Einleitung und Gebet
Jesus. Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Lasst uns noch einmal beten: Herr, zeig uns dein königliches Walten. Bring Angst und Zweifel zur Ruhe. Du wirst allein ganz Recht behalten.
Herr, mach uns still und rede du. Amen!
Kinder als unvermeidliche Störung und gesellschaftliche Herausforderungen
Liebe Gemeinde, im Advent hier bei uns in Hannover und ihr Lieben, die uns an anderen Stellen des deutschsprachigen Raums oder wo auch immer jetzt folgt:
Kinder stören einfach.
Jetzt fragen Sie sich natürlich, wie ich das meine. Damit, gerade nachdem wir hier die Kinder zusammen mit dem Chor so wunderbar haben singen hören, meine ich nicht äußere Störungen. Äußere Störungen sind erstens nicht so schlimm, und die kann man ja manchmal auch verhindern, zum Beispiel durch Erziehung, durch gute Manieren, durch Training, durch liebevolles Durchgreifen der Eltern. Manchmal klappt das ja. Aber keine Sorge, das wird heute kein Erziehungsvortrag.
Ich meine diesen Satz viel grundsätzlicher und philosophischer: Kinder stören dadurch, dass sie da sind. Diese Störung ist unvermeidbar. Wenn ein Kind dazwischenkommt, wie manche sagen, dann können dessen Eltern nicht einfach so weiterleben wie bis dahin. Ein Kind verlangt durch seine Existenz, dass wir uns darauf einstellen, dass wir uns kümmern, dass wir es versorgen.
Ein Kind verlangt nicht, dass wir uns von ihm tyrannisieren lassen und dass das Kind von jetzt an alles bestimmen könnte, was in der Familie läuft – das wahrlich nicht. Aber ein Kind verlangt, dass wir ihm das schenken, was es braucht: Liebe, Zeit, Geborgenheit, Grenzen, Führung, Nähe.
Und dagegen begehrt die Abtreibungsmentalität auf, die sich in Teilen unserer Gesellschaft breitgemacht hat. So breit, dass kürzlich im Oktober sogar eine Institution, die sich als Vertreter des Christentums in Deutschland ausgibt, die sogenannte EKD, die evangelische Kirche in Deutschland, sich dafür stark gemacht hat, die Abtreibung eines Embryos bis zur 22. Woche, also bis hinein in den fünften Monat, aus dem Strafrecht herauszunehmen.
Das heißt also, die Kinder im Mutterleib noch schutzloser zu machen, als sie ohnehin schon sind.
Wenn ein Kind dazwischenkommt, wie manche so sagen, ein Kind, mit dem keiner gerechnet hat, ein Kind, das keiner auf dem Zettel hatte – darf man dessen Lebensrecht dann zur Disposition stellen?
Es gehört zu den Kennzeichen der wahren Gemeinde Jesu Christi seit den ersten Jahrhunderten, dass sie jedes, ja jedes einzelne Menschenleben als unverfügbar verteidigt. Und selbst wo manchmal Heiden unerwünschte Kinder auf den Müll warfen, haben Christen zu allen Zeiten versucht, sie zu retten und sie zu beschützen.
Auch darum haben Christen ein besonderes Verhältnis zu Kindern. Weil wir an einen heiligen Gott glauben, der höchst selbst in einem wehrlosen Kind in diese Welt hineingekommen ist.
Wie es Paul Gerhardt besingt: „Gott wird Mensch, dir Mensch zugute, Gottes Kind, das verbindet sich mit unserem Blute.“ In „Fröhlich soll mein Herzer springen“ heißt es: „Gottes Kind, das verbindet sich mit unserem Blut.“
Das Kind, das dazwischenkommt: Die biblische Situation bei Maria und Josef
Und heute werden wir durch den Predigttext noch einmal in jene Situation hineingenommen, als Gottes Kind im Kommen war. Deshalb lautet der Titel dieser Predigt: Ein Kind kommt dazwischen.
Die Geburt Jesu Christi geschah so, dass Maria, seine Mutter, dem Joseph vertraut war. Doch ehe er sie heimholte, stellte sich heraus, dass sie schwanger war vom Heiligen Geist. Joseph aber, ihr Mann, war fromm – hier steht wörtlich „gerecht“ – und wollte sie nicht in Schande bringen. Er dachte jedoch daran, sie heimlich zu verlassen.
So schildert uns Matthäus im ersten Kapitel die Information über die Jungfrauengeburt aus der Perspektive, wie Josef das erlebt hat. Bei Lukas hingegen haben wir die Perspektive, aus der Maria diese Nachricht erhielt.
Ein Kind stört unsere Pläne: Die Situation bei Josef und Maria
Ein Kind kommt dazwischen. Und das Erste, was hier sofort auffällt: Es stört unsere Pläne. Das ist Punkt eins. Ein Kind kommt dazwischen und stört unsere Pläne. Die kritische Frage lautet: Sind wir bereit, uns stören zu lassen?
Bei Joseph sind es Hochzeitspläne, die gestört werden. Ehe er Maria heimholte, stellte sich heraus, dass sie schwanger war (vgl. Matthäus 1,18). Das Kind kommt also dazwischen, noch bevor die Ehe zwischen Joseph und Maria endgültig besiegelt ist.
Matthäus gibt uns präzise Auskunft über den Status dieses Paares. Sie waren, so schreibt er, miteinander „verlobt“ – so kann man dieses Vertraut noch wörtlicher übersetzen. Sie waren miteinander verlobt, lebten aber noch nicht zusammen. Die eheliche Gemeinschaft hatten sie noch nicht vollzogen. In Vers 18 steht ausdrücklich: „Ehe er sie heimholte.“ In Vers 25 erfahren wir, dass er sie bis dahin noch nicht berührt hatte.
