben werden, in der die einen mehr haben als die anderen. Das wird einfach so sein.
Gerade weil wir heute das Thema soziale Gerechtigkeit neu diskutieren oder zumindest in Deutschland damit beginnen, muss die Frage nach der Motivation hinter manchen Aktionen gestellt werden.
Ich glaube, dass manches, was ich lese, wenn Leute mehr haben wollen, oft banal auf Neid zurückzuführen ist.
Und damit mich jetzt niemand falsch versteht: Wenn eine Frau für dieselbe Arbeit weniger Geld bekommt als ein Mann, dann ist das einfach Sünde. Das ist schlicht falsch und nicht fair.
Genauso falsch ist es, wenn jemand bei einem Bewerbungsgespräch aufgrund seiner Hautfarbe, seiner sexuellen Orientierung, seiner Religionszugehörigkeit oder aus einem anderen Grund aussortiert wird. Darüber spreche ich nicht.
Ich rede vielmehr darüber, dass wir in eine Gesellschaft kommen, in der immer schneller gesagt wird: „Weil du in dieser Gruppe bist, darfst du dir das und das erlauben, ohne dass es gleich geahndet wird.“ Hier sage ich: Stopp! Wie kommen wir auf diesen Gedanken?
Oder es gibt Leute, die bestimmte Dinge vom Staat fordern. Und ich frage mich dann: Wie kommst du auf die Idee, dass dir jemand das geben soll?
Der Hintergrund ist oft der Gedanke, dass Ungleichheit automatisch Ungerechtigkeit bedeutet. Wenn ich dann frage, was eigentlich in deinem Herzen vorgeht, denke ich manchmal, das klingt eher nach Neid.
In diesem Zusammenhang lese ich als gläubiger Mensch Hebräer 13,5: „Der Wandel sei ohne Geldliebe; begnügt euch mit dem, was vorhanden ist.“ Das ist ein wichtiger Punkt.
Und hast du ein Auto, das alt ist, dann begnüge dich mit dem alten Auto. Wenn du dir jedoch ein neues Auto leisten kannst, dann freue dich über das Neue. Begnügt euch mit dem, was vorhanden ist.
Warum? Weil Gott gesagt hat: Ich will dich nicht aufgeben und dich nicht verlassen. Gott weiß, was wir brauchen und was er uns zumutet – auch in Bezug auf das Einkommen. Freue dich an dem, was Gott dir gibt.
Wenn du jedoch merkst, dass du neidisch wirst, weil jemand anderes etwas hat, was du nicht hast, dann versuche diesen Neid keinesfalls zu rechtfertigen. Und wenn du mitbekommst, dass Leute anfangen, ganzen Gruppen Rechte zuzuschustern, dann lass als Christ bitte diesen Gedanken in deinem Kopf zu, dass das unbiblisch ist.
Gerechtigkeit bezieht sich immer auf die einzelne Person, nie auf mich als Teil einer Gruppe. Warum? Weil wir alle nicht gleich sind. Jeder von uns startet aufgrund seiner Biografie mit bestimmten Vorteilen und Nachteilen. Wir beginnen mit ungleichen Voraussetzungen im Leben. So einfach ist die Welt – okay? Take it!
Dass es so ist, ist kein Ausdruck von Zwang oder Ungerechtigkeit.
Was wir tun können und tun sollten: Soweit ich sehe, ist unsere moderne Sozialgesetzgebung dem nicht unbedingt förderlich.
Was wir jedoch tun sollten, ist, uns anzustrengen und fleißig zu sein. So gut es geht, sollten wir im Rahmen unserer Möglichkeiten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es der nächsten Generation besser geht. Hier wird es in meinen Augen ganz heikel, denn das scheinen wir völlig aus dem Blick verloren zu haben.
Wir leben in einer Zeit, in der jeder innerhalb der nächsten fünf Jahre irgendwie Millionär werden will. Stattdessen sollten wir einfach überlegen, dass wir da, wo wir stehen – also ganz ehrlich, in meinem Fall mein Job, den ich für mich persönlich definiert habe, mit meiner Vergangenheit – unseren Kindern einen besseren Startpunkt schaffen. Wenn ich das geschafft habe, habe ich schon viel erreicht.
