Das erste Kapitel im Kolosserbrief stellt Jesus groß dar. Im zweiten Kapitel warnt Paulus vor Verführungen und hilft der Gemeinde in Kolossä, sich nicht auf diese Verführung einzulassen. Diese Verführung verbindet Jesus mit Irrlehre, wie ich es bereits erwähnt habe. So ist es.
Im dritten Kapitel betont Paulus vor allem die gute Abwehr gegen das, was von außen kommt, aber auch gegen Irrlehren, die von innen entstehen können. Das ist eine Sache. Noch wichtiger ist jedoch, dass wir darauf achten, wie unser Leben in der Nachfolge und in der Gemeinschaft mit Jesus gestaltet wird.
Wir haben den alten Menschen ans Kreuz gegeben und ausgezogen. Nun ziehen wir den neuen Menschen an. Es ist ein Wechsel der Kleidung. Dabei stellt sich die Frage: Was passt zum neuen Menschen? Was gehört nicht mehr zu uns? Was ist die Kleidung des alten Menschen? Es geht um persönliche Dinge, und der Text ist klar in der Ethik. Auch moralisch muss man das betrachten.
Als Fußnote sei vielleicht erwähnt, dass man oft darüber spricht, was eigentlich Sünde in der Bibel bedeutet. Schnell wird klar: Sünde ist zunächst der Beziehungsbruch zwischen Gott und Mensch. Es ist die Rebellion des Menschen gegen Gott. Der Mensch will sein Leben selbst bestimmen, so sein wie Gott. Zunächst ist das Misstrauen, der Unglaube, ein Beziehungsbruch.
Dieser Beziehungsbruch hat aber konkrete Folgen. Interessanterweise äußert er sich nicht nur in Unmoral, wie Ehebruch, Habgier, Betrug oder Lüge. Man kann diesen Vertrauensbruch und diese Rebellion auch auf einem religiösen und moralisch hohen Niveau leben.
Ein Beispiel dafür ist Paulus. Er konnte von sich sagen, dass er früher Jude war, mit allem, was dazugehörte, sogar Pharisäer. Er bemühte sich, alle Gebote zu halten und war hart gegen sich selbst. Seine Rebellion gegen Gott bestand nicht darin, dass er die Gebote Gottes brach und unmoralisch lebte. Vielmehr war seine Form der Rebellion eine arrogante Selbstgerechtigkeit. Er glaubte, Gott wohlgefällig zu sein und brauchte keinen Messias vom Kreuz.
Man kann also gottlos auf hohem religiösem und moralischem Niveau sein, aber auch auf einem niedrigeren moralischen Niveau. Das ist der einzige Unterschied. Beide Wege führen jedoch in die falsche Richtung. Man kann diese falsche Richtung mit dem Fahrrad oder mit dem Auto fahren, aber es ändert nichts daran, dass sie falsch ist.
In Kapitel drei ist Paulus beim Aufzählen der Werke und Verhaltensweisen, die uns nicht mehr passen und die wir als neue Menschen ablegen sollen, sehr drastisch, deutlich und konkret. Es ist sinnvoll, in diesen Spiegel zu schauen und sich diese Geschichte nicht schönreden zu lassen.
Theologische Formulierungen wie „Sünde ist nichts Moralisches, sondern eine Beziehungsstörung“ klingen oft abgehoben und hochtrabend. Dadurch scheinen sie mit unserem Alltagsleben wenig zu tun zu haben. Doch die tatsächlichen Bedrohungen bestehen aus Arroganz, versteckter Habgier, Geiz und ähnlichen Dingen. Das ist alles sehr praktisch und konkret.
Die Bibel ist so praktisch, und wir sollten das zulassen und aushalten. Jesus groß machen, das ist das Ziel. Im ersten Kapitel verteidigt Paulus gegen Irrlehren, im zweiten Kapitel bereitet er weiter vor, und im dritten Kapitel geht es um Lebensgestaltung.
Heute lesen wir zunächst eine Zwischeneinblendung. Wie funktioniert das praktisch? Wie geht das ganz konkret? Paulus sagt: „Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen.“
Buchstabieren wir das: Das Wort des Messias heißt es da. Mit dem zweiten Fall, mit dem Genitiv, ist es so eine Sache. Ist das das Wort des Christus? Ist das das Wort, das der Christus spricht? Oder ist es das Wort über den Christus, also Genitivus subjectivus oder Genitivus objectivus?
Also ist das in der Sprache das, was hier gemeint ist: Das Wort des Christus ist das Wort, das Christus spricht. Natürlich hängt das auch zusammen, denn das Wort, das er selber spricht, ist auch das Wort, das er durch seine Apostel zu uns spricht. Diese sprechen auch über Jesus, zum Beispiel in den Evangelien. Sie sagen, was er gesagt hat, was er getan hat, wie er gelitten hat, wie er gestorben ist, wie er auferstanden ist, dass er auferstanden ist und wie das mit der Himmelfahrt war.
Das heißt, das Wort des Christus ist das Wort über den Christus, aber es ist auch das Wort des Christus, weil es in der Autorität der Augenzeugen gesprochen ist, die zur Offenbarung gehören, als Dokumentatoren der Offenbarung Gottes.
So: Lasst das Wort des Christus reichlich unter euch wohnen. Das heißt erst mal, wenn man das praktisch sieht, nicht nur zu Besuch kommen. Wer irgendwo zu Besuch hinkommt, wohnt dort höchstens zeitweise. Wohnen heißt: Hier bin ich zu Hause, hier habe ich Wohnrecht, Bleiberecht. Hier gehöre ich hin. Das heißt, hier ist meine Wohnung, hier gestalte ich.
Das ist es. Ich bin ja nicht nur zu Besuch. Wenn ich zu Besuch irgendwo bin, habe ich nicht unbedingt das Recht, die Möbel umzustellen. Vielleicht kann ich einen Vorschlag machen, aber so richtig wohne ich dort nicht. Wohnen heißt: Es soll wirklich zu Hause sein. Es soll wirklich bleibend sein und reichlich, reichlich, also viel.
Was heißt das? Das heißt natürlich einfach, regelmäßig viel Zeit für das Wort des Messias zu haben. Regelmäßig viel Zeit, ganz schlicht und einfach. Wenn man irgendwo wohnt, ist man dort dauernd.
Jetzt ist die Frage immer: Wie gestalten wir das? Ich weiß nicht, wie Sie das machen, ob Sie eine Regel für die tägliche stille Zeit, für das tägliche Bibellesen haben. Dann fragt man sich wieder: Nach welchem Plan lese ich das? Aber auf die Dauer kann man auch mal aufschlagen und schauen, was gerade steht.