Warum noch nicht? Weil der zweite Teil einer rechtsverbindlichen Eheschließung noch nicht erfolgt war. Das, was Matthäus hier schildert, entspricht genau der Rechtslage in Israel damals. Dort erfolgte eine Eheschließung in zwei Akten.
Akt I war die Verlobung. Die Verlobung war bereits verbindlich, manchmal gab es sogar einen Ehevertrag. Man war bereits verheiratet miteinander, wenn man verlobt war – also anders als bei uns in Deutschland. Dort ist die Verlobung nur eine persönliche Absichtserklärung, die jederzeit zurückgenommen werden kann.
Ich will hier niemandem Angst machen, aber wir müssen verstehen, dass es in Israel anders war: rechtsverbindlich. Das heißt, wer eine Verlobung auflösen wollte, musste sich scheiden lassen. Aufgrund der Verlobung war Maria schon Josefs Frau. Deswegen steht hier in Vers 20 auch: „Fürchte dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen.“ Sie war schon seine Frau aufgrund der Verlobung.
Dann kam der zweite Akt: die Heimholung der Braut nach der Verlobung. Die Heimholung der Braut steht auch hinter dem Gleichnis Jesu in Matthäus 25. Sie war in der Regel verbunden mit einem großen öffentlichen Fest. Erst ab diesem zweiten Akt lebten die beiden dann zusammen unter einem Dach. Die Frau kam in das Haus des Mannes, und erst jetzt begann die eheliche Gemeinschaft.
Auch in der Zwischenzeit, also zwischen Verlobung und Heimholung, galt für die göttliche Schöpfungsordnung, die sich im alttestamentlichen Gesetz manifestierte, das Prinzip „kein Sex vor der Ehe“. Matthäus ist darin sehr explizit, wie er das hier beschreibt und darstellt.
Die jeweilige gerichtliche Form, in der eine Ehe öffentlich besiegelt wird, kann von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Bei uns ist nur ein Akt rechtsverbindlich, nämlich der vor dem Standesamt. Aber das göttliche Prinzip der Schöpfungsordnung ist überall gleich und gilt bis heute.
Nämlich: Ehe ist ein rechtsverbindliches, öffentliches Treueversprechen zwischen einem Mann und einer Frau auf Lebenszeit. Also noch einmal: Ein rechtsverbindliches, öffentliches Treueversprechen zwischen einem Mann und einer Frau auf Lebenszeit. Das ist gemäß der Bibel Ehe – und nichts sonst.
Die körperliche Vereinigung von Mann und Frau, wie Jesus das in Matthäus 19 sagt: „Sie werden ein Leib sein“, diese körperliche Vereinigung hat der Schöpfer dem Schutzraum der Ehe vorbehalten. Dort allein hat sie gemäß der Schöpfungsordnung ihren Platz und ihre sehr wichtige Bedeutung.
Das ist keine Parole von übersteigerten Moralaposteln, die den Leuten altertümliche Sitten überstülpen wollen – vielleicht, weil sie selbst verklemmt sind und anderen den Spaß nicht gönnen. Nein, dieser göttliche Grundsatz ist überhaupt nicht leibfeindlich, sondern genau das Gegenteil davon.
Damit will Gott die Sexualität schützen, weil sie den Schutzraum und die Geborgenheit der Ehe braucht, um sich entfalten zu können. Körperliche Intimität soll Menschen enger aneinander binden – auch seelisch enger aneinander binden. Darum braucht körperliche Intimität die verlässliche Treue einer Ehe.
Das ist die Grundidee, um den Menschen davor zu schützen, immer wieder neu verbunden und auseinandergerissen zu werden, bis er irgendwann gar nicht mehr bindungsfähig ist.
Jemand hat ein wunderbares Bild dafür formuliert: Die Ehe ist für die Sexualität wie der Kamin für das Feuer.
Joseph und Maria, das sehen wir sowohl bei Matthäus als auch im Lukas-Evangelium, waren von dieser Schöpfungsordnung überzeugt. Sie lebten danach. Mit der Verlobung war nun alles auf gutem Wege. Sie würden eine Familie gründen, wahrscheinlich in Nazaret das Geschäft weiterführen. Sie vertrauten darauf, dass Gott sie auf diesem Weg segnen würde.
Ein Kind kommt dazwischen und zerstört scheinbar alle Pläne
Und dann kommt vorzeitig dieses Kind dazwischen. Dieses Kind stört alle ihre Pläne und scheint sie umzustürzen, als sich nämlich herausstellt, dass Maria schwanger ist (Matthäus 1,18). Für Joseph bricht damit eine Welt zusammen.
Vor vielen Jahren wurde an der Universität Göttingen eine Studie mit mehr als 3.300 Betroffenen durchgeführt, die sich damals freiwillig zur Verfügung stellten. Die Studie untersuchte die Frage, wie es Menschen ergeht, die von ihrem Partner betrogen wurden. Das Ergebnis war erschütternd: Die psychische Belastung für die Betrogenen ist so schwerwiegend wie nach sexuellem Missbrauch oder schlimmen Kriegserlebnissen.
Der psychologische Leiter der Studie erklärte damals: Ähnlich wie Vergewaltigungsopfer oder Unfallzeugen durchleben die Betroffenen die Situation immer wieder. Unsere Studie zeigt, wie groß das Leid ist, das durch Seitensprünge ausgelöst wird.