Mögen meine Kinder aus dem, was sie mitbekommen haben, etwas noch Besseres machen, und mögen meine Enkel noch einmal darauf aufbauen. Das ist dieses dynastische Denken der Bibel: eine Familie, die sich über Jahre, Jahrzehnte und Generationen hindurchzieht. Das Reich Gottes entsteht nicht plötzlich, wie durch ein Fingerschnippen, sondern wir ringen und hängen uns rein. Wir sagen: Wir packen das an.
Wenn wir die erste Generation sind – ja, ich bin die erste Generation, die das Evangelium verstanden hat, die erste Generation, die es in Teilen verinnerlichen und umsetzen darf – dann gilt: Wenn du sagst, Jürgen, du bist noch lange nicht fertig, dann sage ich Amen. Ich kenne viel mehr Punkte, die nicht fertig sind, als du dir vorstellen kannst, weil ich mein Leben kenne. Du kennst es nicht, du kennst nur die äußere Hülle. Trotzdem bin ich ein Stück weitergekommen.
Ich hoffe, dass meine Enkel richtig weit kommen. Versteht ihr? Das ist so ein bisschen dieses Denken der Bibel. Ich bin nicht verantwortlich dafür, dass meine Enkel das tun, aber ich kann in eine bestimmte Richtung weisen. Im Rahmen meiner Möglichkeiten kann ich das schaffen.
Wir sind Individuen, und es ist sehr wichtig, das bei dem Begriff Gerechtigkeit nicht zu vergessen. Wir besitzen Rechte, und gleichzeitig gibt Gott uns Verantwortung.
Wenn für eine soziale Gruppe Gerechtigkeit gefordert wird, vergisst man oft, dass es in jeder Gruppe sowohl Dumme als auch Kluge gibt. Ebenso gibt es in jeder Gruppe die Fleißigen und die Faulen. Es gibt diejenigen, die es schaffen werden, und diejenigen, die es nicht schaffen werden.
Deshalb bedeutet echte Gerechtigkeit nicht Gleichheit. Gerechtigkeit besteht darin, dass jede Person das bekommt, was sie verdient.
Wenn jemand dafür eintritt, bestimmte Gruppen allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit zu fördern und ihnen Sonderrechte zu geben, muss man fairerweise sagen, dass dies aus biblischer Sicht einer Begünstigung gleichkommt. Das ist problematisch, denn in puncto Gerechtigkeit wissen wir, dass Gott ein Gott ist, der die Person nicht ansieht.
In 1. Petrus 1,17 heißt es: „Wenn ihr den anruft als Vater, der ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk richtet, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingsschaft in Furcht.“
Auch in Römer 2,11 steht ganz klar: „Denn es ist kein Ansehen der Person bei Gott.“
Dieses Prinzip muss sich zum einen natürlich auf Richter übertragen. Im Gericht darf nicht gesagt werden: „Du bekommst jetzt eine Sonderbehandlung.“
Dritte Mose 19,15: Ihr sollt im Gericht kein Unrecht tun. Du sollst die Person des Geringen nicht bevorzugen und die Person des Großen nicht ehren. In Gerechtigkeit sollst du deinen Nächsten richten.
Spannend, oder? Du sollst die Person des Geringen nicht bevorzugen und die Person des Großen nicht ehren. Das bedeutet: Nur weil jemand viel oder wenig hat, ist das kein Grund, anders mit ihm umzugehen.
Das wird sogar an anderer Stelle noch einmal betont. Dort heißt es: „Auch den Geringen sollst du in seinem Rechtsstreit nicht begünstigen.“ Das wird extra nochmal gesagt, weil wahrscheinlich schon immer die Gefahr bestand, dass man gerade die arme Person benachteiligt. Nie, nie!
Worum geht es mir? Mir geht es darum, den Unterschied zwischen biblischer Gerechtigkeit und dem, was wir heute mehr und mehr als soziale Gerechtigkeit hören, aufzuzeigen. Biblische Gerechtigkeit fragt immer nach der Person.
Das ist natürlich auch für dich wichtig, weil du vor Gott für dich gerade stehen musst. Du kannst nicht sagen: „Ich armer Tropf, ich habe ja nie von Gott gehört, und ich weiß gar nicht, wie man sich bekehrt“ – und so weiter. Nein, ohne Scherz, da müssen wir ganz nüchtern sein.