Auf die Dauer ist das, glaube ich, nicht so fruchtbar. Es gibt schöne Bibellesepläne unterschiedlicher Art. Es geht nicht darum, ob ich das eine oder das andere mache. Nur wenn es regelmäßig sein soll, dann sind wir gut beraten, wenn wir uns gute Gewohnheiten aneignen. Denn keiner hat die Charakterstärke, jeden Tag spontane Entscheidungen zu treffen.
Es ist gut: Zähneputzen wird einem von Kindesbeinen an beigebracht. Das geht dann so, das macht man so. Man muss nicht jeden Tag großartig entscheiden. Eigentlich gehört es zur Gesundheit dazu, dass ich mir die Zähne putze. Und wann mache ich das wohl heute mal? Das hat man an seinen Regeln eingeübt. Das ist eine kolossale Erleichterung zum Leben, in guten und in schweren Zeiten.
Ich bin immer ein bisschen besorgt, wenn ich höre: „Ich will so rum anfangen.“ Ich will ja Verständnis dafür aufbringen, wenn jemand sagt, wenn da so Routine aus dem regelmäßigen Bibellesen wird, dann ist das so, als ob man ein Gesetz daraus macht. Und wenn ich dann mal das verpennt habe, dann muss ich vielleicht ein schlechtes Gewissen haben, dann ist Gott mir böse.
Nein, man muss wirklich nicht die Bibel lesen, um bei Gott Pluspunkte zu sammeln. Sondern wir brauchen einfach das Wort Gottes täglich. Wir brauchen es zum Leben, so wie wir Nahrung täglich brauchen, so wie wir Luft zum Atmen regelmäßig brauchen.
Und wenn wir es nicht regelmäßig haben – also schon beim Essen ist das so. Das ist nicht wie beim Atmen, dass man das nicht lange aussetzen kann. Aber ich meine, wer unregelmäßig isst und einmal die Woche ein kaltes Buffet für zehn Personen verspeist und dann denkt, er wäre gut ernährt, der ist wohl nicht ganz gut beraten in der Hinsicht.
Gesund ist doch regelmäßig verträgliche Portionen und so. Und so ist es im geistlichen Leben natürlich auch.
Wir leben natürlich in einer Zeit, in der Spontaneität und gefühlsmäßiges Leben sehr positiv bewertet werden. Man sagt: Wenn ich jetzt keine Lust habe, die Bibel zu lesen, und es trotzdem wie eine Pflicht tue, dann ist das doch irgendwie nicht echt. Da wir aber echt sein wollen und keine Heuchler sein möchten – was sage ich? – das ist eine komische Haltung.
Es geht mir oft so: Wenn man kurz geschlafen hat, aus irgendwelchen Gründen nur drei Stunden in der Nacht, und morgens der Wecker klingelt, obwohl wichtige Aufgaben anstehen, dann wacht man auf und denkt: Wenn ich jetzt aufstehe, wäre ich ein Heuchler. „Ich fühle mich gar nicht gut, ich will doch authentisch und echt leben!“ Man wirft den Wecker aus dem Fenster, dreht sich um und schläft drei Stunden weiter. Dann wacht man auf, entdeckt, dass man wichtige Termine verpasst hat und großen Schaden angerichtet hat. Ja, was ist dann? Man ist gut ausgeschlafen und hat schlechte Laune.
Das ist völliger Quatsch. Das Leben funktioniert so, dass man manchmal auch gegen seine Gefühle etwas Verantwortliches tun muss. Zu dem Verantwortlichen gehört eben auch, dass man es sich leicht macht – ich sage mal, dass man es sich leicht macht. Leicht machen heißt, gute Gewohnheiten einzuüben, denn sie erleichtern das Leben enorm.
Sie werden ja merken, wenn Sie das in Ihrem Leben umsetzen: Wann ist die Zeit zum Bibellesen? Meine Erkenntnis ist, dass ich, wenn ich morgens das nicht gemacht habe, den Tag über die Bremse nicht anziehen kann. Ich habe in meinem Leben – vielleicht habe ich das falsch gemacht – aber ich hätte vielleicht früher anfangen sollen, es so zu machen wie Jesus.
Jesus war Jude und hat regelmäßig, mindestens dreimal am Tag, möglicherweise sogar fünfmal am Tag, zu festen Zeiten gebetet. Die Muslime haben das von den Juden übernommen. Im Neuen Testament wird bei den Pharisäern ebenfalls eine Gebetsordnung beschrieben. Das kann man allerdings auch anders sehen: Sie bleiben, wenn Gebetszeit ist, auf der Straße stehen und beten. Die anderen denken: „Boah, toll, ein frommer Typ, oder?“ Jesus sagt dazu: Das ist doch Heuchelei, du willst ja vor den Augen der Leute beten.
Man kann gute Gewohnheiten und hilfreiche Lebensstrukturen als Show missbrauchen. So wird es Heuchelei, genauso wie Regelmäßigkeit natürlich auch zur toten Routine werden kann. Dann muss man sich mit Brüdern und Schwestern beraten und fragen: Was hilft dagegen? Kann ich mal eine andere Art der Bibellese ausprobieren? Es gibt ja viele Hilfen.
Jedenfalls sagt Paulus, es ist wichtig, dass wir viel Zeit und Raum für das Wort Christi haben.
Nun frage ich mich noch einmal: Wie ging das eigentlich damals?
Heute ist das klar. Jeder hat seine Bibel, und manche haben sogar zehn Bibeln. Wenn jemand keine Bücher mit sich trägt, dann hat er die Bibel auf dem iPhone, steckt sich einen Knopf ins Ohr und lässt sich die Bibel von Peter Hane oder anderen guten Sprechern vorlesen. Das gibt es ja alles inzwischen.
Aber wie war das damals? Sie hatten kein Buch. Ob die Gemeinde in Kolossä überhaupt eine Bibel besaß, ist nicht sicher. Wenn sie eine Bibel hatten, dann war das das Alte Testament. Aber das war schon so kostbar, dass es in so einem kleinen Ort wie Kolossä nicht sicher war, ob sie überhaupt ein Exemplar hatten. Das Neue Testament wurde ihnen ja gerade erst zugeschickt. Es entstand ja gerade erst, es gab es noch gar nicht.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie das war? Wir denken heute selbstverständlich, dass man regelmäßig das Wort Gottes zu Hause lesen kann, dass es Bibelstunden gibt und Gottesdienste. Und jeder hat seine Bibel dabei. Wir haben keinen Grund, das infrage zu stellen.