Und wie muss diese seelische Belastung erst recht für einen gesetzestreuen Juden wie Joseph gewesen sein, der offensichtlich mit einem sehr sensiblen Gewissen aufgewachsen war? Darum kann Joseph hier nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Er kann nicht so tun, als sei nichts Großartiges passiert, als sei das nur ein unerfreulicher Zwischenfall, den man irgendwie wieder geradebiegen kann. Das ist ihm nicht möglich.
Für ihn ist damit alles in Frage gestellt. Das Kind, das dazwischenkommt, scheint nicht nur alle Pläne zu stören, sondern zu zerstören.
Joseph aber, ihr Mann, war fromm und gerecht. Das heißt nicht, dass er sündlos war, aber er wollte Gott gefallen, Gott gehorsam sein und Gott dienen. So ist das hier gemeint. Er wollte Maria nicht in Schande bringen und dachte deshalb daran, sie heimlich zu verlassen. Das war seine Konsequenz.
Hier zeigt sich die ganze Integrität von Joseph. Er war gerecht, nicht sündlos, aber gerecht. Er wollte seine Frau nicht bloßstellen und nicht in Schande bringen. Die rechtliche Möglichkeit dazu hätte er durchaus gehabt.
Hier weht es schon mein Manuskript von der Kanzel. Die rechtliche Möglichkeit dazu hätte er durchaus gehabt. In 5. Mose 22,23 steht: Wenn eine Jungfrau verlobt ist und ein Mann trifft sie innerhalb der Stadt und wohnt ihr bei, so sollt ihr sie beide zum Stadttor hinausführen und steinigen, damit sie sterben – die Jungfrau, weil sie nicht geschrien hat, obwohl sie in der Stadt war, und den Mann, weil er seines nächsten Braut geschändet hat. So sollst du das Böse aus deiner Mitte hinweg tun.
Das war die Rechtslage. Nun, zu Josephs Zeit wurde die Steinigung in der Regel nicht mehr angewandt, sagen einige Kommentare. Aber wir haben auch den Fall in Johannes 8, als die Schriftgelehrten eine Ehebrecherin auf frischer Tat ertappten und steinigen wollten. Das war ebenfalls noch diese Zeit.
Egal, auch ohne Steinigung wäre Maria in ihrem Umfeld öffentlich gebranntmarkt gewesen. Sie wäre bloßgestellt worden wegen sexueller Untreue ihrem Mann gegenüber. Diese schlimmste Schande der öffentlichen Überführung wollte Joseph ihr ersparen.
Aber er konnte das Spiel auch nicht einfach mitspielen und so tun, als ob er der Vater wäre. Denn auch das wäre vor Gott Sünde gewesen, da er sie ja noch nicht heimgeholt hatte.
Was sollte er tun? Durch eine schnelle Heirat hätte man notdürftig den äußeren Schein wahren können. Dann wäre es eben eine extreme Frühgeburt gewesen – so etwas kommt vor. Er hätte sich mit dieser Sünde irgendwie identifizieren müssen. Außerdem war das Vertrauen zu Maria nicht mehr da. Wie sollte es auch?
Angesichts dieser Konstellation, dass er Maria schonen will, aber auch Gottes Gebot treu sein möchte, bleibt Joseph nur der Ausweg einer stillen Scheidung. Damit hätte er sich aus dieser Situation zurückgezogen.
Auch dafür gibt das alttestamentliche Gesetz einen gewissen Weg vor. In 4. Mose 5 gibt es einige Hinweise dazu.
Damit hätte Joseph auch nicht mehr in der Hand, was die Leute über ihn munkeln würden. Aber immerhin wäre für Maria Straffreiheit garantiert, weil sie dann geschieden war und kein Verlobter mehr da war, der irgendwelche Ansprüche hätte stellen können.
Eine ausweglose Situation im Grunde. Vielleicht wollte Joseph auch den Weg freimachen für eine Ehe mit dem wirklichen Vater. Und alles nur wegen diesem Kind.
Gottes Eingreifen in Josephs Grübelei durch den Engel
Das Kind kommt dazwischen und stört alle Pläne. Aber Gott weiß, was er seinen Leuten zumuten kann. In Josephs verzweifelter Grübelei schickt Gott nun dem angeschlagenen Mann einen persönlichen Boten – eben diesen Engel, von dem hier die Rede ist.
Diese Boten, diese persönlichen Boten, tauchen im Umfeld des Weihnachtsgeschehens immer wieder auf. Allerdings ist nirgendwo von Flügeln die Rede. Das haben sich dann die Maler im Mittelalter irgendwann so ausgedacht, vielleicht auch schon vorher. Sie treten eher in nur menschlicher Gestalt auf. Diese Boten sind da, und sind dann auch plötzlich wieder verschwunden.
Als Joseph noch darüber nachdachte, was da alles vor sich ging und wie er reagieren sollte, siehe da, erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: „Joseph, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen.“ Also heimzuholen. Denn was sie empfangen hat, das ist vom Heiligen Geist.
Was der Engel sagt, würde Josephs neue Pläne nun auch wieder durchkreuzen. Du sollst Maria trotzdem treu bleiben. Du sollst den Prozess der Eheschließung trotzdem weiter fortsetzen. Du sollst deine Frau zu dir nehmen – Teil zwei des Eheprozesses, möglicherweise noch etwas früher als geplant.
Warum, Joseph? Denn diese Schwangerschaft, die euer Leben jetzt durcheinanderwirbelt, ist nicht die Folge menschlicher Sünde, sondern die Umsetzung eines göttlichen Planes. Das ist die Umsetzung eines göttlichen Planes und nicht die Folge menschlicher Sünde.