Die einzelne Person steht vor Gott. Daran kann man sich nicht herausreden, indem man sagt, es gibt ja keine christlichen Eltern oder Ähnliches. Schade für dich, aber so ist es nun mal. Die entscheidende Frage lautet: Was hast du daraus gemacht?
Soziale Gerechtigkeit fragt nicht nach dem Individuum, sondern nach der Gruppe. Daraus ergeben sich oft Rechte, die auf der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe basieren. Das kann so weit gehen, dass man kriminelles oder unsoziales Verhalten anders bewertet, als man es normalerweise tun würde.
Hat jemand einen bestimmten Hintergrund, zum Beispiel ist in Armut groß geworden, dann darf man ihn nicht zu streng beurteilen. Warum nicht? Biblisch gesehen ist das nicht haltbar. Auch ein armer Mensch kann nach der Bibel tugendhaft leben. Unsere Umstände sind keine Ausrede für Unglauben oder Unmoral.
Natürlich ist klar, dass Zwangslagen eine große Versuchung sein können. Aber ich weiß nicht, was mich mehr versuchen würde: Wenn mir jemand eine Million schenkt oder wenn ich jeden Tag um das tägliche Brot beten müsste. Glaub nicht, dass derjenige, der viel hat, keinen Versuchungen ausgesetzt ist. Er kann nicht einfach sagen: „Ich konnte nicht anders.“ Das ist keine Entschuldigung.
Es ist dein Auftrag und das, was Gott dir als Mensch mitgibt, in deinen persönlichen Versuchungen zu überwinden. Wenn ihr gerade die Offenbarung studiert, dann kennt ihr die Überwinder. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass ich mit meinen Versuchungen kämpfe. Das ist nichts Allgemeines, sondern sehr konkret und persönlich. Wo werde ich versucht? Dort muss ich überwinden.
Wenn wir das nicht tun und sündigen, dann werden wir persönlich schuldig. Deshalb verteidigt biblische Gerechtigkeit das Recht des Individuums. Jeder soll das bekommen, was er verdient, basierend auf den Entscheidungen, die er getroffen hat.
Und wenn ich das Prinzip auf den Wohlstand übertrage: Wohlstand ist in der Bibel ein Produkt von Arbeit. Das zeigt sich in der Aussage „im Schweiße deines Angesichts“, die wir gelesen haben. Das Neue Testament unterstreicht diese Sichtweise ebenfalls. Es gibt tatsächlich einen Vers, der sagt: „Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen“ (2. Thessalonicher 3).
Das bedeutet, wenn eine Gesellschaft einem Faulenzer, der nicht arbeiten will, dasselbe Einkommen garantiert wie dem, der hart arbeitet, ist das problematisch. Noch schlimmer ist es, wenn dem arbeitenden Menschen das Geld durch Steuern weggenommen wird, um es dem Faulen zu geben. Dieses Geld kommt ja nicht von irgendwoher, sondern vom arbeitenden Bürger.
Das ist keine soziale Gerechtigkeit, sondern institutionalisierte Ungerechtigkeit – ganz einfach aus biblischer Sicht. Ich denke, wenn man das so betrachtet, ist das eine entspannende Einsicht. Man hält eine Predigt und denkt sich: Ja, das ist wichtig zu verstehen. Der Gedanke klingt zunächst ungewöhnlich, aber wo echte Gerechtigkeit gelebt wird, sind die Lebensumstände von Menschen tatsächlich unterschiedlich – und zwar abhängig davon, was sie tun.
Dazu kommen noch Faktoren wie Zeit und Geschick, also verschiedene weitere Einflüsse. Wenn sich also die Lebensumstände eines Fleißigen von denen eines Faulen unterscheiden, oder wenn ein Krimineller gegenüber einem ehrlichen Menschen im Nachteil ist – auch das wäre ein Thema, über das man sprechen müsste – dann hat das überhaupt nichts mit Ungerechtigkeit zu tun. Das ist einfach nur gerecht.
Und an der Stelle, wo der Faule trotz seiner Faulheit vom Staat versorgt wird, haben wir es mit Ungerechtigkeit zu tun. Das liegt daran, dass er keine Gegenleistung erbringt. Er tut das, was jeder Dieb auch tut: Er nimmt anderen einfach das Geld weg.