Damals war das natürlich anders. In einer anderen Kultur lief das anders ab. Und überall dort, wo man nicht schreiben konnte und bevor es gedruckte Bücher gab, war das anders. Man hat das Wort Gottes gehört und das Gehörte auswendig gelernt.
Natürlich haben die Menschen damals besser auswendig gelernt als wir heute. Je mehr man Wissen aus seinem Gehirn in Büchern oder anderen Medien auslagert, desto weniger übt man es ein, es im Kopf zu behalten. In Kulturen, in denen nicht jeder lesen und schreiben konnte und es keine Bücher oder Tonträger gab, wurde das Wissen im Kopf gespeichert.
Es gibt sogar ausgeklügelte Techniken dafür. So hörte ich den Bericht eines Missionsexperten. Er kannte einen Ältesten aus einer christlichen Gemeinde in Tansania, einen alten Mann, der Predigten von anderthalb Stunden Länge von Missionaren, die er in seiner Jugend gehört hatte, wortwörtlich wiedergeben konnte. Das hatte er drauf.
Alles, was wir auswendig können, hat den Vorteil, dass es viel näher an unserem Leben ist. Denn wenn ich im Alltag Entscheidungen treffen muss und frage, ob etwas richtig oder falsch, gut oder böse ist, entscheide ich nach dem, was ich innerlich an Wissen mit mir trage. Ich gehe ja nicht erst nach Hause, schlage die Bibel auf und schaue in einer Konkordanz nach, ob da ein Stichwort steht. Das kann ich später vielleicht machen, aber normalerweise wende ich spontan das an, was ich in mir habe.
Deshalb sagen die Engländer, dass man „knowing by heart“ hat – vom Herzen her kennen, also das Wissen in sich tragen und im Herzen haben.
Man muss die ersten Christen aus der damaligen Zeit, also auch die Zeit vor Gutenberg und dem Buchdruck, nicht bemitleiden. Sie trafen sich täglich zum Gottesdienst – nicht nur in der Sparflammenmethode, die wir uns heute angewöhnt haben. Heute sind manche Christen kaum noch dazu zu bewegen, jeden Sonntag in die Gemeinde zu gehen. Sie finden das schon fast übertrieben.
Die ersten Christen trafen sich natürlich jeden Morgen. Viele von ihnen waren Sklaven und hatten keine geregelten Arbeitszeiten von acht bis siebzehn Uhr oder neun bis siebzehn Uhr. Sie mussten von Tagesanbruch, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiten. Sie hatten nur etwa sieben Stunden Freizeit.
Das eine war sicher: Man traf sich in der Gemeinde vor Sonnenaufgang, morgens zwischen fünf und sechs Uhr, zum Gottesdienst – jeden Morgen. Am Schabbat gab es den Schabbatgottesdienst, und am Sonntag den Gottesdienst zum Auferstehungstag. Das war ihnen bewusst. Wir feiern heute den Auferstehungstag, also Ostern, jede Woche.
Zum Gottesdienst traf man sich täglich. Das war die stille Zeit. Man hörte das Wort Gottes, es wurde vorgetragen, vorgelesen oder auswendig vorgetragen, und es wurde aufgenommen und dabei memoriert.
Der Graf Zinzendorf führte das im 18. Jahrhundert in Herrenhut teilweise wieder ein. Daher entstanden die Losungen. Morgens gingen sie im Dorf in alle Häuser und riefen ein Bibelwort als Losungswort in die Häuser. Die Menschen lernten es auswendig und gingen dann mit dem Bibelwort durch den Tag. So sind die Losungen entstanden, die man heute in den Losungsbüchern hat.
Das heißt: Wenn das Wort Gottes in uns wohnt, bedeutet das nicht nur, dass ich es häufiger lese, sondern auch, dass ich es auswendig lerne, damit ich es anwenden kann – sinngemäß, wie auch immer das da ist.
Also hilft alles nichts. Natürlich haben sich die Zeiten dramatisch geändert, und natürlich kann man heute sagen, dass kaum jemand die Bibel liest. Es gibt immer mehr Christen, die zwar eine Bibel besitzen, aber nicht lesen. Besonders Männer sind berüchtigt dafür, keine Bücher zu lesen. Trotzdem gibt es hier viele Männer, die nur Bücher lesen.
Es gehört zum Wachstum des Glaubens dazu, dass wir die Bibel lesen. Deshalb ist es in der Weltmission bis heute so: Es gibt noch ein paar Tausend Sprachen kleiner Volksstämme, in denen es keine Bibel oder Bibelteile gibt. Sprachwissenschaftler und Bibelübersetzer arbeiten daran, diesen Volksstämmen eine Schrift zu geben. Denn in der Regel haben sie keine eigene Schrift. Sie entwickeln eine Schrift, um die Bibel zu übersetzen.
Die Verbreitung der Bibel durch die Weltmission hat immer dazu geführt, dass Menschen in ihren Heimatsprachen lesen und schreiben lernten. Es war ein Weltalphabetisierungsprogramm.
Wenn wir heute in einer Zeit leben, in der die Leute immer weniger lesen, dann heißt das: Wo liegt der Unterschied? Das Evangelium wurde in der Vergangenheit Völkern und Kulturen verkündet, die überhaupt nicht lesen konnten. Und das war kein Hindernis – und ist es auch heute nicht.
Es gibt immer den Bildungsauftrag: Lesen lernen, Schreiben lernen, Bibel lesen, vorlesen, auswendig lernen.
Ich will noch eine Schippe drauflegen, damit Sie verstehen, wie wichtig das ist.
Hebräisch lernt man eigentlich erst richtig zu schreiben und zu lesen, nachdem man die Bibel auswendig kann. Bis heute können Kinder in Israel die Straßennamen oder Zeitungen nur lesen, wenn sie den Inhalt der Worte schon kennen. Denn in der hebräischen Sprache werden normalerweise die Vokale nicht mitgeschrieben – also die Laute i, a, o fehlen. Es stehen nur die Konsonanten wie t, f, b und so weiter. Je nachdem, welche Vokale zu diesem Wort gehören, gibt es mehrere Möglichkeiten.
Nur wenn man den Text schon kennt und den Sinnzusammenhang erfassen kann, kann man ihn richtig aussprechen. Das war üblich in Israel. Natürlich lernten die Kinder von früh auf die Heilige Schrift und kannten die Bibel, bevor sie schreiben konnten. So lernten sie Lesen und Schreiben.