Joseph weiß nicht, wie ihm geschieht. Wir haben ja bisher gesehen, dass er auf die Entdeckung des Kindes ganz normal reagiert hat, wie jeder andere Mensch auch heute reagieren würde. Joseph musste davon ausgehen, dass Maria ihn betrogen hatte. Eine Schwangerschaft ohne männliche Zeugung war für ihn genauso absurd wie für uns heute. Deshalb zeugte es auch von eigentümlicher Denkverweigerung.
Wenn heute manche Bibelkritiker behaupten, ja, für die Leute damals war das kein Problem, eine Jungfrauengeburt zu akzeptieren, weil die wissenschaftlich noch nicht so viele Erkenntnisse hatten wie heute, und sie eben naiver waren, dann konnten sie derartige Legenden schon mal als wahr ernst nehmen und weiter tradieren. Joseph hätte über solche Thesen nur müde gelächelt.
Joseph hätte diesen Leuten entgegengehalten: „Wisst ihr, ich bin zwar kein Gynäkologe, aber das Entscheidende, was gegen eine Jungfrauengeburt spricht, das weiß ich auch.“ Vom Berufswegen war Joseph eine Kombination aus Zimmermann und Architekt. Also Zollstock und Winkelmaß waren ihm vertraut. Der Mann lebte mit den Naturgesetzen.
Wunder und Glaube: C. S. Lewis und moderne Wissenschaft
C. S. Lewis, der Literaturwissenschaftler, begegnete den biblischen Texten erst bewusst, als er bereits ein versierter Forscher war. Dies lag daran, dass er erst als Erwachsener zu Jesus gefunden hatte.
Lewis legt in einem Essay den Finger genau auf unseren Punkt. Er sagt, es sei reine Gedankensverwirrung, wenn man annimmt, der wissenschaftliche Fortschritt habe es uns schwerer gemacht, Wunder zu akzeptieren als den Menschen damals. C. S. Lewis fügt hinzu, dass wir schon immer wussten, dass Wunder dem natürlichen Lauf der Dinge widersprechen. Und wir wissen auch heute noch, dass sie möglich sind, sofern es außerhalb der Natur etwas gibt – also wenn es einen realen Gott wirklich gibt.
Lewis fährt fort: Hätte Joseph nicht genug Glauben gehabt, um Gott zu vertrauen, oder nicht das Feingefühl, die Reinheit seiner Braut wahrzunehmen, hätte er den wunderbaren Ursprung ihres Sohnes ebenso leicht anzweifeln können wie jeder moderne Mensch. Und jeder moderne Mensch, der an Gott glaubt, kann das Wunder ebenso leicht akzeptieren, wie es Joseph getan hat.
Nach dem Literaturwissenschaftler des zwanzigsten Jahrhunderts zitiere ich zur Bestätigung noch einmal einen Physiker der Gegenwart, Russell Cowburn. Er lehrt in Cambridge, wie seinerzeit auch Lewis, und ist Experte für Nanotechnologie. Cowburn schreibt zu unserer Frage:
„Wissenschaft beschreibt, wie Gott sich entscheidet, einen Großteil der Zeit über zu wirken, aber er ist allmächtig. Er kann sich entscheiden, so zu wirken, wie er will. Es gibt besondere Zeiten und Orte, an denen er sich anders verhalten wird. Der wichtigste solcher Momente war die Auferstehung Jesu.“
Das gilt natürlich genauso für die Jungfrauengeburt, so Professor Cowburn. Darum ist auch die Jungfrauengeburt für einen modernen Physiker kein Problem, kein intellektuelles Problem. Es ist für Gott ein Leichtes, seinen eigenen Sohn auf diese Weise in die Weltgeschichte einzufädeln, dass die Jungfrau Maria auf eine übernatürliche Weise schwanger wurde.
Genau dieselbe Erklärung erhält auch Joseph durch den Engel in Matthäus 1,20: „Fürchte dich nicht, deine Frau zu dir zu nehmen, denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist.“ Das ist Tatsache.
Deshalb kann Joseph den neuen Erdenbürger dann fröhlich in seine Familie aufnehmen, auch wenn dadurch zunächst Unruhe entstehen wird.
Gottes Sohn bringt Veränderung und fordert Entscheidung
Und wenn ich das so vergleichen darf, ist das bis heute nicht anders. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum viele Zeitgenossen Jesus lieber aus ihrem Leben heraushalten wollen. Sie haben Angst vor der Veränderung und vor der Unruhe, die Gottes Sohn garantiert in ihr Leben bringen wird, wenn sie anfangen, ihm nachzufolgen und ihm zu dienen.
Darum klingt aus diesem Text auch eine Warnung: Wenn sie an ihrem alten Leben festhalten wollen, sollten sie Abstand von Jesus halten. Er wird zu viel verändern.
Joseph weiß, was er tut. Matthäus zeigt auch, dass sich Joseph die Sache nicht leicht macht. Am Ende von Vers 19 schreibt Matthäus: Joseph wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Er grübelt also, überlegt, was er tun soll: verlasse ich sie oder nicht?
In Vers 20 finden wir noch einmal ein Wort, das das Denken beschreibt, als Joseph das noch bedachte. Er handelt nicht einfach nach Gefühl oder Impuls, sondern macht sich ernsthafte Gedanken.