Das ist übrigens ein Grund, warum wir als Gläubige sehr vorsichtig sein müssen, das Sozialsystem auszunutzen. Ich sage nicht, dass es keine Momente gibt, in denen genau das notwendig ist. Natürlich gibt es Lebensumstände, in denen das Sozialsystem genau so greifen soll, wie es vorgesehen ist. Dagegen habe ich nichts einzuwenden.
Aber einfach auf der Tasche des Staates zu liegen, obwohl man eigentlich mehr tun könnte und auch mehr tun sollte – Entschuldigung, das ist einfach nur Sünde. Das ist Ungerechtigkeit und Diebstahl, mehr ist das nicht.
Und deshalb sollten wir beim Thema Gerechtigkeit immer daran denken, dass es am Ende nicht darum geht, dass alle dasselbe Einkommen haben. Vielmehr muss es beim Thema Gerechtigkeit in einem Staat darum gehen, dass alle dieselben Chancen bekommen. Sie sollen frei ihren Lebensweg wählen können.
Deshalb brauche ich mich auch nicht darüber zu ärgern, wenn andere es besser haben. Wisst ihr, ich würde gerne – das klingt jetzt vielleicht etwas seltsam – ich wäre gern mein eigener Vater gewesen.
Ich habe das so gedacht, als ich vor etwa 15 Jahren im Auto saß, mit meiner 17-jährigen Tochter. Wir haben uns stundenlang auf dem Weg zu einem Dienst theologische Schlagabtausche geliefert. Stundenlang haben wir über Theologie gestritten. Boah, was hätte ich dafür gegeben, so einen Vater zu haben, mit dem man solche Gespräche auf so einem Niveau führen kann. So einen Vater hatte ich nicht.
Jetzt kann ich sagen: Das ist ja ungerecht? Nein, das ist es nicht. Es ist einfach nur meine Geschichte. Ich habe alle Gerechtigkeit der Welt gehabt. Ich hatte eine Chance auf eine Berufsausbildung, ich hatte eine Chance auf eine Familie, ich habe eine liebe Frau gefunden, ich habe so viel gefunden.
Bei Gerechtigkeit geht es nicht um die Frage, was der andere mehr hat als ich. Es geht um die Frage, was ich aus den Chancen mache, die ich habe. Und weil diese Chancen ungleich sind, muss ich mich reinhängen. Ich muss eine Entscheidung treffen und darf nicht neidisch auf den anderen schauen und denken: So wäre ich auch gern.
Im Zweifelsfall kennst du sein Leben ja auch nicht. Deshalb habe ich beim Thema Gerechtigkeit immer das Individuelle im Blick.
Und vielleicht noch ein abschließender Gedanke:
Lasst uns nicht zu schnell denken, wenn es um das Thema soziale Gerechtigkeit geht. Oft heißt es: Das ist Politik, da mache ich nicht mit, das geht mich nichts an, das sind die da oben.
Es ist gar nicht so leicht, genau die Grenze zu ziehen, wo uns etwas noch angeht. Ich möchte euch an Johannes den Täufer erinnern. In der Bibel gibt es Herodes, einen kleineren Fürsten. Die kleineren Fürsten werden oft als Vierfürsten bezeichnet. Dieser Herodes ließ sich von seiner Frau scheiden, um eine andere Frau zu heiraten. Das führte zu einem ziemlichen Durcheinander und war auch nicht in Ordnung.
Jetzt könnte man sagen: Was gehen mich die da oben an? Aber über Johannes den Täufer heißt es in Lukas 3,19: „Herodes aber, der Vierfürst, wurde von Johannes dem Täufer zurechtgewiesen wegen Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen allem Bösen, das Herodes getan hatte.“
Wenn ich das so sage, weiß ich noch nicht genau, wie man das leben soll. Aber ich merke, dass dieses Thema für mich nicht fremd ist.
Aber die Frage bleibt: Wo beginnt meine Verantwortung? Als Christ in einer Demokratie, wenn ich Ungerechtigkeit wahrnehme und gleichzeitig verstehe, dass Gott Gerechtigkeit sucht.