Das ist nicht nur wegen der Bildung wichtig, sondern es geht darum: Wie kommt das Wort Gottes in mein Herz? Und wie prägt es meinen Alltag?
Darum gibt es Paulus. Im dritten Kapitel redet er darüber, wie das Wort Gottes unser Leben prägt – als einzelne Menschen und in unseren Beziehungen. Im nächsten Teil, den wir lesen, geht es darum, wie es unsere Familie, unser Berufsleben und so weiter prägt.
Deshalb sagt er hier: Es muss eine Weise geben, wie ihr dem Wort Gottes die Möglichkeit gebt, Einfluss in eurem Leben zu haben. Wenn ihr das nicht organisiert, dann wundert euch nicht, dass das Wort von Jesus keinen Einfluss hat.
Dann wird euch das beeinflussen, was ihr im Kopf habt.
Und ihr habt das im Kopf, wenn ihr dauernd mit Kopfhörern unterwegs seid und Hitparaden hört. Dann habt ihr die Texte im Kopf, die ihr in den Liedern hört.
Also: Wir brauchen das. Das ist ganz, ganz wichtig.
Hier wird nun weiter beschrieben, wie es damals zuging. Was bedeutet eigentlich der Satz: „Das Wort Gottes Christi reichlich unter euch, lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit“?
Zunächst ist es schon bemerkenswert, dass nicht gesagt wird, die Pastoren sollen die Gemeinde lehren. Stattdessen richtet sich die Aufforderung an die gesamte Gemeinde: „Ihr untereinander, lehrt und ermahnt einander.“
Lehren bedeutet hier, biblische Lehre weiterzugeben, also Informationen über Jesus, das Leben mit ihm und die daraus folgenden Konsequenzen. Ermahnen heißt, auch zu korrigieren und darauf hinzuweisen, dass es nicht reicht, etwas nur zu wissen, sondern dass man es auch im Leben umsetzen muss.
Anschließend heißt es: „Mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.“ Das gehört ganz klar in den Zusammenhang des Lehrens und Ermahnens. Das machen wir ja hier auch. Es ist nicht einfach nur eine kulturelle Verzierung eines Bibelabends oder Gottesdienstes, dass wir Lieder singen. Das Singen ist eine sehr tiefe Form der Verinnerlichung des Inhalts.
Deshalb haben Christen immer gesungen und tun das in allen Kulturen, solange jemand den lebendigen Gott kennt. Die Psalmen beklagen oft, dass wir nicht genau wissen, nach welchen Melodien sie gesungen wurden. Es wäre wunderbar, wenn man ein paar MP3-Dateien mit den Psalmliedern hätte, so wie sie zu verschiedenen Zeiten in Israel von verschiedenen Chören oder Sängern vorgetragen wurden. Das wissen wir leider nicht, und auch von der Urgemeinde wissen wir das nicht. Aber wir wissen, dass alle gesungen haben: Psalmen, Lobgesänge, geistliche Hymnen, geistliche Lieder – also unterschiedliche Stilrichtungen.
Wir haben ja bereits gesagt, dass der mächtige Abschnitt über Jesus Christus im ersten Kapitel des Kolosserbriefes, Kapitel 1, Verse 15 bis 20, vermutlich ein richtiger Hymnus ist. Ja, der wurde mit Überzeugung gesungen, geschmettert. Es ist klar, dass Lieder eine große Bedeutung haben.
Ich werde dann auch getröstet, wenn Leute klagen, dass junge Menschen heute nicht so viel lesen. Vielleicht ist das so. Aber ich freue mich doch, dass viele musikalisch sehr aktiv sind in den Gemeinden. Man kann über Anbetungslieder denken, was man will – und wir brauchen sicherlich eine breite Vielfalt an Inhalten, das darf nicht verarmen –, aber ich freue mich, dass viele Lieder biblische Texte verarbeiten.
Das ist eine Form des musikalischen Auswendiglernens der Bibel. Man lernt viel leichter, wenn man die Melodie hat und singen kann. So vergisst man den Text viel schwerer. Übrigens ist das auch im Alter noch wichtig, wenn das Vergessen beginnt. Dann wird es besonders spannend. Ein Mensch hat doch das Recht, mit den Liedern zu sterben, mit denen er zum Glauben gekommen ist.
Eine ganze Menge der Lieder, mit denen ich zum Glauben gekommen bin, singt heute niemand mehr. Aber ich kann sie auswendig. Eine schöne Erfahrung habe ich gemacht: Vor einigen Jahren wurde ich von einem Freund ans Sterbebett seines Sohnes gerufen. Der Sohn war mit zwanzig Jahren bei einem Verkehrsunfall verunglückt, lag im Koma und war klinisch tot. Das war eine sehr schwierige Situation, weil die Eltern nun auch entscheiden mussten, wann die Maschinen abgeschaltet werden.
Wir standen mit der Familie um das Bett dieses jungen Mannes, der an Maschinen hing und nicht mehr atmete. Dann haben wir gesungen, gebetet und das Wort der Schrift gelesen. Die Ärzte warteten eigentlich darauf, dass wir den Raum verlassen. Aber das fiel uns schwer, also blieben wir.
Plötzlich begann der jüngere Bruder, eines der damals ganz neuen Anbetungslieder anzustimmen: „Bis an das Ende der Zeit – Deine Liebe bleibt bis in Ewigkeit.“ Keiner von uns anderen kannte das Lied. Er sang den Refrain noch einmal, und wir stimmten mit ein.
Bis dahin hatte ich gedacht, in solchen schweren Situationen helfen nur Lieder von Paul Gerhardt. Das ist der einzige Stoff, der wirklich trägt, zum Beispiel „Harre meine Seele“ oder „Ich weiß den Weg auch nicht“. Es gibt noch ein paar Lieder, die aus der Tiefe gestaltet sind und die gehen.
Aber dann dachte ich: Wenn das so ist, dass die neuen Lieder, die ich noch nicht kannte, die ich jetzt am Sterbebett eines sterbenden jungen Mannes lernte, so tragen, dann sind das gute Lieder. Lieder, mit denen man sterben kann, die man an Betten sterbender Menschen singen kann.
Deshalb nehmen wir das ernst. Ich finde es immer wieder toll, wie hier viel und mit ganzem Herzen gesungen wird. Ich habe einen großen Segen in der Corona-Zeit erlebt. In unseren Gemeinden war ja das Singen verboten, man durfte höchstens in die Maske husten. Das war alles furchtbar.