In dieses Grübeln hinein gibt Gott dem Zimmermann ein Argument, warum Jesus auf diese Weise zur Welt kommen muss. In Vers 22 heißt es: Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht. Dann folgt Jesaja 7,14: Sie, eine Jungfrau, wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben. Das heißt übersetzt: Gott ist mit uns – so, wie es uns der Chor eben entgegengesungen hat.
Das Kind bringt Gottes Nähe: Immanuel – Gott mit uns
Und damit erfahren wir ein zweites: Das Kind kommt dazwischen.
Erstens hatten wir gesehen, dass uns unsere Pläne stören, zweitens stiftet uns Gottes Nähe. Das Kind kommt dazwischen und stiftet Gottes Nähe. Immanuel bedeutet auf Hebräisch „Gott mit uns“. Matthäus übersetzt das hier gleich ins Griechische mit Metämon Hotheos.
Jetzt müssen Sie sich Folgendes klar machen: Niemals zuvor in der Weltgeschichte war der heilige Gott seinen Menschen so nah gewesen wie in diesem Kind der Jungfrau, das zugleich Gottes eigener Sohn war. Darum geht es jetzt Joseph.
Joseph bekommt noch ein Argument genannt, das ihm helfen soll, den Vorgang insgesamt einzuordnen. Der Bote erinnert ihn an eine Verheißung aus dem Propheten Jesaja, eine Verheißung, die jeder fromme Jude damals eigentlich kennen musste. Mehr als siebenhundert Jahre zuvor hatte der Prophet das so offenbart im Auftrag Gottes. Damals kündigte Gott an, dass er einmal eingreifen würde in diese Welt – so, wie er es nie zuvor getan hatte.
Dies sollte durch einen Sohn geschehen, den er durch ein Wunder in diese Welt einführen würde. Nicht auf natürlichem Wege, sondern auf übernatürlichem Wege, nicht durch einen menschlichen Vater. Es musste ganz klar sein, dass Gott real der Vater dieses Sohnes ist. Dafür wählte Gott das Wunder der Jungfrauengeburt.
Genau geplant, Joseph.
Wir haben ja den Text von Jesaja letzten Donnerstag in der Bibelstunde ausführlich studiert: Jesaja 7,14. Dabei haben wir gezeigt, dass hier in Jesaja 7,14 nicht einfach nur eine junge Frau gemeint ist – obwohl Wikipedia und andere das so behaupten –, sondern dass hier wirklich auch bei Jesaja eine Jungfrau im biologischen Sinne gemeint ist.
Ich kann das jetzt nicht noch einmal ausführlich darstellen, aber das hebräische Wort alma bezeichnet im Alten Testament junge Frauen, die noch Jungfrauen sind, wenn man die Fälle anschaut, für die dieses Wort verwendet wird.
Eine ganz wichtige Bestätigung ist dann die Übersetzung im dritten Jahrhundert vor Christus in der sogenannten Septuaginta, als Juden ihr Altes Testament ins Griechische übersetzten.
Daran sieht man: Im dritten Jahrhundert vor Christus wird der Begriff alma mit parthenos übersetzt. Parthenos im Griechischen meint eindeutig Jungfrau. Also auch im dritten Jahrhundert vor Christus – bevor es überhaupt eine christliche Gemeinde gab – war klar, dass Jesaja 7,14 eine echte biologische Jungfrau meint.
Und darum sagt Jesaja, und darum sagt dann auch Matthäus, wird dieses Kind der Immanuel sein – Gott mit uns.
Immanuel als Brücke zwischen Gott und Mensch
Bis dahin hatte sich der Schöpfer darauf beschränkt, bevollmächtigte Boten zu senden, wie Mose und Jesaja. Bis zu diesem Zeitpunkt galt, was im Predigerbuch, Kohelet 5,1 steht: „Gott ist im Himmel und du auf Erden – das sind die eigentlichen Verhältnisse.“
Doch jetzt ist alles anders. Plötzlich verschieben sich die Grenzen. Gott ist mit uns. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Gott ist nun mitten in der Welt – Immanuel.
Immanuel ist hier kein Eigenname im eigentlichen Sinne, sondern eher eine Wesensbeschreibung, fast wie ein Titel, der die Aufgabe dieses Sohnes beschreibt. Jesus wird später sagen: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Immanuel bedeutet: Ich und der Vater sind eins – Immanuel, Gott mit uns.
Wir können uns das kaum real genug vorstellen. In diesem Kind drängt der ewige Gott sich hinein in seine Welt, die ihm eigentlich viel zu klein ist. Aber das Kind passt dazwischen. Im wahrsten Sinne des Wortes ist es ein Vermittler zwischen zwei Parteien.
Es tritt dazwischen wie ein Rettungsseil, das die Küstenwache einem Ertrinkenden zuwirft. Dieses Seil ist die Verbindung zwischen Retter und Schiffsbrüchigem. Es ist dazwischen, bringt sie zusammen.
Das Kind passt dazwischen und tritt wie eine Brücke zwischen zwei Ufern auf. So stiftet es eine wunderbare Nähe zwischen zwei Polen, die weit voneinander getrennt wären, nun aber plötzlich ganz dicht beieinander sind.
Und sie werden ihm den Namen Immanuel geben.
Bildhafte Veranschaulichung: Die große Beltbrücke als Symbol für Immanuel
Was dieses Kind leistet, lässt sich bildhaft an dem Großen Belt verdeutlichen, der zwischen den dänischen Inseln Seeland und Fünen liegt. Er ist etwa achtzehn Kilometer breit. Fast hundert Jahre lang haben die Menschen davon geträumt, diesen Belt einmal zu überbrücken. Sie haben lange geplant und schließlich das Vorhaben in Angriff genommen.