Ihr merkt natürlich, wir denken bei Gerechtigkeit oft sehr individualisiert. Ich in meinem kleinen Leben: Ich werde niemanden betrügen, ich werde nicht lügen, ich werde nicht fremdgehen – ja, ich werde es nicht tun. Aber jetzt bin ich Teil einer Gesellschaft und sogar ein Stück weit verantwortlich dafür.
So wie David – er kann feiern, das ist seine eigene Herrschaft. Daniel ist alt? Nein, Daniel nicht, David ist alt. Rückblickend sagt er dann: Wer gerecht herrscht über die Menschen, wer in der Furcht Gottes herrscht, der ist wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufstrahlt. Eines Morgens ohne Wolken, von ihrem Glanz nach dem Regen sprosst das Grün aus der Erde.
David als König schaut zurück und sagt: Wer in Gerechtigkeit herrscht. Und er sagt das natürlich, weil er meint: Ich habe das gemacht, ich habe erlebt, was es heißt, mit Gott zu leben, Gerechtigkeit zu leben. Hat David Fehler gemacht? Ja, geschenkt. Aber das war sein Herz.
Von daher ist Gemeindepolitik ein spannendes Thema. Ich denke, wir müssen durch unser Vorbild und durch unsere Worte prägen. Wir dürfen offene Briefe schreiben, wir dürfen Proteste initiieren.
Wir sind heute – das will ich auch sagen – nicht die Richter. Wir richten nicht die, die draußen sind. Wir sind in meinen Augen auch nicht dazu aufgerufen, einen theokratischen Staat zu errichten. Wir wollen etwas anderes gewinnen, nicht politische Macht. Wir wollen Herzen gewinnen für das Evangelium.
Wir wollen, dass Menschen zu Gott umkehren, weil wir genau verstehen: Da, wo Sünder Buße tun, geht es einem Staat immer besser. Es werden nie politische Programme sein, die einen Staat wirklich gut werden lassen. Sondern wenn viele, viele Menschen begreifen, was Gott von ihnen möchte, und wenn Gott im Herzen von vielen Menschen wirken kann, dann werden am besten auch die Schwachen und die Unschuldigen verteidigt.
Also: Keine Politik kann eine gerechte Gesellschaft hervorbringen. Warum nicht? Weil Gerechtigkeit erneuerte Herzen braucht.
Aber wir haben das. Das ist das Irre. Wir haben das.
Von daher: Ich hatte ganz am Anfang gesagt, der König sucht Gerechtigkeit, und er sucht sie tatsächlich zuerst bei uns.
In Matthäus 6,33 heißt es: "Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit." Das ist also das, was Gott sich wünscht.
Vielleicht können wir die Welt nicht groß verändern, aber hier – diese Gemeinde ist ja so eine kleine Reich-Gottes-Kolonie, so ein Fleckchen Erde, wo Jesus König ist. Hier möchte Gott in deinem Leben und in unserem Miteinander wirken.
Ich glaube auch, dass er an der Stelle, wo wir in direktem Kontakt mit der Gesellschaft um uns herum treten, die Frucht finden möchte, die er sich wünscht. Und das ist echte Gerechtigkeit.
Darüber müssen wir nachdenken. Wir sind dazu berufen, einer Welt vorzuleben, wie sich Gott Gerechtigkeit gedacht hat. Wir müssen das tun, um durch unser Vorbild – und ich komme von der Bergpredigt natürlich nicht los – die Stadt, die auf dem Berg ist und leuchtet, in diese Welt hinein leuchten zu lassen durch das, was wir tun.
Wenn Gott sich Gerechtigkeit wünscht, dann wünscht er sich von uns, dass wir mit dieser Gerechtigkeit, die wir produzieren, in diese Welt hinein scheinen. Gleichzeitig sollen wir uns auch ein Stück fürchten, denn Gott ist ein Gott, der unparteiisch ist.
Gott ist ein Gott, der Ungerechtigkeit hasst. Wenn er sie hasst, dann eben auch in unserem Leben. Seien wir an dieser Stelle ganz sicher: Die Bibel nimmt da kein Blatt vor den Mund.
Das Gericht fängt immer beim Haus Gottes an – und das sind wir. Amen.
Vielen Dank an Jürgen Fischer, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
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