Meine Frau und ich haben dann gesagt: Jetzt singen wir jeden Morgen beim Frühstück. Losung lesen, beten, singen. Es klingt nicht besonders schön, wenn wir beide zusammen singen, aber das ist egal. Wir haben uns angewöhnt, aus verschiedenen Liederbüchern immer alle Strophen zu singen. Bei Paul Gerhardt sind das manchmal 15 Strophen, und bei den Psalmen von Jurissen ebenso. Das ist etwas sehr Spannendes!
Jetzt ist Corona vorbei, und wir singen immer noch. Wir brauchten erst diese schwierige Zeit, um endlich auf den Trichter zu kommen, dass wir mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern Gott dankbar in unseren Herzen singen sollen.
„In den Herzen singen“ heißt ja nicht nur, den Text still zu lesen, sondern laut mit der Stimme und von Herzen zu singen. Alles, was wir tun – mit Worten oder Werken –, sollen wir im Namen des Herrn Jesus tun und Gott dem Vater durch ihn danken.
Es geht hier also regelmäßig viel Zeit für das Wort des Messias, für Lehre und Seelsorge drauf.
Ach, zu dem Ersten: Wenn Sie vor der Herausforderung stehen und feststellen, dass Sie in Ihrem Leben keine Regelmäßigkeit haben und Ihnen das ein wenig schwerfällt, dann verrate ich Ihnen nur eines: Verabreden Sie sich, nehmen Sie sich Zeugen.
Ich habe das Bibellesen auch nur dadurch regelmäßig gelernt, weil Freunde mir erstens damals, als ich jung war, dazu geraten haben. Zweitens waren sie so nett und haben immer wieder nachgefragt: „Wie war es denn jetzt?“ Wir nannten das damals Morgenwache.
Sie sagten: „Wecker stellen, fünfzehn Minuten Bibel lesen.“ Dann fragten sie: „Wie war es denn?“ Der Junge hat ein paarmal verschlafen. Sie sagten: „Macht nichts, Gott macht keine Striche. Es geht nicht darum, dass du Pluspunkte sammelst, sondern dass du täglich mit ihm im Gespräch bist. So gestaltet das dein Leben, und du bekommst die Bibel in dein Herz.“
Sie haben mit mir geübt. „Du musst das einfach einüben, bis diese Regelmäßigkeit wie von selbst da ist.“ Dann bist du plötzlich in einer Zeit, in der du gar keine Entscheidung mehr treffen musst, weil alle komisch gucken.
Ich weiß noch heute, wie meine Mutter komisch geguckt hat, als ich mal das Bibellesen ausfallen ließ und zu früh zum Frühstück kam. Da wusste ich: Jetzt ist es drin. Die ganze Familie hat begriffen, dass ich erst komme, wenn ich die Bibel gelesen habe.
Also, es geht ganz praktisch im Leben zu. Das meint Paulus, wenn er sagt: Lasst das Wort Gottes reichlich unter euch wohnen (Kolosser 3,16). Man muss nicht sagen, das ist eine steile, tolle, fromme Aufforderung, der man nur nickend zustimmt und denkt: „Na gut, was soll's.“ Sondern es geht darum: Wie mache ich es praktisch, und wie wird es leicht?
Lehre und Seelsorge wirken wechselseitig. Was Weisheit zu bieten hat, heißt es hier also noch einmal – das ist ja toll. Ermahnt einander in aller Weisheit! Jesus ist die Weisheit, alle Weisheit ist in ihm (1. Korinther 1,30). Er ist uns zur Weisheit gemacht worden.
Also ist Seelsorge in Weisheit wichtig. Die Weisheit hat viel zu bieten. Lieder lernen steuert das Herz, das Steuerzentrum. Die Generalleitlinie heißt: Im Namen des Herrn Jesus und des Herrn Jesus und in Dankbarkeit.
Und alles, was ihr tut, in Worten und in Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn (Kolosser 3,17).
Nachdem Paulus auf diese Weise noch einmal betont hat, dass das Wort Gottes Einfluss auf unser Leben haben soll, sagt er nun, worum es genau geht. Er nennt in dem, was man Haustafel nennt, ganz grundlegende Dinge. Wir sind Beziehungsmenschen, und wenn das Wort Gottes unser Leben prägt, dann betrifft das nicht nur unser Denken und Fühlen, sondern vor allem auch unsere Beziehungen.
Es geht also um Frauen und Männer, Eltern und Kinder, und dann wendet er sich der Arbeitswelt zu. Das ist ein sehr beliebtes Thema, an dem sich viele ärgern.
Im Epheserbrief und Kolosserbrief heißt es: „Ihr Frauen ordnet euch euren Männern unter, wie es sich gebührt in dem Herrn.“ „Wie es sich gebührt“ bedeutet, dass es schicklich ist. Schicklich ist etwas Kulturelles. Zum Beispiel, ob man mit Messer und Gabel oder mit den Händen isst, das ist Kultur, das ist schicklich. Wenn man bei uns heute Abend mit den Händen essen würde, wäre das nicht schicklich. Aber in Tarutu auf Sumatra war es selbstverständlich, dass man Reis und Hühnchen mit Soße auf einem Bananenblatt serviert bekam und mit den Fingern aß.
Ich musste sorgfältig lernen, wie man mit vier Fingern aus Reis, Soße und Fleisch ein Bällchen formt, den Daumen dahinter schiebt und das so in den Mund steckt, dass einem nicht alles über die Ohren und auf den Kragen geht. Mir wurde dann gleich eine Gabel gereicht, weil man sagte, Europäer sind ja doch so ungeschickt beim Essen – denen muss man eine Mistgabel geben, damit sie das Essen verladen können.
Das war dort schicklich, bei uns ist es anders schicklich. Das ist das eine. Natürlich gibt es in jeder Zeit und in jeder Kultur Regeln für den Umgang zwischen Männern und Frauen, für Essen, für Eltern und Kinder sowie für Alte und Junge. Wenn ich zum Beispiel in Ostafrika bin, dann bin ich am See ein alter Mann, und mein Wort hat Gewicht.
Als ich zum ersten Mal als Generalsekretär des CVM nach Ostafrika kam, war ich 43 Jahre alt. Bei der Begrüßungsdelegation am Flughafen dauerte es nicht lange, bis man mir einen Stock in die Hand drückte. Ich konnte springen, und die hatten damals nicht so gedacht wie heute, dass man auch ein bisschen humpelig sein darf. Der Stock war nicht zum Stützen gedacht, sondern ein Zeichen von Führung. Wer eine Führungspersönlichkeit ist, hat einen Stab oder Stock, wie ein Zepter. Also bekommt man als erstes so einen Stock in die Hand gedrückt.