280 Kubikmeter Beton wurden verarbeitet, habe ich gelesen. Dafür waren rund 30 Ladungen von Betonmischern erforderlich. Nach neunjährigen Bauarbeiten konnte 1998 die Große Beltbrücke, die Storebæltsbro, endlich fertiggestellt werden. Es ist eine der größten Hängebrücken der Welt, deren Bau etwa 3,8 Milliarden Euro kostete. Wenn die Statistik stimmt, können heute über 30.000 Fahrzeuge täglich diesen Belt überqueren. Die Brücke verbindet Seeland und Fünen.
Dieser Große Belt zwischen Fünen und Seeland ist jedoch nur ein winziges Schrittchen. Ein winziges Schrittchen im Vergleich zum unendlichen Abstand zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Schöpfer und seinen Menschen. Doch der Allmächtige hat einen Weg gefunden, diese Kluft zu überwinden. Er hat eine Brücke gebaut und einen Weg geschaffen.
Er hat nicht 280 Kubikmeter Beton angerührt, sondern ein Kind dazwischen geschickt: seinen Geliebten Immanuel. Dafür hat Gott diesen wundersamen Weg gewählt. Eine Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, den sie Immanuel nennen wird.
Dadurch wurde eine wunderbare und zugleich konkrete Nähe geschaffen. Wie es mein Theologe beschrieben hat, zitiere: „Keiner von uns konnte Gott die Hand geben, der Abstand war zu groß. Aber nun ist zwischen Gott und uns dieser Jesus, dieser eine, der in die Mitte getreten ist. Er hält uns an der einen Hand, Gott an der anderen. So ist nun Gott ganz nah bei uns festgehalten, und wir sind durch Jesus ganz nah bei Gott festgehalten.“
Dieses Kind, dieser Heiland, sagt: „Nun gehört ihr beide zusammen – du schuldbeladener, gottferner Mensch und du allein heiliger, gerechter Gott – durch mich.“ Das Kind kommt dazwischen.
Die Herkunft und Bedeutung des Messias
Das war viel auf einmal, was Josef verkraften musste. Aber alles passte zusammen. Sowohl er als auch Maria stammten aus der uralten Davidsfamilie, aus der der Messias einmal geboren werden sollte. Das haben wir letzten Sonntag gesehen. An diesem Stammbaum hatte der Engel ihn in Vers 20 noch einmal ausdrücklich erinnert.
In Vers 20 sagte der Engel nämlich: „Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht.“ Damit erinnerte er ihn noch einmal an den Stammbaum. Auch der Messias, den ich in deine Familie hineinschicke, wird ein Davidssohn sein. Soweit passte alles.
Trotzdem blieb ein entscheidendes Problem. Wenn Gott uns so nahekommt, dass er mit uns sein wird, wie sollen wir dann vor ihm bestehen können? Wie sollen wir bestehen? Hat nicht derselbe Jesaja, der in Kapitel 7 die Jungfrauengeburt ankündigte, ein Kapitel zuvor in Jesaja 6 deutlich gezeigt, dass dieser Gott, der zu uns kommt, heilig und rein ist?
So dass selbst ein Topprophet wie Jesaja vor ihm nie und nimmer bestehen konnte. Jesaja 6,3: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.“ Nur ein Kapitel davor heißt es:
„Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, mit meinen Augen gesehen.“
Und wenn dieser Gott noch näherkommt – das ist doch gefährlich! Hatte nicht Gott selbst schon durch Mose offenbart, dass er gefährlich sei, wie ein verzehrendes Feuer? 5. Mose 4,24: „Denn der Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer und ein eifernder Gott.“
Waren nicht die Israeliten, Gottes eigenes Volk damals, gewarnt worden, dem Berg Sinai auch nur zu nahe zu kommen? Abstand war nötig aus Sicherheitsgründen. Und war nicht im Tempel der dicke blaue Vorhang vom Allerheiligsten, der zu Josefs Zeiten dort noch in voller Pracht hing, eine beständige Warnung davor, den lebendigen heiligen Gott ja nicht zu nah an sich heranzulassen?
Aber was nun, wenn er von sich aus diese letzte Grenze durchbrechen würde? Was, wenn er im Immanuel ganz, ganz nah an uns dran sein würde – und bei Josef ja noch sogar in den eigenen vier Wänden, in der eigenen Familie? Unvorstellbar!
Würde diese Nähe, die durch das Kind gestiftet werden sollte, gut gehen?
Jesus als Retter von den Sünden
Und der Engel hat Josef und uns nicht ohne Antwort gelassen. Ohne diese Antwort darf ich sie heute auch nicht aus dieser Predigt herauslassen. Der Immanuel hat nämlich noch einen zweiten Namen, mit dem er eigentlich in der ganzen Welt bekannt geworden ist.
Und Sie alle kennen diesen Namen natürlich. Ich lese noch einmal ab Vers 20: „Was sie empfangen hat, das ist vom Heiligen Geist, und sie wird einen Sohn gebären. Dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“
Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt wurde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: „Eine Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären. Sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns.“
Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar, und er gab ihm den Namen Jesus.
Der Name Immanuel in Vers 22 ist eingerahmt von dem anderen Namen, Jesus, in Vers 21 und Vers 25. Wir hatten gesagt: Immanuel ist ein Titel, ein sinnbildlicher Name, der das Wesen des Sohnes ausdrückt. Aber der Messias wird auch seinen Hauptnamen bekommen, mit dem er eigentlich gerufen werden wird – seinen Eigennamen, unter dem er bekannt werden wird.