Man kann sagen, das ist ganz anders als hier. Hier in Deutschland gibt es kaum etwas Schlimmeres, als ein alter weißer Mann zu sein. Das bin ich natürlich unbestreitbar. Dann hat man nichts mehr zu sagen. Ein alter weißer Mann kann nur falsch sein. In anderen Kulturen gilt das anders. Dort hat man angeblich die Weisheit gepachtet, wenn man alt ist. Das ist zwar nicht ganz richtig, aber man glaubt tatsächlich, dass mit dem Alter Weisheit kommt.
Es gibt also kulturell sehr unterschiedliche Umgangsformen mit Alten und Jungen. Paulus sagt nun nicht einfach: „Ihr Frauen ordnet euch euren Männern unter, wie es sich in der Gesellschaft gehört“, sondern „in dem Herrn“. Das heißt, der Maßstab für die Beziehung ist nicht die Kultur, sondern der Herr Jesus.
Das ist ein spannendes Thema in der Mission: Wie verhält sich das Evangelium und der Ruf zur Nachfolge Jesu zur jeweils herrschenden Kultur? Wenn in einer Kultur das Alter respektiert wird und junge Leute lernen, den Alten Respekt zu zeigen, dann wird dieses kulturelle Element durch das Evangelium bestärkt.
Wenn in einer Kultur ein Mann vier bis fünf Frauen haben kann, dann kommt das Evangelium und sagt: Ein Mann und eine Frau, so hat Jesus es gesagt (Matthäus 19). So ist es von der Schöpfung her. Bekehrung bedeutet dann, dass sich eine ganze Kultur verändert. Natürlich haben die Gemeinden gelernt, wie man mit Polygamisten umgeht, die sich zu Jesus bekehren. Es geht ja nicht nur um das Sexualleben, sondern auch um Versorgung. Man kann nicht einfach vier Frauen mit ihren Kindern in die Wüste schicken. Gemeinden haben sorgfältige Übergangsweisen gefunden, wie das Leben nach Jesus aussieht. Aber das Gebot Gottes gilt.
Es gibt also Bereiche, in denen das Evangelium eine Kultur bestätigt, und Bereiche, in denen es die Kultur bricht und kritisiert. Das Leben ist bis heute wahnsinnig hart, und wir werden erleben, wie sich das entwickelt.
In unserer Kultur wird es in zehn Jahren vielleicht so sein, dass Ehe auch gleichgeschlechtliche Paare umfasst. Wir werden immer mehr Menschen haben, die gleichgeschlechtlich verheiratet sind und das Evangelium hören. Das ist vergleichbar mit polygamen Gesellschaften, in denen nach Tradition und staatlichem Recht ein Mann mehrere Frauen haben kann. Bei uns ist es das staatliche Recht.
Heute haben einige Kirchen bereits gesagt, sie segnen solche Ehen, während Freikirchen darüber streiten und sich spalten. Sie sagen, wenn das Staatsgesetz es erlaubt, müssen wir nachziehen. Doch das ist nicht zwingend so.
Unser Bundestag hat 2017 beschlossen, dass eine Ehe eine lebenslange Verbindung zwischen zwei Menschen gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts ist. Im zweiten Satz dieses Beschlusses heißt es: „Die Auffassungen der Religionsgemeinschaften bleiben von dieser Regelung unberührt.“ Der Bundestag weiß also sehr wohl, dass er weder Muslimen noch Katholiken oder anderen Christen vorschreiben kann, wie sie Ehe definieren.
Wenn der Staat gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe erlaubt, hat er nicht das Recht, den Religionsgemeinschaften vorzuschreiben, dass sie sich danach richten müssen. Viele wissen das nicht, weil Kirchen und Freikirchen sich so verhalten, als hätte der Staat ihnen das Verständnis von Ehe vorgegeben.
In unserer Demokratie gibt es keinen Grund, das religiöse Eheverständnis gesetzlich zu verändern. Das Gesetz gilt ausdrücklich nicht für Religionsgemeinschaften.
Die Frage ist nun: Wie gehen wir damit um? Wie gehen wir mit Menschen um, die Jesus nachfolgen, aber in einer Lebenssituation sind, die nicht dem Gebot Gottes entspricht?
In Evangelisationen kommen Paare, die seit Jahren unverheiratet zusammenleben, sogenannte „wilde Ehen“. Sie wollen Jesus nachfolgen, bekehren sich und fragen: Wie geht es jetzt weiter? Oft dauert es nicht lange, bis sie sagen: „Unverheiratet geht das nicht. Wir wollen das jetzt vor Gott und Menschen in Ordnung bringen.“ Dann heiraten sie, auch wenn sie schon lange zusammenleben und Kinder haben, und leben nach dem Gebot Gottes.
Das ist es also – „in dem Herrn“. Es ist ein heikles Thema. Damals gab es Streit darüber, ob Frauen überhaupt eine Seele haben und Menschen sind. In der griechischen Kultur wurden Frauen wie Besitz behandelt, als Möbelstücke. Das ist biblisch aber nicht die Wahrheit.
Wie ist also das Verhältnis von Mann und Frau? Paulus sagt: „Ihr Frauen ordnet euch euren Männern unter.“ Im Epheserbrief steht das etwas ausführlicher: „Seid einander untertan. Die Frauen ordnen sich den Männern unter, und die Männer lieben ihre Frauen und sind nicht bitter gegen sie.“ Im Epheserbrief Kapitel 5 wird das noch weiter ausgeführt: Die Männer sollen ihre Frauen lieben, wie Christus die Gemeinde geliebt hat und sein Leben für sie gegeben hat.
Meine Auslegungsmethode bei solchen heute oft umstrittenen Sätzen ist schlicht: Jede Gruppe liest die Sätze, die für sie gelten, und überlegt, ob sie ihnen folgen möchte. Frauen lesen die Sätze, die für Frauen gelten, Männer die für Männer.
Für die Männer heißt das: „Ihr Männer liebt eure Frauen und seid nicht bitter gegen sie.“ Das bedeutet, der Maßstab der Liebe der Männer zu den Frauen ist, wie Christus am Kreuz sein Leben für die Gemeinde gegeben hat.
Wie man auf diesem Modell ein Herrschaftssystem aufbauen kann, habe ich mich immer gefragt. Meine Frau sagte einmal: „Weißt du, wenn du für mich stirbst, ordne ich mich dir gerne unter.“ Ich verstehe, was sie meint. Wenn ich mein Leben für sie opfere, meine Ehre, meine Zeit gebe und auf meine Vorteile verzichte – so wie Christus am Kreuz alles gegeben hat –, das ist Liebe.
Wo Männer ihre Frauen so lieben, haben Frauen meist kein Problem damit zu sagen: „Du lebst verantwortlich, an dir orientiere ich mich.“ Das gilt auch heute, in unserer oft streitsüchtigen Zeit. Aber das sollen die Frauen für sich entscheiden – „in dem Herrn“.
Schaut man auf die heutigen Sitten, so ordnen sich Frauen meist nicht mehr von Natur aus den Männern unter. Frauen brauchen heute oft keine Männer mehr, Kinder werden im Reagenzglas gezeugt, und vieles ist ganz anders. Das ist fast die Not der Frauen.
Wenn ihr Jesus nachfolgt, Frauen, dann lebt euer Verhältnis zu euren Männern „in dem Herrn“. Männer sollten sich aber keinen Kopf machen, ob ihre Frauen Jesus gehorsam sind oder nicht. Sorge erst einmal dafür, dass du selbst Jesus gehorsam bist und dich deiner Frau gegenüber Jesus gemäß verhältst. Sei bereit, für sie „kreuzigen zu lassen“, anstatt den Pascha herauszuhängen.
Das Gleiche gilt für Kinder: „Kinder, seid gehorsam euren Eltern in allen Dingen, denn das ist wohlgefällig in dem Herrn.“ Auch hier ist die Unterordnung, die ja lebensnotwendig ist, „in dem Herrn“. Kinder brauchen Schutzräume, um überleben zu können – damals noch viel mehr, heute natürlich trotz Jugendamt und Sozialabsicherung.
Ich war lange Jugendpfarrer und habe oft erlebt, dass Teenager-Jungs, die sich zu Jesus bekehrten, zu Hause die Hölle erlebten. Die Väter, die sie zur Taufe und Konfirmation gebracht hatten, wurden plötzlich die größten Spötter und hänselten sie, weil sie morgens vor der Schule die Bibel lasen. Auch in Ausbildungsbetrieben hatten sie oft schlechte Chefs.
Mein Job war es jahrelang, solchen Teenagern zu sagen: „In dem Herrn! In dem Herrn! Weder Eltern noch Ausbildungschefs sollt ihr folgen, wenn sie von euch etwas verlangen, das gegen Gottes Gebot verstößt. Dann macht euren Rücken gerade und sagt: ‚Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.‘“
„In dem Herrn“ ist die Grenze – auch für die Väter. Im Epheserbrief heißt es: „Erbittert eure Kinder nicht, sondern erzieht sie in der Zucht und Ermahnung des Herrn.“ Das ist eine wunderbare pädagogische Weisheit, die verhindert, dass Kinder scheu oder mutlos werden.
Es ist nichts leichter für einen Vater, als die Nerven zu verlieren, überfordert zu sein und seine körperliche Überlegenheit wütend gegen die Kinder auszuspielen – und das dann noch als pädagogische Weisheit auszugeben. Nein, das ist nicht „in dem Herrn“. Das ist Totalversagen.
Ein Vater, der autoritär handelt, meint: „Hier wird gemacht, solange du die Füße unter den Tisch stellst, weil ich es sage.“ Autorität hingegen heißt: „Ich habe eine Begründung dafür, und ich setze sie durch.“ Dabei bleibt er nie die Begründung schuldig, angemessen dem Alter des Kindes. Kleine Kinder können das oft noch nicht verstehen, aber die Verpflichtung, zu begründen und zu vertreten, besteht.
Paulus sagt hier sehr viel zu diesen Verhältnissen. Für uns alle ist es noch viel zu lernen, Jesus gemäß zu leben.
Jetzt schauen wir weiter. Ich fasse das mal zusammen: Wir haben das besprochen, und jetzt geht es um Jesus und die Arbeit.
„Ihr Sklaven, seid gehorsam in allen Dingen euren irdischen Herren, nicht mit Dienst vor Augen, um den Menschen zu gefallen, sondern in Aufrichtigkeit des Herzens und in der Furcht des Herrn. Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen, denn ihr wisst, dass ihr vom Herrn als Lohn das Erbe empfangen werdet. Ihr dient dem Herrn Christus.“
Christus ist der Herr – Herr Christus heißt ja nicht Herr Müller. Ihr dient Christus, dem Messias, dem Herrn. Denn wer Unrecht tut, wird empfangen, was er Unrecht getan hat, und es gilt kein Ansehen der Person.
Manche sagen: Das ist ja von Anno Tobak, das gilt uns heute nicht mehr. Dabei ist Stuttgart die Hauptstadt der Sklaverei. Ob Ihnen das bewusst ist? Nirgendwo gibt es so viele Sexsklaven wie in Stuttgart.
In Deutschland gibt es Tausende, Tausende von Menschen in moderner Sklaverei. Wir haben ein Gesetz, das Sklaverei verbietet. Das ist das eine. Aber wir sind auch ein Land, in dem es Gesetze gab, die gerade im Bereich der Prostitution oft alle Türen geöffnet haben. Stuttgart ist die Hauptstadt in Deutschland, wo Prostitution als Zwangsmaßnahme für aus Afrika, Osteuropa und den Philippinen hierher über Lügen getriebene und hier versklavte Mädchen und Frauen geschieht.
In die Bordelle gehen die Männer, fahren mit Daimler vor. Das würde nicht funktionieren, wenn die Bürger in Baden-Württemberg das nicht fleißig mit viel Geld nutzen würden. Und niemand sagt etwas. Wir können nicht einmal öffentlich darüber reden, aber wir behaupten: Heute gibt es keine Sklaverei, das ist eine alte Geschichte aus der Antike.
Gelegentlich kommt heraus, mit welchen betrügerischen Mitteln Arbeiter in Fabriken ausgebeutet werden, wenn der Tönnies seine Schweine schlachten lässt und dann die ganzen Skandale aufgedeckt werden. Tausendfach passiert es in Europa, tausendfach!
Und was in der ganzen Flüchtlingsproblematik an Versklavung passiert, wo Riesengeld verdient wird – Sklavenhandel war immer ein Geschäft, an dem Menschen reich wurden. Andere haben weggeguckt und es geschehen lassen. „Kannst du nicht ändern“, sagen sie.
Ich behaupte, dass es heute mehr Sklaven gibt als im Altertum je zur gleichen Zeit, einfach weil die Bevölkerung um ein Vielfaches gewachsen ist. Zu sagen, das Sklavenproblem gäbe es gar nicht mehr, ist falsch. Was anders ist: Damals war es völlig legal, und manche Sklaven lebten unter guten Bedingungen.