Diesen Namen soll Josef als Adoptivvater nicht selber aussuchen. Josef hat die ehrenvolle Aufgabe, seinem Adoptivsohn den Namen zuzusprechen, den dessen wahrer himmlischer Vater für ihn ausgesucht hat: „Sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“
Ein Kind kommt dazwischen. Und so wie der Immanuel dazwischenkommt – zwischen Gott und uns, um uns miteinander zu verbinden – so schmeißt sich der Jesus dazwischen zwischen die Sünde und uns, um uns voneinander zu trennen.
Das ist das Geheimnis dieser beiden Namen. Verstehen Sie? Der Immanuel kommt dazwischen, zwischen Gott und uns, um uns miteinander zu verbinden, und der Jesus wirft sich dazwischen, zwischen die Sünde und uns, um uns voneinander zu trennen.
Das Kind stirbt für unsere Sünden
Das ist das Dritte und Letzte, was wir aus diesen Versen mitnehmen: Ein Kind kommt dazwischen, stört unsere Pläne, stiftet Gottes Nähe und stirbt für unsere Sünden.
Das ist das Dritte: Ein Kind kommt dazwischen und stirbt für unsere Sünden. Darauf wird es ja hinauslaufen. Das wird der Weg sein. Auch das hatte Jesaja angekündigt, nämlich dass Jesus uns von unseren Sünden retten wird. Das ist die Kernbedeutung dieses Namens Jesus.
Jesus ist die griechische Form von Joshua im weitesten Sinne. Im Hebräischen gibt es davon eine längere Version, Jehoshua, und eine kürzere Version, Jeshua. Jehoshua kann man übersetzen mit „Yahweh ist Rettung“ und Jeshua mit „Yahweh rettet“. Beide haben die gleiche Bedeutung.
Wir wissen alle, dass Yahweh der berühmte Eigenname Gottes ist, mit dem der Herr sich damals im brennenden Dornbusch dem Mose offenbart hat: „Ich bin, der ich bin“, Yahweh. Indem Gott seinem Sohn diesen Namen gibt, identifiziert er sich mit ihm. Jesus ist Gott. Das heißt eben auch: In diesem Jesus, in diesem Jehoschua, kommt Yahweh persönlich in unsere Welt, um uns zu retten.
Retten wovon? Die zeitgenössische Messias-Erwartung hatte da ziemlich klare Vorstellungen, wovor der Messias sie retten sollte. Zunächst einmal vor der Fremdherrschaft der Römer – eine politische Rettung.
Auch heute haben Menschen bestimmte Vorstellungen, wovor sie unbedingt und überaus wichtig gerettet werden müssten: vor Krankheit, vor Armut, vor einer übergriffigen Regierung, vor Krieg, vor Depression, vor missgünstigen Chefs oder Kollegen.
Aber Gott sagt durch seinen Boten, dass es ein Rettungsanliegen gibt, das alle anderen überragt. Diese anderen Anliegen haben mitunter auch ihre Berechtigung. Doch es gibt ein Rettungsanliegen, das alle anderen überragt: Denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Darum geht es zuallererst.
Wenn wir an dieser Stelle eine kurze Definition von Sünde einfügen, dann sagen wir einfach: Sünde ist das, was uns in Gottes Augen schuldig macht und beschmutzt. Davon wird er uns retten. Wir kriegen das nicht selbst in den Griff.
Übrigens ist auch dieses Ziel des Immanuel fest verankert im Alten Testament. Das steht fast wortgleich so im Psalm 130, Vers 8: „Denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung; bei ihm wird Israel erlöst aus allen seinen Sünden.“ (Psalm 130,8)
Er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden, und das wird dieser Immanuel tun.
Und das ist die Antwort darauf, wie wir die Nähe des Immanuel aushalten und wie wir die Begegnung mit diesem Immanuel überstehen, ohne von seiner Heiligkeit verzerrt und von seiner Reinheit verurteilt zu werden.
Die Herausforderung der Sünde und Gottes Nähe
Die meisten Menschen haben wohl deshalb kein bewusstes Problem mit ihrer Sünde, weil sie in der Illusion leben, dass es keinen Immanuel gibt. Dass es keinen Gott gibt, der wirklich in unser Leben eingreifen könnte. Dieses Denken wird weitgehend ausgeschlossen, solange man allein zurechtkommt. Und wenn man sich am Ende vielleicht doch danach sehnt, ist es möglicherweise schon zu spät.
Vielleicht hilft manchem folgendes Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Gott könnte einen Moment lang Ihre Gedanken lesen. Und das kann er. Er hat es immer wieder gesagt. Gott könnte Ihre Gedanken lesen – zum Beispiel über Ihre persönliche Einstellung zu ihm selbst, über Ihre Ehrfurcht vor Gott oder Ihre Gleichgültigkeit ihm gegenüber.
Stellen Sie sich vor, Gott könnte Ihre Gedanken lesen über Ihre Dankbarkeit oder Undankbarkeit für das Gute, das er Ihnen im vergangenen Jahr geschenkt hat. Stellen Sie sich vor, Gott könnte Ihre Gedanken lesen über Ihre Nächsten, die Sie erleben sollen. Oder sogar Ihre Gedanken über Ihre Feinde, die Sie zumindest nicht hassen sollen.
Oh, wenn Gott unsere Gedanken lesen könnte – und er kann es –, dann vergleichen Sie Ihre Gedanken bitte einfach mit den zehn Geboten. Sollten Sie die zehn Gebote nicht mehr zusammenbekommen, sagt das auch einiges über Ihre Einstellung zu Gott aus. Das heißt, er ist Ihnen so egal, dass Sie nicht einmal seine Gebote kennen und dass Ihnen das auch nichts ausmacht.