Es ist klar, dass Paulus hier keine Revolution gegen Sklaven anzettelt. Sie müssen zum Kolosserbrief und diesen Texten parallel den Philemonbrief lesen. Der Kolosserbrief wird, das haben wir schon erwähnt, unter anderem von Onesimus, wahrscheinlich von Onesimus mitüberbracht, ebenso von Tychikus. Parallel dazu gibt es den Philemonbrief.
Philemon hatte einen Sklaven namens Onesimus, der weggelaufen war. Er war bei Paulus zum Glauben gekommen. Das können Sie im Onesimusbrief nachlesen. Paulus schickt ihn zurück und schreibt dem Philemon einen Brief: „Das ist mein lieber Bruder. Eigentlich möchte ich ihn bei mir behalten, ich könnte ihn gut als Mitarbeiter gebrauchen, er ist ein feiner Bruder in Christus. Aber ich will dich nicht zwingen, etwas Gutes zu tun. Ich schicke ihn dir zurück als deinen Bruder. Er wird nützlich sein; er war unnütz, jetzt wird er nützlich sein.“
Dann sagt Paulus: „Ich will nicht davon reden, dass du mir mein Leben schuld bist. Ich könnte dir befehlen, aber das tue ich nicht. Ich bitte dich nur, ich bitte dich, dass du ihn als deinen Bruder aufnimmst. Und ich bin sicher, du wirst mehr tun, als ich dich bitte.“
Also lesen Sie mal den Philemonbrief. Wenn Philemon das nicht verstanden hat, hat er nichts verstanden. Paulus ist sehr freundlich. Wir leben beides.
Paulus macht keinen Sklavenaufstand. Er sagt nicht: Wir müssen jetzt rebellieren. Er erkennt an, dass es in der Gemeinde Sklaven gab. Aber er sagt auch: Erstens bekehrten sich die Sklaven, und dann waren sie Brüder.
In den ersten Gemeinden waren Sklaven, die dann gleichberechtigt da waren wie ihre Herren. Das veränderte die ganze Chemie des Mittelalters – das spürt Paulus. Er gibt den Sklaven ein Selbstbewusstsein und sagt: „Ihr, passt mal auf, ihr schaut nicht darauf, was eure Bosse sagen, sondern eure Würde ist, dass ihr dem Herrn dient. Ihr seid frei, denn ihr dient dem Herrn. Alles, was ihr tut, tut es in der Furcht des Herrn und von Herzen dem Herrn. Ihr dient Jesus Christus, dem Herrn.“
Das ist die Befreiung.
Und dann gibt es umgekehrt als Letztes: „Ihr Herren, gewährt den Sklaven, was recht und billig ist.“ Und dann droht er: „Und bedenkt, dass auch ihr einen Herrn im Himmel habt, Jesus, den Herrn aller Herren.“
Das ist die Art und Weise, wie Paulus ganz schwierige Arbeitsverhältnisse anspricht. Man muss sagen: Gut, ich hoffe, dass niemand von uns in Arbeitsverhältnissen leben muss, die er eigentlich als Sklaverei betrachten muss, obwohl es schon schwierige Abhängigkeitsverhältnisse gibt, in denen man leidet.
Man kann sich nicht leisten, auszusteigen, weil man weiß, man bekommt so schnell keinen anderen Job, um die Familie zu ernähren. Aber Paulus sagt immer: „Denk daran, du dienst dem Herrn. Nicht weil deine Arbeit dir Spaß macht, nicht weil die Beziehungen zu deinem Chef oder Arbeitgeber menschlich erträglich oder moralisch verantwortlich sind. Denk daran, du dienst dem Herrn zu seiner Ehre. Das ist deine Souveränität. Und nichts, was du lebst, ist ohne Lohn bei Jesus.“
Manchmal ist uns das ein fremder Gedanke, dass wir alles umsonst tun müssten. Das stimmt nicht. Nichts ist für die Katz, was wir für Jesus tun. Selbst in einer schweren, schier unerträglichen wirtschaftlichen oder Arbeitsbeziehung.
Manche haben das Privileg, einen Beruf auszuüben, in dem sie Befriedigung an der Tätigkeit haben und gerne zur Arbeit gehen, weil das, was sie machen, sinnvoll ist und ihnen vielleicht sogar Spaß macht. Manche müssen es einfach tun, weil sie sonst nichts zu essen haben.
In der ganzen Bibel ist es ganz schlicht und einfach: Wir tun es für den Herrn. „Arbeitet mit euren Händen! Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“, sagt Paulus im 2. Thessalonicherbrief. Das ist eine sehr nüchterne Ethik, aber es gibt auch eine große innere Freiheit für Schwierige.
In der Bibel gibt es selten Kasuistik, also eine Ethik, die alle Einzelfälle durchrechnet: Wenn die Situation so und so ist, musst du das tun, wenn die Situation anders ist, musst du das tun. Stattdessen sind die Gebote Gottes klare Richtlinien.
Dann heißt es: „In dem Herrn, wende das auf deine Situation an und lass dein Gewissen schärfen an dem klaren Gebot Gottes.“ Respekt vor den Eltern, Verhältnis von Mann und Frau, Unterordnung, Liebe, Hingabe des Mannes, so wie Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisse – wie gehe ich damit um?
Sag jetzt nicht: „Ich red mich so schnell raus“, sondern lass dein Gewissen schärfen vom Wort Gottes. In dem Herrn, wenn es denn wahr ist, dass dein Bekenntnis lautet: Jesus ist der Herr, vor ihm beuge ich die Knie und ihm will ich gehorsam sein, weil ich glaube, dass er mir die Kraft gibt, so zu leben, wie er es will, und dass nur so das Leben gelingt.
Das ist die Logik, die dahintersteckt.
Das letzte Politische lasse ich jetzt mal weg, die Zeit ist um. Lass uns beten:
Herr, wir danken dir, dass dein Wort uns Wegweisung gibt für unsere Beziehungen und unser Leben, das oft nicht ganz einfach ist. Ich bitte dich, erneuere immer wieder die Liebe zu deinen Geboten in unseren Herzen.
Danke, dass du uns dein Herz zeigst, wie sehr du uns liebst, und dass wir begreifen können, dass du es in deinem Wort gut mit uns meinst. Dass wir dir mehr vertrauen als allen anderen Einflussnehmern, die uns versuchen zu beeindrucken oder einzuschüchtern.
Wir preisen deinen Namen. Amen.