Im Grunde genommen bliebe Ihnen dann nur noch die Hoffnung, dass es Gott nicht gibt. Aber da hat Weihnachten einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Kind ist dazwischengekommen. Das Kind ist dazwischengekommen, um Ihre Pläne, die Sie ohne Gott gemacht haben – und meine Pläne, die ich ohne Gott gemacht habe – zu stören.
Das Kind ist dazwischengekommen, um Ihnen eine Nähe zu Gott zu schenken, die Sie nie für möglich gehalten hätten. Aber dann muss Jesus auch dazwischenkommen – zwischen Sie und Ihre Sünde. Er muss dazwischenkommen, um Sie von Ihrer Sünde zu trennen, damit Sie den heiligen Gott als Ihren Vater bekommen, mit dem Sie versöhnt sind.
Und Jesus ist der Einzige, der das kann, weil er die Strafe für unsere Schuld freiwillig auf sich genommen hat am Kreuz. Er ist der Einzige, der das kann, und darum ist er dazwischengekommen, um für unsere Sünden zu sterben.
Jesus als Retter für alle Menschen
Und lassen Sie sich nicht davon irritieren, dass in Vers 21 steht: Er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Ja, Israel ist die erste Adresse, zu der Jesus gesandt war – Jesus, der Messias, der Juden.
Aber Jesus hat von Anfang an klargemacht, dass er auch uns Heiden mit einbezieht. Ein Beispiel dafür ist der römische Hauptmann von Kapernaum, ein Römer, der voller Vertrauen und auch Verzweiflung zu ihm kam und von Jesus alle Hilfe und Rettung erwartete.
Dieser Heide hörte von Jesus die Worte: „Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden.“ Doch Jesus sagte auch: „Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen.“ Damit sind auch wir gemeint.
Das heißt, wer immer Jesus als seinen Jehoschua, als seinen Retter von den Sünden anruft, den lässt Jesus dazugehören. Und dieser wird, wie der Hauptmann von Kapernaum, auf ewig bei seinem großen Fest in der Ewigkeit dabei sein dürfen.
Darum stehen wir vor der gleichen Entscheidungsfrage wie Josef in einer angespannten Situation: Willst du Jesus in dein Leben aufnehmen? Willst du Jesus in deine Familie aufnehmen?
„Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar, und er gab ihm den Namen Jesus.“ (Matthäus 1,24-25)
Jesus in der Familie und seine Geschwister
Nachdem Jesus geboren war, konnte er zunächst behütet in der Zimmermannsfamilie aufwachsen. Im Laufe der Jahre kamen dann noch vier Halbbrüder und mindestens zwei Halbschwestern dazu. In Matthäus 13,55 ist das nachzulesen. Diese Halbbrüder und Halbschwestern hatten dieselbe Mutter wie Jesus, aber Joseph war ihr leiblicher Vater. So entstand eine ziemlich normale Familie, mit Jesus mitten darin – Gott mit uns.
Und ihr Lieben, das darf uns in dieser Weihnachtszeit wieder ganz neu ergreifen, aufwühlen und ja, auch erschüttern: Gott ist durch Jesus wirklich mit uns. Er will unter unser Dach kommen, bei uns sein und uns alle unsere Sünden vergeben. Deshalb können wir schon jetzt, mitten in dieser unsicheren und oftmals verrückten Welt, ganz getrost sein.
Gottes Nähe in der Einsamkeit und Verheißung der Rettung
Ein Kollege berichtete vor etlichen Jahren von einer älteren Dame. Sie hatte ihr Augenlicht und ihr Gehör verloren und war dadurch sehr einsam geworden, nahezu von jeglicher Kommunikation abgeschnitten. Wann immer er in ihrer Nähe war, versuchte er, ihr eine Freude zu machen.
Er legte seine Hand auf ihre Hand und ging ganz nah an ihr taubes Ohr heran, um ihr ganz laut einen Gruß ins Ohr zu rufen – so, wie es „Gott befohlen“ habe. Er sagte, dass er jedes Mal merkte, wie sie vor Freude fast erzitterte. Es war, als ob auf einmal der Ring der Einsamkeit und Abgeschiedenheit um sie zersprengt wurde, sodass ihre erstorbenen Sinne es dennoch fassen konnten.
Er erklärte weiter, dass Gott mit uns auf dieselbe Weise gehandelt hat, als er durch Jesus in unser Leben kam. Wir waren blind und taub für die ewige Welt, taub für die Realität Gottes. Taub auch für unsere Sünde und seine Vergebung. Gott war immer da, aber wir merkten es nicht oder wollten es nicht wahrhaben.
Doch Gott hat nicht locker gelassen. Er ist uns nachgegangen bis in unsere Abgeschiedenheit hinein. Er hat die Kluft überbrückt, seine Hand auf unsere Hand gelegt und in die Nacht des Schweigens hineingerufen – durch Jesus.
Und wer sich nach Jesus ausstreckt, für den gilt fortan, was sein Name verspricht: Gott ist mit uns.
Schlussgebet
Ach, allmächtiger Gott, es ist unfassbar für uns, was du getan hast: dass du uns so nah gekommen bist, Herr, und dass wir mit unserem zerbrechlichen Leben zu dir flüchten können, weil du da bist, geliebter Herr Jesus Christus.
Lass es geschehen, dass viele unserer Zeitgenossen das ebenfalls erfahren und erkennen: Immanuel ist gekommen, gekommen, um uns zu retten, du lieber, guter Herr! Amen!